Die Weltenwandlerin von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 17: Offenbarungen ------------------------- „Wenn ich jetzt auch einmal etwas dazu sagen dürfte…!?“ Thranduil lässt meine Arme los, tritt einen Schritt zurück und mustert mich auffordernd. Ich öffne den Mund, schließe ihn aber gleich wieder. Irgendetwas stimmt hier nicht ganz, oder? „Schön“, sagt Thranduil. „Danke. Also: Ich kann mir schon ungefähr vorstellen, wo du das her hast. Aber wichtig ist nur: Die Betonung liegt auf ‚angeblich‘.“ Kann es sein, dass heute die Kommunikation zwischen uns schwieriger ist als sonst? Oder ist es nur mein Verstand, der an diesem Tag besonders langsam ist? „‘Angeblich‘…?“ Ich spreche Thranduil das Wort nach, überlege, lass es zwischen uns in der Luft hängen. Mein Begleiter schnaubt – zumindest bilde ich mir das ein. „Weißt du eigentlich, dass du unmöglich bist, Ithil?“ Ich höre meine Gedanken rebellieren; sie schreiben wild durcheinander, glauben zu wissen, was jetzt kommen wird. Ich versuche, sie zu ignorieren, doch da stolpert mein Herz unangenehm und ich fühle mich verloren. „Würdest du mich bitte nicht so ansehen?“, kommt es in einem eigenartigen Ton von Thranduil. Ich zucke zusammen. Ahhh…! Ich wollte doch darauf achten, meine Gefühle zu verbergen! Dennoch kann ich nicht verhindern, dass sich eine einzelne Träne verselbstständigt. Schnell wische ich sie weg, trotz aller Unwahrscheinlichkeit hoffend, dass Thranduil nichts gemerkt hat, und setze so gut es geht eine neutrale Miene auf… … aber was bis jetzt immer so fabelhaft geklappt hat, funktioniert plötzlich nicht mehr. Ich kann es nicht mehr; so als hätte ich es von einem Moment auf den anderen verlernt. Mir wird auf einmal unglaublich heiß und es fühlt sich so an als würde ich nicht mehr genug Luft bekommen. Bitte nicht schon wieder, nicht genau jetzt. „Nein, nein, nein, nein!“ Thranduils Stimme, die so fern scheint, obwohl er immer noch in Reichweite steht, klingt reuevoll, ja fast panisch-verzweifelt. Wie durch einen Nebelschleier nehme ich wahr, dass er eine Hand nach mir ausstreckt, aber ich zucke erneut zusammen, weiche zurück. „Nein… Ithil…“ Thranduil sieht mich mit flehendem Gesichtsausdruck an. „Das… das wollte ich nicht. Es war nicht meine Absicht…“ Er will auf mich zugehen, doch ich hebe abwehrend die Hand, ihm Einhalt gebietend. „Nein, warte…!“, keuche ich entschlossen. Ich gehe leicht in die Knie, beuge den Oberkörper nach vorne und lege die Hände auf meinen Oberschenkeln ab – eine Position, die das Atmen erleichtert. „Ich brauche einen Moment…“ „Lass mich dir helfen…“, bittet Thranduil. „Nein… ich… nein!“ Bestimmt weise ich ihn an. Ich weiß, dass er jetzt vermutlich gekränkt ist, aber darauf kann ich momentan keine Rücksicht nehmen. Ein paar Minuten lang rührt sich keiner von uns. Ich konzentriere mich darauf, möglichst gleichmäßig und tief zu atmen und die Kontrolle über meinen Körper und meine meuternden Gedanken zurückzuerlangen. Als ich wieder halbwegs ruhig bin, richte ich mich auf. Thranduil trägt einen leidenden Gesichtsausdruck, fast so als wären die Rollen vertauscht. Ich strenge mich an, ihn nicht zu sehr zu bemitleiden und mir nicht zu überlegen, was ihn wohl zu einer solchen Miene veranlassen könnte. Einige Augenblicke stehen wir uns stumm gegenüber, einander betrachtend, abwägend. „Ich hätte das nicht sagen dürfen“, bricht Thranduil schließlich das Schweigen. „Es tut mir leid.“ „Schon gut.“ Meine Antwort erfolgt automatisiert. Ich ignoriere den Schmerz, lasse mir nichts anmerken. Dann schlucke ich meinen letzten Funken Selbstrespekt hinunter und zwinge mich – wie schon so viele Male zuvor in meiner Welt – zu folgender Aussage: „Ich habe überreagiert; alles gut.“ Es ist als hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen: Thranduils Augen weiten sich und seine ganze Mimik schreit „Schock!“ Wenn es nicht so verdammt ernst wäre, könnte ich es fast lustig finden. Trotz seines sichtbaren Aufgewühlt-Seins sind die nächsten Worte des Elben ruhig und überlegt, wenn sie auch eine Spur Bitterkeit enthalten: „Jetzt ist genau das eingetreten, was ich um jeden Preis verhindern wollte. Jetzt bin ich einer von ihnen geworden, nicht wahr, Ithil? Einer von denen, die dich verletzt haben…“ Ich warte ab, unterbreche ihn nicht. Paradoxerweise interessiert es mich, was Thranduil zu sagen hat - obwohl ich enttäuscht und gekränkt bin, kann ich mich nicht dagegen wehren. „Ich wollte nie, dass es so weit kommt. Bitte, Ithil, das ist die Wahrheit. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen…“ Wir wissen beide, dass das nicht geht, aber keiner spricht es laut aus. Was geschehen ist, ist geschehen. „Ich bitte dich nur um eines“, fährt Thranduil fort. „Denk bitte nicht, dass du falsch reagierst hast. Denn das ist nicht so. Ich habe den Fehler gemacht, ich allein. Nicht du.“ Das ist eine Wendung, die ich eindeutig nicht erwartet hätte: In all den vergangenen ähnlichen Situationen fiel es bisher noch niemandem ein, die „Schuldfrage“ anzuzweifeln oder sogar zu korrigieren. Ganz abgesehen vom Mitgefühl und der ehrlichen Reue, die mir von Thranduil entgegenströmen. Es tut ihm tatsächlich leid, ich weiß das. Er gibt sich nicht einfach zufrieden und lässt die Sache auf sich beruhen. Stattdessen befreit er mich aus meinem Zwang, aus der Selbstverleumdung und geht hart mit sich selbst ins Gericht. Eine Reaktion, die ich nicht gewohnt bin. Ich atme aus, versuche, mich von meiner momentanen Überforderung nicht zu sehr aus dem Konzept bringen zu lassen. Dann tue ich etwas, was ich ebenfalls nicht gewohnt bin: Statt mich wie üblich nach einer solchen Konfrontation weiter zurückzuziehen, gehe ich auf Thranduil zu. Da er keine Anstalten macht, sich dagegen zu wehren, schlinge ich meine Arme um seine Mitte und verberge mein Gesicht an seiner Brust. Es dauert einen Moment, bis auch er die Arme um mich legt, aber dann hält er mich, als wolle er mich nie wieder loslassen. „Es tut mir leid, Ithil. Es tut mir so wahnsinnig leid“, flüstert Thranduil in mein Haar. „Ich weiß“, murmele ich in den Stoff seines Hemdes. „Ich weiß… Ist schon gut…“ „Nein… ich… du dachtest, ich würde deine Gefühle kritisieren… du dachtest, du wärst nicht ‚richtig‘ so wie du bist…“ Der Klang Thranduils tränenerstickter Stimme bringt mich auch fast zum Weinen. „Es war so leicht, es zu glauben“, flüstere ich zurück. „Meine ‚Empfindlichkeit‘ wird mir gerne von anderen vorgeworfen. Deine Aussage vorhin schien mir diese Regel nur zu bestätigen…“ „Ithil, ich kann mir denken, dass es für dich nur leere Worte sind, aber ich würde niemals...“ „Ja, ich weiß“, unterbreche ich ihn. Ich merke, dass ich allmählich innerlich ganz ruhig werde, ein angenehmes Gefühl nach all der Aufregung. „Ich weiß. Es war ein Missverständnis.“ Ich blicke Thranduil an, er nickt. Ich gebe ihm die Zeit, um sich auch wieder zu fangen, halte ihn aber weiterhin fest. Oder ist es eher so, dass ich mich an ihm festhalte? Egal. Ich weiß nur, dass es sich gut anfühlt. Mehr brauche ich nicht. „Da ist noch etwas…“, meint Thranduil nach einer Weile. „Als ich vorhin sagte, die Betonung liege auf ‚angeblich‘, bezog ich mich damit auf deine Aussage, dass ich ‚angeblich heiraten werde‘. Angeblich, Ithil, angeblich.“ Es dauert einen Augenblick, bis ich verstehe, was er mir sagen will, doch dann ist es so als fiele mir ein Stein vom Herzen. Gleichzeitig aber komme ich in Erklärungsnot: „Es ist nicht so als würde ich… Ich gönne dir alles Glück aller Welten… Und außerdem habe ich kein Recht, von dir zu verlangen… Es ist nur so, ihr wirktet so vertraut, so glücklich…“ Ja, Artikulation ist gerade etwas schwierig. Aber Gottseidank kennt Thranduil mich gut genug, um mich auch so zu verstehen. Seine Reaktion erfolgt ohne Verzögerung: „Ja, es ist wahr, ich war froh, sie zu sehen. Und wir kennen uns auch schon eine ganze Weile. Aber sie ist nur die Tochter eines guten alten Freundes, der vor nicht allzu langer Zeit gestorben ist.“ Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber Thranduil ist schneller: „Und Ithil, um eines klar zu stellen: Wenn jemand hier das Recht auf irgendetwas hat, dann du.“ Eine effektive Methode, um meine Gedanken verstummen zu lassen und mir den Atem zu rauben. „Seitdem Legolas‘ Mutter nicht mehr ist“, fährt mein Begleiter fort, „verspüre ich nicht mehr den Wunsch und auch nicht das Bedürfnis, ein solches Bündnis mit jemandem einzugehen. Was aber nicht heißt, dass ich dich nicht weiterhin an meiner Seite haben will, Ithil. Ich hoffe, du weißt, dass du für mich weitaus mehr bist als nur ein Gast.“ Ich lächle ihn an. Endlich fühlt es sich wieder so an als würden wir einander verstehen. „Was bin ich denn dann für dich?“, fordere ich Thranduil neckend heraus. „Du, Ithil“, er streicht mit den Fingern über meine Wangenknochen nach hinten bis zum Ohr, „du bist richtig besonders…“ „Nicht schon wieder dieses Wort!“ Ich lache, was meinen Begleiter schmunzeln lässt. „Na gut.“ Er lächelt vor sich hin. „Du bist das einfühlsamste, sanfteste, mitfühlendste Wesen, das ich kenne… Was ganz schön was heißen will, immerhin lebe ich schon seit Tausenden von Jahren.“ Seine Mundwinkel wandern nach oben, die Augen blitzen belustigt auf. Dieser Anblick allein reicht, um mir die Knie zittrig und das Herz warm werden zu lassen. „Nein, ernsthaft“, fügt Thranduil hinzu. „Es gibt weder in deiner noch in meiner Sprache genügend Worte, um auch nur ansatzweise zu beschreiben, was du mir bedeutest. Immerhin bist du mein kleiner Mondschein, nicht wahr, Weltenwandlerin?“ Er stupst liebevoll meine Nase an. „Was das betrifft…“, werfe ich rasch ein. Da versteift sich Thranduil plötzlich, er rührt sich keinen Millimeter mehr. Auf meine Frage, was denn los sei, deutet er hinter mich und meint nur: „Wir haben Besuch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)