Die Weltenwandlerin von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 18: Wiedersehen ----------------------- „Wir haben Besuch…“ Mein Gefühl rät mir, mich langsam umzudrehen und nicht blitzschnell herumzuwirbeln. Und da ich mir vorgenommen habe, wieder mehr auf meine innere Stimme (nicht die in meinem Kopf) zu hören, kann ich auch gleich damit anfangen. Ich lasse Thranduil los und wende mich bedächtig unserem „Besuch“ zu, dabei noch schnell überlegend, wer oder was den Elben zu einer solchen Reaktion bewegen könnte. Wenn ich Thranduils Aussage vorhin richtig verstanden habe, hat dieser Ort hier einen eigenen ziemlich gut ausgeprägten Schutzmechanismus. Dies und die friedliche, helle Energie, die vom uralten Baum ausgeht, veranlasst mich zur Annahme, dass nichts Böses hierher vordringen kann. Abgesehen davon, dass Thranduil dann vermutlich ganz anders reagiert hätte… Aber all meine Überlegungen reichen bei Weitem nicht an das heran, was ich schließlich zu Gesicht bekomme. Ein Laut des Staunens, aber auch der Bewunderung entfährt mir, als ich etwa ein Dutzend Meter von uns entfernt den perlmuttfarbenen Hirsch erblicke, auf den ich schon bei meinem ersten Besuch hier im Düsterwald getroffen bin. Ich kann nicht anders als ehrfürchtig auf Elbisch „der König des Waldes…“ zu flüstern und mich – wie damals schon – vor dem stolzen Vierbeiner zu verneigen. Thranduil hinter mir gibt einen merkwürdig klingenden Laut von sich, aber ich bin viel zu fasziniert vom Wesen vor mir, um mir darüber Gedanken zu machen. Mir scheint, als wäre der Hirsch noch viel schöner als bei unserem letzten Aufeinandertreffen: Sein Geweih ist größer und prächtiger, sein Fell wirkt dichter, die Augen noch grüner. Als ich einen Schritt nach vorne mache, greift Thranduil nach meiner Hand – so als wolle er mich zurückhalten. Ich drehe mich zu ihm um. In seiner Miene glaube ich Besorgtheit und Zweifel lesen zu können, was mir aber paradox erscheint, weil ich den Zusammenhang zu dieser Situation hier nicht erkennen kann. Ich schaue ihn an, suche nach passenden Worten, aber finde keine. Alles, was mir einfällt, ist, ihn beruhigend anzulächeln – ein paar Augenblicke später lässt er meine Hand wieder los. Erneut wende ich mich dem Hirsch zu, der noch immer geduldig am selben Platz steht und zu uns herüberschaut. Langsam nähere ich mich dem Tier, Schritt für Schritt, stets darauf bedacht, keine hektischen Bewegungen zu machen und es dadurch möglicherweise zu verscheuchen. Etwa auf halber Strecke bleibe ich stehen. Ganz einfach, weil es sich richtig anfühlt. Ich halte inne, warte ab. Ein paar Momente lang geschieht gar nichts, dann aber das Unfassbare: Der Hirsch kommt auf mich zu! Ich halte den Atem an. Kann es sein, dass die Zeit auf einmal aufgehört hat zu existieren? Ungefähr ein, zwei Meter vor mir bleibt das majestätische Tier stehen und sieht mich mit diesen wunderschönen Augen aus. Es ist als würde es direkt in mein Innerstes blicken, aber entgegen meiner üblichen Muster verspüre ich keinen Fluchtreflex; ich fühle mich nicht ausgeliefert und bedrängt, sondern als ob mich endlich jemand wirklich sehen und richtig wahrnehmen würde, als der Mensch, der ich eigentlich bin. Es ist ein Wahnsinns-Gefühl. Der Hirsch kommt noch näher. Würde ich meine Hand nach ihm ausstrecken, könnte ich ihn berühren. Ich wage jedoch nicht, mich zu bewegen, aus Angst, diesen Moment, dieses Gefühl zu zerstören. Da beugt sich das Tier zu meiner Hand hinunter und schnaubt mich sanft aus seinen Nüstern an. Sein warmer Atem kitzelt auf meiner Hand; ich muss lachen. Als mein Blick auf das imposante Geweih fällt, das mir jetzt so nahe ist, wird mein Gekicher abgelöst von stiller, ernster Bewunderung. Ich fühle ein tiefes Staunen, das ich als Ehrfurcht identifizieren kann. Die Reinheit und Klarheit, die dabei über mich kommen, sind einfach unbeschreiblich; begleitet von einer scheinbar unendlich weit reichenden Ruhe, von Frieden. Ich bin mir sicher, dass es kaum ein schöneres Gefühl gibt. Es treibt mir Tränen in die Augen. Eine Berührung an meiner Hand lenkt meine Aufmerksamkeit ab; der Hirsch hat mich mit seiner kalten, feuchten Nase angestupst und schaut mich nun aus großen Augen an – will er etwa, dass ich ihn berühre? Zaghaft strecke ich meine Hand nach ihm aus – er scheint nichts dagegen zu haben, hält still. Also streiche ich zunächst ein paar Mal über seinen Nasenrücken, bevor ich meine Finger nach oben Richtung Geweih wandern lasse. Stumm bitte ich den Waldbewohner um Erlaubnis; er senkt seinen Kopf, was mir Zustimmung genug erscheint. Behutsam prüfe ich die knöcherne Struktur und schließe dabei einen Moment lang die Augen, mich ganz auf meinen Tastsinn konzentrierend. Ich liebe es, mit den Fingern zu „sehen“; es ist eine ganz andere Welt, die oft auch zu anderen Erkenntnissen führt. Nach einer Weile scheint das Tier genug zu haben: Es schüttelt leicht seinen Kopf, hebt ihn wieder an und gibt in dezenter Lautstärke einige Töne von sich, die scheinbar direkt an mich gerichtet sind. Dann wendet sich der Hirsch von mir ab, geht an mir vorbei, auf Thranduil zu. Dieser begrüßt den Vierbeiner wie einen alten Freund; die beiden scheinen sich schon eine ganze Weile lang zu kennen. Am erstaunlichsten für mich ist aber, wie sie miteinander kommunizieren: Ich höre zwar, wie Thranduil auf Elbisch mit dem Tier spricht, dieses gibt jedoch keinen Laut von sich. Dennoch scheint der Elb es zu verstehen, denn einige Augenblicke später kommen die beiden nebeneinander auf mich zu. Thranduil wirkt irgendwie… feierlich. Seine Miene bereitet mir Kopfzerbrechen. Was geht da vor sich? Doch dann gibt der Hirsch wieder eine Lautfolge von sich und Thranduil lächelt mich an. Vor mir bleiben beide stehen. Der Elb hält mir seine Hand hin. Ich gebe mir größte Mühe, nicht lange nachzudenken, und lege meine Hand in seine. Thranduils Lächeln wird breiter, in seinen Augen blitzt etwas auf. „Ithil?“ Ich versuche, aus seinem Gesichtsausdruck schlau zu werden, aber es gelingt mir nicht. „Ja?“ Meine Stimme zittert leicht. Irgendetwas ist hier im Gange… „Es ist an der Zeit, dass du dich erinnerst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)