People always leave von Khaleesi26 (Fortsetzung zu 'And now we can't have it') ================================================================================ Kapitel 26: Nur ein paar Sekunden --------------------------------- Rückblick Mimi war so aufgeregt, als sie das kleine schwarz-weiß Foto in den Umschlag steckte und Tais Namen und seine Adresse drauf kritzelte. Ihr Herz raste, bei dem Gedanken daran, wie er reagieren würde, wenn er den Brief öffnete. Unfassbar – sie konnte es selbst noch nicht richtig glauben, als sie vor ein paar Wochen die Praxis verließ. „Sie sind schwanger. In der 8. Woche, Fräulein Tachikawa.“ Es waren nur ein paar Worte. Nur ein paar Sekunden und ihre Welt veränderte sich für immer. Seit dieser Diagnose waren weitere 7 Wochen vergangen und endlich hatte sie sich dazu durchgerungen, Tai einen Brief zu schreiben. Aufgeregt trat sie von einem Bein aufs andere, während sie draußen auf der Straße auf Kyle wartete. Es war bereits dunkel und eigentlich wollte sie heute bei ihm und Alison übernachten. Er wollte sie abholen – vor über einer halben Stunde. Leider kam er wie fast immer zu spät, was ihr Gelegenheit gab, noch mal in Ruhe darüber nachzudenken, ob sie auch das Richtige tat. Ihre Gedanken und Gefühle fuhren geradezu Achterbahn, besonders in den letzten Wochen. Die ganze Zeit über fragte sie sich, wie Tai wohl reagieren würde. Würde er es genauso lieben wie sie es bereits jetzt tat? Würde er für sie da sein? Würde er sich freuen? Wie sie und Tai auseinander gegangen waren, war alles andere als schön gewesen. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass sie eine Nacht vorher ein Wunder erschaffen hatten, hätte sie ihn dann auch verlassen? Sicher nicht. Mimi hatte Angst. Sie hatte es bis jetzt nicht geschafft, sich bei ihm zu melden. Schon gar nicht, nachdem sie selbst völlig von dieser Nachricht überrumpelt wurde. Wie sollte es dann erst Tai gehen, der nichts von alledem ahnte? Den sie am Flughafen hatte stehen lassen? Gott … das Herz schlug ihr bis zum Hals. Aber eins war sicher: egal, wie Tai reagieren würde, er musste es erfahren. Natürlich wünschte sie sich einen Vater für ihr Baby. Sie war selbst noch sehr jung und war sich sicher, dass sie Unterstützung brauchen würde. Sicher würde es hart werden. Sie würde ihr Studium unterbrechen müssen. Sie musste sich um eine Bleibe kümmern. Erst mal hatte sie zwar die Möglichkeit bei ihren Eltern zu bleiben, aber das war keine dauerhafte Lösung. Mimi war realistisch. Vermutlich würde es sogar noch schwieriger werden, als sie es sich jetzt vorstellte. Und trotzdem hatte sie keine einzige Sekunde daran gezweifelt, dass sie dieses Kind zur Welt bringen wollte. Dass sie es über alles lieben und es immer beschützen würde. Ganz egal, was passieren sollte. Mimi war sehr froh darüber, dass ihre Eltern es mit Fassung getragen hatten. Natürlich waren sie nicht begeistert gewesen, aber sie versprachen, sie zu unterstützen, so gut es nur ging. Genauso wie Alison. Oder wie Kyle. Sie und er waren nicht zusammen. Bestenfalls waren sie gute Freunde mit gewissen Vorzügen, die sich schon seit ein paar Jahren kannten. Nachdem sie nach New York zurückgekehrt war, hatte sie ihn unverhofft wiedergetroffen und seitdem viel Zeit mit ihm verbracht. Kyle war anders als Tai. Er war nicht die Sorte Mensch, der etwas für jemand anderen aufgeben oder der selbstlos handeln würde. Das wusste einfach jeder, der Kyle kannte. Trotzdem war er seit der Schwangerschaft für sie da gewesen und hatte sie nicht fallengelassen. Vermutlich wollte er mehr von ihr, aber … solange Mimis Herz immer noch an Tai hing, war das einfach unvorstellbar. Sanft strich sie sich über den Bauch, der inzwischen eine kaum erkennbare Wölbung angenommen hatte. Bis jetzt konnte sie ihre Schwangerschaft an der Uni gut verheimlichen, denn bei genauerer Betrachtung hätte man bestenfalls denken können, sie hätte am Vorabend ein bisschen zu viel gegessen. Grinsend blickte sie auf sich hinab und fragte sich insgeheim, wann sie wohl die allerersten Tritte spüren würde. Oder ob es Tais wilde, braune Haare bekommen würde. Ein Seufzen drang aus ihrer Kehle. „Dann wollen wir dich mal deinem Papa vorstellen.“ Sie steckte den Brief mit dem Ultraschallbild in ihre Handtasche, genau in dem Moment, als ein Wagen vor ihr anhielt. Das Fenster war heruntergekurbelt und ein hübscher Typ mit Sonnenbrille beugte sich zu ihr rüber und grinste sie an. „Hallo, schöne Frau. Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?“ Mimi musste lachen. Kyle war manchmal so ein Idiot. Aber meistens fühlte es sich auch gut an, dass er das Leben nicht so ernst nahm. Das war irgendwie genau das, was sie gerade brauchte. „Nein, danke. Mein Freund hat mich versetzt. Ich glaube, ich gehe lieber wieder rein“, sagte sie gespielt eingeschnappt und wollte auf dem Absatz kehrt machen. „Oh, nicht doch Prinzessin“, antwortete Kyle geknickt. „Scott hat mich aufgehalten. Es war also nicht meine Schuld.“ Mimi verschränkte die Arme vor der Brust. „Schläft Scott in deinem Bett?“ Kyle runzelte die Stirn. „Äh, nein?“ „Ich bald auch nicht mehr, wenn du mich noch mal versetzt“, sagte sie giftig, schmunzelte jedoch. „Okay, ich werde mich bessern. Versprochen“, grinste Kyle und öffnete ihr von innen die Tür, damit sie einsteigen konnte. Sie ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und stöhnte. „Es ist echt heiß heute.“ „Ist es nicht“, antwortete Kyle, während er losfuhr. Mimi bedachte ihn mit einem fragenden Blick. Er trug eine Lederjacke. Bei gefühlt 35 Grad. Und das am Abend. „Dir ist nur heiß, weil du schwanger bist. Hab ich gelesen. In Wirklichkeit sind es nur milde 18 Grad.“ Jetzt sah sie ihn skeptisch an. „Du liest dir Artikel über Schwangerschaften durch? Wo? In einer Frauenzeitschrift oder was? Ich glaube, ich muss mir ernsthafte Sorgen um dich machen.“ Kyle lachte, während sie an der nächsten Kreuzung abbogen. „Bist du verrückt? Ich habe das nur gelesen, weil meine Schwester es mir geschickt hat. Sie hat mir so ziemlich alles geschickt, was auch nur irgendwie mit diesem Thema zu tun hat. Das Mädchen ist wie besessen von dir. Echt unheimlich.“ Mimi zuckte mit den Schultern. „Sie macht sich eben Gedanken. Ist doch nett von ihr.“ „Ja, die kann sie sich mal schön alleine machen“, schnaufte Kyle. „Die ganze Zeit tut sie so, als wäre ich der Vater.“ Mimi schluckte. Was sollte sie darauf antworten? Das es schön wäre, wenn sie einen Vater für ihr Kind hätte, das aber momentan eine ziemlich wage Vorstellung war, was sich echt beschissen anfühlte? Sie kreuzte die Finger, rutschte tiefer in ihren Sitz und warf einen Blick aus dem Fenster. „Ach, fuck! Tut mir leid, Babe“, schob Kyle schnell noch hinterher, als er merkte, dass Mimi nichts darauf antwortete. Diese jedoch schüttelte nur den Kopf. „Schon gut. Du kannst ja nichts dafür. Aber wo wir gerade beim Thema sind …“ Sie zog den Briefumschlag aus ihrer Tasche. „Kannst du beim nächsten Briefkasten anhalten?“ Kyle warf einen kurzen Blick auf den Umschlag und zog dann bedächtig eine Augenbraue in die Höhe. „Willst du das wirklich tun?“ „Natürlich“, fuhr Mimi sofort hoch. „Er muss es wissen.“ Kyle stöhnte. „Muss er? Ich meine … du hast doch auch noch mich.“ Diesen Satz hatte er in den letzten Tagen oft zu Mimi gesagt und sie wusste nie genau, was sie davon zu halten hatte. „Kyle“, sagte sie vorsichtig und versuchte ihre nächsten Worte mit Bedacht zu wählen. „Du bist nicht für mich verantwortlich.“ „Ich weiß“, zuckte dieser mit den Schultern. „Aber ich würde es tun. Ich meine, ich bin ehrlich noch nicht bereit für eine Familie und ich kann mir nicht vorstellen, dass es deinem Tai da anders geht …“ Diese Worte versetzten Mimi einen Stich ins Herz. Denn sie wusste, dass es gut möglich war, dass Kyle recht hatte. „… aber für dich würde ich es tun.“ „Was?“, flötete Mimi und grinste unsicher. „Den Daddy spielen? Kyle … wir sind noch nicht mal richtig zusammen und so was ist doch gar nicht dein Ding.“ „Nein, da hast du recht“, sagte er und hielt an einer roten Ampel. Dann grinste er sie breit an. „Aber du bist mein Ding. Und dass wir nicht zusammen sind, liegt allein an dir.“ Mimi lachte, als er sich zu ihr beugte und sie auf die Wange küsste. Manchmal wusste sie wirklich nicht, was sie von ihm zu halten hatte. Sie waren schließlich kein Paar – noch nicht. Und trotzdem tat Kyle manchmal so, als wäre das alles nur ein Spiel. Sicher war er naiv genug, um nicht zu wissen, was er da eben gesagt hatte. Dass er ernsthaft vorschlug, für sie und das Baby da zu sein, war … nett. Aber auch ein wenig dumm. Denn im Grunde wussten sie beide, dass er niemals der geborene Vater sein könnte. „Danke“, sagte sie dennoch aufrichtig, als er sich zurücklehnte und sich wieder auf die Ampel fokussierte. „Ich weiß diese Geste zu schätzen und es ist süß, was du gesagt hast, aber … du weißt genauso gut wie ich, dass du keine Kinder haben willst.“ Stirnrunzelnd sah er sie an. „Wer sagt das?“ „Du. Neulich. Als du betrunken warst.“ „Oh.“ „Ja, oh“, lachte Mimi, während Kyle irgendwie ertappt wirkte. „Also Kyle, willst du wirklich mein Plan B sein? Das kann ich mir nicht vorstellen. Und außerdem ist es völlig okay, wenn du keine Kinder willst. Nicht jeder muss Babys machen. Ich denke, deine Berufung liegt eher woanders.“ Und das war die Wahrheit. Er war definitiv klug genug, um das zu verstehen. Kyle legte den Kopf schief und tat, als ob er überlegte. „Hast recht“, gab er schlussendlich zu. „Aber falls dieser Kerl dich abblitzen lässt, bin ich dein Mann.“ Er zeigte mit dem Finger auf sich und grinste. „Einverstanden“, lachte Mimi auf und legte eine Hand auf ihren Bauch, in der Hoffnung, dass es nicht so weit kommen würde. Sie wollte Tai als Vater ihres Kindes. Niemanden sonst. „Oh, sieh mal“, meinte sie plötzlich und zeigte an die angrenzende Straßenseite, als die Ampel endlich wieder auf grün sprang. „Da vorne ist ein Briefkasten.“ Dann sah sie freudestrahlend zu Kyle rüber, bis ein Licht sie von vorn blendete. „Kannst du kurz dort an- … Kyle, pass auf!“ Es dauerte nur ein paar Sekunden. Ein paar Sekunden und ihre Welt veränderte sich. Für immer. Der Aufprall war so hart, dass die Scheiben zersprangen. Ihr Kopf schlug hart gegen das Armaturenbrett. Der Wagen schlitterte mehrere Meter weit, bis er mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Mimi wollte schreien, doch ihre Lunge war so gepresst, dass sie keinen einzigen Ton herausbrachte. Mit verklärtem Blick sah sie rüber auf die Fahrerseite. „Ky … Kyle?“ Kyle war bewusstlos und sein Kopf lag auf dem Airbag, während sein Körper schlaff im Gurt hing und er kein Lebenszeichen von sich gab. Mimi wollte die Hand nach ihm ausstrecken, doch ihr Arm schmerzte so sehr, dass sie aufschrie. Sie spürte, dass er gebrochen war. Mehrere Glassplitter hatten sich in ihre Haut gebohrt, die wie tausend kleine Nadelstiche schmerzten. Ihr Baby. Panisch sah sie nach unten. Ihr Puls raste und das Blut rauschte in ihren Ohren, während sie versuchte, zu erkennen, was genau geschehen war. Sie konnte es nicht sehen. Alles war so verschwommen. Wahrscheinlich hatte die eine Gehirnerschütterung und würde jeden Moment das Bewusstsein verlieren. Aber … irgendetwas stimmte nicht, das spürte sie. Sie hob den Kopf. Ein anderes Auto war einfach so frontal in sie hinein gerast. Vor dem Zusammenstoß hatte Mimi die Lichter gesehen, die im Bruchteil einer Sekunde auf sie zugekommen waren. Es war, als wäre der Wagen aus dem Nichts gekommen. Sie tastete nach ihrer Handtasche, in der sich ihr Handy befand, aber sie konnte sie nicht finden. Verdammt. Sie musste unbedingt Hilfe holen. Mit zittrigen Händen öffnete sie die Beifahrertür und fiel wie eine leblose Puppe auf den Asphalt. Ein höllischer Schmerz durchzuckte ihren ganzen Körper. Sie schrie ihn hinaus und versuchte sich weiter nach vorne zu robben. Doch mit jeder Bewegung, schob sich etwas weiter schmerzhaft in ihren Körper. Ihre Finger fanden die Stelle. Ein Stück der zersprungenen Frontscheibe hatte sich in sie gebohrt. In ihren Bauch. Ihr blieb die Luft weg. Mimi wusste, egal, was jetzt noch passieren würde – es war zu spät. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, während sie sich auf den Rücken rollte. Sie konnte kaum atmen. Ihre Lunge brannte und ihre Hand glitt von ihrem Bauch zurück. Sie hob sie hoch und betrachtete das frische, warme Blut, das an ihren Fingern klebte. „Nein …“, murmelte sie. Dann schrie sie nach Hilfe. Immer wieder. Doch niemand kam. Ihr Puls ging immer schneller und die Welt drehte sich vor ihren Augen. Dann plötzlich, als ihre Stimme immer leiser wurde, hörte sie, wie jemand eine Autotür zuschlug und hustend auf der Straße zusammenbrach. „K- … Kyle?“ Mimi versuchte, den Kopf zu drehen, aber sie konnte sich kaum noch bewegen. Alles, was sie sah, waren zwei schwarze Stiefel, die sich humpelnd auf sie zubewegten. Es war der Kerl, der mit ihnen zusammengestoßen war. Der Kerl, der viel zu schnell gefahren war. Der Kerl, der ihr Baby und vielleicht sogar Kyle auf dem Gewissen hatte. „Oh, fuck“, stieß der Typ aus und ließ sich neben Mimi auf die Knie sinken. Mimi betrachtete den jungen Mann, sah in sein verstörtes Gesicht. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, aus der dickes, rotes Blut sickerte. Sein Blick glitt an ihr hinab und seine Augen weiteten sich, als er an ihrem Bauch hängen blieb. Mimi wollte etwas sagen. Wollte ihn anflehen, Hilfe zu holen. Doch ihre Stimme versagte ihr jeglichen Dienst. Stattdessen schmeckte sie nur den bitteren Geschmack von Eisen auf ihrer Zunge. „Oh, nein. Nein, nein, nein, nein! Nein, fuck!“ Der Typ fuhr sich gestresst durch die Haare, während Mimi ihn flehend ansah. Warum zum Teufel holte er denn keine Hilfe? Worauf wartete er? Plötzlich hob er den Kopf. In seinen Augen spiegelte sich die blanke Angst wider. Jetzt vernahm auch Mimi das Heulen der Sirenen in weiter Ferne. Mit jeder Sekunde kamen sie näher. Irgendjemand musste den Unfall bemerkt und die Polizei alarmiert haben. Mit einem Mal sprang der Kerl auf die Füße. Was? Nein! Wo wollte er hin? Er warf Mimi einen letzten Blick zu. „Hör zu … es tut mir leid“, wisperte er aufgebracht. Dann war er weg. Er war einfach davongelaufen. Einfach so. Am liebsten hätte Mimi aufgeschrien, hätte ihm hinterhergeschrien, dass er verdammt noch mal hierbleiben sollte. Aber sie konnte nicht mehr. Jetzt nicht mehr. Sie spürte, wie ihr Puls schwächer wurde und ihr Blick verklärte. Noch vor fünf Minuten war sie voller Vorfreude gewesen. Ihr letzter Gedanke galt ihrem Baby und dem Brief, den sie Tai hatte schicken wollen. Nur noch ein paar Sekunden … Dann war alles vorbei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)