Zum Inhalt der Seite

2nd Season: Russian Diaries

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Russian Rockstar – Mit einem kleinen Unterschied

Die Russian Nationals enden wie es das Kurzprogramm schon angedeutet hat. Viktors Comeback ist ein Erfolg auf der gesamten Linie: Dem fehlerfreien Kurzprogramm folgte eine fehlerfreie Kür und der Abstand zu Yurio zählt am Ende satte 21 Punkte, was von der internationalen Berichterstattung als direkte Kampfansage zur Rückeroberung aller möglichen Titel gefeiert wird.

Yurio geht mit dem Ergebnis für seine Verhältnisse erstaunlich locker um; das heißt, er posaunt bereits herum, dass Viktor sein ganzes Pulver für das Comeback verschossen habe und jetzt nichts mehr nachkommen würde. Das glaube ich persönlich jetzt nicht, aber das ist eben seine Art zu zeigen, dass es ihn ärgert, nur Zweiter geworden zu sein. Georgi konnte seinen dritten Platz behaupten und so gewinnt bei den Herren das komplette Team aus St. Petersburg vor dem Team aus Moskau.
 

Ab jetzt wird es für uns richtig stressig werden.

Bereits in der Vorbereitungsphase auf die Nationals habe ich feststellen müssen, dass neben dem vielen Training und den Terminen auch plötzlich eine Vielzahl von Leuten wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, um die Marke 'Viktor Nikiforov' bestmöglich zu promoten und wieder dahin zu bringen, wo sie vor einem Jahr noch gewesen ist.

Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es für das St. Petersburger Team eine Managerin gibt. Vielmehr ist sie aber Viktors persönliche Managerin als gleichzeitig auch die von Yurio, Georgi, Mila und Ekaterina. Dann gibt es noch einen Personal Trainer und einen Physiotherapeuten und wenn ich mir überlege, dass Jelena im Hintergrund auch noch durch die Kostüme und das Styling beteiligt ist, dann kümmern sich, Yakov mit eingerechnet, fünf Personen darum, dass Viktor die Leistung liefert, die alle sehen wollen. Dazu kommen noch die ganzen Sponsoren, Ausstatter, die Journalisten und natürlich die Fans. Yakov hat mir vorab schon ins Gewissen geredet, dass wenn Viktor bei den Nationals gewinnen sollte, ich mich darauf einstellen könne, dass das ganz anders ablaufen würde als bei mir in der letzten Saison. Nach einem Jahr „Viktor für mich alleine“, wie Yakov es mir ziemlich deutlich machte, „müsse ich damit klar kommen, dass bei einem Sieg endgültig Schluss mit dieser Zwei-Mann-Show wäre.“
 

Ich dachte, ich könnte es ganz gut einschätzen. Aber jetzt ist es soweit und ich fühle mich wie das fünfte Rad am Wagen. Die Kommentare auf Instagram, die ich gelesen habe, waren nur ein Vorgeschmack zu dem, was uns nach der Siegerehrung erwartet. Viktor selbst nimmt den Trubel sehr gelassen, schließlich ist er das Geschwader von Menschen um sich herum gewohnt, aber ich habe große Schwierigkeiten, mich in die neue Situation einzufinden. Ständig steht jemand anderes bei uns, ständig will irgendjemand etwas von ihm, überall sind Kameras, Fotoapparate blitzen, dazu die Fans, die total am Ausrasten sind, wenn er nur in ihre Richtung schaut. Viktor gibt geduldig und freundlich Autogramme, nimmt Geschenke entgegen, posiert für Selfies und gibt Antworten auf die Fragen von Reportern. Die kurze Stecke zwischen Eishalle und Hotel müssen wir mit dem Taxi zurücklegen, weil der Weg bereits von Besuchern, Fans und Schaulustigen, die noch schnell ein Foto knipsen wollen, völlig überfüllt ist. Im Vorbeifahren höre ich einen Reporter für einen Livebericht noch in sein Mikrofon rufen „He's the Russian Rockstar of Figure Skating!“ und es scheint mir kein bisschen übertrieben zu sein.

Es erinnert mich peinlich genau an das Grand Prix Finale in Sochi... Ich war damals einer der Ersten gewesen, der am Vortag des Grand Prix zum freien Training erschienen ist. Nicht, weil ich es nicht mehr abwarten konnte, mein Idol zu sehen, sondern weil Celestino-sensei bereits bei unserer Abreise in Detroit gesagt hatte, dass wir unbedingt jeden Tag vor den Russen in der Halle ankommen müssten, wenn wir uns nicht durch die Fanmassen von Viktor schlagen wollten. Trotz unserer frühen Ankunft standen schon so viele weibliche Fans Spalier, dass zusätzlich zum Hallenpersonal zwei zusätzliche Sicherheitskräfte den Eingang überwachten. Prinzipiell fingen alle Fans an zu kreischen, sobald auch nur ein Auto vorbeifuhr oder ein anderer Eisläufer die Halle betrat, sodass ich mich fragte, ob ich es überhaupt mitbekommen würde, wenn Viktor einträfe. Etwa eine halbe Stunde nach meiner Ankunft war es dann soweit und ich kam mir dumm vor, es wirklich in Frage gestellt zu haben, ob man den Unterschied hören könnte. Es war, als stünde man plötzlich mitten auf einem Rockkonzert, so laut war das Gekreische von draußen.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, weil ich wusste, dass Viktor jeden Augenblick in diese Halle kommen würde, aber es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Lautstärke der Fans verhalten abnahm, sodass man annehmen konnte, dass er es in das Gebäude geschafft hatte. Die anderen Mitglieder des russischen Teams waren schon lange vorher eingetroffen und hatten bereits mit Aufwärmübungen begonnen, als schließlich Viktor „Russian Rockstar“ Nikiforov in Begleitung von Yakov und einem anderen, blonden Mann in die Halle kam. Der Name des blonden Mannes war mir in Sochi unbekannt; heute weiß ich, dass es der Physiotherapeut Dr. Tschekowsky war. Von Viktor selbst war kaum etwas zu sehen gewesen, denn kaum war er in der Halle, war er auch schon wieder in einer der Umkleiden verschwunden.

Damals habe ich nur von abseits zugeschaut, heute stecke ich mittendrin in diesem bizarren Schauspiel und ich hätte mir im Leben nicht vorgestellt, dass es so krass werden würde.
 

Als wir es endlich in unser Hotelzimmer geschafft haben, bin ich heilfroh, dass außer Viktor und mir niemand anders im Raum ist. Ich fühle mich fix und alle, obwohl ich gar nichts gemacht habe. Es hat auch nicht wirklich jemand bemerkt, dass ich überhaupt da war. Der Einzige, der immer mal wieder einen scheuen Blick nach hinten riskiert hat, um zu sehen, wo ich war, war Viktor selbst. Seinem Gesicht habe ich ansehen können, dass er mich am liebsten an die Hand genommen hätte, was uns von Yakov und der Managerin im Vorfeld aber mehr als nur einmal untersagt worden ist, um uns selbst zu schützen und Negativschlagzeilen vorzubeugen. Schließlich seien wir in diesem Jahr auf dem Eis Konkurrenten und nicht Romeo und Julia.

Viktor ist gerade in die Dusche gestiegen, als ein Anruf auf seinem Handy ankommt. Da er das schon vermutet hat, hat er mich gebeten abzunehmen, sofern es sich um Yakov, Jelena oder die Managerin handeln würde. Es ist Yakov.

„Hallo.“

„Vitya?“

„Nein, hier ist Yuuri. Viktor ist-“

Klack. Yakov hat aufgelegt.

Was war das denn? Noch während ich mich wundere, schreibt Yakov eine Nachricht auf Viktors Handy in Englisch:
 

Victor shall come to the lobby in twenty minutes. Alone.
 

„Yuuri? Wer war das?“, ruft Viktor aus dem Bad und ich höre, dass er das Wasser abdreht.

„Yakov. Du sollst in zwanzig Minuten in der Lobby sein.“

„Was gibt es?“

„Hat er nicht gesagt. Er hat direkt aufgelegt, als er mich gehört hat, aber er hat eine Nachricht geschrieben.“

Es kommt keine Antwort, ich höre Gerubbel von Frottee auf Haut und kurz darauf steht er vor mir, greift wortlos nach seinem Handy und wählt Yakovs Nummer zurück. Er sieht nicht nicht gerade begeistert aus.

„Yakov, was ist? Warum redest du nicht mit Yuuri?“

Ich höre zu und beobachte.

„Mir hat niemand was gesagt von einem Termin. Termine laufen über Tatjana.“

Tatjana...? Die Managerin, erinnere ich mich. Sie wird ab morgen früh auch hier in Moskau sein, um Viktor zurück nach St. Petersburg und von dort aus direkt zu einem Interview zu begleiten... Auch so etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Wir haben unterschiedliche Rückflüge bekommen. Ich fliege mit Yakov und dem Team zusammen; Viktor und die Managerin fliegen getrennt von uns mit einer früheren Maschine.

„Yakov, ich bin noch keine halbe Stunde im Hotelzimmer, ich hab nicht mal richtig geduscht. Termine nur in Rücksprache mit Tatjana.“

Ich seufze und vermute, noch eine Nachfrage und Viktor geht der Hut hoch... Er ist angestrengt und müde und eigentlich wollten wir beide nur noch auf seinen Sieg anstoßen. Es bleibt aber verdächtig still. Yakov hält einen Monolog und Viktor hört ihm mit missgestimmten Blick weiter zu. Wie in Zeitlupe lässt der wenig erfreute Gesichtsausdruck allmählich nach und weicht Resignation. Ich kann die Antwort aus seinem Gesicht ablesen. Viktor wird in die Lobby gehen.

„Ich komme für eine halbe Stunde maximal. Mehr nicht. Ich habe ein Privatleben, Yakov.“

Er legt auf und sieht sofort, dass ich enttäuscht bin, dass er mich alleine lässt. Viktor setzt sich neben mich und umarmt mich, aber es beruhigt mich nur bedingt.

„Eine halbe Stunde“, flüstert er mir zu. „Yakov ist von einem Vorstandmitglied von Rostelecom angesprochen worden, weil ich ja auch in den Rostelecom Cup gelost worden bin und du weißt ja, dass das der Hauptsponsor ist... es tut so mir Leid, Yuuri.“

Viktor gibt mir einen Kuss und sieht mich mitleidig an. Ich nicke stumm und er steht auf, geht zu seinem Koffer und nimmt sich Unterwäsche, Shirt, Pullover und Hose heraus. Dabei fällt mein Blick auf das blaue Kästchen.

„Bald“, sagt Viktor in versöhnlichem Ton zu mir.

„Hm...“
 

Der nächste Tag wird nur bedingt besser.

Die Euphorie über Viktors gelungenes Comeback ist über Nacht von Moskau aus auf die gesamte Nation und darüber hinaus geschwappt und ich muss weiter eine unangenehme Erfahrung nach der anderen machen und auf die harte Tour lernen, was es heißt, mit dem besten Sportler des Landes liiert zu sein. Vor dem Hotel haben sich erneut große Gruppen von Fans versammelt (offenbar hat Viktor mehr als nur einen Fanclub), die zusammen mit Yurios Fanclub den kompletten Eingangsbereich einnehmen, sodass wir das Hotel durch die Hintertür verlassen müssen. Dort warten bereits zwei Großraumtaxen und eine Frau auf uns. Sie ist groß, schlank, hat kurze, blonde Haare und trägt ein graues Businesskostüm. Sie scheint um die Mitte dreißig zu sein und ihr Gesicht ähnelt dem einer Bulldogge. Tatjana Yakovleva, die Managerin, begrüßt uns einen nach dem anderen und gibt schließlich die Anweisung, dass Mila, Ekaterina, Georgi und Yurio zusammen mit Dr. Tschekowsky ins zweite Auto steigen sollen, während Viktor, Yakov, ich und sie selbst im ersten Taxi Platz nehmen werden. Ihr Ton ist sehr streng, aber trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass sie mir unsympathisch ist. Vielmehr scheint sie ihren Job ernst zu nehmen und bemüht zu sein, für jeden das Optimum rauszuholen.

Während der Fahrt stellt sie vorrangig mir, aber auch Viktor Fragen sowohl zu unserem Trainer-Schüler-Verhältnis als auch zu unserer Beziehung, um letztendlich unsere Privatsphäre entsprechend wahren zu können. Es ist mir teilweise sehr peinlich, wenn ich bedenke, dass Yakov mit uns im Taxi sitzt, selbst wenn er vorne beim Fahrer Platz genommen hat und die Rückbänke durch einen Sichtschutz von den Vordersitzen getrennt sind. Aber das würde sich jetzt nicht mehr ändern lassen.

Am Flughafen angekommen fährt unser Taxi einen anderen Weg und wir halten abseits des normalen Haupteingangs. Dort werden wir bereits von einer Flugbegleiterin von Rossija erwartet. Sie wird Viktor und Tatjana auf direktem Weg zu Boarding führen, sodass die beiden die Flughafenhalle gar nicht erst passieren müssen. Wir steigen aus und die Dame begrüßt uns mit einem freundlichen Lächeln. Sie lässt sich von Viktor und Tajana die Ausweise zeigen und ich bemerke, dass über ihrem Arm bereits die Gepäcktags hängen. Mit einem Danke gibt sie die Ausweise inklusive Boardingpass zurück und winkt einen Kollegen mit einem Gepäckwagen zu sich. Die Tags werden ohne ein weiteres Wort flink um die Griffe der beiden Koffer gewickelt, der Kollege lädt auf und verschwindet direkt wieder in Richtung Flughafenhalle. Das war der schnellste Check-in, den ich je erlebt habe.

Ich seufze und fühle mich unglaublich gehetzt und unruhig. Vor allem aber fehl am Platz. Aus meinem Unterbewusstsein drängen weitere Erinnerungen aus der Zeit nach oben, als ich selbst Viktor noch aus der Ferne beobachtet habe. Sie vermischen sich mit dem Hier und Jetzt und seit einer gefühlten Ewigkeit sehe ich Viktor plötzlich nicht mehr als Viktor, sondern wieder als dieses unerreichbare Idol vor mir, das er früher einmal für mich war. Wie in Sochi damals verbirgt sich Viktors Gesicht hinter einem dicken Schal und Sonnenbrille, auf seinen Kopf sitzt eine Beaniemütze, um die Haare zu verdecken, und der lange Mantel tut sein Übriges.

Ich muss schlucken und fühle mich ziemlich verloren. Von meinem Viktor, der gestern Abend noch spät zu mir ins Bett gekrochen ist und sich an mich gekuschelt hat, sehe ich in diesen Momenten überhaupt nichts mehr. Auch wenn ich weiß, dass er natürlich immer noch mein Viktor ist; nur dass er es einfach nicht zeigen kann.

„Yuuri, Yakov, wir gehen los.“

„Gut. “

„Wir sehen uns in St. Petersburg.“ Viktor schaut noch einmal zu mir. „Alles okay?“

„J-ja“, lüge ich schnell, aber ich weiß, dass er mich schon längst durchschaut hat. Viktor stupst mir mit einem rechten Zeigefinger auf die Nase und lässt ihn dort verweilen.

„Mach' nicht so ein trauriges Gesicht, Yuuri“, ermahnt er mich in liebevollem Ton. „Es gibt einen Unterschied zu früher. Du siehst ihn direkt vor dir.“

Ich halte kurz inne. Dann muss ich zögerlich lächeln und glaube, ich werde auch ein bisschen rot. Ja, einen kleinen Unterschied gibt es und ich fühle mich direkt seltsam beruhigt dadurch. Selbst dieser unerreichbare Viktor trägt immer noch meinen Ring an seinem Finger.
 

Dass Viktor nicht mit uns durch die Halle zum Check-in geht, ist Segen und Fluch zugleich. Neben einigen Fotografen und zwei Reporterteams warten auch hier kleinere Gruppen von Fans und ich wünschte mir, ich würde etwas weniger auffallen, aber als einziger Japaner innerhalb unserer Gruppe trage ich quasi Leuchtreklame um den Hals. Mila erklärt mir im Vorbeigehen, dass Viktors Fanclubs, Victoria und Golden Maiden, sich zwar gegenseitig nicht riechen können, in einer Sache aber der absolut gleichen Meinung sind: Dass Viktor ihnen gehört und niemandem sonst und einer der beiden Clubs verleiht seinem Unmut über meine Anwesenheit auch sehr deutlich mit einem Banner Ausdruck.

„Schau nicht hin, Yuuri.“ flüstert mir Mila mitfühlend zu, als wir die Aufschrift „Victor to us, Katsuki back to Japan“ hinter uns lassen. „Die Weiber von Golden Maiden haben 'nen Vollschuss. Wir hatten schon einige Scherereien mit denen. Viktor ist für sie ein Gott, der nur existiert, um irgendwann den ganzen Club zu schwängern. Ignorier' sie und bleib' bei mir und Ekaterina, ja?“

Das ist leichter gesagt als getan. Nicht nur, weil Viktor mein Trainer ist, sondern auch wegen des verpatzten Namensschilds bei den Nationals bin ich ein willkommenes Opfer der Reporter und werde ständig auf Viktor angesprochen, egal ob in professioneller Hinsicht oder klatschartiger Natur; beispielsweise ob das Namensschild einer Hochzeit vorweg gegriffen hat. Die strenge Anweisung von Tatjana heute morgen in diesem Fall lautete: „Das Namensschild ist ein Fehler gewesen, ansonsten kein Kommentar“. Ich weiß gar nicht, wie oft ich diesen Satz bis zum Abschluss des Check-ins wiederholt habe...

Nachdem wir die Handgepäckkontrolle passiert haben, wird es ruhiger um uns herum, aber es warten andere, stille Überraschungen auf mich: Als wir einen Zeitschriftenladen passieren, fällt mir auf, dass es kaum eine Tageszeitung gibt, die nicht irgendwo auf der Titelseite ein Bild von Viktor abgedruckt hat. Einige haben Bilder direkt aus den Nationals genommen, andere wiederum ältere Aufnahmen, aber Viktor ist überall präsent.

Mein Handy vibriert.
 

Alles okay bei dir?
 

Ja, wir sind gleich am Gate. Warum?
 

Tatjana hat ein Foto von dir vorm Check-in auf dem Twitteraccount einer Zeitschrift gefunden. Wurdest du bedrängt?
 

Ich zögere. Eigentlich ja, aber soll ich ihm das schreiben? Es kommt eine weitere Nachricht von Viktor; es ist der Link zu besagtem Foto, dazu der Text: „Bewährungsprobe! Überschattet der grandiose Sieg von Nikiforov das Verhältnis zu seinem Schüler?!“

Im Hintergrund ist auch das Banner „Victor to us, Katsuki back to Japan“ zu erkennen. Na super.

Viktor tippt weiter:
 

Das nächste Mal kommst du mit mir.
 

So schlimm war es nicht, antworte ich.
 

Aber mir ist es lieber, wenn du bei mir bist.
 

„Katsudon!“

Ich blicke vom Handy auf. Yurio, Mila, Ekaterina, Georgi und Yakov haben sich in der Nähe unseres Gates an einen Tisch gesetzt und schauen mich an. Ich tippe Viktor noch schnell ein „Mir auch“ zurück, dann setze ich mich zu ihnen. Sie haben alle, außer Yakov, ein Blatt Papier vor sich liegen und einen Stift in der Hand.

Yurio grinst mich herausfordernd an: „Spielst du mit uns Stadt, Land, Fluss(*)?“

„Äh, ich kenne das Spiel nicht“, entgegne ich etwas unsicher.

„Mega einfach. Wir erklären dir's“, sagt er. „Wir machen das immer am Flughafen zum Zeitvertreib. Und vielleicht bist du ja cleverer als Mr Superstar?“

„Ist Viktor gut in dem Spiel?“

Einen kurzen Moment herrscht Stille, dann bricht der Tisch in Gelächter aus. Irgendwas sagt mir, dass das Gegenteil der Fall ist. Etwas irritiert schaue in die Runde, denn selbst Yakov hat seine Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Georgi beruhigt sich als Erster und klopft mir auf die Schulter.

„Sagen wir mal, Viktor ist kreativ in dem Spiel. Das wäre die nette Variante zu sagen, dass seine Haare viel heller sind, als das, was drunter ist.“

„Die Ente!“, johlt Mila und hält sich schon den Bauch vor Lachen. Jetzt kann auch Yakov nicht mehr an sich halten und lacht, aber gleichzeitig senkt er den Kopf und schüttelt ihn. Jetzt würde ich zu gerne wissen, worum es geht... ich habe noch nie erlebt, dass so kollektiv Witze über Viktor gemacht wurden, abgesehen von den Chihoko-Witzen natürlich.

„Also, Katsudon, das Spiel geht so:“, versucht Yurio mich trotz allem Gegluckse aufzuklären. „Wir suchen zuerst Kategorien aus, wie 'Stadt', 'Land', 'Fluss', 'Berg', 'Tier' und so weiter. Dann geht einer im Kopf das Alphabet durch. Ein anderer sagt Stopp. Und mit dem Buchstaben muss man dann eben eine Stadt, ein Land, einen Fluss etc. aufschreiben und zwar so schnell wie möglich.“

„Gut, verstehe. Und das kann Viktor nicht?“

„Er kann das schon“, wiederholt Georgi und muss auch schon fast wieder lachen. „Aber die Antworten sind wie gesagt... sehr kreativ eben.“

„Wir machen dieses Spiel oft, damit sie in den Köpfen während der Saison fit bleiben und nicht alles Schulwissen wieder vergessen“, schaltet sich Yakov in die Unterhaltung ein, um das was kommt noch zu irgendwie zu entschuldigen. „Aber Vitya hat schon immer ein Gedächtnis wie ein Sieb gehabt.“

„Bei der Ente saßen wir alle zusammen in Pulkovo in der Lounge, weil wir wegen schlechtem Wetter nicht starten konnten“, kichert Mila weiter. „Viktor hat geschlafen und wir hatten ohne ihn angefangen. Aber auf seine Antworten wollten wir nicht verzichten, also hat Georgi ihn gerufen, er solle ihm schnell einen Vogel mit 'G' nennen.“

„Aber Ente beginnt doch mit 'E'?“, stelle ich verdutzt fest. Also soviel Russisch kann ich, um das zu wissen.

„Schon, Katsudon,“ grinst Yurio und muss sich beherrschen, nicht schon wieder zu lachen, „Viktor hat ja auch 'Gebratene Ente' geantwortet.“

Erneut brechen Mila, Ekaterina, Georgi und Yurio in Gelächter aus.

Ich bin sprachlos und möchte weinen. Oder mitlachen. Ich glaube, kreativ ist in der Tat die einzig richtige Beschreibung, so eine Antwort durchgehen zu lassen. Und leider besteht auch keinerlei Zweifel, dass Viktor zu so einer Antwort fähig ist. Da muss ich mich echt fragen, was erstaunlicher ist: Dass Viktor mit mir zusammen ist oder dass er es zu einem Rockstar-Image gebracht hat.
 

Zurück in St. Petersburg haben wir noch etwa zweieinhalb Wochen Zeit, bis die Vorentscheide zum Grand Prix beginnen. Tatjana kommt gleich am Tag nach unserer Rückkehr zu uns nach Hause, um mit Viktor eine Vorauswahl von Interviews, Werbeverträgen und Fernsehauftritten durchzugehen. Da Viktors Zeit in dieser Saison wegen mir sehr begrenzt ist, müssen die Anfragen stark reduziert werden.

„Also, Viktor,“ beginnt unser Besuch direkt, noch bevor sie auf dem Sofa Platz genommen hat. Tatjana ist eine Frau, die keine Zeit verschwendet haben will. Diesen Eindruck hatte ich bereits während der Fragerunde mit ihr im Taxi gewonnen, aber sie ist dabei durchaus entspannt und verbreitet keine Hektik in dem Sinne. Auf dem Weg zum Sofa redet sie weiter: „du hast mehr Anfragen als erwartet, die prügeln sich regelrecht um dich. Deswegen habe ich gestern Abend schon die Vorauswahl getroffen. Die Fernsehauftritte werden alle abgesagt, schließlich sieht man dich bei den Wettkämpfen im Fernsehen und davon abgesehen kostet dich das zu viel Zeit. Für Interviews gibt Yakov dir einen Tag, und ich werde drei verschiedene Magazine einladen. Zwei Nationale, ein Internationales. Einen weiteren Tag wirst du eine Werbekampagne shooten und die würde ich auch nicht in Erwägung ziehen, wenn das nicht ein wirklich großer Fisch an der Angel wäre.“

Ich schaue Viktor irritiert an und frage leise: „Ich dachte, sie will die Anfragen besprechen und uns nicht einfach die Entscheidung mitteilen?“

„Sei unbesorgt. Sie macht den Job seit über vier Jahren für mich. Sie weiß, was sie tut.“

Viktor nimmt meine Hand und wir folgen Tatjana zum Sofa, auf dem sie bereits einiges an Papierkram neben sich auf der Sitzfläche ausgebreitet hat. Auf ihren Beinen liegt ein Tablet und sie ruft gerade die entsprechenden Anfragen in ihren Emails auf. Weil nicht mehr genug Platz zum Sitzen für uns beide ist, zieht mich Viktor auf seinen Schoß und er legt seinen Kopf auf meinen Rücken. Tatjana gibt ihm direkt zwei zusammen geheftete Stapel in die Hand, ohne von ihrem Tablet aufzuschauen.

„Das sind die nationalen Interviews. Lies' dir die Fragen kurz durch. Die unseriösen hab ich bereits ausgestrichen.“

Viktor greift unter meinen Armen durch und nimmt die Fragebögen entgegen. Er hält sie so, dass ich mitlesen kann. Oder zumindest das, was ich verstehe.

„Standard“, kommentiert Viktor trocken, nachdem er die Blätter kurz überflogen hat. „'Wie fühlen Sie sich nach Ihrem Sieg?', 'Werden Sie den Sieg im Grand Prix anstreben?', 'Wie intensiv haben Sie sich vorbereitet?'... 'Wäre es erstrebenswert, Ihrem eigenen Schüler Yuuri Katsuki gegenüberzutreten?' Was?“

„Ich habe alle Fragen in denen Yuuri erwähnt wird raus genommen, bis auf die, die mit dem Sport und den Wettkämpfen zu tun haben“, erläutert Tatjana. „Die sind legitim. Aber der Großteil der Fragen dreht sich eher darum, ob ihr liiert seid, was diese Ringe wirklich bedeuten, ob die Rivalität auf dem Eis eure Beziehung beeinträchtigt und so weiter.“

„Gut, danke dir. Ich bereite dann die Antworten vor“, antwortet Viktor und legt die Fragebögen zur Seite.

„Und was ist dieser große Fisch in Sachen Werbung?“, frage ich neugierig.

„Ja“, sagt Tatjana und sieht von ihrem Tablet zu uns rüber. „Halt dich fest.“

Viktor und ich warten gespannt.

„Wenn du an Weihnachten und Werbung denkst, was kommt dir in den Sinn?“

Viktor überlegt, aber ich kann nicht widerstehen und murmele: „Gebratene Ente?“

„Was? Yuuri!!!“ Viktor sieht mich völlig schockiert an, während ich mich beherrschen muss, nicht zu sehr zu lachen. Tatjana überspielt den Kommentar gekonnt und wartet einen Moment, bevor sie ihre Frage noch einmal wiederholt:

„Also, Weihnachten und Werbung. An was denkst du?“

„Keine Ahnung. Jeder macht viel Werbung zu Weihnachten.“

„Fällt dir eine Marke ein, die jedes Jahr um Weihnachten besonders einprägend wirbt?“

Es bleibt still. Dann werden seine Augen groß und er drückt sich an mich. „Eine fällt mir ein. Wegen den Trucks.“

Tatjana nickt.

„Was?!“ Viktors Augen weiten sich und meine nicht minder.

„Ja,“ lächelt die Managerin zufrieden, „genau die wollen dein Gesicht auf der diesjährigen Weihnachtskampagne. Auf das fertige Foto kommt dann noch ein kleiner, computeranimierter Eisbär.“

Ok... Das ist jetzt wirklich…krass.


Nachwort zu diesem Kapitel:
[Yuuri, bald fliegen wir nach Paris <3 / Viktor, nicht so laut! Yakov kann uns hören... / Katsudon, kannste was für Detroit empfehlen? / Eh, wieso? / Irgendwas cooles, wo man abhängen kann... / Yuuri, Otabek ist auch beim Skate Amerika, ob Yurio ein Date hat? / Halt dich raus, Alter!]

10. Kapitel: Croissant, Baguette, Eiffeltürm – Bienvenue à Paris! (with love)


Zusatzinfos: Interview mit Viktor Nikiforov

(*) Ich konnte nicht herausfinden, ob man das Spiel in Russland kennt oder nicht. Aber ich wollte die Ente unbedingt drin haben XD“ Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  --lina--
2017-08-21T21:45:41+00:00 21.08.2017 23:45
Das Kapitel war suuuuper schön :3

Hast du dich also doch gegen die "Golden Girls" entschieden xD Aber "Golden Maiden" ist auch ok ;)

Hach ja.. Stadt, Land, Fluss und unser "Blondchen" xD Herrlich! Und man traut es ihm tatsächlich zu.
Und dass Yuuri so frech ist und Viktor damit aufzieht xD Beziehungen sind was lustiges.

Ich bin super gespannt auf das kommende Kapitel, finde die "Vorschau" schon so interessant.. Wird es einen Otayuri Moment geben? :p
Ich freu mich schon!
Liebe an dich ❤️
Antwort von:  Flokati
22.08.2017 07:39
Ach komm... ;) Nach nem guten Jahr Beziehung darf Yuuri auch mal ein bissel frech werden.

Ja, das nächste Kapitel. Schaun wir mal xD

Danke für deinen Kommi <3
Antwort von:  --lina--
22.08.2017 10:50
Ja natürlich darf er das ❤️ Was sich neckt, das liebt sich. Viktor ist ja nicht weniger frech zu ihm. Kleines Schweinchen *hust*
Von daher: ausgleichende Gerechtigkeit ;)
Von:  Sumino
2017-08-21T20:33:06+00:00 21.08.2017 22:33
Gebratene Ente xD auf sowas muss man echt erst mal kommen haha
Antwort von:  Flokati
22.08.2017 07:49
Vielleicht hat er von Essen geträumt gehabt? ;P
Danke für deinen Kommi :)


Zurück