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Life is precious

Das Leben ist wertvoll
von

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Jesse

Jesse hörte seiner Mutter gar nicht mehr zu, als er so schnell wie möglich das Haus verließ. Wieso hatte er sich schon wieder auf sie eingelassen? Langsam sollte er doch wissen, dass von ihr nichts anderes zu erwarten war als Enttäuschungen. Sie hatte so viele schlimme Sachen gesagt und Dinge getan, zu denen eine Mutter nicht fähig sein sollte. Er hatte ihr verziehen, seinen Vater aus dem Haus gejagt zu haben und sich wieder mit dem Mann einzulassen, der sie vor Jahren verlassen hatte. Sam war kein schlechter Mensch, er war ein guter Mann, ein guter Vater für Greg und Betty, und irgendwie auch für ihn, zumindest in den früheren Jahren, bis Jesse begriffen hatte, wie abstrus ihre Familienkonstellation eigentlich war. Es war leichter für ihn, Sam die Schuld in die Schuhe zu schieben und zu behaupten, Walt habe sich wegen ihm aus dem Staub gemacht und sich nur alle paar Jahre gemeldet. Dann musste er sich nicht eingestehen, dass seine Mutter jeglichen Versuch der Kontaktaufnahme unterband, oder dass sein Vater sich einen Dreck um ihn scherte.
 

Eigentlich hatte er all das längst hinter sich gelassen, das Gefühl, ungeliebt und das Kuckuckskind zu sein. Er konzentrierte sich lieber auf seine neue Familie: Helen, Pete und Kelly. Eleonores Eltern waren so stolz auf seinen Abschluss, ermutigten ihn zu einem Studium – sie würden das mit Kelly schon irgendwie hinbekommen – und wollten ihn seine Träume verwirlichen lassen. Seine Mutter hingegen war der Auffassung, er könne mit einem Kind, dem Klotz am Bein, nichts erreichen. Sie schlug ihm vor, Kelly in eine Pflegefamilie zu geben, bis er festen Fuß in der Arbeitswelt gefasst hatte. Später könnte er sich ja immer noch um sie kümmern.

Sie wollte sie weggeben. Anstatt ihre Hilfe anzubieten, wollte sie ihre Enkelin loswerden. Jesse hätte es besser wissen müssen. Wie oft hatte sie Kelly seit ihrer Geburt gesehen? Zehnmal vielleicht? Und niemals war sie auch nur ansatzweise so liebevoll mit ihr umgegangen, wie Helen es tagtäglich tat. Jesse spürte genau, dass sie sich nicht mit dem kleinen Mädchen verbunden fühlte. Dabei war sie ihr eigen Fleisch und Blut. Sein Fleisch und Blut. Das sollte eigentlich genügen.
 

„Jesse, warte. Du weißt genau, wie ich das meine.“ Marissa folgte ihm nach draußen. Ihre klappernden Schuhe brachten seine Nerven beinahe zum Zerreißen. Wider besseren Wissens blieb er stehen und wartete, bis sie ihn eingeholt hatte, was nicht so einfach war, weil sie mit den hohen Absätzen im Kies versank. Er hoffte inzwischen nicht mehr darauf, sie würde sich für irgendetwas entschuldigte oder ihre Worte zurücknehmen, das hatte er aufgegeben, aber dennoch kam er nicht umhin, es sich zu wünschen.

„Das ist ja das Problem, Mutter. Ich weiß ganz genau, wie du das meinst.“ Er steckte die Hände tief in die Hosentaschen, um sie darin in Fäuste zu ballen. Es kostete ihn so viel Anstrengung, mit ihr zu reden. So sollte das nicht sein, zwischen einer Mutter und ihrem Sohn.

„Ich will doch nur nicht, dass du dir alle Chancen verbaust. Kelly ist noch so klein, sie wird sich später gar nicht mehr daran erinnern, von dir getrennt gewesen zu sein.“

Magensäure stieß Jesse gegen den Gaumen. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein!

„Aber ich werde mich daran erinnern. Ich war im Internat drei Monate von ihr getrennt, und ich habe es kaum ausgehalten. Ich habe sie so sehr vermisst, dass ich mir mehrfach überlegt habe, alles hinzuschmeißen. Weißt du, warum? Weil ich sie liebe!“ Er fragte sich, ob seine Mutter dieselben Gefühle für ihre Kinder hegte. Wahrscheinlich, auf eine verquere Art und Weise, liebte sie sie drei. Aber sich liebte sie womöglich mehr. „Ich erwarte nicht von dir, das zu verstehen.“ Er konnte sie nicht mehr ansehen.

„Jetzt wirst du aber unfair. Habe ich nicht alles versucht, um dich zu beschützen? Habe ich nicht immer dein Bestes gewollt?“ Ihre Stimme wurde bei jedem Wort lauter. Jesse musste sich auf die Lippe beißen, um sie nicht anzuschreien.

„Aber hast du dich je gefragt, ob ich das überhaupt will? Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht, was mich glücklich macht? Du hast keine Ahnung, was ich will. Du weißt doch nicht mal, wer ich bin.“

„Ich habe den Mann, den ich liebe, aus meinem Haus geworfen, nur damit du in Sicherheit bist.“

Jesse fiel sofort auf, dass sie nicht in der Vergangenheitsform sprach. Liebe, nicht liebte. Armer Sam. Er war schon immer mehr Mittel zum Zweck gewesen. Ein guter Vater für die Kinder, eine Schulter, an die man sich lehnen konnte, ein Mann, der Sicherheit ins Haus brachte und ein festes Einkommen. Es war unglaublich, dass sie ihm das jetzt vorhielt. Er war damals noch so klein gewesen.

„Ich habe dich nicht darum gebeten.“ Noch nie hatte sie mit ihm darüber gesprochen. Früher hatte er sich immer gewünscht, sie möge ihm erklären, wieso sie Walt nicht noch eine Chance gegeben hatte. Aber so war Marissa nicht. Sie gab keine zweiten Chancen. Und Jesse war es Leid, ihr eine zu geben. „Außerdem geht es nicht um mich. Du verstehst es noch immer nicht. Es geht um meine Tochter. Meine und Eleonores Tochter.“ Er sagte mit Absicht ihren Namen, weil er wusste, sie konnte es nicht leiden. Wie auf Stichwort rümpfte sie die Nase.

„Weißt du was.“ Jesse hob abwährend die Hände, als würde er aufgeben.

„Du kannst dich bei mir melden, wenn du endlich bereit bist, Precious zu akzeptieren.“ Auch diesen Namen konnte sie nicht leiden.

„Bis dahin hälst du dich von uns beiden fern.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und wartete nicht darauf, ob seine Mutter etwas erwidern würde. In völlige Stille eingehüllt, nur das Knirschen des Kieses unter seinen Füß, verließ er die Auffahrt.
 

Ungeduldig lauschte Jesse dem Tuten in der Leitung und wartete, bis sein Bruder ans Handy ging.

„Hey, freier Mann. Wo steckst du?“

„Ich war bei Mom“, antwortete er zerknirscht und scharrte über den Kies. Er war nur so weit gelaufen, bis sie ihn vom Haus aus nicht mehr sehen konnte und hoffte nun, Greg würde ihn abholen.

„Klar. Ich bin eh gerade unterwegs. Bin in zehn Minuten da.“

Es dauerte nicht lange, bis er mit seinem Schlitten um die Ecke bog.

„Bitte bring mich hier weg“, sagte Jesse, noch während er einstieg.

„Hey, was sind das für Manieren? Kein freudiges Wort der Begrüßung?“

Als Greg Jesses verbissene Miene sah, sparte er sich jeglichen weiteren Sarkasmus und drückte stattdessen aufs Gas.

„Was hat sie jetzt wieder gemacht?“, hakte er nach einer Weile des Schweigens nach.

„Na, was sie immer macht. Können wir das Thema bitte lassen?“ Jesse stellte die Musik demonstrativ lauter, sodass es in den Ohren rauschte. Die Zigarettenschachtel, die er sich eben noch am Automaten geholt hatte, wog schwer in seiner Manteltasche. Eigentlich hatte er ja längst aufgehört. Aber im Internat hatte er sich des Stresses halber hin und wieder eine Stange gegönnt. Und wie immer brachte seine Mutter sein Blut so zum Kochen, dass es ihn bereits wieder nach Nikotin verlangte. Er musste das ganz schnell wieder in den Griff kriegen. Aber heute musste es noch diese Eine sein. Aus dem Augenwinkel sah er den Sixpack auf dem Rücksitz und drehte sich nach hinten um.

„Was sollen die Schlittschuhe?“ Er musste seine Frage laut wiederholen, um die Musik zu übertönen. Greg erklärte ihm, er habe sich mit Tyler und noch ein paar anderen am See verabredet.

„Möchtest du mitkommen? Vielleicht lenkt dich das ein wenig ab.“

Jesse wollte schon ablehnen, aber mit seiner Wut allein in seinem Zimmer zu sitzen, schien ihm auch keine gute Idee. Und zu Kelly wollte er in seinem geladenen Zustand schon gar nicht gehen. Sie sollte ihn niemals so sehen. Also zuckte er die Schultern.

„Von mir aus.“
 

„Komm schon, du Griesgram. Lass uns ein bisschen Spaß haben.“

Greg boxte ihn in den Arm und stieg zuerst aus, den Sixpack in der Hand. Jesse war durchaus bewusst, dass sein Bruder versuchte, ihn auf andere Gedanken zu bringen, aber er hatte auf einmal überhaupt keine Lust mehr auf Gesellschaft. Die Jungs begrüßten seinen Bruder überschwänglich und kamen ans Auto. Jesse kannte sie vom Sehen. Tyler kam öfter in Gregs Werkstatt vorbei, um sein Auto aufmotzen zu lassen. Brandon kannte er auch. Er war in Tylers Band. Den dritten Typen hatte er schon mal gesehen, konnte sich aber nicht an dessen Namen erinnern. Es war ganz praktisch, dass die Scheiben des Autos verdunkelt waren, so konnte er die anderen beoachten, ohne selbst gesehen zu werden. Wenn er wollte, konnte er sich einfach umentscheiden und sitzen bleiben, bis die Meute verschwunden war. Dann hätte er seine Ruhe. Ehrlich gesagt wusste er gerade selber nicht, was er wollte.

„Hallo, Ladies. Ich habe leider keinen Champagner dabei. Ich hoffe, Bier ist auch okay“, hörte er Greg gedämpft durch die Scheiben sagen. Es tauchten nun drei Mädchen auf. Jesse kannte keine von ihnen.

„Besser als nichts.“ Eine Blondine nahm seinem Bruder ohne Umschweife eine Flasche aus der Hand. Seltsam, dass Jesse tatsächlich Vorurteile gegen hellhaarige Mädchen hatte. Dabei war doch Eleonore blond gewesen. Aber irgendwie hatte das bei ihr nicht gezählt. Sie war kein typisches Blondchen gewesen. Außerdem hatte sie ihre Haare nie gefärbt, wie es bei den meisten anderen der Fall war. Ihre Farbe war echt. Jesse schloss kurz die Augen. Es war nun schon über vier Jahre her, dass sie ihn verlassen hatte, und trotzdem schmerzte ihn ihre Abwesenheit noch immer. Er brauchte wirklich ganz dringend Nikotin.

Greg holte ihn aus seinen Gedanken, indem er gegen die Scheibe klopfte.

„Komm raus, Lahmarsch.“
 

Jesse atmete tief durch, überlegte sich ein letztes Mal, ob er nicht doch einfach sitzen bleiben sollte, und stieg dann schließlich aus. Die Jungs schienen erfreut, ihn zu sehen, dabei kannte er sie doch kaum. Aber vielleicht störte ihn heute auch einfach alles und jeder, nach dem Gespräch mit seiner Mutter, und alle verhielten sich ganz normal, nur er war der schräge Vogel. Er hob kurz die Hand zur Begrüßung, deutete ein Grinsen an und steckte sich sofort eine Zigarette an. Er hielt es keinen Moment länger aus. Den verbissenen Blick, den Greg ihm zuwarf, versuchte er, zu ignorieren. Er wusste selbst, wie dumm es war, dazu brauchte er keinen großen Bruder, der ihm das unter die Nase rieb.

„Ich dachte, ich muss meinem kleinen Bruder mal wieder die Welt zeigen, jetzt, wo er endlich aus dem Knast raus ist!“ Greg hatte eine Vorliebe dafür entwickelt, seinen Internatsaufenthalt als Knast zu bezeichnen. Jesse beließ es dabei und inhalierte tief aus seiner Marlboro. Den Rauch stieß er durch seine Nasenflügel in die kalte Winterluft. Während Greg den Kofferraum öffnete und einen zweiten Sixpack und Schlittschuhe an alle verteilte – er hatte völlig vergessen, dass sie sich als Kinder einen Spaß daraus gemacht hatte, diese Dinger aus dem Eisstadion herauszuschmuggeln – betrachtete Jesse die weiblichen Gäste genauer. Vielleicht konnte er ja später mit einer von ihnen etwas Frust abbauen. Doch sie schienen alle jünger zu sein. Auf ein One-Night-Stand mit einer Minderjährigen wollte er sich nicht einlassen. Auch wenn das Mädchen mit den langen braunen Haaren verdammt hübsch war. Sie mied jedoch Blickkontakt. Eindeutig zu schüchtern.

„Ich habe Größe Vierzig, nicht Achtunddreißig. Wie soll ich da bitteschön reinpassen? So kann ich nicht auf den Dingern fahren“, beschwerte sich Blondi neben ihr. Jesse ging sie jetzt schon auf seine strapazierten Nerven.

„Dann spielen wir ein bisschen Cinderella und hacken dir die Fersen ab.“ Greg hob verschwörerisch die Augenbrauen. Jesse verkniff sich ein Grinsen.

„Es wird schon gehen“, murrte Jen, wie ihre Freundinnen sie nannten.

Greg steuerte Richtung See und die Jungs folgten ihm ausgelassen.

„Wollten wir nicht Schlittschuhlaufen?“, fragte das dritte Mädchen mit den Locken und hielt ihre Schuhe demonstrativ hoch.

„Schätzchen, genau neben dem Stadion ist ein See. Und der ist kostenlos“, erläuterte Greg und zwinkerte ihr zu.

„Und keine Sorge, das Eis ist so dick, dass es hundertprozentig einbruchsicher ist“, fügte Alex aufgrund der beunruhigten Mienen der Mädchen hinzu. Eleonore wäre die Erste auf dem Eis gewesen, ganz sicher. Aber sie war eben einzigartig. Jesse warf sich seine an den Schnürsenkeln zusammengebundenen Schlittschuhe über die Schulter, zog an seiner Zigarette und folgte der Truppe. Er spürte den Blick der Schüchternen auf sich, ignorierte es aber und drehte sich nicht nach ihr um. Das Mädchen, das neben ihr ging – sie sahen sich sehr ähnlich, wahrscheinlich waren sie Schwestern – lachte laut über irgendetwas, was schließlich doch seine Aufmerksamkeit erregte. Er konnte jedoch keinen Blickkontakt aufbauen, weil sie stur in die andere Richtung sah.

Am Ufer des Sees hockten sie sich auf Bänke und wechselten die Schuhe.

„Hey, Angsthäschen, seht mal her.“

Da die Mädels noch immer Schiss hatten, das Eis könnte brechen, hüpfte Greg darauf herum. Als Kinder waren sie im Winter beinahe jeden Tag hier gewesen. Sie hatten Betty auf einem Schlitten hinter sich hergezogen, spielten mit Stöcken und einem Tennisball Eishockey und hielten Wettrennen ab. Jesse freute sich auf den Tag, an dem er mit Kelly hierherkommen würde, sie das erste Mal auf ihren kleinen Füßen über das Eis rutschte und sich fest an ihn klammerte, um Halt zu suchen.
 

Die Jungs fackelten nicht lange herum und gingen aufs Eis, doch Jesse blieb noch eine Weile auf der Bank sitzen, die Ellbogen auf die Knie gestützt, rauchte weiter, und verlor sich in seinen Tagträumen. Als er Leas Blick auffing – so hieß sie, wenn er richtig zugehört hatte, da war er sich fast sicher -, sah er sie prüfend an. Irgendwie wirkte sie ihm gegenüber feindselig. Dabei hatte er doch gar nichts getan. Normalerweise war er ein Gentleman, aber im Moment war er auf Krawall gebürstet, also verengte er die Augen zu Schlitzen, um zu sehen, wie sie reagierte. Sie starrten sich lange an, doch letzen Endes senkte sie verlegen den Blick. Jesse warf seine Zigarette weg und betrat ebenfalls das Eis. Während die anderen Blödsinn machten, entfernte sich Jesse von der Gruppe, fuhr weit hinaus. Er hätte nicht mitkommen sollen. Tatsächlich fühlte er sich gerade ziemlich asozial. Er hatte ohne irgendeinen Grund diese Kleine verschreckt, nur weil sie ihn angesehen hatte. In seiner Verfassung war er keine gute Gesellschaft.

Um sich wieder einzukriegen, schaltete er den Kopf aus und beschleunigte, erinnerte sich an die Bewegungen, die ihm in Kindestagen so vertraut gewesen waren. Seine Beine prickelten ob der kalten Winterluft, sein Atem formte sich zu Wölkchen, und langsam wurde ihm von Innen heraus warm. Er spürte, dass seine Wangen leicht rot wurden und das Prickeln auf seiner Haut vom frischen Fahrtwind. Er glitt geschmeidig über das Eis, immer schneller und schneller setzte er nach. Wenn er jetzt hinfiel, bei der Geschwindigkeit, gäbe das eine böse Verletzung. Aber aus irgendeinem Grund konnte ihn die Vernunft gerade nicht erreichen. Er wollte nur immer weitermachen, seinen Frust rauslassen.
 

Völlig in Gedanken, merkte Jesse beinahe zu spät, dass er direkt auf Lea zusteuerte, die genau in seine Fahrbahn geraten war. Sie bemerkte es im selben Augenblick wie er, das konnte er an ihren Augen sehen, die auf einmal riesig wurden, und ihren rudernden Armen. Dieses Mädchen konnte eindeutig nicht Schlittschuhlaufen. Es lag an ihm, ihr auszuweichen. Aber seine Beine steuerten weiterhin direkt auf sie zu. Es war, als würde sein Körper seinem Gehirn nicht mehr gehorchen. Jesse sah die Angst in ihrem Gesicht, doch inzwischen war es zu spät, um auszuweichen. Außerdem konnte er bereits jetzt vorausahnen, sie würde jede Sekunde hinfallen, so unsicher, wie sie auf den Kufen war. Also legte er genau vor ihr eine scharfe Bremsung ein, um sie aufzufangen. Leider hatte er den Abstand etwas falsch eingeschätzt, sodass er sie mit ziemlicher Wucht rammte. Zwar schwankte er kurz, konnte sich jedoch auf den Beinen halten. Sie klammerte sich an ihn, nach Halt suchend. Jesse hielt sie fest, war selbst voller Adrenalin, und froh, nicht gemeinsam mit dem Mädchen auf das harte Eis geknallt zu sein. Sie waren sich nun so nahe, dass er ihr Gesicht genau betrachten konnte. Die grauen Augen, die vor Schreck weit aufgerissen waren, ihre Lippen, die stoßweise Wölckchen ausatmeten, ihre geröteten Wangen und die vereinzelten Sommersprossen auf der Stirn.

Für einen Moment sahen sie sich nur an. Es kam Jesse so vor, als wäre die Zeit stehen geblieben und die Welt hätte aufgehört, sich zu drehen. Wann hatte er sich das letze Mal so gefühlt? Er meinte sogar, durch ihre dicken Winterjacken hindurch ihren schnellen Herzschlag spüren zu können, auch wenn das unmöglich war.

Und mit einem Mal fiel ihm auf, dass all sein Schmerz, all seine Wut veflogen war. Aufgelöst, wie Rauch in der Luft. Er fühlte sich leicht. Frei. Das brachte ihn zum Lächeln. Aber der Zauber war schnell verflogen, als sie ihn grob von sich schubste.

„Bist du total bescheuert?“, schrie sie ihn an. Völlig perplex, weil Jesse sich eingebildet hatte, auch sie habe diese Verbindung, diesen Moment eben gespürt, wich er zurück.

„Lea, alles in Ordnung?“, wehte die Stimme ihrer Schwester zu ihnen hinüber. Lea strich sich über die Jacke, als wollte sie seine Berührung wegwischen und warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

„Jesse“, ertönte nun auch noch Gregs warnende Stimme. Jesse hob beschwichtigend die Hände.

„Bleibt mal locker. Alles gut.“ Mit einer flüssigen Bewegung fuhr er hinter sie und streifte mit seinen Lippen das Haar dicht an ihrem Ohr. „Oder etwa nicht?“

Er hatte doch gar nichts gemacht. Okay, zumindest nicht mit Absicht. Nicht mit voller Absicht... Da war er sich nicht ganz sicher. Aber eines wusste er ganz genau: Er wollte sie wiedersehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Silberwoelfin
2019-06-21T20:42:47+00:00 21.06.2019 22:42
Ich wünsch mir immer noch eine Fortsetzung
Von:  Silberwoelfin
2017-12-27T14:15:35+00:00 27.12.2017 15:15
Huhu
Gibts bald ne Fortsetzung? :)
Von:  Silberwoelfin
2017-10-25T13:17:28+00:00 25.10.2017 15:17
Sooooo tut mir Leid...
die letzen Wochen waren stressig, alles vorbereiten, arbeit, Pferd holen etc :)

Das Kapitel war klasse. Es ist echt interessant mal die Story aus Jesse Sicht zu sehen.... das macht neugierig darauf was bei den anderen Treffen z.B das Date, erster Kuss etc die Gedanken von ihm zu wissen.

Aber war auch wiederrum komisch als letzes Kapitel sozusagen das erste wieder dazu haben :D

War echt eine sehr schöne Story, ich werd es echt vermissen. War gerade die einzige Story die ich noch aktiv auf Animexx verfolgt habe.
Würde mich wirklich freuen sollte es hier eine Fortsetzung geben... gibt noch so viele Punkte die offen sind und mich interessiert es wirklich die die Zukunt der beiden bzw. der drei aussieht.

Sollte es weiter gehen lass es mich bite wissen.
Gerne auch wenn du eine andere Story neu rausbringst.

Gruß
Antwort von:  nadscha
25.10.2017 17:22
Dem kann ich nur zustimmen bin auch gespannt ob es weiter geht


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