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Ursachenforschung

von

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"Mach schon! Komm da runter!", herrschte er mich schneidend an. Maria war sauer. Aber das war er doch eigentlich immer. Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete ich ihn argwöhnisch und meine Kapuze glitt mir tief ins Gesicht. Seine Nähe verunsicherte mich. Aber wenigstens lächelte er nicht böse, sondern war nur ärgerlich. Ich hatte noch nie einen Menschen so gemein lächeln sehen wie ihn. Und immer wenn er es tat, erinnerte er mich an jenen Abend, an dem ich zum ersten Mal sein Blut gekostet hatte. Sein süßes, süßes Blut, das überall in mir gewesen war, mich stark gemacht hatte. Es hatte gelodert in meinen Adern, all mein Denken in Flammen gesteckt und lichterloh verbrannt.
 

"Ich werde dich ganz sicher töten, aber bis dahin lebe bitte, um meinetwillen."

Das hatte er gesagt.

Und ich lebte.

Um seinetwillen.
 

Ich hatte es ihm versprochen. Er erinnerte mich nahezu jeden Tag daran, denn ich neigte dazu, es in meiner Todessehnsucht zu vergessen. Eigentlich war leben gar nicht so schlimm. Bei ihm zu sein war besser, als allein und ohne Hoffnung durch die Jahrhunderte zu treiben. Manchmal, in dem Moment kurz bevor er mich zwang, sein Blut zu trinken, wenn er mein Gesicht an seinen Hals presste, sein Puls in meinem Kopf hämmerte, sein unendlich anziehender Duft mich einhüllte und seine Hand auf meinem Hinterkopf mich unnachgiebig immer näher an seine helle, weiche Haut drückte, unter der ein nicht enden wollender Strom dieses mich vollkommen durchdringenden Blutes floss, wollte ich nicht sterben.

Ich wollte leben. Wollte sein Blut, das er mir immer wieder aufzwang, auch wenn es mir so eine wahnsinnige Angst machte.
 

Es sang für mich, rief mich. Mein Körper kribbelte, wenn ich daran dachte. Gier stieg in mir auf und mein Magen knurrte. Unwillkürlich klammerte ich mich fester an den Kronleuchter, auf dem ich saß. Er klirrte leise und begann, ein wenig zu schwanken. Zum Glück konnte ich ihn von hier oben nicht so stark riechen. Dieser Duft... Sein verdammter Duft... Ich wollte auf keinen Fall näher an ihn ran, sonst würde ich wieder schwach werden. Ich hatte heute keinen guten Tag. Gut, ich hatte nie einen guten Tag, aber so schlecht wie heute war es meistens auch nicht. Ich bestand nur aus Angst und Schmerz, ich fühlte mich nicht lebensfähig, wollte nur sterben. An solchen Tagen war ich empfänglicher als sonst für den lieblichen Lockruf seines Blutes. Er war wie eine Droge.
 

Einmal, als ich besonders große Angst vorm Trinken gehabt hatte, hatte er mich irrsinnig lange angeschrien, sich regelrecht in Rage gebrüllt. Mir gedroht, dass er weggehen würde und ich dann ja sehen könnte, wer meinem Leben ein Ende setzten würde. Er war völlig außer sich gewesen, aber ich hatte nur geweint und meine Lippen fest zusammengepresst, hatte nicht trinken wollen, mich mit aller Kraft gegen ihn gewehrt.
 

Nach einem langen, verbitterten Ringen hatte er plötzlich aufgehört, meinen Kopf gewaltsam an sich drücken zu wollen. Seine Finger waren unter meine Kapuze zwischen meine roten Haare geglitten, hatten mich sanft gestreichelt. Einfach so hatte er seinen Arm um meine Taille geschlungen mich an sich gezogen. "Komm schon, du willst es doch. Sei ein braves Kätzchen", hatte er geraunt. Im ersten Moment hatte ich mich erschrocken, doch mit jedem Kraulen war der Widerstand in mir schwächer geworden. Ohne das ich es hätte verhindern können, hatte ich mich an ihn geschmiegt. Sein Duft, der sich irgendwie verändert hatte, hatte mich angezogen, wie eine Motte das Licht.

Warum hatte er anders gerochen?

So viel betörender als sonst schon?

So absolut unwiderstehlich?
 

Etwas in mir war ausgeklinkt und so hatte ich, wie eine Katze über seinen Hals geleckt, bevor ich meine Zähne, so sanft ich nur irgend konnte, in seinem schlanken Hals versenkt hatte, den er mir so willig darbot. Seine Haut hatte so gut geschmeckt.

Nach Trost. Nach einem Leben.

Doch sein Blut war an diesem Abend eine Offenbarung gewesen, hatte süße Versprechen geflüstert, mich völlig benebelt. Mir war schwindelig geworden und mein Körper hatte begonnen, zu zittern. Ich hatte mich an ihm festhalten müssen, so überwältigt war ich von dieser noch nie erlebten Intensität gewesen. Die ganze Zeit über hatte er mein Haar gestreichelt und mich festgehalten, hatte mir Geborgenheit vermittelt. Ein Gefühl das ich schon längst vergessen hatte.

"Sht. Ich bin ja da. Du musste keine Angst haben."

Und ich hatte mich überfordert an ihn geklammert. Meine Verzweiflung war gebröckelt. Zum ersten Mal.

In dem Moment war ich endgültig süchtig geworden, doch er hatte nie wieder so geschmeckt.
 

Er hielt mich gefangen mit seinem Blut, seinem allgegenwärtigen Geruch. Doch ich gierte auch nach seiner Aufmerksamkeit, denn ich wollte, dass er mich beachtete, sich ärgerte über seine ungezogene Katze. Auf dass der süße Strom in ihm in Wallung geriet und er noch einmal so roch wie damals. Sein Geschmack an jenem Abend hatte etwas in mir geweckt, das ich vorher noch nie empfunden hatte. Als ich sein Blut getrunken hatte, hatte es sich angefühlt, als würde es eine Zukunft für mich geben.
 

"Jetzt komm endlich da runter!"

Wehmütig sah ich ihn an und atmete tief ein.

"Was schnüffelst du da so bescheuert rum?"

Ich antwortete nicht. Ich wollte nicht runter. Ich hatte so einen Hunger. Nie konnte ich mich lange genug beherrschen, trank immer schon vorher. Aber heute war ich fest entschlossen. Ich würde ihn so lange reizen, bis es soweit war. Ich wollte diesen vollkommenen Rausch noch einmal erleben.

"Du hast gesagt, du tust alles, was ich will, also komm jetzt da runter, verdammt nochmal!", brüllte er ungehalten. Er wurde ein wenig rot dabei, was auf seiner blassen Haut faszinierend aussah. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, wenn ich daran dachte, wie das Blut nun verstärkt in seine Wangen strömte, ihn erhitzte.
 

Durch die permanente Blutarmut war er immer bleich und auch geschwächt, was jedoch seinem herrischen Charakter keinen Abbruch tat. Heute war ein langer, anstrengender Tag gewesen. Er wollte nach Hause und sich ausruhen, war aber noch nicht erschöpft genug, um nicht mehr ausrasten zu können. Der perfekte Moment also, um ihn in Rage zu bringen. Er sollte wieder so riechen wie damals! Nur noch einmal. Er war doch wütend gewesen, oder nicht? Ich hatte mich geweigert, sein Blut zu trinken, wie ich es jetzt auch tat. Neugierig schnüffelte ich.
 

Nichts.
 

Also schüttelte ich trotzig den Kopf.

Da änderte sich etwas in seinem Gesichtsausdruck. Er schnaubte und ließ Kopf und Schultern hängen. "Dann mach doch, was du willst. Ich gehe jetzt nach Hause. Wenn mich unterwegs die Vampire zerfetzen, ist es deine Schuld...", murrte er leise und ging zu Tür.

Verdammt.
 

Ein tiefes Seufzen entwich mir, als mir bewusst wurde, dass ich eine weitere Niederlage erlitten hatte. Der Kronleuchter schepperte laut, als ich mich von ihm abstieß und kurz hinter Maria auf dem Boden landete.

"Geht doch..." Mürrisch ritzte er sich den Finger auf und hielt ihn mir hin. Artig schloss ich meine Lippen darum und saugte. Es würde ja doch nichts bringen. Er war nicht mehr sauer, sondern einfach nur erledigt. Ich hatte den Grad seiner Schwäche wohl nicht richtig beurteilt, weil ich mir so sehr gewünscht hatte, dass ich ihn heute endlich soweit kriegen würde. Ich hätte es heute so sehr gebraucht.
 

Hitze stieg in mir auf, als sein Blut durch meinen Kreislauf strömte. Es schmeckte so gut, doch es konnte mich nicht aufheitern. "Kann losgehen...", meinte ich niedergeschlagen, als ich die erste Welle der Glut, die er trotzdem in mir auslöste, überwunden hatte. Er sah mich nicht an, ging einfach schweigend voraus in die Dunkelheit und zog seinen köstlichen Geruch hinter sich her, dem ich wohl, solange ich lebte, folgen würde, bis er mich endlich erlöste. Wann es wohl so weit war?
 

An jenem Abend hatten uns viele Vampire angegriffen. Ich hatte mich durch wahre Massen von ihnen schlachten müssen und war von oben bis unten mit Blut bespritzt gewesen. Wie immer jagte er mich sofort ins Bad, weil er den Geruch von Blut hasste. Als ich mit dampfender Haut aus dem duftenden Badewasser stieg, fiel mir allerdings auf, dass ich in der Eile etwas Wichtiges vergessen hatte: Wechselklamotten.

Wenn ich jetzt wieder die blutdurchtränkten Sachen stieg, hätte ich mir das Waschen auch sparen können. Schnell trocknete ich mich ab und huschte, nur in ein Handtuch gehüllt über den Flur in sein Zimmer, wo meine Sachen im Schrank lagen, da ich ja keinen eigenen Raum hatte. Gerade in dem Moment, als ich das Handtuch fallen ließ und in meine Shorts steigen wollte, wurde die Tür aufgerissen.
 

"Warum hast du eigentlich..."
 

Entsetzt sah ich über meine Schulter direkt in Marias schockgeweitete Augen. Er war mitten im Satz verstummt und sein Blick glitt fahrig über meinen Körper, bis er an meinem Hintern haften blieb. Ungeahnte Scham übermannte mich und ich streifte mir in Windeseile die Shorts über. Maria stand einfach nur da und sah mich mit offenen Mund an. Ich hatte ihn noch nie so schauen sehen. Oder sprachlos erlebt. Ich hörte sein Herz schneller schlagen, sah wie seine Wangen sich unmerklich röteten. Er bewegte sich lange nicht, war wie vom Donner gerührt, dann plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Er hauchte eine Entschuldigung und stürmte aus dem Raum.
 

Ich blinzelte ein paar Mal. War das wirklich gerade passiert?
 

Und dann traf es mich wie ein Schlag. Der Geruch! Er hatte sich verändert und prickelte in meiner Nase! Es war der gleiche Geruch wie an jenem Abend! Wenn ich nicht noch so satt gewesen wäre, wäre ich ihm gefolgt und hätte mir sein Blut genommen, aber so überwog meine Freude. Endlich hatte ich es geschafft! Aber...
 

...warum gerade jetzt? Etwa weil er sich erschrocken hatte? Damals war er nicht erschrocken gewesen.

Verzweifelt ließ ich mich auf sein Bett fallen und rollte mich ganz klein unter der Decke zusammen. Ich lag noch lange wach und grübelte über die Gründe für meinen Erfolg, aber wie ich alles auch drehte und wendete, ich fand keine Erklärung. Irgendwann fiel ich in einen Schlaf, der von fiebrigen Träumen begleitet wurde. Sie handelten ausnahmslos von ihm.

Wo er in dieser Nacht geschlafen hatte, wusste ich nicht. In seinem Bett jedenfalls nicht.



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