Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 25: Prophezeiungen -------------------------- Voldemort öffnete eine weitere verborgene Tür und Harry beeilte sich, hinterher zu kommen. Vor ihnen ersteckte sich ein langer nur spärlich beleuchteter Gang, der gerade breit genug war, dass sie nebeneinander hergehen konnten. Keiner sagte ein Wort, nur ihre Schritte hallten von den nackten Steinwänden wider.   Am Ende des Ganges war eine weitere Tür. Als Voldemort diese öffnete, musste Harry erst einmal seine Augen bedecken, so sehr blendete ihn das grelle Licht. Voldemort lachte leise.   Das Zimmer bildete einen perfekten Kreis und war ungefähr so groß, wie der Gemeinschaftsraum im Gryffindor-Turm. Er besaß eine durchgängige Empore, aber Harry konnte keine Treppen erkennen, die in den oberen Bereich führten. Der Raum selbst war mit verschieden merkwürdigen Instrumenten ausgestattet, die die verschiedensten Geräusche von sich gaben, aber so leise, dass sie zu seinem sanften unterschwelligen Murmeln verklangen. Einige dieser Geräte hatte Harry bereits in Dumbledores Büro gesehen, andere waren ihm auch schon in dem Büro des falsches Mad-Eye Moody aufgefallen. Aber die meisten kannte er nicht und von den wenigsten wusste er, welchen Zweck sie erfüllten.   Es gab vier riesige Schreibtische, alle überladen mit Pergamentrollen, Büchern, verschiedenen Federhaltern, Tintenfässern und schwarzen und grünen Kerzen. Insgesamt vier Türen, jeweils eine in eine Himmelsrichtung, führten aus dem Raum wieder hinaus. Die hohen Wände zwischen den Türen und die der Empore bestanden komplett aus Bücherregalen, die alle vollgestellt waren. Zu voll, um genau zu sein. Etliche Bücher schwebten vor den Regalen lang, unfähig noch einen freien Platz für sich zu finden. In der Mitte stand ein kleiner einfacher Holztisch mit vier Stühlen. Auf diesen steuerte Voldemort zu und bedeutete Harry, sich ihm gegenüber zu setzen.   Sobald sie saßen, tauchte mit einem fast lautlosem Plopp ein kleiner Hauself neben ihnen auf. Er sah noch sehr jung aus und der Putzlappen, den er sich umgebunden hatte, war nicht nur sauber, sondern sah aus wie neu.   „Was kann Simpy für Meister tun?“ Der riesen Augen des kleinen Elfs leuchteten aufgeregt und sahen mit großer Bewunderung zu Voldemort auf. Die Verbeugung war so tief, dass Harry sich nicht sicher war, ob der Kleine noch stand oder doch schon auf dem Boden lag.   „Bring uns bitte einen Tee. Am besten Earl Grey. Und etwas Gebäck.“ Harry konnte nicht sagen, was ihn gerade mehr schockierte. Dass Voldemort einen Hauselfen besaß, den er für seine Verhältnisse scheinbar gut behandelte, dass der böse Dunkle Lord gerade „bitte“ zu einem niederen Wesen – nicht Harrys Meinung – gesagt hatte oder dass er Gebäck wollte.   Harry konnte Voldemort nur erstaunt anstarren, während fünf Sekunden später eine dampfende Tasse vor ihm stand und eine große Schale mit verschiedene Keksen, außerdem ein Schälchen mit Zucker und ein Kännchen mit Sahne. Nach den Erinnerungen zu urteilen, die Dumbledore Harry gezeigt hatte, waren Hauselfen für Voldemort nichts weiter als Objekte, Mittel zum Zweck. Das passte nicht zu dem, was er gerade mit eigenen Augen sah. Aber vielleicht hatte Voldemort heute auch nur einen guten Tag? Beziehungsweise eine gute Nacht.   Das erinnerte Harry, dass er immer noch nicht wusste, warum er eigentlich hier war. „So, warum wolltest du mich nun sehen?“   Voldemort schaute ihn einen Moment lang nur stumm an. Harry erwartete, dass er gleich das unangenehme Gefühl bekommen würde, dass jemand versucht, in seinen Geist, einzudringen. Aber das blieb aus. Stattdessen lehnte sich Voldemort entspannt mit seiner Tasse zurück, sein Mund zu einem spöttischen Grinsen verzogen.   „Wie du sicher weißt, hatte ich vor einer Woche unerwarteten Besuch bekommen. Also unerwartet war er eigentlich nicht, da der junge Mr. Bletchley um ein Treffen gebeten hatte, aber es kam nichtsdestotrotz überraschend. Kannst du dir vielleicht vorstellen, was er von mir wollte?“   Harry schüttelte seinen Kopf. Darüber hatten sie sich zu dritt das Gehirn zermartert und waren dennoch zu keinem logischen Schluss gekommen. „Nein, ich wüsste keinen Grund. Ich weiß nur, dass er, seitdem er bei dir war, bei keiner Trainingsstunde mehr gewesen ist.“   „Ah ja, das Training. Wie geht es denn voran?“ Voldemorts Gesichtsausdruck hatte sich die ganze Zeit über nicht verändert.   Harry fühlte sich leicht verunsichert. Warum der plötzliche Themenwechsel? „Das Training läuft soweit ganz gut. Ich habe mit Malfoy zusammen eine Art Lehrplan erstellt. Wir sind zuerst die Schildzauber durchgegangen und sind jetzt bei verschiedenen anderen Verteidigungszauber, wie Entwaffnungszauber. Als nächsten kommen dann Angriffszauber dran.“   „Aha! Und das sind die Zauber, die du letztes Jahr mit deinen Freunden geübt hattest?“ Voldemort nahm einen Schluck von seinem Tee, ließ Harry dabei die ganze Zeit über nicht aus den Augen.   Was sollte das? Warum kam er sich gerade vor, als würde er verhört? Langsam wurde Harry ziemlich gereizt. Und leider konnte er das nicht aus seiner Stimme heraushalten. „Ja. Alles, was zur Verteidigung nützlich ist. Alles, was ich deinetwegen in den letzten Jahren gezwungen war, zu lernen.“   Voldemort lachte wieder leise. Harry fand das weniger amüsant. Was sollte das Ganze?   „Mmhhh… Und hast du deinen ehemaligen … Kameraden … erzählt, dass du meine Jungtodesser unterrichtest?“   „Was?“ Harry starrte ungläubig auf den Zauberer vor sich. „Warum sollte ich sowas tun?“   Voldemort setzte sich wieder aufrecht hin und stellte seine Tasse auf den Tisch. Trotz seiner sitzenden Position wirkte er auf einmal viel größer und… bedrohlicher. Auch das merkwürdige Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Züge waren hart, die roten Schlangenaugen schimmerten wie frischvergossenes Blut.   ~Sag du es mir, Harry.~ Der Wechsel zu Parsel machte das Bild komplett. Harry fühlte sich gerade wie das kleine Kätzchen aus Malfoys verschlüsselter Geschichte, das jetzt vor der großen bösen Schlange saß. ~Wieso kommt Mr. Bletchley zu mir und erzählt mir, dass du, mein zukünftiger Partner, alles deinen kleinen Gryffindorfreunden erzählst? Nicht nur, welche Zauber und Flüche du den Jungtodessern beibringst, sondern auch noch, wer welche Schwächen hat? Das wäre doch ein guter Schachzug. Bringe deinen Gegner selbst alles bei und in der Schlacht bist du es, der die Schwachstellen kennt. Sie wären so einfacher zu besiegen. Nicht wahr?~   Harry starrte einen Augenblick überrascht in Voldemorts Augen und wusste nicht, was er sagen sollte. Das hatte Bletchley also von ihrem Lord gewollt. Er hatte nach einer Möglichkeit gesucht, Harry zu verleumden, Voldemorts Vertrauen in ihn zu schmälern. Nun, dafür musste aber erst einmal Vertrauen da sein, oder nicht?   Harry musste plötzlich anfangen, zu lachen. Die Situation war zu surreal. Erst waren es nur ein leichtes Glucksen, aber bereits nach ein paar Sekunden musste Harry so heftig lachen, dass er seine Brille abnehmen musste, um ein Tränen aus seinen Augenwinkeln zu wischen.   Voldemort saß ruhig daneben und warteten, bis Harry fertig war. Harry war sich nicht ganz sicher, aber es sah so aus, als ob der eine Mundwinkel ein Stück nach oben gezogen war.   ~Wie weit würdest du gehen, um zu beschützen, den du liebst?~, fragte Harry nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Er fühlte sich jetzt viel entspannter. Diese Anschuldigungen waren haltlos und er konnte das jederzeit beweisen.   ~Da ich noch nie so etwas wie Liebe empfunden habe, kann ich dir diese Frage nicht beantworten.~ Voldemort hatte sich wieder entspannt zurückgelehnt, ein Plätzchen in seiner Hand haltend.   Harry musste sich sehr zusammennehmen und sein Blick wieder auf Voldemorts Augen richten, sonst hätte er gleich wieder angefangen zu lachen.   „Nun, du weißt, was ich bereit war zu tun. Was ich bereit bin zu tun. Du hast es in meinem Geist gesehen. Ich würde ihr Leben nicht riskieren für so eine plumpe Finte. Immerhin müsste ich ihre Schwächen genauso preisgeben. Außerdem wäre es nicht sehr effizient. Die anderen würden die Schwächen der Babyschlangen kennen, aber da gibt es immer noch deine Todesser, über die sie nichts wüssten, und die sind in der Mehrzahl. Das wäre ein sehr schlechter Deal. Ich bin zwar ein impulsiver Gryffindor, aber sowas Dummes würde selbst ich nicht tun.“ Harry holte tief Luft und sah Voldemort fest in die Augen. „Und du glaubst es auch nicht. Sonst würde ich nicht hier sitzen.“   Gespannt wartete Harry auf Voldemorts Reaktion. Sein Lord ließ sich allerdings Zeit mit einer Antwort. Er aß seinen Keks und trank anschließend noch einen Schluck Tee, bevor er sich wieder Harry zuwandte. Sein Mund verzog sich wieder zu diesem viel breiten Grinsen mit den viel zu vielen Zähnen.   „In der Tat.“   Harry klappte der Unterkiefer herunter. „In der Tat? Was sollte das dann alles?“   „Ich wollte nur sehen, wie du auf die Vorwürfe reagierst. Vielleicht steckt ja doch ein Fünkchen Wahrheit in ihnen. Man kann nie wissen.“ Voldemort blickte süffisant grinsend auf Harry herab.   Harry konnte es nicht fassen. Dieses ganze Theater nur wegen einer dummen Reaktion auf noch dümmerer Vorwürfe? Voldemort hätte ihn auch einfach fragen können oder in seinen Kopf sehen. Wäre nicht das erste Mal. Stattdessen führte er diese Schmierenkomödie auf.   „Ich hoffe, dass du dich gut amüsiert hast.“, erwiderte Harry bissig. Er mochte es nicht, wenn man so mit ihm spielte. „Gab es noch weitere Vorwürfe?“   „Nein. Zumindest keine, die Mr. Bletchley ausgesprochen hätte. Er hatte noch ein paar andere Ideen, dich zu diffamieren, aber die hatte er alle verworfen. Sie waren noch viel lächerlicher als diese Behauptung.“   Harry nickte nur. Natürlich hatte Voldemort in dem Kopf des Slytherin herumgewühlt und der Trottel hatte es noch mal bemerkt, nicht mal vermutet. Wie kann man nur so dumm sein? Weiß er nicht, wer sein Meister ist? „Was hast du jetzt mit ihm vor?“   „Er muss natürlich weg. Sowas kann ich in meinen Reihen nicht gebrauchen.“, antwortete Voldemort kalt.   Harry sah alarmiert auf. „Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich ihn töte. Eine Leiche in Hogwarts kann zu unangenehmen Fragen führen. Meine Tarnung wäre in Gefahr.“ Er war sich nicht sicher, wie er einen Mord vertuschen sollte. Sicher gab es viele Wege, es als Unfall zu tarnen, aber unter Dumbledores Nase war das viel zu riskant. Eine kleine Stimme in seinem Kopf fragte ihn, ob es ihn nicht mehr stören sollte, überhaupt einen Mord zu begehen, aber Harry schob sie einfach zur Seite.   Voldemort sah Harry belustigt an. „Ich bin mir sicher, dass du eine Möglichkeit finden würdest, wenn du es wirklich müsstest. Aber nein. Er ist der Sohn zweier treuer Todesser, die bedauerlicherweise das Ministerium schon im Auge hat. Der Tod ihres Sohnes würde zu viel Aufsehen erregen, egal ob innerhalb oder außerhalb von Hogwarts. Aber ich will, dass er verschwindet und nicht noch durch seine Dummheit und Selbstüberschätzung meine Pläne ruiniert.“   „Was willst du also tun?“, fragte Harry neugierig.   „Ich habe bereits mit seinen Eltern über die Angelegenheit gesprochen. Sie sind, wie gesagt, treue Anhänger und genauso geschockt über den Verrat ihres Sohnes wie ich.“ Voldemort schüttelte in einer gespielt bedauernden Geste seinen Kopf. „Natürlich verstehen sie, dass ich so ein Verhalten nicht in meinen Reihen dulden kann. Sie waren sehr entgegenkommend und versprachen, sich der Sache anzunehmen. Sie erzählten mir, dass ein solch ehrloses Verhalten keinen Platz in der Familie Bletchley hätte und das die einzige Möglichkeit wäre, zu verhindern, dass so ein verdorbener Zweig im Stammbaum treibt, ist, ihn abzuschneiden. Mit anderen Worten: er wird enterbt und von der Schule genommen. Genaugenommen wird das alles morgen früh stattfinden. Er wird noch beim Frühstück dabei sein. Ich habe es so einrichten lassen, damit du dich noch von ihm… verabschieden kannst. Danach ist er weg.“   Harry lachte leise. Wer weiß, womit Voldemort den Eltern gedroht hatte, damit sie ihren eigenen Sohn verstießen. „Dann danke ich vielmals, dass ich noch die Gelegenheit bekomme, mich von meinem Mitstreiter zu verabschieden. Ich verspreche, dass ich sie gut nutzen werde.“ Harry konnte sich ein hinterhältiges Grinsen nicht verkneifen. Er hoffte, dass er Draco noch vor dem Frühstück kontaktieren konnte. Er würde sich bestimmt auch von Bletchley verabschieden wollen. „Ich vermute, dass sie ihm noch seine Erinnerungen an dich und die Todesser löschen werden, bevor sie ihn rauswerfen?“   „Ja, natürlich.“ Voldemort zuckte mit keiner Miene.   Harry nahm sich einen Keks und knabberte gedankenverloren daran herum. Er spürte die scharlachroten Augen auf sich, die ihn beobachteten, aber er ignorierte sie. Auch wenn das alles nur eine schlechte Vorstellung gewesen war, war dennoch eine kleine Warnung darin versteckt. Voldemort vertraute ihm nicht. Natürlich nicht. Harry hatte sich bisher nicht beweisen können, aber es hing bedrohlich über ihn wie Basiliskenzahn, dessen tödliches Gift jede Sekunde auf ihn hinuntertropften konnte. Es musste eine Lösung her.   „Worüber denkst du nach?“ Harry hörte ehrliche Neugierde in der Voldemorts Stimme, aber auch den drohenden Unterton, der eine Antwort verlangte.   Harry atmete tief durch. Fragen kostete ja nichts. Obwohl… Bei Voldemort konnte eine Frage mit einem Cruciatus beantwortet werden. „Ich frage mich, was du von mir erwartest. Was muss ich tun, damit du mir vertraust?“   „Mmmhhh…“ Voldemort dachte kurz über seine Antwort nach. „Vielleicht werde ich das nie. Es steht immer noch eine Prophezeiung zwischen uns. Die, in der steht, dass du mich besiegen wirst.“   Harry schmunzelte. „Ist das so? Ich weiß, welchen Teil der Prophezeiung du kennst. Nur weil dieser Teil sagt, dass ich die Macht dazu hätte, dich zu besiegen, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch tun werde. Das will ich auch überhaupt nicht. Das Einzige, was mich interessiert, ist…“   „Ja, ja. Die Sicherheit deiner Liebsten.“, unterbrach ihn Voldemort genervt und wedelte dabei abwehrend mit seiner Hand. „Ich verstehe das zwar nicht, aber ich akzeptiere es.“ Ein bösartiges Grinsen zierte plötzlich sein Gesicht. „Ich wäre viel besser in der Lage, ihre Sicherheit zu gewährleisten, wenn ich wüsste, wer sie ist.“   „Ich bitte dich! Als ob ich darauf hereinfallen würde.“ Harry seufzte. „Nichtsdestotrotz! Ich hätte deine Reaktion mich betreffend – du weißt schon, mit dem Mich-umbringen-als-ich-ein-hilfloses-kleines-Baby-war – vollkommen verstanden, wenn du auch den Rest der Prophezeiung gekannt hättest.“   Voldemorts Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wie meinst du das? Die Prophezeiung ist zerstört. Du warst es selbst, wenn ich dich daran erinnern darf. Und ich bin danach in deinen Kopf eingedrungen. Ich weiß also ganz genau, dass du sie nicht kennst. Also warum tust du so, als würdest du ganz genau über den Inhalt Bescheid wissen?“ Voldemorts Gute Laune – wenn man das so bezeichnen konnte – war schlagartig verschwunden. Harry ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und nahm sich noch einen weiteren Keks.   „Weil ich es tue. Wie du weißt, war es Dumbledore gewesen, dem die Prophezeiung gegenüber ausgesprochen wurde.“   Voldemort nickte ungeduldig und bedeutete Harry weiterzureden.   „Nach diesem Vorfall in der Mysteriumsabteilung hat er mich seine Erinnerungen an die Prophezeiung in seinem Denkarium ansehen lassen.“ Mit Genugtuung beobachtete Harry, wie sich Voldemorts Augen in ungläubigen Erstaunen weiteten. Jetzt hatte er doch tatsächlich einen kleinen Trumpf in der Hand. „Willst du es wissen?“ Entspannt lehnte sich Harry zurück und genoss mit kindlichen Vergnügen die Reaktion seines Lords.   ~Ja.~, kam die gehauchte Antwort, konnte aber nicht über den nun gierigen Blick hinwegtäuschen.   „Kann ich mich darauf verlassen, dass ich es überleben werde, egal, was die Prophezeiung sagt?“ Es war ein Risiko. Aber es könnte auch ein erster Schritt sein, Voldemorts Vertrauen zu gewinnen.   „Keine Sorge, Harry! Unsere Vereinbarung gilt nach wie vor. Du bist in der Tat lebend äußerst nützlich.“   Harry verdrehte genervt die Augen, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. „Gut.“ Harry holte tief Luft, bevor er die Worte wiederholte, die sich, seit er sie zum erstem Mal gehört hatte, in sein Gedächtnis eingebrannt hatten und die, seit er denken konnte, sein Leben bestimmten.   Der Eine mit der Macht, den Dunklen Lord zu besiegen, naht heran … Jenen geboren, die ihm drei Mal die Stirn geboten haben, geboren, wenn der siebte Monat stirbt … Und der Dunkle Lord wird Ihn als sich Ebenbürtigen kennzeichnen, aber Er wird eine Macht besitzen, die der Dunkle Lord nicht kennt … Und der Eine muss von der Hand des Anderen sterben, denn keiner kann leben, während der Andere überlebt … Der Eine mit der Macht, den Dunklen Lord zu besiegen, wird geboren werden, wenn der siebte Monat stirbt …   Voldemort starrte Harry an. Er sagte kein Wort und Harry versuchte krampfhaft rauszufinden, was sein ehemaliger Todfeind dachte.   „Ich fühle mich gerade ziemlich unwohl und wäre dankbar, wenn du etwas sagen würdest, mein Lord.“ Harry erwähnte und betonte extra den Titel, nur um Voldemort daran zu erinnern, dass sie jetzt Verbündete waren und er nichts tun sollte, was er später (vielleicht) bereuen könnte.   „Interessant. Ich kannte bisher nur den ersten Teil. Ende Juli wird ein Kind geboren werden, was mich besiegen könnte. Seine Eltern, meine Feinde.“ Gedankenverloren trank Voldemort noch einen Schluck Tee, der in der Zwischenzeit kalt geworden war und verzog angewidert das Gesicht.   Harry sagte nichts.   Voldemort stellte seine Tasse ab und sah Harry direkt an. Als er weiter sprach, wirkte seine Stimme wieder fester, mehr im Hier und Jetzt. „Es gab damals zwei Babys, auf die diese Beschreibung zutraf. Das Kind der Longbottoms und das Kind der Potters – du, Harry.“   „Du hattest dich damals für mich entschieden.“, warf Harry ein. „Dumbledore meinte, du hättest dich in mir gesehen, dass wir uns ähnlich wären.“   „Ja, das ich richtig.“, gab Voldemort zu. „Du warst ein Halbblüter wie ich. Nun, nicht ganz wie ich, nicht wahr? Dein Vater war ein mächtiger Zauberer und entstammte einer angesehen Reinblüterfamilie und deine Mutter war, wenn auch ein Schlammblut, zumindest eine Hexe.“   Harry musste hart schlucken, aber er schaffte es, seinen Ärger zu unterdrücken.   „Meine Mutter dagegen war fast ein Squib.“ Voldemort sprach das Wort mit so viel Verachtung aus, als wäre das sogar noch schlimmer als ein Muggel oder muggelgeboren zu sein. „Was machte es da schon aus, wenn man ein Nachfahre des großen Salazar Slytherin war, wenn man keine Macht besaß? Die Gaunts waren heruntergekommen, nicht besser als Landstreicher und nicht würdig ihres Erbes. Und mein Vater war ein elendiger, ehrloser Muggel, der sich für was Besseres hielt.“   Harry zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich beide Teetassen auf einmal zersprangen. Es dauerte aber nicht lange und der kleine Hauself – Simpy, wenn sich Harry richtig erinnerte – stand neben den Tisch. Er räumte schnell die Scherben zusammen, wischte den verschütteten Tee auf und verschwand wieder. Kurz danach standen zwei neue Tassen auf dem Tisch mit frischem heißen Tee.   Voldemort hatte sich in der Zwischenzeit wieder beruhigt. Er umschloss seine heiße Teetasse mit seinen spinnenbeinendürren Fingern. „Aber ja, ich hielt dich für den Einen, der mich besiegen kann. Deswegen wollte ich dich töten, bevor du mich besiegen kannst.“   „Und hast mich dadurch als deinen Ebenbürtigen gekennzeichnet.“, sagte Harry während er auf seine Narbe zeigte. „Hättest du es auch getan, wenn du den Rest der Prophezeiung gekannt hättest?“   „Wahrscheinlicher wäre, dass ich versucht hätte, dich und Longbottom noch im Mutterleib zu töten.“ Ja, das wäre mit Sicherheit effektiv gewesen.   „Hätte vielleicht von Anfang an dein Plan sein sollen.“ Harry grinste frech und Voldemort lachte leise.   „In der Tat. Ein Fehler, den ich nicht wiederholen werde.“   „Lass uns hoffen, dass keine weiteren Prophezeiungen gemacht werden. Oder ignoriere sie einfach.“ Harry stutzte. Was wäre passiert, wenn Voldemort sie wirklich nicht beachtet hätte? „Wenn… Wenn du die Prophezeiung ignoriert hättest oder nichts von ihr gewusst hättest, hätte sie dann überhaupt eintreten können?“   „Wahrscheinlich nicht.“ Voldemort zuckte mit den Schultern. „Ich hätte niemals versucht, dich zu töten. Ich hätte dich niemals gekennzeichnet. Nicht jede Prophezeiung muss sich erfüllen. Du hast die vielen Regale in der Mysteriumsabteilung gesehen. Glaubst du wirklich, alle diese Prophezeiungen sind in Erfüllung gegangen?“   „Warum hast du es dann überhaupt getan? Wenn sich eine Prophezeiung nicht erfüllen muss, wieso dann auf sie hören?“ Harry fühlte sich auf einmal richtig leer. Wenn Voldemort diesen Mist nur ignoriert hätte, wäre all das nicht passiert. Dann hätten seine Eltern noch leben können, Sirius, Cedric.   „Tsk!“ Voldemort schnalzte ungeduldig mit seiner gespaltenen Zunge. „Man kann vorher unmöglich sagen, was das Eintreten einer Prophezeiung auslöst oder was sie verhindert. Ja, wenn ich sie ignoriert hätte, wäre nichts von dem passiert. Andersherum, wenn ich sie ignoriert hätte, hätte genau das zum Eintreten der Prophezeiung führen können, weil ich eben nichts dagegen unternommen hätte. Das Risiko war einfach zu hoch, um es zu ignorieren. Oder würdest du einfach tatenlos bleiben, wenn dir jemand deinen Untergang prophezeit?“   Harry wollte etwas erwidern, wurde aber von Voldemort unterbrochen.   „Vergiss das. Macht interessiert dich nicht. Aber was würdest du tun, wenn eine Prophezeiung den Untergang deiner Liebsten vorhersagt? Würdest du da ruhig bleiben, abwarten und nichts unternehmen?“   Darauf wusste Harry nichts zu sagen. Voldemort hatte recht. Harry würde nicht tatenlos bleiben. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um das Eintreten einer solchen Prophezeiung zu verhindern.   Harry seufzte. „Wir sind uns wohl doch sehr ähnlich. Wir haben zwar unterschiedliche Ziele, würden aber beide alles tun, um diese zu erreichen.“ Es gab noch viele weitere Gemeinsamkeiten, aber diese hatte er mehr mit Tom Riddle als mit Voldemort. Ihre Kindheit zum Beispiel, auch wenn Voldemort für Harrys verantwortlich war. Aber davon wusste Voldemort nichts. Jetzt waren auch nicht die Zeit und der Ort für ein solches Gespräch.   „Ja, das ist wohl so.“, stimmte Voldemort ihm zu. „Bis auf die eine Sache – die Macht – die ich laut der Prophezeiung nicht kenne. Was soll das sein?“   „Laut Dumbledore Liebe.“ Harry verdrehte dabei die Augen, um zu zeigen, wie viel er davon hielt. Er hatte sich das bei ihren Denkariumssitzungen zu oft anhören müssen, eigentlich schon seit seinem ersten Schuljahr.   Voldemort lachte. „Ich hatte mehr Glauben von dir erwartet. Immerhin soll laut Dumbledore Liebe die stärkste Macht sein. Ja, diesen Unsinn musste ich mir in meiner Schulzeit auch von ihm anhören. Wenn du mich fragst, ist es nichts weiter als ein nutzloses Gefühl, dass dich nur behindert. Sie ist der Grund, warum unsere Mütter tot sind.“   Harry schüttelte seinen Kopf. „Ich denke nicht, dass Liebe ein nutzloses Gefühl ist. Ja, wegen Liebe sind unsere Mütter tot. Aber wenn deine Mutter deinen Vater nicht geliebt hätte, wärst du gar nicht auf der Welt.“   Voldemorts Ausdruck verfinsterte sich schlagartig. Harry wunderte sich, warum er noch keinen Cruciatus abbekommen hatte. Die Riddles und die Gaunts sollte er lieber nicht erwähnen. Schnell redete er weiter.   „Meine Mutter hat mir durch ihre Liebe das Leben gerettet. Dadurch hatte ich den Blutschutz. Den konntest du dann zwar aufheben, aber ich war 13 Jahre lang sicher. Wegen Liebe bin ich dir immer wieder entkommen. Wegen Liebe sitze ich jetzt hier. Liebe ist kein nutzloses Gefühl. Aber ich denke nicht, dass sie dich besiegen könnte. Merlin! Ich kriege immer noch leichte Panikzustände, wenn ich an deinen Magieausbruch in Hogsmeade denke. Deine Macht ist gewaltig. Ich wüsste nicht, was Liebe dagegen ausrichten sollte. Sie hat mir bisher immer geholfen, um mich zu verteidigen, aber zum Angreifen? So oft, wie wir schon miteinander gekämpft haben und du lebst immer noch. Wenn es sich bei dieser unbekannten Macht wirklich um Liebe handelt, dann taugt die Prophezeiung nichts.“   Harry beendete seinen Monolog und nahm einen Schluck von seinem Tee. Er mochte den leicht bitteren Geschmack von Earl Grey; am liebsten mit einem Stück Siruptorte. Wenn Voldemort ihn das nächste Mal mitten in der Nacht hierher zitierte, könnte er ihm ruhig ein Stück anbieten.   „Nun, da wir uns jetzt auf der gleichen Seite befinden, müssten wir uns keine Gedanken darüber machen, …“ Voldemort wartete, bis Harry wieder von seiner Tasse aufschaute und seinem Lord seine volle Aufmerksamkeit schenkte. „…  wenn nicht der letzte Teil wäre, in dem steht, dass einer von uns den anderen töten muss.“   „Aber wenn wir uns jetzt entscheiden würden, es einfach zu ignorieren…?“ Harry wusste in dem Moment, als er es aussprach, dass das nicht der Fall sein würde.   ~Nein, Harry! Wie ich dir bereits vorhin gesagt habe, bin ich nicht bereit so ein Risiko einzugehen.~, zischte Voldemort.   „Auch auf die Gefahr hin, dass du dann für weitere zehn Jahre mehr tot als lebendig irgendwo auf dem Planeten umherspuckst?“ Harry hoffte, dass Voldemort sich an sein Wort halten würde und er es nicht bereuen würde, dem Zauberer die Prophezeiung genannt zu haben.   „Ah, machst du dir etwa Sorgen um mich, mein lieber Harry? Ich fühle mich geschmeichelt.“ Ein süffisantes Grinsen erschien in Voldemorts Gesicht und Harry lief ein leichter Schauer über den Rücken, von dem er nicht sagen konnte, ob er angenehm oder unangenehm war.   „Es geht dabei immerhin auch um mein Leben.“, antworte Harry leise.   „Keine Sorge, Harry. Wie gesagt, du bist lebend nützlicher. Es muss eine andere Lösung geben.“   Harry atmete erleichtert auf. Zumindest suchte Voldemort nach einem Weg, damit er Harry nicht töten musste. Das war ein Fortschritt in ihrer Beziehung. Oder? „Aber wie soll die aussehen? Die Prophezeiung sagt eindeutig, dass der Eine den Anderen töten muss.“   Voldemort dachte kurz nach, bevor ein teuflisches Grinsen sein schlangengleiches Gesicht zierte. „Richtig. Der Eine den Anderen. Nicht der Eine den Dunklen Lord oder der Dunkle Lord den Einen.“   Harry schaute ihn irritiert an. Er konnte nicht nachvollziehen, was Voldemort meinte.   „Die Prophezeiung sagt nicht, dass der Andere der Dunkle Lord ist.“, versuchte er zu verdeutlichen.   „Und wer soll der Andere sein?“, fragte Harry immer noch verwirrt. Die Prophezeiung handelte doch nur von ihm und Voldemort. Dann machte es Klick. „Longbottom.“   „Genau. Es würde passen. Immerhin war er der Andere, der der Eine hätte sein können.“, stimmte Voldemort ihm mit einem selbstzufriedenen Grinsen zu.   Harry schwirrte der Kopf. Es war nicht so einfach, Voldemorts Gedankengängen zu folgen. „Dann willst du also Longbottom töten?“   „Ich? Nein. Ich habe meine Rolle in der Prophezeiung. Ich bin der Dunkle Lord. Longbottom ist der Andere und du bist der Eine, der den Anderen töten muss. Denn keiner kann leben, während der Andere überlebt.“ Ja, Voldemort sah sehr zufrieden mit sich selbst aus, wie die Katze bzw. Schlange, die gerade den Kanarienvogel verspeist hat.   Harry schaute gedankenverloren in seine nun leere Tasse. Dann nickte er und schaute seinem Lord fest in die Augen. „In Ordnung.“ Wenn er Neville Longbottom umbringen musste, damit Voldemort ihm vertraute, dann würde er das tun.    „Das scheint dich gar nicht zu stören.“   „Warum sollte es? Als ich mich dir angeschlossen habe, wusste ich, dass ich irgendwann jemanden töten muss und es überrascht mich nicht, dass es jemand von meinen ehemaligen Freunden sein wird. Und wenn es dafür sorgt, dass sich diese dämliche Prophezeiung erfüllt und du mich nicht mehr versuchst, ihretwegen umzubringen, umso besser.“   „Keine Gewissensbisse? Keine Hemmungen? Nicht mal ein schlechtes Gewissen?“, fragte Voldemort ernsthaft interessiert.   „Nein. Das kann ich mir alles nicht leisten. Wenn es notwendig ist, wird es erledigt. Allerdings werde ich etwas Zeit brauchen.“ Vielleicht konnte er es bis in die Sommerferien hinauszögern, damit er es nicht in der Schule machen musste.   „Du bekommst Zeit bis zum Ende des Schuljahres. Damit dürfte es keine Probleme mit deinen anderen Verpflichtungen geben und du hast genügend Zeit, dir zu überlegen, wie es nicht auf dich oder meine Jungtodesser zurückfallen kann. Und Harry?“   Harry wartete gespannt, was Voldemort noch wollte. Das Grinsen konnte nichts Gutes bedeuten.   ~Ich erwarte, dass du den Todesfluch benutzt.~   Also keine abwechslungsreichen Sommeraktivitäten. Vielleicht auch besser so. Harry hätte bis zu seinem Geburtstag warten müssen und bei seinem Glück würde der Ordnen des Phönix Punkt null Uhr bei ihm vor der Tür sehen und ihn abholen. In der Schule war es zwar sehr riskant, aber Voldemort hatte recht. Er würde eine Möglichkeit finden, damit niemand ihn oder einen der Slytherins verdächtigte. Vielleicht würde er den Verdacht auch einfach auf Bletchley lenken. Er wäre dann zwar nicht mehr da, aber das hieß nicht, dass er nicht noch als Sündenbock herhalten konnte. Ja! So würde er es machen.   Dass Voldemort von ihm verlangte, dass er einen Unverzeihlichen Fluch benutzte, überraschte ihn auch nicht weiter und es störte ihn nicht. Es war nur eine weitere Möglichkeit, seine Loyalität zu beweisen.   ~In Ordnung. Bis zum Ende des Schuljahres spreche ich den Todesfluch.~   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Es gab ein kleines Wäldchen unweit einer kleinen zerfallenen Hütte, der nachgesagt wurde, dass es darin spukt. Die Leute berichteten immer wieder von unheimlichen Lichtern, die aber keine Quelle zu haben schienen und einer der Bewohner des nahegelegenen Dorfes behauptete sogar gesehen zu haben, wie ein merkwürdiger gekleideter Mann hineingegangen war, aber als er nachsehen wollte, war er verschwunden. Die Menschen hielten sich von der alten Hütte und dem dunklen Wäldchen dahinter fern, vor allem nachts. So sah niemand die fünf Raben, die sich krächzend aus dem Dunkel erhoben, um zu einer anderen weit entfernten Ruine zu fliegen, um sich dort mit 20 anderen ihrer Art zu vereinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)