Die Weltenwandlerin von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 13: Geständnisse ------------------------ Zu kurz ist mir Ruhe vergönnt. Als ich aus dem Schlaf schrecke, ist es noch dunkel draußen. Ein Alptraum hat mich aus dem Schlummer gerissen und auch wenn die genauen Bilder daraus bereits verschwimmen und verschwinden, hallen die Emotionen deutlich nach: Einsamkeit, Fremdheit, Ausweglosigkeit und noch viele andere, die ich in letzter Zeit nicht nur aus meinen Träumen kenne. Obwohl ich mit einem Schlag hellwach bin, erlebe ich keines der typischen Alptraum-Symptome. So ist das immer bei mir. Ich fühle den Schrecken zwar deutlich und überall, aber abgesehen davon, dass mein Geist dadurch verstört und in höchster Alarmbereitschaft ist, ist das auch schon alles. Ich nenne es den „weißen Terror“. Dabei wären mir wahrnehmbarere Symptome viel lieber: Schreien zum Beispiel oder Zittern oder irgendetwas dergleichen. Ich glaube, dass sie viel ausdrucksstärker sind und dementsprechend alles glaubwürdiger machen und vielleicht auch die Wirkung des Alptraums verkürzen. Aber irgendwie klappt das bei mir nicht. Ich brauche einen Moment, um mich daran zu erinnern, wo ich hier bin und was passiert ist. Da erst nehme ich den Arm wahr, der um meine Mitte gelegt ist, sowie die mir nur allzu gut bekannte Gestalt, zu der er gehört. Thranduil! Ich hebe den Blick und sehe seine feinen, ebenmäßigen Gesichtszüge vor mir, die im Schlaf ganz entspannt und friedlich wirken. Wenn ich könnte, würde ich jetzt lächeln, doch dieses ungute Gefühl lässt mich nicht los. Lautlos seufzend löse ich behutsam Thranduils Arm von mir und verlasse leise das Bett. Es ist schon genug, wenn einer von uns nicht mehr schlafen kann. Noch ein kurzer Blick zurück, dann schleiche ich mich aus dem Zimmer. In Thranduils Arbeitszimmer, das gleich nebenan liegt, finde ich glücklicherweise einen seiner Umhänge auf der Lehne eines Stuhls. Ohne weiter darüber nachzudenken, greife ich danach und lege ihn mir um – er ist angenehm warm und spendet Trost. Ich schmiege mich in den Stoff und rede mir ein, dass er meine bösen Geister vertreiben kann. Ich versuche, ganz tief in den Geruch einzutauchen, den der Umhang in sich birgt; Ablenkung hält mich davon ab, die Nerven zu verlieren. „Das kann ich besser…“ Ich zucke zusammen und mir fällt auf, dass ich in letzter Zeit viel zu schreckhaft bin. Thranduil steht im Türrahmen. „Wie geht es dir?“ Er wirkt besorgt, noch immer. Ich wünschte, ich könnte ihm das ersparen. „Alles gut.“ Meine Antwort auf diese Frage hat sich so automatisiert, dass ich gar nicht mehr anders reagieren kann. Ich weiß aber auch, dass ich ihm mehr schulde als das. Daher füge ich schnell hinzu: „Ist schon in Ordnung“ – okay, noch immer nicht ganz die Wahrheit – „schlaf ruhig noch ein bisschen.“ „Und du?“ „Ich werde hier einfach ein wenig sitzen und…. ja vielleicht ein bisschen lesen…“ „Du glaubst es nicht, oder?“, will Thranduil da aus heiterem Himmel wissen. Ich habe keine Ahnung, was er meint. „Wovon redest du?“ „Denkst du ernsthaft, ich könnte ruhig schlafen, wenn ich weiß, dass es dir nicht gut geht?“ Es hört sich nicht nach einem Vorwurf an und ist auch sicher nicht so gemeint; dennoch entschuldige ich mich: „Tut mir leid. Das… das will ich nicht. Ich will dir keine Last sein…“ Ich fühle mich schuldig. Und schlimmer als nutzlos. Es ist mir unangenehm, so (negativ) aufzufallen. Ich senke den Blick, starre beschämt und reumütig zu Boden. „Ithil…“ Thranduils Stimme ist liebevoll, doch ich wage es nicht, ihn anzusehen. Er kommt auf mich zu und legt seine Hände auf meine Oberarme. „Bitte Ithil… so darfst du nicht denken. Du bist mir keine Last, überhaupt nicht…“ Vielleicht ist es die Tatsache, dass ich mich nicht bewege, weder von ihm weg noch auf ihn zu, die ihn ermuntert weiterzusprechen: „Ich weiß zu wenig über deine Welt und wie es dir dort ergeht. Aber es schmerzt mich zu sehen, dass du dich selbst so klein machst, so unwichtig… Du ziehst dich zurück, wenn es dir nicht gut geht, gehst auf Abstand. Du versuchst, deine Probleme ganz alleine zu lösen und lehnst ab, wenn dir jemand Hilfe anbietet. Du achtest immer darauf, nach außen hin freundlich und ausgeglichen zu wirken, aber in deinem Inneren sieht es oft ganz anders aus, nicht wahr?“ Ich schaffe es nicht mehr, zu widersprechen. Ich bin zu müde, noch länger zu leugnen und den Schein aufrecht zu erhalten. Aber recht geben kann ich Thranduil auch nicht. Ich kann es nicht zugeben, noch nicht. Thranduil lässt sich davon nicht beirren und fährt fort: „Das meinte ich vorhin, als ich sagte ‚du glaubst es nicht‘. Du glaubst nicht, dass du jemandem wichtig sein könntest, so wichtig, dass er für dich da ist, ganz egal, was passiert. Du glaubst nicht, dass jemand dich lieben könnte… Ist es nicht so, Ithil?“ Ich weiß nicht, was mich mehr fertigmacht: die so gut gewählten Worte oder der traurige Klang seiner Stimme. Jedenfalls kriege ich kein Wort heraus. Ich hebe den Blick und sehe ihn an, allerdings nur für einen kurzen Moment. Er ist mir so unendlich nah. Das macht mir Angst. Ich spüre, dass mein Herz wie verrückt schlägt. Mein Instinkt teilt mir mit, dass es höchste Zeit für Rückzug ist, höchste Zeit für ein bisschen kühlen, klaren Abstand. Thranduil scheint irgendetwas zu merken. Er lässt mich plötzlich los und tritt einen kleinen Schritt zurück. „Es ist deine Entscheidung. Ich werde deine Wünsche immer respektieren, Ithil.“ Das lockt mich aus meiner Reserve. „Bitte sag das nicht, sag nicht ‚immer‘. Denn irgendwann, eines nahen oder fernen Tages wird es anders sein. Und es wird mich zerstören…“ Ich hatte nicht beabsichtigt, so viel preiszugeben; die Worte verlassen meinen Mund, noch bevor ich darüber nachdenken kann. „…so wie deine Welt dich zerstört“, ergänzt Thranduil. Es ist nicht spöttisch oder sarkastisch, sondern von solcher Ernsthaftigkeit, dass mir die Tränen kommen. Ich nicke. „Ich weiß, es klingt verrückt, aber glaube, ich bin nicht überlebensfähig. Es macht mich so fertig. Ich bin anders als die anderen dort, manchmal nur ein kleines bisschen, dass es schon fast nicht auffällt, aber manchmal auch so sehr… Dann fühle ich mich einsam, so unendlich einsam und das bin ich auch. Es gibt niemanden, der mich versteht, niemanden, bei dem ich das Gefühl habe, wirklich ich selbst sein zu können. Also passe ich mich an. Ich passe mich an und bin jemand anderes… Menschen sind grausam, wenn sie erkennen, dass du schwach bist. Statt dich wiederaufzurichten, dich stärker zu machen, nutzen sie deine schwachen Momente für sich. In so einer Welt kann ich nicht leben, da ist kein Platz für jemanden wie mich. Ich bin zu feinfühlig, um dort überleben zu können, zu dünnhäutig. Und das Beste ist: Sie haben es mir von Anfang an gesagt; sie wussten es schon immer. Nur ich, ich wollte es nicht sehen, wollte es nicht wahrhaben…“ „Es klingt nicht verrückt, Ithil…“ Thranduil scheint ganz schön mitgenommen. „Bitte…“ Es lässt mich keineswegs kalt, ihn so zu sehen. Ich fühle, wie sehr ihn meine Worte erschüttern. Um ihn zu trösten, überbrücke ich den kleinen Abstand zwischen uns und lege mein Gesicht, das sich so heiß anfühlt, an Thranduils kühle Brust. Erstaunlicherweise bewirkt das genau das Gegenteil von dem, was ich zu erreichen hoffte: Thranduil schlingt zwar seine Arme um mich, aber plötzlich schimmern Tränen auf seinen Wangen. Irritiert, aber auch besorgt strecke ich meine Hand danach aus und wische sie ihm sanft aus dem Gesicht. „Thranduil?“ Er schüttelt leicht den Kopf. „Du siehst nicht, was ich sehe. Ich meine, du leidest und dennoch tröstet du mich…“ „Ich möchte, dass es dir gut geht. Dass du glücklich bist und nicht traurig.“ „Ganz genau.“ Noch irritierter als zuvor sehe ich ihn an. „Dein Mitgefühl, Ithil“, erklärt er. „Es ist dein Mitgefühl, das mich wortwörtlich zu Tränen rührt…“ Obwohl mir selten jemand etwas so Schönes gesagt hat, klingt meine nächste Aussage doch recht verbittert: „Ja, aber mein *** Mitgefühl ist es auch, was mich in Schwierigkeiten bringt. Es bringt mir nichts, wenn ich es habe, es aber nicht erwidert wird. Weißt du wie das ist? Ich bin so weich und die Welt ist so hart zu mir, so grausam. Sie nimmt keine Rücksicht auf mein ‚Mitgefühl‘…!“ Thranduil hat sofort eine Antwort parat: „Jedoch ist es genau das, was dich so besonders macht… Weißt du noch, damals, unsere erste Begegnung? Du nimmst Dinge wahr, die anderen verborgen bleiben. Wie sonst hättest du einen der ältesten Bäume dieses riesigen Waldes aufspüren können, wie sonst den Hirschen berühren, den noch nie zuvor ein Mensch angefasst hat?“ „Das klingt alles schön und gut“, entgegne ich, „aber ich habe nie darum gebeten. Ich habe nie darum gebeten so zu sein. Denn eines ist sicher: Es ist ein verdammt einsames Leben.“ „Du vergisst, dass es auch gute Seiten hat“, erinnert mich Thranduil, liebevoll tadelnd. „Und ich glaube, es ist Zeit, dass du dich daran erinnerst.“ Ich widerspreche nicht, lasse allerdings das unausgesprochene „Wie?“ deutlich im Raum stehen. Thranduils Antwort erfolgt ohne Verzögerung: „Ein Ausflug. Lass uns einen Ausflug machen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)