Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 5: 5 – Der Tag, an dem ich eine Vorladung vom Hokagen erhielt --------------------------------------------------------------------- Schon mal bemerkt? Die besten Alpträume findet man immer im Briefkasten. Es müsste der Post verboten werden, schlechte Nachrichten zu transportieren. Anstelle netter Urlaubskarten oder lieb gemeinter Zeilen, wird man gerade zu von Rechnungen, Zahlungserinnerungen, Lieferscheinen oder bloßer,stumpfsinniger Werbung zugemüllt. Neben meiner Privatpost sammelte sich unten in dem großen Kasten in der Eingangshalle des Kontors auch die Geschäftspost an. Es war tagtäglich eine übler Papierberg, von dem ich grundsätzlich schon am Briefkasten einen Teil grob aussortierte und in den Mülleimer warf. Ich vertrat dazu schon die Meinung, dass viele Bäume für die Papierindustrie umsonst gestorben wären. Man schaffte es, weder alles an Briefen und Prospekten unter dem Arm hinauf ins Büro zu tragen, geschweige denn, all das überhaupt zu lesen. Diesmal jedoch war ein Brief dazwischen, den ich schon beinah fälschlicher Weise zum Altpapier befördert hätte, wäre ich einen Moment zu unaufmerksam gewesen. Da war wohl der Wunsch der stille Vater des Gedanken gewesen. Meine Augen weiteten sich erschrocken, als ich den Absender las. Nervös blickte ich um mich, ob jemand von den Mitarbeitern bemerkt hatte, wie ich kreidebleich wurde und Angstschweiß auf meiner Stirn perlte. Hastig raufte ich den Briefhaufen zusammen und stahl mich unauffällig in mein Büro. Dort angekommen, warf ich den ganzen Stapel unachtsam auf die Schreibtischplatte. Ich nahm mir nicht die Zeit, einen Brieföffner zu suchen, sondern riss den Umschlag mit zittrigen Fingern auf. Das gelang nicht wie geplant, so dass der Umschlag einriss und ziemlich zerfetzt wurde. Langsam segelte er zu Boden, doch ich beachtete ihn gar nicht, sondern brauchte mehrere Anläufe, bis ich endlich den Papierbogen des Horrors auseinander falten und glätten konnte. Ich zitterte wie Espenlaub und meine Hände waren schweißnass. Es war eine Vorladung zu einem Verhör direkt im Hokageturm. Gleich Anfang der nächsten Woche um Punkt neun Uhr hätte ich mich dort einzufinden. Ich hatte das Gefühl, mir würde der Boden unter den Füßen weggerissen. Mein Kreislauf gab nach. Mir wurde schwarz vor Augen. Nur mit Mühe grapschte ich noch nach der Armlehne meines Bürosessels und ließ mich einfach hineinplumpsen. Ich atmete einige wenige Male tief ein, legte den Kopf in den Nacken und versuchte mich zu beruhigen. Was würde mich da bloß erwarten? Eine saftige Rechnung für das zerstörte Haus? Einen Vorwurf wegen Verletzung meiner Aussichtspflicht und die Wegnahme meines Kindes? Letzterer Gedanke drehte meinen Magen auf links. Ich stürzte aus dem Büro hinüber zur Toilette und spendete mein komplettes Frühstück dem gierigen Keramikschlund. Ich würgte noch einmal nach, doch es kam nichts mehr. Am Waschbecken spülte ich kräftig nach, um den bitter brennenden Geschmack zu neutralisieren und prüfte dann mein Antlitz im Spiegel. Das Bild, welches mich ansah, erschreckte mich. Meine Haare waren zerzaust, die Augen gerötet und die Haut so bleich wie die einer Wasserleiche. In den letzten Wochen hatte ich diesem Anblick oft standhalten müssen. Ständig sah ich dauerhaft fertig und übermüdet aus, kippt mir viel zu viel Kaffee die Speiseröhre runter und schloss die Trinkaufnahme abends mit einem Wein ab. Passend dazu immer wieder Kohlenhydrate in allen verfügbaren Massen. Am Liebsten Schokolade. Dabei hatte ich die Hoffnung gehegt, es hätte sich alles wieder bei uns daheim eingerenkt. Yuukis Training fand unregelmäßig statt. Eben halt so, wie es in Inus Gutdünken passte. Ich war nur dreimal auf dem Trainingsplatz gewesen. Manchmal hatte er dann Yuuki etwas gezeigt, was mein Sohn dann aber allein üben müsste, sich in meiner Nähe ins Gras gesetzt und wenige Wort mit mir gewechselt. Mein Misstrauen wich zurück. Also hatte ich dann doch beschlossen, Yuuki allein zum Training zu schicken unter der Bedingung, dass er wenigstens nach Hause gebracht würde. Ich konnte nicht klagen: Das lief super. Und obwohl Inu meist sofort wieder wie vom Erdboden verschluckt verschwand, hatte er es tatsächlich klammheimlich geschafft, meinen Argwohn zu unterwandern. Er gehörte schon praktisch zum Haushaltsinventar. Inu, von dem ich bis heute weder wusste, wie er hieß, noch wie er aussah. Das Training war dafür überraschend effektiv und man konnte nach wenigen Lektionen schon erste Erfolge sehen. Mein Sohn war ein Sensibelchen, welches oft Probleme mit den Lehrern hatte, sollte der Ton im Klassenraum einmal zu rauh werden. Doch von Inus stoischer Art war er komplett begeistert, redet ausführlich vom Training und wiederholte sich häufig. Er legte unglaublich viel Energie in die Übungen und war hochmotiviert, alles richtig zumachen. Ein rundum zufriedenes Kind. Ich hätte ebenfalls zufrieden sein müssen, aber mir bereitete es nur das pure schlechte Gewissen mich in Yuukis Sinne falsch entschieden zu haben. Ich nahm stillen Abschied von meinem zweiten Ich dort im Spiegel und schlurfte wieder über den Flur zurück zu meinem Bürosessel. Ich konnte mich auf gar nichts konzentrieren und blätterte die aktuellen Einladungskarten einschlägiger Modeunternehmen durch. Nichts blieb in meinem Gedächtnis hängen. Ich war eh nicht der große Modefreak. Die schrillen Stoffefetzen, die da auf den Fotos von irgendwelchen magersüchtigen Kleiderständern über den Laufsteg geschleppt wurde, passten mir eh nicht. Dazu weit ich mit meinem Körpergewicht viel zu weit entfernt von den Hungerhaken. Ich würde mich nicht als fett bezeichne, aber das überflüssige Hüftgold war kaum zu kaschieren. Mit meinen stämmigen Fußballerwaden standen mir auch kurze Röcke überhaupt nicht. Und generell war ich mit mir unzufrieden. Aber wer war das nicht? Als Stoffekontor war es allerdings meine Pflicht, jeden nur erdenklichen Modestoff im Hause zu haben. Sonst würde die Konkurrenz uns auf dem freien Markt abhängen. Vielleicht würde mir eine Reise zu einigen Festivals gut tun, überlegte ich so vor mich her. In wenigen Wochen würden wieder Modewochen sein. Ich könnte mich vor Ort zerstreuen und neue Stoffe einkaufen. Werbung für mein Kontor war prinzipiell von Vorteil. Da war es wichtig, dass man auch zu den Designer gute Kontakte pflegte. Ich blätterte im Terminkalender, rief meine Sekretärin zu mir und ließ sie das Buchen der Hotelzimmer übernehmen. Meine Reisetermine überlappten sich wunderbar mit den Schulferien. Yuuki müsste sich überlegen, ob er mich tatsächlich begleiten wollte oder lieber bei seinen Großeltern die Zeit zu verbringen wünschte. Ich tippte eher auf Letzteres. Er war gerne bei seinen Großeltern in unserer Heimat. Und für uns beide war es allemal stressfreier. Der Beruf spannte mich jetzt schon sehr ein. Da blieb für mein Kind nicht immer die Zeit, die ich gerne mehr mit ihm verbracht hätte. Ich war so vertieft, dass ich gar nicht merkte, wie sich hinter mir lautlos das Fenster aufschob und mir dann eine lachende Kinderstimme im Rücken hing: „Wir sind zurück! Guck Mama, ich kann jetzt mit Chakra die Wand hochlaufen!“ jubelte mein Kind. Ich selber aber jubelte gar nicht, sondern bekam heute zum zweiten Male einen Schock und ließ infolge dessen den Kaffeebecher fallen. Ein großer brauner See mit einem Aroma von edelsten Hochlandplantagen überflutete meinen Schreibtisch. Fuchsteufelswild fuhr ich herum und funkelte die beiden Urheber an. „Ja, das hab ich gemerkt“, keifte ich aufgebracht los und besah mir das flüssige Malheur. „Und du? Du sollst ihm nicht so einen Blödsinn beibringen!“ Das ging nun an Inu. Beide hockten etwas bestürzt auf dem Fensterbrett. Ihr Timing, mich auf diese Weise begrüßen zu wollen, war denkbar ungünstig. Ziemlich betroffen murmelten sie gleichzeitig ein knappes: „'tschuldigung...“ Während ich Yuuki aufforderte, aus der Küche einen Lappen zu holen, tupfte ich aussichtslos mit einer Packung Taschentücher auf der Tischplatte herum. Wütend warf ich dann aber die vollgesogenen Tücher mitten auf den Tisch, verschränkte die Arme und fuhr mir mit einer Hand durchs Gesicht. Es war ein ziemlich beschissener Tag. „Was hat dich denn heute so aus der Bahn geworfen?“ Es konnte Inu nicht entgangen sein, dass es mir schlecht ging. Kein Wunder. Ich sah ja auch mal wieder zum Fürchten aus. Wenn ich recht darüber nachdachte, so sah ich meistens zum Fürchten aus, wenn wir uns trafen. Das fing langsam an, System zu entwickeln. Ich wischte den Gedanken beiseite, zog wortlos ein nun gebräuntes Vorladungsschreiben aus dem nassen Papiermatsch und hielt ihn Inu direkt vor seinen Augenschlitze. Es kam keine Antwort. Inu, bist du Analphabet oder kapierst du mein Problem nicht? Also setzte ich nach: „Da, dein Chef will mich sehen. Was soll ich jetzt bloß machen?“ „Hingehen?“ Inu zuckte emotionslos mit den Schultern. Also kapierte er mein Problem wirklich nicht. Und so klärte ich ihn auf. Ich könnte weder den Schaden bezahlen, noch wollte ich mein Kind verlieren. Und eine Kontorschließung, weil ich so aufsässig gewesen war, käme einem Todesurteil gleich. Wieder kam ein Schulterzucken seinerseits, es würde schon alles gar nicht so schlimm werden. Es stünde ja noch nicht einmal in dem Brief drin, worum es denn tatsächlich ginge. Dein Wort in Gottes Ohr, Inu! Inu machte sich in einem Anschein von Langeweile auf den Weg zurück zum Fenster, um mal wieder spurlos zu verschwinden. Und so stand ich da wieder komplett allein auf weiter Flur mit meinem Problem und meiner Angst. Einige Tage später war dann der große Showdown. Mit dem Kaffee getränkten Brief in der Hand zog ich auf direktem Wege überpünktlich zum großen Eingangstor des Turms, welches mir sofort sämtliche Rückzieher und Fluchtwege abschneiden würde, fiele es hinter mir ins Schloss. Der Shinobi am Eingang besah sich stirnrunzelnd den Schrieb bevor er mich weiter lotste. Dann schluckte er ein Grinsen über den Brief herunter. Na, so ein versifftes Stück Papier war wirklich nicht der allerbeste Eindruck. Wenigstens sah ich diesmal nicht so zertrümmert aus. Meine Naturkrause war zu einem strengen Zopf gebändigt. Eingekleidet hatte ich mich in ein modisches Kostüm, wie ich es auch bei Geschäftsverhandlungen zu tragen pflegte. Alles in allem konnte ich als seriös gelten, wenn man über meine schweißnassen Hände und die glasigen Augen hinweg sah. Vielleicht würde man diese Zeichen als Erkältung, aber weniger als Panik deuten. Der Hokageturm wirkte von außen größer und bulliger, als ich es später von innen her betrachten konnte. Und erst, als ich direkt davor stand, konnte ich Notiz davon nehmen, dass es sogar drei Türme waren. Ein dicker Hauptturm wurde rechts und links von zwei kleineren flankiert. Es lag an der Schutzmauer um das gesamte Gebäude drumherum, dass es mir noch nie zuvor aufgefallen war. Zwei Treppen musste ich im Hauptturm hinauf und fand das in der Vorladung erwähnte Bürozimmer. Ich hatte die sperrangelweite Tür noch gar nicht erreicht, da wurde ich schon Zeuge von den dort hausenden Büroknechten. „Man, das nervt! Wo ist der blöde Ordner?“ „Oben links!“ „Welches links?“ Ein Kramen und Räumen schallte aus dem Zimmer heraus. Zwei Türschilder an der Wand genau neben dem Türpfosten gaben Auskunft. Nara Shikamaru und Maito Gai. Aha! Also denn mal abgebogen und rein in die Höhle des Löwen. Es war ein Anblick wie Tag und Nacht. Die Tür lag mittig des großen Raumes und gab dem Besucher die Möglichkeit, entweder in eine linke oder rechte Hälfte zu wechseln. In jeder dieser beiden Hälften stand ein Schreibtisch, umringt von unzähligen Regalen und Ablagen. Beide Zimmerseiten quollen über von Ordnern, Akten und Schriftrollen. Doch der Unterschied lag ganz klar in der Anordnung. Während in der linken Hälfte das Material recht sinnvoll gestapelt und beschriftet war, so drohten in der rechten Hälfte Aktentürme einzustürzen und Ordnerstapel bedrohlich zu wanken. In diesem Durcheinander schlurfte ein ziemlich missmutiger Kerl von Ende Zwanzig mit einem noch wilderen Pferdeschwanz als meiner und Kinnbart zurück in seine Chaosecke. Das gesuchte Ordernstück klemmte unter seinem Arm. Sein Gang wurde begleitet von lautem Lachen aus der aufgeräumten Ecke und ließ sich einem Typen mit Pilzkopffrisur und grünen Overall im Rollstuhl zuordnen. Ich schätzte ihn auf Anfang Vierzig und somit etwas älter als mich selbst ein. Ich wusste nicht warum, aber insgeheim hoffte ich, zu dem Typen in die Chaosecke gehen zu dürfen, denn vor dem grünen Clown gruselte es mich sehr. Zudem hoffte ich, der Vorladungstermin würde bei dem Kollegen mit der schlechten Stimmung schneller vorübergehen, schien er doch extrem genervt und wäre sicher froh, wenn ich wieder hurtig gehen würde. Unschlüssig stand ich in der Tür, spähte weiter nach links und rechts und trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Innerlich bettelte ich um Erlösung, endlich hereingebeten zu werden. Auf gar keinen Fall wollte ich hineinplatzen und sofort Aufmerksamkeit erregen. „Oh, wir haben Besuch? Was kann ich für Sie tun?“, kam es neugierig von links. Nein, verdammt! Der grüne Clown hatte mich zuerst gesehen, strahlte mich mit seiner weiß blitzenden Kauleiste abschreckend an und wollte mir mit einer Handbewegung einen Stuhl anbieten. Argh, konnte mich denn kein guter Geist erretten? Der gute Geist sollte dann tatsächlich der schlechtgelaunte Shinobi werden, denn er hatte in meiner Hand meinen Kaffeezettel gesehen, verwundert eine Augenbraue gehoben, dann aber nur monoton gemeint: „Der is' von mir.“ Also folgte ich in die ersehnte Chaosecke, nahm auf einem Stuhl Platz und beantwortet die kurzen, mürrisch gestellten Fragen. Es ging um meine Personalien, was ich in Konoha zu tun hätte und ob es der erste Vorfall dieser Art gewesen wäre. Natürlich musste ich auch Angaben zu Yuuki machen. Bei dem ganzen Frage-Antwort-Spiel hatte ich versucht, so natürlich wie möglich zu sein und meine Aufregung zu unterbinden. Während wir miteinander sprachen und seine Finger klackend über die Tastatur glitten, als hätte er noch nie etwas anderes gemacht, wurde ich lockerer. Es lag nicht zuletzt an der Stimmung der beiden Ninjas untereinander. Man merkte schnell, dass sie sich schon seit ewigen Zeiten kennen mussten und auch dementsprechend miteinander umgingen, obgleich immer ein gewisses Maß an Anstand dabei war. Mein Verhör wurde immer wieder von kurzen Wortwechseln zwischen beiden unterbrochen. „Shikamaru?“ „Ja?“ „Bist du nächste Woche bei der Alllierten-Sitzung dabei?“ „Ja.“ „Ist die wieder in Suna?“ „Ja.“ Das ging eine ganze Weile so. Die stumpfe Einsilbigkeit des Muffeligen war wohl die einzige Waffe gegen die Übermotivation des grünen Clowns. Und beide störte es nicht im Mindesten, dass ich Gast dieser ungewöhnlichen Comedy wurde. Mittlerweile fühlte ich mich von dem Programm arg erheitert und fand es fast schon schade, als der Typ, der wohl Shikamaru hieß, meinte, es wäre alles notiert worden. Die Akte wäre damit geschlossen. Geschlossen? Das klang wie Musik in meinen Ohren. Trotzdem hakte ich noch einmal nach, ob ich es tatsächlich richtig verstanden hätte. Ja, ja, das wäre alles nur ein Protokoll von Amts wegen. Ich schickte einen telepathischen Gruß an Inu, dass er Recht behalten hatte. Ich hätte da seiner Erfahrung mehr vertrauen schenken können und überlegte ernsthaft, ob ich meinen inneren Schweinehund überwinden und ihm meinen Dank persönlich sagen sollte. Aber soviel Vertrauen hatte der ANBU dann doch noch nicht verdient. Also verwarf ich fürs erste die Idee wieder. Der Tag hätte wirklich noch gut werden können. Den Unterschriftenstempel in meiner Tasche suchend, merkte ich nicht, dass sich der Raum um die Anwesenheit einer weiteren Person bereicherte. Lautlos stand er wie aus dem Nichts einfach so da. Direkt neben mir. Bestimmt keinen halben Meter Abstand. Plötzlich kippte meine Stimmung in eine komplett andere Dimension. Ich war so angespannt, die Luft hätte elektrisch knistern können. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und sah in einer exakten Blickachse genau über alle Ordnerstapel hinweg zu Shikamaru. Am Liebsten wäre ich in meine Handtasche hineingeschlüpft und ganz tief unten in ihr versunken. Ich traute mich nicht, einfach nur aufzublicken, sondern stülpte mir fast die Augäpfel aus den Augenhöhlen, wie ich so aus dem Winkel nach oben linste. Dabei gab es heute tatsächlich mal was zu sehen. Kakashi in voller Lebensgröße von oben bis unten. Und nur in seiner Shinobi-Kleidung ohne weißen Mantel und roten Hut. Und so stellte ich zum ersten Mal fest, dass er graue Haare hatte. Ja, ich gebe es zu: Ich wohne nun schon seit fast neun Jahren in Konoha, von denen seit gut acht Jahren die Kakashi-Ära läuft, und ich hatte Plan von gar nichts. Schande über mein Haupt! Aber es interessierte mich einfach nicht die Bohne. Und nun begegneten wir uns innerhalb kürzester Zeit schon zum zweiten Mal, was an diesem Ort hier wohl kaum als ungewöhnlich zu bezeichne wäre. „Oh, die Dame mit der pazifistischen Einstellung.“, stellte er fest, wie er zur Seite herabblickte und mich so notgedrungen zwang, meine Nase aus der Handtasche zu ziehen. Ihn zu ignorieren, wäre sicherlich keine gute Idee, sondern würde einen hochnäsigen Eindruck erwecken. Verdammt, der hatte mir gerade noch gefehlt. Muffelkopf und grüner Clown hatten mir als Stückzahl an bizarren Gestalten für den heutigen Tag schon gereicht, auch wenn sie eine gewisse Eigenkomik nicht entbehren konnten. Warum musste Kakashi auch ausgerechnet jetzt aufkreuzen und dann auch noch in Schlagdistanz neben mir stehen? Was immer du von Shikamaru willst, Kakashi: Erledige es und verzieh dich wieder! Sofort! Voller Höflichkeit blickte ich auf und grüßte demütig. Ich zuckte, als ich in sein Gesicht blickte. Müde Augen trafen meine. Vom fröhlich-frechen Blitzen wie neulich auf dem Markttag war nichts zu sehen. Er sah ziemlich überarbeitet aus und würde wohl sofort im Stehen an Ort und Stelle einschlafen, wenn man ihn lassen würde. Aber ein Hokage war grundsätzlich immer im Dienst und hatte nie frei. Da interessierte es auch niemanden, was seine persönlichen Belange waren. Ein Funke Mitleid keimte nur für eine Sekunde in mir für ihn auf. Aber das würde ihm jetzt auch nicht helfen. Also behielt ich den Funken in meinem Herzen, bis er wieder von allein erlosch. „Haben Sie sich von dem Schock neulich erholen können?“ Wieso interessierte ihn das so brennend. Und warum fing er auch noch ein Gespräch an? Mir blieb auch nichts erspart. „Ja, es geht uns gut und wir haben auch schon jemanden finden können, der meinem Sohn hilft, seine Kräfte unter Kontrolle zu halten. Das Training scheint gut zu laufen.“, gab ich kurz und knapp Auskunft in der Hoffnung, die Antwort würde Hokage-sama zufrieden stellen. Natürlich tat sie das nicht, da er sofort neugierig nachhakte: „Und wer trainiert ihn, wenn ich fragen darf?“ Wie ein Blitz schlug die Erkenntnis ein, dass ich Inu gerade übelst in die Scheiße geritten hatte. Inu hatte mir nie mitteilen wollen, ob er Yuuki ohne Einwilligung überhaupt trainieren durfte. Vielleicht wusste Kakashi gar nicht, was Inu für ein Spiel an ihm vorbei spielte. Oder war Kakashi eingeweiht in die Trainingspläne? Wenn Kakashi nichts davon wusste, würde Inu eine große Portion Ärger bekommen? Oder war das alles in Ordnung? Wie viel wussten beide voneinander? Nein, Inu hatte uns so sehr aus der Klemme geholfen, den konnte ich nun unmöglich opfern. Ich musste dessen Kopf retten. „Nein, vermutlich nicht. Es ist jemand aus unsere Heimat“, log ich, dass sich die Balken bogen. Was für eine bescheuerte Lüge! Vermutlich kannte Kakashi so ziemlich jeden Shinobi auf diesem Planeten. Ich war eine miserable Lügnerin. Etwas anderes war mir in der Not nicht eingefallen. Man sah es mir schon an der Nasenspitze an, wenn ich Lügen erzählte. Wenn Kakashi nun hartnäckig wäre und noch weiter nach einem Namen bohren würde, dann hätte ich verloren. Ich wich seinem Blick aus und wurde auf meinem Stuhl immer kleiner und kleiner. Trotzdem war mir nicht entgangen, wie er unter seiner Halbmaske grinste und das vorhin vermisste Augenblitzen wieder auftauchte. Ich war durchschaut. Gnadenlos durchschaut. „Dann wünsche ich weiterhin gutes Gelingen“, sprach er, klaubte sich einen Ordner aus Shikamarus Zettelwirtschaft und verließ mich und seine Mannen wieder. Ich konnte ihn überhaupt nicht einschätzen, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass da noch irgendetwas im Busche war. Und ich war mal wieder zu blöde, dass ich es durchschaute. Ich wollte mich ebenfalls verabschieden, hatte ich doch meine Aufgabe erfüllt, und bemerkte jetzt erst die erstaunten Blicken, welche auf mir ruhten und wechselseitig hinter ihrem Chef hinterher wanderten. „Was isse'n mit dem heute los?“ kam es verwundert aus der aufgeräumten Ecke. „Das Flirtparadies gibt es jetzt im eBook-Format. Vielleicht ist es das?“, stöhnte es maulig ziemlich desinteressiert hinter einem Aktenstapel aus der rechten Ecke hervor. „Ha, oder es hat ihn endlich die Kraft der Jugend eingeholt. Jetzt so kurz vor seinem Geburtstag.“ Flirtparadies? Kraft der Jugend? Hilfe, ich musste hier ganz schnell weg. Beinah hätte ich angefangen, diese Bande einen Hauch zu mögen, aber diese Abschlussrunde hatte es wieder zunichte gemacht. Die waren allesamt komplett irre. Sonst war ich immer mit dem Mundwerk vorneweg, jetzt war ich es mit den Beinen. Ein kurzes „Auf Wiedersehen“ und raus war ich aus dem Hokageturm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)