Throughout the Year von Goetterspeise (One-Shot Sammlung) ================================================================================ 08. One-Night-Stand ------------------- Es war ein lautes Lachen, das die Aufmerksamkeit der anderen Barbesucher auf sich zog und dafür sorgte, dass Sakuras Wangen sich vor Scham rot färbten. »Kannst du bitte damit aufhören?«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen und schenkte Ino, ihrer verdammten besten Freundin, einen wütenden Blick. »Ent- entschuldige. Das ist nur einfach so … so … unfassbar«, gluckste diese kichern, bemühte sich aber um einen gefassteren Gesichtsausdruck und räusperte sich, bevor ihr schallendes Gelächter erneut den vollen Raum erfüllte und sogar die Musik übertönte. »Woher hätte ich das auch wissen sollen?«, grummelte Sakura, nun gereizt wegen der Reaktion ihrer Freundin. „Keine Ahnung. Durch sein Gesicht vielleicht?“ „Ino! Das ist über elf Jahre her. Ist ja nicht so, als würde er immer noch aus ausschauen wie mit dreizehn. Außerdem hätte ich ihn auch heute morgen nicht erkannt, wenn ich ihn nicht dabei erwischt hätte, wie er unser altes Klassenfoto angestarrt hat“, versuchte sie ihren Ausrutscher zu erklären. „Ist gut“, lenkte Ino ein, konnte sich jedoch das Grinsen im Gesicht noch immer nicht verkneifen. „War es wenigstens gut?“ Bei dieser Frage färbten sich Sakuras Wangen erneut rot und sie musste unweigerlich an seine Lippen denken, die eine feuchte Spur auf ihrem Hals hinterlassen hatten. Die warmen rauen Hände auf ihrer Haut, sein Atem, wegen dem sich auf ihrem ganzen Körper eine angenehm kribbelnde Gänsehaut gebildet hatte und wie er … „Erde an Sakura.“ Ino schnippte mit den Fingern vor dem Gesicht ihrer besten Freundin herum und schenkte dieser ein süffisantes Grinsen. „Ich will dich nur ungern aus irgendwelchen scharfen Sextagträumen wecken, aber ich glaube hier ist nicht unbedingt die perfekte Umgebung dafür.“ „Du hast doch gefragt“, verteidigte sich Sakura schwach und starrte verbissen auf die grobe Holzmusterung des Tisches, an dem sie saßen und versuchte daraus irgendwelche Formen zu erkennen, um Ino nicht in die Augen schauen zu müssen. „Ja. Ich wollte es wissen. Und nicht das ganze durch dich miterleben.“ „Du bist unmöglich!“, rief Sakura und hob ruckartig ihren Kopf. Als Antwort folgte erneut nur ein lautes Lachen und Sakura musste sich nach diesem kleinen Wortgefecht eingestehen, dass sie wohl auch nicht anders reagiert hätte, wenn Ino statt ihrer diese Nacht erlebt hätte. „Na ja, egal. Viel wichtiger ist jetzt sowieso: was willst du machen?“ Das war eine verdammt gute Frage. Sakura dachte an den kleinen Zettel, den sie nach seinem wortlosen Verschwinden auf der Kommode gefunden hatte und schluckte. Er hatte ihn wahrscheinlich dort abgelegt, bevor ihm klar geworden war, dass sie seine erste Beziehung gewesen war und ihn dann vergessen, wieder einzustecken. Allerdings passte das gar nicht zu diesem gewissenhaften, freundlichen Jungen von damals. Seine Wortkargheit letzte Nacht aber auch nicht. Sie waren wohl auch nur deswegen miteinander im Bett gelandet, weil sein Kumpel ihn abgefüllt und sie selbst zuvor schon zu tief ins Glas geschaut hatte, um die Panik vor ihren Prüfungsergebnissen zu ertränken. „Ich habe keine Ahnung“, antwortete sie deswegen ehrlich und seufzte tief. Sasuke Uchiha. Ihre erste Verliebtheit, ihr erster Freund, ihr erstes gebrochenes Herz. Sakura starrte auf den Zettel in ihrer Hand und konnte sich noch immer nicht entscheiden, was sie nun machen sollte. Sie war bereits kurz davor gewesen, ihn wegzuschmeißen, anzurufen oder in irgendeine ihrer Schubladen zu stecken, um ihn zumindest für eine Weile aus den Augen zu haben. Mit einem lauten Seufzen fiel sie nach hinten in ihr Bett, auf dem sie die letzten Minuten gesessen und nachgedacht hatte, und hielt den Fetzen Papier mit ausgestreckten Händen nach oben. Sasuke erschien ihr einfach nicht als jemand, der einen Zettel mit seiner Nummer darauf vergessen würde, wenn er sich aus dem Staub machte, während sein One-Night-Stand im Bad war – etwas, das Sakura den ganzen letzten Tag bereut hatte, weil sie das um die Möglichkeit eines vernünftigen Gespräches gebracht hatte. Denn bis auf die Tatsache, dass sie sich aus der Mittelschule kannten, waren nicht viele Worte zwischen ihnen gefallen. Sie drehte sich zur Seite, ließ ihre Arme sinken und legte den Zettel auf ihrer weichen Matratze ab – und erneut tauchten die Bilder vor ihrem inneren Auge auf. Wie sie ihn lachend hinter sich in die Wohnung zog, sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihn küssen zu können und aufgrund ihres Alkoholpegels länger für das Öffnen seiner Hose benötigt hatte als sie es von sich gewohnt war. Nicht, dass Sakura öfter irgendwelche wildfremden Männer mit nachhause nahm (und Sasuke war es zu dieser Zeit schließlich gewesen), aber sie hatte in den drei Beziehungen, die sie nach ihm geführt hatte, doch einige Erfahrungen über sich lernen können. »Das ist doch Wahnsinn«, flüsterte sie vor sich hin und erhob sich wieder. Sie lief unruhig im Zimmer auf und ab, warf ihrem Ebenbild im Spiegel ihres Wandschrankes einen kurzen Blick zu, bevor sie sich abwandte, sich durch die rosa Haare fuhr und fragte, warum es so verdammt schwer war, sich einfach für anrufen oder nicht zu entscheiden. »Meine Fresse!«, fluchte sie laut und blieb stehen. Am Liebsten hätte sie noch mit dem Fuß auf dem Boden aufgestampft, aber das konnte sie glücklicherweise gerade noch verhindern. Sakura überlegte, ob sie eine Münze werfen oder sich eine andere Idee ausdenken sollte, um sich die Entscheidung zu erleichtern, aber so wirklich begeistert war sie von der Vorstellung, den Zufall ihre zukünftigen Entscheidungen übernehmen zu lassen, nicht wirklich. Besonders wenn man daran dachte, wofür dieser erst kürzlich gesorgt hatte. Wie groß war denn bitte die Wahrscheinlichkeit, ihrem Ex-Freund, der vor über zehn Jahren weggezogen war, nachts in einer Disco über den Weg zu laufen und am Ende mit ihm in der Kiste zu landen? Wäre sie nicht so aufgewühlt gewesen, hätte sie es wohl tatsächlich ausgerechnet, sich aber im Moment auf irgendwelche Formeln zu konzentrieren, schaffte sie einfach nicht. »Mach einfach«, sprach sie sich gut zu und nahm das Stück Papier in die Hand. Sie starrte erneut unendlich lange Sekunden darauf, bevor sie ihr Handy vom Schreibtisch nahm, der neben der Zimmertür stand, und es entsperrte. Sie wählte mit zittrigen Fingern die Nummer, drückte aber nicht auf wählen. Der Bildschirm wurde wieder schwarz und erneut dauerte es eine Ewigkeit, bevor sie sich dazu überwinden konnte, auf den grünen Hörer zu drücken. In Zeitlupe führte sie ihr Handy ans Ohr und hoffte sofort, dass er ihr eine falsche Nummer gegeben hatte oder nicht ran gehen würde – während sie den Wunsch hegte, seine Stimme zu hören und ihn zu fragen, ob sie sich nicht mal zum Quatschen treffen wollten. Sie wollte so gerne wissen, was er in den letzten Jahren alles getrieben hatte. »Hallo?«, riss eine Stimme sie plötzlich aus ihren Gedanken und Sakura suchte für eine Sekunde vergebens nach ihrer Stimme, was sie selbst furchtbar ärgerte. »Hey. Sasuke?«, fragte sie unsicher, weil die Stimme am anderen Ende der Leitung ganz anders geklungen hatte. »Nicht ganz«, lachte ihr Gegenüber und nun wurde es deutlich, dass sie einen anderen Mann, mit einer nicht ganz so tiefen und rauen Stimme, am Telefon hatte. »Oh. Da muss ich mich verwählt haben«, erwiderte sie stockend und wollte schon wieder auflegen, als die Stimme am anderen Ende ein lautes »Nein!« rief. »Also ich meine, nicht auflegen. Sasuke ist gerade nicht da und außerdem hat er dir wohl meine Nummer gegeben. Ich bin Naruto. Und du?« Zum Glück konnte dieser Naruto ihren dämlichen Blick nicht sehen, den Sakura sich im Spiegel gerade selbst zuwarf. Das war jetzt gerade ein bisschen zu viel für sie, weshalb sie nicht weiter darüber nachdachte und ihm seine Frage beantwortete: »Sakura. Ich … ähm … kenne Sasuke noch von früher.« Klang unverfänglich, oder? »Ah. Sasuke hat mir von dir erzählt. Wobei erzählt bei diesem Griesgram zu viel gesagt ist. Eher durfte ich ihm gestern alle Infos aus der Nase ziehen. Ihr müsst euch ja noch sehr gut von früher kennen.« »Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, zischte Sakura, um zu überspielen, wie peinlich ihr das Gespräch gerade war. »Sorry. Ich plappere manchmal, bevor ich denke«, entschuldigte ihr Gegenüber sich und sie konnte ein nervöses Lachen vernehmen. »Und nimm das von Sasuke bitte nicht persönlich. Ich glaube, es ist seine Rache an mich, dass er dir meine Nummer da gelassen hat.« Oh. Darüber hatte sie noch überhaupt nicht nachgedacht. So eine Art von 'Rache' – wie Naruto es bezeichnet hatte – passten gar nicht zu dem Sasuke, den Sakura noch von früher kannte. Allerdings waren seit ihrem letzten, wirklichen Aufeinandertreffen einige Jahre vergangen und sie hatte sich auch verändert, wenn auch sicher nicht so sehr wie er. Sakura musste an ihren Abschied denken, als er ihr einfach nur zugenickt hatte und dann verschwunden war. Sie war damals unglaublich wütend auf ihn gewesen, während mit den Wochen, die folgten, Verständnis in ihr gewachsen war. Er hatte seine Eltern verloren, musste mit seinem Bruder zusammen in eine andere Stadt ziehen und alle Freunde und Bekannte zurücklassen. Sie schluckte bei dieser Erinnerung und zwang sich zurück in die Realität zu kommen. »… -hol vermischt. Darum wird er wohl so reagiert haben. Nur leider ist mir nichts so schnell peinlich«, erzählte Naruto gerade eine Geschichte zu Ende und Sakura biss sich auf die Unterlippe, weil sie den ersten Teil nicht mitbekommen hatte. »Aber weißt du was? Sasuke und ich sind noch drei Tage in der Stadt, bevor es weiter Richtung Süden geht. Wenn du magst können wir zwei uns mal treffen. Sasuke ist nämlich echt sauer wegen der Sache mit den Drinks.« Und damit lachte Naruto erneut nervös auf. Sakura konnte sich nicht wirklich an ihn erinnern, ging aber davon aus, dass er der Kumpel gewesen war, der laufend für Nachschub gesorgt hatte. Also musste er blonde Haare gehabt haben. Zumindest konnte sie sich an solche erinnern. »Wir wohnen übrigens im CityInn«, fuhr er fort, bevor Sakura etwas zu seinem Vorschlag sagen konnte, »ein Stück die Straße runter, hab ich ein tolles Lokal entdeckt, zu dem wir könnten. Ich hab auf jeden Fall immer Zeit für einen kleinen Abstecher dahin.« Das war natürlich schön für ihn. Zu ihrer Schande musste Sakura allerdings gestehen, dass sie momentan auch nicht gerade einen vollen Kalender vorzuweisen hatte, aber sich deshalb gleich mit jemandem zu treffen, den sie noch nie wirklich gesehen hatte? Klar, sie war vor dem Telefonat der Hoffnung gewesen, mit Sasuke über alte Zeiten plaudern zu können – und hatte gleichzeitig dafür gebetet, dass er erst gar nicht ran ging. Aber das war etwas anderes, als mit seinem Kumpel irgendwo etwas essen zu gehen. Und dennoch meldete sich bei ihr das schlechte Gewissen, weil Naruto so voller Vorfreude und Begeisterung zu sein schien und es für ihn außer Frage stand, ein 'Nein' zu erhalten. Außerdem war Sasuke wirklich ein Arsch, wenn er ihr eine falsche Nummer gab, nur um sich an Naruto zu rächen (wofür auch immer) und es tat ihr tatsächlich weh, dass er ihr nach dieser Nacht nicht seine richtige Nummer hinterlassen hatte – wenn er schon überhaupt eine angab. Sie wollte mehr über ihn wissen, weshalb ihr das »Klar gerne. Morgen um drei?« auch so einfach über die Lippen kam. Das leise Klingeln einer Türglocke ertönte, als Sakura in den großen, mit Stühlen und Tischen vollgestellten, Raum trat und sich nach Naruto umsah, der ihr netterweise ein Bild von sich hatte zukommen lassen. Sie konnte zwar einige blonde Haarmähnen sehen, aber keine gehörte zu seinem Gesicht. Vielleicht war er auch einfach noch nicht da. Sie ging ein Stück weiter ins Innere des Lokals, um schon mal einen Tisch für sie beide zu reservieren, da es sehr voll war, als ihr Blick plötzlich an einem Paar schwarzer Augen hängen blieb. Das konnte jetzt nicht wahr sein. Sakuras erster Instinkt war, sich wieder umzudrehen und einfach wieder zu gehen. Doch bei Sasukes Anblick kochte Wut über ihn und seinen schlechten Witz mit der Nummer in ihr hoch. Und über Naruto, der es tatsächlich gewagt hatte, ihr etwas vorzuspielen. Was, wenn sie unter einer Decke steckten? Aber wieso sollten sie? War das ihre Art von Humor? Sakuras Inneres zog sich zusammen und sie ging mit festen Schritten und zusammengekniffenen Augen auf ihn zu, mit der Absicht herauszufinden, was hier eigentlich gespielt wurde. »Du bist nicht Naruto«, stellte sie nüchtern fest und ließ ihre Tasche mit einem lauten Knall auf den Holztisch fallen, an dem Sasuke saß. »Du auch nicht«, erwiderte dieser mit einem desinteressierten Ton, während Sakura sich auf den Platz gegenüber von ihm nieder ließ. »Gut erkannt. Und jetzt …«, begann sie, brach aber ab, als Sasukes Handy, das neben ihm auf dem Tisch lag, vibrierte und kurz darauf auch ihres in der Hosentasche einen Signalton abgab. Sie wollte es nicht herausholen, in der Ansicht, es wäre nur ein Zufall, dass sie so kurz nacheinander eine Nachricht erhalten hatten. Doch nachdem Sasuke einen kurzen Blick auf seinen Bildschirm geworfen hatte, war er ihr einen kühlen Blick zu und hob erwartungsvoll eine Augenbraue. »Schau nach«, forderte er sie auf und Sakura lief eine Gänsehaut über den Körper – dieses Mal aber nicht aus Leidenschaft, sondern weil er so dominant wirkte. Das passte überhaupt nicht mehr zu dem Sasuke, den sie damals in der Schule kennengelernt hatte. Da in ihr allerdings mittlerweile die Neugier erwacht war, seufzte sie leise und holte ihr Handy aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Eine Nachricht von einer ihr unbekannten Nummer. Entschuldige bitte. PS: Sasuke konnte seinen Blick nicht von dir lassen. ;) Sakuras Kopf schoss wieder nach oben. »Sag mal, findet ihr das lustig?«, fragte sie ihn gereizt. »Ist das irgendeine dumme Art, euch an Frauen ran zu machen oder wie darf ich das verstehen?« Ihre Stimme war lauter als beabsichtigt und trotz des Lärmpegels, drehten sich einige andere Gäste verwundert zu ihnen um. »Hn«, war allerdings die einzige Antwort, die sie darauf von Sasuke bekam, woraufhin ihr das Blut in den Kopf schoss, weil die Wut sich immer weiter ausbreitete. Und da hatte sie noch gedacht, mehr darüber erfahren zu wollen, wie Sasuke sich in den letzten Jahren entwickelt hatte. »Ihr seid wirklich super Freunde. Der eine steigt mit der Frau ins Bett und hinterlässt dann eine falsche Nummer. Wofür? Wollt ihr beide mit der Gleichen Spaß haben? Turnt euch das irgendwie an? Wettet ihr darauf, wer nur mit einem von euch vögelt?« Sie war so wütend, dass ihr gar nicht auffiel, dass ihre Fragen einen gewaltigen Haken hatten. Sasuke war bereits bei ihr gelandet, Naruto nicht und dieser war nicht hier. »Bist du fertig?«, fragte Sasuke, als Sakura eine Verschnaufpause einlegte. »Was?!« »Ich hab heute noch besseres zu tun.« Das war jetzt nicht sein Ernst. Kurz stellte sie sich vor, wie sie über den Tisch sprang und ihm an die Gurgel ging, aber das wäre ihm wahrscheinlich nur Recht. So konnte er sie immerhin als irre bezeichnen – obwohl sie nur sauer und verletzt war. »Du … du …«, begann sie, wusste aber nicht, wie sie diesen Satz zu Ende bringen sollte. Sasuke schloss kurz die Augen, seufze und suchte dann ihren Blick. »Gut, hör zu. Naruto ist ein Vollidiot und das hier war wirklich dumm von ihm. Aber ich habe kein Bedürfnis dich mit irgendeiner dummen Masche in die Kiste zu bekommen«, erklärte er ihr resignierend und erhob sich schließlich. »Dafür fehlt mir ehrlich das Interesse.« Und damit hatte sie nun auch den Schlag ins Gesicht, der zu diesem furchtbaren Erlebnis noch gefehlt hatte. Sasuke ging ohne Abschiedsworte an ihr vorbei und Richtung Ausgang, doch Sakura war viel zu geladen als dass sie ihn einfach hätte gehen lassen können – und verwirrt wegen seiner Worte. »Na warte«, flüsterte sie und sprang ebenfalls auf. Sie eilte ihm durch die Menge, die teils mehr, teils weniger Interesse an ihrer Auseinandersetzung zeigten, holte ihn aber erst ein, als er schon die ersten Schritte auf dem Gehweg gegangen war. »Wenn du kein Interesse hast, warum bist du dann mit mir nachhause? Wieso zieht ihr dann so eine komische Masche mit der falschen Nummer ab, die wahrscheinlich auf irgendeine verquere Art und Weise zu irgendeinem Ziel führen soll? Und warum bist du so ein Arsch?«, schrie sie ihn an, kaum hatte sie ihn eingeholt. Sasuke, der bisher nur geradeaus geschaut hatte, um sie zu ignorieren, blieb nun stehen und drehte sich langsam zu ihr um. Sakura lief der kalte Schauer über den Rücken, als sie nun in seine wütenden Augen blickte und instinktiv wich sie einen Schritt zurück. »Weil ich voll war. Weil es meine Nummer ist. Und weil du mich nicht kennst«, erklärte er ihr mit ruhiger Stimme, aber es waren wohl die gefährlichsten Worte, die sie je zu hören bekommen hatte. Sie starrte ihn mit offenem Mund an und wusste nicht, was sie darauf sagen sollte – oder ob es überhaupt sinnvoll wäre, etwas zu erwidern. Deshalb ließ sie ihn auch ziehen, als er einfach weiterging. »Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass Naruto allein dafür verantwortlich ist«, nuschelte Sakura wütend auf sich selbst in ihr Kissen, während Ino geduldig neben ihr auf dem Bett saß und zuhörte. »Ich meine, ich habe einem, so gut wie wildfremden Mann, vorgeworfen, mit seinem Kumpel durch die Gegen zu ziehen und zu versuchen, so viele Frauen wie möglich in die Kiste zu bekommen«, fuhr sie fort und versuchte ihr schlechtes Gewissen zu ignorieren. Sie hatte viel zu vorschnell gehandelt und jemandem etwas angedichtet, was wohl nicht weiter von der Wahrheit entfernt hätte gewesen sein können. »Sieh es positiv. Er hat immerhin seine eigene Nummer dagelassen. Du kannst ihm immer noch eine Entschuldigungsnachricht zukommen lassen«, erwiderte Ino, den Zeigefinger gegen ihr Kinn gedrückt, nachdenklich. »Super. Und was schreib ich da rein? Hey, sorry, dass ich dachte, du seist ein Player geworden und nichts besseres zu tun hast, als Frauen zu verarschen. War echt nicht so gemeint.« »Zum Beispiel. Oder eben, dass du durch die Informationen seines Freundes ein falsches Bild vermittelt bekommen hast und es eben nicht leiden kannst, wenn man jemand anderen verarscht.« Sakura entwich ein trockenes Lachen, weil sie sich ganz sicher war, dass sie nicht deswegen sauer geworden war. Irgendwo tief in sich drinnen – und das war ihr erst in dem Moment schmerzhaft bewusst geworden, als Sasuke ihr erklärt hatte, er habe kein Interesse – war sie der Hoffnung verfallen gewesen, dass sie sich wegen dem Schicksal erneut über den Weg gelaufen waren, um dort weiterzumachen, wo sie damals aufgehört hatten. Was natürlich Blödsinn war. Weder glaubte sie an das Schicksal, noch gab es da viel, an dem man hätte anknüpfen können. Sie waren damals dreizehn gewesen, hatten ein bisschen Händchen gehalten und sich Mut zugesprochen, wenn die Arbeiten näher gerückt waren. Tja, anscheinend war sie aber wohl doch eine Romantikerin. Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken, doch bevor sie es vom Nachtisch nehmen konnte, hatte Ino bereits danach gegriffen und ging ohne, auf ihre Erlaubnis zu warten, ran. »Ja?« Sie schwieg kurz, während ihre Augenbrauen sich wütend zusammenzogen. »Nein danke.« Und schon hatte sie wieder aufgelegt. »Wer war das?«, fragte Sakura, konnte sich die Antwort aber schon denken, wenn sie bedachte, wie Inos Reaktion abgelaufen war. »Ein Trottel«, erwiderte sie knapp angebunden und legte das Handy vorsorglich auf ihre andere Seite, sodass Sakura es nicht ergreifen konnte, ohne sich aufzusetzen. Und bis dahin würde Ino es schon wieder aus ihrer Nähe gebracht haben. »Und was wollte dieser Trottel?«, bohrte sie nach und ärgerte sich über ihre Neugierde. »Angeblich was erklären.« Diese Aussage brachte Sakura zum Nachdenken, aber auch nur, weil sie nun deprimiert hier lag und sauer auf sich selbst war. Sie hätte nachfragen sollen, ruhiger bleiben müssen. Immerhin hatte sie sich mit ihrem Benehmen nicht gerade mit Ruhm bekleckert und das nervte sie gewaltig. Sie hing einige Zeit ihren Gedanken nach und war froh darüber, dass Ino nicht noch einmal das Wort ergriff, sondern still neben ihr saß und ihr damit zur Seite stand, denn sie wollte gar nicht mehr darüber sprechen. Sie wollte sich einfach nur wegen ihrem kindischen Verhalten für ein paar Tage selbst zuwider sein und dann nach vorne blicken. Es war schließlich nur ein One-Night-Stand gewesen und keine jahrelange Beziehung, die wegen eines Missverständnisses oder dem fehlenden Vertrauen in die Brüche gegangen war. Dass es sie dennoch so fertig machte, war aber menschlich. Zumindest hoffte sie das, anders müsste sie sich dann Gedanken um sich selbst und ihre emotionale Reife machen. Als schließlich Sakuras Smartphone auf der Matratze vibrierte und Ino sich interessiert darüber beugte, kam auch sie selbst wieder zurück in die Gegenwart. »Hörst du auf meine Nachrichten zu lesen«, fuhr sie ihre beste Freundin an, drehte sich auf den Rücken und setzte sich auf. »Ich wollte doch nur sehen, wer es war. Hier«, erklärte Ino achselzuckend und reichte ihr das Handy. Na, wenn es nicht mehr war. Aber zumindest verschwand Sakuras kurzzeitige Nervosität, da sie davon ausging, dass Ino ihr das Smartphone nicht gereicht hätte, wenn die Nachricht von Naruto oder Sasuke gewesen wäre. Weit gefehlt. Sie hatte die Nummern noch immer nicht eingespeichert und als sie nun den langen Text sah, musste sie schlucken. Es tut mir so leid! Echt jetzt!!! Sasuke hat mir auch schon eine Standpredigt gehalten dass man sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen soll und naja … Ich dachte mir vielleicht wäre es einfach keine dumme Idee als du angerufen hast, euch noch einmal zusammenzubringen. Immerhin hat er dir seine Nummer dagelassen und das, obwohl ich ihm heimlich Alkohol untermischen musste, damit er lockerer wird. Dass du diesen kläglichen Versuch so interpretierst …… Daran hatte ich natürlich nicht gedacht. Sasuke meinte auch ich denke sowieso nie und irgendwie glaube ich dass er recht hat. Es war aber wirklich nichts so wie du glaubst!! Echt jetzt! Sakura konnte regelrecht die Verzweiflung in diesen Worten lesen und wünschte sich, Naruto besser zu kennen, als nur durch dieses kurze Telefonat, um einschätzen zu können, ob das wirklich die komplette Wahrheit war. Wenn sie ihm nur besser zugehört hätte. »Na, siehst du? Alles nicht so schlimm«, sagte Ino gutgelaunt. »Du kannst Sasuke also ganz entspannt eine Nachricht schicken und dich dafür entschuldigen, dass du es missverstanden hast. Scheint doch alles geklärt zu sein.« Woher nahm diese Frau nur einen solchen Optimismus? »Ich werde ihm ganz sicher nicht schreiben. Das macht es nämlich nicht besser«, erwiderte sie deswegen genervt und ließ sich rückwärts in ihre Kissen fallen. Sakura hatte Ino zwar erklärt, dass sie Sasuke dennoch nicht schreiben würde, aber trotzdem lag sie mitten in der Nacht, mit ihrem Handy in der Hand, im Bett und starrte auf den noch leeren Whats App Verlauf mit ihm. Sie überlegte, ob sie sich an ihre Aussage halten oder dem Bedürfnis, sich zu entschuldigen, nachgeben sollte, brauchte aber ewig, um herauszufinden, welche Seite in ihr überwog. Ein paar Mal begann sie zu schreiben und löschte es wieder, weil sie Angst davor hatte, wie er reagieren würde und der Meinung war nicht die richtigen Worte zu finden. Sie könnte natürlich wild darauf los schreiben und hoffen, dass es irgendeinen Sinn ergab, aber selbst in ihrem Kopf, klang es mehr nach Rechtfertigung als wirklicher Erklärung. Sie schloss die App, öffnete sie wieder und versuchte durch tiefes Durchatmen ihrer Entscheidung näher zu kommen. Vielleicht sollte sie sich dieses Mal doch auf die Münze verlassen oder aber sie leerte ihren Kopf – als ob das möglich wäre – und tat dann das, was ihr als erstes in den Sinn kam. Natürlich funktionierte das nicht. Aber der Wunsch, ihm zu schreiben, irgendetwas zumindest, wollte sich von ihren Zweifeln nicht unterdrücken lassen und nachdem sie erneut eine Ewigkeit auf ihre getippten Worte gestarrt hatte, schloss sie kurz die Augen, schickte ein Stoßgebet zu wem auch immer und drückte auf absenden. Es tut mir wirklich Leid. Gruß Sakura. Sie wartete. Legte aber nach einigen Sekunden das Handy weg und drehte sich auf die andere Seite. Nur um sich gleich darauf wieder zurückzurollen, ihr Handy in die Hand zu nehmen und zu sehen, ob er schon geantwortet hatte. Dabei würde sie es schließlich hören, wenn er es tat. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass sich das Spiel einige Male wiederholte und sie sich tausend Möglichkeiten ausmalte, wie er wohl antworten würde – wenn er es überhaupt tat. Irgendwann schlief sie aber dennoch ein und fiel in einen tiefen und traumlosen Schlaf, aus dem sie nur ihr Wecker am nächsten Morgen befreien konnte. Müde fuhr sich Sakura übers Gesicht, fischte nach ihrem Handy, um das nervige Klingeln abzustellen und legte es schließlich wieder zurück auf das Nachtschränkchen. Sie gähnte, blinzelte und saß dann senkrecht im Bett. Schnell nahm sie ihr Smartphone wieder in die Hand und ließ den Sperrbildschirm erhellen, in der Furcht, sie hätte sich die Nachricht, die darauf abgebildet war, nur eingebildet. Gut, es waren ein paar von Freunden dabei, aber darunter befand sich auch eine, von einer nicht eingespeicherten Nummer. Hn. War alles was da stand. Und obwohl Sakura ihn kaum noch kannte, musste sie bei diesem Wort lächeln, obwohl – oder gerade weil – es alles bedeuten konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)