Memories von Chibi-Neko-Chan ================================================================================ Kapitel 1: Verleugnung ---------------------- Als die Ärzte mir sagten ich hätte Krebs, brach eine Welt für mich entzwei. Das war ok damals. Ich war alleine, ich hatte niemanden, um den ich mir wirklich ernsthafte Sorgen machen musste. Mit meiner Mutter habe ich mich selten gut verstanden, einen Vater habe ich nicht und meine Freunde? Na ja, sie waren eben Schulkameraden. Wenn man in seinem Leben die gleiche Diagnose erneut bekommt, kann man auf verschiedene Arten reagieren. Man kann anfangen zu schimpfen. Über alles, die Welt, Gott, das Schicksal. Worauf man eben sauer ist. Man kann anfangen zu weinen, alles aufgeben. Man kann es verleugnen, so wie viele es gerne tun. Oder man ist sprachlos, so wie ich. Ich sehe den Arzt an, sage jedoch nichts. Ich wüsste nicht was. Mein Kopf ist wortwörtlich leer. Wie kann es sein, dass mein angeblich geheilter Krebs wieder da ist? Wofür war ich ein Jahr lang in Amerika? Alleine? In einem beschissenen Krankenhaus? Wofür habe ich Dion ein Jahr lang warten lassen? Ich spüre, wie seine Hand sich in meiner verkrampft und sehe zu ihm auf. Sein Gesicht ist starr, er weiß, was das bedeutet. Ich weiß es ebenso. Es war beim ersten Mal schon ein Wunder, dass ich überlebt habe. Wie groß müsste das Wunder sein, wenn ich es ein zweites Mal schaffe? Ich schlucke leise. Was soll ich bloß sagen? „Ich lasse Sie beide einen Moment alleine und komme dann gleich wieder.“ Der Arzt verlässt den Raum und ich bleibe weiterhin auf der Liege sitzen. Langsam ziehe ich Dion zu mir, welcher verkrampft aus dem Fenster starrt. Er sieht wütend aus. Wütend auf mich? Weil ich wieder Krebs habe? Oder wütend auf die Ärzte, die auch nichts dafür können? Ich drücke mich schweigend an ihn. Wären wir in einem Film, würde jetzt eines dieser duselig-traurigen Lieder eingespielt werden. Dann würden wir weinen und es gäbe einen Szenensprung. Aber so ist es nicht. Wir müssen miterleben, was zwischen den Szenen passiert. Wir müssen miteinander reden. „Dion…“, beginne ich leise und löse mich von ihm, um ihn ansehen zu können. Sein Blick ist gequält, als er ihn auf mich richtet. „Sieh‘ mich bloß nicht so an“, meine ich forsch, aber sicher nicht böse. „Du weißt selber, dass man diese Blicke inständig hasst.“ Ich atme einmal tief durch. Dion ist der glückliche, freie, aufgedrehte Part unserer Beziehung. Ich bin eher introvertiert, trübselig, schweigsam. Und trotzdem ergreife ich das Wort, da er es nicht schafft, etwas über seine Lippen zu bringen. „Wir müssen darüber reden. Am besten so früh wie möglich. Wenn wir es vor uns herschieben, dann wird es nur schlimmer und-“ Dion unterbricht mich. „Worüber müssen reden?! Die sollen dich nochmal untersuchen! Das ist doch nicht wahr! Du warst ein Jahr lang in einer speziellen Klinik! Wenn die es nicht geschafft haben, deinen Krebs für immer zu heilen, wer denn dann?“ Er weiß genau, dass Krebs immer wiederkommen kann, wenn man ihn einmal hatte. Aber Dion sieht der Wahrheit nicht ins Auge. „Du weißt, dass dir das auch hätte passieren können, Dion. Bitte mach jetzt keinen Aufstand. Ich habe Krebs, in Ordnung. Ein zweites Mal, okay. Ich habe es einmal geschafft, ein zweites Mal wäre ein Wunder, aber es ist nicht unmöglich.“ Ich glaube meinen Worten selber kaum. Ich bin sicher nicht stark genug, um es ein zweites Mal auszuhalten. Wieder Chemo, wieder eine Glatze, wieder so viele Operationen. Wofür? Irgendwas in meinem Leben muss ich getan haben, weshalb ich so bestraft werde, oder? Aber warum Dion? Warum muss er es miterleben? „Du wusstest von Anfang an, dass du dich auf eine Zeitbombe einlässt. Ein Jahr lang hat es funktioniert. Aber irgendwann geht eine Bombe immer hoch. Und dann kann man sie nicht mehr aufhalten.“ Dion schüttelt nur langsam den Kopf. „Nein, verdammt! Sie werden dich nochmal untersuchen! Und dann werden sie feststellen, dass alles nur ein Fehler war! Du bist gesund! Dir geht es doch gut, oder nicht?! Du siehst gesund aus und du bist glücklich! Wir waren doch gestern erst schwimmen, wieso solltest du jetzt plötzlich Krebs haben?!“ Wenn man alleine stirbt, dann tut es weniger weh. Aber die Person, die man liebt, so zu sehen, ist das schlimmste, was man erleben kann. Von beiden Seiten. Dion wird mich unter Umständen sterben sehen. Was Grausameres kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich sehe, wie sehr es ihn verletzen wird und ich bin mir nicht sicher, ob das nicht gleichwertig zu betrachten ist. Ich fahre mir durch meine Haare. Denkt er denn, dass ich es mir wünsche, wieder Krebs zu haben? „Dion, es besteht die Chance, dass ich es gut überstehe. Die Medizin ist heutzutage doch schon so weit und mein Körper kennt die Prozedur auch schon. Ich bin doch stark und du solltest auch stark sein. Du solltest mir Mut machen und es nicht verleugnen.“ Er sieht mich wütend an, wendet sich um und verlässt das Zimmer, um nach dem Arzt zu suchen. Ich bleibe kopfschüttelnd zurück. Nein, so habe ich es mir sicher nicht vorgestellt. Leberkrebs. Das würde meine lange Appetitlosigkeit erklären, von der ich Dion nichts erzählt habe. Mein Fieber und meinen Gewichtsverlust. Ich hätte früher daran denken müssen, zum Arzt zu gehen. Jemand wie ich sollte das immer sofort tun. Aber wenn man so eine lange Zeit in der Klinik verbracht hat, dann ist es ehrlich gesagt der letzte Ort, wo man wieder hinwill. Wenn ich Pech habe, dann bin ich nicht mehr heilbar und das ist mir bewusst. Sie werden mich auf Metastasen untersuchen und alles probieren, um den Tumor wieder wegzumachen. Aber der Blick vom Arzt war aussagekräftig. Ich kenne das alles schon, ich weiß, wie Ärzte schauen, wenn die Nachrichten eher schlecht als gut sind. Ich weiß, wie mit Patienten wie mir umgegangen wird. Als der Arzt den Raum erneut betritt, ist Dion nicht dabei. Ist er einfach gegangen? Hat er mich jetzt hier zurückgelassen? Mein Blick wird düster. Wenn ich ihn später treffe, bekommt er erst einmal eine gescheuert! „Herr Preston“, beginnt der Doktor, aber ich unterbreche ihn. „Bitte nennen Sie mich nicht beim Nachnamen. Ich hasse so etwas.“ Er zögert zwar einen Moment, nickt dann jedoch. „Ok, Timo. Zu allererst möchte ich darauf hinweisen, dass du, da du inzwischen achtzehn bist, alle Entscheidungen alleine tragen wirst. Wir werden deine Mutter nicht benachrichtigen, wenn du es nicht willst. Wir werden dir deine Fragen beantworten und dir deine Möglichkeiten erläutern. Dann kannst du wählen.“ Ich nicke. Das ist mir bewusst. „Du hast Leberkrebs. Das Problem an dieser Krankheit ist, dass sie meist zu spät erkannt wird, um den Tumor operabel zu entfernen. Bei dir ist das der Fall.“ Ich nicke erneut. Mir wird übel. „Das heißt allerdings nicht, dass es keine Chance gibt, dich zu behandeln. Wir werden alles uns mögliche tun, um es dir erträglich zu machen.“ Ich schließe für einen Moment meine Augen. Es mir erträglich machen bedeutet ungefähr so viel, wie mir den Tod zu versüßen. Ich versuche mit diesen Gedanken in Einklang zu kommen, aber das ist leichter gesagt als getan. Dennoch nicke ich erneut. Ich will dieses Gespräch zu Ende führen. Der Arzt räuspert sich einen Moment. „Das heißt für dich allerdings auch ein erneuter Aufenthalt im Krankenhaus. Für längere Zeit, versteht sich. In erster Linie werden wir deinen gesamten Körper untersuchen. Wir müssen schauen, ob sich Metastasen gebildet haben und der Tumor andere Organe angreift. Zudem wird eine Chemotherapie von Nöten sein.“ Ich zucke zusammen. Die letzte Chemo hat Dion nicht mitbekommen. Das war alles in Amerika passiert, da war ich wieder alleine gewesen. Wenn Dion dabei ist, dann fällt mir vieles schwerer, wie ich gerade merke. „Gibt es eine andere Möglichkeit?“, frage ich daher nach. Der Arzt schüttelt den Kopf. „Die Medikamente werden das Wachstum verringern, es langsamer machen. Aber um den Tumor zu besiegen, ist die Chemo von Nöten. Und auch damit ist das Risiko, dass dein Körper dem Krebs nicht standhält größer, als die Chance, dass du ein zweites Mal Glück hast. Es tut mir leid, Timo.“ Ich nicke es ab, ehe ich aufstehe. „Ich darf jetzt gehen, oder?“ Der Arzt schreibt etwas auf einen Zettel und drückt ihn mir in die Hand. „Gib den vorne ab. Die Schwester wird dir einen neuen Termin für diese Woche geben. Bis dahin solltest du deine Sachen packen. Nächste Mal lassen wir dich nicht wieder nach Hause.“ In ein paar Tagen wird Dion alleine in der Wohnung sein und ich alleine im Krankenhaus. Ich weiß, eben meinte ich noch, vieles fiele mir schwerer, wenn Dion dabei ist. Aber ich bin ehrlich: Als ich vorletztes Jahr mit Krebs im Krankenhaus war, war Dion derjenige, der mir überhaupt die Kraft gab, um dagegen anzukämpfen. Wie soll ich es alleine im Krankenhaus aushalten? Warum kann ich nicht direkt zuhause sterben? Viele werden jetzt sagen, das ist Schwarzmalerei. Aber ich nenne es Realität. Ich verabschiede mich von meinem Arzt und gehe den Termin ausmachen, ehe ich mich nach Dion umgucke. Wo ist der Junge hingegangen? Man darf ihn echt nicht für eine Sekunde aus den Augen lassen! Ich gehe hinaus und atme die frische Frühlingsluft ein. Hoffentlich kann ich wenigstens noch einen letzten Sommer erleben. Ich entdecke Dion auf einer Bank sitzen und mein Blick verdüstert sich. Ich stapfe auf ihn zu und reiße ihm die Zigarette aus der Hand. „Bist du des Teufels?! Was machst du denn da? Das ist pures Gift für dich! Willst du, dass du wieder krank wirst?!“ Mit einer Lungenembolie ist schließlich nicht zu spaßen. „Soll ich jetzt Alkohol trinken, damit es bei mir auch schneller geht?!“, werfe ich ihm an den Kopf. Er sieht mich wütend an. „Lass das mal meine Sorge sein! Was soll ich denn zuhause machen, wenn du weg bist?! Da komme ich lieber freiwillig mit ins Krankenhaus! Verdammt, Timo! Die wollen dich doch sicher hierbehalten! Dabei ist da gar nichts! Und wenn es die Leber betrifft, sollen sie den Tumor doch rausschneiden! Die regeneriert sich doch von alleine!“ Ich lasse mich langsam neben ihn sinken. Er ist völlig fertig mit den Nerven. „Dion, bitte hör mir jetzt zu, ich werde das nur einmal sagen können. Ich habe Krebs. Leberkrebs. Die Chance, dass er heilbar ist, ist gering, aber sie ist da. Ich will dir keine unnötigen Hoffnungen machen, aber ich möchte, dass du der Wahrheit ins Auge siehst. Es bringt nichts, es zu verleugnen. Ich bin krank und ich muss eine Chemo machen, um die Heilung voranzutreiben. Ich wünsche mir, dass du mir beistehst und keine Dummheiten machst, solange ich nicht zuhause bin. Kümmere dich um die Wohnung und den Haushalt. Geh weiterhin arbeiten und lebe dein Leben. Wenn ich auch nur einmal mitbekomme, dass du dich schleifen lässt, dann werde ich vorzeitig mit dir Schluss machen, um dir schlimmere Dinge zu ersparen. Wenn du mir aber jetzt versprichst, dass du das alles schaffst, dann bleibe ich bei dir, ok?“ Ja, das ist ein Ultimatum, was ich ihm stelle. Aber anders kann ich mit Dion scheinbar derzeit nicht umgehen. „Aber die haben dich doch gar nicht richtig untersucht! Wir wissen doch überhaupt nichts?! Warum lässt du dich von den Ärzten denn so belatschern?!“ Ich sehe Dion einen Moment schweigend an. „Ok?“, wiederhole ich langsam. Dion scheint mit den Tränen zu kämpfen. „¡Sale, mi corazón.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)