Die Motus von Futuhiro (Magister Magicae 5) ================================================================================ Kapitel 17: Abschied -------------------- „Ich geh mal ne Runde raus.“ „Ohne Waffe?“ Urnue holte die Pistole hervor und legte drohend auf Victor an. „Ah, du hast sie!?“, gab er nur unbekümmert zurück. „Die hab ich schon vermisst.“ Er schenkte Urnue ein Lächeln und richtete weiter seine Kleider. Heute hatte er sich entschieden, seinen Ledermantel vorn zu zu machen, aber irgendwie wollten die Schnallen nicht so, wie er es gern gehabt hätte. „Ich ziele auf dich, verdammt!“ „Das ist nicht die erste Knarre, die auf mich gerichtet ist.“ „Hast du gar keine Angst vor mir?“, wollte Urnue grenzhysterisch wissen und kippte die Pistole horizontal auf die Seite, damit es cooler und hoffentlich selbstbewusster aussah. Es machte ihn fertig, daß der Russe sich überhaupt nicht beeindrucken ließ. „Angst? Vor dir? Ach was!“ „Ich bin bewaffnet! Und du nicht!“ „Ich brauch nicht unbedingt Waffen. Ich kann auch mit Magie und Körpereinsatz sehr effektiv kämpfen, wenn es sein muss.“ Urnue ließ die vorgehaltene Waffe resignierend etwas sinken. „Ja, als großer, schwarzer Wolf bist du sehr überzeugend.“, gab er finster zu. Victor seufzte leise und ließ die Hände in den Taschen des nun ausreichend zurechtgezurrten Mantels verschwinden. Er hatte keine Lust mehr zu diskutieren. „Hör zu, wenn du mich doch nicht umlegst, würde ich jetzt gern gehen.“ Die Pistolenmündung zuckte wieder hoch. „Du wirst das Haus nicht verlassen, das erlaube ich nicht! Du willst doch sicher wieder diesen Sklavenhändler suchen, der dir letztes Mal durch die Lappen gegangen ist! Ich lasse nicht zu, daß du Leute erschießt! Es muss einen anderen Weg geben, diese Verbrecher loszuwerden!“ „Das entscheidest nicht du. Also dann, bis später, wir sehen uns.“, schmunzelte Victor und zog die Haustür auf, um in den mit hohen Hecken umsäumten Vorgarten zu entschwinden. Nachdem Victor jetzt fast drei Wochen lang das Haus nicht mehr verlassen hatte, hatte Urnue beinahe geglaubt, der Kerl hätte seine Pläne aufgegeben. Weit gefehlt, wie er nun sehen musste. „Aber ... aber ... deine Pistole!?“, rief Urnue ihm hinterher. „Behalt sie. Pass gut auf sie auf, bis ich wieder da bin.“ Fluchend steckte der Genius Intimus die Waffe weg und hechtete ihm nach. „Was denn, kommst du mit?“ „Darauf kannst du deinen Hintern verwetten.“ Victor streckte ihm warmherzig die Hand hin. „Dajtje mnje pistolet. Na los, gib mir die Knarre wieder. Bevor du dich damit noch selber verletzt.“ Er bekam sie auch ungesehen ausgehändigt, auch wenn Urnue dabei etwas beleidigt aussah. „Ich versteh dich nicht, Urnue. Einerseits hast du so ein Problem mit dem, was ich tue. Aber trotzdem kommst du immer wieder mit. Ohne den ernsthaften Versuch, mich aufzuhalten.“ „Letztes Mal habe ich dich aufgehalten!“ „Also wenn das ein ernsthafter Versuch war, dann bin ich enttäuscht von dir. Ich hab ja nichtmal einen blauen Fleck abgekriegt.“ Urnue ließ geschlagen den Kopf hängen. „Du bist so ein arroganter Penner, man. Ich weiß echt nicht, warum ich dich immer noch so gut leiden kann.“ „Aber ich weiß es.“, erwiderte Victor mit einem plötzlich sehr traurigen Lächeln. Dann legte er die Pistole auf den Boden, um sie bei der Verwandlung nicht zu verlieren, nahm die Gestalt eines unscheinbaren Vogels an und hob ab, um eine schnelle Runde über dem Straßenzug zu drehen und zu sehen, ob die Luft rein war. Wäre ja blöd gewesen, wenn irgendjemand von der Motus ihn fröhlich aus Rupperts Haus hätte herausspazieren sehen. Urnue blieb unten am Grundstückstor allein zurück, ohne des Rätsels Lösung erfahren zu haben. Warum mochte er diesen Russen so? Weil der echt was drauf hatte? Weil sein fortwährend gutgelauntes Lächeln davon zeugte, daß seine selbstgefälligen Kommentare eigentlich nur Spaß waren, und nicht ernst gemeint? Schulterzuckend zog er sein Handy heraus und nutzt die Zeit dazu, Ruppert anzurufen, um ihm wenigstens mitzuteilen, wo er steckte. Er hatte in seiner Eile, Victor nicht allein davonkommen zu lassen, nichtmal mehr Bescheid gesagt, daß er außer Haus war. Er musste sich das wieder abgewöhnen, ständig mit Victor draußen rum zu ziehen. Er war ein Genius Intimus, ein an einen Menschen gebundener Schutzgeist, und sollte sich eigentlich ständig in der Nähe seines Schützlings aufhalten. Es dauerte gar nicht lange, bis der rabenschwarze Vogel wieder neben ihm zu Boden ging und wieder zu Victor wurde, welcher in Ruhe seine Pistole einsammelte. „Der Weg ist frei. Wir können los.“ An diesem Abend saßen sie gewohnheitsmäßig zu dritt am Küchentisch, um Abendbrot zu essen. Urnue war ja schon längst in die Riege der Eingeweihten aufgestiegen, aber die Haushälterin wurde immer noch von Unterhaltungen jeglicher Art ausgeschlossen. Sie hielt Victor nach wie vor für einen Freund, der einfach nur auf Urlaub hier war und Ruppert ohne konkreten Anlass besuchte. Urnue schob sich mit der Gabel ein Stück Schnitzel in den Mund. „Mit Victor zu arbeiten, ist manchmal echt anstrengend.“, mampfte er mit vollem Mund. „Ach, jetzt arbeitet ihr also schon zusammen?“, hakte Ruppert mürrisch nach. Er hatte nach wie vor ein Problem damit, daß sein Genius Intimus und Victor so dicke waren, auch wenn er es aufgegeben hatte, dagegen vorzugehen. „Naja, nein, das war übertrieben. Aber echt mal, er tut Dinge, ohne sie dir zu erklären. Er verschwindet, ohne dir zu sagen, wohin oder warum, und lässt dich einfach dort zurück wo du gerade bist. Und taucht dann wieder auf und scheucht dich hoch, ohne dir zu sagen, was los ist.“ „Klingt nach nem ziemlichen Idioten.“, lachte Victor selbsthumoristisch und nahm einen Schluck von seinem englischen Bier, das dem englischen Kaffee an Lausigkeit in nichts nachstand. „Oh, nein, im Gegenteil. Er ist einfach nur vorsichtig. Er muss sicher sein, daß du nicht zuviel weißt.“, hielt Ruppert an Urnue gewandt dagegen. „Vertraut er mir nicht?“ „Doch. Dir schon. Aber er vertraut nicht seinen Feinden, die dich in die Finger kriegen könnten. Du bist dir doch wohl hoffentlich bewusst, daß das gefährlich ist, mit ihm in London rumzulaufen.“ „Ihn alleine rumlaufen zu lassen, wäre viel gefährlicher.“, maulte Urnue. Victor stellte schmunzelnd sein Bier weg. „Hör mal, Ruppert, ich hab mich heute bei der englischen Zentrale der Motus rumgetrieben.“ Ruppert verschluckte sich akut an seinem Essen. „Bist du wahnsinnig?“, würgte er zwischen zwei Hustenanfällen. „ne volnujstjes. Keine Sorge. Ich bin nicht gesehen worden. Aber die Motus zieht gerade sehr offensichtlich alle verfügbaren Leute in London zusammen. Ich schätze, die haben spitz gekriegt, daß ich mich irgendwo hier in der Gegend aufhalten muss.“ „Selber Schuld!“, zickte Urnue dazwischen. „Was musstest du auch unbedingt diesen Eis-Speier verschwinden lassen!? Diesen Motus-Wichser da, den ihr 'Rollender Rubel' genannt habt.“ Victor ignorierte ihn. „Ich bin jetzt schon über 2 Monate hier bei dir, Ruppert. Und ich bin dir wirklich dankbar, daß du mir so lange Unterschlupf gewährt hast. Aber ich denke, jetzt ist es langsam an der Zeit zu gehen. Ich sollte weiterziehen. Ich bin inzwischen wieder fit und ich habe viel Arbeit vor mir.“ Ruppert atmete sichtlich durch. „Gut, wie du meinst. Ich wünsch dir Erfolg.“ „Was, du verlässt uns?“, wollte Urnue, schlagartig unglücklich, wissen. „Aber wo willst du denn hin?“ „Zurück nach Russland. Ich habe ein hübsches Plätzchen in der tiefsten, sibirischen Pampa gefunden, das ich mir herrichten werde. Dort findet mich niemand.“ „Und wann wirst du gehen?“ „Morgen bin ich weg.“ „Woar, so schnell?“, jammerte Urnue. Ruppert nickte nur nachdenklich. „Nagut, ist mir recht. Meine beiden Söhne haben gefragt, ob sie wieder mit zu mir ziehen können. Sie haben wohl mit ihrer Mutter immer stärkere Differenzen und wollen dort weg. Da könnte ich sicher keinen Vize-Chef der Motus mehr im Haus brauchen. Aber lass trotzdem ab und zu mal von dir hören!“ Es war der nächste Vormittag. Der letzte Vormittag. Victor und Urnue standen inzwischen allein im Vorgarten. Ruppert, der noch nie ein sehr herzlicher Typ gewesen war, hatte seine Verabschiedung kurz gehalten und sich schon wieder auf den Weg zurück zum Haus gemacht. Urnue hingegen konnte sich immer noch nicht so recht von dem Russen trennen, der für ihn langsam Idol-Status hatte. Ja, er war ein Mörder und Verbrecher, daran hatte sich Urnue erst gewöhnen müssen, aber seine Opfer hatten es einfach nur verdient, ausnahmslos. Victor warf einen sentimentalen Blick in die Wolken hinauf. „Wünschst du dir manchmal, du wärst mir nie begegnet?“ „Nein.“, meinte Urnue gelassen. „Am Anfang hab ich mir das oft gewünscht, aber inzwischen nicht mehr. Seit ich dich besser kenne und deine Arbeit verstehe, bin ich eher stolz, jemanden wie dich zum Freund zu haben ... Dragomir.“ „Vertraue den Menschen nicht. Sie haben dir wehgetan.“, raunte Victor ihm leise und ernst zu. Mit den Augen signalisierte er dabei vielsagend in Rupperts Richtung, um zu bekräftigen, daß er tatsächlich ihn meinte. „... und werden es wieder tun.“ „Vict- ... Dragomir. Das ist mein Schützling.“, flüsterte Urnue fassungslos zurück. „Ja? Behandelt er dich so?“ Victor lächelte ihm aufmunternd zu, um zu sagen, daß er über das Thema in einer ruhigen Minute nochmal nachdenken sollte, dann wandte er sich mit einem symbolischen Griff an eine erdachte Hutkrempe ab und ging. „Was?“, flüsterte Urnue, inzwischen nur noch zu sich selbst. Er war ein Genius Intimus. Er war an seinen Schützling gebunden, das musste Akomowarov doch klar sein. Er konnte nicht weg, geschweige denn Ruppert irgendwie schaden. „Los, komm in die Gänge, du Abschaum.“, blaffte Ruppert, der schon in der Tür stand und nicht länger auf Urnue zu warten gedachte. Nein, das sollte er auch gar nicht, begriff Urnue da. Er sollte Ruppert nichts antun. Das war es nicht, was Akomowarov ihm hatte sagen wollen. Er sollte sich nur mal deutlicher bewusst werden, wie Ruppert ihn eigentlich behandelte, und ob er das weiter so hinnehmen wollte. Und im gleichen Atemzug wurde ihm auch klar, warum er Victor die ganze Zeit so unerklärlich gern gemocht hatte. Weil der ihn nie so abfällig behandelt hatte. Victor hatte, trotz seiner ganzen selbstgefälligen Masche, nie so getan als wäre Urnue weniger wert als er selber. Mit einem dezenten Kopfschütteln und etwas mürrischer Miene drehte Urnue sich um und kam zum Haus zurück. „Ruppert, wir müssten mal über deinen Wortschatz reden!“, merkte er trotzig an. „Was ist damit?“ „Du könntest dir mal nettere Namen für mich einfallen lassen.“ Ruppert schaute ihn mit großen Augen an, dann sah er Akomowarov nach, der gerade um eine Ecke verschwand, dann glotzte er wieder Urnue an. Ende / Fortsetzung folgt ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)