Throughout the Year von Goetterspeise (One-Shot Sammlung) ================================================================================ 09. Scham --------- Das Kissen fest gegen die Brust gedrückt und ihren Körper seitlich liegend in der Embryostellung, lag Hinata bereits seit Stunden auf ihrem Bett und wartete darauf, endlich einschlafen zu können. Oder zumindest mit dem Weinen aufzuhören. Sie schämte sich für ihr feiges Verhalten, das sich trotz der wenigen Stunden, die seither vergangen waren, anfühlte als seien bereits Jahre vergangen. Vielleicht lag es aber auch nur an ihrem Körper, der durch die Weinkrämpfe und das durchgängige Liegen, seit sie nachhause gekommen war, taub war. Sie wusste, dass es dumm und nutzlos war, hier zu liegen und in Selbstmitleid zu versinken, aber die einzig andere Möglichkeit wäre, aufzustehen und den Fehler, den sie begangen hatte, mutig in die Augen zu schauen. Und eins war klar, Mut gehörte definitiv nicht zu ihren Stärken. Denn wenn es so wäre, hätte sie nicht diesen furchtbaren Fehler begangen und müsste sich nun nicht wünschen, in der Zeit zurückreisen zu können, um es ungeschehen zu machen. Wären sie nur einfach nicht geradeaus gegangen, sondern nach links. Oder hätte sie ihm den Vorschlag unterbreitet, in die Eisdiele zu gehen, in der es das beste Himbeereis der Welt gab, die sich nur eine Querstraße weiter befunden hatte. Oder sie wären gleich in Narutos Wohnung geblieben. Oder … oder … … oder … Aber es war nun einmal keine dieser Alternativen eingetreten und so hatten sie beschlossen, einen gemütlichen Spaziergang durch den nahegelegenen Park zu machen, wenn die Sonne schon endlich ihr freundliches Gesicht zeigte und somit endgültig den Frühling einläutete. Wie hätte sie außerdem ahnen sollten, ausgerechnet heute ihrem Vater über den Weg zu laufen, der fest davon überzeugt war, dass sie heute länger in der Uni bleiben musste, um eine Hausarbeit, die sie eigentlich längst beendigt hatte, weiterzuschreiben? Wenn sie nur an Narutos blaue Augen dachte, die sie traurig musterten, als sie ihrem Vater die erstbeste Ausrede auftischte. Und die beinhaltete keine dreimonatige Beziehung, ihr erstes Mal und die Jahre des Schwärmens für ihn. Im Gegenteil sogar. Kühler hätte sie ihn gar nicht vorstellen können. Sie war so dumm gewesen. Vor allem konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihr Vater ihr die Ausrede mit dem Zeigen, wo sich der nächste Biosupermarkt befand, abgekauft hatte. Erneut begannen Tränen über ihre Wangen zu kullern und Hinata drückte das Kissen gegen ihr Gesicht, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. Sie wollte nicht, dass ihre kleine Schwester in ihr Zimmer kam und fragte, was vorgefallen sei. Es würde nur mit Augenverdrehen, amüsiertem Kichern und dem wundervollen Tipp, sie solle es nicht so schwarz sehen, enden. Sie liebte Hanabi, wirklich, aber das änderte nicht daran, dass sie so unterschiedlich waren wie Sonne und Mond. Während sich ihre Schwester mit den Jahren ein unverblümtes Mundwerk angewöhnt hatte, schaffte Hinata es noch nicht einmal, mit Naruto in der Öffentlichkeit Händchen zu halten – eine Tatsache, die vielleicht am heutigen Tag geholfen hätte, wenn ihr eine andere Ausrede eingefallen wäre. Dieser Gedanke entfachte eine gewisse Hilflosigkeit in ihr, da sie seit Stunden nur darüber nachdenken konnte, wie sie der heutigen Begegnung hätten aus dem Weg gehen können, aber nicht, was sie stattdessen zu ihrem Vater hätte sagen sollen. Nämlich, dass sie mit Naruto Uzumaki, einem einfachen Mitarbeiter im Lager, der noch nicht einmal die Oberschule besucht hatte, zusammen war. Und das verdammt glücklich. Zumindest bis heute … Hinata traute sich zwei Tage lang nicht, Naruto eine Nachricht zu schreiben und da er ihr auch keine geschickt hatte, war sie der festen Überzeugung, er wartete darauf, dass sie den ersten Schritt tat. Schließlich war es auch sie gewesen, die ihn vor ihrem Vater verleugnet hatte – anders konnte sie es einfach nicht sagen. Sie wünschte sich nur, ihm erklären zu können, wie schrecklich sie sich deswegen fühlte und warum es soweit gekommen war. Aber wie sollte sie ihrem Freund erklären, dass sie der festen Überzeugung war, ihr Vater würde ihn nicht als gut genug für sie ansehen? Denn das stimmte nicht, ganz und gar nicht. Er war das Beste, was ihr je passiert war. Der erste Mensch, dem sie sich gerne nackt gezeigt hatte, vor dessen Antworten auf ihre Fragen sie keine Angst hatte und der ihr immer ein Lächeln ins Gesicht zauberte, wenn es ihr schlecht ging – was die momentane Situation nur noch verfahrener machte. Hinata fühlte sich noch immer taub und das stundenlange Weinen war so anstrengend, dass sie kaum aus dem Bett kam, weshalb sie die letzten zwei Tage die Uni geschwänzt hatte und nur hoffen konnte, dass ihr Vater das nicht mitbekam. Er wollte für sie zwar nur die beste Ausbildung, die möglich war, doch genau das machte ihn unheimlich streng und auch engstirnig. In seinem Blick lag immer eine unübersehbare Arroganz, wenn er mit Menschen sprach, die seiner Meinung nach, nicht auf der selben Stufe standen wie er und das wäre bei Naruto definitiv der Fall. Es war eine dumme Kurzschlussreaktion gewesen, im falschen Moment auf dem falschen Fuß erwischt, aber sie konnte es sich dennoch nicht verzeihen. Was er jetzt wohl von ihr denken mochte? Vielleicht wäre es besser gewesen, niemals auf Sakuras Verkupplungsversuche einzugehen. Dann hätte sie ihn nicht verletzt und müsste sich für ihr eigenes, feiges Verhalten nicht schämen und weil sie kaum Erfahrung in Beziehungen hatte und deshalb nicht wusste, wie man in so einer hilflosen Situation damit umzugehen hatte. Sie könnte es nachlesen, Sakura fragen oder Hanabi, sich eine alte Teeniezeitschrift aus dem Schrank holen, die sie wegen den Schminktipps aufbewahrte, obwohl sie diese sowieso noch nie probiert hatte. Es gab so viele Möglichkeiten, sie setzte nur keine um, weil sie sich schämte. Für so viel, wie ihr mit jeder Minute, die er Tag alterte, mehr und mehr bewusst wurde. Und sie hasste dieses Gefühl. In Gedanken versunken, lief Hinata durch das dreistöckige Haus, blieb hin und wieder vor einem Fenster stehen und fragte sich, ob sie vielleicht nach draußen in die Sonne gehen sollte, um frische Luft zu schnappen. Sie liebte den Frühling und den Duft von frisch blühenden Blumen, nur wusste sie nicht, ob sie so viel Schönheit um sich herum ertragen konnte, wenn sie sich so mies fühlte. Naruto hatte sie mittlerweile ein paar Mal versucht zu erreichen, aber aus Angst, er könne mit ihr Schluss machen wollen, weil er es furchtbar fand, dass sie nicht zu ihm stehen konnte, war sie nicht rangegangen und hatte ihn auch nicht zurückgerufen. Sie war ein elender Feigling. Nur wie sollte sie ihm mit dem Gedanken, dass er ihre Beziehung beenden wollen könnte, anrufen? Er hatte sein ganzes Leben lang für Anerkennung kämpfen müssen, wurde noch immer schlecht behandelt und war auf der Karriereleiter, die für viel zu viele Menschen viel zu wichtig war, so weit unten, dass er diesen Kampf noch immer führen musste und dann hatte sie, seine eigene Freundin, das Mädchen, dass ihm betrunken gestanden hatte, wie sehr sie in ihn verliebt war, einfach verleugnet. Sie war ein schrecklicher Mensch. Eine ganz und gar furchtbare Person. Mit einem leisen Seufzen, blieb sie erneut stehen, warf einen Blick über den großen Garten, der das Haus umschloss und sehnte sich nach Narutos wundervollem Grinsen, während sie sich dafür schämte, ihm dieses durch ihr Verhalten wohl genommen zu haben. Sie war so in ihrem Selbstmitleid versunken, dass sie die Schritte, die hinter ihr näher kamen, gar nicht bemerkte, bis Hanabi ihr plötzlich sanft die Hand auf den Arm legte. Hinata zuckte erschrocken zusammen und drehte ihren Kopf leicht zur Seite, um ihrer Schwester in die Augen sehen zu können. „Ich kann das wirklich nicht mehr mit ansehen“, sagte diese ohne weitere Umschweife, griff nach Hinatas Handgelenk und zog sie mit sich. „Du kannst froh sein, dass ich dich in den letzten Tagen gedeckt habe. Du weißt wie Papa ist, wenn es um die Uni geht“, erklärte Hanabi ihr ernst, während sie den Gang entlang liefen und in Richtung Wohnzimmer liefen, dessen Tür nur angelehnt war. „Und außerdem sollte es dich wirklich nicht mehr interessieren, was er denkt“, fügte sie mit einem angedeuteten Grinsen hinzu, bevor sie die Holztür öffnete und Hinata ins Innere des Raums schubste. „Hi“, begrüßte Naruto sie mit einem Grinsen und ihr Herz machte einen verräterischen Sprung. Schockiert riss Hinata ihre Augen auf und brauchte ein paar Sekunden, um sich daran zu erinnern, dass sie ihn gar nicht sehen wollte. Den Satz ihrer Schwester hatte sie bereits wieder vergessen und auch sonst fiel ihr das Denken im ersten Moment viel zu schwer. „Es tut mir leid, dass ich mich erst nach vier Tagen bei dir gemeldet habe“, begann er ohne Umschweife und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich war ein bisschen angefressen, um ehrlich zu sein. Allerdings hattest du mir ja erzählt, dass dein Vater manchmal nicht so einfach ist, darum war das wirklich ein bisschen kindisch von mir.“ Hinata stand noch immer stocksteif da und fragte sich, ob Narutos Erscheinung inmitten des großen Raums mit dem riesigen Bücherregal auf der rechten Seite und der Sofaecke samt Flachbildfernseher, real war. Dass er dank der Fensterfront hinter ihm, von Sonnenlicht umgeben war, half da auch nicht sonderlich. „Jedenfalls … als du nicht auf meine Anrufe reagiert hast, hab ich deine Schwester auf Facebook angeschrieben und sie meinte, du seist ziemlich niedergeschlagen. Du musst mir glauben, dass ich dir auf gar keinen Fall mit meinem Verhalten weh tun wollte. Es hat mich nur einfach etwas gekränkt und weil ich wegen dieser Sache gekränkt war, hab ich mich über mich selbst geärgert. Das zog sich alles ein bisschen.“ Erneut lachte er nervös und Hinata spürte wie ihr unfreiwillig Tränen in die Augen stiegen. Das machte ihr ganzes Verhalten nur noch schlimmer. Aus lauter Scham und Angst, hatte sie ihn wirklich dazu gebracht, sich schuldig zu fühlen, dabei war sie es doch, die so empfinden musste. „Hinata …“, begann Naruto vorsichtig und ging einen Schritt auf ihn zu, doch sie schüttelte den Kopf. „Du …“, versuchte sie es, ihr versagte allerdings die Stimme und sie musste sich räuspern. Sie war nicht mutig, aber sie hatte in den letzten Wochen und Monaten gelernt, wenigstens zu ihm, ehrlich zu sein. Und irgendwo in ihr drinnen musste diese Fähigkeit doch auch jetzt stecken. Sie konnte ihn nicht in dem Glauben lassen, dass es seine Schuld war, wieso sie sich nicht gemeldet hatte. Das wäre ihm gegenüber nicht fair. Also musste sie es ihm erklären. Sie holte tief Luft, ignorierte die einzelne Träne, die über ihr Gesicht ran und starrte auf den grauen Teppichboden. „Du … du musst dich nicht entschuldigen“, schaffte sie es brüchig die Worte auszusprechen. „Es ist … ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist. Ich hätte Vater die … die Wahrheit sagen müssen. Diese Ausrede war furchtbar … und ich … ich hab mich so deswegen geschämt, dass … d-dass ich mich nicht getraut habe, mich bei dir zu entschuldigen.“ Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, der sich während ihrer Worte gebildet hatte und konnte noch immer nicht aufsehen, weshalb sie seine Beine fixierte. „Was?“, fragte Naruto irritiert und nun war er es, der sie fassungslos anstarrte. Allerdings hatte er seine Gefühle schneller wieder unter Kontrolle als sie kurz zuvor und kam mit ein paar schnellen Schritten auf sie zu. Er nahm sie in den Arm und strich ihr über ihre Haare. „Du sollst wissen, dass du dich nie schämen musst, wenn es um mich geht. Echt jetzt. Ich bin … also … ich bin wirklich vernarrt in dich. Und ich war zwar angefressen, aber ich wusste doch worauf ich mich einlasse.“ Bei diesen Worten zuckte sie zusammen und begann sofort wieder sich für ihr dummes Verhalten zu schämen. Er war eindeutig zu nett zu ihr. „Und ich bin nicht sonderlich gut in Gefühlen erklären“, fügte Naruto nonchalant hinzu, „darum würde ich es bevorzugen, wenn ich jetzt nicht im Wohnzimmer deines Vater weiter darüber reden müsste. Also versteh mich nicht falsch, echt jetzt, ich will unbedingt offen und ehrlich darüber sprechen und wenn ich das richtig sehe, willst du das auch, aber bitte nicht hier.“ Ohne es zu merken, entwich Hinata ein leises Kichern und sie drückte ihre Wange enger an seine Brust. „Das nehme ich mal als ja.“ Sie nickte, auch wenn sie nicht verhindern konnte, dass sie noch immer nicht verstand, warum er so unglaublich liebevoll zu ihr war und eher den Fehler bei sich gesucht hatte, als bei ihr. Aber es war einfach schön ihn endlich wieder hier zu haben, seine Stimme zu hören und seinen herben Duft einzuatmen. Sie wusste gar nicht wie sehr sie das vermisst hatte. „Sehr gut. Ach und wenn dein Vater mich erst mal richtig kennenlernt, wird er mich übrigens lieben. Echt jetzt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)