Die Weltenwandlerin von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 6: Erwachen ------------------- Eine kühle Hand liegt auf meiner Stirn, begleitet von Worten, die sich wie ein Zauberspruch oder ein Schlaflied anhören. Sie streicht mir übers Haar und wandert dann weiter zu meiner eigenen Hand, die sie ganz vorsichtig hält, als wäre sie zerbrechlich, aber auch liebevoll, beschützend. Es riecht nach Wald und alten Büchern, nach Frühling. Thranduil! Ich versuche, die Augen zu öffnen, aber sie fühlen sich so unendlich schwer an. „Schlaf…“, flüstert eine beruhigende Stimme ganz nah bei mir. Ich drifte wieder ab. Als ich wieder erwache, höre ich Stimmen, die sich leise unterhalten. Die Augen geschlossen, noch im Halbschlaf, kann ich sie zunächst nicht zuordnen. Verstehen schon gar nicht; ich habe mir nie die Mühe gemacht, Elbisch zu lernen – bis auf einzelne Wörter, wie ich wieder einmal voller Reue feststelle. „Liebling?“ Das Gespräch ist verstummt, als dieses eine Wort gesprochen wird. Dieses eine Wort, dass ich so sehr liebe, gesprochen von der einen Person, die ich noch mehr liebe. Ich öffne die Augen. Und könnte mir kein schöneres Erwachen vorstellen: Ich liege in einem riesigen, kunstvoll geschnitzten Himmelbett mit waldgrünen Vorhängen, in einem Zimmer, das so lichtdurchflutet ist, dass es sich himmlisch anfühlt. Ein Gemach, das ich bisher erst wenige Male betreten habe, und das mir jedes Mal wieder wie der schönste Ort aller Welten erscheint. Und neben mir sitzt, besorgten Blickes, kein anderer als der Bewohner dieses Raums selbst, der König der Waldelben, Thranduil. Ich kann nicht anders, als zu lächeln. Jetzt wird alles gut werden. „Willkommen zurück“, meint da eine Stimme auf der anderen Seite des Bettes. Ich drehe den Kopf und erblicke Legolas, der mir aufmunternd zulächelt. „Wie geht es dir?“ Meine Aufmerksamkeit huscht zurück zu Thranduil, der noch immer recht besorgt wirkt. Ich will nicht, dass er sich meinetwegen Gedanken macht; er hat auch sonst schon genug um die Ohren. „Es geht mir gut“, versuche ich ihn zu beruhigen. In Gedanken füge ich hinzu: ‚Jetzt, da ich bei dir bin…‘ Thranduils Miene entspannt sich ein wenig, fast wirkt er erleichtert. „Du hast uns ganz schön erschreckt“, kommt es teils ernst, teils belustigt von Legolas. „Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.“ Dann wendet er sich an seinen Vater: „Mit deiner Erlaubnis, Ada, kehre ich zurück zur Wache… noch Einiges zu klären… wenn ihr mich entschuldigt…“ Mit einem knappen Nicken entlässt Thranduil seinen Sohn, wendet dabei seine Augen aber nicht von mir ab. Als wir zwei dann alleine sind, meint der Elb: „Legolas hat recht, mach so etwas nicht noch einmal…“ Ich versuche, die Situation ein wenig aufzulockern und entgegne scherzhaft: „Du hättest mich auch auffangen können…“ Zu spät begreife ich, dass dies eine absolut unpassende Bemerkung war. Thranduil sackt kaum merklich in sich zusammen und er senkt seinen Blick – schon allein das spricht Bände. „Ja, ich hätte dich auffangen sollen... Ich hätte hier sein sollen…“ Seine geflüsterten Worte, die mehr an ihn selbst gerichtet sind als an mich, lassen mich meine Unüberlegtheit noch mehr bereuen. „Nein, nein, nein, nein… so war das überhaupt nicht gemeint!“ Ich sitze auf, versuche ihm näherzukommen. „Ignorier mich bitte, ich habe mir den Kopf gestoßen…“ – Na bravo, wieder so eine tolle Bemerkung! Als ob sich der Elb nicht schon genug Vorwürfe machen würde. Ich könnte mich ohrfeigen. Stattdessen seufze ich nur und lege meine Hand auf Thranduils. „Hör zu, Liebling…“ Bei diesem Wort schnellt sein Blick nach oben und trifft dort auf meinen. ‚Ich nenne ihn viel zu selten so‘, notiere ich mir in Gedanken, bevor ich ihm ein dankbares Lächeln schenke und weiterspreche: „Du bist nicht für mich verantwortlich. Du kannst nichts dafür, egal wie es mir geht oder was mir passiert. Es war meine Entscheidung, den Thron auszuprobieren, meine allein. Und wäre ich nicht so ungeschickt, wäre ich auch nicht zu Boden gesegelt…“ „Es ist meine Aufgabe, dich zu schützen…“, kommt es leise von Thranduil. „Aber du wusstest zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass ich hier war!“, spekuliere ich, um ihn umzustimmen. „Man hatte es mir gerade mitgeteilt“, kontert der Elb, als ob es hier darum ginge, wer Recht hat. Also versuche ich es anders: „Liebling… Du bist immer für mich da. Ich kann jederzeit einfach hier auftauchen und du nimmst mich mit offenen Armen auf. Du kümmerst dich um mich und gibst mir mehr als jedem deines Volkes. Selbst du kannst mir nicht auf Schritt und Tritt folgen, um jederzeit zu verhindern, dass ich möglicherweise über meine eigenen Füße stolpere – und das verlange ich auch gar nicht von dir.“ An dieser Stelle muss ich erst einmal Luft holen. Mein Gegenüber wartet geduldig ab, bis ich weiterspreche: „Thranduil, du gibst mir schon so unendlich viel. Oft mehr als jeder andere. Also bitte ich dich: Bestrafe dich nicht selbst für meine Taten. Es tut mir weh, dich so zu sehen…“ Gegen Ende hin bin ich leiser geworden, aber nicht, weil ich weniger überzeugt wäre von meinen eigenen Worten. Es kostet mich Kraft und Mut, meine Gefühle offen auszusprechen. Auch gegenüber Personen, denen ich mehr vertraue als anderen. Thranduil weiß das. Er weiß, wie ernst ich es meine. Ein paar Minuten lang ist es still. Der Elbenkönig denkt offenbar nach; ich warte auf seine Reaktion. Irgendwann bricht er dann das Schweigen. Ich halte – ohne es zunächst zu merken – die Luft an. „Was wolltest du eigentlich da oben?“ Da atme ich erleichtert aus und lächle beruhigt. Ich blicke direkt in die graublauen Augen vor mir und antworte mit aller Ehrlichkeit und Zuneigung, die ich aufbringen kann: „Ich wollte dir nahe sein…“ Ein unentschlüsselbarer Ausdruck huscht über Thranduils Gesicht. Dann zieht er mich an seine Brust und legt beschützend die Arme um mich. Endlich. Ja, jetzt wird definitiv alles gut werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)