Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 50: 50 - Der Tag, an dem eine Ära endete ------------------------------------------------ Die meisten Tage seines Lebens vergaß man mit der Zeit. Es gab einfach zu viele davon. Manche verschwanden schon nach einigen Wochen aus dem Gedächtnis, manche erst Jahre später. Sie zogen so leise und schleichend von dannen, dass man noch nicht einmal die Chance hatte, sie irgendwie festzuhalten. Doch die, die blieben, waren so einschneidend, dass sie wohl für immer im Gedächtnis haften würden. Eingebrannt für die Ewigkeit. Voller Emotionen. Tage voller Freude und voller Glück, voller Schande und voller Scham, voller Siege und voller Niederlage. Manchmal auch alles zusammen. Und manchmal auch so unglaublich einzigartig, wie wohl der Tag, an dem eine Ära endete. Es erinnerte mich an eine untergehende Sonne. Man sah schon die Dämmerung aufziehen, und war dann aber überrascht, als es plötzlich dunkel war. Etwas übertrieben vielleicht, doch in dem Moment war es genau die richtige Beschreibung für das Gefühl, welches diesen einen Tag dominierte. Solch eine Hokage-Zeremonie war gar nicht solch ein großartiger Akt, wie man es vielleicht vermuten mag, obgleich der Begriff „Zeremonie“ doch sehr feierlich klang. Der formelle Teil war übrigens schon einige Tage zuvor über die Bühne gebracht worden. Das war die Zeit, in der Kakashi und Naruto zusammen mit Shikamaru durchs Büro tigerten, Raum für Raum abklapperte, Schlüssel sortierte und Übergabeprotokolle unterschrieben. Alles musste amtlich und sachlich seine ordentlichste Ordnung haben. Ich war natürlich bei der Prozedur nicht zugegen, doch wie Plaudertasche Gai zu berichten wusste, traf es wohl alle anwesenden Mitarbeiter, die nebenbei Zeuge der Aktion wurden, doch im Herzen härter als man zugeben würde. Denn nach Gais Schilderungen war das Ganze wohl so abgelaufen, dass Kakashi nichts behalten wollte. Weder irgendeinen Türschlüssel für irgendwelche Notfälle, noch seinen Zugangsaccount für den Laptop im Büro. Und somit war die Endgültigkeit des Amtswechsel in Stein gemeißelt und nicht mehr rückgängig zu machen. Kakashi war nun weg. Für (fast) immer. Punkt! Aus! Ende! Und der nur noch wenige Tage amtierende Rokudaime zeigte auch keine Ambitionen, regelmäßig im Kreise seiner Truppe aufzukreuzen. Höchstens mal sporadisch. Nicht immer, dafür aber immer weniger. Warum auch immer Kakashi sich selbst stets als „Schlechtester Hokage aller Zeiten“ bezeichnete, seine Truppe sah das anscheinend nicht so. Und auch in der Bevölkerung sprach man keineswegs ungnädig von ihm, sondern bewunderte sein Handeln nach dem Krieg, wie er Konoha wieder stabilisiert und vorangebracht hätte. So schlimm konnte seine Amtszeit also gar nicht gewesen sein, aber so viel Lob wollte er immer gar nicht hören. Am Tag der Tage war das ganze Dorf festlich geschmückt. Um am Fest angemessen teilzunehmen, kleidete man sich als anständiger Dorfbewohner in einheitlicher Dorftracht. Dunkle Hosen und weiße Obergewänder mit dem roten Feuer-Kanji im Nacken bildeten das Gesamtbild. Dann wartete man früh morgens auf dem Vorplatz des Hokageturms und haderte der Dinge, die sich da gleich einige Meter höher ereignen würden. Es waren viele Menschen auf den Beinen, denn der Tag war zum Feiertag erklärt worden, an dem die Geschäfte geschlossen hatten. Man hatte also für die Beiwohnung des Spektakulums jede Menge Zeit mitgebracht, auch wenn das Ganze nur ein paar Minuten dauern würde. Ich stand etwas am Rande des Platzes, von wo ich die Dachterrasse des Turms gut sehen konnte und schweifte mit meinem Blick über die versammelten Leute. Viele bekannte Gesichter gab es zu entdecken, doch ich mochte nicht mit auch nur einem davon reden. Erst fieberte man diesem Tag entgegen und nun hatte man doch einen wehmütigen Kloß im Halse stecken. Da war mir die Rolle des stummen Beobachters ganz recht. Je mehr der Zeiger der großen Turmuhr zur vollen Stunde kroch, desto größer wurde dieser Brocken. Ich nickte nur, als die Kinder meinten, sie würden zu in der Menge entdeckten Spielkameraden laufen. „Hättest du deinem Freund nicht mal sagen können, er hätte sich zu diesem besonderen Anlass die Haare kämmen können?“, wurde von der Seite her gewitzelt. Erschrocken drehte ich mich herum, weil ich so in Gedanken versunken war, dass ich alles um mich herum vergessen hatte. Es verschlug mir nun für den Bruchteil einer Sekunde vollends die Sprache, dafür freute ich mich kurz darauf umso mehr. Tenzô war wieder da! Es war mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, als wir uns zum letzten Mal sahen. Na, das müsste er mir später mal beichten, weshalb er so lange nichts von sich hatte hören lassen. „Du wirst es kaum glauben, aber die Haare sind gekämmt!“, spielte ich lachend den Ball zurück. Es war schön, wenn man einem ähnlichen Humor nachging. „Wo warst du die ganze Zeit? Ich hatte versucht, dich zu erreichen!“, bohrte ich. „Erzähl ich dir nachher...“, meinte er abwinkend und spannte meine Neugier auf die Folter. „Sag mal, stimmt das, was Gai erzählt hat, mit Kakashis Geburtstagsgeschenk?“, fragte Tenzô ungläubig. „Klar!“, grinste ich wie Honigkuchenpferd. Kakashi und ich hatten für uns gegenseitig mal abgemacht, dass wir uns nichts zum Geburtstag schenken müssten. Ein Geburtstag war ein Tag wie jeder andere auch. Und irgendwie hatte man schon alles, was man sich an Kleinkram so wünschte, im Laufe seines Lebens selbst zusammengesammelt. Das, was man sich nun noch wünschte, waren Dinge, die man nicht mit Geld aufwiegen konnte. Ich hätte nie gedacht, dass ich beispielsweise einmal an einem Punkt ankommen würde, wo ich mir mehr Ruhe in meinem Leben wünschte. Oder Glück. Oder Gesundheit. Die Sache mit dem Haus war eine ganz andere Geschichte gewesen und im Endeffekt ein Geschenk für alle Familienmitglieder. Trotzdem hatte ich es mir in diesem Jahr nicht nehmen lassen, aus einem Jux heraus diese Regel zu brechen. Als ich Kakashi auf der Arbeit heimgesucht und mir daraufhin um ihn und seine Gesundheit Sorgen gemachte hatte, war mein dumpfes Gefühl nämlich gar nicht so verkehrt gewesen. Eine Woche später lag der mit einer Erkältung wirklich flach. Ich war froh, dass die Symptome der echten Männergrippe bei meinem Freund erstaunlich flach verliefen. Trotzdem lag er gespielt sterbend im Bett, hatte zu nichts eine Meinung und verlor keine großen Worte. Darüber hinaus quälte ihn die Langeweile, da sein Kreislauf verrückt spielte und es gezwungener Maßen auch keine anderen Möglichkeiten außer permanenter Bettruhe für ihn gab. Was machte man schon den ganzen Tage im Bett? Das Fernsehprogramm war nervig und sämtliche Icha-Icha-Bücher bis zur Seitenvergilbung ausgelutscht. Also hielt ich spontan und angereichert an schwarzem Humor am Tage seines Geburtstags an einem Buchladen an und durchforstete die „Ab 18“-Ecke. Es musste doch einen halbwertigen Ersatz für Jiraiyas Pamphlete geben? Die Verkäuferin schaute mich verstohlen vom Verkaufstresen an, wie ich mich intensiv durch die erstaunlich große Auswahl blätterte ohne die Miene zu verziehen. Mit zwei, dem Klapptext glaubend, mittelmäßig anspruchsvollen Romanen und einem künstlerisch wirklich wertvoll gezeichnetem Manga in den Händen zahlte ich dann und verpasst der Verkäuferin einen hochroten Kopf, als ich sie bat, den Lesestoff als Geschenk einzupacken. Genau die gleiche Gesichtsfarbe bekam Kakashi, wie ich ihm die Überraschung voller boshafter Vorfreude überreichte und trocken kommentierte: „Damit du mal den Horizont erweiterst und etwas Sinnvolles tust. Also ich fände das auf Seite 87 bis 95 auch mal ganz nett...“ Und so ließ ich ihn dann ohne eine Antwort abzuwarten zurück. Sein Gesichtsausdruck – unbezahlbar! Irgendwo zwischen Verkehrsampel und Chilischote. Aber wenigstens hatte er keine Langeweile mehr. „Ach, so war das!“ lachte Tenzô, als ich ihm die Hintergrundgeschichte kurz zum Besten gegeben hatte. „Ich hab mich schon oft gefragt, ob es dir nichts ausmacht, wenn er überall und nirgends Pornos liest.“ „Du musst ihn verstehen. Er kann nicht anderes.“, tat ich gespielt Mitleid empfindend und kicherte in mich hinein, wo doch gerade Tenzô zu den Leuten gehörte, die immer über die Schulter hinweg mitlasen. Es machte mir tatsächlich nichts aus, weil ich die Macke als ziemlich harmlos fast als niedlich empfand und ich mit Sexualität keine Berührungsängste hatte. Man muss solche Macken auch mal von der praktischen Seite sehen. Ich entsann mich daran, als ich ewig und drei Tage lang in unserem Wunderkaufhaus um die Ecke irgendetwas in den Regalen gesucht hatte. Kakashi konnte man da bequem mit dem Einkaufswagen auf dem Gang abstellen, ohne dass der sich auch nur ein einziges Mal beschwert hätte. Er parkte dort an den Wagen angelehnt, wo man ihn abgestellt hatte, las sein Buch und schob den ganzen Kram zur Kasse, wenn man ihn wieder abholte. Kein ungeduldiges Meckern, kein Drängeln. Ein Traum, oder? Die Turmuhr schlug neun Uhr. Oben auf der Turmterrasse wurde getuschelt. Für den Bruchteil der Sekunde hatte ich den Eindruck, etwas würde nicht nach Plan verlaufen, doch das Geknalle einiger Feuerwerksraketen lenkte mich ab. Kaum waren diese verballerte, sprach Kakashi einige Worte an die Menge. Seine Stimme registrierte ich gar nicht, obwohl sie laut und gleichmäßig über das halbe Dorf hallte. Dann trat Naruto neben ihn, und schon war der ganze Zauber auch wieder vorbei. Die Menge applaudierte und freute sich. Und ich starrte nur stumm mit Tränen in den Augen nach oben. Der dicke Kloß in meinem Hals nahm mir echt die Luft. Warum musste ich eigentlich fast heulen? Was auch immer genau eben gerade geschah: Genau hier und jetzt hörte etwas ganz Besonderes auf. Ein ganz großer Abschnitt war zu ende. Ein brandneuer, unbekannter Abschnitt fing nun an. Ab jetzt würde alles anders werden. Hier und heute. Das spürte ich. Tenzô strich über meinen Oberarm und nannte meinen Namen. Wie durch eine Nebelwand sah ich ihn an. „Doch so schlimm? Na los, komm mit!“, meinte er aufmunternd und deutete mit einem Kopfnicken zur Dachterrasse. „Wie? Da hoch? Da gehör' ich doch gar nicht hin...“, jammerte ich völlig unbegründet los. Bis heute zählte ich mich nicht zum Kreise der Shinobi-Clan-Mitglieder, auch wenn ich so langsam Fuß in dieser Welt gefasst hatte. „Was ist denn los mit dir? Du bist doch sonst nicht so?“, duldete er keine Widerworte und meinte noch augenzwinkernd: „Da gibt es bestimmt auch was zu Essen. Ich hab' nämlich noch nicht gefrühstückt!“ Oh Mann, so verfressen sah Tenzô gar nicht aus, wie der immer tat. Den trieb echt der Hunger voran. Meine Güte, was um alles in der Welt hatte der denn die letzten Wochen getrieben? Das war ja schon beängstigend. Dabei machte der noch nicht einmal einen ausgemergelten Eindruck, sondern strahlte wie die Frühlingssonne. Seltsam, seltsam! Kopfschüttelnd blickte ich ihm nach, als er schon die ersten Meter Boden gutgemacht hatte. Seufzend fügte ich mich dem Schicksal und kam jedenfalls mit. Man darf das nun nicht falsch verstehen, weil Tenzô so direkt den Turm ansteuerte: Eine Abschiedsparty oder gar ein Buffet gab es dort definitiv nicht. Das war auch gar nicht geplant worden. Wohl aber wenige Verstecke, die Tenzô nun zielgenau abgraste. Als schweigender Verfolger beobachtete ich, wie er eine Teeküche inspizierte und sich dann am Kühlschrank bediente. Nichts geringeres als Kakashis Bentobox wurde stibitzt, als wäre es das Normalste der Welt. Noch ehe ich einen Spruch und mein Empfinden über diesen Diebstahl äußern konnte, wurde meine Sicht verdeckt. „Hier, halt mal!“, hörte ich Kakashi, der mir einfach im Vorbeigehen seinen Hut aufgesetzt hatte. „Ich dachte, du wolltest erst morgen zurückkommen?“ Letzteres bezog sich auf den ausgehungerten Freund. Ich schob den Hut ein Stück nach oben und sah nun, wie er jenem die Box wieder aus den Händen zog. Dieser fühlte sich nun doch wohl schuldig und auf frischer Tat ertappt. Er zuckte nichtssagend mit den Schultern. Kakashis Auftauchen war einfach wie eh und je zu spontan. „Wieso hast du den Hut bei dir?“, wunderte ich mich nun, weil ich gemeint hätte, Kakashi hätte ihn vorhin an Naruto übergeben. Was viele vielleicht noch nicht wussten: Jeder Hokage behält seinen Hut. Der wurde nur symbolisch wie eine Krone weitergereicht. Aber hinterher hätte jeder seine eigene Kopfbedeckung. Das machte ja auch Sinn, weil jeder einen anderen Kopfumfang hatte. Zu Beginn, als Kakashi das Amt von Tsunade aufgedrückt bekommen hatte, musste er sich mit deren Hut begnügen und ihn durchs Dorf tragen. Doch der war vom Durchmesser viel zu schmal gewesen und wirkte recht unglücklich auf Kakashis wallender Mähne. Wie eingelaufen. Ein Grund, warum bei jedem Haarschnitt die Haare immer ein Stück kürzer wurden. Hut und Frisur waren nicht kompatibel. Kakashis späterer Hut war um einiges breiter. Und schwer war der. Das merkte ich jetzt, wo ich den zum ersten Mal auf hatte. Durch die nach vorn gezogene Spitze und den umlaufenden Nackenschutz sah man auch kaum was von der Umgebung. Kein Wunder, dass er den Hut immer lieber am Band auf dem Rücken trug. Aber um auf das eigentliche Thema zurückzukommen, weshalb der Hut nun auf meinem Kopf anstelle auf Narutos war, wurde mir Sonderbares offenbart. Ich war bass erstaunt, als mir mein Freund verriet, dass sein Nachfolger doch gar nicht anwesend gewesen wäre. Konohamaru hatte ein Jutsu anwenden müssen, um exakt wie Naruto auszusehen. Wüsste der Teufel, wo Naruto sich herumtrieb. Später löste sich das Rätsel auf, dass dessen Tochter ihren Vater mit einer unkontrollierten Augentechnik in das Land der Träume geschickt hätte. Eine Ausrede, die Kakashi lachend gelten ließ. Kinder waren nun mal so … Es war schon spät in der Nacht, als sich wahre Abgründe auftaten. Es rumpelte laut, was mich erschrocken aus dem Schlaf auffahren ließ. Einbrecher? Nein, viel, viel besser! Da war ein Ninja an meinem Fenster, der mir herrlich bekannt vorkam. Völlig ungelenk schob er die Scheibe mit viel zu viel Schwung auf, dass es knallte. Dann schwang er sich fern ab jeglicher Eleganz hindurch und landete wie ein Kartoffelsack auf meinem Bett. Meine ganze Matratze wackelte wie der Wellengang des Ozeans. Bewundernswert, wie er es in diesem Zustand überhaupt die Hausfassade hinauf geschafft hatte. „Wolltest du nicht nach der Sauftour nach Hause gehen?“, fragte ich und unterdrückte ein Kichern. Tenzô und Gai hatten nämlich die grandiose Idee gehabt, dass der Feiermuffel Kakashi, der in seinem ganzen Leben noch nie ordentlich lustig und ordentlich besoffen gewesen wäre, diese übersprudelnden Emotionen eines Vollrausches wenigstens ein einziges Mal in seinem Leben erlebt haben müsste. Und wann wäre eine bessere Gelegenheit als heute, wo er doch nun in Rente wäre? Gesagt, getan! Kakashi fand zwar überhaupt nicht, dass er etwas in seinem Leben verpasst hätte, doch er wurde von zwei ehemaligen Freunden, die er nämlich in der Sekunde des Mitnehmens zu Feinden erklärte, einfach abgeschleppt. Ich wurde sogar zum Oberfeind erklärt, weil ich beim Abschied noch fröhlich hinterherwinkte und viel Spaß wünschte. Armer Kerl! Niemand wollte ihn retten. Jetzt saß er hier ebenso verloren und grübelte. „Wieso? Ich bin doch zu hause?“, entgegnete er schließlich verwirrt und stellte damit klar, dass die Artikulation noch einwandfrei funktionierte. Kakashi sah sich um. Obgleich er mitten auf dem Bett saß, schwankte der Oberkörper bedrohlich. Umhüllt wurde er von einer Smokwolke aus Alkohol und Tabak. Moment mal, seit wann raucht der? Gai und Tenzô hatten sich aber echt ins Zeug gelegt, den abzufüllen. Da müsste ich doch, wenn sie irgendwann wieder nüchtern wären, mal fragen, wie sie das zu Stande gebracht hätten. „Öhm, nein! Dein Bett steht einige Stadtteile weiter. Dies ist mein Bett. Aber du darfst trotzdem bleiben“, klärte ich ihn auf und beobachtete schelmisch die Reaktion. Aber Kakashi war das nun wohl zu hoch. Er schüttelte nur den Kopf über diese Denksportaufgabe. Mein Bett, dein Bett. Er hatte ein Bett gefunden, dass er kannte und wo man ihn auch nicht rausschmeißen würde. War doch total egal, wo dieses Bett stand. Dafür ließ er sich nun vorne überfallen, dass er mich fast unter sich begrub und platzierte dabei meine beiden Handgelenke über meinem Kopf. Faszinierend, wie diese konditionierten Ninja-Griffe auch im besoffenen Zustand abgerufen werden konnten. Die saßen auf den Millimeter genau und fixierten mich auf dem Rücken liegend. Flucht zwecklos. Sein Kopf kuschelte sich nun an meinen. Puh, eine Sakebrennerei war nichts dagegen, den die Smokwolke zog ihm hinterher. Er küsste mich wild und ein bisschen ungestüm, wie ich es so noch gar nicht von ihm erlebt hatte. Mein besoffener Freund gefiel mir immer besser. Doch während er nahe bei mir war, hatte ich gespürt, wie er zusammengezuckt war. Aus seinen Küssen schmeckte ich neben Sake und Tabak noch einen undefinierbaren Geschmack heraus. Süßlich wie Eisen. Merkwürdig. „Tut dir was weh?“, fragte ich vorsichtig. „Ich glaub, nur ein bisschen“, überlegte er lange. „Wie kann man denn glauben, dass einem 'was weh tut?“ Nun war ich diejenige, die verwirrt war. Hallo, Erde an Kakashi? Man merkt doch, ob man sich wehgetan hat. Oder etwa nicht? Ich befreite sachte meine Hände aus seiner Umklammerung. Mit der einen Hand strich ich ihm über den Kopf. Da war etwas Warmes, Weiches, Nasses … Blut! Plötzlich war ich mehr als hellwach und schnellte hoch. Kakashi kullerte unvorbereitet von meiner Aktion wie ein Baumstamm beinahe über die Bettkante hinweg und hielt sich dann die Augen zu, just als ich meine Nachttischlampe einschaltete. Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr Schmerz ertragen musste. Kakashi, der nun das grelle Lampenlicht in den Augen hatte. Oder ich, die einen zertrümmerten Freund ansah. Der sah aus, als wäre er unter das Müllauto geraten. „Was ist denn mit dir passiert?“, rief ich entsetzt aus und konnte gar nicht glauben, dass dort tatsächlich Kakashi in meinem Bett sein sollte. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Bestimmt hatte ich es hier mit einem üblen Doppelgänger zu tun, und der echte Kakashi lag vielleicht wirklich in seinem eigenen Bett. Das musste ich prüfen. Dann stand ich auf und schloss erst einmal das Fenster. Mein gemütliches Schlafzimmer war längst ausgekühlt und hatte gefühlte Minusgrade. Ich murmelte, dass ich sofort wieder zurück wäre und holte einen feuchten Lappen und Pflaster. Als ich wiederkam, hatte sich mein angeblicher Freund schon aus der Hälfte der Klamotten geschält. Ich atmete erleichtert auf. Ein Doppelgänger konnte gewöhnlich nur das kopieren, was man von ihm sah. Kakashis Muttermal am Kinn, die gekreuzte Narbe auf dem Brustkorb oder die Narbe unter der Kniescheiben waren nur wenige seiner Kriegsverletzungen, die wohl kaum einer kannte. Und da dieses Exemplar all diese Merkmale aufwies, musste es sich glücklicherweise wohl tatsächlich um das Original drehen. Man gut, dass Kakashi meine Gedanken nicht mitbekam. Da hätte er wieder nur mit den Augen gerollt und gefragt, was in meinem Hirn denn so los wäre. Der saß da aber nun erst einmal, ahnte von meinen Hirngespinsten nichts, und ließ sich das Blut von der Schläfe und vom Kinn wischen. Zwei Platzwunden am Kopf. Und ein paar blaue Flecke. Mehr nicht. Dann schlang er seine Arme um meine Taille und vergrub seinen Kopf in meinem Nachthemd. „Erzählst du mir jetzt, was passiert ist? Bist'e du vorhin beim Hochklettern 'runtergefallen?“, versuchte ich zärtlich die Wahrheit herauszukitzeln. „Quatsch, Genma hat mich genervt. Also hab ich ihn verprügelt.“ „Du hast WAS?!?!“ „Der hat dich nicht blöde anzumachen!“, stellte Kakashi klar und blickte dann mit einem Dackelblick an mir herauf, dass man ihm gar nicht böse sein konnte. Trotzdem musste ich schlucken. Wenn Kakashi nach der Prügelei, was auch immer das heißen mochte, dieses Trümmerbild abgab, wie hatte es dann Genma erwischt? Da stieg schon ein wenig Sorge in mir auf, ob der Shinobi nun irgendwo in Einzelteile zerlegt in der Gossen liegen würde. Kakashi neigte zum maßlosen Übertreiben, wenn er an einer Sache erst einmal seinen Spaß gefunden hatte. Während ich die Pflaster klebte und noch einige Krusten an eingetrocknetem Blut von seiner Haut abrubbelte, war die Geschichte schnell erzählt. Wege kreuzten sich in Konoha recht schnell. Genma konnte besoffen seine große Klappe nicht halten. Und Kakashi war zuvor noch nie besoffen gewesen. Eine ungünstige Kombination auf dem Heimweg. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Und er hätte Genma noch gewarnt, dass er ohne Sharingan so ein Chidori nicht mehr steuern könnte. Aber er würde ihm schon klar machen, wie da so ein kürzester Weg zum Herzen funktionieren würde. Selber Schuld, der Idiot. Kakashi schnaufte und schaute mich dabei aber voller Stolz aus großen Augen wie ein Hund an, der brav sein Frauchen verteidigt und dafür sein Leben gegeben hätte. Fehlte nur noch, dass er um ein Hundekuchen betteln würde. „Du machst Sachen...“, tadelte ich leise, wischte den letzten Fleck weg und verteilte viele Streicheleinheiten an meinen Helden. Ja, hier und heute begann ein neuer Abschnitt. Kakashi außer Rand und Band und fern jeglicher alter Zwänge. Das konnte ja heiter werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)