Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 26: Nachtmahr --------------------- Harry war erst in den frühen Morgenstunden von seinem Treffen mit Voldemort zurückgekehrt und hatte keinen Schlaf mehr bekommen.   Malfoy hatte Harry, wie er es versprochen hatte, noch eine einfache Entspannungstechnik gezeigt, die allerdings Wunder gewirkt hatte. Nachdem der Todesser sie zurück nach Hogsmeade appariert hatte, ging es Harry richtig gut. Ihm war zwar noch ein wenig schwindelig, aber alle anderen Symptome, die er sonst nach dieser Art der Fortbewegung hatte, waren verschwunden.   Die Technik sollte ebenfalls beim Reisen durch das Flohnetzwerk helfen und konnte aber auch bei Portschlüsseln angewendet werden. In Zaubererfamilien lernten sie die Kinder schon sehr früh, weil lange Besenflüge einfach nicht in Frage kamen. Apparieren oder Reisen durch Kamine oder per Portschlüssel waren die einzigen Optionen, wenn man schnell von einem Ort zu einem anderen gelangen wollte.   Die Weasleys hatten nicht daran gedacht, Harry diese Methode zu zeigen, bevor sie ihn das erste Mal durch einen Kamin geschickt hatten. Auch danach nicht, obwohl er offensichtlich Probleme hatte und nicht nur, weil er an einem völlig falschen Ort das Flohnetzwerk wieder verlassen hatte. Aber Harry macht ihnen daraus keinen Vorwurf. Ihre Kinder hatten seit Jahren keine Probleme beim Reisen gehabt und sicher kam es ihnen nicht in den Sinn, dass Harry diese Technik nicht kannte, war er doch noch ein Jahr älter als ihr jüngstes Kind.   Dennoch hinterließ es einen fahlen Nachgeschmack auf seiner Zunge. Es war ein weiteres Zeichen für Harry, dass er sich richtig entschieden hatte. Nicht die Leute, die ihm am nächsten standen, sondern die, die eigentlich seine Feinde sein sollten, erkannten sein Problem und halfen ihm sofort. Malfoy hatte ihm nicht nur diese Technik gezeigt, sondern ihm beim Verabschieden sogar noch einen Stärkungstrank in die Hand gedrückt, den Harry dankbar entgegengenommen hatte. Er hatte heute eine ganz neue Seite an Malfoy kennengelernt und festgestellt, dass er ihn sogar mochte, wenn er Harry nicht von oben herab behandelte.   Harry musste über seine Gedanken lächeln, als er direkt nach seiner Ankunft im Eulenturm in seinem Tarnumhang verhüllt, die Treppen zu den Kerkern hinuntereilte. Er war eh schon zu spät, um seinen Hauskameraden vorzumachen, dass er den Gryffindor-Turm nicht verlassen hatte und so konnte er auch noch versuchen, Draco vor dem Frühstück abzufangen, um ihm von seinem Treffen zu berichten. Vielleicht hatte ja der Slytherin eine gute Idee, wie sie sich von Bletchley verabschieden konnten.   Seine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Harry fand Draco lässig an einer Wand gelehnt, fern vom Slytherin-Gemeinschaftsraum. Keine Menschenseele war in der Nähe. Direkt neben Draco befand sich eine Tür. Harry wusste nicht, was sich dahinter befand, aber der Raum war leer, also schnappte er sich den Slytherin, der überrascht aufquiekte und zog ihn in das Zimmer.   „Nimm deinen Tarnumhang ab, Potter.“, rief Draco gereizt und ein bisschen zu laut, um seine Verlegenheit über den sehr unmännlichen Laut zu überspielen.   Harry lachte leise und kam der Aufforderung nach. „Tu nicht so. Du sahst aus als hättest du auf mich gewartet. Oder habe ich gerade ein heimliches Stelldichein vereitelt?“   Draco verleierte genervt die Augen und ging auf eine der Bänke zu. Nach einem schnellen Reinigungszauber setzte er sich und bedeutete Harry, neben ihm Platz zu nehmen.   Harry seufzte. Das musste so eine Slytherin-Sache sein oder warum sonst hatten seine drei Lieblingsschlangen das Bedürfnis, ihn mit Rumfuchteln ihrer Hände zum Hinsetzen aufzufordern? Erst Severus bei ihrer Aussprache, dann Voldemort letzte Nacht und jetzt Draco. Nichtsdestotrotz setzte Harry sich.   Er schaute sich um und versuchte rauszufinden, wo er sich befand. Das Zimmer war ihm völlig unbekannt und auch sein früherer Zweck erklärte sich anhand der Einrichtung nicht. Das erste, was Harry auffiel, war, dass es nicht mehr benutzt wurde. Überall lag eine dicke Staubschicht auf den Bänken und wenigen leeren Regalen. Die Bänke standen im Kreis, zweireihig, in der Mitte eine große freie Fläche. An den Wänden hingen keine Gemälde und auch sonst waren keine Statuen oder ähnlicher Schmuck zu finden. – ‚Gut.‘ – Die einzigen Fußspuren im Raum waren von ihm und Draco.   „Natürlich habe ich auf dich gewartet. Schon seit Stunden.“ Draco klang leicht verärgert.   „Was? Hast du mich etwa vermisst?“   Zur Antwort bekam Harry einen leichten Zwickfluch in den Oberarm und rieb sich lachend die malträtierte Stelle.   „Das gleiche könnte ich über dich sagen. So wie du aussiehst, bist du direkt nach deiner Ankunft zu mir gekommen. Habe ich dir so gefehlt?“ Etwas war in seinen Augen, das Harry nicht deuten konnte. Aber es war so schnell wieder verschwunden, dass er es sich auch eingebildet haben könnte.   „Träum weiter, Malfoy.“ Harry musste sich zusammenreißen und sich den hypnotischen hellgrauen Augen lösen. „Ich wollte dir lediglich erzählen, was bei dem Treffen passiert ist.“   „Waaas? So schnell wieder beim Geschäftlichen? Und dabei dachte ich, wir könnten vorher noch ein bisschen Spaß haben.“ Dracos Stimme wurde eine Nuance tiefer, verführerischer und ein wohliges Kribbeln breitete sich in Harrys Körper aus.   Irritiert schaute Harry Draco an und sein Blick verfinsterte sich. Er wurde schlagartig wütend. Nicht auf Draco, sondern auf sich selbst, weil er sich so sehr von Dracos Verhalten beeinflussen ließ.   Abrupt stand Harry auf und wollte zum Ausgang gehen. „Vergiss es. Wenn es dich nicht interessiert, gehe ich halt wieder.“ Er wurde von einer Hand an seinem Umhang aufgehalten.   „Jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt. Ich will wirklich wissen, was los war.“, sagte Draco entschuldigend.   Harry atmete tief durch und ließ sich wieder auf seinen Platz ziehen. „Na schön.“   Er erzählte, was vorgefallen war, wie sich Dracos Vater ihm gegenüber verhalten hatte, Bellatrix‘ erbärmliche Darbietung – Draco verzog dabei angewidert das Gesicht und musste am Ende der Geschichte schadenfreudig lachen – und am wichtigsten, der Teil über Bletchley. Natürlich ließ Harry alles über die Prophezeiung und den Todesfluch aus.   „Hast du eine gute Idee, was wir mit Bletchley machen können?“, fragte Harry, nachdem er mit seinem Bericht fertig war.   Draco ließ sich Zeit mir seiner Antwort. Er war tief in Gedanken versunken und eine kleine Falte entstand auf seiner Stirn.   „Alptraumsamen.“, murmelte er schließlich.   Harry war sich nicht sicher, ob er ihn richtig verstanden hatte. Alptraumsamen? Davon hatte er noch nie etwas gehört. „Hmm? Was soll das sein?“   Harry beobachtete Draco, wie er aus seiner Erstarrung erwachte und sich ein hinterhältiges Lächeln auf seine Züge legte. Wie jedes Mal, ließ ihn dieses Lächeln nicht kalt und Harry versuchte den Kloß herunterzuschlucken, der sich in seiner Kehle gebildet hatte.   „Das ist ein Samen eines schwarzmagischen Artefaktes, das sich seit mehreren Generationen im Besitz meiner Familie befindet. Ich vermute, du hast noch nie etwas von Nachtmahr gehört?“ Draco schaute Harry erwartungsvoll an.   Dieser Begriff war Harry völlig unbekannt. Er hatte schon über einige schwarzmagische Gegenstände gelesen, aber Nachtmahr war keines davon gewesen. Fragend schüttelte er den Kopf.   „Ach Potter! Schon so tief in die Dunklen Künsten abgestiegen, aber immer noch so unschuldig.“, neckte Draco ihn.   Harry warf ihm einen giftigen Blick zu und bedeutete ihm weiterzureden.   Draco gluckste leise. „Es ist ein sehr seltener Gegenstand. Genauer gesagt, habe ich bisher nur von dem einen Stück gehört und niemand weiß mehr, wie es in unsere Familie gelangt ist. Ich vermute aber, dass einer meiner Vorfahren es selbst hergestellt hat.“   Harry hörte gebannt zu. Es war allgemein bekannt, dass die Malfoys einen Hang zu den Dunklen Künsten hatten, weswegen sie vom Ministerium auch immer genauer unter die Luppe genommen wurden. Aber gefunden hatte man bei ihnen bisher noch nichts. Sie mussten geheime Räume mit sehr starken Schutzzaubern haben, wenn selbst die unbestechlichen Auroren ihre Unschuld beteuerten.   „Mein Vater hat mir erzählt, dass es die linke Hand eines dunklen Zauberers gewesen ist. Sie wurde ihm abgeschlagen, während er noch lebte und auf das Horn eines Einhornes gesteckt, das von ihm selbst abgetrennt worden war. Das Ganze wurde dann in einen Topf mit Graberde gesteckt und mit dem Blut des Zauberers und des Einhornes gegossen, bis es Wurzeln geschlagen hat. Irgendwann fingen dann die Finger an zu wachsen und sich zu verästeln, wie ein kranker Bonsai, nur mit trockenem, rissigen Leder anstatt Rinde. Ungefähr aller 60 bis 70 Jahre blüht das Ding. Mitten auf der Handfläche entsteht eine blutrote Blüte mit sieben Blütenblättern. Wenn sie verblüht ist, bleibt ein kleiner Samen zurück. Der Alpraumsamen.“   „Du hast es blühen gesehen?“, fragte Harry leise. Es musste ein unglaublich schönschauriger Anblick sein.   „Ja. Ich war noch sehr klein. Fünf oder sechs Jahre alt. Mein Vater war dagegen. Er wollte mich nicht so zeitig mit schwarzmagischen Artefakten in Berührung bringen. Aber meine Mutter hat tagelang von nichts anderem gesprochen und ich war zu neugierig. Also habe ich gebettelt, bis er es mir gezeigt hat. Es war wunderschön. Ein Tropfen leuchtendes tiefes Rot auf dem schwarzen verrottenden Fleisch.“   Harry sah Draco nachdenklich an. Draco glaubte, dass einer seiner Vorfahren, diese… Pflanze… hergestellt hatte? Meinte er damit, dass die Hand einem seiner Vorfahren abgeschlagen worden war? Hatte er es vielleicht sogar selbst getan? Es war für Harry schwer vorstellbar, dass jemand so verrückt sein konnte. Obwohl… Er kannte einen dunklen Zauberer, der sich ein Stück seiner Seele herausgerissen hatte, sechs Mal sogar. So gesehen, war es gar nicht so schlimm, sich nur eine Hand abzuschlagen. Die Frage war doch, was man für sein Opfer bekam.   „Was macht der Samen?“   „Oh!“ Dracos Augen begannen zu funkeln und er sah Harry mit einem teuflischen Grinsen an. „Er verursacht starke Alpträume.“   Harry zog eine Augenbraue hoch. Das war zu einfach. „Einfach nur Alpträume?“   Draco lachte. „Nein, nicht einfach nur Alpträume. Du musst den Samen schlucken. Das geht am besten, wenn man es in einem Getränk auflöst. Es ist absolut unauffällig. Keine Farbe, keinen Geruch, keinen Geschmack. Einmal runtergeschluckt, bleibt es im Körper, egal was du machst. Selbst wenn du dich direkt danach erbrichst. Es setzt sich dann in deinem Unterbewusstsein fest und schickt dir jede Nacht Alpträume. Es beginnt ganz langsam. Erst nur unschöne Erinnerungen. Aber es wird mit jeder Nacht schlimmer und irgendwann überfluten deine Schlimmsten Ängste deine Träume, bis du Angst hast, einzuschlafen.“   Harry schluckte. Er wollte sich das nicht bei sich selbst vorstellen. Er hatte in seinem Leben bereits genug Alpträume gehabt. „Woher weißt du das so genau?“   „Mein Großvater hatte es mit erzählt, bevor er die Drachenpocken bekam. Er hatte einen Samen einem ehemaligen Klassenkameraden verabreicht. Sie hatten Streit oder sowas. Großvater konnte sich nicht mehr daran erinnern, was passiert war, aber dafür an den Fluch in allen Einzelheiten. Ich war sehr traurig, als er starb. Für Zaubererverhältnisse war er noch sehr jung, aber zu alt als dass das Heilmittel gegen Drachenpocken noch hätte helfen können.“   „Das tut mir sehr leid.“, hörte sich Harry sagen. Seine Finger zuckten, aber er widerstand dem Drang, seine Hand tröstend auf Dracos zu legen.   „Muss es nicht. Es ist schon lange her. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, bei seinem Lebenswandel ist es verwunderlich, dass er überhaupt solange gelebt hat und nicht hinterrücks von irgendwelchen rachedurstigen Zauberern ermordet wurde.“ Draco lachte leise über einen Witz, den nur er verstand.   „Und du hast den Samen?“   Draco nickte.   „Hier in Hogwarts?“   Wieder ein Nicken. „Keine Sorge, er ist gut versteckt und durch mehrere Schutzzauber und Flüche gesichert.“   „Dein Vater hat ihn dir überlassen? In dem Alter?“ Harry wurde blass. Allein die Vorstellung, dass Draco diesen Samen gegen ihn hätte nutzen können, würde ihn für mehrere Wochen Alpträume bescheren.   Draco musste seine Gedanken erraten haben, denn er fing plötzlich an zu lachen. „Keine Sorge, Potter. Mein Vater war nicht so blöd, einem dummen kleinen rachsüchtigen Jungen etwas so Gefährliches zu überlassen. Ich habe ihn diesen Sommer als Geschenk bekommen, als ich mein Dunkles Mal erhalten habe.“   Irgendwie beruhigte Harry das nicht wirklich. „Und du würdest ihn wirklich gegen Bletchley verwenden?“, fragte er so ruhig wie möglich.   „Aber sicher.“ Draco antwortete ohne zu zögern. „Immerhin wäre ich wegen dieses Idioten fast gestorben. Ich wüsste niemanden, den ich lieber mit Alpträumen verfluchen würde.“   Harry wusste, dass ihn der Blick, den der Slytherin ihm bei diesem Worten zuwarf, nur necken sollte, aber er konnte nicht verhindern, dass sich ein mulmiges Gefühl in ihm ausbreitete. Die Seiten gewechselt zu haben, war in mehr als nur einer Hinsicht die richtige Entscheidung gewesen. Er wollte sich nicht ausmalen, wie es wäre, jede Nacht mit seinen schlimmsten Ängsten konfrontiert zu werden.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Alles hatte so funktioniert, wie sie es erwartet hatten. Harry war nach seinem Treffen mit Draco hoch in den Gryffindor-Turm gegangen, sein Besen die beste Ausrede, was er so früh schon draußen gemacht hatte, die er hätte haben können, während Draco den Alptraumsamen holen war.   Beim Frühstück war Harry so auf den Slytherin-Tisch fixiert gewesen, dass er kaum etwas davon mitbekam, was seine Hauskameraden erzählten. Granger sah ihn die ganze Zeit warnend an, aber Harry ignorierte sie. Sie hatten in der letzten Zeit nur das Nötigste miteinander gesprochen und Harry war es nur recht.   Bletchley hatte ihn die ganze Zeit über angestarrt. Harry wusste, was er dachte. Sein Missfallen, dass Harry noch lebte, war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber er schien nicht beunruhigt. War der Idiot wirklich so sehr von sich überzeugt?   Den Rest des Frühstücks beobachtete Bletchley Harry genau. Das gab Draco genügend Zeit, den Alptraumsamen unauffällig in sein Glas fallen zu lassen. Harry grinste und prostete Bletchley leicht zu. Keiner außer dem Slytherin bemerkte es. Leicht irritiert verzog er seine Augen zu Schlitzen, trank dann aber das ganze Glas in einem Zug aus, ein böses Funkeln in seinen Augen.   Ein wohliger Schauer ging durch Harry und er konnte spüren, wie sich seine dunkle Seite vor Selbstzufriedenheit rekelte. Er nickte Draco kurz zu und widmete sich dann seinen vernachlässigten Hauskameraden.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Mehrere Stunden später saß Harry beim Mittagessen in der Großen Halle und versuchte krampfhaft die Augen offen zu halten. Der Stärkungstrank, den Malfoy ihm gegeben hatte, verlor seine Wirkung und der Schlafmangel forderte seinen Tribut. Er wollte nur schnell sein Essen runterschlingen und dann hoch in den Turm gehen, um sich wenigsten eine halbe Stunde vor dem nächsten Unterricht hinzulegen und zu schlafen. Die Müdigkeit vertrieb aber den Hunger und Harry starrte nur vor sich hin, während seine volle Gabel irgendwo zwischen seinem Mund und seinem Teller stecken blieb und Kürbis-Tomaten-Soße mit Gehacktes zurück auf seinen Teller tropfte.   Während seine Augen immer weiter zufielen, wurden Harrys Gedankengänge immer verworrener. Die Soße auf seinem Teller erinnerte ihn an Voldemorts Augen, die Spritzer durch sein verkleckertes Essen, an Blutstropfen. Er dachte an Bletchley und dass er ihn seit dem Frühstück nicht mehr gesehen hatte, genau wie Voldemort es angekündigt hatte und glaubte dann, den Slytherin zu sehen, wie er in seinem Essen badete, die zerstörte Aufzeichnung der Prophezeiung wieder völlig intakt in seiner Hand haltend.   Bletchley winkte Harry zu und versuchte dann einem weiteren Kleks auszuweichen, der sich von Harrys Gabel löste. Er schaffte es aber nicht rechtzeitig und wurde von einem großen Stück Gehacktes ertränkt und riss die Glaskugel mit sich in die Kürbis-Tomaten-Soße.   Eine Stimme zwang ihn, seinen Blick nach vorn zu richten und Harry sah in besorgte dunkelbraune Augen. Harry war sich sicher, dass er einen grünen Lichtblitz in ihnen sah und eine blitzförmige Narbe bildete sich auf dem linken Nasenflügel seines Gegenübers. Das war merkwürdig. Harry war sich sicher, dass die Narbe dort nicht sein sollte. Etwas war hier falsch. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu konzentrieren.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Ein kleines Wesen ohne Nase, aber viel zu großen Ohren – oder waren das Flügel? – flatterte um ihn herum und sagte immer wieder diesen einen Satz. Dann flatterte es mit seinen Flügelohren auf die andere Seite des Tisches, an dem ein Schlangenmann saß und servierte ihm Tee.   Der Schlangenmann deutete auf die Mitte des Tisches und Harry sah die Prophezeiung. ‚Dann ist sie ja doch nicht kaputtgegangen. Das ist gut.‘, dachte er erleichtert. Das Leuchten in der Glaskugel wurde stärker und Harry konnte ein Gesicht darin erkennen. Ein Junge. Harry kannte ihn. Dunkelbraune Augen. Hatte er die nicht gerade eben noch gesehen?   Harry schaute hoch, aber da saß immer noch der Schlangenmann. Er bewegte seine Lippen.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Er musste ihn töten. Harry musste den braunäugigen Jungen töten. Sonst würden er und der Schlangenmann sterben.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Es gab keinen anderen Weg. Entweder Longbottom oder Voldemort und Harry.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Blitzschnell zog Harry seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Glaskugel. ‚Avada Kedavra!‘ Die Prophezeiung zersprang in einem Regen aus roten und grünen Splittern.   „HARRY! WACH AUF!“   Harry schreckte hoch. „Was?“ Er sah sich um und sah seine Klassenkameraden ihn mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken anstarren. Granger, die neben ihm saß, bedachte ihn mit einen missbilligen Blick. Mini-Weasley auf seiner anderen Seite hatte ihnen Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und den Kopf in die Handfläche gelegt. Ihr Mund war zu einem leichten Lächeln verzogen und ihre Augen blickten verträumt zu ihm hinauf.   Die anderen schienen mehr belustigt zu sein. Vor allem die Mädchen aus seinem Jahrgang steckten die Köpfe zusammen und kicherten, während die Jungs nur breit grinsten. Als letztes blieb sein Blick an Longbottom hängen, der ihm genau gegenüber saß. Im Gegensatz zu den anderen wirkte eher besorgt. Harry musste hart Schlucken.   „Alles okay mit dir, Harry?“, fragte Longbottom, seine Stimme voller ehrlicher Besorgnis.   Harry nickte und versuchte wieder einen klaren Kopf zu bekommen und den verstörenden Traum abzuschütteln.   „Du bist ganz plötzlich weggetreten, Alter.“, sagte Weasley unnötiger Weise und deutete dabei auf Harrys linken Arm. Das breite Grinsen und kleinen Grunzlaute zeigten sehr deutlich, wie er sehr er sich gerade amüsierte.   „Erg!“ Harry hätte sich am liebsten wegen seiner Dämlichkeit vor dem Kopf geschlagen. Er hatte es geschafft, den linken Ärmel seines Umhangs in sein Essen zu tauchen. Warum hatte er ihn nicht vorher ausgezogen? Er konnte von Glück sagen, dass sein Gesicht, auf seinem Arm neben dem Teller gelandet war.   „Ich glaube, ich werde mich noch ein bisschen hinlegen, bevor der Unterricht weitergeht.“ Harry versuchte aufzustehen, wurde aber von Granger aufgehalten.   „Willst du nicht lieber zu Madam Pomfrey?“ Sie klang besorgt, aber Harry kam nicht umhin, sich von ihr bevormundet und kontrolliert zu fühlen. „Wenn du wieder Alpträume hast und deswegen nicht schlafen kannst…“   „Ich habe keine Alpträume.“, unterbrach er sie. Seine Müdigkeit ließ seine Stimme viel sanfter klingen als beabsichtigt. „Ich konnte die Nacht einfach nicht schlafen. Das ist alles.“   Sofort verstummte Granger und ihr Gesicht erstarrte zu einer ausdruckslosen Maske.   „Ich bringe dich in den Turm, Harry.“, quietschte Mini-Weasley. Sie wollte gerade aufstehen, als Harry seine Hand auf ihre Schulter legte und sie sanft, aber bestimmt an Ort und Stelle hielt.   „Das ist nicht nötig. Ich brauche einfach ein bisschen Ruhe.“   „Oh! In Ordnung.“ Mini-Weasley zog einen Schmollmund, widersprach aber nicht.   „Bist du dir sicher, dass du das alleine schaffst?“, fragte Finnigan, seinen Mund zu einem breiten Grinsen verzogen. „Immerhin bist du eben schon weggetreten.“   „Ja, ich schaffe das.“, antwortete Harry gereizt. Sie hatten sich jetzt lange genug über ihn amüsiert.   „Keine Sorge. Falls du auf dem Weg einschläfst, sammeln wir dich nachher ein.“   Es wunderte Harry nicht, dass Thomas auch noch einen Kommentar loswerden musste. Aber er ging nicht darauf ein. Ein ungesagter Ratzeputz ließ jeden weiteren Kommentar verstummen. Die meisten seiner Klassenkameraden hatten immer noch Probleme ohne Worte zu zaubern und zu sehen, wie Harry es schaffte, ohne überhaupt darüber nachzudenken, machte ihre gute Laune zunichte.   ‚Gut so.‘   Ohne seinem Tisch noch eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte Harry sich um und verließ die Große Halle.   Auch wenn Harry es niemals zugeben würde, aber er müsste wirklich aufpassen, dass er nicht unterwegs einschlief. Und auch wenn er sich dann noch eine halbe Stunde hinlegte, würde er den Rest des Tages mit seiner Müdigkeit kämpfen und dem Unterricht nicht folgen können. Er bräuchte einen weiteren Stärkungstank, wenn er den Tag überstehen wollte.   Zu Pomfrey würde er auf keinen Fall gehen. Noch einmal würde sie Dumbledore bestimmt nicht übergehen und seinen Besuch in der Krankenstation für sich behalten. Er könnte Severus fragen, ob er einen vorrätig hätte. Immerhin braute er sie meisten Tränke für die Krankenstation, selbst nachdem Slughorn wieder den Unterricht in Zaubertränke übernommen hatte. Er hatte bestimmt auch einen kleinen Vorrat für sich angelegt.   Kurzentschlossen bog Harry zu den Kerkern ab. Harry konnte Severus in dessen Räumen spüren und hielt darauf zu, ohne sich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Er merkte nicht, wie er im Halbschlaf von anderen Präsenzen seiner Mitschüler abgelenkt wurde und eine falsche Richtung einschlug. In seinem Kopf wurde es ganz dusselig und seine Augenlider immer schwerer. Er merkte noch, wie er auf jemanden zu lief, war aber schon so benebelt, dass er nicht mehr sagen konnte, wer es war oder wie weit derjenige noch entfernt war.   Ein überraschter Aufschrei und ein plötzlicher Schmerz in seinem Hintern ließ Harry wieder zu sich kommen. Ihm saß ein Mädchen gegenüber und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.   „Entschuldige bitte.“, murmelte er.   „Kein Problem, es ist nichts passiert.“, kam prompt die Antwort. Harry glaubte, einen belustigten Unterton zu hören. Die Stimme kam ihm wage bekannt vor.   Harry rückte seine Brille zurecht, die ihm beim Sturz ein Stück von der Nase gerutscht war und betrachtete das Mädchen genauer. Ihre Augen begangen zu leuchten als ihre Blicke sich trafen und ihr Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Die langen blonden Haare waren ordentlich zu einem Zopf zusammengebunden und hingen ihr nach dem Sturz über die rechte Schulter.   Harry konnte sich noch gut an sie erinnern. Sie hatte letztes Jahr an den DA-Treffen teilgenommen. Susan Bones, eine Hufflepuff aus seinem Jahrgang. Sie war eine der wenigen Menschen, die zumindest ein wenig nachvollziehen konnten, wie Harry sich mit seiner ungewollten und unverdienten Berühmtheit fühlte. Nach dem Ausbruch aus Askaban waren die Namen der Todesser und deren Opfer, zu denen einige nahe Verwandte von Bones gehörten, wochenlang im Tagespropheten zu lesen gewesen. Jeder ihrer Schritte wurde von abschätzigen Blicken und leisem Getuschel begleitet. Nicht so schlimm wie bei Harry selbst, aber er war es in der Zwischenzeit gewöhnt. Für Bones war es eine ganz neue Erfahrung gewesen. Aber sie ließ sich nicht davon einschüchtern. Dann und auch schon davor scheute sie sich nicht ihre Meinung zu sagen und für sich und andere einzustehen.   Plötzlich fing Bones an zu lachen.   Verwirrt schaute Harry sie an. „Was ist so lustig?“   „Du sitzt da, als hätte dich gerade dein Besen abgeworfen.“   Harry sah an sich herab. Seine Krawatte hatte sich verdreht und steckte mit der Spitze in seiner Brusttasche. Sein Umhang hatte sich etwas gelöst und rutsche halb von seiner Schulter, der Saum war um sein rechtes Bein gewickelt.   Harry fand seine Erscheinung alles andere als zum Lachen. In diesem Zustand war er angreifbar. Er war unkonzentriert und unachtsam. Nicht auszudenken, was alles passieren könnte. Das musste so schnell wie möglich wieder in Ordnung gebracht werden und er müsste sich besser vorbereiten, falls weitere solcher schlaflosen Nächte auf ihn warten sollten. Stärkungstränke waren auf Dauer keine Lösung, aber ein kleiner persönlicher Vorrat würde nicht schaden. Vielleicht könnte Severus ihm dabei helfen.   Entgegen seiner eigentlichen Gefühlslage schaffte Harry es, ein kleines Lächeln zustande zu bringen.   „Das ist so absurd, weil du ja eigentlich der beste Sucher in Hogwarts seit… keine Ahnung... überhaupt bist.“   „Ich weiß gerade nicht, ob ich das als Beleidigung oder als Kompliment auffassen soll.“ Er zwang seinen Mund noch eine Spur breiter zu lächeln.   „Als Kompliment, Harry. Immer als Kompliment.“ Bones strahlte ihn glücklich an.   Nachdem Harry sich von seinem Umhang befreit hatte, stand er auf und half Bones ebenfalls wieder auf die Füße. Er nahm ihre Hand und zog sie zu sich hoch. Die kleine Hufflepuff war aber viel leichter als sie aussah und so hatte er zu viel Schwung drauf und statt auf den Beinen landete sie in seinem Armen.   Bones wurde schlagartig rot im ganzen Gesicht. Nun, das war interessant. Etwas peinlich berührt, schob Harry sie ein Stück von sich.   „Ähm… Alles okay?“   Sie drehte schnell ihren Kopf weg, als ob sie ihre Reaktion auf die Nähe zu ihm noch irgendwie verstecken könnte.   „J… Ja, alles in Ordnung. Ich war nur ein bisschen überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass du so stark bist.“ Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als ihr bewusst wurde, was sie gerade gesagt hatte.   Das wurde ja mit jeder Minute interessanter. Harry grinste in sich hinein. Wenn Bones wirklich so sehr an ihm interessiert war, wie es gerade den Anschein machte, dann würde sie vielleicht auch das Risiko eingehen und mit ihm ausgehen, obwohl seine Dates jedes Mal verflucht wurden. Ein Versuch wäre es wert. Und Draco war nicht in der Nähe. Wenn sie ja sagte und sie es nicht an die große Glocke hängen würden, hätte Harry vielleicht wirklich mal eine Chance auf ein Date zu gehen. Draco machte zwar nicht den Eindruck, dass er Harry verdächtigen würde, auf Männer zu sehen, aber sicher war sicher. Und außerdem konnte Harry eine kleine Ablenkung gut gebrauchen.   Harry starrte Bones solange an, bis sie sich wieder zu ihm drehte. Er lächelte sie schüchtern, mit ein bisschen Unsicherheit in seinen Augen an und begann zu sprechen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Der Rest der Woche verlief ruhig. Es wurde ein wenig getuschelt, warum Bletchley nicht mehr zum Unterricht erschien, aber alles, was die Lehrer sagten, war, dass es private Gründen geben würde.   Harry hatte noch in der Montagstrainingsstunde unter dem Einfluss eines starken Stärkungstrankes – Severus sei Dank – den Slytherin die Situation erklärt, ohne aber dabei genauer auf Bletchleys Bestrafung einzugehen. Er war gespannt gewesen zu sehen, wie ihre Reaktionen ausfallen würden. Den meisten war es egal und akzeptierten mit erschreckender Leichtigkeit, dass sie jetzt ein Schüler weniger waren. Nur zwei Slytherin sahen nicht so glücklich aus. Adrian Pucey und Tracey Davis. Die beiden würde Harry genauer im Auge behalten müssen.   Severus half Harry, sich einen eigenen kleinen Vorrat an hilfreichen Tränken anzulegen. Obwohl helfen ein bisschen übertrieben war. Harry hatte die ganze Woche Nachsitzen bekommen, weil er angeblich ein Stück Pergament verzaubert hatte, auf dem ein Strichmännchen-Snape explodierte. Nicht sehr einfallsreich von Draco, aber es erfüllte glaubhaft seinen Zweck und Harry hatte genügend Zeit, die Tränke, die er brauchte, selbst herzustellen. Das hatte er sich nicht wirklich vorgestellt, als er Severus um Hilfe gebeten hatte, aber immerhin durfte er wenigstens Severus‘ großen Silberkessel benutzen und sogar die Zutaten, die er brauchte, aus dem Vorratsschrank nehmen.   Außerdem hatte Severus ihm einen kleinen Beutel aus schwarzem Drachenleder geschenkt, dessen Innenraum magischen vergrößert war. So hatten alle seine Tränke darin genügend Platz. Auf die Frage, ob das nicht sehr teuer gewesen war, winkte Severus einfach nur ab.   Am Freitag war Harry mit allem fertig. Er hatte jetzt sein eigenes Arsenal an Stärkungs-, verschiedenen Heil- und auch Schlaftränken. Nur für den Fall. Sie waren ordentlich in Harrys neuem Lederbeutel verstaut und in seinem Schlafsaal unter seinen Sachen mit einem zusätzlichen Tarnzauber versteckt.   Am Samstagmorgen war Harry bereits sehr zeitig beim Frühstück. Die Große Halle war noch fast leer, nur wenige Schüler hatte sich so früh aus dem Bett gequält. Der Ravenclaw-Tisch war am stärksten besetzt, der Gryffindor-Tisch am spärlichsten. Selbst Granger war heute noch nicht aufgestanden.   Auch einige Hufflepuffs und Slytherins waren schon wach, unter anderem Draco, der Harry misstrauisch beäugte. Dem scharfsinnigen Slytherin war nicht entgangen, dass heute etwas anders bei Harry war, auch wenn er es nicht genau benennen konnte. Außer das zeitige Aufstehen natürlich.   Harry war zufrieden. Bones und er hatten es wirklich geschafft, ihr Date bis heute zu verheimlichen. Kein Fluch hatte ihr Treffen vereitelt und er musste zugeben, dass er sich sogar ein bisschen auf den Tag freute. Bones war eine angenehme Gesellschaft und er konnte sich normal mit ihr unterhalten, ohne von übermäßiger Heldenverehrung abgestoßen zu werden.   Als am Hufflepuff-Tisch Bones ihren Teller wegschob, stand Harry auf und ging zu ihr.   „Wollen wir?“ Er lächelte sie schüchtern an.   „Sehr gerne, Harry.“ Sie wurde eine Spur rot um die Nase, als die anderen Hufflepuffs sie mit großen Augen anstarrten. „Ähm, ja… Ich habe ein Date… Mit Harry… Wir sehen uns in ein paar Stunden, ja?“   Ihre Klassenkameraden nickten zum Zeichen, dass sie verstanden hatten. Keiner bekam ein Wort heraus.   „Ich hoffe, deine Freunde sind jetzt nicht böse auf dich, weil du ihnen nichts erzählt hast.“, meinte Harry, als aus dem Schloss hinaus waren.   Es war Anfang April und in den frühen Morgenstunden noch sehr kühl. Der Weg nach Hogsmeade war komplett leer. Die meisten Schüler würden erst in ein paar Stunden losgehen. Erst stand Ausschlafen und dann ein spätes Frühstück auf dem Plan. Bones und Harry hatten diese frühe Uhrzeit gewählt, damit sie ein bisschen Ruhe hatten.   „Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich bin sicher, dass sie es verstehen werden.“ Sie lachte ihn an.   „Dann ist ja gut.“ Natürlich würden sie es verstehen und ihr verzeihen. Es waren Hufflepuffs. Loyal bis in den Tod.   „Was ist mit deinen?“   „Meinen was?“ Harry sah Bones irritiert an.   „Na, Freunden.“ Sie lächelte noch eine Spur breiter.   Harry runzelte mit der Stirn. Wie konnte jemand nur so viel lächeln? Die ganze Zeit über. Er fand das ein wenig irritierend.   Glücklicherweise verstand Bones sein Verhalten falsch, als würde Harry immer noch nicht begreifen, was sie meinte. „Werden sie es dir übelnehmen, weil du ihnen unser Date verheimlicht hast?“   Harry grinste. Er wusste genau, wie seine Freunde reagieren würden. „Mit Sicherheit werden sie das.“   „Oh!“ Bones sah verwirrt aus.   „Mach dir keine Sorgen deswegen. Sie werden sich genauso schnell wieder einkriegen und sich dann für uns freuen.“ Zumindest konnte er sich da bei den Jungs sicher sein. Mini-Weasley würde es gar nicht gut auffassen. Granger würde ihn zu Anfang wieder einige Vorträge halten, aber irgendwann würde sie es akzeptieren. Zumindest wenn Harry wirklich die Absicht hätte, eine Beziehung zu Bones aufzubauen. So nett sie auch war und so gut er sich auch mit ihr verstand, sie war einfach nicht sein Typ. Außerdem würde er das Dauergrinsen nicht ertragen. Ganz zu schweigen von den Heimlichkeiten und Lügen, die er ihr die ganze Zeit erzählen müsste. Ein fester Partner kam derzeit nicht in Frage. Er würde ein paar Mal mir ihr ausgehen und es dann einfach langsam einschlafen lassen.   Sie unterhielten sich weiter über ihre Freunde und über die Schule. Sie hatten genug gemeinsame Erinnerungen, auf denen sie aufbauen konnten und das Gespräch kam nie ins Stocken.   Sie hatten schon die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als eine weitere Präsenz sich in Harrys Bewusstsein schob. Draco. Er kam schnell auf sie zu. Auch wenn Harry erwartet hatte, dass der Slytherin ihnen folgte, breitete sich ein ungutes Gefühl in seinem Magen aus. Es war niemand sonst auf dem Weg und Draco hatte es eindeutig zu eilig.   Es dauerte nicht lange und Draco hatte sie eingeholt.   „Na, Potter! Bones.“, begrüßte er sie in einem abfälligen Ton.   Harry versteifte sich. Was hatte der Slytherin vor?   „Malfoy! Was können wir für dich tun?“, fragte Bones vorsichtig.   „Nichts, nichts. Ich wollte nur mal schauen, wen unser Frauenheld sich diesmal rausgepickt hat.“ Draco musterte Jones von oben nach unten.   „Was meinst du damit?“ Sie kniff ihre Augen zusammen.   „Och, nichts weiter.“, antwortete Draco gespielt unschuldig. „Mir ist nur aufgefallen, dass unser Goldjunge eine Hufflepuff nach der anderen um ein Date bittet.“   Harry biss die Zähne zusammen, seine Hände zu Fäusten geballt. Er funkelte Draco böse an, aber der beachtete ihn nicht weiter. Seine Aufmerksamkeit lag völlig auf Bones.   Verunsichert schaute Bones kurz zu Harry, bevor sie sich wieder Draco zuwandte. „Ich weiß, dass Harry Megan gefragt hatte, aber…“   „Und danach Abbott.“, unterbrach Draco sie. „Aber sie war schlau genug, nein zu sagen. Vielleicht hatte sie ja Angst, verflucht zu werden wie anderen. Oder sie wollte einfach nicht eine von vielen sein.“ Er machte eine kurze Pause und ließ das Gesagte kurz wirken. „Stört dich das nicht? Zu wissen, dass du nur seine 3. Wahl warst? Und ich spreche dabei nur von euch Hufflepuff-Mädchen. Die anderen Häuser habe ich nicht mit dazugezählt.“   „Ich…“ Sie schluckte hart und schaute hilfesuchend zu Harry.   Harry wusste nicht, was er sagen sollte. Er könnte lügen, aber ein kurzes Gespräch mit Abbott und Bones würde die Wahrheit wissen. So wie Draco es auslegte, ließ das Harry in keinem guten Licht dastehen.   Bones sah sehr verletzt aus.   „Ach komm! Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass er es erst mit dir meint? Der große Harry Potter und eine kleine Hufflepuff? Ich bitte dich. Du bist zwar nicht hässlich, aber letztendlich doch nur gewöhnlich und langweilig.“   „Das reicht jetzt, Malfoy.“ Harry fand endlich seine Stimme wieder, aber es war schon zu spät.   „Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen.“ Bones drehte sich um.   „Susan.“ Harry ergriff ihre Hand und versuchte, sie aufzuhalten, aber sie entzog sich ihm und rannte zurück zum Schloss.   Als sie weit genug entfernt war, schrie Harry Draco wütend an. „Was sollte das?“   „Kein Grund dich gleich so aufzuregen. Ist ja nicht so, als ob du sie wirklich gewollt hättest. Du bist in jemand anderen verliebt. Also was soll’s?“   „Was soll’s? Ich sage dir, was es soll. Ja, ich bin in jemand anderen verliebt. Aber sie wird meine Gefühle niemals erwidern. Verdammt! Sie wird niemals erfahren, dass ich überhaupt Gefühle für sie habe. Heißt das, dass ich für den Rest meines Lebens allein bleiben muss? Darf ich deswegen mit niemandem zusammen sein und vielleicht wenigsten ein bisschen glücklich sein? Nicht, dass jetzt noch irgendjemand mir überhaupt eine Chance geben wird, nachdem Bones das hier rumerzählt hat. Was habe ich dir getan, dass du mir jedes bisschen Hoffnung zerstören willst? Warum hasst du mich so sehr?“   Harry stand da und fühlte sich mit einem Mal völlig verloren. Seine eigenen Worte hallten in seinem Kopf wider, der Gedanke an eine einsame Zukunft machte ihn taub.   Harry starrte vor sich hin, hatte seine Umgebung völlig ausgeblendet. So sah er auch nicht Dracos erschrockenen Gesichtsausdruck.   Plötzlich spürte eine Hand an seiner linken Wange und dann fremde Lippen, die hart gegen seine pressten. Sein Herz blieb kurz stehen, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Was passierte hier gerade? Draco küsste ihn? Warum? Alles in ihm sehnte sich danach, sich dem Kuss hinzugeben, die Augen zu schließen und die Verzweiflung fortspülen zu lassen. Aber sein Verstand ließ es nicht zu. Er würde sich verraten, wenn er dem nachgäbe. Alles wäre umsonst gewesen.   Mit aller Kraft löste Harry sich aus seiner Erstarrung und schubste Draco von sich. Der landete auf dem Boden und schaute mit der gleichen Verwirrung in den Augen zu Harry hinauf, als könnte er selbst nicht glauben, was er gerade getan hatte. Aber Harry wusste es besser. Ein Slytherin tat niemals etwas ohne eine Absicht dahinter. Er warf Draco einen letzten wütenden Blick zu und drehte sich dann um.   Harry ging mit langsamen Schritten Richtung Schloss. Draco hinter ihm hatte sich keinen Millimeter bewegt. Er konnte die Blicke des Slytherins auf sich spüren. Es verbrannte ihn. Er wollte einfach nur wegrennen, aber durfte keine Schwäche zeigen, durfte nicht zeigen, wie sehr ihn dieser Kuss aus der Bahn geworfen hatte. Ungeahnte Wellen des Verlangens strömten durch seinen Körper, breiteten sich aus und wollten sich in unkontrollierbares Zittern manifestieren. Aber Harry war Stärker, zwang sich und seinen Körper zur Ruhe.   Er leckte sich über seine Lippen und konnte immer noch Dracos Lippen auf ihnen schmecken. So süß. Seine Lippen waren so weich gewesen. Kaum zu glauben, dass er das hatte spüren können, obwohl Draco seinen Mund so hart auf seinen gepresst hatte, dass es ein Wunder war, dass seine Lippen nicht aufgeplatzt waren.   Warum hatte er ihn nur geküsst? Konnte es sein, dass…? Nein! Das war es mit Sicherheit nicht. Draco empfand nicht so für ihn. Er machte sich nur einen Spaß aus Harry. Wollte ihn provozieren.   Draco hatte bis jetzt nicht rausbekommen, in wen Harry verliebt war. Vielleicht wollte er ihn so aus der Reserve locken? Ja, das wird es sein. Das war viel wahrscheinlicher, als dass Draco Malfoy, der Eisprinz von Slytherin und Reinblut, an Harry Potter, Goldjunge von Gryffindor und von Muggeln aufgezogenes Halbblut, interessiert war. Ein trockenes Lachen entschlüpfte Harrys Kehle. Ja sicher. Sie beide ein Paar. Welch lächerlicher Gedanke.   Auf den Weg in seinen Gemeinschaftsraum hatte Harry jeden ignoriert, der seinen Weg kreuzte. Er konnte gerade mir niemanden umgehen.   Er ging ins Badezimmer, drehte den Wasserhahn auf und versuchte, sich gewaltsam den Kuss von seinem Mund zu waschen. Aber so sehr er sich auch bemühte, das Gefühl von Dracos Lippen auf seinen blieb unbarmherzig.   Harry schaute in den Spiegel und erschrak bei dem, was er da sah. Er wirkte so verloren und verzweifelt, dass nicht einmal der Spiegel ihm einen dummen Kommentar geben wollte.   Kontrolle. Er musste sich unbedingt wieder unter Kontrolle bekommen. Dieses Selbstmitleid half ihm nicht weiter. Es würde ihn nur in Schwierigkeiten bringen. Er hatte seinen Weg gewählt und musste jetzt mit seinen Entscheidungen leben. Er musste sich zusammenreißen und durfte keine Schwäche zeigen. Ein unbedachter Moment und er könnte sich verraten und alles zerstören, wofür er gekämpft hatte. Er konnte nur hoffen, dass die Abweisung genug gewesen war und Draco nicht auf noch weitere solcher Ideen kam.   Harry klatsche sich weiter kaltes Wasser ins Gesicht, bis er sich soweit gesammelt hatte, dass er wieder menschlich aussah. Die Entschlossenheit in seinen Augen stand ihm viel besser. Er machte sich fertig, damit er den anderen Gryffindors vor die Augen treten konnte. Sie würden bald erfahren, was gerade passiert war. Besser, sie erfuhren es von ihm. Er schüttelte die letzten Reste der unliebsamen Gefühle von sich und ging zurück in den Gemeinschaftsraum.   Das Gefühl von Dracos Lippen auf seinen blieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)