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Die Weltenwandlerin

von

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Endlich

Langsam geht die Sonne unter. Der Gedanke, diesen Ort hier schon zu verlassen und in den „Alltag“ zurückzukehren, widerstrebt mir. Es fühlt sich so an als würde ich hier hingehören; wie eine Art „Wiege“, aber auch wie eine „Festung“.
 

„Müssen wir aufbrechen?“, frage ich Thranduil, mich selbst dazu zwingend, diese Wörter auszusprechen.
 

Er sieht mich kurz an und meint dann: „Würdest du gerne noch hierbleiben?“
 

„Geht das denn?“ Hoffnungsvoll suche ich in seiner Miene nach einer Antwort.
 

Thranduil lacht. „Du weißt, dass ich dir nichts abschlagen kann. Vor allem dann nicht, wenn deine Augen so leuchten…“ Er zwinkert mich verschwörerisch zu; ich falle ihm um den Hals. „Du bist der Aller-aller-allerbeste!!“
 


 

Ich kann mich nicht erinnern, jemals so einen Sternenhimmel gesehen zu haben. In meiner Welt lebe ich zwar in einer der kleinsten Kleinstädte überhaupt und dementsprechend hält sich die Lichtverschmutzung in Grenzen, aber mehr als ein paar Sterne kann ich dort am Nachthimmel nicht erkennen. Als ich zum ersten Mal hier im Düsterwald nachts nach oben gen Himmel schaute, war ich überwältigt von der Vielzahl an Sternen – doch selbst das ist hiergegen nur ein schwacher Trost.
 

Ich bin so gebannt von diesem Anblick, dass ich mehrere Minuten lang nur still daliege und nach oben schaue. Es ist imposant, gewaltig und mehr als beeindruckend – und doch auf eine so stille und bescheidene Art und Weise. Es ist ein Gefühl von unendlicher Weite, von Ewigkeit, und doch auch tröstend. Plötzlich scheint es mir ganz einfach zu sein, darauf zu vertrauen, dass schon alles gut wird – etwas, das ich so nicht kenne. Es lässt ein Gefühl der Glückseligkeit in mir aufsteigen – wie unendlich froh bin ich, jetzt hier sein zu dürfen!
 

Nach einer Weile blicke ich zu Thranduil; er ist schweigsam, scheint nachdenklich.
 

„Was bedrückt dich?“, frage ich ihn sanft, immer noch dieses tiefe Gefühl der Zufriedenheit verspürend.
 

Der Elb sieht mich an; sein Blick wirkt zerstreut, sein versuchtes Lächeln berührt mich irgendwo tief in meinem Innersten. Ich weiß sofort, dass es sich um etwas Ernstes handeln muss.
 

„Ich habe über das nachgedacht, was du gesagt hast…“, weiht Thranduil mich ein. „Darüber, dass ich dich ganz anders sehe als du selbst dich siehst…“ Er wendet seinen Blick wieder nach oben; ich tue es ihm gleich. Selbst- und Fremdwahrnehmung ist ein Thema, über das ich schon viel nachgedacht habe; manchmal glaube ich fast, viel zu viel.
 

„Ich…“ Thranduil bricht ab; scheint auf der Suche nach den richtigen Worten.
 

Ich greife nach seiner Hand, drücke sie leicht, um ihn zu ermutigen. Gleichzeitig versuche ich ihm zu vermitteln, dass wir alle Zeit der Welt haben; er soll sich nicht unter Druck gesetzt fühlen.
 

Als ich ihn von der Seite betrachte, sehe ich, dass er lächelt. Aber da ist auch diese Traurigkeit in seiner Miene, die mich ganz und gar nicht kalt lässt. Dennoch warte ich ab.
 

„Ich wünschte“, beginnt der Elbenherrscher schließlich erneut und löst damit die Spannung langsam auf, „ich wünschte, es gäbe einen Weg, dass du dich durch meine Augen sehen könntest… Denn ganz egal, was ich dir auch sage – es hilft nicht, wenn du nicht daran glaubst…“
 

Ich weiß, dass das nicht als Vorwurf gemeint ist. Bei jedem anderen würde ich jetzt vermutlich in die Offensive gehen, mich wehren, aber nicht hier, nicht bei Thranduil. Stattdessen versuche ich, ihn an meinen Überlegungen teilhaben zu lassen: „Weißt du, es ist nicht, dass ich es nicht glauben will… Es ist nur so verdammt schwer…“ An dieser Stelle drückt der Elb meine Hand und ahmt damit meine Geste von vorhin nach – da steigt plötzlich eine Ahnung in mir auf,
 

dass meine ganzen Zweifel ihn betreffend tatsächlich umsonst sein könnten. Kann es sein, dass ich wirklich nicht begreife, was ich ihm bedeute?
 

„So oft hat man mir das Gegenteil gesagt…“, spreche ich weiter. „So oft bin ich mit diesen Seiten von mir auf Widerstand und Kritik gestoßen… und dann kommst du daher und sagst mir plötzlich, dass genau das das Beste an mir sein soll… Ich wünschte so sehr, ich könnte dir einfach glauben und glücklich darüber sein… aber die Stimmen in meinem Kopf wissen es besser, sie wissen es immer besser…“
 

Ich merke die Verzweiflung, die in mir aufsteigt, die Verzweiflung, die Hilflosigkeit, das Gefühl von Verloren-Sein.
 

„Komm her“, meint Thranduil. Ich rücke näher an ihn heran, berge mein Gesicht zum wiederholten Mal an seiner Brust, er legt seine Arme um mich.
 

„Du brauchst Zeit, Ithil. Zeit und Geduld und auch ein ganzes Stückchen Mut. Aber die gute Nachricht ist: Du musst das nicht alleine schaffen… Ich weiß, du hältst nicht viel von solchen Versprechen, weil viel zu viele schon gebrochen worden sind, doch glaube mir: Du kannst immer, jederzeit auf mich zählen. Immer, Ithil. Immer.“
 

Seine Finger zeichnen Kreise auf meinem Rücken. Es ist eine beruhigende und besänftigende Geste.
 

Ich schweige. Worte scheinen überflüssig an dieser Stelle. Auch wenn es so viel gibt, was ich gerne aussprechen würde.
 

Nach einer Weile fragt Thranduil: „Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung, Ithil? An unser Gespräch nach dem weißen Hirsch?“
 

Ich nicke. Nie könnte ich das vergessen, was damals geschehen ist. Für einen Außenstehenden vielleicht unscheinbar und von keiner Bedeutung hat es meinem Leben doch eine ganz neue Richtung gegeben:
 

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einige Jahre zuvor, im Düsterwald
 


 

Ich blicke in Thranduils graublaue Augen, die mir so viel mehr zu sagen scheinen, als man es mit Worten je ausdrücken könnte. Dabei spüre ich ein Kribbeln in mir, das ich vorher noch nie erlebt habe.
 

„Ich fürchte, wenn du nach Unbeschwertheit und Leichtigkeit suchst, bist du bei mir an der falschen Stelle..." Der Elb seufzt kaum hörbar. Zum ersten Mal seit Langem fühlen sich meine empathischen Fähigkeiten nicht wie eine Last an, sondern wie eine Bereicherung. Das bewirkt, dass ich mich schon allein dadurch, dass Thranduil einen Teil seiner Empfindungen mit mir teilt, ein bisschen besser fühle. Bisher war ich immer froh, wenn ich andere möglichst schnell wieder „los wurde“, jetzt ist auf einmal alles anders, alles ‚verkehrt‘: Meinetwegen könnten wir so ewig hier beieinander bleiben.
 

Als ob der Elb gerade dasselbe denken würde, verändert sich sein Gesichtsausdruck plötzlich, er wird weicher und fürsorglicher. Ich frage mich, ob er auch diese mysteriöse Verbindung zwischen uns spürt… Das kann nicht wieder nur eine meiner ‚Einbildungen‘ sein, oder?
 

"Aber das wusstest du bereits, nicht wahr?", fährt er fort. Es ist als würde er mich auf einen Blick durchschauen, als könne er problemlos hinter meine Fassade und die ganzen Maskeraden blicken und erkennen, wie ich wirklich bin. "Warum also bist du hier, kleines Menschlein?"
 


 

Dass sich die Situation nach unseren anfänglichen „Schwierigkeiten“ so sehr wendet, hätte ich nie erwartet. Plötzlich befinde ich mich im Gespräch mit jemandem, den ich gerade zum ersten Mal getroffen habe. Und es ist nicht nur irgendein Gespräch: keine der üblichen Kennenlern-Floskeln, kein Smalltalk, kein Austausch von Nichtigkeiten. Es überrascht mich, wie einfach diese Situation ist, ganz natürlich und unkompliziert; am meisten verwundert aber bin ich über mich selbst: Für meine Verhältnisse bin ich erstaunlich entspannt. Ohne das Bedürfnis, auf Abstand und in die Offensive zu gehen, fühlt es sich plötzlich leicht an, meine Gedanken mitzuteilen. Und das Verrückteste: Die Erfüllung dieses Bedürfnis in mir nach Nähe, nach Austausch, nach Ehrlichkeit und Offenheit wird plötzlich realistisch; das, was ich so lange für einen unerreichbaren Traum gehalten habe, greifbar. Es ist der Wahnsinn.
 

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„Erinnerst du dich? Weißt du es noch, Ithil? Weißt du noch, wie ich damals war?"
 

„Ja. Ja! Natürlich weiß ich das noch!“
 

„Und…weißt du auch, was über mich erzählt wird?... Hast du es jemals gehört?... Man sagt sich, ich sei ein kalter, grausamer und unberührbarer Herrscher mit einem Herz aus Stein… na ja, in manchen Versionen habe ich auch gar kein Herz…“
 

„Das stimmt aber nicht!“, widerspreche ich vehement, kaum hat Thranduil den Satz beendet. „So bist du nicht. Überhaupt nicht! Die, die so etwas sagen, verstehen dich nicht. Sie sehen etwas und interpretieren es nach ihrem Willen, ohne genauer hinzuschauen!“
 

„Danke, Ithil, das ist lieb von dir.“ Thranduils Miene spiegelt seine Worte wieder. „Das war zwar nicht das, auf was ich hinauswollte, aber meinst du nicht, es könnte bei dir das gleiche sein? Dass dich die Menschen beurteilen ohne dich zu kennen?“
 

„Ja…doch...schon…“
 

„Was ich eigentlich sagen wollte, Ithil“, fährt Thranduil fort. „Du hast mich verändert. Seit ich dich kenne, bin ich anders als vorher. Als wir uns damals unterhalten haben, konnte ich kaum glauben, was passierte. Wie ich redete, wie stark ich wieder das Bedürfnis verspürte, mich zu öffnen, mich mitzuteilen. Du, Ithil, hast mich wieder weicher gestimmt, mich daran erinnert, dass eine vermeintliche Schwäche auch eine Stärke sein kann...“
 

Bei so viel Information weiß ich gar nicht, worauf ich zuerst reagieren soll. Mein Mund entscheidet sich schließlich für: „Das ist verrückt, das ist so verrückt… Ich hatte damals genau das gleiche Gefühl. Es war so… ‚einfach‘ mit dir, so ‚leicht‘. Und das ist es auch immer noch…“
 

Thranduil drückt mir überschwänglich einen Kuss auf die Stirn. Ich nehme an, das ist Ausdruck seiner Freude.
 

„Du hast meine Welt komplett auf den Kopf gestellt, kleine Weltenwandlerin. Und darüber bin ich so froh!“
 

Ich grinse wie verrückt. Langsam gewöhne ich mich daran, so etwas gesagt zu bekommen. Früher war mir das immer peinlich; vermutlich, weil ich mich zu sehr dagegen gewehrt und es als ‚überflüssig‘ empfunden habe. Nun aber begreife ich allmählich, dass es auch andere Blickwinkel gibt. Offenbar kann ich wirklich wichtig sein – so sehr ich es bisher auch versuchte, mir das einzureden, geglaubt bzw. gespürt habe ich es nie. Ich denke, ich bin da auf einem guten Weg. Einem Weg, auf dem ich endlich lerne, mich selbst zu achten und zu lieben, meinen eigenen Wert zu erkennen. Es heißt oft, man müsse sich erst selbst lieben, damit andere einen lieben könnten… nun, davon war ich noch nie wirklich überzeugt.



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