Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 37: 37 - Der Tag, an dem Kakashi sich entschied ------------------------------------------------------- Julizeit, Regenzeit! So schlimm, wie es klang, war es im Feuer-Reich klimatisch zwar nicht bedingt, doch der Juli mit seinen periodisch wiederkehrenden Landregenwochen war ein Monat voller Symbolik und Parallelen zu unserem Leben. Meine Mutter war samt meiner Schwester wie ein Gewittersturm abgerauscht. Es folgten Tage des persönlichen, inneren Aufpralls und der Ernüchterung. Die ersten Regentropfen der aufziehenden Regenfront über Konoha glichen einer reinigenden Dusche. Sie wusch den Staub aus den Straßen und zugleich die Verstörung aus meinem Kopf. Der Besuch meiner Mutter und mein Bruch mit der eigenen Familie setzte mir stärker zu als gedacht. Die Auswirkungen davon verfolgten mich noch lange, teilweise viele Jahre. Die bereits erwähnten Anwaltsbriefe waren nur eine winzige Spitze des Eisberges. Zwischen den kräftigen Regenfällen brach die Sonne durch die Wolken. Sie erhitze den Erdboden und kochte die Einwohner in dicker, stickiger Luft. Und ebenso hätte man auch die Stimmung bei uns daheim beschreiben können. Es herrschte im wahrsten Sinne des Wortes dicke Luft. Asa konnte den Tod ihrer geliebten Mutter nicht akzeptieren. Wie hätte man es auch anders erwarten können? Sie reagierte aggressiv, vergaß sämtliche Erziehung, die sie jemals genossen hatte, und hielt Kakashi pausenlos mit ihrer Bockigkeit und rotzfrechen Art auf Trab. Die letzten Tage bis zu den großen Ferien schwänzte sie gar die Akademie und trieb sich stattdessen lieber in den Wäldern rund um Konoha herum. Obgleich sich Kakashi wirklich alle verfügbare Zeit nahm, die er zusammenkratzen konnte, so war es für seine Tochter nur ein winziger Strohhalm, der für den richtigen Halt nicht ausreichte. Ich sah meinem Freund an, wie sehr ihn die Gesamtsituation schlauchte. Tage und Nächte schlug er sich im Büro herum, und wenn er nach Hause kam, so erwartete ihn da auch nur ein Trümmerhaufen. Er sprach ungern über das, was ihn in seinem Herzen bewegte, doch war es spürbar, dass er mit diesem Chaos an Gefühlen heillos überfordert war. Darunter litt auch unsere Beziehung. Es war nicht unsere Art von Streit, dass wir unsere Meinungsverschiedenheiten herausbrüllten. Wir verletzten uns lieber mit kurzen messerscharfen Worten, die tief einschnitten und genau in den Schwachpunkten des jeweils anderen bohrten. Das schmerzte mehr, als eine lautstarke Auseinandersetzung. Zu guter Letzt fühlte sich Yuuki wie das fünfte Rad am Wagen. Alle hatten ihre Probleme um ihn herum und waren mit sich selbst beschäftigt. Als sensibler und harmoniebedürftiger Geist konnte er dieses ganze Ungleichgewicht gar nicht ertragen. Er zeigte es auf eine ganze stille Weise, dass er sich immer mehr zurückzog, uns sogar mied. Ich schon fürchtete, er würde depressiv werden. Gerne hätten wir alle gegenseitig Trost und Unterstützung in Anspruch genommen. Doch wir taumelten am Rande der Belastbarkeit und waren absolut unfähig, diesen Zustand zu beenden. Es war Zeit, die Reißleine zu ziehen. Sonst würde es hier nach dem Auftritt meiner Mutter den zweiten großen Knall geben. Und den wollte niemand. Zeit für Veränderungen! Also riss ich gleich am ersten Ferientag die Reisetaschen von den Kleiderschränken herunter und herrschte die Kinder viel zu geladen an, sie sollten bitte alles einpacken, was man für einen kurzen Urlaub bräuchte. Beide waren wenig begeistert. Asa hockte mittlerweile am Liebsten nur noch in ihrem Zimmer. Ich hätte ihr eh nichts zu sagen, ich wäre ja nicht ihre Mutter. Ha, von so einem Kind wollte ich auch nicht die Mutter sein, brüllte ich da gereizt zurück, weil sie es mir pausenlos vorhielt. In der nächsten Sekunde bereute ich schon wieder meine Kodderschnauze. Ich liebte sie mittlerweile sehr. Genauso, wie ich auch Yuuki liebte. Natürlich würde nichts und niemand ihre Mutter ersetzen können. Leider interessierte das die große, weite Welt überhaupt nicht, die sich einfach rücksichtslos weiterdrehte, als wäre nie etwas geschehen. Yuuki beschwerte sich ebenfalls über meine Reisepläne, wollte er doch mit neu gewonnenen Freunden aus seiner Klasse viel Freizeit verbringen. Unzufrieden stopfte er Kleidung und Kulturbeutel in seine Reisetasche und war nicht so recht zu überzeugen, zumal wir kein festes Reiseziel vor Augen hatten, welches hätte motivieren können. Es hatte eher den Anschein, wir wären auf der Flucht, als denn unterwegs zu einem erholsamen Urlaub. Schon der nächste Zug in Richtung Keishi war unserer. Dort in der Hauptstadt des Feuer-Reiches und Regierungssitz des Daimyô wollten wir ein oder vielleicht zwei Nächte verbringen und dann weiter zum Meer fahren. Das Feuer-Reich hatte viele schöne Strände. Da wäre auch ein passender für uns dabei, zumal die Küsten von der Regenzeit kaum betroffen waren. Schon beim Einsteigen kippte bei den Kindern die Stimmung. Man hätte es voraussehen können: Der Zug war aufgrund der Hauptferienzeit restlos belegt. Freie Sitzplätze Fehlanzeige! Mit Glück ergatterte man einen Stehplatz. Den Großteil der knapp vierstündigen Fahrzeit verbrachten wir stehend, eingequetscht wie Ölsardinen. Normalerweise war die Fahrzeit mit einer knappen Stunde wesentlich geringer, doch Erdrutsche und Überschwemmungen der Bahngleise zwangen immer wieder zu Fahrtunterbrechungen inmitten einer eintönigen Waldkulisse. Ok, es hatte dieses Jahr wohl doch kräftiger geregnet, als in all den Jahren zuvor. Dafür war die Ankunft imposanter. Die Türen des Waggons schlugen auf und der Großstadtlärm Keishis prügelte gnadenlos auf uns ein. Eine Gebrumme und Gesumme wie in einem Bienenstock. Und erst diese Hektik! Seit Ende des vierten Ninjaweltkrieges hatte es wirtschaftlich allerorts geboomt. Doch um den Hauptsitz des Daimyô herum war es geradezu explodiert. Da war Konohas Stadtentwicklung im Vergleich fast lächerlich. Wir traten aus der großen Bahnhofshalle heraus und fühlten uns verloren zwischen den ganzen Häuserschluchten, Menschenmassen und Reizüberflutungen. Unsicher stolperten wir durch die Straßen, ließen uns von den Eindrücken erschlagen und näherten uns so einer Adresse, die ich zuvor herausgesucht hatte. Es war die erste von fünf preiswerten Unterkünften, die es nun abzuklappern galt. Sollten wir keine Glück mit einem freien Zimmer haben, so müsste ich wohl in den sauren Apfel beißen und ein höherklassiges Hotel wählen. Ich hatte es aufgrund der Spontanität versäumt, im Voraus zu reservieren. Dafür erntete ich wieder Unverständnis der Kinder, die lustlos ihr Gepäck hinterherschliffen. Die ersten drei Unterkünfte waren belegt. Mit den Reisetaschen und deren Gewicht in der Hand merkte man erst, wie weit die angepeilten Orte in der Stadt untereinander entfernt lagen. Dennoch ermahnte ich die Kinder, auf keinen Fall irgendwelche Jutsus zur Hilfe zu nehmen. Absolutes Chakra-Anwendungsverbot! Wir kamen zwar aus Konoha, aber das brauchte ja nicht jeder sofort zu wissen. Asa nörgelte wieder ihre Leier herunter, ich hätte ihr eh nichts zu sagen, doch ich hielt passend dagegen, dass ich zum Petzen den wohl besten und kürzesten Draht an die richtige Beschwerdestelle hätte. Das war zwar fies von mir, aber damit war die Diskussion beendet. Wir hatten ziemlich viel Fußmarsch zu absolvieren. Doch es war so interessant, dass wir an fast jeder Ecke etwas zu entdecken hatten. Wenigstens hatten die Kinder allmählich Feuer für die Großstadt gefangen und heulten mir nicht mehr die Ohren voll, wie ätzend doch alles wäre. Stattdessen kam nun die nächste Phase, welche Kinder gern zu spielen hegten, nämlich wann es etwas zu essen gäbe. Man hätte ja so einen unendlichen Hunger. Ohne Worte! Wenigstens gab es hier an fast jeder Ecke eine Garküche. Wir kamen durch Zufall und Irrwege dann an einer ganz anderen, ungeplanten Unterkunft vorbei. Es war ein traditionelles Gästehaus mit kleinen Gruppenschlafräumen und Futon auf Tatamimatte, Essen auf dem Zimmer und Onsenquelle direkt anbei. Na bitte! Das war doch für alle etwas. Uns gefiel es so gut, dass wir sogar fast eine ganze Woche hierblieben und nun wirklich jeden Winkel und jede Ritze unserer Hauptstadt kannten. Es sollte ein Wink des Schicksals werden, dass wir uns für diesen verlängerten Aufenthalt entschieden hatten. Am Tage der Weiterreise hatten wir ungeplant am Bahnhof noch etwas Zeit. Den ausgewählten Zug an die Küste hatten wir verpasst, denn zu spät merkte ich, dass ich die falschen Tickets gelöst hatte und sie deshalb am Schalter tauschen wollte. Es gab nämlich mehrere Bahngesellschaften, die von hier aus ihre Züge kreuz und quer durch die Welt schickten. Das Schienennetz war für Gelegenheitsfahrer auf den ersten Blick schwer zu durchschauen. Ebenso, welches Ticket zu welchem Zug gehörte. Nur zu gut erinnere ich mich an den Fahrkartenverkäufer. Sein Gesicht glich dem einer Bulldogge. Fast wie Buru. Aber sein Arbeitstempo war eher dem einer Schnecke und seine Auffassungsgabe dem eines Schafs gleichzusetzen. Viel Zeit verplempernd stand ich da nun lange mit anderen Reisenden in der Warteschlange, hatte das eine Auge auf die Kinder und das Andere verträumt in die Leere geworfen, als sich genau in diese Sichtachse freudestrahlend eine alte Bekannte von mir schob. Du meine Güte! Wie viele Jahre mochten verstrichen sein, in denen wir uns nicht mehr gesehen hatten? Und sie wohnte nur einen Steinwurf entfernt an der Küste des Hanguri Golfes? Da wollten wir doch auch hin! Welch ein Glück. Beseelt folgten wir gern ihrer Einladung. Eine Kaffeepause später rumpelte ein Schienenbus mit uns über eine alte Strecke zu einem Fischerdorf. Wow, war das schön hier! Auf den wenigen Kilometern an einem Fluss entlang wechselte die Landschaft malerisch zwischen bewaldeten Hügeln und Reisfeldern einher. Mir fielen die unzähligen Obstplantagen auf. Man hatte schon etwas Salzgeruch vom Meer in der Nase. Zumindest glaubte ich das. Dann bog sich das Gleis in eine langgestreckte Kurve und schmiegte sich nun an die Hänge, die sich der Meerseite zuwandten. Wir hatten die Küste erreicht. Bäume, Felsen und am Fuße der Hänge weißer Sandstrand. Ein glattgebügeltes Meer in tiefstem Türkisblau. Kurz darauf hielt der Schienenbus an einem einfachen Bahnsteig nahe der Hafenkante. Eine Handvoll Fischerboot dümpelte an der Kaimauer. Vor einem Lokal spielten zwei alte Herren Shogi. Nebenan warteten Obst, Gemüse und Weinflaschen in den Auslagen auf Kundschaft. Viel mehr war hier nicht los. Für einen entspannten Standurlaub genau das Richtige. Das Haus meiner Bekannten lag etwas abseits vom Schuss in bewaldetem Gebiet. Obgleich es an einer Durchgangsstraße stand, gab es kaum Verkehr. Nur wenige verirrten sich in diese Gegend. Die traditionelle Bauweise imponierte mir sofort. Ein typisches Holzständehaus mit Schiebeelementen. Doch das Highlight folgte erst noch, als wir im Innenraum standen und meine Bekannte eine Schiebetür beiseite schob: Der Strand und das Meer vor der Nase! Mit einem Sprung vom Engawa berührten die Füße sofort einen halben Meter tiefer den feinen Sand. Ja, hier gäbe es viele solcher Häuser günstig zu erschwingen, wurden wir aufgeklärt. Allesamt baufällig. Obwohl es hier wunderschön und ruhig wäre, zöge es die jungen Menschen alle in die große Hauptstadt. Keiner mochte mehr gerne pendeln und beim Gemischtwarenhändler im Hafen einkaufen. So vereinsamte der Landstrich zusehends. Badeurlauber würden sich lieber im Nachbarort weiter südlich tummeln, weil dieser besser zur erreichen wäre und einen größeren Ortskern hätte. Ach, sollten die Leute sich tummeln, wo sie wollten: Wir fahren zufrieden. So hielten wir es einige Tage mit immer dem selben Rhythmus aus. Aufstehen, Essen, Tag vertrödeln, Sonnenuntergang beobachten, Schlafen. Das Justu-Verbot hatte ich gelockert. So streiften die Kinder durch die Umgebung, legten Dank Chakra größere Entfernungen zurück und waren immer irgendwie beschäftigt. Eines der leerstehenden Häuser war zu einem Geheimversteck auserkoren worden. So zogen die beiden nach dem Frühstück los und kamen abends zum Essen wieder zurück. Merklich fiel bei uns allen der Stress ab. Mit meiner Bekannten saß ich oft bis spät in die Nacht auf dem Vorbalkon, leerte eine Flasche Obstweinschorle und redete belanglos über alte Zeiten. Ebenso wie ich kam sie aus dem kaufmännischen Bereich und war dort immer noch tätig. Aktuell betrieb sie ein Logistikgewerbe, bei welchem sie sich auch um die Beschaffung der Ware kümmerte. Meine Bekannte hatte das Versprechen an die Kunden herausgegeben, dass sie jede gewünschte Ware termingerecht liefern könnte. Sie hätte schon alles von A nach B transportieren lassen: Teure Gewürze, Eisblöcke, Quietscheenten, Bleistifte. Die Liste war so unendlich wie kurios. Das klang alles sehr spannend, aber auch anstrengend. Man musste immer am Ball bleiben, um die beste Qualität zu finden und dann auch noch pünktlich dem Kunden zu übergeben. Das Geschäft war äußerst lukrativ, hatte aber einen hausgemachten Haken. Nach einem Herumdrucksen kam die Sache auf den Tisch: „Du kennst mich ja. Ich habe Superideen und genug Ehrgeiz und Kraft, das umzusetzen. Aber dieser Papierkrieg... Ich bräuchte dringend jemand, der sich damit auskennt. Hättest du Lust?“ „Ich weiß nicht ….“, gab ich zu verstehen. Ja, das wäre eine tolle Möglichkeit, wieder in alten beruflichen Gefilden Fuß zu fassen. Eine einzigartige Chance. Jedoch wäre der Arbeitsplatz in Keishi und nicht in Konoha. Ich müsste entweder pendeln oder umziehen. Ob Kakashi das passen würde? Kein guter Zeitpunkt, von solch Verwirklichungstrips zu sprechen, wo der gerade ganz ungenießbar und gereizt war. Außerdem konnte ich mir die Buchhaltung meiner Bekannten bildhaft nur allzu gut vorstellen. Dafür hatte sie weder Muße, noch Plan. Garantiert würden sich da verschlossenen Briefe, unbezahlte Rechnungen und Papierberge bis an die Zimmerdecke stapeln. Allein die Altlasten zu ordnen und auszumisten, würde schon eine Sondergehaltszahlung rechtfertigen. Ich vertröstete sie und bat um Bedenkzeit, obgleich es mich im Grunde schon gepackt hatte. Trotzdem musste diese Entscheidung wohl durchdacht und beraten werden. Ich hatte in den letzten Monaten soviel aufs Spiel gesetzt und von alten Lebensabschnitten Abschied genommen, da wollte ich neue Bindungen nicht auch noch aus blankem Übermut zerreißen. Ich mochte es kaum zugeben, doch die Nacht war schlaflos. Frische Luft würde mir guttun. Ich schlüpfte in meine Kleidung und schlich mich leise hinaus, um niemanden zu wecken. Eine milde Brise vom Lande schmeichelte wärmend meine Haut. Sie spielte in meinen Haarsträhnen, und ich musste unwillkürlich an eine Liedzeile denken. „Gerade noch am Meer gewesen. Wellenrauschen. Salz in deinem Haar.“ Lange verlor sich mein Blick auf der ruhigen Meeresoberfläche. Das Mondlicht ließ die seichten Wellenkämme glitzern. Die Wellen rauschten monoton gleichmäßig an den Strand. Langsam machte ich mich auf den Weg. Mitten in der Nacht spazierte ich da in der Dunkelheit in der Brandung. Badete mich im Mondlicht und meine Füße im Wasser. Man gut, dass ich allein war und wohl kaum Zaungäste zu fürchten hätte. Man hätte mich vielleicht für verrückt erklären können. So mutterseelenallein. Barfuß. Nur eine Yukata übergeworfen. Ich schaute in den Himmel, zählte die Sterne und dachte an Kakashi, weil er auch immer so gerne in den Himmel schaute. Ob er das eben gerade auch tun würde? So weit weg, wie er eben war. Wie weit mochte es bis Konoha sein, das ziemlich zentral im Feuer-Reich lag? Ich vermisste ihn schmerzlich. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, weil ich nun anfing zu frösteln. Ich stand hier bestimmt schon eine Stunde am Strand. Vielleicht sogar schon länger. Langsam schlenderte ich weiter. Der Strandabschnitt veränderte sein Gesicht. Hatte man eben noch zwischen den Bäumen den dunklen Himmel erahnen können, wurde er nun dichter. Aber was war denn das dort drüben? Ein altes Haus? Ja, hier sollte es ja vieler dieser Häuser geben. Und eines hatte die letzten Tage sogar als Spielstätte herhalten müssen. Ich näherte mich der baufälligen Ruine, die im Mondlicht und aus der Ferne gar nicht so schlimm aussah, wie nun beim Näherkommen. Nur ein Teil reichte an den Strand. Die restliche Häuserfront verbarg ihr Antlitz zwischen den wuchernden Büschen. Nun erst stellte ich fest, dass die Grundfläche viel größer sein musste als geschätzt. Ich wusste nicht, was mich so neugierig machte. Es zog mich magisch an. Zuerst umrundete ich es, denn der Vorbalkon schmiegte sich einmal um das gesamte Gebäude. Als ich die knarzende Schiebetür an der Straßenseite beiseite schob, um etwas Licht hereinzulassen, gruselte es mich ein wenig. Wer wusste schon, was einen dort erwarten würde. Ein Teil des Daches war eingestürzt. Man sah den Mond durchscheinen. Den Rest musste die Taschenlampe an meinem Handy beleuchten. Das Haus war wirklich groß, wenn auch nur ebenerdig. Durch die vielen Schiebeelemente, konnte man unzählige Räumen abtrennen oder verbinden. Es mochte der blanke Wahnsinn sein, aber ich verliebte mich sofort in diese Bruchbude. Aber Träume sind bekanntlich Schäume, und so schritt ich bedächtig wieder hinaus. Dort nahm ich Platz auf dem Engawa, baumelte mit den Füßen und schaute wieder aufs Meer. Mein Uhr auf meinem Handy mahnte mich, doch endlich einmal den Rückweg anzutreten. Immerhin war ich nun schon gute drei Stunden unterwegs. Hoffentlich vermisste mich keiner und hatte schon einen Suchtrupp losgeschickt. Doch ich ignorierte die späte Nachtstunde und stellte überrascht fest, dass ich einen Anruf von Kakashi verpasst hatte. Logisch, ich hatte es über Nacht lautlos gestellt, um niemanden zu wecken, wenn ich hier stiften ging. Ich probierte einen Rückruf und er nahm sofort ab. Eigentlich wollte ich ihm alles erzählen, weil wir die letzten Tage nichts voneinander gehört hatten. Von unseren spannenden Tagen in Keishi, von dem Strandhaus meiner Bekannten und von deren Stellenangebot. Aber so weit kam ich nicht, weil Kakashi mich umgehend unterbrach und fragte, wo wir den stecken würden. Ich beschrieb ihm ungefähr die Lage des Hauses und versprach, auf ihn zu warten. Dabei mahlten alle Mühlensteine in meinem Kopfe, wie lange der wohl aus Konoha bis hierher brauchen würde. Ich hoffte, es würde nicht bis zum Morgengrauen dauern. Obgleich Kakashi am Telefon sehr ruhig klang, regte sich in mir Unbehagen. Worum es wohl ging, dass es nicht am Telefon besprochen werden konnte? Die Ungewissheit machte mich unruhig. Und noch während mein Hirn sich zermarterte, war ich auf einen Schlag nicht mehr alleine. Wie bitte? Die weite Strecke in der kurzen Zeit? Ich musste total entgeistert geguckt haben, als Kakashi urplötzlich neben mir stand. Der verriet mir Unglaubliches: „Ich komme nicht aus Konoha. Ich bin seit gestern in Keishi.“ Das erklärte natürlich die Geschwindigkeit. Aber was zum Teufel trieb den nach Keishi? Eine Audienz beim Daimyô? Das waren zu viele Fragen zu viel zu später Stunde. Das ließ mich sprachlos staunen und zugleich grübeln. Nebenbei beobachtete ich meinen Freund, der bedächtig durch das Haus schritt und sich umsah. Dann gesellte er sich wieder zu mir nach draußen. Dummerweise stand er nun rechts von mir, so dass ich seine Mimik nicht lesen konnte. Die Maske wie üblich über die Nase gezogen, verdeckte nun das Stirnband zusätzlich sein linkes Auge. Obgleich er seit über zehn Jahren wieder sein richtiges Auge hatte, so tat es ihm manchmal weh. Dann verdeckte er es, wie er es damals auch mit dem Sharingan gemacht hatte. Es ginge ihm so besser. „Wieso bist du hier draußen?“, wollte er mit ruhiger Stimme wissen. „Ach, ich konnte nicht schlafen und ging spazieren. Und das Haus hat mir auf einmal gefallen“, antwortete ich gähnend. „Tatsächlich? Die alte Kiste? Warum hast du es ausgewählt?“, fragte er überrascht, schob dabei sein Stirnband nach oben und blickte an der Hauswand entlang. „Keine Ahnung...“ Da sah ich, dass er lächelte. Kakashis Kopfkino spielte meist nur unschöne Filme ab. Aber hier musste es etwas geben, was etwas Schönes hervorgekramt hatte. Das konnte ich ihm ansehen. „Erinnert mich ein bisschen an mein Elternhaus. Nett!“ Normale Menschen würden vor Freude oder Begeisterung solch Worte benutzen wie „Wahnsinn!“ oder „Genial!“. Wenn Kakashi „Nett!“ sagte, dann war das ein Synonym für solch Begeisterung und hatte eine große Bedeutung. Es verblüffte mich. „Meinst du, Tenzô kriegt den Holzwurm aus dem Gebälk?“, flachste ich. „Wenn du ihm einen Topf voll Kartoffelbrei machst, bestimmt!“, entgegnete er lachend. Kartoffelbrei! Die Anekdote musste kurz angerissen werden, weil sie so saukomisch war. Ich konnte mich bis heute nicht mehr genau an den Grund erinnern, weshalb Tenzô mal bei mir daheim aufkreuzte. Damals hatte ich noch in der Kontorwohnung gelebt. Wie dem auch sei, ich hatte nicht viele Zutaten für ein Mittagessen im Hause, wollte schnell mein hungriges Kind abfüttern und kochte eben jenen Kartoffelbrei. Eine Speise, die Tenzô bis dato gar nicht kannte, weil ich sie mit Milch, Butter und Muskatnuss zubereitete. Solch eine Art des Kochens war in Konoha völlig unbekannt. Das Ende vom Lied war dann, dass Tenzô nicht nur davon probierte, sondern wortlos sofort Feuer und Flamme war. Mit großen Erstaunen beobachtete Yuuki und ich, wie der Topf schnell geleert und blitzblank ausgekratzt war. Es waren die einfachen Dinge des Lebens, die Freude bereiteten. Doch wir standen nicht hier, um über Kartoffelbrei zu reden. Geduldig hörte Kakashi zu, wie ich ihm von den letzten Tagen berichtete und von dem Stellenangebot. Und dass ich mich nicht entscheiden könnte. „Aber es wäre doch genau das, was du gerne wieder machen möchtest“, meinte er nüchtern. Hm? Hatte er nicht zugehört? Unsere Wege würden nicht mehr so schön parallel laufen wie bisher. Womöglich würden wir uns kaum noch sehen, wenn wir an verschiedenen Orten arbeiten würden. Das wäre auf Dauer ein ziemlicher Beziehungskiller. Das konnte ihm doch nicht egal sein. Da wusste ich nun nicht, ob ich heulen oder lachen sollte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Zeitgleich stieg unbändige Wut in mir auf. War nun alles umsonst gewesen? Die Gedanken, ich mir gemacht hatte? Die Opfer, die ich gebracht hatte? Löste sich nun alles in Wohlgefallen auf? „Bist du glücklich, Nina-chan?“ Hä? Die Frage traf mich so unerwartet wie ein Schlag mit einem Hammer gegen den Kopf. Es dröhnte und zwiebelte und warf mich mental aus dem Gleichgewicht. „Ob du zufrieden bist?“, wiederholte er sich. Dabei lehnte der so seelenruhig an dem Holzbalken des Vorbalkons und starrte emotionslos auf die Wellenkämme, als würde er das Telefonbuch vorlesen. Nein, bin ich nicht. Ich bin durcheinander. Und traurig. Und sauer. Und enttäuscht. Und … ich werde das nun alles in einen kurzen Text packen und dir an den Kopf knallen, dass dir Hören und Sehen vergeht, Hatake! Dass du nur weißt, was ich von dir halte. Du, Du … „Nein, bin ich nicht und ...“, holte ich tief Luft, um auf meine übliche, keifende Art nun krass auszurasten. „Dann wird es Zeit!“, gab er lächelnd zu verstehen. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, kramte sogleich wieder eine Hand hervor, um sich am Kopf zu kratzen, guckte verschiedene Löcher in die Luft und dachte kurz nach, wie er es immer tat, wenn er irgendetwas sagen wollte, was ihm und anderen unangenehm war. Ohje, das konnte doch nur was ganz Schlimmes sein. Etwas ganz Schreckliches. Bestimmt war es gleich aus und vorbei. Meine Knie zitterten und gaben nach. Tränen standen mir in den Augen. Was immer jetzt auch kommen mochte, ich wollte es nicht hören. „Kakashi?“, stammelte ich wimmernd, weil mir meine Nerven durchgingen. Mir fiel nichts Gescheites zu sagen ein. „Ich höre auf.“ WIE? WO? WAS? MIT UNS? „Nächsten Frühling geb' ich das Amt auf und ...“, drehte sich er sich nun zu mir und wunderte sich. „Was is'n mit dir los?“ Seine Augen waren groß wie Kuchenteller, als er mich als nervliches Wrack sah. Die Fragezeichen glühten über ihm genauso hell wie sein grauweißer Schopf. In meinem Kopf wurden immer wieder und wieder diese Worte „... geb' ich das Amt auf ...“ verarbeitet. Dann machte es KLICK. NEIN, IM ERNST?!?! Der hielt mich wohl zum Narren! Dann sprang ich ihn an, dass wir beide ins Taumeln gerieten und er unter meiner Umarmung kaum noch Luft bekam. „Hey, dass dich mein Job genervt hatte, war mir klar. Aber dass es dich so sehr genervt hatte ...“, stammelte er überrumpelt, weil er von meinen apokalyptischen Gedankengängen nichts wissen konnte. „Idiot! Ich hatte was ganz anderes gedacht...“ nörgelte ich zurück. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Mein Kopf gehörte da einfach hin. „Manchmal bist du echt sonderbar, Nina-chan“, seufzte er. Zwei Arme legte sich fest um mich. Schützend und tröstend. Sie brachten mich auch zurück in mein Bett, wo sie mich bis zum Morgengrauen hielten und sich dann für die nächsten Tage verabschiedeten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)