Three days grace von SakS ================================================================================ Kapitel 2: Die Ruhe vor dem Sturm --------------------------------- Es gab gewiss Schlimmeres als den Geblütsadel. Aber gerade konnte keiner von ihnen sich vorstellen, dass es doppelzüngigeres gab, als ebendiesen. Es stimmte, was man über Ehrenleute sagte. Vor allem über die Männer. Ein Ehrenmann ist ein Mann, der das eine sagt und das andere meint. Dieser Satz hatte sich in den Kopf des jungen Mannes tief verankert. Eigentlich stimmte das sogar. Sein werter Herr Vater war befreundet mit allem, was Rang und Namen hatte – und dennoch wusste Diego nur zu genau, dass man weitreichende Freundeskreise nur pflegte, um einen gewissen Vorteil gegenüber anderen zu haben. Man tat sich gutstellen mit einflussreichen Familien, machte gute Miene zu bösem Spiel und vor allem eines – Lächeln – immerzu. So vielen Menschen hatten sie heute ins Gesicht gelächelt, wohlwissend, dass es keine wahren Freunde waren. Auch sein Vater war stets freundlich zu jedermann und sehr beliebt, gerade in der Oberschicht. Nichtsdestotrotz mochte man ihn nicht, weil er eben der gütigste Mensch, der auf Gottes Erde existierte, war. Mitnichten legte der junge Mann keinen wert darauf, die Bekanntschaft mit den meisten hier zu machen und dennoch zwang man ihn doch ein bisschen dazu. Einige, sie machten nur einmal den Mund auf und Diego wusste, Freunde würden sie in diesem Leben nicht mehr werden. Es war traurig, aber leider so vorprogrammiert, dass keiner, den er Freund genannt hätte, hier heute anwesend war – außer Gonzales. Er war der einzige Nichtadelige und dennoch hatte er bei seinem Vater durchgedrückt, dass er heute anwesend wäre – auch noch mit einer wichtigen, tragenden Rolle. Es war eine große Ehre und die Damen umgarnten den Dicken. Jedoch nur um ihre überaus witzigen Scherze mit dem Sergeant zu treiben, bei denen er mitlachte, ohne zu bemerken, wie sie sich über ihn lustig machten. „Wie groß und stark und robust Sie sind, mein Herr.“ Schon wie sie ihn ansprachen, war unterstes Niveau. Man nahm ihn nicht ernst und schikanierte ihn, wo man konnte. „Don Diego hätte sich keinen geeigneteren Trauzeugen aussuchen können – er hatte schon immer Augen für das Wesentliche. Hahahaha!“ Eine Dame hielt ihren Fächer vor ihr Gesicht und begann dann zu lachen. Eine weitere, nicht minder adelige Dame fügte hinzu: „Ja genau, das Wesentliche. Wo sein Augenmerk bei Señorita Lolita lag, ist auch ganz offensichtlich. Hach dieses junge, zarte Ding, da fühlt sich Diego bestimmt endlich wie ein Mann. Solange sie ihren vorlauten Mund hält. Aber Männer, was soll ich sagen? Sie interessieren sich nur für das Äußere.“ Nicht dass der Angesprochene sich große Mühe gab bei seiner Tätigkeit dem Anschleichen, er überraschte die Damen, die sich ausgelassen unterhielten, trotzdem mit seinem urplötzlichen Erscheinen. „Darf ich wohl an dieser kleinen Plauderei teilnehmen?“ Beide waren zu Tode erschrocken, als sie Diegos Stimme vernahmen, die sie ansprach. Mit keinem Wort klang der junge Herr böse, oder verärgert. Sofort drehten sie sich herum und waren erleichtert und glücklich, dass er die hässlichen Worte über seine glückliche Ehefrau nicht gehört zu haben schien. „Oh, Diego. Schön, dass Ihr Euch zu uns gesellt! Wir unterhielten uns gerade über Eure wunderschöne, bezaubernde, atemberaubende Gattin! Sie muss die glücklichste Frau auf diesem Boden sein. Und Ihr bestimmt der glücklichste Mann in ganz Kalifornien. Ihr seid ja so wichtig für die junge Dame. Ihr wird es bestimmt an nichts fehlen.“ Der Neid, die Eifersucht, sie war so offensichtlich in den Worten vertreten. Auch Frauen pflegten stets das zu sagen, was der Mann von ihnen hören wollte. Zum Glück blieb ihm das ja erspart. Wenn Lolita Worte an ihn richtete, dann entsprachen sie der Wahrheit und waren keine Lüge, nur um ihm zu gefallen. Gerade noch hatten sie nicht nett von seiner Gemahlin gesprochen und gleich im Anschluss log man ihm ins Gesicht. Derartiges war ihm in Spanien zur Genüge begegnet, aber dadurch lernte man selbst perfekt zu lügen. Abscheu und Niedertracht waren in ihm, als er die Damen genauer begutachtete. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. „Von ganz Kalifornien? So groß ist das Land aber nicht. Ich würde mich eher den glücklichsten auf der ganzen Welt nennen wollen, wenn Sie erlauben, meine Damen. Ich würde mich gern geistig mit Ihnen duellieren, doch ich sehe, die Damen sind unbewaffnet.“ Die Frauenschar begann zu lachen, da wusste Diego, der ihnen in Sachen Klugheit bei weitem überlegen war, dass sie nicht verstanden hatten, was er damit hatte sagen wollen. „Ihre Verkleidung heute Abend entspricht ganz ihrem Inneren. Wirklich, Ihre unvergleichbare Schönheit kennt keine Grenzen.“ Das nette Lächeln verriet nicht im Geringsten, was er meinte. „Oh Vorsicht! Nicht, dass Eure Frau noch eifersüchtig wird.“ Nichts verstanden sie – er konnte einfach nicht glauben, dass sie es als Kompliment auffasste. „Wissen Sie, meine Damen. Es gibt Frauen, die sind erst so richtig schön, wenn sie wütend sind. Lolita gehört zu ihnen. Also nehme ich das einfach jetzt mal in Kauf.“ Sein liebevolles Lächeln erlaubte keinem hier, auch nur den geringsten Verdacht zu schöpfen, er könne irgendwen beleidigen oder etwas Böses wollen. Und doch hatte er genau das gerade getan – sie beleidigt, dass er es im Grunde verdiente eine Ohrfeige zu kassieren. „Oh weh.“ Sie verzogen das Gesicht, war Lolita doch schon immer die Ausgeburt der Frau gewesen, die jedem Mann das Fürchten lehrte. „Was bringt einen Mann nur dazu, sich einer solchen Sache zu ergeben? Gewiss könntet Ihr jede Frau heiraten.“ „Nun, ich habe es nicht gerne einfach. Die meisten Frauen machen es den Männern nicht gerade schwer.“ Er zuckte mit den Schultern und war in dieser Sache jetzt aber verteufelt ehrlich gewesen. „Das stimmt wohl, einfach hat sie es ihm nicht gemacht.“ Die beiden Damen sahen sich an und waren sich anscheinend wirklich einig darüber, dass dieses Frauenzimmer sich total ungehobelt und vorbei benommen hatte – aber was hatte sie bekehrt? Das verstanden sie nicht wirklich. Er hatte Charme und vor allem Geld. „Lasst Ihr uns an der Sache teilhabig werden? Wie habt Ihr die Señorita schließlich überzeugen können, dass Ihr der Richtige für sie seid? Das interessiert uns brennend.“ Sie dachten sowieso die Antwort zu kennen und wollten es genau genommen nur noch aus seinem Mund bestätigt wissen. Ein bisschen musste er doch darüber grübeln, wie er seine Worte formulieren sollte – ob er ihnen die Antwort geben sollte, die sie sich wünschten, oder eher jene, die sie nicht wollten. Diego entschied sich schlussendlich für das Letztere. „Von Natur aus stur wie ich bin, habe ich mir in den Kopf gesetzt, das schwierigste Frauenzimmer auf Gottes Erden zu heiraten. Es hat ganze 6 Jahre gedauert, bis sie mich schließlich erhörte. Dafür musste ich mich sogar mit meinem Vater streiten, weil er nun einmal ein sehr stolzer Mann ist. Einen de la Vega weist man nicht ab, wie Sie sicher wissen. Ich musste bei ihm zukreuze kriechen, dann bei Don Carlos und dessen Frau Doña Katarina. Es war mir möglich, alle davon zu überzeugen, dass meine Wenigkeit der Mann ist, der sie am meisten auf dieser Welt liebt. Und ich glaube, das war es dann auch schließlich, was sie erweicht hat. Vielleicht auch der Kniefall, mit dem ich ihr meinen Heiratsantrag machte. Da bekam ich meinen Willen und Lolita endlich ihre wohlverdiente Ruhe. Zuviel Stress gibt nur Falten.“ Tief gesunken – verdammt tief gesunken war der de la Vega – gewiss es war doch das unterste Niveau vor einer Frau, die verarmt war, auf die Knie zu fallen und sie anzubetteln „Oh, wie schrecklich“, meinte die eine und legte mitleidig eine Hand auf Diegos Schulter. Bemitleiden, ihn? Wenigstens redete seine Frau ihm nicht nach dem Mund und würde ihn nicht anlügen und abwarten, bis er außer Haus war, um sich mit dem nächstbesten zu vergnügen. „Amüsant würde ich treffender finden.“ Lolita, welche die kleine Gruppe von Frauen, die sich um ihren Mann scherten, schon eine Weile beobachtet und belauscht hatte, wollte ihn jetzt doch einmal von diesen unverschämten Frauenzimmern befreien. Sie wusste doch, dass er sie nicht mochte und sich eigentlich nur langweilte. Dass er sich nur mit ihnen unterhielt, um sich lustig zu machen und die Zeit zu vertreiben, bis sie wieder an seiner Seite war, wo es ihm ohnehin am besten gefiel. „Na, amüsierst du dich?“ fragte sie zuckersüß und wollte ihnen nicht die Genugtuung geben, dass sie eifersüchtig auf so etwas wie diese Individuen sei. Dass man sie hasste, wusste sie sowieso. Auch dass sie Diego versuchen würden einzureden, dass sie schlecht für ihn war – immer noch, jetzt wo sie seinen Ring am Finger trug. Nur um ihn bei der nächstbesten Gelegenheit dann zu trösten, ihn zu einer Affäre mit ihnen zu bequatschen. Sie wusste, dass er beliebt war – sein gutes Aussehen und noch mehr sein Geld waren ausschlaggebend dafür. Jede Dame würde sich gut mit ihm stellen wollen, nur um ihn dann um einen Gefallen bitten zu können – und Diego war ja bekannt für sein gutes Herz und seine Nettigkeit, dem Willen helfen zu wollen. „Oh ja, über alle Maßen. Diese Damen sind ja so zuvorkommend, dass sie mich sogar bemitleiden.“ „Bemitleiden? Was gibt es an dir bitte zu bemitleiden?“ fragte sie mit der Stirn runzelnd. „Du bist reich, bist attraktiv, hast eine hinreißende Ehefrau und keine Probleme. Was will man mehr?“ „Du triffst den Nagel auf den Kopf, Lolita.“ Ein Mann um die vierzig Jahre gesellte sich neben seine angetraute Frau und zog scharf Luft ein. „Wie wäre es, Señor, wenn Ihr Euch dem zuwendet, was euch in Zukunft im Schlafzimmer erwartet?“ Man konnte es durchaus Spott nennen. „Ich würde es schleunigst hinter mich bringen. Damit ich danach wieder mich mit erfreulicheren Dingen beschäftigen kann, als einem Weib.“ Die zweite Dame war ganz erschüttert über eine solche Ansprache, hätte sie doch so gerne noch ein bisschen länger sich mit Diego beschäftigt, statt ihn zu seiner Frau zu entlassen. Aber ihr Mann wusste ganz genau, welcher Typ Mann sie ansprach, leider Gottes die, die besonders unschuldig aussahen. Männer wie Diego zum Beispiel, die man gut benutzen konnte, wie sie irrtümlich annahm. „Ach Unsinn, Don Diego wird sich ausschweifend mit ihr beschäftigen, den sehen wir dann den Rest des Abends überhaupt nicht mehr. Also untersteht euch, ihn allzu sehr zu hetzen und hinauf zu schicken“, flüsterte die Dame dem Mann ihrer guten Freundin zu, welcher nur lachte. „Haha, guter Witz! In Eurer Haut möchte ich nicht stecken, DonDiego. Sie wird Euch gewiss umbringen, sollte es allzu schmerzhaft von Statten gehen.“ „Ich bin auf das Schlimmste vorbereitet, lasst das nur meine Sorge sein“, erwiderte Diego mit einem Lächeln und griff sich Lolitas Hand. „Ich empfehle mich.“ Ein besseres Stichwort gab es für den jungen de la Vega nicht, um schleunigst von diesen albernen Damen entkommen zu können. „Du bist meine Rettung, wie so oft, Lolita“, flüsterte er und küsste sie auf die Wange, jedoch nur um sie dann an der Hand hinter sich herzuziehen und möglichst unbemerkt mit ihr verschwinden zu können, ehe man sie suchen könnte und weiterhin mit irgendwas belästigen, was sie hassten. Nur sein Vater bemerkte das davonstehlen der zwei jungen Leute, der Rest war damit beschäftigt sich köstlich zu amüsieren. „Der Spruch war nicht witzig“, entkam Lolita mit einem empörten Laut. „Du bist auf das Schlimmste vorbereitet? Soll mich das etwa beruhigen?“ Ohnehin war die junge Frau viel zu nervös, weil ihre werte Mutter ihr nicht gerade hilfreiche Tipps zukommen gelassen hatte, was Männer anging. Sie stammelte immer nur so unverständliches Zeugs und war ansonsten total unentspannt – es konnte ja nur schrecklich sein, wenn man darüber nicht einmal reden wollte. „Ein Spruch ist ein Spruch, nichts weiter. Ich wollte ihm nur nicht das letzte Wort geben, das ist alles. Und selbst wenn du mich danach umbringst, war’s mir die Sache wert.“ Lolitas wenig begeistertes Gesicht sprach Bände. Sie fand das überhaupt nicht lustig, was Diego ihr da gerade gesagt hatte. „Oh Gott!“ Beide Hände legte die junge Schöne auf ihr Gesicht und wirkte ernsthaft ein wenig verunsichert und verängstigt. „So schlimm, dass die Gefahr besteht?“ „Haha, neeeeeein! Bestimmt nicht.“ Diego schüttelte den Kopf. „Höchstens ein paar Schläge, falls ich mich dumm anstellen sollte.“ „Da kann man so viel falsch machen?“ flüsterte sie ihm zu. „…Nein… Dazu müsste man schon äußerst ungeschickt sein.“ Wirklich, Diego versuchte sie zu beruhigen und legte seine Hand äußerst vorsichtig an ihre Wange. „Glaubst du ernsthaft, ich könnte dir jemals wirklich wehtun? So etwas Gemeines mache ich nicht. Vertrau mir“, flüsterte er ihr zu, als sie gerade im Eingang standen, er sie dann aber zügig zur Treppe zog, wo überall jede Menge Verzierung prangte. Selbst ihr trautes Heim war festlich geschmückt. Vom Flur, bis zur Treppe und sogar die Tür. Aber erst einmal das Wichtigste, um alles richtig zu machen, zur vollen Zufriedenheit seiner Herzensdame. Diego griff sie sich relativ geschickt – diesmal ohne ihr teures Kleid zu ruinieren und nahm sie auf seine Arme. „Festhalten!“ wies er sie an und sie schlang ihre Arme um seinen Hals, während er sie die Treppe hinauf trug. „Ernsthaft, so viel Anerkennung hatte ich jetzt auch nicht erwartet, mein Lieber.“ Ihre Lippen drückten sich mit einem dicken Schmatzer gegen seine Wange. Musste er in diesem Moment noch ihr seine männliche Stärke eindrucksvoll unter Beweis stellen, indem er sie die ganze Treppe hochtrug – und nicht nur das. Nicht einmal vor der Schwelle macht er Halt und trug sie, bis sie im Zimmer standen und er sie langsam von seinem Armen zurück auf den Boden ließ. „Endstation.“ Nun standen sie hier, in diesem Zimmer, den wunderschönen Himmelbett, was ihnen allein gehören sollte. Ihr kompletter Körper war wie gelähmt und sie wusste einfach nicht, aber es durchfuhr sie eine Angst gegenüber dem Ungewissen. Sie starrte vor sich, sah nur eines, dieses Bett. Seine Hand hielt ihre und weil sie wie angewurzelt dastand, er aber die Tür schließen wollte, musste er schweren Herzens ihre Hand loslassen und schloss die Tür hinter sich. Zweimal, er hätte sogar dreimal abgeschlossen, wäre es gegangen. „So, nun wird uns mehr in unserer trauten Zweisamkeit stören.“ Lolita hörte seine Stimme hinter sich und die Schritte, die sich ihr langsam näherten. Sie war wie schockgefrostet. Anweisend sich selbst, ruhig zu bleiben und nicht durchzudrehen. Es war Diego, der liebevollste Mann der Welt. Nichts Schlimmes würde hier passieren, sie würden zusammen sein. Jetzt und für immer. Aber gerade jetzt machte es ihr Angst. Sie wusste rein gar nicht, was sie erwartete. Viele Frauen stellten es als ganz fürchterlich dar. Dabei konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendetwas schrecklich sein könnte, was mit ihm zu tun hatte. Die älteren Damen hatten so schreckliche Witze darüber gemacht. Er würde sie schnappen, aufs Bett werfen und wie ein hungriger Wolf über sie herfallen, um sie zu fressen. Wo er sie doch so liebte – das hatte sie immer als positiv empfunden – doch sie hatten es mit einem Schlag niedergemacht und ins negative Licht gerückt. Man sollte sich glücklich schätzen, wenn der Mann einen nicht zu sehr liebte, weil sie dann richtig zudringlich wurden und nicht mehr aufhören wollten… Se atmete tief ein und aus und bemühte sich um Ruhe. Sein Atem schlug gegen ihren nackten Hals. Sofort bekam sie Gänsehaut. Arme, die sich um sie legten und sie ganz sanft gegen seinen Körper drückten. Ein zarter Kuss, so sanft gehaucht wie die Berührung einer Feder. Es kribbelte, vom ersten Moment an. Und doch tat er nichts von all den Dingen, die man ihr prophezeit hatte. Ein erleichtertes Seufzen aus ihrem Mund entließ Lolita schließlich, als sie erkannte, dass man sie wahrscheinlich nur hatte erschrecken wollen. Und all das gar nicht stimmte. „Was ist los?“ fragte der edle Prinz seine wunderschöne Prinzessin, als er sie so in den Armen hielt, denn sie stand stocksteif da, nachdem sie ihm so oft schon voller Schwung in die Arme gefallen war, jetzt schien all der Zauber verflogen. „Du solltest alles vergessen. Was auch immer sie dir in den Kopf gesetzt haben. Das einzige, was ich will, ist mit dir zusammen sein.“ Es war wahrscheinlich total dämlich nun der Angst zu verfallen. Mit ihr zusammen zu sein, das war das einzige, was er wollte. Aus Lolitas Körper wich sämtliche Angst, als seine Stimme ihr das ruhig und sanft mitteilte. Zwar entriss sie sich seiner Umarmung, als sie sich herumdrehte, jedoch warf sie sich gleich darauf sowieso wieder in seine Arme. Da blieb ihm kaum genug Zeit, um diesen Umstand zu bedauern. An ihn gepresst, schaute sie hinauf in seine wunderschönen Augen, die sie schon immer so sehr gefesselt hatten, dass es kaum ein Entrinnen gab. Versunken in diesem Meer aus Sehnsüchten. Alles, sie sah alles, all seine Gefühle, die sich in seinen Augen für sie widerspiegelten. Beide mussten kein Wort sagen, um zu wissen, dass sie zusammen gehörten. Ein jedes Mal, wenn sie sich so tiefgründig in die Augen sahen, wussten sie es. Keinen Moment länger konnte sich der junge Mann zügeln und drückte ihr seine Lippen auf, die heiß und innig die ihren schnappten, um sie in ein leidenschaftliches Spiel zu verwickeln. So viel Zeit war vergangen und all diese hatte sich Diego die Gefühle für diesen Moment aufgespart, um sie dann auf eine solche Weise küssen zu können. Voller Hunger und Gier. Ob es sie wohl erschreckte? Gewiss, noch nie hatte man die junge Dame derartig geküsst, das war ihm bewusst. Ihm entglitt die Fassung und er seufzte in den Kuss. So dicht sie bei sich zu haben, so deutlich sie zu spüren, gepaart mit der Sehnsucht nacheinander, die sie zwei teilten. Kurzum alles, was sie sich erträumt hatten. Nun hatte sie ihr Liebster jedenfalls überrumpelt. Wohltuend, dies auch jetzt so frei heraus tun zu dürfen. Lustvoll und heiß auf sie wie er war kannte er keine Milde mehr. Zurückhaltung ade, willkommen Unbeherrschtheit. Während Diego sie so küsste, glühte ihm die Stirn und die Hitze fuhr ihm auch ins restliche Gesicht. So konnte er kaum genug von ihrem Mund bekommen, den er ganz für sich alleine beanspruchte. Wie er bereits vor Jahren gesagt hatte, er hätte nie zugelassen, dass ein anderer Mann sie jemals küsste – schon gar nicht auf diese Art und Weise. So und nicht anders tat er stattfinden, der Kuss zwischen Mann und Frau. Ihr bebten die Lippen, während und auch noch nach seinem ungestümen Kuss. Luftlos, mit zitternden Knien hielt sie sich an ihrem Mann fest, der ihre einzige Stütze war und sah ihn an, nachdem er sich löste, nicht minder atemlos wie sie. Aber zutiefst beglückt über den Umstand, dies so und nicht anders gerade getan zu haben. Berauscht vom Glücksgefühl und dem leidenschaftlichen Moment. Dies war wohl das sprichwörtliche den Atem rauben, wenn es darum ginge, zu beschreiben, was zwischen Liebenden passierte. So überkommen war es ihn noch nie, jedenfalls nicht in diesem Maß. Jegliches Wort blieb ihr im Hals stecken und sie wüsste auch gar nicht, was sie sagen sollte, so sprachlos machte es sie. Dieses Herzklopfen, was sie heimsuchte, noch Sekunden danach, es zog sich bis tief in ihre Bauchgegend. Ihre Hände legten sich an seinen Hals, fuhren sanft hinauf bis zu seinen Ohren und berührten diese, machten dort jedoch nicht halt, sondern streichelten weiter bis sie seine Haarpracht erreichte. Mit den Fingerspitzen fuhr sie hindurch, musterte dabei ihren Mann genaustens, weil er einfach ansehnlich war. Beachtlich war die Ausdauer, die er an den Tag gelegt hatte, um sie zu erobern. Bis zuletzt hatte er keineswegs die Geduld verloren, unermüdlich zu warten. Ein kurzer Moment, indem er sich zur Ordnung rief, um nicht mit dem gleichen Antrieb alles weitere zu tun. Dabei wirkten ihre Finger allerdings sehr beruhigend. Nachdem er sich ein bisschen gefasst hatte, nahm er sanft ihre Handflächen aus seinem Haar und faltete aneinander, um sie sich an die Lippen zu führen und sie sanft zu küssen. „Heute Nacht bist du so wunderschön, ich hab glatt den Kopf verloren.“ Mit dem Blick hinab gleitend, anschwärmend das wunderschöne Kleid, was sie heute trug. Aber er konnte es ihr nicht lassen, so leid es ihm auch tat. Um genau zu sein, das war der schwierige Part und er war garantiert auf ihre Hilfe angewiesen, sonst würde er sich niemals durch die endlosen Schnüre und Bändchen kämpfen, was diese tausend gefühlten Unterröcke und das Korsett anging. „So schön Frauenkleider auch sind, für Männer bedeuten sie den Verlust des letzten Nervs.“ Zum ersten Mal verstand Diego den Sinn von »lass sie angezogen«, so sehr ihm das widerstrebte. Kein Mann verspürte die Lust dazu, sich durch Schichten von Stoff zu wühlen. Er sah einfach kein Land, wusste ja noch nicht einmal, wo er anfangen konnte. Hoffnungslos verloren fühlte sich der junge Mann. Zu ihrem Pech wusste sie ganz genau, was Diego damit meinte, es fehlte nur noch das Seufzen. „Und darauf dann auch noch sechs Jahre warten müssen, nicht wahr? Das ist nicht fair.“ Es war amüsant und sie machte sich schon ein wenig über den leidenden Mann lustig. Obwohl man sagte, reize keinen Mann, tat sie es dennoch. Mach es ihm nicht so schwer… spukte sogleich ihre Mutter in ihrem Kopf umher, so dass sie doch Gnade vor Recht walten ließ und ihm zur Hand ging, wo sie so sicher war, dass sein Wunsch war, ihr aus diesem Kleid zu helfen, worum sie eigentlich sogar dankbar sein sollte. Es lag eng an und sie fühlte sich wie ein Brett, noch dazu staute sich die Hitze darunter so ziemlich. Jetzt wusste der junge Herr, was das Wort Akt wirklich bedeutete. Es bezeichnete die Anstrengung, die man aufwenden musste, um überhaupt so weit zu kommen. Ein sehr uncharmanter Scherz, der zum Glück nur in seinem Kopf stattfand. Sie nahm sich seine Hände und führte sie zu den richtigen Stellen, da er wohl keinen Anfang fand. Trotz ihrer Hilfe dauerte ihm diese Prozedur viel zu lange. Noch mehr Schnürchen konnte das Kleid bald nicht mehr haben und alle wollten sie gelöst werden. Eine gefühlte Ewigkeit war kein Land in Sicht und kaum dass der Oberrock zu Boden gesegelt war, warteten diverse Unterröcke auf ihn, natürlich mit noch mehr Fesseln. Tapfer kämpfte er sich durch dieses Gefängnis, genannt Brautkleid. Der untere Part war geschafft und am liebsten wollte er ja gleich alles anfassen und fühlen, aber er hielt sich weiterhin wacker. Trotzdem stahl sich ein kleines Seufzen aus seiner Kehle und er machte sich her über die Oberbekleidung. Ein Blusen ähnliches Ding, was einfach überstreift war, halb so wild eigentlich. Schließlich hatte er das Korsett erreicht, seine Hände erwiesen eiserne Geduld und Fingerfertigkeiten, jeder andere hätte das Kleid in Fetzen gerissen und wäre weniger zimperlich als er. Das Ding saß so verdammt eng, er würde in so einem Teil garantiert ersticken. Es war sicher eine wahre Wohltat, als es sich langsam etwas lockerte und nicht mehr so gepresst sie einschnürte. Entspannteres Atmen hörte er jedenfalls. Lolita schaffte es nun endlich tief Luft zu holen, ohne dass sie ihr im Hals stecken blieb. Noch nie war so froh gewesen, etwas auszuziehen. Sie fühlte sich gleich viel befreiter, was auch viel mehr zu ihrem Wesen passte. Es rutschte ihr ganz langsam vom Leib und es gab bestimmt auch nichts Schöneres, dass seine Hände sowieso am rechten Ort gewesen waren, so dass sie sich auf den befreiten Fleck legten, direkt aufs Dekolleté. Schnaufend, wohlig aber auch ein wenig nervös angespannt was er tun würde. Das, was noch locker ihre Brüste hielt, schob sich mit Hilfe seiner Hände gemächlich hinab und fiel am Ende mit einem Scheppern zu Boden, was die Schwere des Kleidungsstücks verdeutlichte. So etwas hatten Frauen umgeschnürt, was ihnen die Luft zum Atmen raubte und ihre Brüste in ein enges Gefängnis quetschte. Sein Blick folgte nur kurz erschreckend zu Boden. Es war gespenstig still im Raum und sie sagte nichts, er ebenso wenig. Keine unnötigen Worte, nur Taten. Lass ihn nicht alles alleine machen. Das ermüdet Männer, dann haben sie keine große Lust mehr… Einige hätten das für gut befunden. Aber was sollte sie tun? Er hatte sie ja fast so weit komplett ausgezogen. Eine Schamesröte lag auf ihren Wangen und Diego machte es mitnichten besser, weil seine Hände sich so an ihr vergriffen und er dabei auch noch sich selbst unverschämt an sie heran drückte. Kurz hielt sie die Luft an, als sie dies spürte und ihr Herz wie wild zu klopfen begann. Ein tiefer Luftzug, dann legte sie ihre Hände auf seine. „Jetzt ich.“ Mutig war sie ohnehin immer gewesen, aber sie löste seine Hände, was ihm wohl weniger zusagte und drehte sich zu ihm herum. Ein bisschen verwirrt sah er seine Liebste an, als diese nun ihre Hände an seine Brust legte und sanft diese entlang strich. Noch konnte ihn das wenig beeindrucken, so war er noch immer in seiner vollen Bekleidung. Trotzdem, ein bisschen spürte er auch durch diese und atmete einmal flacher. Langsam löste sie den Schal, wie sie zur damaligen Zeit nun einmal getragen wurden, dann die Hemdsknöpfe, dabei hatte sie weniger einen Kampf, als er zuvor – kam nicht umhin einen neidischen Blick an ihn zu senden, weil er nicht so gepresst war wie ein Tier. Der Stoff zog sich auseinander und sie sah seine Brust. Aber im Gegensatz zu ihm, kannte sie diese schon. Allerdings hatte Lolita sich noch nie eindringlicher damit beschäftigt. Ihn ausgezogen, seine Verletzungen verbunden – so etwas eben. Aber jetzt, ja jetzt legte sie Hand an ihn. Ihre zarten Fingerspitzen strichen entlang seines Körpers und dabei zog er ziemlich scharf die Luft in seine Lunge. Fühlte es sich gut an? Hingebungsvoll fuhr sie die Muskulatur nach, unter dem noch um die Schultern gelegten Hemdes. Kaum dass sie unter diesem die Schultern erreichte, strich sie es von diesen und seine Oberbekleidung segelte zu Boden, wo sie liegen blieb. Sanft fuhr sie hinab und musterte ihn mit ihrem bewundernden, schmachtenden Blick, bis sie auf den Gürtel stieß und ihr selbst der Atem stockte und wie sie hörte auch ihm. Der Gürtel verlor jegliche Bedeutung, wurde abgestreift und fiel ebenso unbeachtet zu Boden, wie wenig später seine Hose. In dem Moment konnte er es nicht mehr aushalten, griff sie an den Seiten und drehte sie herum. Zutiefst erschrocken von seinem plötzlichen Wenden und dem anschließenden gegen sie pressen, hielt die junge Frau ihre Luft an. Kaum, dass sie einen Atemzug vollziehen konnte, spürte sie Lippen, wie sie ihren Nacken liebkosten und sich sehnsüchtig ihren Weg bannten, eben so wie die Hände, die ihren Hals entlang fuhren. Ob nun unbewusst, oder gewollt, das konnte sie nicht sagen – sein Atem streifte sie am Ohr und wenig später war es gefangen zwischen seinen Lippen und sie spürte etwas heißes, feuchtes, was dieses mit einem kribbelnden Gefühl versorgte. Ein Seufzer direkt in das Ohr abgebend, gefolgt von einem hektischen Atem, der zweifellos Diego gehörte, spürte sie, wie es ihn an den Rande des Wahnsinns trieb, sie so bei sich zu wissen, dass er sogar so sehr seine Beherrschung einbüßte, dass sein Leib ihr eine leichten Schubs in Richtung Bett gab und sie ein bisschen vorwärts stolperten. Ihr blieb fast das Herz stehen in diesem Augenblick. Er wirkte so völlig von Sinnen als er ihren Hals erneut zu küssen begann und ganz leicht an diesem saugte. Passgerecht lagen auch gleich wieder diese zwei paar Hände auf ihrer Brust und er verlor sich vollkommen in ihrem Duft, den er so gut kannte. Der ihn aber auch so liebestrunken machte. Die Töne, die sie von ihm vernahm, klangen weniger gefasst und dabei ging sie notgedrungen weiter Richtung Bett, wo er sie zweifelsohne hindirigierte. Bis sie direkt vor diesem standen und er weiter so völlig wie von Sinnen sich an ihrem Hals labte. Sie glaubte ein Schaudern bei ihm zu spüren, geradezu als hielt er es jetzt so gar nicht mehr aus. Es schüttelte ihn, dieses Gefühl und da war es womöglich auch kein Wunder mehr, dass er mit ihr ins Bett fiel. Erschocken war sie schon, als sie beide so fielen. Sie voran und er hinterher. Sein Gesicht landete direkt neben ihrem und im ersten Moment fühlte sich an, als wolle er in dieser Position verweilen. Ihre Hände klammerten sich angstvoll in die Bettdecke, denn sie wusste so überhaupt nicht wie ihr geschah. Und ihr Angetrauter – er blieb liegen. „Diego?“ Etwas Unverständliches wurde ihr entgegen gebrummt. Daraufhin merkte sie, wie er ein bisschen an ihr hinabrutschte und einen ganz zarten Kuss auf ihre Schulter setzte. „Entspann dich“, hörte sie ihn flüstern, in seiner berauschten, aber so erstaunlich sanften Stimme. Tausende von Schmetterlingen, als würden sie über ihre Haut fliegen und sie nur ganz zärtlich streicheln, ja so fühlte es sich an. Da wurde sie automatisch ruhiger und ließ sein Tun auf sich wirken. Jede Stelle, die er berührte, fühlte sich total kribbelig an und ein laues Gefühl in ihrem Bauch trat auf. Dann bekam sie regelrecht Gänsehaut, fühlte sich unpassend dazu aber regelrecht fiebrig. Die Hände, welche entlang ihrer Taille fuhren, sie waren so unendlich zärtlich, was ihr ein wohliges Seufzen entfahren ließ. Spätestens jetzt war sie total entspannt. Nach seiner wohltuenden Prozedur, kämpfte er sich mehr zu ihr ins Bett, auf gleicher Höhe. Begab sich hinter sie und umschlang sie. Lolita lag auf der Seite und spürte ihren Liebsten, wie er sich sanft an sie schmiegte und seinen Kopf auf ihrer Schulter bettete, nur um gleich darauf ihr einen ganz zärtlichen Kuss auf die Schulter zu geben. Es war schön, einfach so zu liegen. Ihre Fingerknöchel zu suchen, diese sanft zu streicheln, dann ihre Hand mit seiner zu nehmen und die Finger mit ihren zu verhaken. „Ich liebe dich“, flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr und gab auch diesem einen Kuss. Verwundert war sie schon, weil er jetzt doch wieder so ruhig und gelassen zu sein schien, kaum dass sie im Bett lagen, hatte sie mit ganz anderen Dingen gerechnet. Sie zog seine Arme eng um ihren Körper und genoss seine Nähe. „Und ich liebe dich noch viel mehr.“ Langsam zog sie seine Hand höher, bis ihr Mund diese erreichen konnte und hauchte ihm einen Kuss entgegen. Beim Büfett konnte man sich zweifelsohne eine Menge Zeit vertreiben. Er aß sich durch die Reihen hindurch und genehmigte sich den köstlichen Wein der Vegas, für den sie landeswert berüchtigt waren. Jetzt verstand er wenigstens, was Gonzales angetrieben hatte, sich gerne mit Diego zu vergnügen. Seit geraumer Zeit fehlte jegliche Spur von den beiden Hauptattraktionen. Ziemlich zornig passierte ein Stück richtig fettiges Fleisch seinen Mund und er biss dieses ungeziemt entzwei. Na wartet, euch werde ich die Suppe schon noch versalzen! Ihr dachtet wohl, mit dem Leutnant kann man es machen. Aber nicht mit mir! Bestimmt wiegt ihr euch jetzt in Sicherheit, weil ihr mich hinter Schloss und Riegel glaubt! So ein Fettwanst und sein rustikaler Captain reichen nicht, um mich aus dem Verkehr zu ziehen. Nicht nur Diego entstammte dem niederen Adel und hatte in Spanien gelernt, Lügenmärchen zu erzählen, so wie alle Ehrenmänner – er auch. Es war ihm sogar ein leichtes Gewesen die Obrigkeit davon zu überzeugen, dass er lediglich Befehlsempfänger gewesen war. Das lag ja auch klar auf der Hand. Die Befehle des Kommandanten waren strikt Folge zu leisten, ohne Wenn und Aber. Geflennt hatte Diego, dass sie ihn wieder aus dem Gefängnis ließen – an diesem Tag hatte er es wahrlich auf die Spitze getrieben und seine Nerven extrem an den Rande der Verzweiflung getrieben. Dieser Mann war sich für nichts zu schade, noch nicht einmal nach seinem Vater zu rufen. Als er ihn Jahre zuvor wegen dieses Mädchens – Hanna – in einem ihrer Gefängniszellen verprügelt hatte, war er männlicher gewesen. Und jetzt war dieser Schwindler noch mit dem aufmüpfigsten, vorlautesten Mädchen, was er je gesehen hatte, verheiratet. Die würden jeden Mann den letzten Nerv kosten, so wie ihr Gatte – jeder Mann würde ihr eines Tages ihren Jähzorn aus dem Kopf prügeln. Dem Frauenzimmer musste man noch zutrauen, dass sie sich dann wehrte. Aber Diego, der war ja zu gutherzig, der würde das bestimmt nie wagen. Wo das endete war ihm klar – dass sie die Hausherrin war und er ihr Schoßhund. Einer seiner Blicke schweifte zu Señora Pulido und ihren Mann. Sie hatten ihn nicht entdeckt, denn er war in zivil hier. Genau so wie die beiden, so würde es wohl aussehen. Die schöne Dame hatte ihren Mann sehr gut im Griff. Er vergnügte sich noch nicht einmal mit den hübschen, jungen Damen, die heute hier zugegen waren. Auch mit ihnen würde er gnadenlos abrechnen. Mittlerweile wusste er, dass auch sie logen wie gedruckt. Als er damals kam, um bei ihnen vorzusprechen, den Ring bereits in seiner Tasche, Lolita zur Frau nehmen zu wollen, hatten sie zweifelsohne geschwindelt. Diego sei ihr Verlobter – wie dumm dass man das mit beiden nicht im Voraus abgesprochen hatte. Wahrscheinlich entsprach er ganz ihren Wunschvorstellungen. Den Namen Vega zu tragen war ja auch eine große Ehre, das hätte jedermann in Kalifornien genauso behauptet. Umso schlimmer, dass sein Sohn sich für Arme und Schwache einsetzte, ganz seinem Stand entsprechen. Wäre es möglich, sollte man ihm seinen Adelstitel aberkennen, verdient hatte er ihn überhaupt nicht – jedenfalls in den Augen des Leutnant. Zwar hatten weder die Pulido, noch der Hausherr Don Alejandro den blonden Mann in der zahlreichen Menge entdeckt, aber ER, Gonzales, überall hätte er Gabriels Visage erkannt – aus Tausenden von Menschen. Der hat uns gerade noch gefehlt. . . Wie zum Teufel ist er aus dem Gefängnis entkommen und wieso ist er jetzt hier? Das hier ist doch ein Trauerspiel für ihn! Der Dicke hatte Gabriel noch nie leiden können und das beruhte auf jeden Fall auf Gegenseitigkeit. Als seine Pflicht und Schuldigkeit sah es der Sergeant an, zu ihm hinüber zu gehen und ihn zu fragen, was er hier verloren habe? Den Bauch zog er schon ungemein ein und versuchte tapfer und stolz zu ihm hinüber zu gehen. Den Tipp hatte er beherzigt. Brust raus und Bauch rein! Aufrecht und mit stolz erhobenem Haupt. Selbstbewusst! Das konnte er heute ja auch zweifelsfrei sein, immerhin hatte er eine höhere Position hier als in der Armee. Danke Diego, dafür revanchiere ich mich irgendwann. Sollte ich die Gelegenheit bekommen. Kaum dass er sich neben Gabriel gestellt hatte, richtete er seine Worte an ihn. „Sind Sie eingeladen, Leutnant?“ Das bezweifelte er – Diego würde jeden Bauer lieber auf seiner Hochzeit dulden, als ihn, genauso wie Lolita. „Ich bin Offizier, ich brauche keine Einladung!“ entgegnete Gabriel und versuchte Gonzales einzuschüchtern, indem er ihn wie sonst auch scharf anging und ihn mit einem Blick strafte. Aber dieser war gänzlich unbeeindruckt. „Doch, doch – auch ein Offizier muss sich an die Regeln halten! Ich bezweifle stark, dass Señorita Lolita jemanden wie sie auf ihrer Hochzeitsfeier sehen möchte… Würden Sie also bitte Würde bewahren und so unauffällig wie möglich diese Feierlichkeit verlassen, genauso wie sie sich hier unter die Leute geschmuggelt haben?“ Verwundert blickte er den Dicken an und hätte ihm am liebsten auf direktem Weg in seinen fetten Wanst getreten. Allein dafür, dass Diego ihm Unterrichtsstunden in Sachen gute Manieren und gehobenen Sprachgebrauch gegeben hatte, dass er auch ja fein hierher passte. „Das ist lächerlich. Sehen Sie nicht, dass ich die beiden Eheleute wirklich schätze und ihnen alles Glück der Welt wünsche?“ spottete er, um den Unterbelichteten zu verunsichern. „Sie wollen wohl wirklich, dass ich die Wachen alarmiere, oder?“ „Ich denke, das werden Sie nicht tun!“ sagte Gabriel selbstsicher und trank seelenruhig seinen Wein leer, ehe er seinen Blick auf Gonzales richtete – diese Schießbudenfigur. „Auch ein feiner Anzug macht keinen Ehrenmann aus Ihnen. Diego hat anscheinend überhaupt keine Freunde, also musste er auf Sie zurückgreifen. Das ist eigentlich ziemlich traurig, finden Sie nicht? Oder ist das seine Entschädigung dafür, dass er Sie immer wieder in Sachen hinein gezogen hat, die Sie Ihren Kopf hätten kosten können?“ Der Blonde war sicher, dass Gonzales diese Worte nicht einmal verstand – dieser Trottel. „Für einen vorbestraften Offizier, der sich auf eine Feier, zu der er nicht eingeladen ist, geschlichen hat, nehmen Sie ihren Mund sehr voll.“ „Wir beide sitzen im gleichen Boot, wissen Sie. Seien Sie vorsichtig. Für einen Spion sind Sie nämlich auch sehr vorlaut, Señor. Glauben Sie allen Ernstes, dass mir nie aufgefallen ist, dass Sie diesen Banditen mit Informationen versorgt haben? Wenn Sie nichts wussten, wusste er leider auch gar nichts. Er hat sie konsequent ausgehorcht. Aber ein unterbelichteter Vollidiot, wie Sie, bekommt das eben nicht mit. Streichen Sie die Segel.“ Gabriel winkte ab und gab sich weiterhin völlig losgelöst von Angst, man könne ihn tatsächlich hinaus werfen. „Ich bin legitim hier.“ Der Offizier deutete mit seiner Rechten eine junge Dame an, die es ihm ermöglicht hatte, heute hier zu sein. „Mit der Dame an meiner Seite. Entschuldigen Sie mich. Ich werde mich jetzt mit dieser beschäftigen. Ich empfehle mich.“ Er ließ die Dame sich in seinen Arm einhaken und sie wanderten auf die Tanzfläche. Sogar ein Idiot wie Gonzales bemerkte, dass man ihm gedroht hatte. Der Dicke kam schon ins Schwitzen, obwohl er wusste, dass all das heiße Luft war. Was Gabriel getan hatte, war viel schlimmer und er war auf freiem Fuß. Oder war e gar nicht schlimmer? War Militär Geheimnisse plaudern nicht viel schlimmer? Der Rothaarige sah sich um. Er sah Alejandro, den Capitan wie er sich mit Señora Barbara unterhielt und anscheinend jetzt auch das erste Mal ein Lächeln zeigte und sich amüsierte. Zu wem von ihnen sollte er gehen, um sein Herz auszuschütten? Alle drei wären eine gute Idee, aber welche die Beste? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)