Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 15: Zerbrechliche Freundschaft -------------------------------------- Am nächsten Morgen stand Harry zeitig, aber ausgeruht auf. Er hatte es am Vorabend wirklich geschafft, früher ins Bett zu gehen. Die anderen Gryffindors hatten ihn in Ruhe gelassen und sich lieber noch eilig mit ein paar überfälligen Hausaufgaben beschäftigt, dabei verzweifelt Granger angefleht, ihnen zu helfen, die das aber rigoros abgelehnt hatte. Sie hatte auf Weasleys Schoß gesessen, mit dem Rücken zum Eingang. So konnte Harry ungestört an ihnen vorbei und in den Schlafsaal gehen, wo er sich sofort hingelegt hatte. Er war heute Morgen sogar vor seinem garstigen Wecker wach geworden, der ihn aber deswegen sofort schmerzhaft in den Finger gezwickt und dann beleidigt unter seinem Bett versteckt hatte. Die nächsten Tage würde Harry sich mal wieder nicht auf ihn verlassen können.   Jetzt stand Harry im Gemeinschaftsraum und wartete auf die anderen, damit sie gemeinsam zum Frühstück gehen konnten. Er war etwas unruhig und lief die ganze Zeit vor dem Kamin auf und ab. Nicht nur, dass er Draco gleich wiedersehen würde – wie würde er wohl nach dem gestrigen Abend reagieren? – zum anderen musste er ein Date für das kommende Wochenende finden. Es war Hogsmeade-Wochenende und je schneller er seine geschlechtlichen Präferenzen klar gestellt hätte, umso eher könnte er wieder ruhig durchatmen.   Außerdem hatte er schon lange kein Date mehr gehabt. Genaugenommen hatte er bisher nur eines. Und das war mit Chang. Und das war gründlich schiefgegangen. Er hatte aber auch daraus gelernt. Es werden keine anderen Mädchen erwähnt und er würde einen eher unbekannten Ort auswählen, damit er nicht von anderen sich küssenden Pärchen unter Druck gesetzt wurde. Ihm war klar, dass er sein Date früher oder später würde küssen müssen, aber lieber später oder noch besser gar nicht. Aber für eine überzeugende Show musste Draco wenigsten einen Kuss sehen. Das würde sich nicht vermeiden lassen. Er wusste ganz genau welche Lippen er lieber küssen würde…   Harry schloss die Augen und stöhnte leise gequält auf. Solche Gedanken brachten ihn jetzt wirklich nicht weiter.   Bevor er sich seinem Selbstmitleid hingeben konnte, begann sich der Gemeinschaftsraum zu füllen. Als ersten kamen die Erst- und Zweitklässler, die auch sofort an Harry vorbeistürmten, als würde kein Essen mehr übrig sein, wenn sie bloß eine Minute später durch das Portrait gehen würden. Zwischen ihnen sah man vereinzelte Drittklässler, die noch schnell ihre Schulsachen vom Vorabend zusammen suchten und in ihre Taschen stopften. Dann sah er endlich den ersten Kopf aus seinem Jahrgang. Wie immer war es Granger, die sich als erstes von ihnen herunter bemühte. Sie schaute tadelnd auf eine Viertklässlerin, die hastig an ihr vorbeistürmte. Die Kleine grinste sie frech an und rannte dann zu ihren Freunden, die schon am Fuß der Treppe auf sie warteten. Gemeinsam gingen sie durch das Loch und zum Frühstück.   Harry beobachtete das muntere Treiben, wie immer mehr Schüler in den Gemeinschaftsraum eilten, sich in Gruppen zusammen fanden und gemeinsam zum Frühstück gingen. Auch sein Jahrgang bildete da keine Ausnahme. Nur, dass sie wirklich alle gemeinsam gingen. In der Regel war die kleine Weasley bei ihnen, aber der fünfte Jahrgang hatte donnerstags immer die ersten Stunden frei und sie nutzte die Zeit, um etwas länger zu schlafen. Zum Glück für Harry. Er konnte dieses lästige kleine Anhängsel nicht gebrauchen, wenn er ein anderes Mädchen um ein Date bitten wollte.   „Guten Morgen, Harry.“   „Guten Morgen, Hermine.“ Harry zwang sich zu einem leichten Lächeln als seine ehemals beste Freundin sich zu ihm gesellte.   „Ist alles in Ordnung mit dir? Ich habe dich gestern nach dem Training gar nicht mehr gesehen. Ron meinte nur, dass du noch den Schnatz fangen wolltest. Aber normalerweise brauchst du doch nicht so lange.“   Harry schluckte seinen Ärger hinunter. Sie wusste ganz genau, dass der Schnatz seinen eigenen Kopf hatte und alles tat, um nicht gefangen zu werden. Das längste Quidditch-Spiel hatte drei Monate gedauert. Da konnte man die halbe Stunde, die er am Vorabend benötigt hatte, nicht als lang bezeichnen. „Ich habe länger gebraucht, weil Jimmy mich mit einem Klatscher erwischt hatte. Ich musste mich also auch noch um meine Verletzung kümmern.“   „Oh, wie ist denn das passiert? Jimmy ist doch sonst so treffsicher.“ Sie sah wirklich überrascht aus. Dass es Absicht gewesen sein könnte, kam ihr gar nicht in den Sinn. „Wo hat er dich denn getroffen? Warst du schon bei Madam Pomfrey?“   Harry unterdrückte das Bedürfnis, seine Augen zu verleiern. „Nein, ich war nicht bei Madam Pomfrey. Es war nur meine Schulter und ich habe das allein hinbekommen.“   Granger schaute ihn missbilligend an. „Harry! Du solltest nicht so sorglos sein. Madam Pomfrey ist ausgebildet und kann das viel besser beurteilen als du. Was, wenn du etwas übersehen hast?“   „Hermine, bitte beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Ich habe genau aufgepasst und keine Stelle übersehen. Ich habe gleich danach ein paar Übungen gemacht und ich kann sie komplett bewegen und es tut nichts weh.“ Ein kurzer Schauer ging durch seinen Körper als er sich daran erinnerte, was genau das für Übungen gewesen waren und wer ihn dabei beobachtet hatte. Schnell schüttelte er die Bilder wieder ab. „Mir geht es wirklich gut.“   „Und warum hast du dann solange gebraucht?“ Sie verschränkte ihre Arme und schaute ihn mit einer leichten Ungeduld in ihrem Blick abwartend an.   Was sollte dieses Verhör? „Ich war danach noch etwas essen, wenn du nichts dagegen hast. Und entschuldige bitte, dass ich mich nicht bei dir angemeldet habe, als ich in den Turm gekommen bin. Du sahst nur sehr beschäftigt aus, wie du auf Rons Schoß rumgerutscht bist.“ Er war ihr verdammt noch mal keine Rechenschaft schuldig. Und wenn sie der Meinung war, hinter ihm her schnüffeln zu müssen – sie sollte sich doch bitte hintenanstellen – dann würde er auch entsprechend reagieren. Er musste zwar seine Tarnung aufrechterhalten, das hieß aber nicht, dass er sich alles gefallen lassen musste.   Granger wurde schlagartig rot. Aber bevor sie etwas erwidern konnte, kamen die Jungs die Treppe runter und Weasley hatte sie in den Arm genommen und geküsst. Ihre Wut, die ihr sogenannter Freund nicht einmal bemerkt hatte, war sofort vergessen.   „Guten Morgen, meine Schöne.“, lächelte Weasley Granger an, nachdem er den Kuss gelöst hatte. Sofort wurde sie noch eine Spur röter.   „Ah, Ron! Lass doch bitte dieses Süßholzgeraspel. Das ist ja zum frühen Morgen nicht zu ertragen.“ Finnigan stand gleich hinter Weasley und verzog spaßig angeekelt sein Gesicht. Dafür boxte der Rothaarige ihn leicht in den Oberarm. „Ah, ich bin verwundet. Schnell, bringt mich in die Krankenstation.“ Theatralisch hielt er sich seinen angeblich verletzten Arm und schaute mitleiderregend in die Runde. Er grinste frech, als alle anfingen, zu lachen. Selbst Granger bildete keine Ausnahme. Nur Harrys Miene blieb ausdruckslos. Er konnte an diesem gestellten Schmierentheater nichts Amüsantes finden.   „Was macht ihr denn schon wieder für Blödsinn?“, fragt Brown als sie mit Patil zusammen die Treppe vom Mädchenschlaftrakt herunterkam. Sie blieben ungefähr auf halber Stecke stehen und sahen misstrauisch zu ihnen herunter. Ihre Frage wurde völlig ignoriert.   „Na endlich kommt ihr. Ich bin schon fast am Verhungern.“, grinste Thomas sie an. „Ich dachte schon, ich müsste euch holen kommen.“   „Ich würde zu gerne mal sehen, wie du das schaffen willst. Durch den Glisseo kommst du keine zwei Meter weit.“   „Vielleicht. Aber wenn ihr euch nicht endlich beeilt, stelle ich mich auf die Treppe und sehe zu, wie ihr den Rest runterrutscht.“ Thomas ging einen Schritt auf die Treppe zu. Die Augen der beiden Mädchen weiteten sich vor Schreck.   „Ist ja schon gut, wir kommen ja schon.“, beeilte sich Patil zu sagen, bevor Thomas seine Drohung wahr machen konnte.   „Ach, Harry, du scheinst der einzige vernünftige Junge in Gryffindor zu sein.“ Brown steuerte geradewegs auf Harry zu und hakte sich bei ihm ein. Sie warf noch einen abschätzigen Blick auf das neueste Gryffindor-Pärchen und zog ihn dann Richtung Ausgang. Harry lies es über sich ergehen. Auch wenn ihre kleine Versuche, Weasley eifersüchtig zu machen absolut sinnlos waren, und die beiden sie entweder ignorierten oder belächelten, konnte er mit Browns Verhalten zumindest teilweise sympathisieren. Und er wusste, dass sie ihn loslassen würde, sobald sie durch das Loch gegangen waren.   „Ach, Lavender, jetzt übertreibst du aber. Du hast Neville völlig vergessen. Er ist ein netter Junge und hat nicht solchen Blödsinn im Kopf wie die anderen.“ Sie schaute kurz zu Longbottom, der ihr ein kleines schüchternes Lächeln schenke. Ihr Blick verzog sich kurz, bevor sie sich wieder abwandte.   Aus den Augenwinkeln nahm Harry war, dass Patil zu Longbottom ging und ihm aufmunternd zulächelte, bevor das Portrait zur Seite schwang und er mit Brown durch das Loch stieg.   Wie erwartet, ließ Brown ihn sofort los, als sie auf den Flur getreten waren. Stattdessen schnappte sie sich ihre Freundin und zerrte sie von Longbottom weg. Patil warf diesem noch einen entschuldigenden Blick zu und beeilte sich dann, mit ihrer Freundin schrittzuhalten.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Sie waren diesen Morgen etwas spät dran. Vereinzelte Schüler verließen bereits wieder die Große Halle, um sich auf ihre erste Stunde vorzubereiten. Seufzend bemerkte Harry, dass kaum noch Hufflepuffs und Ravenclaws an ihren Tischen saßen. Nur der Gryffindor-Tisch war voll besetzt – bis auf die ausschlafenden Fünftklässler – und der von Slytherin. Es ließ sich nicht vermeiden, sie mussten an allen Tischen vorbei.   Harry ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und zwang sich dazu, Draco nicht allzu viel Beachtung zu schenken. Sein Ausdruck blieb distanziert, als sein Blick kurz den des Slytherins einfing. Hatte er sich das eingebildet oder hatten Dracos Augen gerade merkwürdig verlangend aufgeblitzt. Er entschied sich, dass sein Verstand ihm einen Streich gespielt haben musste. Die Geschehnisse des gestrigen Abends hatte er immer noch nicht ganz verdaut. Er musste sich jetzt auf seine neue Aufgabe konzentrieren.   Die Gruppe nahm ihre gewohnten Plätze an dem langen Tisch der Gryffindors ein. Die Sitzordnung hatte sich ein wenig verändert, seit Weasley und Granger ein Paar geworden waren. Sie saßen jetzt Harry genau gegenüber, waren aber meistens zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie irgendetwas von ihm mitbekommen hätten. Zu Harrys Rechten saß Longbottom, neben ihm Thomas und Finnigan. Brown hatte Patil zu einer Gruppe von Siebtklässlerinnen gezogen, damit so weit wie möglich von dem Pärchen entfernt sitzen konnte. Harrys linker Platz blieb heute frei.   Harry füllte eine Schale mit Cornflakes und frischen Früchten, während er überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Obwohl er das Gefühl schon gewohnt war, weil Draco seit fast drei Wochen nichts anderen tat, blickte er trotzdem nach oben und sah direkt in Changs dunkelbraune Augen. Sein Blick verhärtete sich und sie schaute sofort wieder weg. Sie würde bestimmt nicht so schnell wagen, ihn noch einmal anzusprechen. Und er würde ihre offene Rechnung auf jeden Fall begleichen. Er wusste nur noch nicht genau wie. Er konnte Granger ja schlecht nach dem Fluch fragen, den sie damals benutzt hatte. Das wäre zu auffällig gewesen. Und Harry selbst kannte nur schwarzmagische Flüche, die diesen Zweck erfüllt hätten. Davon war eher abzuraten.   Plötzlich drehte sich ein Mädchen zu Chang um, zeigte auf eine Stelle in einem dicken Buch, dass gegen einen schlanken Kerzenhalter gelehnt war. Dass der Kerzenhalter trotz des schweren Gewichts, das gegen ihn drückte, nicht umkippte, konnte nur an einem Zauber liegen, der Harry aber nicht vertraut war. Interessanter für ihn war aber, wie das Mädchen – Lisa Turpin glaubte Harry sich zu erinnern – und Chang miteinander umgingen. Sie schienen befreundet zu sein und das eigentlich eher unscheinbare Mädchen sah Chang mit solcher Verehrung in den Augen an, dass Harry beinahe schlecht geworden wäre. Chang dagegen genoss die Bewunderung der Kleinen.   Harry überlegte, ob das Mädchen auch gestern Abend mit in der Großen Halle gewesen war, als er und Chang sich unterhalten hatten. Er hatte nicht wirklich auf die anderen Ravenclaws geachtet. ‚Nein.‘, entschied er sich dagegen, nachdem er sich noch mal die Szene in Erinnerung gerufen hatte, wie die Mädchen nach Changs Abgang eilig ihre Sachen zusammengeräumt hatten. Damit wusste sie nicht, was zwischen ihm und Chang passiert war und Chang hatte es ihr mit Sicherheit nicht erzählt.   Harry betrachtete sie eingehend. Sie war nicht hässlich, eher nichts sagend. Er glaubte, sich dunkel zu erinnern, dass sie zusammen Zauberkunst und Verwandlung hatten. Und vielleicht auch Kräuterkunde? Harry konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Sie gehörte wohl zu den Menschen, die man sofort wieder vergaß, wenn man den Raum verließ. Außer Chang schenkte ihr niemand Beachtung. Also hatte sie auch keinen Freund. Sie sah viel zu schüchtern aus und die einzigen Jungs, die in ihrer Nähre saßen, sahen entweder in ihre Bücher oder zu Chang. Damit war die Kleine eigentlich ein perfektes Ziel für Harry. Nicht nur, um seine sexuelle Orientierung zur Schau zu stellen, sondern auch, um Chang eins reinzuwürgen. Es würde der eingebildeten Ravenclaw bestimmt nicht gefallen, wenn Harry ihr ihre unscheinbare Freundin vorzog. Und wenn Chang daraufhin mit der Kleinen nichts weiter zu tun haben wollte, hätte Harry dem Mädchen auch noch einen Gefallen getan. Es war besser keine Freunde zu haben, als dieses hinterhältige Miststück.   Harry hatte sich entschieden, wer sein Date sein sollte. Jetzt müsste er nur noch den richtigen Moment abpassen, um sie zu fragen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Ob es nun wirklich der richtige Moment gewesen war, um ein Mädchen nach einem Date zu fragen, ließ sich bestreiten. Aber es war auf jeden Fall der perfekte Moment, um sowohl Draco wissen zu lassen, dass er sich mit einem Mädchen verabreden wollte und es Chang unter die Nase zu reiben, dass er lange über sie hinweg war – falls sie das am Abend vorher wirklich noch nicht begriffen haben sollte – und lieber ihre Freundin daten wollte als sie. Gerade als die beiden Ravenclaw aufgestanden waren und die Große Halle verlassen wollten, erhob sich Harry von seinem Platz und eilte hinterher. In der Höhe des Tischs der Slytherin hatte er sie eingeholt.   „Hey, Lisa. Warte mal.“   Überrascht drehte Turpin sich um und sah ihn mit großen Augen an. Auch Chang war stehen geblieben und beäugte ihn misstrauisch.   „Ähm. Was gibt es denn, Harry.“, fragte sie ein wenig zögerlich. Man sah es in ihrem Blick, dass sie nicht oft von Jungs angesprochen wurde.   Harry konnte die Blicke der Slytherins auf sich spüren und einer brannte ganz besonders und ging ihm so tief unter die Haut, dass er einen Schauer unterdrücken musste. Irritiert musste er sich erstmal wieder sammeln. Aber mit dem, was er als nächstes sagen würde, würde man sein kurzes Zögern als Nervosität interpretieren.   Er schenkte Turpin ein schüchternes Lächeln, was ihr augenblicklich eine sanfte Röte ins Gesicht zauberte. Harry musste zugeben, dass ihr das gut stand und sie gleich ein bisschen hübscher wirken lies. Viel lebendiger. Nicht wie der graue Bücherwurm, der sie war. „Weißt du, nächstes Wochenende ist doch Hogsmeade-Wochenende und ich wollte dich fragen, ob du hingehen willst.“ Harry schaute ihr in die Augen, die ihn nur fragend anstarrten. Ravenclaws galten im Allgemeinen als sehr intelligent. Wenn es aber zu zwischenmenschlichen Beziehungen kam, schien dieser Fakt plötzlich nicht mehr zu stimmen. Zumindest bei einigen. „Ich meine, mit mir. Ob du mit mir hingehen willst.“ Er tat ein bisschen verlegen und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Turpin würde sich bestimmt wohler fühlen, wenn er sich nicht so draufgängerisch gab, sondern eher wie der liebe, schüchterne Junge, der er noch vor einem Jahr gewesen war.   Aus den Augenwinkeln konnte er die teils überraschten, teils ungläubigen Blicke der Slytherins erkennen. Klar, die Sechst- und Siebtklässler hatten ihn ja auch in den letzten Wochen von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Natürlich musste dieses Schauspiel auf sie befremdlich wirken, auch wenn sie wussten, dass es das Bild war, was er in der Öffentlichkeit zeigen musste. Aber es ging nicht um sie, sondern nur darum, einen bestimmten Slytherin von einem möglichen Verdacht abzubringen.   „Ich… Ich…“ Turpin war jetzt knallrot im Gesicht und bekam vor Aufregung kaum ein Wort heraus. Aber bevor sie sich soweit wieder im Griff hatte, dass sie hätte antworten können, stand eine vor Wut schnaubende Chang zwischen ihnen, packte sie brutal am Handgelenk und versuchte, sie von Harry wegzuschieben. Das arme Mädchen verzog schmerzhaft ihr Gesicht.   „Lass uns gehen, Lisa. Der meint das eh nicht ernst.“   Aber Turpin blieb wie versteinert an der Stelle stehen und sah verletzt zu ihrer Freundin hinauf. „Wie meinst du das?“   „Na, du weißt doch, dass Harry und ich letztes Jahr miteinander ausgegangen sind.“ Chang sah sie nicht mal an und bemerkte so auch nicht den überraschten Blick des Mädchens, als diese Worte unbedacht aus ihr herausplatzten.   Wütend machte sich Turpin von Chang los und rieb ihr schmerzendes Handgelenk. „Und du meinst, weil er auf dich gestanden hat, kann er jetzt nicht auch auf mich stehen?“ Da hatte sie wohl den Quaffel durch den Ring geworfen. Denn nach Changs Blick zu urteilen, hatte sie genau das damit sagen wollen.   „Nein, nein! So habe ich das doch überhaupt nicht gemeint.“, versuchte Chang sich zu verteidigen. „Ich meinte, dass ich ihn kenne und er nicht so nett ist, wie er immer tut.“   In der Zwischenzeit waren auch Weasley und Granger zu ihnen gestoßen und starrten ungeniert auf die Szene, die sich ihnen bot. Die jüngeren Slytherins fingen an, zu grinsen und ergötzten sich an dem Gratisspektakel. Nichts war schöner, als den Goldjungen von Gryffindor in einer peinlichen Situation zu erleben. Es wäre nur noch schöner gewesen, wenn einer von ihnen der Verursacher gewesen wäre. Auch die Jungtodesser machten mit. Die Scharade musste aufrechterhalten werden.   Turpin schnaubte abfällig. „Das sagst du doch nur, weil du eifersüchtig bist. Ich weiß, dass du gestern mit Harry gesprochen hast und ihn um ein Date gebeten hast. Und er hat dich abgewiesen. Und du bist nur sauer, weil er kein Interesse mehr an dir hat.“   Jetzt war Harry überrascht. Hatten die kleinen Raben also doch geschnattert. Anscheinend verlor Chang langsam ihre Macht über sie. Kurz überlegte er, ob er sich Sorgen machen müsste. Hatten sie auch erzählt, wie er sich Chang gegenüber verhalten hatte? Er war nicht unbedingt nett zu ihr gewesen. Das könnte seinen Ruf einen deutlichen Knacks geben. Aber er glaubte es nicht wirklich. Sonst wäre doch Turpin auf Changs Seite und würde ihn runtermachen und nicht sie.   Chang klappte der Unterkiefer runter und starrte ungläubig auf das Mädchen vor ihr. „Ich wollte dich bloß warnen. Aber wenn du der Meinung bist, alles besser wissen zu müssen, brauchst du nicht mehr zu mir zu kommen, wenn du Hilfe brauchst.“, sagte sie aus zusammengebissen Zähnen. Dann drehte sie sich um und verließ hocherhobenen Hauptes die Große Halle.   „Tch!“, konnte Harry Parkinsons Stimme höre. „Wird Zeit, dass die eingebildete Schnepfe mal einen Heuler bekommt. Zustimmendes Gemurmel kam von allen Seiten und Harry musste sich ein Lächeln verkneifen. Das war ja besser gelaufen, als er erwartet hatte.   „Entschuldige bitte.“, sagte Harry überzeugend schuldbewusst. „Ich wollte nicht, dass ihr euch streitet. Vergiss einfach, dass ich gefragt habe.“ Er ließ seinen Kopf ein wenig hängen und schaute traurig in die unscheinbaren Augen der Ravenclaw. Noch einmal holte er tief Luft, ließ sie mit einem kleinen Seufzer aus seinen Lungen weichen und wollte sich schon wegdrehen, als sein gekonntes Schauspiel Wirkung zeigte und Turpin ihn aufhielt.   „Nein, Harry, warte! Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.“ Sie lächelte ihn scheu an und sammelte ihren ganzen Mut zusammen für ihre nächsten Worte. „Ich würde sehr gerne mit dir am Wochenende ausgehen.“ Als sie geendet hatte, war ihr Kopf so rot wie eine überreife Tomate.   Harry lächelte sie glücklich an. „Dann Samstag, ja? Treffen wir uns hier, nach dem Frühstück?“ Er wirkte auf einmal sehr aufgeregt.   Turpin brachte keine weiteren Worte heraus und nickte nur schnell, bevor sie sich umdrehte und eilig die Halle verließ.   „Ey, Alter. Ich gratuliere. Ich wusste gar nicht, dass du auf die Kleine stehst.“ Weasley klopfte Harry anerkennend auf die Schulter.   „Ja, Harry, warum hast du uns nichts davon erzählt?“, mischte sich auch Granger ein. Ihr Tonfall klang aber mehr vorwurfsvoll.   „Ja, Harry, warum hast du uns nichts davon erzählt? Vertraust du uns etwa nicht?“, kam es gespielt gekränkt von Tracey Davis. Die anderen Slytherin lachten laut.   Granger verzog daraufhin abschätzig ihr Gesicht, was die Schlangen nur noch lauter lachen ließ. Daraufhin schnappte sie sich Harry und Weasley und schob beide an ihren Oberarmen vor sich her.   Harry sah nicht, wie ein gewisser Slytherin verärgert seine Augen zu Schlitzen verengte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)