ASS! of BIKE Band 1 von Atsusa (Leseprobe) ================================================================================ Kapitel 1: Tour 1: Wer ist dieser Max Mustermann? ------------------------------------------------- Eine Wand aus Hitze schlug ihm entgegen, als Olav und seine Viking Spades das Teamzelt verließen. Es war noch früh am Morgen, doch der deutsche Sommer zeigte, dass auch er hin und wieder etwas freundlicher war als seine Landsleute. Nichtsdestotrotz wurde Olav schlecht. Düsseldorf, der Ort, an dem die diesjährige Tour de France beginnen würde, stank. Stank wie jede Großstadt nach Abgasen und Unrat, auch wenn der Verkehr für den Start der Tour großräumig abgeriegelt wurde und die Müllabfuhr die Straßen fast schon abgeleckt haben musste. Sofort klickten die Kameras. Fernsehteams aus aller Herren Länder hatten sich vor der Absperrung versammelt, um eine gute Aufnahme der Radsport-Stars zu erhaschen. Olav nahm eine schutzsuchende Position hinter Haakon ein, doch es war zu spät. Ein blaues Mikrofon an einer Teleskopstange landete direkt vor seiner Nase. Das deutsche Fernsehen. „Wie geht es einem Olav Olsen so kurz vor seinem großen Comeback? Sind Sie schon nervös?“ Ah, Deutsch! „Es ist, äh, gut.“ Er war etwas eingerostet und suchte nach Worten. „Düsseldorf ist eine sehr schöne Stadt. Ich, äh, freue mich, freue mich sehr heute hier sein zu dürfen!“ Den Medien immer sagen, was sie hören wollten. Ein freundliches Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Na das hört man gerne! Was sind Ihre Ziele für das heutige Zeitfahren? Werden Sie gegen Max Mustermann gewinnen? Der hat Sie ja letztes Jahr ganz schön alt aussehen lassen.“ Max wer? Olav begann herumzudrucksen. Haakons Augenbrauen zuckten und er machte eine rasche Bewegung mit den Händen, welche wohl ein rasches Treten in die Pedale bedeuten sollte. „Ja, Max Mustermann ist wirklich ein ausgezeichneter Sprinter und Rivale!“ Die Miene des Fernsehmenschen hellte sich auf. „Also werden Sie ihn schlagen?“ Haakon legte unauffällig den Kopf in die Seite. Olav verstand und dichtete sich augenblicklich die passende Antwort zusammen. „Max Mustermann ist als Top-Sprinter eine Klasse für sich. Ich denke, im heutigen Zeitfahren wird der deutsche Star die Nase vorn haben. Aber wenn es morgen nach Lüttich geht, werde ich ihm schon zeigen, wo der Hammer hängt!“ Olav war selbst überrascht, wie gut es ihm immer gelang, solche perfekten Antworten zu geben. Dieses ganze selbstbewusste Getue war eigentlich so gar nicht seins. Er wollte einfach nur in die Pedale treten, seine Grenzen austesten und dabei den einen oder anderen Hintern anstarren. „Max Mustermann hat selbst angekündigt, dass seinen Namen nach der diesjährigen Tour de France jedes Kind in Deutschland kennen wird. Aber ich bin mir sicher, dass auch ein Olav Olsen dieses Jahr Großes erreichen wird.“ Olav bedankte sich förmlich. „Liebe Zuschauer, wir können gespannt sein. Vielen Dank für das Interview. Das war Olav Olsen von den skandinavischen Viking Spades, der…“ Den Rest hörte er schon nicht mehr. Seine Hände waren schweißnass geworden. Nervös nestelte Olav an seinem Reißverschluss und zupfte sein Trikot glatt. Matti gab ihm einen Stoß in die Rippen. „Sieht schon ganz gut so aus, unser Star!“ Als er lächelte, kam die kleine Spalte zwischen seinen Schneidezähnen zum Vorschein. Dieser Zahnlücke hatte es der 19-jährige hellblonde Finne zu verdanken, dass er bereits jetzt auf den Titelblättern zahlreicher Teenager-Magazine abgebildet war und täglich säckeweise Fanpost von verliebten Mädchen bekam. Olav kräuselte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ich mag das eigentlich gar nicht, also tu mir bitte den Gefallen und fahre heute einen neuen Rekord für unser Team heraus, junger Padawan.“ – „Damit ich in Zukunft interviewt werde? Tut mir ja leid, Brauner, aber für die deutschen Fernsehteams musst weiterhin du dein hübsches Gesicht hinhalten, ich kann nur Englisch.“ Er lachte. Sie nahmen ihre Fahrräder in Empfang und machten sich auf den Weg zur Bühne. Wie jedes Jahr wurden vor dem großen Start alle Teams und Fahrer dem Publikum vorgestellt. Es war noch mehr Show, noch mehr Lächeln und noch mehr Winken. Olav freute sich schon darauf, dass es morgen endlich raus aus der Stadt und rein ins Abenteuer ging, raus aus Deutschland, rein nach Belgien. Endlich wieder Geduld, Plackerei und am Ende hoffentlich ein gutes Ergebnis beim Sprint durch die Altstadt von Lüttich. Dabei fiel es ihm wieder ein… „Wer ist denn jetzt dieser Max Mustermann?“ Morten stöhnte genervt, doch Haakon hob ruhig die Hand und deutete auf die Bühne. „Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier sind die Bismarck Bells!“ Neun Fahrer in schwarz-rot-goldenen Outfits schoben ihre Fahrräder über eine Rampe auf eine große Bühne. „Letztes Jahr Sieger in der Teamwertung mit einer wirklich herausragenden Vorstellung ihres Zeitfahr- und Sprint-Stars, Max Mustermann!“ Während sich auf der Bühne eine Gruppe von acht Männern mit dunkelblonden bis braunen Haaren, sowie ein südländischer Typ in einer Reihe formierten, explodierte das Publikum. „MAX SPEED! MAX SPEED! MAX SPEED!” Ein langhaariger Blonder mit gelb getönter Sonnenbrille begann euphorisch zu winken und zeigte beim Grinsen seine schiefen Eckzähne. „Der Star aus Deutschland, Max Mustermann!“ Aha. Das war er also. Max Mustermann. Ein auffälliger Kerl von vielleicht Ein Meter Achtzig Körpergröße, aber mit bestimmt 15 Kilogramm weniger auf den Rippen als Olav. Genau richtig gebaut, wenn man beim Zeitfahren die letzten Hundertstel herausholen wollte. Und dieser Max Speed, so wie ihn das Publikum nannte, schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Er posierte breitbeinig mit seinem Fahrrad, senkte die Brille und zwinkerte neckisch in die Fernsehkameras. Ja, solche Typen sollten interviewt werden und nicht er, Zimtschnecken-Olav. Ihm ging ja jetzt schon wieder die Pumpe, wenn er nur daran dachte, dass er gleich ebenfalls dort hochmusste, um sich ankündigen zu lassen. Er atmete tief durch und starrte auf den Asphalt unter seinen Füßen. Mit jedem Atemzug verschwamm die Sicht vor seinen Augen mehr und mehr. Ein flaues Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Was, wenn es dieses Jahr wieder zu einem Massensturz kam? Wenn er wieder nichts tun konnte, außer zu sehen, wie vor ihm alle wie Dominosteine umfielen? Und warum erinnerte er sich gerade jetzt wieder an dieses Detail? Olav hielt sich den Kopf. Nein, er würde sich jetzt ganz sicher nicht übergeben. Nicht so kurz vor der Vorstellung. Danach vielleicht, aber nicht jetzt. „Hier. Nimm das.“ Jemand hielt ihm eine Wasserflasche entgegen. Mit zitternden Händen versuchte er sie entgegenzunehmen, doch es gelang ihm erst beim dritten Versuch. Und als er schließlich am Drehverschluss nestelte und den Blick hob, rutschte ihm fast das Herz in die Hose. „Du?“ Rot-schwarzes Outfit mit weißen Akzenten, ein H für „HELVETIA“ auf der Brust und blauen Augen so klar wie ein Schweizer Bergsee. Oder ein Koreanischer, oder… „Ich?“ Der andere musste schmunzeln. Schwarzes Haar mit roten Spitzen, lange Wimpern. Ja, das war definitiv einer der vier Typen, die in die engere Auswahl für Olavs Traum-Hintern kamen. Olav nahm einen Schluck aus der Wasserflasche und verschluckte sich prompt. „Trink nicht so schnell. Jetzt kannst du noch langsam machen.“ Wie hieß er doch gleich nochmal? Kim, oder? Mit Vor- oder Nachnamen? Nachname, oder? Sein Vorname? „Kim Lutz-Park. Du erinnerst dich an letztes Jahr? Du hast mir bei zwei Etappen die Führung weggeschnappt. Das war ein echtes Desaster!“ Desaster! Wenn hier jemand ein Desaster war, dann wohl Olav selbst. Wenn er nicht aufpasste, dann hatte er gleich wieder Wasserflecke auf den Klamotten und musste damit auf die Bühne gehen. „Ich“, fand er seine Stimme wieder, „hab garantiert nicht vor, dich dieses Jahr gewinnen zu lassen, Kim!“ Hörte sich das cool genug an? Hoffentlich! Wieder dieses sanfte Lächeln. „Ich freue mich schon darauf.“ Der Jubel schwoll an. Zeit, auf die Bühne zu gehen. „Äh…“ Olav hielt die Wasserflasche hoch und sah sich planlos um. Hinter ihm verdrehte Morten schon wieder die Augen und warf ihm einen „Mach hinne!“-Blick zu. Kim lachte amüsiert. „Schon gut, jetzt geh schon! Ich hoffe, es hat etwas geholfen?“ Er nahm die Wasserflasche entgegen. Olav nickte stumm und schob sein Rad die Rampe hinauf. Sofort nahm die ohnehin schon unangenehme Temperatur weiter zu. Die Bühne war perfekt ausgeleuchtet und grillte die Viking Spades zusätzlich, damit sie für die Fernsehkameras besonders attraktiv aussahen. „Die stolzen Wikinger des Nordens! Die Viking Spades! Einen Applaus, bitte!“ Olav konnte spüren, wie der Boden unter seinen Füßen zu beben begann. Gaströten und Trillerpfeifen ertönten. Irgendwo weiter hinten schlug eine Gruppe von Männern mit Plastik-Wikingerhelmen auf große Trommeln. Und als wäre dies nicht schon peinlich und überwältigend genug gewesen, skandierten die Zuschauer seinen Namen. „OLAV! OLAV! OLAV!“ Hilfe, jetzt war ihn wirklich danach sich zu übergeben! Er verstand nicht einmal mehr, was der Moderator sagte und antwortete nur mit einem Nicken und einem kurzen „Ja“ auf jede Frage, die man ihm stellte. Dann war es auch schon vorbei und sie durften endlich die Bühne verlassen. Olavs Schultern entspannten sich langsam. Jetzt würde endlich der ernsthafte Teil beginnen: sich auf den Rollen warm fahren und darauf warten, dass man beim Individualzeitfahren an der Reihe war. „Na dann wollen wir uns mal in die Ganzkörperkondome werfen!“, scherzte Matti, als sie die Räder zurück zum Teamzelt schoben. „Ich bin ganz schön aufgeregt. Meine erste Tour. Hoffentlich blamiere ich euch nicht!“ Und selbst wenn er sich blamierte, die finnischen Mädchen würden ihn trotzdem noch anbeten. „Lass dich einfach nicht ablenken. Du hast so oft im Windkanal trainiert, du kannst gar nicht versagen. Beim heutigen Zeitfahren geht es fast nur geradeaus, mach einfach den Kopf frei, dann wird das schon.“ Wow, Olav, das waren ja richtig aufmunternde und erwachsene Worte! Wenn du nur zu dir selbst auch mal so motivierend sein könntest! „Du bist noch jung, aber du hast definitiv den Dreh…“ – „Scheibenbremsen? Ist das dein Ernst?“ Eine argwöhnische Stimme mit ausländischem Akzent unterbrach ihn. „Ich hätte ja nicht gedacht, dass der harte Wikinger Olav Olsen bei seinem Comeback so handzahm geworden ist!“ Wollte ihn gerade jemand beleidigen? Olav schürzte die Lippen und sah seinen Kontrahenten an. Und zum zweiten Mal an diesem Tag rutschte ihm das Herz fast in die Hose. „Nobuhiko…“ – „Honda, genau der!“ Olav traute seinen Augen nicht. Es war noch nicht mal Mittagszeit und er lief schon Hintern Nummer Zwei über den Weg, den er fast nicht wiedererkannt hätte. „Äh, schicke Frisur!“, versuchte er etwas Smalltalk zu initiieren, doch der Japaner wimmelte ihn ab. „Vielen Dank, aber trotzdem! Scheibenbremsen! Ich wusste echt nicht, dass du so ein Schisser bist!“ Scheibenbremsen gab es noch nicht sehr lange im Profi-Radsport und es gab nicht wenige, die diese auf Grund der Optik nicht mochten. Während bei gängigen Modellen die Bremsklötze auf den Felgen des Rades lagen, wurde bei Scheibenbremsen in der Mitte des Rades die Bremswirkung erzeugt, was zu einem stabileren Bremsverhalten führte. Olav hob eine Augenbraue. Suchte der etwa Streit? Zugegeben, mit seiner neuen Frisur, dem Undercut mit gelb einrasierten Blitz, sah Nobuhiko endlich einmal anders aus als seine Teamkollegen, bei denen Olav echt Probleme hatte, sie auseinanderzuhalten. Ob die schwarzhaarigen Japanese Jokers ebenso über die blonden bis mittelbraunen Viking Spades dachten? „Scheibenbremsen sind gut und zuverlässig“, erklärte Olav langsam auf Englisch. „Sie bremsen besonders bei nasser Fahrbahn optimal. Und ja, wenn du das so sehen willst, ich bin ein Schisser, weil es mich letztes Jahr bei Regen voll auf die Fresse gehauen hat!“ Nobuhiko zischte entnervt. „Wir werden morgen ja sehen, wessen Bremsen besser wirken. Falls wir die überhaupt brauchen. Ich habe jedenfalls nicht vor, morgen vor der Ziellinie den Schwanz einzuziehen. Shitsurei shimasu!“ Als der Japaner in der gelb-schwarzen Teamkluft sein Fahrrad an ihm vorbeischob, hörte er dessen Teamkollegen mit vorwurfsvollem Ton etwas sagen. Doch Olav verstand kein Wort Japanisch und konnte deshalb nur ratlos nur mit der Schulter zucken. Das war also Nobuhiko Honda? Was für eine Persönlichkeit! Dabei sagte man doch immer, dass Japaner nett, zurückhaltend und stets freundlich waren! Aber wahrscheinlich traf das genauso wenig zu, wie Olav ein dänischer Nationalheld war. Olav fixierte das Hinterrad seines Spezialfahrrads für Zeitfahrten und begann sein Aufwärmtraining. Auch wenn das Individualzeitfahren nur 13 Kilometer lang war, musste doch jede Faser seines Körpers perfekt vorbereitet sein. Er war zwar kein Zeitfahrspezialist wie Matti, der sich bereits einen besonderen Anzug angezogen hatte, welcher den Luftwiderstand auf seinem Körper verringern sollte, aber es stand ja wohl außer Frage, dass er, Olav, der Zimtschnecken-Held, am morgigen Tag woanders als in der ersten Gruppe starten würde. Selbst wenn die finanzielle Lage der Viking Spades noch so prekär war, hatten sie noch immer das beste Equipment vom besten zur Verfügung. Anstatt am Material zu sparen, wurden seit dem letzten Jahr systematisch die Fahrer entlassen. Von ursprünglich 25 Fahrern waren inzwischen nur noch 15 übrig, von denen wiederum neun an der Tour teilnahmen. Olav versuchte sich aber immer wieder einzureden, dass das gar nicht einmal so schlecht war. Die Viking Spades, so wie sie jetzt waren, war für ihn wie eine Familie. Viele von ihnen kannte er noch aus dem Sport-Förderzentrum, in welchem er seit seinem 14. Lebensjahr trainiert und gelernt hatte. Er sah sie öfter als seine richtigen Verwandten und es war auch nicht übertrieben zu sagen, dass sie sogar mehr über ihn wussten als seine eigenen Eltern. Als er zehn Minuten später langsam ins Schwitzen kam, fühlte sich Olav schon viel selbstbewusster. Sollte Nobuhiko noch so viel Gift und Galle spucken und sollte ein Max Mustermann, der deutsche Nationalheld, doch vor Selbstbewusstsein sprühen, ihm konnte das doch egal sein. Er würde einfach ruhig und abgeklärt sein Ding machen. Am Nachmittag war es endlich soweit. Team Viking Spades holte seine Nummern ab und reihte sich in die Schlange zum Individualzeitfahren ein. Matti rückte noch einmal seinen futuristisch aussehenden Helm zurecht, überprüfte jedes noch so kleine abstehende Bändchen, sowie die Funkverbindung zu Märtha im Begleitfahrzeug und schoss mit dem Abschluss des Countdowns so schnell los, dass er binnen kürzester Zeit hinter der ersten Kurve verschwunden war. Olav wippte unruhig mit den Zehenspitzen und fuhr mit dem Zeigefinger den Kragen seines Rennanzugs nach. Auch er trug einen aerodynamisch geformten Helm und würde wie Matti heute mit einem Spezialfahrrad starten, dessen Lenker besonders geformt war und das im Hinterrad keine Speichen, sondern eine windreduzierende Scheibe hatte. Ein Jahr war es jetzt her, dass er an so einem mörderisch langen Turnier teilgenommen hatte. Im Frühjahr hatte er sich zwar zaghaft an mehrere kleine Rennen herangetraut, aber so einen großen Hammer wie die Tour de France hatte er sich seit seinem Unfall nicht mehr angetan. Die Erwartungen der Zuschauer und Medien lasteten schwer auf seinen Schultern. Würde alles gut gehen? Würde er diesmal den Erwartungen gerecht werden? Er fixierte seine mit Metallschienen ausgestatteten Schuhe in den Pedalen und schärfte die Sinne. Noch wenige Sekunden, dann würde auch für ihn die Tour de France beginnen. Hier oben, auf der kleinen Startrampe, umringt von Zuschauern hinter Absperrgittern, die seit Stunden in der Sonne ausharrten, um ihn zu sehen. In der Ferne sah er ein violettes Banner im Wind flattern, auf das sein Gesicht gedruckt war. Ein Jahr. Und im Gegensatz zu ihm, der so viel vergessen hatte, hatte ihn das Publikum nicht vergessen. GO VIKING. GO CINNAMON ROLL. GO OLAV. Olav musste schmunzeln, leckte sich noch einmal über die Lippen und atmete tief durch. Dann war der Countdown abgelaufen und seine Tour de France begann. Wie konnte man beschreiben, was in einem Rennradfahrer im Moment des Starts vor sich ging? Wie dieses Gefühl erklären, das über denjenigen kommt, dessen Anspannung sich wie die Sehne eines Bogens konzentriert, nur um dann im perfekten Moment den Pfeil hervorschnellen zu lassen? Olav liebte den Nervenkitzel vor dem Start und das Gefühl der Euphorie, sobald all die gesammelte Energie losbrach. Das feste Umgreifen des Lenkers, wie sich seine Beine streckten und der Oberkörper nach vorne gebeugt wurde. Die unbändige Kraft, die mit jeder Umdrehung der Pedale in sein Fahrrad strömte. Schon bald legte er sich in die erste Kurve, spürte den Fahrtwind und hörte verzerrt den Jubel der Zuschauer, die sich an den Seiten der Banden versammelt hatten. Dumpf drangen die Trommeln der Pseudo-Wikinger an sein Ohr. Olavs Atem beschleunigte sich und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Ja, wie sehr er dies doch vermisst hatte! Dieses Gefühl, einfach wieder mit dabei zu sein auf der großen Bühne des Radsports! Es dauerte nicht lange und die Ziellinie kam in den Blick. Wehmut erfüllte Olav, doch gab er noch einmal alles. Er biss die Zähne zusammen, schaltete einen Gang nach oben und trat in die Pedale, was das Zeug hielt. Damit war die erste Etappe und das Zeitfahren für ihn auch schon vorbei. „Das war ja unbefriedigender als ein Quickie!“ Olav schnallte den Helm ab und trank aus der Sportflasche, die man ihm reichte. Nur 13 Kilometer! Das war ja genauso fade wie der Sport-Drink, den man ihm in die Flasche gefüllt hatte. Er zuckte mit den Schultern und betrachtete die digitale Anzeigetafel. Max Mustermann, Platz 1. Matti Meikäläinen, Platz 5. Olav Olsen, Platz 12. Wenn man bedachte, dass am Ende bestimmt noch 150 andere Fahrer hinter ihm liegen würden, dann war es ein gutes Ergebnis. Platz 1 konnte er sich immer noch morgen holen. „Olav?“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf sich das Handtuch anschließend über die Schultern. „Hallo-hoo, Olav?“ Da die Anspannung vorbei war, konnte er nun endlich einmal auf die Toilette gehen. Ganz in der Nähe befand sich eine blaue Ansammlung von mobilen Toilettenhäuschen, die sogar noch relativ frisch rochen. Na ja, wenn die anderen 100 Fahrer, die jetzt noch am anderen Ende von Düsseldorf warteten, erst einmal hier angekommen waren und ihren Entspannungs-Schiss verrichteten… „Olav Olsen? Erkennst du mich noch?“ Gerade, als er die Tür zu einem noch sauberen Toilettenhäuschen öffnen wollte, tippte ihm jemand auf die Schulter. Schon wieder ein Reporter? Hatten die hier überhaupt Zugang? Einfach immer nett lächeln, obwohl er gerade wirklich dringend musste! „Ja, bitte?“ Wie aus heiterem Himmel wurde er in eine Blitz-Umarmung gezogen. „Ich habe dich ja so vermisst, Olav, das kannst du mir glauben! Mir war so schrecklich langweilig ohne dich!“ Wer war das nur? Schwarzer Lockenkopf, dunkelhäutig und grün-weißes Teamoutfit mit orangenen Akzenten. Olav konnte gar nicht so schnell reagieren, wie sich plötzlich ein paar schlanke Hände um seinen Nacken legten und ihn nach unten zogen. Der Lockenkopf kam ihm immer näher und näher, bis schließlich ein paar weiche, braune Lippen auf seinen landeten. Olav riss die Augen auf und rang nach Luft. Ein Kuss? Was? Wie? Warum so plötzlich? Er stieß den Anderen von sich und wischte sich aus Reflex über die Lippen. Doch der legte nur den Kopf schief und sah ihn verwundert an. „Du musst mich ja wirklich vergessen haben, lieber Olav!“ Er zwinkerte und berührte ebenfalls seine Lippen, als wollte er den flüchtigen Kuss noch einmal nachspüren. „Ich bin’s doch, dein Punyaa! Punyaa Boonmee, seines Zeichens Ass-Sprinter der ShamroClovers – und dein größter Fan!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)