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Gebieter des Feuers und der Unsterblichkeit

von

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Cyrill spürte, wie oft Lucien, sein König, Kontakt zu ihm aufnehmen wollte. Aber er weigerte sich dagegen. Er wollte nicht mit ihm sprechen oder gar jetzt begegnen.

Seit dem Vorfall waren acht Monate vergangen und als Lucien ihn verstoßen hatte. Natürlich hatte es ihn getroffen, aber er würde darüber hinwegsehen. Sowie er es versprochen hatte, besaß er eine Aufgabe, die es zu erfüllen galt, und die er zu lösen gedachte. Noch wusste er nicht wie, aber es würde ihm gelingen.

Sein alter Freund hatte zwar den Verstand verloren, weil er einfach nicht dem folgte, was seine Bestimmung war. Sein König war ein Narr, um es kurz zu beschreiben. Eines Tages würde Lucien es bereuen, überhaupt nichts getan zu haben. Darum tat er in der Zwischenzeit genau das, was eigentlich hätte seine Aufgabe sein müssen.

Seiner Seelengefährtin zu folgen.

Normalerweise war Cyrill Emmanlines Leibwächter und er hätte sie beschützen müssen. Er war an dem Tag dabei gewesen, als sie sich schlagartig veränderte. Zu Anfang war er wirklich und wahrhaftig schockiert gewesen. Er hätte ihr so was niemals zugetraut, aber Cyrill wusste auch, je länger er mit Emmanline zusammen gewesen war und ihr Verhalten beobachten konnte, sie tat es aus einem bestimmten Grund. Davon war er felsenfest überzeugt.

Viele mochten jetzt geteilter Meinung sein, aber er war der festen Überzeugung, es steckte mehr dahinter. Emmanline war ein Wesen, das nicht falsch sein konnte. In ihr steckte so was einzigartiges, was er zuvor noch nie gesehen hatte. Sie war so selten, das diese Wesen schon vor sehr langer Zeit aus dieser Welt verschwanden. Er wollte und konnte nicht daran zweifeln, alles passierte aus einem gewissen Grund.

Um all die Fragen zu lüften, die nicht nur in ihm wohnten, musste er Emmanline finden. Egal was er daran setzen oder opfern müsste. Er würde einen Weg finden.

Seit Cyrill verbannt wurde, konnte er über vieles nachdenken. Über alles, was in letzter Zeit passiert war. Die Sache mit seinen Eltern, die auch ihn ständig versuchten zu kontaktieren. Doch er wollte lieber alleine sein. Und, er gestand es sich auch ehrlich ein, diese einsame Zeit genoss er, ohne das ihn einer sagte, was er zu tun hatte. Nicht das es ihn gestört hatte, wenn Lucien irgendwas mitteilte, oder damals Emmanline. Es war nur so, er konnte es nicht mehr ertragen, wenn jemand ihm Vorschriften machte, wie er sein Leben zu führen hatte. Genau das passierte ihm zurzeit ständig.

Auf der Suche nach Emmanline, durchstreifte Cyrill ein dicht bewaldetes Gebiet. Durch eine kleine Information wurde er darauf gebracht, hier seine Suche fortzusetzen. Doch seit zwei Tagen durchwanderte er schon diesen düsteren Wald. Viele mieden dieses Gebiet, weil viele kuriose Gestalten hier ihr Unwesen trieben. Er vermutete zwar nicht, dass sich Culebra hier aufhielt, aber vielleicht bekam er anderweitige Quellen, wie er diesen Verräter finden konnte. Oder besser noch, Emmanline selbst.

Die Baumkronenschicht war so dicht bewuchert, dass er noch nicht einmal den blauen Himmel erblicken konnte. Seit er diesen Wald betreten hatte, hatte er kein einziges Mal den Himmelkörper gesehen und es machte ihn beinahe verrückt. Sein Drache bekam nicht diese Freiheiten, die er eigentlich brauchte.

Der einzige Vorteil war der, wie gut er in der Finsternis sehen konnte. Seine gute Sicht machte es ihn erst möglich, er konnte sich hier sicher und frei bewegen. Ansonsten wäre er all den dunklen Kreaturen des Waldes ausgeliefert. Schon die ganze Zeit verspürte Cyrill das Gefühl, er wurde verfolgt. Solange er in Ruhe gelassen wurde, interessierte es ihn nicht. Dennoch schien es ihn langsam zu nerven.

Frustriert seufzte Cyrill auf, als er neben einem schmalen Bach stehen blieb. Verwunderlich, wie so klares Wasser durch solch einen düsteren Wald fließen konnte. Fragliche und unnatürliche Dinge passierten immer wieder.

„Warum kommst du nicht einfach raus und stellst dich mir?“, sprach Cyrill laut und es schien, als verschluckte das dichte Haine seine Worte. Sein Blick war auf den fließenden Bach gerichtet, der leise vor sich hin plätscherte. Trotz der Dunkelheit konnte er auf der Wasseroberfläche eine leichte Spieglung sehen und bemerkte, eine Gestalt versteckte sich oberhalb in den Bäumen.

Die ganze Zeit hatte er schon geahnt, beobachtet zu werden. Würde er endlich denjenigen sehen, der ihn verfolgte?

„Was ist nun? Oder bist du zu feige dafür, dich mir zu stellen?“, klang seine Stimme monoton.

Cyrill konnte eine kleine Regung zwischen den Bäumen erkennen, wobei sich seine Augen leicht verengten, damit er besser sehen konnte. Die Statur schien von hagerer Natur zu sein und von größerer Gestalt. Ein Geruch von Zitrone und frischen Frühlingswind stieg ihm in die Nase. Jetzt wo er die Gestalt etwas genauer erkennen konnte, fiel ihm auf, immer mehr weiblichere Merkmale waren zu sehen. Es war eine Frau, was jetzt unverkennbar war. Selbst an ihren Rundungen, die nun langsam, aber stetig sichtbar wurden.

Als Cyrill die Frau beobachtete und bedacht war, sah er, welche Züge sie an ihr waren. Sie hatte kurzgeschnittenes pechschwarzes Haar, das sich gut in der Dunkelheit des Waldes anpasste. Ihre Augen wirkten dunkel und grau, was er nicht genau benennen konnte. Ihre Statur war recht schlank und für eine Frau Frau sehr hochgewachsen.

Er forschte weiter, während sie einige Schritte vor ihm stehen blieb. Sie war hübsch, keine frage, mit ihren zarten Gesichtszügen und ihren hohen Wangenknochen. Das verlieh ihr eine elegante Ausstrahlung. Lange schlanke Beine und ein wohlgeformten Körper. Ihr Duft noch dazu, machte sie zu einer sinnlichen Frau, was er nicht bestreiten wollte. Sein Drache gefiel es sichtlich und er reagierte darauf mit einen anerkennenden inneren Grollen.

Doch Cyrill wusste ganz genau, welche Art von weiblichen Wesen er vor sich hatte. Diese Frau war eine Fae. Alle Alarmglocken schrillten in ihm auf und er würde sich bereit machen anzugreifen, sollte sie etwas dummes tun.

Was wollte eine Fae von ihm? Obwohl sie ein hinterlistiges Volk waren und mit ihnen im Krieg lagen? War sie so todesmutig? Oder wollte sie gar sterben?

„Was willst du?“, knurrte Cyrill und veränderte seine Position.

Doch die Frau schien ihn für den ersten Augenblick nur zu beobachten, als versuche sie seine Gestalt aufzunehmen. Es behagte ihn nicht, aber sein Körper reagierte auf die Liebkosung ihres Blickes.

Bei diesem Gefühl verengten sich seine Augen weiterhin und fingen an golden zu leuchten. Ein Merkmal, wie aufgebracht er war.

„Sprich, oder verschwinde“, wirkte seine Stimme streng. „Oder bist du hierher gekommen, damit du mich angreifen kannst? Schließlich bist du diejenige, die mich die ganze Zeit verfolgt.“

„Nein“, klang ihre Stimme zart, sowie ihr Körper es war.

„Nein, was?“

„Nein, ich bin nicht hier um dich anzugreifen“, seufzte sie einmal auf und wandte ihren Blick von ihm ab. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit in die Dunkelheit des Waldes.

Sie schien wachsam und vorsichtig zu sein. Er konnte in ihr eine Jägerin erkennen. Es war selten für eine Frau in dem Volk der Fae. Diese Wesen waren zwar feindlich und kriegerisch gesinnt, aber sie machten sich nicht gerne die Hände selbst schmutzig. Weibliche Fae waren eher dafür da, um Nachwuchs zur Welt zu bringen, anstatt in einen Krieg zu ziehen. Oder sich gar woanders herumzutreiben. Ihre Männer achteten oft streng darauf, ihre Frauen nicht weit fort zu lassen.

„Was willst du dann?“, wollte er nun wirklich wissen. Er wollte wissen, warum sich ein weibliches Wesen ihrer Art sich hier befand. Anscheinend soweit von ihrer eigentlichen Heimat entfernt.

Erneut schaute sie ihn an, aber diesmal direkt in seine Augen. Sie wirkten regungslos. „Ich bin nicht hier, um zu schaden. Sondern um eine alte Schuld zu begleichen“, erklärte sie jetzt.

Verwundert schaute Cyrill sie an. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns schon einmal begegnet sind und du somit in meiner Schuld stehst.“

„Wie?“, verengten sich jetzt ihre Augen verwirrt. „Nicht in deiner Schuld, Drache“, schüttelte sie leicht ihren Kopf. „Es geht um die Frau mit dem schneeweißem Haar. Ihr schulde ich etwas.“

Überrascht horchte er auf. Diese Fae stand in Emmanlines Schuld? „Dir ist bewusst, dass die sogenannte Frau mit dem schneeweißen Haar, eine Elfe ist und ihr nicht gerade sonderlich gut miteinander auskommt. Ihr wart diejenigen gewesen, die einen Krieg mit den Elfen angefangen hatten.“

Die Augen von der Fae glommen wütend auf. „Ich bin nicht Schuld daran, was damals alles passierte. Und ich war nicht daran beteiligt gewesen, als das Massaker geschah. Ich werde es mir nicht annehmen und mir vorwerfen lassen, was damals geschehen war“, schien sie darüber aufgebracht zu sein.

Verblüfft und irritiert schaute Cyrill sie weiterhin an. Die Frau war regelrecht empört und er konnte nicht einmal verstehen, warum.

„Ich bin heute nicht hierher gekommen, um darüber zu diskutieren, was vor langer Zeit geschehen war. Es stimmt, ich beobachte dich seit geraumer Zeit und weiß, du suchst nach ihr“, versuchte sie sich wieder zu beruhigen. „Ich dürfte nicht hier sein, aber ich verdanke dieser Elfe so vieles. Darum will ich dir sagen, wo sie sich befindet.“

„Du …“, klang seine Stimme leicht erstickt. „Du weißt wo sie sich befindet? Wo?“

Könnte es so einfach sein? Konnte er dieser Frau und Fae vertrauen? Immerhin waren sie Feinde und es könnte eine Falle sein. Vielleicht lockte sie ihn wirklich nur in eine Falle.

„Woher soll ich wissen, wenn du es mir verrätst, das es keine Falle ist?“, war Cyrill wieder gefasst und beobachtete die Frau mit ihren eisgrauen Augen genau.

Sie betrachtete ihn eine ganze Weile, bevor sie antwortete: „Gar nicht. Ich kann dich nicht vom Gegenteil überzeugen. Ich weiß, wie viel Grausamkeit unter unseren Völkern geschehen ist und kann dies auch nicht wieder gut machen“, trübten sich ihre Augen und ein wehmütiger Glanz erschien in ihnen.

Dies war die erste Gefühlsregung, die Cyrill an ihr erkennen konnte.

„Auch wenn wir Feinde sind, stehe ich hier und riskiere damit selbst mein Leben. Ich versuche im geheimen zu helfen, damit …“, unterbrach sie sich selbst und schaute über ihre Schulter. „Die Elfe befindet sich Nahe von eurer Stadt Tarascon, an eurer nördlichen Grenze. Irgendwo in den Bergen von Vesuf. Mehr kann ich nicht sagen.“

Nach diesen Worten verschwand sie wieder in der Dunkelheit und er konnte sie nicht mehr spüren. Sie war verschwunden und dieses Gespräch mit dieser Fae irritierte ihn. Was wollte sie ihm noch sagen, bevor sie sich selbst unterbrochen hatte? Wer war sie überhaupt? Vor allem, warum half sie ihm wirklich?

Es konnte doch nicht der alleinige Grund sein, nur weil diese Frau Emmanline etwas schuldete. Sie war ein Rätsel und er hätte es gerne gelöst. Die Frau, die einen bezaubernden Duft von Zitrone in einem frischen Frühlingswind besaß. Sein Drache mochte es.

Nur wusste Cyrill nicht, worüber er fassungsloser sein sollte. Eher, das Emmanline vermutlich nahe an dem Ort war, wo er sich stets aufgehalten hatte, um die Grenze zu bewachen? Oder, welche anziehende Reaktion er gegenüber dieser Fae verspürte, obwohl sie sein Feind war und hätte töten müssen?

Was auch immer diese Gefühlsregung war, er würde sie ohnehin nie wieder sehen und hoffte, diese Empfindung möge dadurch verschwinden. Er konnte sich so etwas nicht leisten und gebrauchen.

Mit einem Kopfschütteln machte sich Cyrill von diesen unsinnigen Gedanken frei. Er hatte wahrhaft besseres zu tun, als sich über so was Gedanken zu machen. Stattdessen begab er sich auf den Weg zur nördlichen Grenze. Die Stadt Tarascon war nicht sonderlich groß, aber ein wichtiger Stützpunkt. Sollte Culebra sich direkt vor seinen Augen befinden, war es raffiniert von ihm. Um das herauszufinden, ob die Worte der Fae stimmten, musste er erst einmal überprüfen, bevor er weitere Informationen weiter leiten konnte.

Einfach die Lage auskundschaften.
 

Evanna wusste überhaupt nicht, warum sie das wirklich getan hatte. Sie wusste, welches Risiko sie damit einging, wenn sie sich diesem Drachen, mit langen pechschwarzen Haar und den sanften braunen Augen, zeigte. An ihren Kräften als ein Sleeper und Killerin zweifelte sie keinesfalls, aber niemals hätte sie gegen diesen Drachen eine Chance gehabt. Das hatte sie vornherein gewusst. Er wäre ihr kräftemäßig überlegen gewesen.

Doch aus einem Gefühl heraus verspürte sie eine gewisse Anziehung zu ihm. Sie hatte alles darauf angesetzt, er würde ihr nichts tun. Darum überraschte es sie, wie vernünftig er gewartet hatte, damit sie zu Ende erzählte. Vermutlich hätte fast jeder andere Drache sie gleich getötet, weil sie so unvorsichtig gewesen war. Doch er war anders, genau das hatte sie gespürt.

Ihr Herz schlug jetzt immer noch schneller in der Brust, welches sich nicht wirklich beruhigen wollte. Was löste dieser Drache in ihr aus, was sie unsicher machte?

Seufzend wandte sich Evanna weiter in die schützende Dunkelheit. Sie wusste, er folgte ihr nicht, womit sie vielleicht gerechnet hätte. Er war ein eigenartiger Mann.

Trotz allem konnte sie sich all das nicht leisten, wenn sie sich ihren Gefühlen hingab, und sie musste so oft schon verbergen, was tief in ihr verborgen lag. Sie bereute es keinesfalls anders als alle anderen Fae zu sein. Doch sie durfte sich keine Schwäche und Fehler leisten. Vieles hing davon ab, wie sie sich gab oder handelte. Nicht nur für sie alleine. Sie musste stets bedenken, sie lebte nicht nur für sich alleine. Tag ein und Tag aus wurde sie daran erinnert.
 

Drei Tage war es her, als Lucien unerwartet seine Zwillingskinder bekommen hatte. Einerseits konnte er Emmanline verstehen, warum sie so gehandelt hatte. Aber er verstand nicht, warum sie ihm nicht vertraute. Das lag ihm schwer auf dem Herzen, als alles andere. Natürlich auch ihren immensen Verlust. Aber er hätte alles für sie getan. Wirklich alles.

Jetzt waren ihm nur noch seine beiden Kinder geblieben, die Lucien in so kurzer Zeit mehr in sein Herz geschlossen hatte, als irgendjemand. Er liebte sie jetzt schon über alle Maßen. Es war eine Freude für ihn, sie beide zu beobachten und ihre jetzigen Verhaltensweisen zu erfahren. Sie wirkten auf ihn selbst nach diesen paar Tagen hellwach und aufmerksam.

Gerade klopfte es an seiner Zimmertür, während er seinen Sohn ins Bett legte, die er hatte hier aufstellen lassen, sodass seine Zwillinge einen Platz zum schlafen hatten. Direkt neben seinem, damit sie in seiner Nähe waren. Raziz war in seinen Armen eingeschlafen und es erweckte eine weitere große Freude in ihm, die er zuvor nicht gekannt hatte. Tiefe Zufriedenheit.

„Herein“, bat Lucien die Person ins Zimmer zu treten. Es war seine Schwester Jade, als er sich umwandte und sie überrascht anschaute. „Seit wann klopfst du an, Schwester?“

„Tue ich das nicht immer?“, wirkte sie gespielt irritiert.

Das ließ Lucien schmunzeln, weil es ihn immer wieder faszinierte, wie belanglos seine kleine Schwester alles hinnahm. Sie wirkte sorglos, aber er wusste, in ihr schien es manchmal anders auszusehen. Des Öfteren beneidete er ihre Sorglosigkeit. Anderseits wollte er auch nicht mit ihr tauschen. Es war nur ein winziger Funke, der in ihm wohnte. Nicht mehr oder weniger.

„Was kann ich für dich tun, Jade?“, wollte er von ihr wissen.

Jade war an das Bettchen zu Adriana hingegangen, die noch immer putzmunter zu sein schien. Wohingegen Raziz schon längst schlief.

„Oh, ich wollte dir nur mitteilen, das unsere Großtante endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist“, sagte sie belanglos und lächelte auf seine kleine Tochter hinab. „Na, wer ist meine Süße? Ja, das bist du“, sprach sie kindlich und stupste ihre kleine Nase mit dem Finger dabei.

„Wie bitte, Havanna ist wach? Seit wann?“, wirkte er fassungslos und ignorierte ihr irrsinniges Verhalten seinem Kind gegenüber.

„Ungefähr solange, dass sie ihr ganzes Zimmer verwüsten konnte“, lachte sie herzhaft auf. „Wenn du dich beeilst, kannst du sie vielleicht noch erwischen, bevor sie verschwindet. Sie redet die ganze Zeit davon, sie will jemanden umbringen. Sehr dramatisch.“

Wie angewurzelt stand Lucien da und starrte seine Schwester weiterhin konfus an. Hatte er das gerade richtig verstanden? Havanna zerstört gerade ein ganzes Zimmer und wollte dann verschwinden?

„Kannst du einen Augenblick auf meine Kinder aufpassen?“, fragte er Jade ernst.

Verwirrt schaute sie ihn an. „Tue ich das nicht bereits?“

Mit einem missmutigen Knurren schaute Lucien sie finster an, worauf er mit zwei Fingern seine Nasenwurzel massierte. „Kannst du mir das nicht gleich sagen?“

Bald würde er an Kopfschmerzen leiden, was für Drachen kein typisches Leid war. Doch so wie in letzter Zeit alles lag, wäre alles möglich.

„Habe ich das etwa nicht getan? Dir es gesagt?“, schien sie weiterhin durcheinander zu sein.

Lucien rollte mit seinen Augen und wollte darauf kein Kommentar abgeben. „Pass einfach auf meine Kinder auf. Und versuche einigermaßen normal zu sein und stelle mit ihnen nichts an. Ich will sie lebend wiedersehen“, ermahnte er sie.

„Oh, natürlich. Du bekommst mein Wort“, legte sie schwörend eine Hand auf ihre linke Brust, direkt über ihr Herz, als würde sie einen heiligen Eid ablegen.

Kopfschüttelnd verließ er das Zimmer und betete darauf, sie möge nicht in Versuchung kommen irgendwas dummes anzustellen, wie er es von Jade kannte. Sie hatte eine ungewöhnliche Art und Weise Zuneigung jemanden gegenüber zu zeigen. Am Ende kam nur Chaos heraus.

Mit schnellen Schritten war Lucien an dem Zimmer seiner Großtante angekommen. Er konnte Geräusche von drinnen vernehmen und lautes Gebrüll. Jade hatte sich nicht geirrt, sie verwüstete alles, als er gerade die Tür öffnete und eine Vase ihm entgegen geflogen kam. In letzter Sekunde konnte er noch der Vase ausweichen, die nun an der Wand hinter ihm in tausende Scherben zersplitterte.

Das Schauspiel was er jetzt zu Gesicht bekam, war tausend Mal lustiger, als alles andere. Ysera versuchte sie festzuhalten, damit Havanna den Stuhl nicht durch das Fenster warf, welchen sie gerade ergriffen hatte. Lya redete ununterbrochen auf ihre Großtante ein, aber es wirkte so, als steckte sie in eine wütende Raserei und das man bei ihr auf taube Ohren stieß. Gerade gesellten sich Raiden und Darius zu ihm, die anscheinend auch die gleiche Information bekommen hatten.

„Glaubst du, wir sollten sie gleich unterbrechen?“, fand selbst sein Onkel es belustigend.

Lucien räusperte sich, damit er sich etwas ernst anhörte. „Nach Lyas Gesichtsausdruck zu urteilen, sieht sie schon sehr verzweifelt aus. Ich denke, wir sollten ihnen helfen“, trat er ein paar Schritte ins Zimmer und sandte seine mächtige Präsenz aus. Sofort hörten alle in dem Raum auf und blickten ihn an. „Es freut mich wirklich zu sehen, dass du erwacht bist, Großtante Havanna.“

Havannas Augen formten sich zu Schlitzen. „Warum bin ich hier?“, knurrte sie wütend.

„Als wir dich fanden, haben wir dich aus dem Eis befreit, indem du gefangen warst. Du bist nicht gleich erwacht und wir hätten dich kaum dort zurückgelassen können“, antwortete Lucien ihr wahrheitsgemäß.

„Dies war unsere Höhle gewesen“, klang ihre Stimme voller Zorn.

„Ysera, lass sie los“, befahl er seiner Schwester, worauf sie sofort gehorchte. „Was ist passiert? Und wie bist du überhaupt in dieses Eis gelangt?“

Langsam senkte sich der Stuhl, den Havanna in die Luft gehoben hatte und stellte ihn ab. „Seena und ich waren nur für kurze Zeit auf Wanderschaft gewesen, wobei dieser verdammte Drachenarsch sich in unserer Höhle breit gemacht hatte und mit Abschaum alles verpesten musste. Am liebsten hätten wir ja was gegen sie unternommen und die Höhle von dem ganzen Ungeziefer frei gemacht. Aber...“, schien sie in Gedanken zu schweifen.

„Ihr habt Emmanline gesehen, nicht wahr? Und was sie ist?“, konnte Lucien beinahe schon die Gedanken von seiner Großtante lesen.

„Ihr wisst von ihr?“, schien ihr Blick etwas überrascht zu sein.

Ein trauriges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht und der Schmerz stand in seinen dunklen Augen. „Sie ist meine vorherbestimmte Seelengefährtin und Mutter meiner beiden Kinder.“

„Kinder?“, wurden die Augen von Havanna groß.

„Ja“, antwortete er ihr. „In der ganzen Zeit ist viel passiert und es hat sich auch einiges geändert. Sie hat sich verändert.“

Stirnrunzelnd schaute seine Großtante ihn an. „Solltest du, da wo du Kinder hast und deine Seelengefährtin, nicht glücklicher aussehen?“

„Havanna, du musst es so sehen …“, war es Darius der sprach und die Tür zum Zimmer schloss.

„Oh, wenn das nicht Darius der Taktiker ist“, klang sie halb ironisch.

„Denke was du willst, Drachenhexe, aber die Zeiten haben sich geändert“, verengten sich Darius Augen und er Begann zu erzählen, was zuvor geschehen war.

Auch Lucien berichtete von seiner Sichtweise und den Zusammenstoß mit seiner Großmutter Araveena, die vor sehr langer Zeit gestorben war. Vor allem, wie sie dazu gekommen waren, dass sie nach seinen Großtanten suchen sollten.

Die Augen seiner Großtante verdunkelten sich. „Ich verstehe. Meine Schwester hatte also schon alles eingefädelt, damit wir ja nicht verschwinden“, knurrte sie leicht. „Sie wusste schon immer was in uns vorgeht. Und so wie die Lage jetzt ist, wird uns auch nichts anderes übrig bleiben, als zurückzukommen.“

„Wo ist deine Schwester eigentlich? Sollte sie nicht bei dir sein“, fragte Darius.

„Wenn ich sie gefunden habe, wird sie einiges von mir zu hören bekommen, bevor ich sie umbringe“, zischte sie wütend. „Seena war es gewesen, die mich in das Eis eingeschlossen hatte.“

Überrascht schauten alle in den Raum Havanna an. „Es war nicht Culebra gewesen, der dich ins Eis eingeschlossen hatte?“, war es Lucien gewesen, der fragte.

Sie schnaubte abfällig. „Als wenn dieser Hurensohn eine mächtige Drachenhexe in Eis einschließen könnte. Dazu wäre er nicht fähig. Selbst nicht einmal mit seinen ganzen Abschaum, den er um sich scharrt. Nein, es war meine verfluchte Schwester gewesen, die mich unbedingt beschützen wollte, weil ich mich gegen etwas gewehrt habe, was sie nicht wollte. Wir hatten uns gestritten und da ist die Höhle ganz schön in Mitleidenschaft gezogen worden“, zuckte sie mit ihren Schultern.

„Aus welchen Grund hat Seena dich beschützt?“, erklang Raidens ernste Stimme, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte.

„Lag vermutlich daran, das ich die jüngste Schwester bin und eine Dummheit begehen wollte“, antwortete Havanna und blickte aus dem Fenster. „Hier hat sich absolut nichts verändert und es ist noch immer eine Einöde, wie meine Nichte und ihr Gefährte es hinterlassen haben.“

Lucien knurrte. „Ich habe auch nicht vor, es sonderlich vom Aussehen zu verändern.“

„Natürlich nicht, da du jetzt König über uns Drachen bist und alles in deiner Hand hast“, wirkte sie belustigt. „Aber mein Beileid, dass eure Mutter ihrem Gefährten in den Tod gefolgt ist. Das ist wirklich das Einzige was ich bei ihr bewunderte, welche Verbundenheit eure Eltern miteinander gehabt hatten. Sehr selten.“

„Willst du uns wütend machen, Großtante?“, brummte Ysera leicht aufgebracht.

Havanna lachte leicht. „Oh, keinesfalls, meine Liebe. Nimm es mir nicht übel, aber wir stecken in einer riesigen Scheiße. Nicht das ich je vorhabe Kinder zu bekommen, aber es betrifft alle. Zumal ist meine Schwester verschwunden und ich weiß nicht einmal wo sie steckt. So wie du, Lucien, der seinen Arsch bewegen und nach seiner Gefährtin suchen sollte.“

Als wenn Lucien es nicht schon längst getan hätte, wenn er Emmanline gespürt hätte. Doch er spürte rein gar nichts. Keine Verbindung, die er zuvor mit ihr gehabt hatte. Es war eine vollkommene Leere die ihn umgab. Die letzten Nächte waren für ihn die Hölle gewesen und er hatte kein Auge zu bekommen, egal was er getan hätte. Dieses Gefühl brachte ihn beinahe um und keiner hier in den Raum würde ihn je verstehen können. Nicht einmal seine Großtante, die weit älter war, als alle hier.

„Lucien, es gibt Neuigkeiten“, warf sein Onkel Darius aufgebracht in den Raum. „Sie wurde gefunden. Emmanline. Wir wissen wo sie ist.“

Blitzartig wandte Lucien sich an seinen Onkel und sah ihn mit geweiteten Augen an. Sein Blick sagte alles.

„Ich kann nicht sagen, wie es ihr geht, aber Cyrill hatte eben mit mir Kontakt aufgenommen. Sie wird in den Bergen von Vesuf festgehalten“, berichtete Darius weiter.

„Das liegt in der Nähe von der nördlichen Grenze von Tarascon“, wirkte Ysera überrascht. „Der Verräter würde doch wohl nicht so nahe an uns dran sein und wir bemerken es nicht einmal.“

„Immer zwei Schritte voraus“, flüsterte Lucien vor sich hin und seine Gedanken rasten regelrecht. „Emmanline hatte Recht behalten.“

„Wie meinst du das?“

„Direkt vor unserer Nase“, wurde Luciens Blick immer klarer. „Das ist es. Darius, bereite alles für einen schnellen Aufbruch vor und bringe so viele Drachen wie möglich zusammen. Jeder soll wissen, dass wir einen Frontalangriff starten. Jeder der sich uns dort widersetzt, wird mit seinem Leben bezahlen. Es werden keine Gefangene gemacht“, glühten seine Augen voller Euphorie, endlich einen Anhaltspunkt bekommen zu haben seine Wut freien Lauf zu lassen. Seine Hoffnung bestand jetzt darin, Emmanline zurück zu bekommen, egal wie, und Rache an diesen miesen Verräter zunehmen. Ihm all das heimzuzahlen, was Culebra ihm und seiner Gefährtin angetan hatte. Selbst seinem Volk.

„Also das gefällt mir“, blitzen die Augen seiner Großtante begeisternd auf.

Wütend starrte Lucien sie an. „Lass den Blödsinn, Havanna. Du kannst gerne hier bleiben und du wirst alles bekommen, was du benötigst“, sagte er nichts weiter und verschwand aus dem Zimmer seiner Großtante. Er musste sich vorbereiten, bevor sie aufbrachen und seine zwei Kinder noch einmal sehen. Immerhin wollte er noch ein wenig Zeit mit ihnen verbringen und er wusste nicht einmal, ob er unbeschadet Heim kehren würde.
 

„Ist er immer so?“, seufzte Havanna auf, als ihr Großneffe verschwunden war. Sie wusste, sie hatte es etwas zu weit getrieben, aber konnte es sich nicht verkneifen. In ihr brodelte eine Menge Energie, die sich während des Schlafes angestaut haben musste.

„Vielleicht liegt es daran, dass er seine vorherbestimmte Seelengefährtin verloren hat und er nicht genau weiß, was er jetzt tun soll. Vor allem mit seinen Kindern, fühlt er sich hin und her gerissen“, antwortete Darius ihr. „Er steckt in einer ziemlichen Zwickmühle. Also verärgere ihn nicht absichtlich.“

Lange blickte Havanna Darius an, den sie vor einer langen Zeit gut gekannt hatte. In all der Zeit, während sie und ihre Schwester Seena im Exil gewesen waren, hatte sich einiges verändert. Sogar Personen veränderten sich. Wie sie selbst.

„Mag sein, das ich es nicht ganz nachvollziehen kann, aber ich bin nicht hier, um zuckersüße Worte von mir zu geben. Ich bin nicht mehr die Frau, die ich einst gewesen war, Darius. Wenn meine Schwester wirklich wollte, das wir wieder zurückkehren, dann aus tiefgründigeren Sachen. Ich werde diese Entscheidung akzeptieren“, blickte sie ihn starr an.

„Mach was du willst, aber halte dich ein wenig zurück“, verließ auch Darius das Zimmer.

Havanna ließ sich auf den Stuhl fallen, den sie zuvor aus dem Fenster schmeißen wollte. „Was ist nur aus der Zeit geworden?“, seufzte sie resigniert.

„Nicht die Zeit ist es, was sich verändert hat, sondern die Umstände. Wir kämpfen mit vielen Mitteln, damit wir in dieser Zeit bleiben, aber einige mögen es nicht verstehen. Mag vielleicht sein, das es hart klingt, dennoch verschwinden wir nicht einfach von der Bildfläche und lassen alle in Stich.“

„Raiden“, schnappte neben ihr die hübsche Drachin mit ihren sanften blauen Augen nach Luft. „Das ist unhöflich.“

Seit dem Verschwinden von ihr und Seena, veränderte sich wirklich vieles und sie hatte auch keine wirkliche Ahnung, welche neuen Verhältnisse entstanden waren. Vor allem, wer zu wem gehört. Doch sie konnte noch immer gut einordnen und spüren, wer zur Familie gehörte. Havanna kannte zwar keine Namen von ihnen, aber es war ihr auch nicht sonderlich wichtig.

Herzhaft lachte Havanna auf. „Mir ist es vollkommen egal, was ihr sagt. Viele waren noch nicht einmal geboren, als wir verschwanden. Von daher interessiert es mich nicht, weil niemand hier eine Ahnung hat“, glühten ihre Augen auf.

Die Augen des Drachens, namens Raiden, verengen sich. „Wir haben nur keine Ahnung, weil wir nicht solange gelebt und gesehen haben, wie ihr?“

„Nein“, schnaubte Havanna abfällig und machte eine abwerfende Handbewegung. „Zu viel wissen, kann manchmal zu vieles von einem selbst opfern. Auch das ewige Leben. Das müsstest du doch am besten wissen, nicht wahr, Raiden?“, betonte sie seinen Namen extra und schaute ihn mit einem wissenden Lächeln an. „Oder glaubst du etwa, wir haben keine Ahnung, was wirklich passiert? Sicher denken viele, wir wären durch unserer Verschwinden von allem abgeschnitten. Oder vielleicht gar irgendwo tot, weil wir unsere Anwesenheit so gut verbergen können. Wir sind mächtige Drachenhexen und es ist uns ein leichtes, so viele zu täuschen, oder eben einmal irgendwo zu verschwinden, wo uns niemand findet. Trotzdem heißt es noch lange nicht, das wir nichts für unser Volk tun oder in Stich lassen. Alles was wir tun, selbst unser Handeln, hat einen Hintergrund, was uns zu viele Wege leitet. Egal was wir am Ende tun. Egal ob es zu einem schlechten oder guten Ende führt. Wer weiß das schon. Das Wichtigste ist doch wirklich, was wir dazwischen tun, und nicht der Anfang oder das Ende“, zuckte sie mit ihren Schultern und klatschte dann in die Hände. „So, genug geredet. Ich habe tierischen Hunger. Ich könnte glatt zwanzig Rinder verdrücken“, knurrte sie missmutig.
 

Lucien betrat wieder sein Zimmer und erwischte Jade dabei, wie sie seiner Tochter unmögliche Dinge erzählte. Dabei konnte er nur mit dem Kopf schütteln. Seine Schwester hatte Adriana in die Arme genommen, während sie im Schaukelstuhl saß, den er extra für sich zugelegt hatte, seit er seine Kinder hatte. Doch jetzt saß Jade darin und erzählte seiner kleinen Tochter unmögliche Geschichten von ihren unsinnigen Reisen.

„Und du glaubst nicht, wie er dann reagiert hatte. Dein Papa kann ganz schön gefährlich werden, wenn er einmal wütend und stur ist“, grinste Jade schelmisch und zeigte ihr weißen perfekten Zähne.

„Ich habe dich doch vorgewarnt, du sollst meinen Kindern keinen Blödsinn erzählen“, knurrte Lucien und funkelte sie finster an, wobei er nicht verhindern konnte, das ein belustigendes Funkeln in seinen Augen zu sehen war.

„Oh, Bruder“, tat sie so, als wäre sie erwischt worden. Dabei hatte sie seine Anwesenheit schon längst gespürt. „Ich weiß gar nicht was du meinst. Ich habe mich nur unschuldig mit deiner kleinen süßen Tochter unterhalten, weil sie einfach nicht einschlafen will. Dabei scheint Raziz wie ein Stein zu schlafen.“

Unschuldig, dachte er innerlich in sich hinein. Warum glaubte er ihr nur nicht?

„Gib mir meine Tochter, ich werde mich darum kümmern“, streckte Lucien seine Arme aus und nahm sie ihr aus den Armen. Adriana strahlte ihn an und er lächelte zurück. „Danke, dass du auf sie aufgepasst hast. Ich würde gerne einen Augenblick alleine sein“, was nicht unbedingt eine Bitte war.

Mehr als einen Augenblick schaute seine Schwester ihn an. „Irgendwas ist passiert“, meinte sie etwas skeptisch. „Ich kann in deinen Augen sehen, du planst irgendwas.“

„Das tue ich auch“, sagte er direkt. „Wir haben eben die Information erhalten, wo sich Emmanline befindet.“

Jade machte einen überraschten Laut. „Dann stehst du noch hier und redest noch seelenruhig darüber?“

Luciens Augen glühten vor regelrechter Ungeduld. „Seelenruhig?“, schaute er seine kleine Schwester an. „So fühle ich mich im Moment überhaupt nicht. Ich würde am liebsten losstürmen und nach Emmanline suchen. Ich will mich davon überzeugen, ob es ihr gut geht und was die Ursache dafür ist, warum ich darunter leide und sie nicht mehr in mir fühlen kann. Es macht mich beinahe wahnsinnig. Schon seit Tagen bringt es mich fast um. Es treibt mich soweit, dass ich aus der Haut fahren könnte, aber was ich schier vermeide. Alleine meinen Kindern zuliebe, versuche ich mich zu beherrschen. Also sag mir, liebe Schwester, was an mir könnte so seelenruhig sein?“

Zum ersten Mal schien es seiner gesprächigen und schwatzhaften Schwester die Sprache verschlagen zu haben, als sie ihn anstarrte und noch immer in dem Schaukelstuhl saß. Es gab wenig, dass sie in solch eine Lage versetzte.

„Tja“, strich Jade ein paar Mal über ihr feuerrotes Kleid, was ihr Haar glich und ihre Figur mehr als betonte. Mit all den Spitzen und Rüschen. „Wenn das so ist, dann sollte ich unbedingt auch ein paar Vorbereitungen treffen. Ich will ja das alles nicht verpassen“, stand sie damenhaft auf und räusperte sich. „Ich vermute mal, es wird so schnell wie möglich losgehen.“

Damit hatte sie vollkommen Recht und er musste es auch nicht beantworten. Sie war im nächsten Moment auch schon verschwunden. Mit einem Kopfschütteln ignorierte er ihr ungewöhnliches Verhalten. Er wollte es auch nicht wissen, denn Jade heckte mit Sicherheit irgendwas aus, womit er absolut nichts zu tun haben wollte.

Gerade hatte Lucien geglaubt, er habe ein paar ruhige Minuten mit seinen Kindern, klopfte es an seiner Tür erneut. Mit einem wütenden Knurren bat er diese Person herein und war überrascht darüber, wer eintrat. Er hätte mit jeden gerechnet, aber nicht mit seiner Großtante.

„Da hier alle voller Begeisterung über die Zwillingskinder von dir reden, wollte ich mich einmal selbst davon überzeugen“, meinte sie sachlich. Dabei ging Havanna auf das Bettchen zu seinem Sohn hin, der friedlich schlief und nichts davon mitbekam. „Oh, er sieht ja genauso aus wie du“, klang sie überrascht, aber ihn nervte es.

„Aus welchem Grund bist du wirklich hier, Havanna?“

„Aus keinen bestimmten Grund. Ich habe nur große magische Schwingungen gespürt und als ich dem auf den Grund gehen wollte, bin ich genau vor deiner Tür gelandet. Anscheinend gehen starke magische Wellen von deinen Zwillingen aus. Das ist höchst interessant“, machte sie ein Geräusch der Begeisterung.

Luciens Augen verengten sich finster. „Was willst du damit sagen?“

„Nichts konkretes, weil ich dazu noch nicht viel sagen kann. Sie sind zu jung. Aber ich kann eines sagen, in ihnen schlummert etwas ganz Großes“, fuhr sie sanft mit den Fingern über die Stirn seines Sohnes.

„Bedeutet das, sie werden irgendwann Kräfte entwickeln, wovon noch keiner weiß?“

„Kann gut möglich sein. Deine Gefährtin ist ein geheimnisvolles Wesen und durchaus in Vergessenheit geraten. Es gibt keine Überlieferungen mehr über ihr Volk. Zumal ist sie auch noch ein Mischwesen aus zwei magischen Völkern. Wer weiß welche Macht in ihr schlummert.“

Da hatte seine Großtante in der Tat Recht und keiner wusste, was in Emmanline wirklich steckte. Sie hatte zwar viel Mut und auch oft ihre Fähigkeiten bewiesen. Aber Lucien hatte auch das Gefühl, nie hatte seine Seelengefährtin ihre wahre Kraft gezeigt. Vermutlich wusste Emmanline es selbst nicht einmal. Doch eines wusste er ganz genau, sie war eine starke Frau und das wunderbarste Wesen, das er je zu Gesicht gekommen hatte. Er würde sie immer wieder erwählen. Sowie sein Drache es tun würde.

„Warum gibt es keine Überlieferungen mehr über die Wesen der Einhörner? Man glaubt nur, sie seien ein erfundener Mythos, was selbst uns Wesen in der Mythenwelt es glauben lässt. Sie sind vollkommen in Vergessenheit geraten“, würde Lucien es so gerne wissen, aber er erhielt nie eine Antwort darauf. Selbst Emmanline konnte ihm nie eine wirkliche Antwort darauf geben, da sie nie mit ihrem eigenen Volk etwas zu tun gehabt hatte. „Ich verstehe nicht, wie ein solches Volk in Vergessenheit geraten konnte.“

„Ganz einfach, sie können alles überdauern“, lächelte Havanna und ihr Blick schweifte in eine Zeit zurück, wovon er keine Ahnung hatte. Wovon niemand eine Ahnung hatte. „Die Einhörner sind ein Volk der wahren Unsterblichkeit. Woher glaubst du wohl, stammt unsere Unsterblichkeit? Sie ist uns sicherlich nicht zugeflogen oder aus großer Güte geschenkt worden.“

Schockiert riss Lucien die Augen auf, als sein Gehirn das zu verarbeiten versuchte, was seine Großtante ihm da erzählte. „Heißt das, sie gaben uns Mythenwesen die Unsterblichkeit?“

„Irgendwo muss es ja ein Anfang geben, oder nicht? Ich vermute mal, du wirst schon längst mitbekommen haben, das deine Seelengefährtin nicht tot zu kriegen ist. Das liegt daran, weil in ihr noch immer das Erbe ihres Volkes steckt. Ich glaube, wenn du auch so ihr Geheimnis schon kennst, wirst du auch das andere kennen, warum sie so verbissen darauf sind, es geheim zu halten.“

„Emmanline erklärte mir, würde je jemand ihr Geheimnis der wahren Unsterblichkeit kennen, würde derjenige selbst über diese Macht verfügen. Ihre Mutter hatte ihr stets vermittelt, nie darüber zu sprechen oder es zu verraten“, erzähle Lucien.

„So ungefähr. Niemand weiß wirklich, wie das von statten geht. Es würde äußerst schwierig werden. Nicht einmal die Götter wissen es. Vermutlich ist es auch besser so, dass das Volk der Einhörner vor Jahrtausenden verschwunden sind und dieses Geheimnis mit sich nahmen. Niemand sollte über das Wissen der wahren Unsterblichkeit verfügen. Die Welt ist auch schon so grausam genug und die Schlacht eines üblen Chaos. Wer sich das auch immer ausgedacht hatte, hat nicht an das wirkliche Gleichgewicht der Kompensation gedacht. Wirklich irre. Wer will denn schon wahre Unsterblichkeit besitzen, ohne eine Aussicht oder einen Ausweg zu bekommen, den wahren Tod zu erwählen?“

Zum ersten Mal verstand Lucien wirklich, was Emmanline in all ihrer Zeit hatte durchmachen müssen. Zumal gefühlt haben musste. Die wahre Unsterblichkeit beinhaltete ein schweres Laster, welches nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Er erinnerte sich auch daran, wie oft Emmanline ihn beteuert hatte, sterben zu wollen. Stets war er wütend darüber gewesen, weil er das nicht von ihr hören wollte. Kein einziges Mal. Doch jetzt kam er nicht drumherum, es zu verstehen, als würde sich ein dicker Nebel vor seinen Augen lichten. Als würde er endlich Klarheit bekommen.

Emmanline hatte immer nur wie alle anderen sein wollen und einem Ende zustreben wollen, welches sie gehen wollte. Einen Weg einschlagen, der für sie ein Ausgang bedeutete.

„Dein Blick, mein Großneffe, sagt mir, du versuchst das Unbegreifliche zu verstehen. Aber es ist zwecklos, niemand wird es jemals können. Keiner kann alles im mindesten verstehen. Ich bin ein uralter Drache, die nach Wissen dürstet und nicht einmal ich habe es je geschafft. Es gibt so vieles auf dieser Welt, was unerklärlich ist und vermutlich auch bleiben wird. Es gibt höhere Mächte, wovon wir keine Ahnung haben. Solange sie im Schatten verborgen bleiben, soll es mir recht sein. Jeder hat eine Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Wir sind nur kleine Schachfiguren vom Ganzen. Das habe ich mehr als einmal lernen müssen“, klang ihre Stimme so rational, was zu ihm durchdrang.

Lucien schüttelte mit seinem Kopf, damit er im Kopf wieder klar wurde. „Ich will auch nicht wirklich alles verstehen, aber ich werde nicht aufhören nach einem Grund zu suchen, wenn es um meine Seelengefährtin geht. Ich würde für sie alles tun. Auch wenn es mich alles kosten würde“, war er entschlossen.

„Ich habe befürchtet, das du das sagst. Keine Macht dieser Welt vermag wahre Seelengefährten zu trennen. Das hatte ich stets bei deinen Eltern bewundert“; lächelte sie leicht, was ihre Augen auch erreichte. „Es wird ein harter und weiter Weg sein, der dir bevor steht.“

„Ich habe auch niemals behauptet, das es einfach sein würde. Ich bin mir vollsten bewusst, was mich erwartet. Außerdem, auch wenn ich Emmanline dort nicht finde, oder die Chancen schlecht sind, wenn mit ihr etwas geschehen ist, kann ich solch einen miesen Verräter, der keine Gnade kennt, entkommen lassen. Allein, da ich jetzt selbst Vater bin“, schaute er auf Adriana herab, die endlich eingeschlafen war. In ihm steckte so viel Wut und Zorn, welche er kaum bändigen konnte, aber seine kleine Tochter schlief friedlich und vertrauensvoll in seinen Armen.

„Nun gut“, schnalzte seine Großtante mit ihrer Zunge. „Da ich davon ausgehe, das meine Schwester irgendwo in Gefangenschaft gehalten wird, werde ich meine Suche bei dem miesen Abschaum anfangen“, lächelte sie boshaft, was selbst Lucien eine leichten Schauer über den Rücken laufen ließ.

Sanft bettete Lucien Adriana in ihr kleines Bett und deckte sie sorgsam zu. Leicht lächelte er, weil seine Tochter beim Schlafen die Angewohnheit hatte, vor sich hin zu glucksen. Als er sich versichert hatte, das sie gut lag und schlief, ging er zu seinem Sohn, um nach ihm zu sehen.

„Verdammt fürsorglich.“

„So ist das nun einmal, wenn man Vater geworden ist“, kommentierte Lucien ihre Worte und deckte Raziz zu, der seine Decke weg gestrampelt hatte.

„Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, einmal selbst Kinder zu bekommen“, klang sie monoton.

Normalerweise interessierte es Lucien nicht, aber er musste trotzdem fragen. „Nicht einmal mit dem Ratsmitglied Darco?“, schaute er ihr bei dieser Frage in die Augen.

Lucien konnte ein überraschtes Blitzen in ihren Augen erkennen. „Woher weißt du davon?“, fragte sie nach einigem Zögern.

„Weil er ein paar Tage an deinem Bett Wache geschoben hatte, bevor ich ihn wieder nach Hause zurück schicken musste. Er war ziemlich von dir eingenommen und ich rede nicht einfach nur so. Er erzählte mir auch, was für eine Beziehung ihr damals miteinander geführt hattet.“

„Das hat er getan?“, glomm Wut in ihren braunen Augen auf. „Schön für ihn, aber das hat längst keine Bedeutung mehr“, knurrte sie.

„Nach deiner Reaktion zu urteilen, scheint es genau das Gegenteil zu bedeuten.“

„Tss“, zischte Havanna abfällig. „Nichts was diesen Mann und Drachen betrifft, wird je Platz bei mir finden. Von mir aus kann er sich zum Teufel scheren und mich würde es dann nicht mehr interessieren“, wandte sie sich ab und ging einfach.

Allein schon die starke Reaktion darauf und wie sie sich verhielt, sprachen ganz andere Sprachen, wohingegen er ihren Worten kein Glauben schenken konnte. Ihm sollte es auch egal sein, was zwischen ihnen war und es interessierte ihn auch nicht. Zumal ging es ihm auch nichts an, denn er hatte genug eigene Probleme, um die er sich zu kümmern hatte. Sie waren alle erwachsen und konnten für sich selbst sorgen.

Apropos erwachsen, seit er wieder bei Verstand war, wo steckte der kleine Schneeleopard? Seit dem hatte er den jungen Gestaltenwandler nicht mehr gesehen. Er wird doch wohl nicht abgehauen sein? Später musste Lucien überall nachfragen, ob jemand ihn gesehen hatte, denn sonst besaß er ein kleines Problem. Selbst wenn Emmanline nicht bei ihm war, würde sie es ihm nicht verzeihen, sollte Audray etwas zugestoßen sein. Nicht einmal jetzt konnte er ihre Bitten abschlagen oder missachten.

Diese Frau war in ihm einfach zu tief verwurzelt.

Wieder machte sich ein wehmütiger und schwerer Schmerz in ihm breit, den er kaum ertragen konnte. Es war eindeutig hundert Mal schlimmer, als die Verluste zuvor. Würde es denn noch unerträglicher werden? Gewiss fühlte Lucien sich jetzt schon wie ein Häufchen Elend. Unsagbare Schuldgefühle nagten an ihm, was ihn beinahe auseinander riss.

Auch seine Gedanken waren nicht besser dran, die sich kreuz und quer vermischten. Er fühlte Angst und gleichzeitig war er wütend. Auf sich selbst, wie dumm er doch gewesen war.

Gleichzeitig dachte Lucien an Emmanlines letzte Worte, bevor sie für immer aus seinem Leben verschwunden war. Nicht die Worte, die über ihre Lippen kamen, sondern aus ihrem tiefsten Inneren. Er hatte seiner Familie nicht alles erzählt und er wollte es auch nicht, denn für die Anderen waren nicht alle Worte bestimmt. Dies war nur für ihn und sein Herz, woran er sich immer erinnern würde.
 

„Wie sehr würde ich dir jetzt sagen, das es mir furchtbar leid tut, aber ich kann es nicht. Genauso wenig kann ich von dir verlangen, dich um Verzeihung zu bitten. Verrat ist Verrat. Ich habe zu allem kein Anrecht mehr, seit der Dolch dein Herz durchbohrt hat, welches ich versucht habe zu beschützen. Immer habe ich gewusst, das dieser Tag eines Tages kommen würde, aber insgeheim habe ich gehofft, es würde anders kommen. Mittlerweile weiß ich, du würdest mich nie gehen lassen und du würdest mich jederzeit holen kommen. Nur damit ich bei dir bin. Du hast etwas in mir erweckt, was sich unglaublich anfühlt. Zum ersten Mal in meinem Leben durfte ich erfahren, was es heißt geliebt zu werden und wo ich das Gefühl bekam, Zuhause zu sein. Dafür danke ich dir sehr und all das wird in meinem Herzen sein, egal wie lange ich lebe. Doch du darfst mir nicht folgen und dein Leben riskieren, weil dein Leben soll jemand anderen gehören. Es soll deinen Kindern gelten. Sie werden dich brauchen, sollte ich nicht mehr da sein und da ich weiß, du würdest mir folgen, musste ich diesen Zauber auf dein Herz legen, der dich an mir zweifeln lässt. Sei wütend und zornig auf mich, weil ich es verdiene. Hasse mich sogar, solange du in Sicherheit bleibst. Und du darfst mir niemals verzeihen. Lebewohl …“
 

Wie eine Dauerschleife wanderten ihre Worte durch seinen Kopf und nichts davon hörte sich in seinen Ohren, wie ein Verrat an. Er wusste, ihr Herz war größer als alles andere und doch akzeptierte er ihre Entscheidung nicht. Er konnte es nicht.

Schon seit längerem hatte Lucien gewusst, Emmanline besaß sein Herz und seine Seele, sein ganzes Leben. Zu gerne hätte er ihr alles gegeben und sogar ihr zu Füßen gelegt. Keinesfalls hatte sie es mit ihren Füßen getreten, sondern stets darauf geachtet behutsam damit umzugehen. Jetzt wusste er mit großer Wahrscheinlichkeit, er bedeutete ihr auch etwas. Sonst hätte sie sich nicht die große Mühe gemacht, auf ihn zu achten. Natürlich war sie zu allen hilfsbereit und fürsorglich, aber bei ihm war es etwas anderes. Er wusste es einfach.

Entschlossenheit und ein wildes Feuer loderte in seinen Augen auf, als Luciens ans Fenster trat und hinaus in den Nachthimmel blickte. Der Mond wirkte größer und schien heller als sonst. Er war entschlossen, egal was ihn erwartete, er würde sie finden. Selbst wenn sein Gefühl ihm etwas anderes sagte. Schon immer konnte die Hoffnung Berge versetzen und er würde sie nicht ohne einen Kampf aufgeben, was auch kommen mag. Auch die Liebe zu jemanden konnte Wunder bewirken und selbst daran wollte er glauben. Wenigsten einmal in seinem Leben wollte er an etwas glauben, was ihm mehr am Herzen lag, als alles andere in seinem unendlichen Dasein.
 

Früh am nächsten Morgen, bevor die Sonne aufging, übergab Lucien seiner Schwester Lya seine kleine Tochter. Sie war putzmunter und er konnte nicht einmal verstehen warum. Normalerweise sollte sie genauso tief und fest schlafen, wie sein Sohn. Ihm kam der Gedanke, womöglich brauchte Adriana genauso wenig Schlaf, wie ihre Mutter es nicht brauchte. Er hatte schnell bemerkt, das Emmanline es aus gutem Willen tat und weil es ein großes Vertrauen zu ihm hinwies. Bei seiner Kleinen schien es nicht anders zu sein.

Lucien hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, um sich darauf vorzubereiten, was ihn erwartete. Nichts würde ihn aufhalten und er würde seinen Drachen freien Lauf lassen, sollte sich etwas zwischen die Mutter seiner Kinder und Seelengefährtin stellen. Alles würde er in einem rasenden Tempo vernichten.

„Pass gut auf sie auf“, wollte Lucien sich überhaupt nicht von seinen Kindern trennen, aber er musste es tun. Wie schwer es für ihn auch war.

„Natürlich, Lucien. Ich werde sie hüten, wie meine eigenen“, lächelte sie ihn warmherzig an. „Doch du passe auch auf dich auf und komm ja wieder zurück.“

„Das werde ich“, und hoffte, Emmanline wäre dann bei ihm.

Bevor Lucien ging, strich er sanft über den Kopf seines schlafenden Sohnes, das ihn nicht zu stören schien. Eindeutig hatte Raziz einen gesunden Schlaf, was ihn zum lächeln brachte. Es erfüllte sein Herz, schon dabei zuzusehen, wie sie einfache Dinge taten und er vollkommen davon eingenommen war. Ja, er würde zurück kommen, und sei es nur für seine Kinder.

Lucien gab Adriana einen sanften Kuss auf die kleine Stirn, die gluckste und die Chance ergriff, an seinen dunkel braunen Haaren zu ziehen. Einen Augenblick gewährte er ihr, bevor er sich von ihren winzigen Fingern befreite. Sie war wahrhaftig bezaubernd und noch einmal bekräftigte es ihn, er würde zurückkehren. Schließlich wollte er noch mehr von ihnen sehen und erleben. Noch mehr Erinnerungen an sie sammeln. Auch wenn es womöglich ohne Emmanline sein würde.

Ohne zurück zu blicken, verließ er sein Zimmer, denn sonst würde er sich umentscheiden, sollte er noch einmal einen Blick auf seine Zwillinge richten. Jetzt erst verstand Lucien alle anderen, wenn sie Kinder bekommen hatten und von dem Glück sprachen, davon gesegnet zu sein. Und wenn sie davon sprachen, von ihnen in absoluter Macht angetan zu sein. Stets hatte er es als Unsinn und Vernarrtheit angesehen, aber er steckte jetzt selbst in dieser Situation, dass er davon sprechen konnte, die Kinder besaßen ein großes Talent dafür, Eltern in ihren Bann zu ziehen, dass sie nicht mehr aufhören ließe, vor Stolz zu platzen. Genau das tat er, seine Brust quellt über davon.

Keine Sekunde wollte er davon vergeuden, etwas von ihrem Leben zu verpassen und er freute sich jetzt schon, zu ihnen zurück zu kehren.

Draußen auf dem großen Platz schienen alle versammelt zu sein und er nickte seinem Onkel dankend zu, wie schnell er er alles organisieren konnte. Doch Lucien schien überrascht zu sein, als er Saphira an Darius Seite stehen sah. Sie wirkte kampfbereit und entschlossen. Mit einem Blickwechsel seines Onkels verzog er leicht das Gesicht, als hätten sie ein ernstes Gespräch gehabt, wobei sie gewonnen hatte und er den Rückzug angetreten musste. Saphira zog mit in die Schlacht.

Mit einem Kopfschütteln wandte Lucien sich ab und bemerkte erneut, Männer waren nicht immer das stärkere Geschlecht. Frauen konnten verdammt stur und überzeugend sein.

Lucien bedurfte keine vielen Worte und verwandelte sich gleich in seine Drachengestalt, als er ein tiefes und lautes Brüllen von sich gab. Es war ein Schlachtruf, der alle davon überzeugte, mit ihm zu ziehen. Nicht weil er es von ihnen verlangte, sondern weil sie es freiwillig taten. Er erkannte alle Gesichter, die er erblickte und sich auf dem Vorhof seines Schlosses versammelt hatten. Sowohl Frauen und Männern. Sie waren hier, weil sie es für Emmanline taten und es rührte ihn zutiefst, welche tiefe Verankerung seine Seelengefährtin in seinem Volk hatte.

An die Hunderte von Drachen versammelten sich auf dem Boden und am Himmel, die in ihrer Drachengestalt und in ihrer menschlichen Form waren, was er zuvor noch nie gesehen hatte. Alle waren sie bereit in einen ausweglosen Kampf zu ziehen, nur um seine Gefährtin zu rächen oder womöglich zu finden und zu retten. Das machte ihn unsagbar mutig und entschlossener. Emmanline hatte eine tiefe Verankerung in ihnen hinterlassen, obwohl er gedacht hatte, sein Volk würde sie als eine Verräterin abtun, weil er ihn hintergangen hatte. Wie sehr er sich doch geirrt hatte.

In sein lautes Brüllen stimmten viele Drachen mit ein und Lucien hob sich dem Himmel empor. Er wollte keine Sekunde mehr verlieren, so sehr drängte es ihn in den Kampf zu ziehen.

„Wie hast du es so schnell geschafft, so viele Drachen zu versammeln?“, stellte Lucien die Frage seines Onkels geistig, der neben ihm flog.

„Gute Frage“, meinte er. „Als ich den Befehl gegeben hatte, dass alle Krieger sich bereit machen sollten, in die Schlacht zu ziehen, verbreitete sich das wie ein Lauffeuer. Voller Eifer und Euphorie strömten unzählige Drachen aus allen Himmelsrichtungen. Sie wollen für ihre Königin in die Schlacht ziehen.“

Lucien schaute Darius von der Seite an, als er die Ungläubigkeit in seiner gedanklichen Stimme vernahm. „Du wirkst so überrascht, dass es so ist, sie kämpfen für ihre Königin.“

„Ein wenig schon. Seit du die letzten Monate dem Zauber erlegen warst, schienen einige gespalteter Meinungen gewesen zu sein, was deine Seelengefährtin betrifft. Viele waren voller Zorn und Wut, über ihren Verrat. Doch ich sehe viele Drachen hier, die nun für sie sterben würden.“

Am liebsten hätte Lucien gelächelt. „Kannst du dich daran erinnern, als eine Art Ruck durch unsere Körper ging?“, fragte er, aber wartete nicht auf seine Bestätigung ab. „Emmanline hat irgendwas getan, was vieles verändert hat. Ich kann es spüren, wie frei und leicht ich mich fühle, als wäre eine riesen Last von mir gefallen. Zuvor habe ich das noch nie gespürt. Vor allem diese tiefe Verbundenheit zu allen, jetzt wo ich es genauer fühle. Ich spüre jeden einzelnen von euch.“

Darius schien darüber nachzudenken und brummte zustimmend. „Vielen ergeht es so und es fühlt sich schon wahnsinnig an. Hat es was mit diesen blutroten Rubin zu tun? Bedeutet es, sie hat es geschafft, den Fluch von uns zu lösen?“

„Ich weiß es nicht, Onkel, aber wir werden herausfinden, was es bedeutet“, woran Lucien nicht wirklich glaubte. Immerhin hatte Emmanline einmal gesagt, sie könne diesen Fluch nicht brechen, nur derjenige, der ihn ausgesprochen hatte. Er glaubte ihr. Was auch immer sie getan hatte, es fühlte sich wunderbar an. Er hatte nicht einmal gewusst, wie sehr er eingeschränkt davon war, wobei er stets das Gefühl der Freiheit genossen hatte und wusste, was es bedeutete. Er hatte nicht einmal geahnt, welchen Druck er hatte mit sich rumschleppen müssen, bevor diese von ihm gefallen war. Sein Drache brüllte voller Glücksgefühle laut auf, weil er es nicht unterdrücken konnte. So viele stimmten in seinem markerschütternden Gebrüll mit ein.

Sein glühenden Drachenaugen blickten sich um und Lucien war immer noch total überwältigt, wie viele sich der Sache angeschlossen hatten. Unzählige Drachen flogen in einem formatierten Schwarm hinter und neben ihm. Es musste ein unglaubliches Bild abgeben, wenn jemand sie von der Erde aus sahen. Diesmal wollte er sich nicht verstecken, sondern er wollte die Feinde wie eine Flutwelle des Unheils überrollen. Ohne jegliches Erbarmen.

Seine Flügel trugen ihn schnell an sein Ziel, als er die nördlichen Gipfel vom Vesuf erblickte. Ein tiefes kampfbereites Knurren kam aus seiner Kehle, was ihn schlagartig wach rief, bald war es soweit. Er würde hoffentlich diesen miesen Verräter in seine Klauen bekommen, der so viel Unheil in sein Volk gebracht hatte. Schon oft hatte Lucien sich ausgemalt, welche Folter er Culebra antun würde. Die würden genauso grausam sein, die er Emmanline hatte zuteil werden lassen. Wenn jemand denen bedrohte oder Schmerzen zufügte, die er liebte, würde er grausamer, als jede Bestie in der Mythenwelt werden. Sollten alle wissen, wie gerecht er seinen Titel werden konnte. Nicht umsonst war er Lucien der Zerstörer.

Absolut jeden würde er auf seinen Weg zerschmettern, der ihm das liebste nahm und genau das hatte der Hurensohn Culebra getan. Oh, sein Feuer des Hasses und Zornes brannte wie heiße Kohlen in ihm, was ihn schier antrieb. Noch mehr, weil sie, Emmanline, die Seine war. Und Drachen reagierten echt angepisst auf das, wenn man ihr Eigentum wegnahm.

Kaum merklich bemerkte Lucien einen Schatten, nein mehrere, die sich aus dem dichten Wald erhoben und erkannte den braunen Drachen an vorderster Front sofort, der sich zu ihnen gesellte. Er war kein Feind, sondern Cyrill. Anscheinend hatte er darauf gewartet, sich ihnen anzuschließen. Und das mit einer ganzen Schar von Drachen. Er war absolut nicht untätig gewesen.

Mit einem kurzen Nicken flog Cyrill auf der anderen Seite von ihm und Lucien dankte nickend zurück, als er ihn anblickte. Am liebsten hätte er ihm ein paar Worte gesandt, bis auf einmal die Hölle losbrach. Sie wurden entdeckt, was nicht schwer war und auch nicht vorgehabt hatte, sich zu verbergen.

Ein Schwarm Drachen und geflügelter Dämonen kamen aus den Bergen geströmt, um sie anzugreifen.

„Ausschwärmen. Alle die sich gegen uns stellen, zeigt kein Erbarmen. Wir müssen zu den Bergen gelangen“, sandte er es an alle Drache, die ihm gefolgt waren und noch nie zuvor in seinem Leben, hatte er mental eine Nachricht an so viele versandt. Es kostete ihm nicht einmal mühe und jeder erreichte sie. Als Bestätigung, bekam Lucien ein Strom von zornigen Kampfgebrüll, dass die Erde und Himmel erzittern ließ. Einmalig wie sich das anfühlte. Es brachte sein Blut regelrecht zum kochen und es war verdammt lange her, seit er einen letzten blutigen Kampf bestritten hatte. Es dürstete ihn schon beinahe danach.

Als Lucien sich im Flug einen Dämon ergriff, der verflucht hässlich war und bestialisch stank, zerriss er ihn in seinen Klauen in Einzelteile. Ihm war es vollkommen egal, wie grausam und blutig das erschien. Dennoch verkündete er damit, die Schlacht hatte begonnen.



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