Die Angst vor der Einsamkeit von Elefantastisch ================================================================================ Mo atmete tief durch, als sie durch die Drehtür der Bank trat. Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, ihre wichtigsten Habseligkeiten in großen Handtaschen aus ihrem Elternhaus zu schmuggeln und vorerst in einem Mietcontainer zwischen zu lagern, den sie hatte bar bezahlen können. Ihr Vater hatte Einsicht in ihr Konto und wurde über alle Transaktionen benachrichtigt, daher war es ihr nicht möglich gewesen, gleich ein Hotelzimmer oder gar eine Wohnung anzumieten, es wären sonst mit Sicherheit unangenehme Fragen aufgetaucht und diese war Mo noch nicht bereit zu beantworten. Bei Fest vor wenigen Tagen war ihr langes Fehlen einigen aufgefallen und allesamt hatten die Nase gerümpft. Vermutlich hatten sie ihr langes Fehlen mit einem großen Geschäft am stillen Örtchen erklärt und das war entgegen jeglicher guter Sitten in Erebos. Über’s Kacken wurde hier nicht geredet. Wie über so vieles. Eine Freundin von Mo hatte sich mal einen Scheidenpilz eingefangen und sogar ihrem behandelnden Arzt war es peinlich gewesen, darüber zu reden, er hatte es sogar vermieden, auch nur das Wort in den Mund zu nehmen und ihr eiligst eine Salbe verschrieben und den nächsten Patienten aufgerufen. Auch psychische Erkrankungen waren nach wie vor ein Tabuthema in Erebos. Einen Therapeuten zu haben war in Mode, das Geschäft boomte, vor allem bei den Damen. ‚Oh nein, heute kann ich nicht zum Brunch kommen, ich habe eine Sitzung bei meinem Therapeuten‘. Fast jeder hatte einen Therapeuten. Dort erzählte man dann von den enormen Belastungen, denen eine reiche Hausfrau ausgesetzt war. Aber über echte Probleme – darüber sprach man nicht. Mo hatte in den letzten Tagen seit ihrem Suizidversuch viel nachgedacht. Über sich. Über ihr Leben, Über Hyperion. Über seine Worte. Und sie war zu einem Entschluss gekommen. Klimatisierte, künstliche Luft empfing sie in der Bank, dahinter eine marmorene Halle mit Schaltern rechts und links, dahinter professionell lächelnde Angestellte in perfekt sitzenden Anzügen und Kostümen. Ihr Vater hatte Mo immer aus allen Bankangelegenheiten heraus gehalten, weil er der Ansicht war, dass Frauen lieber ihren Männern das Geschäft überlassen und sich mit anderen Dingen beschäftigen sollten, daher musste sie sich erstmal durchfragen, bis sie beim zuständigen Mitarbeiter war. Ihr Name war ihm ein Begriff, natürlich als Tochter des Ratsvorstandes und er umschmeichelte sie schon bei der Begrüßung. Aber es wundere ihn doch. Wo denn ihr Vater geblieben sei. Er müsse erst nachsehen, ob er Moira überhaupt Auskunft geben dürfe. Schmieriger Wicht. Moira hatte sich in der Vorbereitungsphase ihres Plans auch mit den Bankunterlagen befasst und wusste demnach, dass sie Geld unbegrenzt von ihrem Konto beheben durfte, ihr Vater würde aber monatlich darüber informiert werden. Der Angestellte kam lächelnd mit den Unterlagen zurück, blätterte eifrig darin und fragte Moira letztlich doch, was er für sie tun könne. „Ich möchte Geld abheben.“ Sie schob ihm ihre Kontokarte über den Tresen. „Aber natürlich, es ist mir eine große Freude. Wie viel darf ich Ihnen denn bringen?“ „Alles.“ Das schmierige Grinsen gefror. Mo hatte eine beträchtliche Summe auf ihrem Konto liegen und es war beinahe greifbar, dass hier etwas im Busch war. Vermutlich hätte der Kerl hinterm Tresen jetzt den Manager geholt, dummerweise war er das selbst. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und er begann zu stammeln. Er roch den Braten, war sich sicher, dass hier etwas nicht stimmte und er womöglich den Zorn es Ratsvorsitzenden auf sich ziehen könnte. Allerdings war das Vorgehen genau in den Unterlagen geregelt, Mo konnte so viel Geld abheben, wie sie wollte, eine Monatsabrechnung würde dann an ihrem Vater ergehen. „Ich würde jetzt gerne mein Geld haben. Wie Sie gerade selbst gesehen haben, ist das vertraglich ganz klar geregelt, demnach verstehe ich nicht, wo das Problem liegt.“ Dem Angestellten blieb nichts anders übrig, als ihr das Geld auszuhändigen. Er zählte große Scheine ab, bündelte sie zwischendurch immer wieder und ließ alles nochmal durch eine Zählmaschine laufen. Die Scheine wurden langsam kleiner, schließlich folgten dann Münzen. Und dann war Mos Konto leer und ihre Tasche prallgefüllt mit Bargeld, das sie zu einer anderen Bank trug, in der ihr Vater sonst nicht verkehrte. Sie eröffnete ein neues Konto, schließlich brauchte sie eines, um sich ein Hotelzimmer nehmen zu können. Und um ihre Studiengebühr zu überweisen, nachdem sie sich in Eros an der Veterinärmedizinischen Universität eingeschrieben hatte. Mit einem Hochgefühl ging Mo shoppen. Kleidung stand bei ihr im Regelfall nicht sonderlich oft auf der Liste, viel eher landeten regelmäßig Mal- und Bastelutensilien und vor allem Bücher in ihrem Einkaufkorb. Heute aber, quasi zur Feier des Tages, ging es in einen Kleiderladen. Natürlich kannte man Moira auch hier und ließ ihr eine Extraportion geheuchelter Freundlichkeit und Service zukommen, während sie ein graues Kostüm anprobierte. Kleidung war in Erebos das Ausdrucksmittel erster Wahl. So wurden wichtige Botschaften nach außen getragen und an die Umwelt versendet: wie stillvoll man doch nicht war, wie wohlhabend, wie akkurat. Hier saß jedes Kleidungsstück, jedes Haar, jeder Lidstrich, die meisten Frauen verbachten mehr Zeit mit ihrem Aussehen als mit ihren Kinder. Und selbst wenn mal ein Zipfelchen Bluse aus dem Rock hervor lugte, konnte man sicher sein, dass das bewusst so drapiert worden war, wenn jemand gerade mal „rebellisch“ sein wollte. Das war dann aber auch schon die einzige Form der Rebellion, die hier geduldet wurde. Der Abend senkte sich langsam herab und Mos Hände fingen an zu zittern. Angst. Sie hatte Angst. Angst vor dem, was sie vorhatte, Angst vor den Konsequenzen, die ihr Vorhaben nach sich ziehen würde. Aber sie wollte keine Angst mehr haben. Wollte sich nicht mehr von der Einsamkeit fürchten und zu ihrer Geisel werden. Mo wollte frei sei, frei von Angst und Zwängen. Sie war bewusst spät dran, wollte einen großen Auftritt hinlegen. Alle sollten Zeugen ihrer Darbietung werden, sollten sehen, wie das Vögelchen seine Flügel spreizte und aus seinem goldenen Käfig flog. Das Dienstpersonal empfing sie offensichtlich überrascht, fing sich aber schnell und geleitete sie professionell diskret zu einem Wartesofa im Eingangsbereich. Die Ratssitzung hatte bereits begonnen und es war nicht klar, wie jetzt mit Mos Forderung, eben dorthin zu wollen, umgegangen werden sollte. Zudem war es nicht nur ihr Zuspätkommen, Frauen waren generell nicht bei der Ratssitzung anwesend. Weil sie in Erebos nichts zu sagen hatten. Moira nahm den Dienstboten die Entscheidung ab und rauschte einfach selbst Richtung Bibliothek. Wie im Film. Das eifrige Dienstmädchen mit einem ‚Aber, Madame, sie können doch nicht einfach…‘ auf den Lippen im Schlepptau, schob Mo die große, hölzerne Doppeltür auf. Die Welt sagte ihr doch immer, dass alles so einfach war. Also machte es sich Mo jetzt einfach mal einfach. In der Bibliothek trat schlagartig Stille ein, als Mo den Raum betrat, alle Augen waren auf sie gerichtet. Was sie denn hier mache? Mos Vater Keto sah sie verärgert an. „Ich hoffe, ihr entschuldigt meine Verspätung. Moros, wenn du meinen Platz bitte frei machen würdest, ich gedenke heute der Ratssitzung selbst beizuwohnen.“ Stille. Völlige, undurchbrochene Stille. Als hätte man das Radio stumm gedreht. Zap, einfach auf das Knöpfchen gedrückt und weg war der Ton. „Das kommt gar nicht in Frage, Frauen haben hier nichts verloren“, zischte Keto und starrte sie aus finsteren Augen an. Vermutlich bereitete er sich innerlich schon auf die Schimpftirade vor, die er Moira nach der Sitzung an den Kopf werfen wollte für ihren unpassenden und peinlichen Auftritt. Zu dumm, dass Mo dann nicht mehr zuhause sein würde. Sie setzte ein reizendes Lächeln auf und sah in ihrem neuen Kostüm aus, wie eine Juristin bei Gericht. Sie war ihre eigene Pflichtverteidigerin. Und hatte sich auf diese Rolle gut vorbereitet. Die letzten Tage hatte sie die Gesetzestexte und die Ratsordnung gewälzt, auf der Suche nach Schlupflöcher und Grauzonen, die sie sich irgendwie zu Nutze machen konnte. Und dabei war sie auf eine interessante Entdeckung gestoßen. Viele der Texte waren noch aus der alten Welt übernommen worden, waren fast schon antik und so wurden viele Dinge an den ältesten Nachkommen übergeben, eine explizite Definition des Geschlechtes dieses Nachkommen hatte Mo aber nirgends gefunden. Früher war wohl standardmäßig immer davon ausgegangen worden, dass dabei die Rede von den ältesten Söhnen gewesen sei und dementsprechend wurde es auch so gehandhabt. Und auch in Erebos war es eigentlich so übernommen worden, dass automatisch immer nur die Männer bestimmte Rechte bekamen. Aber es stand eben nirgends dezidiert niedergeschrieben. Und genau das erläuterte sie jetzt auch dem versammelten Rat. Mo und Moros waren zwar Zwillinge, aber Mo war die Erstgeborene. Und demnach, war das hier ihr Platz im Rat. „Demnach ist es ein gutes Recht, meinen Platz im Rat einzunehmen“, beendete Mo ihren Vortrag mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Der Vogel hatte seine Flügel gespreizt und gelernt zu fliegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)