Unter den Schwingen des Horusfalken von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Prolog   Sobeknacht, der oberste Beamte des Herrn der beiden Länder, atmete doch ein wenig auf, als er aus dem Schatten des Palmwedelschirms, den ein Diener über ihn hielt, in die steinerne Kühle seiner Totenkapelle trat. Um die Sommersonnenwende herum war es stets sehr heiß, zumal hier auf dem Wüstenplateau, aber er war nicht mehr jung genug, um das mit Fassung zu tragen. Fast fünfzig Lebensjahre forderten ihren Tribut. So betrachtete er mehr neugierig die Wände seine „Hauses für die Ewigkeit“, als auf den aufgeregten, deutlich jüngeren, Architekten neben sich zu achten.   Dieser, Nianchchepri, war dem tjati empfohlen worden, aber es war doch sein erstes Grab dieser Größe mit solchen Sonderwünschen, und er demgemäß so nervös, dass er ungefragt meinte: „Wie du sehen kannst, liegen wir im Zeitplan. Der nördliche Teil ist bereits vollständig aufgemauert. Und auch hier werden die Reliefs nächste Woche ausgearbeitet.“ Ja, der nördliche Teil. An diesem hing das Herz des Grabherrn mehr als an seinem eigenen Südschacht. In der fast drei Mannshoch in den Stein geschlagenen Grube mit der Grabkammer ruhten bereits die Leinenmumien dessen Frau und dreier Kinder, die nun auch hier, ungewöhnlicherweise, in der Kapelle als buntes Relief an die Wand kommen sollten, versorgt von den Totenopfern, die man einst gewiss Sobeknacht bringen würde. „Ich hätte nur zwei Fragen, edler tjati.“ Tjati, der „Unter dem Kopf des Königs“, Ranghöchster aller Beamten, die rechte Hand des Herrn der beiden Länder, des mächtigen Horus, noch dazu dessen Halbbruder. Nicht gerade der Mann, den man als junger, aufstrebender, Architekt verärgern sollte. „Nun?“ Sobeknacht hatte soeben seine Familie als Vorzeichnungen in Rötel an der Wand entdeckt und musterte genau die Konturen. Nur ein Sohn lebte noch. „Zum einen: wann kann die Opferplatte und die Tür eingebaut werden?“ „Setze dich mit den Werkstätten des Herrn der beiden Länder in Verbindung.“ „Natürlich.“ Das bedeutete, dass der mächtige Horus selbst seinem treuen Diener die Steinplatten nicht nur zur Verfügung stellte, sondern sogar von seinen eigenen Steinmetzen schmücken ließ, eine nicht alltägliche Gunst. Nianchchepri holte ein wenig Atem, ehe er langsam äußerte: „Und, verzeih, wenn der Name deiner Tochter noch nicht erwähnt ist. Du sagtest bislang nur, dass deine geliebte Gemahlin Hathorhotep und deine Söhne Padiptah und Bakenpthah hier ruhen. Diese Namen ließ ich bereits einzeichnen.“ Mehr wagte Nianchchepri nicht zu sagen. Das Auge des Ersten Ministers ruhte auf der Vorzeichnung eines kleinen Mädchens so liebevoll, dass nur ein Narr seine Gedanken weiter gestört hätte. Das Architekt wusste ebenso, dass die kleine Mumie, die im Nordschacht neben ihrer Mutter und ihren Brüdern jetzt ruhte, nur von kundigen Balsamierern so geformt worden war. An sich, zumindest teilweise, nicht unüblich, man versuchte auch verlorengegangene Körperteile wieder zu regenerieren für das ewige Leben in den Schilffeldern des Westens, aber ein kompletter Körper war doch ungewöhnlich. Sobeknacht konnte sich die Neugier durchaus vorstellen. Aber er war sehr zufrieden und hoffte, dass die Seelen seiner Familie, ihre Kas, die Körper dort im Nordschacht finden würden und hier dann Versorgung. Selbst seine Kleine, die er im Leben nicht beschützen konnte. Keine Krankheit hatte die Zweijähige getroffen, wie es nur zu oft geschah. Auf einer Bootsfahrt mit der Familie hatte er Entspannung gesucht, als sie über Bord gefallen war. Noch ehe ihre erschreckten Eltern etwas unternehmen konnten, oder auch einer der Begleiter, hatte ein Krokodil sie fortgezogen. Sobeknacht hoffte nun inständig, das ihre Seele über die nachgeahmte Mumie oder doch die Zeichnung für Wasser und Nahrung zurückgelangen konnte, das ewige Leben genießen konnte, er so seine Schuld bezahlen konnte. Ihre Mutter hatte kurz darauf eine Fehlgeburt erlitten und war mit dem Neugeborenen im Arm gestorben.„Sie hieß Neferhenut“, sagte er leise. „Und, Nianchchepri, sie war wirklich das Schönste aller kleinen Mädchen.“ Der Architekt hielt es für klüger nichts zu sagen, zumal sein Auftraggeber sich umwandte und die Kapelle wieder verließ.   Sobeknacht sah sich um. Seine Begleitung hatte es sich im Schatten eines anderen Grabmals gemütlich gemacht, sprang aber nun auf. Heute herrschte auf den stets lauten Baustellen des Landes der Toten wahrlich Stille. Es war der zehnte Tag der Woche, und es wurde nicht einmal an der Stufenpyramide des lebenden Horus im Norden gearbeitet. Sein Wedelträger war unverzüglich bei ihm. Es war heiß, und während er zu der Sänfte trat, deren zehn Träger ihn aus dem Flusstal hier hinauf auf das Wüstenplateau des Totengottes Sokar getragen hatten, warf er unwillkürlich einen Blick über das untere Fruchtland. Vor zwei Tagen war ein Schnellruderer aus Abu gekommen, dem südlichsten Ort, über dem der göttliche Falke seine Flügel schützend spreizte, um ihm zu melden, dass Sopdet dort am Himmel erschienen war, und nun sicher die Überschwemmung einsetzen würde. Hier, in Ibenu-Hedj, der Residenzstadt, würde man den hellsten Stern folglich in einer Woche sehen, denn er stand im Süden stets zwei Wochen früher sichtbar als hier. Auch das Hochwasser benötigte solange hierher, noch einmal Tage, bis dann auch das gesamte Delta überflutet war. Gut. Einhundert Tage war damit keine Feldarbeit mehr möglich, und er hatte bereits heute Morgen, gleich nach der königlichen Audienz, Boten in seine Landgüter geschickt, die Bauern ausheben sollten, um das Grab hier schneller fertig bauen zu können. Er war stolz auf seinen Einfall mit den bunten Reliefs im Totentempel. Andere hohe Beamte hatten bereits angekündigt ihm darin folgen zu wollen. Er nahm in dem hölzernen Rahmen der Sänfte auf einem Kissen Platz, zog die Beine an und hielt sich fest, als die Träger die Stangen packten. Seine schwarze Perücke rutschte kaum, als die Sänfte hochgehoben wurde, aber die schwere Goldkette um seinen Hals, Ehrengeschenk des Herrn der beiden Länder für seine Dienste, schlug etwas gegen seine weiche Brust und Bauch, Zeichen des Überflusses, den er sein Leben lang als Königssohn und Mitglied des Adels genossen hatte.       Kapitel 2: Die Augen und Ohren des Falken ----------------------------------------- Sobeknacht, als tjati der erste Beamte und der zweitmächtigste Mann des Landes, schritt durch die Gänge des Palastes in Ibenu-hedj, ohne den bunten Matten an den Wänden oder der Decke einen Blick zuzuwerfen. Nun trug er eine gelockte Perücke, den üblichen kurzen, weißen, Schurz, und einen Stab als Zeichen seiner Würde in der Hand. Um seinen Hals lagen in drei Reihen Schmuckketten aus Gold und wertvollen Steinen, ebenso um Oberarme und Handgelenke, damit seinen Status deutlich zeigend. Aber er hatte es eilig und warf einen Blick in einen anderen Gang, wo ein fast ebenso gekleideter Mann seines Alters herankam. Das Leben im Palast war streng geregelt und gerade die Zeitabläufe mussten strikt eingehalten werden. Der Horus auf dem Thron der Lebenden sorgte dafür, dass morgens die Sonne aufging, die jährliche Überschwemmung kam und gute Ernten hervorbrachte. Jeder Schritt dieses Garanten der Weltordnung musste überwacht und geschützt werden. So fand der Herr der beiden Länder auch morgens stets nur eine Viertelstunde Zeit, sich mit seinem ersten Beamten und dem Siegler des Königs, dem Mann, dem alle Einkünfte und Ausgaben des Staates unterlagen, ohne weitere Personen zu bereden. Natürlich, später, im kleinen Hofrat würden sie ihn ebenso sehen, aber ohne jene Vertraulichkeit, die aufgrund der Blutsverwandtschaft möglich und nützlich war. Die beiden höchsten Beamten kemets waren die älteren Halbbrüder des lebenden Gottes Ägyptens, und nur aufgrund dieser Verwandtschaft in der Lage die Nähe des Mächtigen dauernd ohne Schaden zu überstehen. Sobeknacht blieb stehen. „Guten Morgen, Hekaptah. Etwas Ungewöhnliches?“ „Nicht wirklich.“ Der Siegler beschleunigte kurz seinen Schritt, ehe die Halbbrüder Seite an Seite weiter gingen, sich rasch austauschten. „Ich habe nur bereits das Fest der Sopdet angewiesen. Die Flut dürfte bald auch hier eintreffen.“ „Ja, natürlich.“ Dabei wurden auch große Mengen an Essen für die Bevölkerung und die Opfergaben benötigt. „Gut. Dafür habe ich etwas, womit ich allerdings den Herrn der beiden Länder nicht behelligen möchte, solange im Schatzhaus alles in Ordnung ist.“ Die dunklen Augen des dritten Mannes des Landes glitten rasch seitwärts. Das war sein Aufgabenbereich. „Sollte es etwa das nicht sein?“ „Du kennst Chnummose?“ „Natürlich. Einer der Großen von Oberägypten, Sprecher von Nechen, der Stadt des Horus. Ich bitte dich, wie sollte ich ihn nicht kennen.“ Gewöhnlich lebte dieser auch hier in der Residenz. „Er schrieb mir einen Brief, der auch an mich persönlich gebracht wurde. Er ist schließlich nicht irgendwer. Und er schrieb, sein Totengutverwalter, ein junger Mann, der die Steuern nach Ibenu-hedj bringen sollte, sei hier spurlos verschwunden, nachdem er die Abgaben abgeliefert hat.“ Hekaptah umklammerte für einen Augenblick den Stab in sein Hand. „Ich vermute, du ließt das überprüfen.“ „Ja. Der Vermisste war ein gewisser Menmire, ein junger, aufstrebender, Schreiber, den Chnummose neu zum Verwalter seines Totengutes befördert hatte. Er kam mit einem Schiff, das anteilig die Steuern aus Nechen enthielt, hier an, er ging mit dem Kapitän zu den Schreibern der Doppelscheune, der Kapitän erhielt die Bestätigung. Dann trennten sie sich, der Kapitän kehrte zum Hafen zurück. Da Menmire am nächsten Tag nicht erschien und auch am übernächsten Tag nicht, fuhr der Kapitän zurück, um seinem Herrn Bericht zu erstatten. Chnummose blieb in Nechen, um einiges für den Umbau des Horus-Tempels zu erledigen, wollte aber demnächst mit der Flut hier erscheinen. - Ich übergab die Angelegenheit einem sab-Beamten, der herausfinden konnte, dass die Angaben soweit stimmten. Nur Menmire blieb verschwunden. Überdies wissen die Hofärzte nichts von ihm, er wurde nicht als verletzt gemeldet, niemand tot aufgefunden.“ „Merkwürdig. Womöglich hatte er einen Unfall und hat sein Gedächnis verloren?“ „Möglich. Aber wenn, so hat er es bislang nicht wieder gefunden. Ich möchte, dass du überprüfst, ob die Steuer tatsächlich eingegangen ist.“ „Der sab-Beamte fand sicher die Bestätigung.“ Hekaptah klang unwillkürlich etwas abwehrend. „Sei nicht ärgerlich. Es wäre ja nur möglich, dass ein Schreiber … sich irrte, als er eintrug, dass die Steuer gezahlt wurde. Es wären immerhin fünfunddreißig Säcke Gerste und vor allem Kupfer aus der östlichen Wüste.“ Damit hatte er angedeutet, dass der Schreiber und der Vermisste die Steuern unterschlagen hatten. Hekaptah dachte kurz nach. „Nun, das lässt sich überprüfen. Sei doch so nett, und schicke mir nachher diesen Brief zu, damit ich Namen und Zeitpunkt weitergeben kann,“ sagte er dann ruhig. Sobeknacht war erfreut, dass das so glatt lief, er eine weitere Überprüfung durch sich selbst erst einmal verhindert hatte. Die Aufgaben eines tjati und einige mehr ließen ihn kaum schlafen. Und es war besser, nicht den Lebenden Horus von einer Nachlässigkeit seiner Beamten in Kenntnis setzen zu müssen. Ein Wort und auch ein tjati und Königsbruder wurde zum hörigen Bauern in irgendeinem neuen Hofgut. „Natürlich. Da das unter uns bleiben sollte, werde ich Anchnefer zu dir schicken.“ „Ja.“ Die beiden Beamten schwiegen nun, da vor ihnen von bewaffneten Wächtern die Holztüren geöffnet wurden, die den privaten Bereich des Herrn der beiden Länder abgrenzten. Höflinge schlugen die folgenden Türflügel beiseite.   Horus Quahedjet erwartete seine beiden obersten Beamten wie jeden Morgen zur ersten Besprechung in seinem Ankleidezimmer, wie alles hier weiß gekalkt und bunt bemalt. Er war bereits gebadet, gesalbt und angekleidet worden, trug die übliche Schminke, und saß nun aufrecht auf seinem Hocker. Nur, bis zwei besondere Priester ihm die Kronen der beiden Länder brachten und aufsetzten, hatte er für seine Halbbrüder Zeit. Danach würde er bereits in das Kronenheiligtum und anschließend in den Götterpalast gebracht, wie die Tempel der zwei Kronengöttinen und der anderen Götter lauteten, um ihnen die ihnen morgendlich zustehende Huldigung darzubringen. Selbstverständlich vermochte er dies nur in seiner göttlichen Form, nicht als sterblicher Mensch, aber als eben solcher und Herr der beiden Länder sah er nun auf, als sich die Beiden vor ihm niederknieten, nicht auf den Bauch warfen, wie später das Zeremoniell forderte. „Nun?“ Sobeknacht, der nur zwei Stunden später im Hofrat den hölzernen Satz sagen musste: „Alles im Lande befindet sich wohl“, sah etwas auf. „Man möge beruhigt sein. Es gibt nichts zu berichten.“ „Man“ war die Höflichkeitsanrede. Niemand sprach einen lebenden Gott direkt an. Hekaptah ergänzte: „Das Fest der Sopdet kann stattfinden, sobald der Stern am Horizont erscheint.“ Horus Quahedjet nickte, durchaus angetan, dass nicht, wie schon manchmal, eine schlechte Nachricht erfolgte. Sandleute, die Dörfer überfielen, waren dabei noch das geringere Problem. Bis die Botschaft hier ankam, waren oft die Bürgermeister oder Domänenverwalter mit bewaffneten Bauern der Bedrohung schon Herr geworden. Eine zu hohe oder zu geringe Flut konnte dagegen wahrlich Katastrophen bedeuten, Hungersnot auslösen oder auch ganze Dörfer niederreißen. Aber seit Jahren schon schwankte der Fluss mehr oder weniger gleichmäßig und er bemühte sich, dass dies auch so blieb. So hatte er erst kürzlich den Bau eines Palastes auf Abu, tief im Süden, angeordnet, um den für die Überschwemmung zuständigen Göttern zumindest alle zwei Jahre persönlich seine Aufwartung zu machen. Nun ja, auch, um ein Auge auf die stets unruhigen Nachbarn in Kusch und Wawat zu haben. Beides gehörte zu seinen Aufgaben. Die Doppelrolle als göttlicher Herrscher und menschlicher Regent war nicht immer einfach, in jedem Fall zeitaufwendig.   Der königliche Siegler wurde erst am Nachmittag wieder an die Bitte des tjati, genauer, die Anweisung, erinnert, als ihm Anchnefer gemeldet wurde. Dieser war nicht nur ein Mann in seinem Alter, sondern auch mit Sobeknacht und ihm fast befreundet, seit sie gemeinsam in die Palastschule gingen. Der Vorsteher der Schreiber des tjati ließ sich auf seinen Wink vor ihm nieder. „Ah, der Brief von Chnummose.“ „Ja.“ Anchnefer überreichte ihn und ergänzte: „Sobeknacht ließ es natürlich auf den Prüfstand stellen. Hier ist der Bericht des sab-Beamten. Allerdings gibt es etwas, das du womöglich ebenfalls überprüfen solltest. - Hier. Mir fiel es ein, da ich zufällig den Bericht des sab-Beamten vor vier Monaten las. Und ließ ihn mir bringen. Auch damals verschwand ein Domänenvorsteher. Er stammte allerdings aus dem Delta, aus der Gegend Sau, und lieferte hier wohl Wein ab.“ „Was?“ Hekaptah nahm die Papyrusrollen. „Gab es noch andere derartige Zwischenfälle?“ „Das weiß ich nicht. Möglich. Aber gewöhnlich kommen solche Anfragen nicht bis zu mir oder dem tjati. Sobeknacht hat viel zu tun. So etwas wird vom Büro der Petitionen oder eben auch sab-Beamten selbstständig geregelt. Wir sind für ganz kemet zuständig.“ „Das ist mir klar.“ Und es wäre schwierig im Haus der Bücher, wie das königliche Archiv genannt wurde, alle diese Berichte zu finden. Nun, es wäre in jedem Fall ziemlich zeitaufwendig. „Kannst du das dennoch nachsehen lassen?“ Anchnefer dachte nach. „Nun ja, ich habe da einen jungen Schreiber, der ein wenig vorlaut war. Eine nette Strafaufgabe, findest du nicht?“ „Zumindest für das vergangene Jahr. - Wir sollten Sobeknacht einstweilen nichts davon sagen. Er hat genug im Kopf. Und wenn die Steuer bezahlt wurde, kann ich ihm das mitteilen, dann können die Fälle soweit abgelegt werden.“ „Soweit.“ Der Vorsteher des Wesirbüros lächelte ein wenig. „Nein, ich frage nicht einmal. - Wirst du Briefe oder Siegel benötigen?“ „Das weiß ich noch nicht. Danke, Anchnefer.“ „Im Dienste des mächtigen Horus.“ Der alte Schreiber erhob sich. Der Herr der beiden Länder höchstselbst hatte ihm unter vier Augen von einer Mission namens „Die Augen und Ohren des Falken“ erzählt, die Hekaptah für ihn erledigte, und ihm strengste Vertraulichkeit gegenüber allen anderen, selbst dem tjati, anbefohlen. Undenkbar, nicht zu gehorchen, zumal damals Sobeknacht sehr unter seiner privaten Tragödie litt. Das war vermutlich auch der Grund dieser Anweisung gewesen.   Sobald sein Besucher verschwunden war, ließ der Siegler einen seiner Schreiber zu sich kommen. Dieser war verschwiegen, und besaß das Talent, überaus schnell schreiben zu können. „Hier, kopiere unverzüglich diese Briefe und Berichte. - Und jemand soll in das Büro der königlichen Schreiber gehen. Ich möchte Meruka sehen, wenn ihn der mächtige Horus nicht selbst benötigt.“ Niemand wunderte sich. Meruka war der Sohn der zweiten Ehefrau des Sieglers und diente als einer der königlichen Privatsekretäre. Natürlich bevorzugte dieser seinen Stiefsohn, wenn es um Aufgaben ging.   Nur wenig später betrat ein junger Mann das Arbeitszimmer Hekaptahs, der irgendetwas zwischen zwanzig und fünfundzwanzig schien. Er trug die gewöhnliche Hofperücke, um seinen Hals lagen die modischen drei Schmuckketten. An der untersten verriet eine kleine Staue der Göttin Seschat, der Herrin der Schreibkunst, was sein Beruf war. Nur ein genauer Beobachter hätte sich vielleicht gewundert, warum sich mit Karneol verzierte, kupferne, Reifen um Oberarme spannten, deren Form kaum vom Umgang mit Schreibbinsen erzeugt worden war. Hekaptah winkte. „Ich freue mich, dass du so rasch gekommen bist, Meruka. Bitte, nimm Platz.“ „Danke. Hast du etwas Neues über ... Anchka?“ Etwas wie ein Zögern lag vor dem Namen. „Ja. Gutes und Schlechtes. Auch die kundigen Hofärzte mussten aufgeben. Er wird nie wieder gehen können. Allerdings wird Anweisung ergehen, dass er als Gerichtsschreiber in den Palast des harpunierenden Horus im Delta gebracht wird. Anchka hat die Schreiberlehre und ist so wohl versorgt.“ „Das ist gut.“ Meruka atmete sichtlich durch. „Der Dolch traf ihn sehr unglücklich und ich mache mir noch immer Vorwürfe nicht besser aufgepasst zu haben.“ „Unfehlbar ist nur ein Gott, das weißt du. - Ich habe vielleicht eine Nachfolgerin für Anchka“ „Eine Frau.“ „Nefertari ist meines Wissens auch eine.“ „Ja, aber Nefer ist … besonders.“ Der Gast betrachtete den Älteren. „Ich werde jedoch nicht an deinem Urteil zweifeln, Hekaptah. Was kannst du mir über sie schon sagen?“ „Sie ist achtzehn, ist sehr zierlich und wirkt dadurch jünger. Sie lebte bislang im ipet ...“ Dem den königlichen Frauen vorbehaltenen Teil des Palastes und dessen Wirtschaftsanlagen. „Trotz ihrer Jugend war sie eine Schreiberin der Königinmutter.“ Das war ein hohes Vertrauensamt, das Diskretion und Diplomatie erforderte. Meruka nickte. „Ich verstehe. Die Königinmutter ging vor wenigen Wochen in die Schilffelder des Westens ein ...“ Die feierliche Beerdigung war erst letzte Woche erfolgt. „Ja. Ich gebe zu, dass das erst meine Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Ihr Name ist Meresanch. Sie kam als Waise in den ipet und wurde dort aufgezogen. Ihr Vater war ein Milchbruder des Herrn der beiden Länder. Und für dich und deine Gruppe würde das Zugang zu allen Informationen im ipet bedeuten.“ Sie hatte folglich die gleiche Ausbildung bekommen wie die Königskinder und der Söhne der Beamten – nicht schlecht, dachte Meruka unwillkürlich, schwieg jedoch. Es ziemte sich nicht, seinen Vorgesetzten zu unterbrechen. „Ich werde mit ihr reden. Sie wird sicher sich dem Befehl beugen zu schweigen, falls sie sich nicht für eure Arbeit interessiert. Das Leben im ipet ist ruhiger und sicherer als das, was ihr führt. Ihr lebt gefährlich.“ Um Merukas Mund zuckte ein Lächeln, das verriet, warum ihn Frauen so attraktiv fanden, manchmal zu ihrem Nachteil, denn er liebte nur seine Arbeit für den König. „Ja, aber das wissen wir beide. Wann kann ich mit ihr sprechen?“ „Ich werde morgen mit ihr reden. Treffen wir uns morgen im hinteren Garten, rückseitig, am Teich unter den Sykomoren. Ich werde nach dir schicken. Je eher du einen Nachfolger für Anchka in deiner Gruppe hast, umso eher kannst du ihn oder sie anlernen, und umso besser den neuen Auftrag lösen. Du wirst wenig Zeit haben sie auszubilden.“ „Wie lange?“ Hekaptah überlegte kurz, wie lange der unselige Schreiber für seine Strafarbeit im Archiv benötigen würde. „Drei Tage.“ Meruka hob die Augenbrauen, erwiderte jedoch nur höflich: „Im Auftrag des Horus.“   So ging der königliche Schreiber am folgenden Tag zu dem angegebenen Platz im Palastgarten. Unter einer Sykomore hatte es sich Hekaptah bequem gemacht, zumindest zum Schein einige Papyrusrollen neben sich. Neben ihm saß ein sehr junges, zierliches, Mädchen mit langen schwarzen Haaren, einer Perücke, die sie nach höfischer Mode dreigeteilt trug. Auch ihr Kleid zeigte, wie das aller Höflinge, dass es in den herausragenden Webereien des ipet hergestellt worden war. Meruka musterte sie und bemerkte, wie sie sofort verlegen zu Boden blickte. Sie sah in der Tat wie kaum dreizehn aus, gerade so in das heiratsfähige Alter gekommen. Aber sie war älter, hatte sich wohl im Frauenhaus nicht schlecht geschlagen – und sie wusste sicher, dass es von ihm abhing ob er sie haben wollte. Er ließ sich ihr gegenüber nieder, nachdem Hekaptah ihm winkte. „Ich darf euch vorstellen. - Meresanch, das ist Meruka, der Leiter der Gruppe.“   Meresanch hob den Kopf und betrachtete den ihr doch Unbekannten, der ein wenig überrascht schien. Wie alt er wohl war? Nicht unter fünfundzwanzig, nicht über dreißig Jahre, schätzte sie. Seine dunklen Augen schienen sie ausforschen zu wollen, und sie senkte erneut den Kopf. Er war kein Schreiber, jedenfalls nicht nur. Er war attraktiv, ohne Zweifel, aber etwas an ihm war angsteinflößend. Sie kannte so etwas eigentlich nur von der verstorbenen Königinmutter oder auch der maat-hor, der Gemahlin des Königs: Dominanz, eine unbewusste Arroganz, die eine Drohung war – und nie ausgesprochen werden musste. Aber was der Siegler ihr da angedeutet hatte, lockte sie: eine selbständige Arbeit, ohne Ehemann, außerhalb des ipet – und dennoch im Auftrag des Herrn der beiden Länder und in allen Ehren. Meruka meinte langsam: „Hekaptah sagte, worum es geht.“ „Ja. Im Auftrag des Horus Dinge herauszufinden, die gewöhnlichen Beamten verborgen bleiben müssen.“ Wie hatte es der Siegler genannt: die Augen und Ohren des Falken. „Dich interessiert diese Arbeit? Es ist ungewöhnlich für ein Mädchen.“ „Ja, zu beidem. - Interessiere ich dich?“ „Dein Wissen scheint dich zu qualifizieren, denn ich vertraue dem Siegler des Königs. Dennoch: eine Prüfung ist unausweichlich, denn bei dieser Arbeit hängt unser aller Leben aneinander.“ „Das verstehe ich.“ Meresanch sah erneut zu Boden. Sie spürte, dass er sie zweifelnd betrachtete. Lebenslange Erfahrung im Umgang mit den Intrigen unter hundert Frauen verschiedenster Herkunft, und auch einiger Männer, hatte sie gelehrt Nichtausgesprochenes zu erraten. Er wusste, wen und was er in seiner Gruppe benötigte – und sie bot ihm das wohl nicht. So erklärte sie: „Eine Prüfung macht nur Sinn, wenn es die Aussicht auf Bestehen gibt. Falls ich nicht das bin, was du benötigst, sage es. Es ist nicht erforderlich mich zu schonen. Im ipet finde ich stets Arbeit.“ Meruka war überrascht. Sie hatte begriffen, dass er sie mit gewissem Widerstand betrachtete – und nahm ihm die Entscheidung ab. War er etwa von der selbstbewusst auftretenden Nefertari so beeinflusst, dass er äußere Schüchternheit für innere Unselbstständigkeit gehalten hatte? Denn letztere konnte er bei ihrer gefährlichen Arbeit nicht brauchen. So erwiderte er, gewohnt an rasche Erklärungen und Entscheidungen: „Du bist im ipet aufgezogen worden und ich vermute, dass das eine sehr gute Ausbildung ist. Dennoch weißt du dadurch sicher wenig über das Leben in kemet, dass der Bauern, Schiffer .... Da wir für unsere Aufträge auch die verschiedensten Rollen spielen, musst du das auch können. Ich werde es dir erklären und dann sehen, wie du dich stellst. Das meinte ich mit Prüfung.“ Meresanch neigte höflich den Kopf. „Ich verstehe, entschuldige.“ „Dann wärst du bereit es zu versuchen?“ „Ja.“ Meresanch nahm sich in diesem Moment vor, so rasch und aufmerksam zu lernen wie in der Schreiberlehre der Palastschule, wo sie sich bemüht hatte, besser als die Jungen zu sein. Schreiberin war eine gute Position im ipet, vor allem, da es nicht so viele davon gab. Natürlich die Königstöchter und -schwestern, aber die waren ja in eben diese Schule gegangen, wie sie auch, und sie wusste dieses Privileg für ein Mädchen durchaus zu schätzen. „Aber, bitte, nenne mich Merit.“ „Gut.“ Hekaptah war angetan, dass dieser Punkt abgehakt schien. „Dann lass uns allein, Merit. Die maat-hor wird vom Herrn der beiden Länder selbst erfahren, dass du eine neue Aufgabe hast, aber sonst niemand. Aber, wenn ein Auftrag des mächtigen Horus kommt, wird die Königsgemahlin dich offiziell fortschicken, auf eine Domäne, oder ähnliches.“ Alleingelassen fügte er hinzu: „Meruka, du solltest deinen Leuten sagen, dass sie sich vorbereiten sollen. Spätestens morgen bereits werde ich euch alle benötigen.“ „Ein Auftrag?“ Meruka zog ein wenig die Brauen zusammen. „Mit Merit?“ „Ich denke.. Es ist sicher hier in Ibenu-hedj, und vermutlich nicht so gefährlich wie euer letzter. Ich warte allerdings noch auf Aktenüberprüfung.“ „Das schätze ich an dir.“ Sie bekamen nie Aufträge, ohne dass alle bürokratischen Dinge bereits überprüft waren. Und sie erhielten stets volle Rückendeckung.     Kapitel 3: Neue Kollegen ------------------------ Meresanch, die sich lieber Merit nennen ließ, beeilte sich sich umzudrehen und zu verneigen als sie ihren Namen hörte. Die Gemahlin des Königs, die maat-hor, betrachtete die junge Frau. „Komm doch einmal mit.“ Natürlich, dachte Merit. Bestimmt wusste sie inzwischen von ihrer neuen Beschäftigung und war neugierig. Begabt damit den wahren Gott im menschlichen König zu sehen, die Frau an seiner Seite zu sein, blieb sie eben doch ein Mensch. Hier in der Haupthalle saßen zu viele Frauen, die schrieben und andere Arbeiten erledigten – und zuhörten. Klatsch und Neuigkeiten verbreiteten sich solcherart nur zu rasch, während das Schlafzimmer der maat-hor nicht nur abseits lag sondern auch durch eine Holztür und einen Vorraum relativ unzugänglich war. Niemand sollte hier zuhören können. Die Königsgemahlin, die sich ihrem vierzigsten Geburtstag näherte, ordnete nachlässig ihren modisch-breiten Halskragen. „Ich war ein wenig überrascht, Merit, dass du mir nichts im Voraus sagtest, als mir der Herr der beiden Länder gestern angab, dass du Sonderaufträge übernehmen sollst.“ Da sie sah, dass das Mädchen antworten wollte: „Nein, spare es dir. Natürlich darfst du nicht reden.Weißt du, wann der Befehl kommt?“ „Das liegt im Belieben des mächtigen Horus. Soweit ich weiß jedoch bald.“ „Tage?“ „Ja.“ Die Ruhe, ja, Gelassenheit, dieser Frau war sicher einer der Gründe, warum der Herr der beiden Länder noch immer gern zu ihr ging, obwohl das Alter und acht Schwangerschaften ihre Spuren hinterlassen hatten. Sechs Söhne hatte sie dem König geboren – nur einer lebte noch, aber zwei Töchter. „Ich wurde angewiesen für dich eine Reise zu einer der Domänen des ipet anzugeben. Sage mir, wenn es soweit ist.“ „Danke.“ „Für den Horusfalken, unter dessen Schutz wir alle leben. - Merit, ich wollte ihn das nicht fragen, aber ich kenne dich seit deinem achten Lebensjahr: wird es gefährlich?“ „Ja, das wurde mir gesagt.“ Die maat-hor fragte nicht weiter. Niemand widersetzte sich dem Befehl des Lebenden Gottes.   Tatsächlich erhielt Merit nur zwei Tage später ein kleines Täfelchen. Die Dienerin, die es ihr brachte, zwinkerte. „Er scheint dich zu mögen.“ Irritiert sah sie auf die wenigen Zeichen. „Komme zum Tor des Gerichtshofes, sobald das Abendessen vorbei ist. Ich warte sehnsüchtig auf dich.“ Das Zeichen dahinter kannte sie nicht, aber es sollte wohl ein mehr als stilisierter Falke sein. Natürlich. Meruka, denn sie bezweifelte nicht, dass das von ihrem neuen Vorgesetzten kam, würde nicht die Hieroglyphe des Horus verwenden. Der Gerichtshof befand sich, wie auch die Büros des tjati direkt am Haupteingang des Palastes, denn viele Leute, Schreiber und einfache Bürger, sprachen dort vor, um Testamente bestätigen zu lassen, Besitzurkunden zu hinterlegen, gerade auch, wenn sie selbst Verwalter oder Stadtvorsteher waren und das für ihre Untergebenen erledigten. Das, was hier lag, galt in alle Ewigkeit.   So war sie pünktlich im nunmehr fast leeren Vorhof und blickte sich um. Meruka war nicht zu entdecken, aber eine junge Frau, die sich ebenfalls suchend umsah, dann auf sie zukam. Sie trug das weiße Kleid fast aller Ägypterinnen, darüber ein buntes Netz geworfen. Nach höfischer Mode waren mehrere Armreifen aus Halbedelsteinen um ihre Unterarme geschlungen und andere zierten die Knöchel. Die schwarzen Haare waren eine Perücke, wie es üblich war, aber an der Stirn konnte man die kurzen, eigenen Haare entdecken. Sie mochte etwas über Zwanzig sein, etwas fülliger, als es das Idealbild einer Frau darstellte. Aber sie war unbestreitbar schön – schöner als ich, dachte Merit unwillkürlich. „Meresanch?“ fragte die Unbekannte nicht unfreundlich. „Meruka bat mich dich zum Treffen zu bringen, da du den Raum nicht kennst. - Ich bin Nefertari, aber nenne mich Nefer.“ Nun ja, er hatte wohl ihnen beiden Gelegenheit geben wollen sich allein kennen zu lernen. Zwei Frauen in einer solchen Gruppe würden das Gefüge verändern. Merit lächelte eilig. „Danke, dann sage du aber Merit.“ Das war ein Test, das war ihr klar. Meruka als Vorgesetzter wusste genau wen er warum wollte – und sie bezweifelte nicht, dass er im Fall der Fälle am ehesten auf sie verzichten würde. „Ein Treffpunkt?“ fragte sie leise. „Ja. Wir haben dort immer Besprechungen. Komm. Gewöhnlich übernachten dort hohe Beamte, die nach Ibenu-hedj kommen, aber durch die Holztür und den Vorraum können wir dort ungestört reden.“ „Du arbeitest auch im Palast“ „Nein, nicht direkt. - Ich bin Wärterin des Apis.“ Der heilige Stier war im Tempel des Ptah mit untergebracht. Merit wusste, dass es dort auch Sängerinnen und Tänzerinnen für das Symbol der Fruchtbarkeit gab, aber sie hatte irgendwie nie mit einem weiblichen Wärter gerechnet. Nun, vielleicht war das auch nur ein Titel, so, wie sie selbst auf eine Domäne reisen sollte, um die Tarnung zu wahren. Falls sie nicht bestand, aber das fragte sie sich wohl etwas spät, wie weit würde die Gruppe, oder der Siegler des Königs gehen, um sie zum Schweigen zu bringen? Irgendwie überlief sie ein Schauder. So meinte sie nur: „Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus.“ „Das hoffe ich auch.“ Nun gut, die Kleine … nein, da sollte sie sich vor hüten, denn Meresanch war nur fünf Jahre jünger als sie selbst, schien nett zu sein, aber Nefer war lebenserfahren genug um dem ersten Anschein nicht zu trauen. „Oh. Da war jemand neugierig.“ Merit folgte ihrem Blick. Der Mann der an der Lehmziegelwand lehnte, sich aber nun aufrichtete, mochte Anfang bis Mitte Zwanzig sein. Er trug den Schurz aller ägyptischen Männer, aber der Feuersteindolch in seinem Gürtel zeigte ebenso wie die Lanze, dass er zu den „Getreuen“ des Königs zählte, den Wachen des Palastes und Leibgarde, falls sich der Lebende Gott ins Feld begab, um lästige Sandleute für Übergriffe zu züchtigen. Er war größer als sie, aber fast ebenso schmal für einen Mann wie sie es als Frau war. Dabei musste er doch mit Waffen umgehen können? Nefer übernahm die Vorstellung. „Merit, das ist Ptahnacht. Unser Krieger, sozusagen.“ „Angenehm.“ Ptahnacht lächelte etwas. Er war überzeugt davon mit jedem Neuen auskommen zu können, wäre er nur weiblich. So hielt er es für wichtiger, wenn sich die beiden Frauen verstanden. Feindinnen konnten eine Menge anrichten. „Kommt mal lieber schnell, das Essen dürfte vorbei sein.“ Die Mahlzeiten im Palast wurden stets gemeinsam eingenommen, aus den Vorräten des Herrn der beiden Länder. Merit wunderte sich ein wenig, dass sie so nett zu einer ihnen Unbekannten waren, schließlich hatte es geheißen, diese Arbeit sei gefährlich und streng geheim. So erkundigte sie sich leise bei Nefer. Diese nickte – und sah plötzlich anders aus, keine liebenswürdige Frau, sondern eher wohl das, als was sie arbeitete. „Da hast du vollkommen Recht. Aber der semer sprach für dich und wir vertrauen ihm.“ Semer? Das war einer der niedrigsten Hofränge. Freund. Steigerungen waren dann Freund des Hauses oder gar Einziger Freund. Und „Semer“ gab es so einige. „Danke“, murmelte sie unsicher. Nefer lächelte ihr wieder zu, da Ptahnacht dies auch tat. Er meinte: „Lass dich nicht einschüchtern. Meruka hätte dich trotz aller Empfehlungen des semer nicht genommen, wenn er nicht was in dir sieht. Und glaub mir, er ist unser Genie.“ Er öffnete eine hölzerne Tür, die zu einem winzigen Vorraum führte, direkt in der Wand des Traktes der tjati-Büros. Dahinter befand sich eine zweite Tür. „Bitte sehr.“ Merit folgte in ein Zimmer, das offenbar wirklich als Gästezimmer gedacht war. Ein hölzernes Bett, eine Truhe, wurden von einigen Öllämpchen beleuchtet. Fünf Hocker standen dort und auf einem saß Meruka, der aufsah. „Gut,“ meinte er nur. „Rahotep kommt wohl auch gleich.“ Er deutete auf die zusammengebundenen Papyrusrollen neben sich. „Merit, die maat-hor weiß Bescheid?“ „Ja, sie sprach mit mir heute.“ Sie setzte sich zwischen ihn und Nefer, doch verunsichert über ihre neue Rolle. In der Theorie hatte es nach einem Abenteuer geklungen, aber das war wohl doch mehr als das. Ptahnacht ließ seine Lanze neben sich zu Boden gleiten, griff aber fast unverzüglich nach seinem Dolch, da die Außentür erneut geöffnet wurde. „Guten Abend,“ sagte ein Mann. Merit hörte, dass ein Riegel vorgelegt wurde, dann kam der Neuankömmling herein. Auch ohne die obligatorische Tasche hätte sie einen ausgebildeten Arzt erkannt: um seinen Hals lag eine Kette mit der Skorpiongöttin Selket und einem Zeichen, das sie erst auf den zweiten Blick als Standarte der Göttin Neith aus Sau im Delta erkannte, Göttin des Krieges und der Heilkunst. Das war also Rahotep und sie meinte sich mit ihm an einen der Assistenten zu erinnern, die um die schwerkranke Königsmutter gestanden hatte. Er mochte wohl ebenso Mitte Zwanzig sein, aber in dem Halbdunkel des Raumes war das schwer zu erkennen. Er nickte ihr zu, als er sich setzte. „Merit, nehme ich an? Ich glaube, wir kennen uns.“ „Ja.“ Sie sah lieber fragend zu dem Missionsleiter. Meruka griff zu den Papyri neben sich und öffnete eine, seine, Zusammenfassung. „Wir haben einen neuen Auftrag, hier in Ibenu-hedj. Eigentümlich, aber wohl nicht sonderlich gefährlich. Wobei man nie sicher sein darf. - Chnummose, einer der Zehn Großen, meldete einen seiner Schreiber, einen gewissen Menmire, als vermisst, direkt beim tjati, was er natürlich darf. Der junge Mann war neunzehn Jahre, ein aufstrebender Schreiber, der soeben Verwalter des Totengutes von Chnummose geworden war. Er kam mit einem Schiff, das die Steuer zu einem Teil beförderte. Der sab-Beamte, der die Ermittlungen übernahm, konnte bestätigen, dass Menmire und der Kapitän die Lasten im Warenhaus im Hafen abliefern ließen, mit der Bestätigung zu der Verwaltung der Doppelscheune gingen, und dort die Quittung erhielten. Dann trennten sie sich, wobei der Kapitän zum Hafen zurückkehrte und dort mit seinen Leuten in einer Herberge übernachtete. Da Menmire nicht mehr auftauchte, wartete der Kapitän zwei Tage, ehe er nach Nechen zurückkehrte, um seinem Herrn Meldung zu machen. Die Ermittlung ergab ebenso, dass kein Toter gefunden wurde, die Hofärzte von nichts wussten. Menmire ist verschwunden. Die Steuern wurden überprüft, alles lief korrekt. Der semer ...“   Jetzt wurde Merit klar, dass es sich dabei um den Siegler des Königs handelte. Aber ja, es gab nur einen Siegler aber hundert semers. Vorsicht war also geboten. Sie würde viel lernen müssen.   „Der semer fand das eigen, war wohl aber noch immer geneigt an einen Unfall oder sonst etwas zu glauben, als er von Anchnefer hörte, dass der Büroleiter des tjati noch einen weiteren Fall eines Verschwundenen bearbeitet hatte. Vier Monate zuvor verschwand ebenfalls ein junger Domänenvorsteher aus Sau, der offenbar Wein aus dem Delta ablieferte. Wie auch Menmire war Sennefer neunzehn, gerade ernannt und beide waren nie zuvor in Ibenu-hedj. Bei Beiden war ein erfahrener Kapitän, der ihnen auch die Wege zeigen sollte. Beide trennten sich von ihrem Begleiter und wurden nie wieder gesehen. Beiden wurde viel für die Zukunft zugetraut. - Im Moment wird noch immer im Archiv gesucht, ob es weitere Fälle gab, aber diese zwei, durch vier Monate getrennt, scheinen bislang die Einzigen zu sein. Das Problem ist, dass es auch nur die Einzigen sein könnten, die bis an das Büro des tjati gelangt sind. Und, dass zwei Männer spurlos in der Stadt verschwunden sind. Wir sollen herausfinden, was geschehen ist.“ „Womöglich nutzten sie die Gelegenheit die Stadt anzusehen,“ schlug Nefer vor. „Und sie gerieten in Streit, wurden erschlagen und derjenige geriet in Panik und verbarg die Toten.“ „Oder sie gingen in die westliche Wüste?“ Ptahnacht sah zu seinem Vorgesetzten. „Weder von Sau noch von Nechen aus kommt man so gut zu den Oasen. Und dort hat unsere Verwaltung momentan nicht gerade viel zu sagen. Falls sie Unterschlagungen begangen haben, oder ähnliches, wären sie dort sicherer als in Sau oder Nechen.“ „Es ist ja nicht gesagt, dass beide Fälle miteinander zu tun haben“, meinte Rahotep. „Sau und Nechen liegen auseinander. Wobei – du sagtest, beide waren noch nie in Ibenu-hedj? Aber als Domänenverwalter müssten sie Lesen und Schreiben können.“ „Da hast du Recht.“ Meruka sah noch einmal nach. „Sie waren beide nie in dieser Stadt, aber das liegt daran, dass sie in der doch recht neuen Schreiberschule am Tempel des Re in Iunu ausgebildet wurden. Sie sind aus keiner hohen Beamtenfamilie und diese Schule hat der mächtige Horus eröffnen lassen, damit sein tjati mehr Nachwuchs an Beamten bekommt. Dorthin gehen Jungs von einfacheren Leuten, auch Bauernsöhne die durch Verstand auffielen. In Iunu ist auch die Bauleitung stationiert, so können ebenso Schreiber weiter zu Architekten ausgebildet werden.“ „Hm. Einfache Leute, die es schon in ihren Jahren zu Domänenvorstehern schafften.“ Nefer blickte rasch zu ihrer Nachbarin, fuhr jedoch fort: „Sie haben eine glänzende Karriere vor sich. Wieso sollten sie sie freiwillig im Stich lassen?“ „Das werden wir herausbringen.“ Meruka sah kurz in die Runde. „Ptahnacht, Nefer, ihr beide geht morgen zum Königssee, zum Nordhafen. Dort hat das Schiff aus Sau angelegt und ausgeladen. Von dort aus geht ihr den Weg, den der Kapitän und Sennefer genommen haben. Achtet auf eurem Weg zur Verwaltung der Doppelscheune auf alles, was einem jungen Mann interessieren könnte, der das erste Mal in einer so großen Stadt ist. - Merit und ich werden das Gleiche vom Haupthafen im Süden aus tun, wo Menmire ankam. Wir treffen uns dann an der Verwaltung. Dort ist auch ein Markt, so dass wir nicht auffallen sollten. - Rahotep, höre dich doch noch einmal in der Ärzteschaft um. Es gab keine Toten, die gefunden wurden und fremd in der Stadt waren.“ „Nicht schwer Leichen verschwinden zu lassen,“ erwiderte Ptahnacht prompt. „Der Fluss ist tief und spätestens im Delta erledigt sich alles im Dickicht der Papyrussümpfe, bis sich die … nun ja, Sobeks Freunde darum kümmern.“ Merit schluckte, aber sie vermutete, dass sie damit nun einfach zurecht kommen musste. So fragte sie nur mühsam: „Was soll ich für diesen Weg zum Hafen anziehen?“ Der Missionsleiter schenkte ihr einen wohlwollenden Blick. Hatte er sie doch richtig eingeschätzt. „Nefer wird es dir sagen. Sie kümmert sich stets um unsere passende Garderobe oder Schmuck. Jedenfalls keine höfische Kleidung.“ „Ich begleite dich zum ipet, dabei erzähle ich es dir.“ Nefer folgte der Hierarchie. Überdies hatte sie doch etwas das Gefühl, dass sich die junge Frau aus dem Palast nicht heraushängen lassen würde, dass sie Schreiberin war – weder sie, Nefer, noch Ptahnacht hatten das je gelernt, wie die allermeisten Menschen in kemet.   So trug Merit, als sie am Morgen aus einem Nebenportal des Palastes auf eine schmale Straße trat, auf der Frauen und Männer allerlei Waren in und aus dem Königshaus trugen, ein weißes, bodenlanges Gewand, wie es von der Königin bis zur Bäuerin jede Frau tragen konnte. Nur das feinere Leinen mochte für ein geübtes Auge noch verräterisch auf Reichtum oder eher Beziehungen zum König deuten. Gewöhnlich hätte sie freilich noch ein Netz mit Perlen darüber geworfen, sei es aus Muscheln oder Halbedelsteinen, auf Nefers Rat hin davon jedoch Abstand genommen. Ebenso verzichtete sie auf ihre goldene Kette, die sie innerhalb des ipet und des Palastes stets mit Stolz trug, da sie ein Geschenk der verstorbenen Königinmutter war. Allerdings war an dem Geier und dem Falken auf dem Medaillon nur zu deutlich zu sehen, dass es eben „Königinmutter“ hieß. An ihren Unterarmen lag jetzt jeweils nur eines ihrer Armbänder und auch nur eines um die Fußknöchel. Sie lächelte, als sie ihren Vorgesetzten erblickte, der im Schatten eines Vorsprungs der Palastmauer wartete. Auch er trug nur den weißen Schurz aller Ägypter, kein Schmuck verriet ihn und auch die Perücke hätten hunderte anderer Männer tragen können. Selbst seine Augenschminke war anders. Wo ein Höfling zerriebenes Malachit tragen konnte, war sein Lidschatten nun aus mit Ruß gefärbtem Ocker. Ohne auszugehen wäre natürlich für Männer und Frauen undenkbar gewesen, gleich welchen Standes. Das brachte nur Unglück. „Guten Morgen“, sagte sie höflich. „Guten Morgen. Dann komm. Ich vermute einmal, du bist selten so durch die Stadt gegangen?“ erkundigte er sich leise. „Ja. Nun ja, eigentlich nie. Entweder ich war noch ein Kind oder schon im Dienst. Gewöhnlich nur mit … mit meiner Herrin.“ Königsmutter sollte sie dann wohl auch nicht sagen. Ein rasches Lächeln Merukas galt ihr. Sie war vorsichtig. „Sehr gut,“ lobte er daher auch. „Wir kommen jetzt gleich auf einen Marktplatz, wo Leute auch von außerhalb der Stadt ihre Überschüsse anbieten. Dann geht es weiter, am Tempel des Ptah vorbei. Den kennst du sicher.“ „Ja, natürlich.“ Sie war im Gefolge der Königinmutter dort schon gewesen bei Zeremonien. Natürlich nicht im Allerheiligsten, das dem Horus und dem höchsten Priester als seinem Stellvertreter vorbehalten war. Aber sie hatte, wie jeder Einwohner von Ibenu-hedj, bei dem Lauf des Apis und des Horus um die Mauern zur Sicherung der Fruchtbarkeit des Landes teilgenommen.oder war auch, mit Knoblauch bekränzt, der Prozession zu Ehren des Sokar gefolgt. So ergänzte sie nur: „Als der mächtige Horus vor acht Jahren dort den Schrein der Sachmet eröffnete, war ich sogar im Innenhof.“ „Sehr schön.“ Meruka bog auf den großen Platz vor dem Palast, wo sich Wartende für die Büros drängten. „Dort links ist die Mauer zu dem Viertel der Goldschmiede und Gießer. Weißt du, warum die Mauer dort ist?“ „Es ist wertvoll? Schutz vor Dieben?“ „Auch dieses. Aber Gießer arbeiten mit Feuer. Die Lehmziegel dort sind fast zwei Meter dick. Sie sollen verhindern, dass bei einem Unglück die gesamte Stadt in Mitleidenschaft gezogen wird. - Dort ist das Haus des Ptah. Wir gehen weiter nach Süden. Der große Hafen liegt dort.“ „Wie lange gehen wir?“ „Gut zwanzig Minuten. - Im Augenblick brauchst du auf nichts zu achten, erst auf dem Rückweg.“ Merit nickte und beobachtete dann auch mit gewisser Erheiterung einen Mann, sicher den Marktaufseher, mit einem Affen an der Leine, der seinerseits offensichtlich gern einige Datteln aus einem Korb gestohlen hätte. Stöcke wurden hier feil gehalten, Sandalen, Stoffe. Andere Leute bummelten durch, mit Säcken in der Hand, um ihrerseits Dinge zum Tausch anzubieten. Jetzt, nach der Ernte, gab es auch Getreide, Öle aller Arten. Was nicht für die Steuer oder dem Selbstverbrauch diente, wurde in den Städten und Dörfern getauscht.   Je weiter sie aus dem Stadtzentrum kamen, umso schmaler wurden die Seitengassen, damit Schatten und Kühle spendend. Nur die Straße, der sie folgten, blieb breiter, schon, um schwer beladene Esel durchgehen zu lassen. Hohe Mauern grenzten die Wohnsitze der Beamten ab, aber selbst die einfacheren Häuser hatten nur schmale Fensterschlitze oben, Belüftungskamine auf dem Dach. Die Hitze des Sommers wurde auf diese Art draußen gehalten, und im Winter, der doch kühl war, die Wärme des Herdes drinnen. Die Lautstärke, die sie durchaus kannte, schien ihr immer zuzunehmen. Meruka schob sie beiseite, damit sie eine Eselskarawane vorbeilassen konnten. Natürlich, dachte Merit zerknirscht. Sie durfte nicht vergessen, dass sie hier nicht im Gefolge der Königinmutter ging, der Männer mit Stöcken den Weg frei machten. Hier galten andere Regeln. Um ihren Fehler wieder gut zu machen, erkundigte sie sich: „Eine Karawane aus der westlichen Wüste? Von den Oasen?“ „Ja, denke ich. Waren werden gewöhnlich auf dem Fluss gebracht, außer aus den Wüsten.“ Er sah voraus. „Gut. Gleich erreichen wir den Hafen. Warte etwas, dann sage mir, was du dort sehen würdest, wenn du ankommst und noch nie diese Stadt gesehen hast.“   Kapitel 4: Abtasten ------------------- Merit war nur selten an dem Haupthafen gewesen, und wenn, dann im Gefolge des Königs, wenn alle Wege frei von Menschen gehalten wurden und nur die königlichen Schiffe dort lagen. Darum sah sie jetzt ein wenig erstaunt auf die dicht an dicht an den Kaimauern liegenden hölzernen Schiffe, die mit Krügen der verschiedensten Größen, Körben und Säcken beladen wurden. Die Dinge wurden aus den nur wenig entfernt liegenden Speicherhäusern und Stapelplätzen geholt. Meruka hatte ihre Überraschung bemerkt. „Ja, sehr viele Menschen, nicht wahr?“ „Äh, ja, ich wundere mich nur gerade. Die Schiffe werden beladen?“ „Ja, es ist vormittags, sie werden bald ablegen und bis Sonnenuntergang fahren.“ Er verstand nicht. „Ich meine, ich dachte, die Steuern werden hierher gebracht um im Schatzhaus oder den Speichern de mächtigen Horus zu landen?“ „Ja, das passierte gestern Abend. Da wurden sie nach ihrer Ankunft hier ausgeladen. Jetzt werden die Dinge umverteilt, denn kein Schiff fährt leer. - Was meinst du?“ Natürlich, dachte sie, etwas ärgerlich über sich selbst. Die Domänen und Orte lieferten die Steuern an den Herrn der beiden Länder, aber dieser gab auch einiges zurück an sie: so gelangte der Wein vom Delta auch tief in den Süden, Weihrauch in jeden Tempel und Fisch, wenngleich getrocknet, bis in die Oasen. Die Hand des mächtigen Horus verteilte die Ernten. Um ihren Denkfehler nicht zuzugeben, war sie hastig eine andere Erklärung aus, nachdem sie sich rasch umgesehen hatte. Aber sie standen an einer Hauswand. „Äh, wenn jemand vermisst würde, suchen sie ihn doch jetzt schon, oder?“ „Ja. Aber die jeweiligen Kapitäne warteten eben nur, sie vernachlässigten nicht ihre Pflichten. Hm. Du meinst, das müsste jemand wissen, und ging das Risiko ein bereits jetzt gesucht zu werden? Möglich. Das würde aber voraussetzen ...Moment.“ Meruka dachte nach. Eine seiner Eigenschaften, die ihn zu einem guten Anführer und sehr erfolgreichen Ermittler machte, war, dass er stets andere Meinungen anhörte und berücksichtigte. Natürlich ohne je zu vergessen, wer das Sagen hatte. Die Nachforschungen des Büros des tjati hatten ergeben, dass sich die Kapitäne nach den bürokratischen Erledigungen von den vermissten Domänenvorstehern getrennt hatten. Sie waren zu ihren Leuten hier am Hafen zurückgekehrt und hatten dort hinten in den Herbergen des Hafens gegessen und geschlafen. Die Beamten waren in eine andere Herberge gegangen und hatten dort genächtigt. Das war überprüft worden, ebenso, dass sie wieder abgereist waren. Irgendetwas musste zwischen dort und dem Hafen passiert sein. Nur, was und wie? Merit hatte Recht. Jeder, der sie auch nur entführen wollte, oder gar Ärgeres plante, musste doch annehmen, dass ihr Fehlen bald auffallen würde, ja, sie gesucht werden würden. Kannte der Entführer den Ablauf nicht? Oder hatte er nicht gewusst, dass sie mit einem Schiff gekommen waren? Oder war genau das der Denkfehler der sab-Beamten gewesen und er war ihnen darin gefolgt? Denn die jungen Domänenvorsteher WAREN zwar vermisst worden – aber das Schiff hatte nur gewartet, ja, keiner der Kapitäne hatte eine Eigeninitiative ergriffen, gar seine Männer losgeschickt, geschweige denn die Hafenbehörden oder die Stadtverwaltung informiert. Kurz, wusste der Entführer, dass eben nichts passieren würde, da die Schiffer nur ihre Pflicht taten und nicht mehr? Wie viele Domänenvorsteher gab es, die noch so verschwunden waren, und die nur noch nicht bis an die höchsten Stellen gemeldet worden waren? Er sah zu seiner Begleiterin. „Ja, ich muss nachdenken. - Gehen wir zurück. Und erzähle mir mal, woran man einen Domänenvorsteher erkennt. Es gibt genug Beamte hier in Ibenu-hedj. Warum diese Beiden?“ „Nun ja, sie waren neu hier, vielleicht unsicher und fragten nach dem Weg?“ schlug Merit vor, die keine Ahnung hatte, was er wollte. „Möglich, ja, Weiter.“ „Sie nahmen eine Abkürzung, die … schlecht war?“ Sie wusste nicht so genau was in den Gassen der Stadt geschehen konnte, war jedoch immer gewarnt worden sich dort herum zu treiben. „Das Eine schließt das Andere nicht aus.“ Meruka nahm ihre Hand und spürte ihr instinktives Zusammenzucken, hütete sich jedoch sein Amüsement zu zeigen. Sie kam aus einer anderen Welt. „Bleib nahe bei mir. Dort kommen Lastenträger“ Und so breit war die Straße auch wieder nicht. In den Seitengassen kamen kaum zwei Menschen aneinander vorbei, aber auf diese Weise blieben sie selbst jetzt im Hochsommer schattig. „Überdies: so hält man uns für verheiratet. Da musst du dich dran gewöhnen.“ „Ja.“ Immerhin war das ungewohnt, aber nicht weiter tragisch, beruhigte sie sich. So erkundigte sie sich nur: „Ich sehe dich und die anderen Männer gerade an – das ist doch die einfache Kleidung … also, auch von einfachen Schreibern oder einfachen Beamten,“ versuchte sie zu verdeutlichen, was sie meinte. „Ja. Ah, du meinst, kaum Schmuck. Domänenverwalter tragen sicher welchen, ja. Aber es gäbe auch höhere Beamte, die mehr als nur Kupfer tragen.“ Ja, aber die schritten kaum allein durch die Stadt. Da waren dann ihre eigenen Schreiber dabei, Träger oder sonst wer. War genau das der Grund für diese beiden Opfer – reich genug, um doch bemerkt zu werden, aber allein? Und bestimmt unerfahren? „Sieh dich um“, forderte er sie auf. „Was würde dir auffallen in dieser Stadt?“ „Die vielen Menschen. Sie fallen mir jetzt schon auf, weil ich so noch nie durch eine Stadt ging, so … direkt.“ „Nun, sie waren wohl in der Schule in Iunu. Das ist auch eine Stadt. Allerdings deutlich kleiner.“ Die Residenzstadt war die größte Stadt des gesamten Landes – und es gab nicht all zu viele Städte. Die meisten Menschen lebten in den Dörfern und Domänen, die sich wie Perlen entlang des Flusses im Fruchtland aufreihten, dahinter lag bereits die Wüste. „Ja, ich weiß.“ Sie lächelte ihn rasch an. „Sieh nicht auf dieses Mädchen herab, Meruka. Früher, ehe die Seuche vor zehn Jahren so viel Unheil anrichtete und auch meine Eltern tötete, lebte ich bei ihnen. Und mein Vater besaß sowohl Land in Ober- als auch in Unterägypten. Wir reisten immer, nach Ibenu-hedj oder nach Hause nach Per-Bastet.“ Er entsann sich eilig an das, was ihm der semer über sie erzählt hatte. „Entschuldige. - Dein Vater war ein hoher Beamter, oder? Besaß er das Land als Amtsbesitz oder privat?“ „Sowohl als auch.“ „Dann hast du jetzt auch Güter?“ Sie war die einzige Überlebende der Familie gewesen, seit die Boten der Sachmet das Land mit schwerer Krankheit geschlagen hatten. Auch, und gerade, in Ibenu-hedj waren viele Menschen der Seuche zum Opfer gefallen, darunter sein Vater und viele, die er kannte. Nicht einmal die königliche Familie war nicht verschont geblieben. Erst, als der lebende Horus der erzürnten Göttin einen Schrein im Haus des Ptah errichtet hatte, war die Krankheit verschwunden. „Nein.“ Merit lächelte etwas, ehe sie leise meinte: „Ich habe es verkauft. Nun ja, was hätte ich als achtjähriges Kind auch verwalten sollen. Der mächtige Horus gab mir dafür einen Vertrag, dass ich bis an mein Lebensende wie ein Mitglied seiner Familie versorgt würde, und überschrieb mir auch eine Totenstiftung.“ Dann hatte es sich sicher kaum um nur eine Arure Land gehandelt. Ahja. Meruka entsann sich jetzt, wenngleich etwas spät, dass ihr Vater ein Milchbruder des Herrn der beiden Länder gewesen war – und der sich darum wohl der verwaisten Tochter seines Freundes angenommen hatte. Das erklärte im Endergebnis ihre Ausbildung nochmals. Sie wurde wie ein Mitglied der königlichen Familie behandelt – wenngleich natürlich eines niederen Ranges, da kein göttliches Blut in ihren Adern floss. Im Hofrang stand sie damit weit über ihm. Das konnte noch Probleme geben, wenngleich sie sich dessen nicht bewusst schien.   Ptahnacht und Nefer waren am folgenden Morgen zum Königssee gegangen, der vor Jahrzehnten durch einen Kanal mit dem Nil gebaut worden war, um oben auf dem Wüstenplateau die Stufenpyramiden der damaligen Herrscher bauen zu können. Heute wurde das Dorf der Arbeiter am westlichen Ufer noch immer mit Ziegeln und Grabbeigaben versorgt, das dann in den Gräber der hohen Beamten Verwendung fand. Der jetzige Horus auf dem Thron der Lebenden hatte sich sein Pyramidenfeld etwas weiter im Norden gesucht, wo nun sein Denkmal errichtet wurde. Wie es üblich war, entstanden dort auch viele Gräber seiner Beamten – nun, von hier bis dort, denn die Sichtweite war gewahrt worden, zumal doch einige bereits unter seinem Vater hier ihre Wohnungen für die Ewigkeit zugewiesen bekommen hatten. Nefer seufzte ein wenig. „Ich weiß, dass Meruka sie wohl ausbilden will.“ „Sag nicht, du bist eifersüchtig, weil er mit ihr geht und du mit mir vorlieb nehmen musst.“ „So würde ich das nicht sagen.“ Sie lächelte rasch. „Entschuldige.“ „Macht dir eine zweite Frau so viel aus? Dann solltest du mit ihm reden.“ „Nein, es liegt an mir. Es ist ungewohnt, ja, aber du weißt ja, woher ich komme. Und dann ausgerechnet sie ...“ „Ich kann auch nicht lesen und schreiben, aber das macht nichts, wir haben eben unsere anderen Fähigkeiten.“ „Ach, das ... das ist die Dreingabe. Ich glaube, als ich sie gestern in den ipet begleitete, wurde es mir so richtig bewusst. Es war nicht nur, dass sie da lebt und bisher gearbeitet hat – ich kenne keine Dienerinnen, die sich vor mir verneigen, oder eine Königstochter, die vorbeikommt und: Schwester sagt.“ Ptahnacht berührte leicht ihren Arm. „Ach du je. Ich habe nur gehört, dass sie die Schreiberin der Königinmutter war, vielleicht kommt das daher? Ich meine, sie hat sich für uns entschieden, vielleicht gefällt ihr das nicht so ganz da drin? Übrigens, ich sage zu dir auch Schwester. Das ist einfach eine nette, sehr freundliche, Anrede für Leute, die einem nahe stehen. Oder einem das Leben gerettet haben.“ Er grinste, als er sich dieser Aktion erinnerte. Sie hatte da einiges riskiert um ihn aus der Klemme zu holen. Nefer holte tief Atem, ehe sie das Lächeln zurück gab. „Ja, natürlich. Sag nur nichts unserem verehrten Vorgesetzten davon, dass ich mich so anstelle. Er würde ja denken, ich hätte meine nüchterne Überlegung verloren.“ „Keine Sorge, Schwester. Ich schweige wie ein Grab. - Apropos. Wir gehen jetzt schon geraume Zeit zurück. Was, bitte, soll uns hier auffallen?“ „Nichts. Es ist aber der Weg den alle gehen.“ Sie war froh, das Gespräch wieder in sachlichen Bahnen zu haben. „Aber genau das ist es vielleicht. Du kennst unsere Aufgabe.“ „Ja. Aber, soweit ich sehe, ist hier nichts, was ungewöhnlich zu nennen wäre.“ „Vielleicht auch nur heute nicht. Oder zumindest nur heute morgen. Die Schiffe legen ja am Nachmittag an.“ Ptahnacht zog ein wenig die Augen zusammen, ehe er meinte: „Natürlich. Und womöglich war es auch genau zielgerichtet auf unsere zwei Unglücksraben. Wir werden sehen. Meruka ist unser Genie und wozu hat man solche Leute.“   Auf dem Platz vor den Büros der Schreiber der Doppelscheunen und des Schatzhauses herrschte lebhaftes Treiben, da noch einige Leute darauf warteten vorgelassen zu werden, andere gingen, manche nur zufällig auf ihren Wegen vorbeikamen. Im Schatten eines gegenüberliegenden Hauses entdeckte Ptahnacht seinen Vorgesetzten und die neue Kollegin und stupste seine Partnerin an, die ihm eilig folgte, nicht überrascht, dass er bemerkte, was sie nicht hatte. Er war in solchen Dingen der Gründlichste der Gruppe – was er übersah, hätten alle übersehen. „Nichts?“ fragte Meruka auch nur, nicht enttäuscht. Das Wichtigste bei solchen Aufträgen waren Erfindungsreichtum und viel Geduld. „Nichts“, bestätigte Nefer. „Bei euch auch nicht.“ „Nein, aber ich habe auch nicht viel erwartet. Eine Falle sollte nicht zu einladend sein. - Gehen wir in den Palast um uns zu besprechen.“ Es war zwar nicht davon auszugehen, dass sich Leute allzu sehr für ein Gespräch zweier Ehepaare interessierten, aber es war besser vorsichtig zu sein, das wusste er nach Jahren in dieser Branche.   So fuhr der Leiter erst fort, als sie zu fünf in dem Gästezimmer neben dem tjati-Trakt saßen: „Schön, dass du so rasch gekommen bist, Rahotep.“ Der Arzt hatte war von einem Diener unter einem Vorwand hergeholt worden und sah jetzt von Einem zum Anderen. „Nichts,“ schloss er. „Nun ja.“ Meruka schloss kurz die Augen. „Wir wissen, dass die Aussagen aller durch die jeweiligen Ermittler überprüft wurden. Wir wissen, dass beide Vermissten am Abend sich von dem Kapitän trennten und zu der Beamtenherberge gingen. Wir wissen, dass gesagt wurde, sie seien dort abgereist, weil das so in den Büchern steht. Aber niemand hat sie seither gesehen. Ich halte diese Herberge für einen Ansatzpunkt, den man genauer überprüfen sollte. Ich werde mir die Unterlagen über die Familie, die sie betreibt, ansehen. Sie arbeitet im Auftrag des Königs, also gibt es da etwas. - Rahotep, du bist ein reicher, junger, Mann aus dem Delta, der wegen des Testamentes seines Vaters einen wichtigen Termin im Büro des tjati hat und deswegen vor Aufregung und Neugier fast platzt. Du gehst in diese Herberge und gibst … man müsste sehen, was sie verlangen, wenn jemand so kommt, aber hochwertiges, parfümiertes, Öl sollte sich gut transportieren lassen. Den Papyrus mit dem Termin bekommst du noch, Merit spielt deine Ehefrau. Ihr geht in diese Herberge und seht euch einfach nur um, ob irgendetwas Auffälliges dort ist. Und seien es auch nur Männer, die dort sitzen und keine Beamten oder Landbesitzer sind. Am folgenden Tag, nach der angeblichen Audienz, reist ihr wieder ab. - Merit kann das nicht wissen, aber Rahotep, du wirst auf Verfolger achten. Ptahnacht wird euch ebenfalls überwachen, zur Sicherheit.“ „Du glaubst, in der Herberge stimmt etwas nicht?“ fragte Merit prompt, etwas unangenehm überrascht, dass sie eine Rolle spielen sollte, noch dazu mit einem ihr vollkommen Unbekannten. Und zu allem Überfluss als Ehemann. Andererseits war sie nüchtern genug, um zu wissen, dass man ihr Unannehmlichkeiten bei dieser Art Arbeit vorhergesagt hatte. „Ja.“ Ihr Vorgesetzter hätte um ein Haar vergessen, dass sie Neuling war, und ergänzte, um seinen scharfen Ton etwas zu kaschieren: „Du kannst wohl so bleiben, wie du heute angezogen warst. - Trefft euch am Besten morgen Vormittag am Brunnen des ipet, im Hof der Webereien.“ Dort würde weder ein Arzt noch Merit auffallen. Allerdings würde die Arzttasche rasch verschwinden und auch die Amulette der Selket und der Neith, ersetzt durch andere aus dem Delta. „Nach dem Frühstück,“ ergänzte Rahotep. „Das nehme ich mit den anderen Ärzten ein. „Du wirst es ja auch gemeinsam bekommen, oder, Merit?“ „Ja.“ Sie erkannte das Bemühen an sie einzuweisen. „Danke. Soll ich noch etwas mitnehmen? Einen Reisebeutel oder ähnliches? Wenn wir aus dem Delta kommen, würde ich doch immer ein Ersatzkleid dabei haben.“ Sie blickte fragend zu der anderen Frau der Gruppe. „Da hast du Recht.“ Nefer klang überrascht, da sie eigentlich weder mit brauchbaren Ideen der Neuen noch mit deren Unterordnung unter ihr eigenes Fachwissen gerechnet hatte. „Ja, und auch ein Armband mehr als heute. Aber ja nicht deinen Ehrengoldhalsschmuck.“ Meruka nickte nur, angetan, dass dieses Mädchen mitdachte. Diese Rolle sollte sie einfach spielen können, weder Sprache noch Bewegungen mussten sich verändern. Das würde er ihr erst zumuten, wenn sie mehr Erfahrung hätte in diesem Spiel. Er hatte mit Anchka erst einen Mitarbeiter verloren, wenngleich nur schwer verletzt, aber er hätte gern, dass es dabei bliebe. „Gut. - Nefer, geh dann nach Hause und bleibe in deinem gewöhnlichen Leben. Womöglich, wenn tatsächlich etwas in der Herberge nicht stimmen sollte, brauche ich dich da. - Dann sehen wir uns übermorgen Vormittag wieder hier. - Raotep, Anchnefer wird dir den Brief aus dem Büro des tjati bringen, oder bringen lassen.“ Einer der Vorteile, die sie besaßen war, dass ihre bürokratischen Briefe, Siegel und anderes, stets nicht nur echt aussahen - sondern es waren. Anchnefer, der Büroleiter des tjati, war da Gold wert.   So wartete Merit nach dem Frühstück in der gewünschten Kleidung am Brunnen des ipet. Dieser lag in dem großen Hof, auf dessen einer Seite sich der eigentliche Palastteil der königlichen Frauen und Kinder befand, auf dessen anderer Seite einige Werkstätten und vor allem die herausragenden Webereien lagen. Das Wasser wurde stets von hier geholt. Sie sah zu dem Tor, das zu dem anderen großen Hof des Palastes führte, in dem Handwerker, wie Drechsler, Schneider und auch Bildhauer nur für den mächtigen Horus arbeiteten. Jeder Beamte besaß solch einen Hof. Handwerker wurden schon in der Berufsbezeichnung unterschieden, ob sie Handwerker des Königs, eines Tempels oder eines Beamten waren. Nur in einer so großen Stadt wie Ibenu-hedj und vielleicht einigen anderen, genau wusste es Merit nicht, gab es auch andere Handwerker, die sich selbst Aufträge suchen mussten. Da sie auf das große Tor achtete, hätte sie fast übersehen, dass sich auf der linken Seite ein weitaus kleineres öffnete, das in die Palastgärten, und hier logischerweise dem des daran angrenzenden ipet führte. Natürlich war dieser Weg kürzer und ebenso natürlich hatte ein Hofarzt da Zutritt. Hastig lächelte sie, um Rahotep nicht merken zu lassen, dass sie nicht mitgedacht hatte. „Guten Morgen.“ Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass auf seiner Brust heute nicht die Amulette seiner Schutzgöttinnen lagen, sondern gewöhnlicher Schmuck, wie ihn eben jeder wohlhabende Mann trug. „Guten Morgen, ,Merit“, sagte er. „Du bist pünktlich. Ja, sie war nervös, aber er wusste nur zu gut, dass auch er das bei seinem ersten Rollenspiel gewesen war. So lächelte er. „Du siehst gut aus, meine Schwester. - Gehen wir. Draußen werde ich dir kurz noch etwas erklären können, wenn du Fragen hast. Oh, du behältst übrigens deinen Namen. Nenne mich Bruder – und ich werde mich Neithhotep nennen, das passt zu Sau.“ „War nicht auch einer der Vermissten aus dieser Stadt? Sennefer?“ „Ja. Aber obwohl ich wirklich aus Sau stamme, habe ich nie von ihm gehört.“ Sie gingen bereits zu dem großen Tor, wo ein Wachtposten stand, der öffnete. „Das besagt natürlich nichts,“ fuhr Rahotep daher leise fort. „Seit meinem fünften Lebensjahr bin ich hier in der Stadt. Zunächst Schreiberschule, dann Arztlehre und Studium.“ „Ja.“ Er wollte sie beruhigen, erkannte sie mit gewisser Dankbarkeit. „Was sollte ich noch wissen? Du bist momentan also ein Beamter aus Sau?“ „Umgebung, genauer legen wir uns da nicht fest. Ja. Ich habe einiges Land von meinem Vater und meiner Mutter geerbt und will das jetzt im Büro des tjati bestätigen lassen und die Testamente hier ablegen. Morgen früh habe ich den für mich, uns, so wichtigen Termin, danach reisen wir wieder ab. Jetzt sind wir gerade angekommen und fragen nach einem Raum für die Nacht, ehe wir für dich Schmuck einkaufen gehen, oder so. Wir sind jung verheiratet ...“ Er sah, wie sie errötete. „Merit, das ist Spiel, vergiss das nicht, wenngleich manchmal auch ein recht gefährliches. Außerdem würde mich Meruka eigenhändig einen Kopf kürzer machen, wenn ich mich nicht an die Regeln halte. Naja, zumindest symbolisch. Jetzt zu etwas anderem. Warst du schon einmal in einer solchen Herberge?“ „Nein, früher, also, mit meinen Eltern, waren wir ja im Haus, das Vater gehörte, hier in der Stadt oder auf den Domänen oder im Haus in Per-Bastet.“ „Ja, was mich doch zu der Frage bringt, warum nicht zumindest Menmire, der ja für Chnummose unterwegs war, nicht in dessen Haus geschlafen hat. Nun ja, wir sollen uns ja nur umsehen. - Und jetzt, vergiss nicht, wir sind hier mit einem für unsere Familie wichtigen Termin. Wir sind nur das.“     Kapitel 5: Die Herberge ----------------------- Die Herberge entpuppte sich als zweistöckiges Haus. Unten befand sich ein großer Raum zum Essen und Trinken, wie die kleinen Tischen und Matten auf dem Boden ebenso wie die gemauerten Schlafbänke an den Wänden verrieten, hinten ging eine Treppe empor. Die üblichen schmalen Fenster oben erhellten die Szenerie in sanftem Dämmerlicht. Merit hielt sich eng an Rahotep, der eine junge, hübsche Frau anlächelte, die sichtlich irritiert aus einem hinteren Raum, wohl der Küche, eilte. „Guten Morgen“, sagte er höflich. „Wir sind soeben angekommen und ich suche für meine reizende Frau und mich eine Unterkunft für die Nacht. Mir wurde gesagt, dass ich das hier finden kann.“ „Oh ja.“ Die kaum Achtzehnjährige griff sich an ihre Halsketten, ehe sie sich entspannte. „Nun ja, wir haben oben einen Raum, eigentlich nur für eine Person gedacht, aber … er ist teuer. Zwei Scheffel Weizen. Einen nur im großen Raum.“ „Nein, zwei, dann. Oder die Umrechnung, nicht wahr?“ „Ja. Was hast du denn?“ Sie klang mehr als neugierig. „Wir kommen aus Sau. Ich habe Öl aus Kanaan dabei – parfümiert. Aber natürlich momentan noch auf dem Schiff, was ausgeladen wird.“ Sie war sehr nervös, stellte er fest. Aber sie war hier auch allein, offenkundig. Die Gäste waren schon abgereist oder in Geschäften unterwegs. Ihr Mann würde vermutlich für das Abendessen Besorgungen machen. Jedenfalls sah sie immer wieder zu Merit. Ob sie wohl erleichtert war, dass noch eine Frau anwesend war? „Ich habe morgen einen bedeutsamen Termin mit dem tjati, nun ja, mit seinem Büro“, erklärte er, möglichst wichtigtuerisch. „Aber meine reizende Gattin wollte Schmuck haben und es gibt eben nirgendwo so guten wie hier in Ibenu-hedj, nicht wahr?“ „Äh, ja, ich denke“ Die Wirtin entsann sich ihres Geschäftes. „Mein Name ist Baketbes. Nun gut, so will ich das Zimmer oben freihalten. Es ist unser einziges.“ „Gut, dann lasse ich ausladen und bringe heute Abend das Öl mit. - Wie weit ist es eigentlich von hier bis zum Palast?“ „Nicht sonderlich. Überhaupt müsstet ihr daran vorbei gekommen sein. Oh, ihr seit am Haupthafen gelandet? Dann hier, geradeaus die Straße. Dann kommt ihr zu einem Bereich, auf dem gehandelt wird. Weiter links, an einem weiten Platz, ist der Palast des lebenden Horus, rechts, etwas näher zu uns der Tempel des Ptah. Wenn man aber daran vorbeigeht, kommt links eine Mauer und durch das Tor geht es zu den Schmieden.“ Wieder glitt ihre Hand zu den drei Schmuckketten um ihren Hals, als biete das Sicherheit. Rahotep nickte. „Gut, bis heute Abend, dann. Komm, meine liebe Schwester.“ Erst draußen meinte Merit fragend: „Sie wollte nichts vermieten?“ „Doch, aber ich nehme an, sie war allein und hat das noch nicht oft gemacht, zumal auf sich gestellt. Vielleicht ist sie noch nicht lange die Herrin des Hauses.“ Aber irgendetwas sagte ihm, dass er etwas übersehen hatte. „Sie trug viel Schmuck,“ konstatierte Merit auch prompt. „Ja, das deutet auf kurze Ehe hin. Oder der Ehemann ist viel älter, aber das werden wir sehen. - Leise jetzt.“ Immerhin waren sie auf der Straße und es gab doch mögliche Zuhörer. Merit verstand den Hinweis durchaus. Aber, was sollte sie jetzt sagen? „Du möchtest Schmuck für mich besorgen? Wie nett. Sind die Schmiede denn hier besser als in Sau?“ „Aber ja doch.“ Der Arzt war erleichtert, das sie die Rolle spielte. „Aus den Schmieden hier werden die Schmiede des Herrn der beiden Länder ausgesucht. Stell dir doch das nur vor.“ „Sicher einfach phantastisch!“ Sie hatte keine Ahnung was jetzt, sah sich aber einer Antwort enthoben, denn Rahotep bog in eine Seitengasse ein. Keine Minute später waren sie zu dritt. Merit wäre fast erschrocken, erkannte dann jedoch Ptahnacht. Der meinte: „Niemand sah nach euch. Soweit drinnen?“ „Nichts ungewöhnliches, einstweilen. Wir brauchen nur Schmuck für Merit heute Abend,“ erwiderte der Arzt sofort. „Kann ich nicht meinen eigenen nehmen?“ erkundigte sie sich zögernd. „Ja, natürlich.“ Beide Männer sagten es gleichzeitig, ehe Ptahnacht ergänzte: „Aber nichts allzu Auffälliges. Ich meine, du bist eine Beamtenfrau, nicht aus dem ipet.“ „Ja, das werde ich bedenken. Aber da selbst diese Baketbes dreireihige Halsketten trug, darf ich das sicher auch.“ „Ja, wobei, genau.“ Rahotep erstarrte. „Äh,“ machte Ptahnacht. „Würde es dich sehr stören uns an deinen Gedankengängen teilhaben zu lassen?“ „Sie kam aus der Küche, bereitete da wohl Brot zu oder was weiß ich – aber sie trug drei Reihen Schmuckketten und auch welche am Handgelenk. Ein bisschen viel für eine arbeitsame Hausfrau, oder?“ Da die Männer Merit anguckten, zuckte diese die schmalen Schultern. „Ich fürchte, da bin ich die falsche Ansprechpartnerin. Im ipet tragen alle die drei Reihen um den Hals, die Mitglieder der königlichen Familie sogar so, dass die zu einem einzigen breiten Schmuckkragen werden. Das ist der neuste Schrei. - Aber vielleicht arbeitete sie gar nicht, sondern wollte einfach nur ihren neuen Schmuck ausprobieren. Sie war ja allein und rechnete nicht mit Besuch.“ „Möglich. Wir werden sehen, was sie heute Abend trägt. Und jedenfalls das auch Meruka berichten. Er kann besser planen und analysieren, wenn er vollständige Berichte erhält. - Dann hole deinen Schmuck.“ Sie hatten einen Seiteneingang des Palastes erreicht. Merit nickte nur und nahm den kleinen Kalkstein, auf dem die Zeichen verrieten, dass sie Zutritt in den hinteren Palast hatte, ehe sie sich zu den Wachen am Tor wandte. „Und ich hole aus der königlichen Schatzkammer Öl, das wohl passen dürfte.“ Rahotep neigte den Kopf etwas. „Und du, Partner?“ „Ich darf weiterhin die Herberge überwachen, sobald ich euch hier abgeliefert habe. Abends wird mich unser Vorgesetzter selbst ablösen. Er geht kein Risiko ein.“ „Anscheinend. Dann bis morgen Abend. Bei der Gruppenbesprechung wirst du ja alles erfahren.“ Die Männer trennten sich.   Meruka saß, gekleidet wie ein mittlerer Beamter, was Schmuck und Material des Schurzes betraf, in dem großen Raum der Herberge. Er hatte sich als Thothotep aus Iunnet in die Liste eingetragen, und dabei festgestellt, dass der Wirt, wie so viele, nicht schreiben konnte. Jeder Gast trug sich selbst ein. Er würde hier unten schlafen und vermutete doch, dass das selbst bei bösen Absichten des Gastgebers einen gewissen Schutz darstellen sollte. Immerhin schliefen hier sieben Männer. An Schlaf wäre freilich nicht zu denken, denn seine beiden Mitarbeiter sollten oben im Einzelzimmer nächtigen. Falls das eine Falle war, würde sie dort zuschnappen. Womöglich jedoch nicht bei den Zweien. Dazu sollte es ja ein Ehepaar sein und ein Termin beim tjati – das sollte abschrecken. Anders sah das vermutlich aus, wenn jemand allein dort schlief. Waren Menmire und Sennefer tatsächlich hier etwas oder wem zum Opfer gefallen? Möglich wäre es. Sie schrieben sich ein, wurden unter einem Vorwand in das Einzelzimmer komplimentiert und - verschwanden. Soweit die Theorie. In der Praxis gab es allerdings eine Menge Fragen. Warum sollte ein Wirt, der im Auftrag des Königs sein Haus führte, von dem auch versorgt wurde, mit Essen und auch einigen anderen Annehmlichkeiten, nicht zu vergessen das Dach über dem Kopf – warum sollte dieser Gäste ausrauben? Waren es andere Personen, die ihn unter Druck gesetzt hatten? Oder von denen dieser Ptahschepses gar nichts wusste? Es gab offiziell nur zwei Opfer. Hieß das, dass es keine anderen gab oder dass nur keine höheren Orts bekannt geworden waren? Hm. Sennefer aus Sau war als Erster verschwunden, zwar ein Domänenvorsteher des Königs, aber von einer neu gegründeten Weindomäne, die zunächst kaum viel abwarf. Das könnte erklären, warum er nicht in der Lage war, sich in der Residenzstadt ein Haus zu kaufen und dort zu nächtigen, zumal er aus einer einfachen Familie stammte, oder auch nur bei einem begüterten Freund zu schlafen. So war er hier gelandet. Fragte sich nur, wieso auch Menmire hier schlief. Der war Vorsteher der Totenstiftung eines der Zehn von Oberägypten, der Elite des Landes, und Chnummose besaß ein großes Haus in Ibenu-hedj. Wieso hatte der Verwalter nicht dort unter dem Dach seines Herrn genächtigt sondern hier? Irgendetwas mussten die beiden Verschwundenen gemeinsam haben. Dass sie hier übernachtet hatten, war das Einzige, was er bislang feststellen konnte. Aber es musste noch etwas anderes geben. Ah. Er trank eilig einen Schluck Dattelbier, als er Rahotep und Merit hereinkommen sah. Zum Glück guckte sich der Arzt nur rasch um, verzog aber keine Miene, als er ihn entdeckte. Sie waren schon zu oft in solchen Rollen unterwegs gewesen. Mehr interessierte den Leiter seine neue Angestellte. Merit blickte sich ebenfalls um, bemühte sich aber sofort sich näher zu ihrem „Ehemann“ zu drücken, als sei es ihr unangenehm von so vielen Männern gemustert zu werden. Nun ja, das war es ihr sicher auch wirklich. Interessant. Sie schauspielerte nicht, aber das sah wohl auch jeder, und so würde sie in genau solchen Rollen auch glaubwürdig sein. Der semer hatte Recht gehabt sie ihm vorzuschlagen. Schlechtere gab es bestimmt.   Merit wäre über das Lob froh gewesen. Sie war schrecklich nervös, aus mehreren Gründen. Zum Einen war sie nie zuvor in solch einem Haus gewesen, zum Anderen sollte sie die Nacht mit einem ihr doch fremden Mann in einem Raum verbringen. Und diese Männer sahen sie alle so an … Oh, da war ja Meruka. Es beruhigte sie, dass der Leiter dabei war. Anscheinend war das ein Plan, den die Gruppe schon öfter durchgeführt hatte. Dann sollte sie zusehen, dass sie sich nicht blamierte oder die Sache scheitern ließ, nur, weil sie zu ängstlich war. Oben betrachtete sie kurz den winzigen Raum, die gemauerte Bank mit einem dünnen Polster und einer Decke darüber. Zu zweit sollten sie hier schlafen? Rahotep trat zu ihr, nachdem er die Matte vor der Tür hinuntergezogen hatte. „Du kannst da schlafen,“ meinte er leise. „Ich lehne mich an die Wand.“ „Oh, ist das nicht ...“ Sie hätte sagen wollen „unbequem“, aber dann entsann sie sich der Ärzte, die im Sitzen, stets alarmbereit, geschlafen hatten, als die Königinmutter so krank war. Er war das wohl gewohnt und wollte eher zu ihr nett sein. So lächelte sie. „Danke. - Diese Baketbes hat jetzt nur noch eine Halskette getragen und zwei am Arm.“ „Ja, vielleicht haben wir sie heute Morgen wirklich bei der Schmuckanprobe gestört.“ „Jedenfalls war der Wertvollste jetzt nicht dabei.“ „Hm?“ Er musste nachdenken, ehe er sich entsann. „Du meinst, der mit der Fayence in grün?“ Das wurde aus Ton hergestellt und eingefärbt, um teurere Juwelen zu imitieren. Merit zuckte unwillkürlich etwas die Schultern. „Sagen wir es so, Fayence – ich würde sagen, nein. Das war echter Türkis.“ „Bist du dir sicher?“ Er war alarmiert. Türkis war nur aufwendig aus den Wüsten im Osten, im Tal der Höhlen, zu beschaffen, kaum eine Expedition unter militärischer Bedeckung im Jahr kam damit zurück – und wurde eigentlich ausschließlich von der königlichen Familie getragen. „Diese drei ovalen Steine?“ „Ziemlich sicher. Ich kenne Leute, die mit so etwas herumlaufen.“ Sie lächelte, als sie plötzlich eine Gänsehaut überlief. Im ipet wurde viel geredet – und wenn man nicht wollte, dass der oder die Falsche das mitbekam, musste man schnell lernen vorsichtig zu sein. Sie kannte seit mehr als zehn Jahren den Hauch eines Lautes, wenn sich ein bloßer Fuß auf einer Fliese bewegte. Geübt darin, Lauscherinnen abzulenken, ergänzte sie hastig und lauter: „Aber ich bin so aufgeregt, mein Bruder. Stell dir nur vor, du wirst morgen nicht beim tjati zugelassen!“ Rahotep lebte zwar bei Hofe, aber für Ärzte galten andere Dinge. Dennoch kannte er aus mittlerweile jahrelanger Erfahrung die Bedeutung, wenn ein Thema so plötzlich geändert wurde. Instinktiv warf er einen Blick zu dem Vorhang, der zwar Sichtschutz bot, aber dennoch erlaubte Gespräche zu hören. Irrte er sich oder bewegte der sich kurz? Sicher war jedenfalls sicher. „Ach, mach dir keine Sorgen. Ich habe den Termin ja sogar schriftlich bekommen. Es ist doch nur eine Formalität. Das Testament wird hier im königlichen Büro abgelegt und ich lasse es in unser Grab meißeln, für alle Ewigkeit. Damit steht das Land uns und unseren Kindern zu. Wirklich. Jetzt lass mich dich lieber ansehen, Schwester. Dein Schmuck ist wunderschön. Diese Juweliere hier verstehen wirklich ihr Handwerk.“ Sie sollte wohl darauf eingehen. „Ich muss nur zugeben, ich war etwas verwirrt. Ich dachte zuerst, der Juwelier wäre ein Kind, aber da waren einige solche Zwerge.“ Sie machte mit, dachte der Arzt erleichtert. Nein, Meruka irrte sich nicht. „Ja, das ist ihre Berufung. Wenn ein Kind geboren wird und nicht wächst, geben es die Eltern gern zu Juwelieren in die Schule. Sie können nicht auf den Feldern arbeiten, sind aber äußerst geschickte Handwerker. Ich denke, sogar der Oberste Juwelier des Königs ist ein Zwerg.“ „Das ist so ähnlich, wie Blinde oft Harfner werden?“ „Ja, ich denke schon.“ Rahotep sah erneut zu dem Vorhang, konnte jedoch nichts mehr feststellen. Hatte sich Merit doch geirrt? Da bemerkte er, dass sie zu Boden deutete. Ein Zeh erschien, wohl der eines Mannes, wurde aber rasch zurückgezogen und dann konnten die Beiden leise Schritte vernehmen. „Unser Wirt?“ hauchte Merit vor ausgestandener Aufregung. „Ich weiß es nicht, da wir das morgen Meruka sagen können. Jetzt schlafen wir. Er wird auf uns aufpassen.“   Allen guten Wünschen zum Trotz schlief Merit schlecht in dieser Nacht – zum ersten Mal seit Jahren außerhalb des Palastes, noch dazu mit einem Mann, wenngleich Rahotep sich wirklich an die Wand gelehnt hatte, und sie nach der Aufregung des Schauspiels gestern geistig mehr als erschöpft war. Dennoch fuhr sie unwillkürlich mit den ersten Lauten der erwachenden Stadt empor. Nach dem Getreidebrei und Dattelbier des Mundwaschens, wie man das Frühstück nannte, ging Rahotep zum Palast und bat im Erdgeschoss der Herberge demonstrativ freundlich seine hübsche Ehefrau brav auf ihn zu warten. Merit, die keine Ahnung hatte, was er eigentlich wollte, langweilte sich bald, wagte aber nicht das Haus zu verlassen. Das war sicher nicht gemeint gewesen. Aber sie fühlte sich buchstäblich allein gelassen. So suchte sie das Gespräch mit der Wirtin, die die Krüge und Schalen des Morgens abgewaschen hatte und ihrerseits neugierig war. Gemeinsam saßen die beiden jungen Frauen in dem großen Raum im Erdgeschoss, wobei sich Baketbes neugierig nach dem Schmuck erkundigte. „Trägst du ihn jetzt dann immer?“ Vorsicht, dachte Merit, die den angeblich neu gekauften Schmuck eben momentan nicht um Hals oder Arm hatte. „Oh nein, sicher nicht. Dazu ist er zu wertvoll. Aber, wenn in Sau oder so ein Fest ist, bestimmt. Deswegen bekommt man ihn ja auch, um das Haus und den Ehemann zu repräsentieren. Nun, du hast ja auch schönen Schmuck, das habe ich bei unserer Ankunft ja gesehen. Hat den dir auch dein Mann geschenkt?“ „Ja.“ Sie wollte also nicht darüber reden? Hm. Merit dachte nach. Baketbes war jünger als sie, nicht viel, aber doch. Und Ptahschepses, ihr Mann, hatte sicher schon fast die Fünfzig erreicht. Es war nicht ungewöhnlich, dass es einen Altersunterschied gab, schließlich konnte ein Mann erst heiraten,wenn er in der Lage war eine Frau und deren Nachwuchs zu ernähren, aber das war doch eine Menge. Wollte der alternde Ehemann sich durch den Schmuck ihre Gunst erkaufen? Wenn ja, so wollte diese sicher nicht darüber reden. Es war wohl besser auf die Juweliere im Allgemeinen zurück zu kommen und über deren Berufsausbildung oder auch das ungewöhnliche Aussehen der Zwerge, die einen guten Teil dieser Handwerker stellten.   Es war schon früher Nachmittag und die Sonne brannte heiß auf die Stadt, als Rahotep mit einem breiten Lächeln zurückkehrte und die beiden Frauen bei einem Krug Bier und süßem Brot sitzen sah. „Ah, meine Liebe, es hat alles wunderbar funktioniert. Wir können noch heute mit einem Schiff nach Norden fahren. Es wird in Iunu für die Nacht halten, dann sind wir schon in drei Tagen wieder zu Hause.“ Er hatte sich tatsächlich vor dem Palast angestellt, um mögliche Beobachter zu täuschen. Eine der Grundregeln, die Meruka seinen Mitarbeitern immer wieder predigte, war, eine Rolle nicht zu spielen, sondern sie zu sein. Dennoch hatte es den Arzt beruhigt, als er in einem der Wächter am Tor Ptahnacht erkannt hatte. Er selbst schätzte Abenteuer, war darum auch in dieser Gruppe – aber, wenn es nach ihm ging, sollte es das auch noch eine Weile dauern. „Hast du schon alles beisammen,?“ „Äh, ja. Schön, dass es so gut gelaufen ist. Dann liegen die Papiere jetzt im Archiv des tjati?“ Merit wusste nicht so genau, was sie nun sagen sollte. „Nicht nur des tjati sondern des Herrn der beiden Länder!“ Rahotep spielte erfolgreich einen Mann vom Land, der allein durch das Bewusstsein den Palast betreten zu haben schon für sein Leben lang genug zu erzählen hatte. „Dann komm, sonst erreichen wir das Schiff nicht mehr. - Danke, Baketbes, für die Gastfreundschaft.“ Fast feierlich überreichte er zwei kaum handgroße Tonkrüge mit Siegeln, die zeigten, dass sie in der königlichen Schatzkammer verbucht worden waren. Die junge Wirtin mochte nicht lesen können, aber sie erkannte die Zeichen. Dafür würde sie sicher wieder einiges auch an feinem Leinen oder parfümiertem Öl eintauschen können. Für schlichten Weizen oder Bier war das zu schade. „Danke. Gute Reise, dann.“ „Ah, dein Mann ist gar nicht da?“ „Nein, einkaufen, auch zur Bäckerei und Brauerei. Unsere Gäste werden in wenigen Stunden kommen, dann muss alles fertig sein. Ich muss mich nun auch sputen.“ „Ja, natürlich.“ Mit einem Lächeln zu Merit wandte sich Rahotep ab.   Vorsichtig ging er mit seiner Begleiterin auf Umwegen zum Palast. Erst, als sich ihnen Ptahnacht wie beiläufig anschloss, atmeten sie auf. Der Krieger murmelte: „Besprechung in einer Stunde wie immer,“ ehe er sich wie befohlen den Wachen des tjati anschloss, der soeben nach Hause getragen wurde. Nicht, um Auszuruhen. Es gab auch genug Klienten, die ihn dort aufsuchten, aber das ging zumeist um seine eigenen Ländereien, den privaten, oder denen, die zu seinem Amt gehörten.   So trafen sich die fünf Mitglieder von Merukas Gruppe in dem behüteten Raum nahe dem Trakt des tjati. Meruka hatte jedem zugenickt, sagte aber erst, als sie alle beisammen waren: „Nun, Rahotep?“ Der Arzt berichtete ausführlich, erwähnte, zu Merits gewisser Überraschung auch, dass sie die Türkise bemerkt hatte – und den Beobachter. Der Leiter lächelte ihr zu. „Wir arbeiten zusammen“, erklärte er. „Gelingt es, sagt niemand, wem es zu verdanken ist. Geht es schief, gibt es keine Schuldzuweisung. Eine Grundregel. - Der Wirt, dieser Ptahschepses, scheint insgesamt neugierig zu sein. Er saß auch eine gute Zeit unten in dem großen Raum mit uns zusammen.“ „Immerhin ist er Wirt, er hätte sonst seinen Beruf verfehlt“, meinte Nefer. „Überdies: hast nicht du immer gesagt, dass man in Herbergen oft viel über eine Stadt erfährt?“ „Das habe ich“, gab Meruka zu. „Und mir wäre es auch nicht weiter aufgefallen, dass er sich auf das eine oder andere Bier zu uns setzte. Aber, was sollte er oben, vor der Tür eines Ehepaares erfahren wollen? Das ist das Verdächtige. Und ich stimme Merit und Rahotep zu – nur er kann das gewesen sein. Alle anderen Männer befanden sich im Erdgeschoss oder hinten auf der Latrine. Und deren Eingang konnte ich beobachten. Merit, was sagte die Wirtin? Baketbes?“     Kapitel 6: Drei Türkise ----------------------- Merit war ein wenig verunsichert, hatte sie doch nie zuvor einen derartigen Bericht abliefern sollen, aber sie hielt sich an das Beispiel des Arztes und berichtete möglichst objektiv von ihrem Gespräch mit der Wirtin, bemühte sich auch darum ihre eigenen Eindrücke von den Fakten zu trennen. Ob Meruka damit einverstanden war, verriet dieser nicht. Erst als sie fertig war, meinte er: „Gut, danke. Ich werde nachdenken.“ Zum gewissen Erstaunen seiner neuen Mitarbeiterin erhob er sich und ging hinüber zum Bett. Dieses war, gedacht für Gäste des Königs, bei weitem nicht nur aus Ziegeln gemauert sondern aus dem teuren Holz. Das Kopfende stand auf Füßen, die in symbolisierten Gazellenhufen ausliefen. Das untere Ende befand sich, wie es üblich war, gleich auf dem Boden. Ein Brett verhinderte, dass der Schläfer hinabrutschte. Zu Merits Erstaunen nahm Meruka keine Kopfstütze, wie sie doch jeder benutzte, sondern legte sich einfach rücklings auf die Decken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, ehe er die Augen schloss. „Er denkt nach“, erklärte Nefer. „Wir können jetzt reden, über was auch immer – aber nicht über die Arbeit.“ Ptahnacht ergänzte hilfsbereit: „Denken ist seine Aufgabe, Merit. Und sei sicher, danach kriegen wir alle neue Aufträge. - Du bist doch ursprünglich aus Per-Bastet? Bastet ist doch eine Löwengöttin, oder? Aber jemand sagte mir neulich, sie sei eine Katze.“ „Nein, eigentlich schon Löwe.“ Sie begriff, dass abgelenkt werden sollte. „Aber sie ist eine sanftere Löwin, beschützt Frauen und Kinder – und natürlich den Herrn der beiden Länder. Sachmet ist viel angriffslustiger und bringt die Seuchen. Woher stammt ihr eigentlich, ursprünglich?“ „Aus Sau.“ Rahotep lächelte etwas. „Aber ich war mit fünf schon in Ibenu-hedj, in der Palastschule. Mein Vater ist der Stadtvorsteher und wollte, dass ich sein Amt übernehme. Allerdings wurde mir klar, das ich lieber Arzt wäre, und so machte ich nach den sieben Jahren der Schreiberlehre diese Ausbildung. Mein Bruder wird ihn beerben. Oh, und die Göttin der Stadt Sau ist Neith, Göttin des Krieges und der Heilkunst“ „Mein Dorf hat keinen Namen.“ Ptahnacht zuckte die Schultern. „Es ist ein Fischerdorf zwischen der Östlichen Wüste und dem Meer in der Gegend von Sauw. Ja, da wird Fisch aus dem Meer gefangen und getrocknet, kein Nilbarsch. Und auch Muscheln. Ich war, als ich erst hier in Ibenu-hedj war, wirklich sehr überrascht, dass hier hauptsächlich Süßwasserfische gegessen werden. Und auch, wie einfach die zu fangen sind. Auch, wenn das Meer zuhause ruhiger ist als das Große Grüne – es gibt immer Winde, die lästig werden und Sturm und sogar Regen bringen.“ „Ich stamme aus der Gegend von Abu, tief im Süden.“ Nefer, deren Aussprache nichts davon verriet, holte etwas Atem. „Aber da ging ich mit zwölf weg.“   Merit bemerkte, dass die beiden Männer neben ihr nur kurz nickten – nicht fragten. Sie kannten die Geschichte wohl, und doch lange Erfahrung sagte ihr, dass sie da besser nicht nachfragen sollte. Wenn Nefer wollte, dass sie das erfuhr, würde sie es ihr sagen. Jeder ihrer neuen Kollegen hatte seine eigene Geschichte und sie sollte besser behutsam sein. So warf sie nur einen Blick zu Meruka, aber der hatte noch immer die Arme unter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen.   Ptahnacht hatte es gesehen. „Spielen wir lieber etwas, das kann dauern. Kennst du das Schlangenspiel?“ „Ja.“ Natürlich, dachte Merit. Senet konnte man nur zu zweit spielen, das Schlangenspiel zu viert. Er holte denn auch eine Platte aus einer Ecke, die wie eine aufgerollte Schlange aussah. Rahotep folgte ihm und besorgte die kleinen Löwen, die Spielsteine, denen jeweils sechs Kugeln zugeordnet waren. „Spielen wir zusammen“, sagte Nefer. „Und ich bin sicher, wir bekommen unsere Kugeln näher in die Mitte der Schlange als unsere Männer auch nur einen Löwenschritt gehen.“ „Danke.“ Merit lächelte.   Meruka dachte nach. Etwas an der gesamten Sache war falsch. Ein Irrtum, dem aber wohl jeder unterlag. Nur, wo befand sich der Fehler? Zwei mittlere Beamte waren verschwunden. Nun, das Verschwinden an sich war nicht unmöglich. Der Fluss und die Wüste boten genug Möglichkeiten. Aber, war das in der Herberge geschehen? Ptahschepses hatte sie von seinem Vater übernommen. Er war seit seiner Kindheit bekannt, arbeitete dort zuverlässig und man konnte ihm nicht einmal schlechtes Bier nachsagen. Warum also hatte er versucht Merit und Rahotep zu belauschen? Warum waren genau bei ihm zwei Kunden vermisst? Oder war eben das der Denkfehler? Er war ein wenig neugierig, das hatte auch die Tatsache verraten, dass er sich zu seinen anderen Gästen gesetzt hatte. Nur einfach Neugier? Aber Sennefer und Menmire? Noch einmal, was hatten diese Zwei gemeinsam. Sie waren jung, auf einer der untersten Stufe der Beförderung, mit der Aussicht auf höhere Ämter. Menmire sowieso, der mit Chnummose und dessen Totengut so etwas wie absolute Sicherheit gepachtet hatte, wenn er keinen gravierenden Fehler beging. Aber zunächst war Sennefer verschwunden. Neu ernannter Leiter einer neuen königlichen Weindomäne im Delta. Auch hier – gute Aussichten. Wenn man nicht versagte, stieg man mit zunehmendem Alter im Dienst auf. Hm. Beide stammten aus keinen alten Beamtenfamilien, beide waren nicht in der Palastschule sondern in Iunu gewesen. Wenn er irgendetwas über die Verschwundenen wissen wollte, müsste er im Tempel des Re nachfragen. Womöglich hatten die Jungen dort etwas gemeinsam gehabt, von dem niemand der sab-Beamten in Ibenu-hedj auch nur wissen konnte. Sie waren ungefähr gleich alt, ungefähr gleicher Hintergrund, die gleiche Schule – sie mussten sich gekannt haben. Und Ptahschepses? Ja, das war eine gute Frage. Seine Frau war im Kindbett verstorben, ein nur zu häufiges Schicksal, und er hatte sich eine neue Partnerin gesucht, um seine Herberge weiter betreiben zu können. Für Baketbes war er eine gute Partie gewesen – sicheres Einkommen, mit genügend Boni um sie und mögliche Kinder zu versorgen. Die einzigen Punkte, die das Ehepaar verdächtig machten, war die zu große Neugier des Ehemannes, die schlichte Tatsache, dass zwei ihrer Gäste spurlos verschwunden waren – und der Fakt, dass Baketbes Schmuck aus Türkisen besaß. Das war königlicher Schmuck. Hatte ihn ihr ihr Ehemann geschenkt? Unwahrscheinlich. Das gehörte dem Schatzhaus des Königs und wurde höchstens an Verwandte oder als seltenes Ehrengeschenk ausgegeben. Von einem der Opfer? Aber, woher hätte ein gerade fertig ausgebildeter Schreiber mit noch so guten Aussichten diesen Schmuck erhalten? Chnummose? Wieso hätte der solchen Ehrenschmuck weiter verschenken sollen? Das trug man selbst bei königlichen Empfängen voller Stolz. Und wer hatte überhaupt dafür gesorgt, dass Sennefer Leiter einer neuen Weindomäne wurde? Wo und für wen arbeiteten dessen Eltern? Die Türkise. Ja, er musste sich in Iunu umsehen. Aber letztendlich waren die Türkise ein Faden, der ihn und seine Gruppe weiterbringen würde. Zu ungewöhnlich waren sie – und zu sehr mit dem königlichen Hof verknüpft. Meruka nahm nicht an, dass sich Merit und Rahotep geirrt hatten, wenn sie vermuteten es seien Türkise. Drei Türkise. Natürlich konnte man auch das Ehepaar befragen, sie würden nach einer Tracht Prügel sicher reden, aber … Ja, aber. Wenn Türkise im Spiel waren, dann bestimmt auch ein sehr hochrangiger Beamter. Und den aufzuscheuchen, was bei einer Verhaftung der Zwei garantiert passieren würde, wäre unklug. Da steckte noch mehr dahinter. Zwei verschwundene Beamte, deren Fehlen fast nicht aufgefallen wäre. Anchnefer hatte es nur zufällig mitbekommen. Zwei Beamte, jung, dynamisch, ehrgeizig. Türkise. Wo lag da die Verbindung – und wer steckte dahinter? Meruka wurde, je länger er nachdachte, das Gefühl nicht los, dass er aus reinem Zufall hier einen Faden in die Hand bekommen hatte, der ihn sehr weit führen würde. Und, dass das der größte Fall seiner Laufbahn werden würde. Umso vorsichtiger, umsichtiger, sollten er und seine Partner agieren. Die Schule, die Lehrer und die Türkise. Zwei Spuren, denen sie folgen sollten. Und Merit konnte sich vor allem bezüglich letzterem mehr als nützlich erweisen.   Er richtete sich auf und sah zufrieden, wie sofort alle vom Spiel auf ihn blickten. So erhob er sich und nahm wieder in der Runde Platz. „Ich sehe zwei Anhaltspunkte, an denen wir ansetzen können“, begann er. „Die beiden Vermissten selbst und die Herberge, aber auch der Türkisschmuck. - Wir sind uns einig, dass zwei Männer verschwinden können, freiwillig oder unfreiwillig. Nur letzteres geht uns etwas an. Aber nach allem was wir wissen, sind sie unfreiwillig verschwunden. So bleibt die Frage des Warum. Was hatten sie gemeinsam. Ich werde als sab-Beamter mit Ptahnacht als offizielle Wache nach Iunu fahren und mich dort an der Schule umhören. Wer waren sie, kannten sie sich, und anderes. Merit, du kannst dich doch bestimmt unauffällig mit einem königlichen Juwelier unterhalten. Wer bekommt Türkise und zu welchem Zweck? Gibt es womöglich doch Personen außerhalb der königlichen Familie, die sie tragen? Wer erhält sie geschenkt? - Rahotep, versuche herauszufinden, ob noch jemand vermisst wird. Es ist nicht gesagt, dass das Büro des tjati immer von allem weiß. Leider. Falls in dieser Stadt wirklich ein Serienmörder herumläuft, sollten wir ihn schleunigst finden. - Nefer, bleib in deiner Tarnung. Ich fürchte, wir werden früher oder später deine Talente benötigen. Ich habe ein ungutes Gefühl.“ Die Verkleidungsspezialistin sah ihn an. „Du meinst, früher oder später sollte jemandem auffallen, dass er immer die gleichen Leute sieht?“ Sie konnte mit Schminke und Schmuck durchaus Personen so verändern, dass sie kaum wieder zu erkennen waren, wenn jemand nicht aufpasste. Was, zugegeben, die wenigsten Menschen bei Zufallsbekanntschaften taten. „Auch das.“ Der Gruppenleiter wollte nicht mehr sagen. Aber er hatte das unbehagliche Gefühl soeben Sachmet am Schwanz gepackt zu haben.   Das hölzerne Nilschiff glitt mit der fünfundzwanzig Mann starken Besatzung und den wenigen Passagieren ruhig durch die Mittagshitze mit der Strömung nach Norden. Ptahnacht, in seiner gewohnten Kleidung als königliche Wache, saß neben seinem Vorgesetzten in der Kabine. Hier im Schatten war es doch angenehmer. „Du spielst in Iunu einen Ermittler des tjati“, sagte er mit Blick auf das Schakalamulett auf der Brust des Gruppenleiters. „Und ich?“ „Du kannst dich so umhören, wie die Schüler ausgewählt werden.“ Meruka sah unwillkürlich zu dem Dach auf. Oben stand der Kapitän am Steuer, aber der würde einem so leisen Gespräch bei dem stetigen Gegenwind aus Norden kaum zuhören können. „Irgendetwas haben die Zwei gemeinsam. Und ich bete zu allen Göttern, dass es nur diese zwei sind.“ „Denke ich schon. Es würde doch irgendwann aufgefallen sein, wenn reihenweise Beamte verschwinden. Ich meine, die meisten Leute in kemet können weder lesen noch schreiben, mich eingeschlossen. Einer von hundert?“ „Reihenweise ja.“ Der Stiefsohn des königlichen Sieglers atmete durch. „Aber vielleicht haben wir nur den Anfang einer Kette in der Hand. Vielleicht waren sie die ersten Opfer, aber nicht die letzten. Oder auch nur die, die im Büro des tjati auffielen.“ „Autsch.“ Ptahnacht verstand. „Das Andere wurde nie gemeldet, glaubst du? Und ich dachte, unsere Bürokratie sei perfekt.“ „Von Perfektion und absoluter Überwachung sind wir leider noch weit entfernt.“ Das würde Ermittlungen doch deutlich vereinfachen. „Irgendetwas haben die zwei Opfer gemeinsam. Und ich werde erst wieder ruhig schlafen, wenn ich nicht nur weiß was, sondern wer noch.“ „Ich weiß.“ Ptahnacht liebte an seinem Beruf die Aufregungen, das Gefühl, wenn bei Gefahr Hitze durch seinen Körper strömte. Aber bei Meruka war das anders. Der sah das immer nur vom Kopf her, nüchtern. Und dennoch war der Kämpfer sicher – auch der war ein Fanatiker, besessen von dem Wunsch jeden Auftrag zu erfüllen. Aber, das waren sie wohl alle, selbst Rahotep. Bei der Neuen mochte es anders sein, dazu kannte er sie zu wenig. Aber sie hatte sich aus irgendeinem Grund für diese Sache interessiert, der semer sie empfohlen.   In dem Lehmziegelhaus nahe des steinernen Tempels des Sonnengottes in Iunu schreckte Sobekhotep, der Leiter, förmlich zusammen. „Du bist sicher?“ erkundigte er sich bei seinem Schreiber. Der zuckte etwas die Schultern. „Siegel des Büros des tjati, hier auf dem Schreiben.“ „Ich bitte natürlich um den Besuch.“ Sobekhotep war ungefähr genau so begeistert, als hätte ihm jemand in Aussicht gestellt seine Schwiegermutter zu besuchen. Nun ja, lieber das. Ein Besuch eines sab-Beamten konnte leicht mit der eigenen Amtsenthebung enden, mit einer Verbannung in die Granitminen als Dreingabe. Was hatte der tjati an seiner Arbeit auszusetzen? Die letzte Visite war doch durchaus gut verlaufen? Aber man sollte lieber höflich bleiben und so neigte er den Kopf vor dem Eintretenden. „Werter Ptahmose, willkommen an dieser Schule.“ Meruka, der diesen Namen gewählt hatte und wie stets von Anchnefer mit „echten“ Papieren versorgt worden war, winkte ein wenig zu seinem Begleiter. „Du kannst gehen.“ Erst dann sah er zu dem Schulleiter, dessen Befürchtungen er durchaus nachvollziehen konnte. „Mein Auftrag lautet mich nach zwei Schülern zu erkundigen.“ „Oh, natürlich. Bitte, nimm Platz.“ Zwei Schüler? Hatten die etwas angestellt, was auf die Schule oder gar deren Leiter, leider ihn, zurückfallen konnte? „Sie sind noch hier Schüler?“ „Nein, sie waren es. Sennefer und Menmire.“ „Sagt mir im Moment nichts, aber ich kann natürlich die Unterlagen suchen lassen. Haben sie etwas angestellt?“ „Sie haben sich vermutlich umbringen lassen.“ Meruka betrachtete die Reaktion seines Gegenübers – Erleichterung. „Oh.“ Nun, das war bedauerlich, aber wohl nichts, wofür man ihn tadeln oder bestrafen konnte. Sobekhotep dachte nach. „Sennefer sagt mir etwas. Oh, natürlich, der tjati war letztes Jahr hier und hat ihn mitgenommen.“ „Der tjati?“ DAS war überraschend. Menmires Verschwinden war dem tjati direkt gemeldet worden, war doch dessen Vorgesetzter Chnummose. „Äh, ja. Genau kann ich es natürlich erst sagen, wenn ich die entsprechenden Bücher habe, aber soweit ich mich entsinne war Sennefer der Sohn einfacher Bauern von einer Domäne des tjati. Er fiel da wohl jemandem auf und so wurde er als Schreiber ausgebildet. Bei der Kontrolle unserer Schule vor einigen Monaten, nun ja, ein halbes Jahr mag es her sein, fragte der tjati natürlich speziell nach den Leuten, die ihm unterstehen. Sennefer ist, war, sehr intelligent, und nach einem Gespräch beschloss der tjati ihn, und ich glaube, noch zwei junge Männer, auf seinen Domänen einzusetzen.“ Das erklärte Meruka, warum Sennefer zum Leiter einer neuen königlichen Domäne ernannt worden war. Förderung durch den Mann, auf dessen Land man geboren war. So hatte es Chnummose mit Menmire wohl auch gehalten. Ohne solche Förderung, vor allem zuerst durch den eigenen Vater, wenn der zu niederen Standes war, durch andere Männer, wurde man nichts. „Und er kannte Menmire?“ „Der sagt mir momentan gar nichts, aber ich kann natürlich die Akten suchen lassen.“ „Tue das. Und erzähle mir doch mehr über Sennefer.“ „Lieber erst, wenn ich die Papiere sehe, ich mag mich sonst irren. Wir haben doch in jedem Jahrgang dreißig Schüler.“ „Das ist viel.“ „Ja, der tjati war sehr zufrieden, dass wir so viele neue Beamte jedes Jahr in das Land schicken können. Es bedarf ja doch vieler Schreiber.“ Der Stolz des Schulleiters war deutlich zu erkennen. „Und ich muss betonen, wir könnten sogar mehr Jungen aufnehmen, wenn ich nur neue Lehrer bekomme. Das sagte ich dem tjati auch.“ Er stand auf. „Ich lasse rasch die Akten suchen.“ Nachdem er seinem Schreiber die Anweisung erteilt hatte, setzte er sich wieder zu seinem unwillkommenen Gast. „Sennefer, ja. Ich erinnere mich langsam. Zuerst ziemlich dumm, aber er lernte dann rasch. Er war intelligent, fleißig und nur vollkommen verwildert. Sein Vater ist wohl Rinderhirte oder so etwas. Und der Junge hatte so eine Art an sich ...“ Sobekhotep zuckte die Schultern, ehe er doch erklärte: „Hungrig, wenn du verstehst, was ich meine. Er wollte unbedingt lernen, aufsteigen, Schreiber werden.“ „Wie wir alle.“ „Äh, ja.“ Der erfahrene Schulleiter kannte auch Jungen, bei denen das alte Sprichwort zutraf: „Das Ohr eines Schülers sitzt auf dem Rücken, denn er hört nur, wenn er geschlagen wird“. „Oh, Moment. Du sagtest den anderen Namen?“ „Menmire?“ „Ja. Genau der. Das Gegenteil von Sennefer. Still, unauffällig. Ich glaube, auch da ist der Vater ein Bauer. Wir waren durchaus verwundert, dass sich diese Beiden angefreundet haben. Sie waren ein Jahrgang, aber dennoch.“ „Sie waren befreundet?“ Meruka erhoffte sich einen weiteren Hinweis. „Ja, wenn ich mich recht entsinne. Sennefer und ein Junge … Doch, ich denke das war Menmire. Aus dem Süden, Nechen?“ „Ja.“ Sobekhotep war angetan, dass er so einfach den sab-Beamten zufrieden stellen konnte. „Ich muss noch die Akte lesen, aber ich denke, ja. Sie waren dauernd zusammen, obwohl sie dermaßen verschieden waren. Menmire war ernsthaft, still, fleißig. Ich muss zugeben, ich hoffte, er würde hier in Iunu weiterlernen, Architekt werden. Er hatte alle Fähigkeiten zum Bauleiter, gerade in Mathematik. Sennefer war auch fleißig und ehrgeizig. Sehr ehrgeizig.“ Sobekhotep dachte nach. „Sie sind beide ermordet worden?“ „Davon ist auszugehen.“ „Das verstehe ich nicht. Menmire … Wie gesagt, ich dachte, er würde Architekt werden, das Zeug dazu hatte er, aber als Chnummose ihn nach Nechen zurückrief war er natürlich begeistert. Tja, lieber gleich Domänenverwalter, als noch Jahre zu lernen. Und, das muss ich auch sagen, Chnummose wollte ihn weiter fördern. Ich stellte dem Jungen auch ein gutes Zeugnis aus. Was wurde er dann?“ Meruka verstand den Lehrer. „Leiter der Totenstiftung für Chnummose.“ „Ah, der erste Schritt auf dem Weg zum Verwalter des kompletten Vermögens. Schade um den Jungen.“ „Und Sennefer?“ „Wie gesagt, er gehörte zu einer Domäne des tjati. Der kam, redete mit ihm und versprach ihn zu fördern. So ging er selbstverständlich mit. Was wurde er?“ „Leiter eines königlichen Weinguts im Delta.“ „Auch ein guter Anfang. Aber, warum mussten diese beiden Jungs sterben?“ Ja, dachte Meruka. Wenn er das wüsste.     Kapitel 7: Iunu --------------- Nach allem, was er gehört hatte, beschloss Meruka die Heimat Sennefers aufzusuchen, die er sich von der Schule hatte geben lassen. Dieser war gelobt worden, wenngleich mit einem anderen Unterton als Menmire. „Du denkst zu viel“, meinte Ptahnacht, als sie auf dem Schiff nach Norden, ins Delta, in der Kajüte saßen, etwas spöttisch. „Was soll es? Sie waren beide gute Schüler, beide wurden gefördert, aber sie waren auch beide befreundet. Womöglich haben sie sich in was reinziehen lassen, das ihnen einfach nicht bekommen ist. Auch Iunu ist eine Stadt.“ „Sei kein Narr.“ Meruka war zu angespannt, um den Spott als wohlmeinende Ablenkung schätzen zu können. „Erstens: wieso genau die Beiden? Bedenke, zwischen dem Delta und Nechen liegen einige Tagesreisen, sie waren nicht einmal gemeinsam in Ibenu-hedj, vier Monate auseinander. Ja, sie waren befreundet, aber …? Zweitens: Chnummose meldete, dass sein Vermögensverwalter verschwand, direkt an den tjati, unter Umgehung des Amtsweges. Aber wieso meldete niemand direkt nach ganz oben, dass ein Schützling des tjati verstorben war?“ „Soll ich ehrlich sein? Weil es keiner wusste.“ Ptahnacht bemerkte, dass ihn sein doch recht hochgeborener Vorgesetzter ansah, dessen Unerfahrenheit zum Thema einfache Leute manchmal durchschlug. Zum Glück schätzte dieser durchaus eigene Meinungen bei seinen Untergebenen, sonst wäre es für ihn selbst schon oft übel ausgegangen. Einer der Gründe, warum sie als Gruppe so erfolgreich agierten, war, dass sich Meruka auch stets Andere anhörte. „Chnummose wird gemeldet, dass sein Vermögensverwalter verschwunden ist. Er ist einer der Großen Zehn und will natürlich möglichst sofort Bescheid wissen, deswegen der direkte Brief an den Obersten aller Beamten. Aber in Bezug auf Sennefer … bitte. Er war der Domänenverwalter einer neuen Anlage, wohlgemerkt, königlichen, Anlage. Also lebte er nicht mehr auf einem Landgut des tjati. Wer von den einfachen Schreibern dieser neuen Anlage, wenn sie diese Nachricht in die Hand bekommen, würde direkt zur Nummer Eins gehen? Er schickt das an das Büro des tjati, der Vorsteher der Eingaben dort beauftragt routinemäßig einen Ermittler mit richterlicher Gewalt, einen sab, der nachgeguckt, fertig.“ „Da hast du Recht.“ Meruka atmete durch. Natürlich. Kaum einer von den einfachen Schreibern würde von der Beziehung wissen. Und im Büro des Palastes war nur das Verschwinden eines jungen Domänenverwalters gemeldet worden. Ohne den Besuch in Iunu hätte er selbst nie erfahren, dass es sich um einen Schützling Sobeknachts handelte. Und dieser wiederum hatte zu viel zu tun um sich alle paar Monate mit einem seiner ehemaligen Leute zu schreiben, falls ihn das überhaupt interessierte. Womöglich hatte er auch geglaubt, mit der Möglichkeit zur Ernennung eines Leiters eines, wenngleich kleinen, Weinguts, das Seinige zur Förderung Sennefers beigetragen zu haben. „Nun gut. Eventuell erfahren wir etwas bei den früheren Vorgesetzten oder den Eltern. Diese dürften noch gar nicht wissen, dass ihr Sohn verstorben ist. Immerhin hat bislang niemand die Verbindung mit dem Gut hergestellt.“ „Was ist das für ein Gut, eigentlich? Gehört es Sobeknacht selbst oder ist das Amtsgut?“ „Wohl Sobeknacht selbst.“ Hohe Beamten bezogen ihre Lebensmittel und andere Güter aus den Ländereien, die entweder privat waren oder ihnen mit ihrem Amt verliehen wurden. Erstere konnten vererbt werden, letztere fielen an den Herrn der beiden Länder zurück, wenn das Amt aus welchem Grund auch immer nicht mehr ausgeführt wurde. Ein Königssohn, wie der tjati, oder auch sein eigener Stiefvater als Leiter des Schatzhauses verfügten über große Gebiete, deren Bauern und Handwerker, sowohl aus ihrer angeborenen als auch und vor allem ihrer amtlichen Position. „Nun gut. Danach kehren wir nach Ibenu Hedj zurück. Ich bin neugierig, was Rahotep und Merit herausgefunden haben.“ „Hm. Du weißt, dass ich dich für ein Genie halte, ich bin bestimmt keines, also, warum gehst du so sicher davon aus, dass beide tot sind?“ „Nun, im Kampf würde ich dich so einordnen.“ Meruka lächelte flüchtig. „Schön, gehen wir davon aus, dass beide noch leben. Aber, wieso sollten gleich zwei junge Männer mit der Aussicht auf Reichtum und einflussreiche Posten diese verlassen? Sie haben die sieben Jahre Ausbildung als Schreiber hinter sich gebracht, kleinere Aufgaben im Tempel des Re und der Schule erledigt – nur, um dann zu den Libyern zu gehen, die sie sicher kaum warm empfangen werden, oder gar zu den Sandleuten, um Schafe zu hüten? Das machen Leute, die anders keine Chance mehr sehen, sei es, weil sie Verbrechen begangen haben, sei es, weil sie Lepra haben, oder anders außerhalb der maat stehen. Oh, Verbrechen, glaubst du? Eher unwahrscheinlich. Keiner von Beiden war bislang auch nur in der Lage eine sinnvolle Unterschlagung zu begehen – so sinnvoll, dass er nicht nur sein jetziges sondern auch sein ewiges Leben ruinieren wollte. Bedenke, du selbst warst außerhalb von kemet: keine ordnungsgemäße Bestattung, keine Beigaben, keine Opfer für dich – du bist wirklich und wahrlich in alle Ewigkeit tot. Menmire hatte die besten Aussichten Hausvorsteher bei Chnummose zu werden, der Vermögensverwalter, Sennefer, sich von einer kleinen Domäne zu größeren Gütern des Königs hochzuarbeiten, ja, einer der höchsten Beamten zu werden, jeweils mit einem Grab für sie, das ihrem Stand zum Zeitpunkt des Todes entspricht. Das würden sie doch kaum einfach so wegwerfen. Die zweite Möglichkeit, die ich sehe, wenn sie noch leben würden, wäre, dass sie gefangen gehalten werden. Aber, wozu? Es ging keine Lösegeldforderung ein, keine sonstige Erpressung. Sennefer zumindest ist seit einem halben Jahr verschwunden. Wer sollte ihn so lange durchfüttern können oder auch nur wollen, ohne etwas davon zu haben? Es gibt, bedauerlicherweise, eine recht einfache Methode unnütze Ausgaben zu vermeiden. Der Fluss ist breit und tief und in seinem Papyrusdschungel an den Ufern kann manches verschwinden.“ „Was natürlich auch bedeutet, dass wir nie einen Nachweis erlangen werden, dass sie wirklich tot sind. Oder auch ihre Eltern und Familien.“   Rahotep hatte sich nach einer vergeblichen Umfrage ob jemand in der Stadt vermisst wurde, schnurstracks an den „Ältesten des Lebenshauses“, wie einer der vielen Titel des Obersten der Ärzte lautete, gewandt, und um eine medizinische Belehrung gebeten. „Ich hörte von einigen Fällen, die mir persönlich noch nie untergekommen sind, aber dir vermutlich mit deiner Erfahrung. Was sagt ein Arzt, wenn jemand unglücklich stürzt, die Verletzungen jedoch nicht schwerwiegend sind. Wenn derjenige jedoch aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht, hat er keine Ahnung, wer oder wo er ist.“ „Ah, ich verstehe. Nun, dann behandelt man als Arzt nur die äußere Verletzung. Bereits wenige Stunden, höchstens Tage, später wird die Erinnerung zurückkehren. Suche doch im Archiv, da gibt es auch etwas zu diesem Thema.“ „Dass sich jemand also nie wieder erinnert, ist unwahrscheinlich?“ „Ich hörte noch nie davon. Und soweit ich weiß, auch keiner der Ärzte, die vor uns lebten. Überdies sucht eine Familie doch nach einem Vermissten, und, wenn sie ihn hier oder bei einem anderen, freien Arzt, findet, wird er sie wiedererkennen.“ „Ja, danke für die Lehrstunde.“ Rahotep neigte höflich den Kopf, machte sich jedoch auf den Weg in das Archiv. Also war damit die Wahrscheinlichkeit gleich Null, dass Sennefer und rein zufällig auch Menmire nur ihr Gedächnis verloren hatten. Nicht, dass das nicht eigentlich bereits klar gewesen wäre, aber er wusste, Meruka wollte sichergehen. Immerhin, das wäre die gute Nachricht für seinen eigentlichen Vorgesetzten, wurde zur Zeit niemand sonst vermisst. Auch der Leiter des Büros, in dem die Petitionen einging, hatte nichts weiter gewusst.   Merit war ein wenig aufgeregt gewesen. Wie sollte sie harmlos nach Türkisen fragen? So hatte sie, da sie annahm es dauere mindestens zwei Wochen, ehe Meruka und Ptahnacht zurückkehrten, ihre Tätigkeit als dritte Schreiberin der maat-hor wieder aufgenommen. Dem scharfen Auge der Königsgemahlin war allerdings ihre Aufregung nicht entgangen und so nutzte diese eine Gelegenheit, als sie zu zweit in deren Schlafzimmer waren, in dem Gespräche, getrennt durch eine hölzerne Tür,nicht gerade einfach abzuhören waren „Du stehst im Auftrag des Horus,“ meinte sie, wohlweislich leise. „Und wenn es etwas gibt, womit ich dich unterstützen kann, sage es.“ „Ich danke dir.“ Ja, nicht ohne Grund konnte diese Frau den Gott sehen. „Ja, ich habe einen Auftrag weiß jedoch nicht, wie ich das bewerkstelligen soll. Ich soll mit einem Juwelier über Türkisschmuck reden, wer ihn trägt, erhält ...“ „Wird welcher vermisst? Oh, entschuldige, Merit. Ich weiß, dass du schweigen musst. Nun, nichts einfacher als das. Ich lasse mir von den Juwelieren welchen vorlegen. - Ich bin sicher, der mächtige Horus wird mir den Wunsch nach einem neuen Schmuckstück verzeihen.“ Merit senkte den Kopf. Das war sehr nett – und tatsächlich eine der harmlosesten Methoden einen Goldschmied zu sehen. Wenn die maat-hor Schmuck wünschte, brachten die Juwelieren eine große Auswahl. Aber auch die anderen Damen im ipet guckten, und so manche bekam anschließend auch von ihrem Ehemann einen solchen – wenn sie sich ihn nicht selbst organisieren konnte. Die Königstöchter und – -schwestern verfügten über eigene Domänen und Totenstiftungen, aber auch manch andere Frau hier.   So saß die Königsgemahlin nur zwei Stunden später auf dem erhöht stehenden Sessel in der Haupthalle. Hier war ihr Platz, um die Frauen zu beaufsichtigen, aber auch der Platz des Horus, wenn er Abends Entspannung mit Musik und Tanz wünschte. Die meisten hochrangigen Frauen hatten sich neugierig in Reihen vor ihr niedergelassen. Achti-hotep, der „Vorsteher des ipet“, wie der Titel des Verbindungsbeamten zwischen ipet und eigentlichem Palast lautete, betrat mit seinem Amtsstab die Halle, wie stets jetzt begleitet von seinem halbwüchsigen, gleichnamigen Sohn, der eins Tages sein Amt übernehmen sollte. Hinter ihm folgten der „Anleger des Breitkragens“, der Hofjuwelier, gefolgt von diversen Mitarbeitern, die verheißungsvolle Schatullen mit sich trugen. So manche davon waren zwergwüchsige Menschen. Goldschmied und Juwelier, zumal bei Hofe zu sein, war eine Karriere, die ihnen offen stand, wie auch eine Schneiderlehre. Dicht bei der maat-hor saß auch Merit, neben einer Frau namens Ka-Merit. Diese besaß den seltenen Titel eines „Königsschmucks“, den einige Frauen trugen, deren Männer hochrangige Beamte waren oder die Amme eines Königs gewesen waren. Ka-Merit allerdings verdankte ihn der Tatsache, dass sie vor acht Jahren dem Herrn der beiden Länder einen weiteren Sohn geboren hatte, nachdem so viele seiner Kinder der Seuche zu Opfer gefallen waren. Auch, wenn der überlebende Sohn der maat-hor als potentieller neuer König, als Falke im Nest, gehandelt wurde, so war bei Weitem nichts sicher und Ka-Merit womöglich die nächste Königinmutter. Entsprechend höflich behandelte sie selbst die maat-hor. Der Hofjuwelier ließ sich auf die Knie nieder, gefolgt von seinen Männern und Frauen, ehe er ein großes, flaches Kissen unter seinem Arm hervorzog und ausbreitete. „Du hast einiges mitgebracht, wie ich sehe,“ äußerte die maat-hor huldvoll. Natürlich, dachte der Juwelier. Was immer sie sich aussuchte, ähnliches trugen bald auch die anderen Damen der Königsfamilie und daran nachfolgend die der hohen Beamten. Aber dazu schwieg er besser. „Ich habe einige Auswahl mitgebracht, die selbstverständlich jederzeit auch mit anderen Steinen nachgebaut werden kann.“ Er nahm einige Schmuckstücke und präsentierte sie auf dem Kissen. Natürlich wurde je nach Auftrag gearbeitet, aber er hatte schon lange gelernt, dass sich die Damen – und Herren – eher entschieden, wenn sie Muster nur noch umdeuten mussten.   Die Damen des ipet reckten neugierig die Köpfe und es herrschte eifriges Getuschel, als die maat-hor meinte: „Merit, wolltst du nicht etwas zu Türkis wissen?“ Die so unerwartet Angesprochene wurde rot. Es war sehr nett von der Königsgemahlin ihr helfen zu wollen, aber was sollte sie jetzt sagen? Sie suchte Zuflucht in der Halbwahrheit. „Oh, ich habe mich neulich nur gewundert. Ich dachte immer, Türkise seien dem mächtigen Horus vorbehalten. Und doch sah ich eine Frau des einfachen Volkes mit einem Schmuck aus Türkis. Aber das war bestimmt Fayence.“ „Bestimmt.“ Dem höfisch erfahrenen Juwelier war nicht entgangen, dass es dem so jungen Mädchen peinlich war so in aller Öffentlichkeit angesprochen zu werden. „Nur der mächtige Horus trägt den Stein der Hathor. Und natürlich die, denen er ihn schenkte.“ „Ja, das weiß ich. Überdies waren die Steine auch flach. Es war sicher Fayence.“ „Dann ganz sicher.“ Der Hofjuwelier wusste, dass dieses Mädchen hohe Positionen im ipet einnahm - und nicht so jung war, wie sie wirkte. Jedenfalls war sie niemand, dem man eine neugierige Frage nicht beantworten sollte. Sie war mit den Königskindern erzogen worden und hatte sicher gute Kontakte, gerade auch zu dem künftigen König. So ergänzte er hilfsbereit: „Ich verarbeite Türkis stets im Ganzen – nun ja, kleine Kugeln und anderes auch für andere. Aber große Türkise sind stets Königsschmuck. Ich entsinne mich nur an einen einzigen Türkis, den ich zerschnitt.“ Er lächelte flüchtig. „Das war eine schwere Arbeit, da ich fürchtete, er würde zerbrechen, aber so war der Befehl des Horus. Es ging natürlich auch alles gut, der gute Gott weiß, was er tut. Das war aber spezieller Schmuck.“ „Ein Ehrengeschenk“, deutete Merit eilig an, um zu zeigen, dass sie mitdachte. „Ja, natürlich. - Nun, wie wäre es mit diesem Armreifen?“ Der „Anleger des Breitkragens“ wandte sich wieder an die Königsgemahlin. „Man könnte auch Karneol oder Lapislazuli einbauen. Schildplatt oder Muscheln, wenn es alltäglicher Schmuck sein sollte.“ Ein Ehrengeschenk dieser Güte, dachte Merit, würde bestimmt nur ein sehr hoher Beamter, damit fast sicher ein Mitglied der königlichen Familie erhalten. Und dadurch wurde der Kreis der Personen, von denen Baketbes das Schmuckstück bekommen haben könnte, immer kleiner.   Das Boot mit vierundzwanzig Ruderern und einem Steuermann erreichte das Dorf am westlichsten Arm des Nildeltas am frühen Nachmittag. Meruka, gefolgt von Ptahnacht, ließ sich unverzüglich zu dem Ortsvorsteher bringen. Ni-anch-Neith, ein Mann Mitte Dreißig, der seine Position der Tatsache verdankte, dass er als Sohn eines Schreibers einiges von seinem Vater gelernt hatte, war alarmiert. Ein sab-Beamter, noch dazu in Begleitung eines Bewaffneten, im Haus konnte nur Ärger bedeuten. Aber er bemühte sich um Ruhe. Es war ja nicht gesagt, dass es gegen ihn gehen würde. Womöglich reiste der unangenehme Besuch auch weiter und wollte hier nur übernachten. So empfing er „Ptahmose“, wie der Name auf den Papieren lautete, die Meruka vom Büro des tjati ausgestellt bekommen hatte, mit einem Lächeln und einem Krug frischem Bier. „Willkommen in meinem bescheidenen Ort, edler Schreiber. Oder, wie sagt man?“ „Sage nur Ptahmose.“ Ni-anch-Neith atmete etwas auf. Das klang nicht so, als ob er überprüft werden sollte. „Nun, lass es dir schmecken. Es ist doch eine heiße Fahrt, trotz des Windes.“ Meruka groß sich ein. „Danke. - Ich komme soeben aus Iunu und hörte dort, dass ein junger Mann namens Sennefer, der dort lernte, aus diesem Dorf stammt.“ Der Ortsvorsteher musste kaum nachdenken. Es lebten nur zwanzig Familien hier und so viele Bauernkinder wurden nicht Schreiber. „Äh, ja. Er ist der Sohn einer Hirtenfamilie. Er hatte Glück und fiel schon mit fünf meinem Vorgänger, meinem Vater, auf, der Sobeknacht, den Königssohn, um Fürsprache bat. Damals war der Herr noch nicht tjati,“ erklärte er eilig. „Mein Vater schickte ihn dann auf Befehl nach Iunu. Was ist mit ihm?“ „Er ist aller Wahrscheinlichkeit nach tot. Man sollte seine Eltern informieren.“ „Wo wurde er denn begraben?“ „Er verschwand. Vor einem halben Jahr. Es gibt kein Grab.“ „Oh, wie schrecklich! Wie soll er denn dann im Westen leben!“ Ni-anch -Neith schüttelte sich. Was für ein grässliches Schicksal in alle Ewigkeit gestorben zu sein. Dann meinte er: „Ich kann seinen Vater herkommen lassen, wenn du es wünscht. Er ist Hirte und die Herden sind momentan außerhalb des Überschwemmungsgebietes. Ah, warte.“ Er dachte nach. „Das wird sie hart treffen, soweit ich mich entsinne war er ihr einziger Sohn und sie hofften natürlich auf seine Karriere und damit auch die ihre. Jetzt ist nur noch eine Schwester übrig, die die Totenversorgung für die Eltern übernehmen kann.“ „Sie ist im Dorf?“ „Ja. Paadineith. Sie ist die Ehefrau des Töpfers. Dieses Dorf gehört ja Sobeknacht persönlich, und so hat er uns auch Handwerker geschickt.“ „Dann genügt es wohl, wenn ich sie in Kenntnis über das Schicksal ihres Bruders setze.“ „Du hast den langen Weg von Ibenu-hedj auf dich genommen ….Nun ja, ich verstehe. Keine Totenopfer für Sennefer und kein sozialer Aufstieg für seine Eltern.“ „Nicht nur deswegen.“ Meruka war ein wenig verwundert. Ni-anch-neith musste Sennefer bei einem Dorf dieser Größe doch gekannt haben, auch, wenn der jünger war. Andererseits war der mit fünf bereits weggebracht worden – und der Sohn des Ortsvorstehers war mit dem eines Hirten kaum gut Freund. Hirten waren unten auf der sozialen Leiter und für Paadibast war sicher schon die Ehe mit einem Handwerker ein gesellschaftlicher Aufstieg gewesen. Umso mehr mussten sich Sennefers Eltern über seinen Weg zum Schreiber gefreut haben. Was also war mit ihm passiert? Allerdings erklärte das auch seinen Lerneifer, seinen Ehrgeiz, der ja an der Schule auch aufgefallen war. „Lass sie rufen, ja. - Und, während wir warten – du hast Sennefer nicht direkt gekannt?“   Während der Ortsvorsteher einen seiner Söhne losschickte, dachte er nach, wie man das formulieren sollte. So sagte er, als er sich wieder neben seinen unwillkommenen Gast setzte: „Nun ja, ich kannte ihn, aber er war deutlich jünger als ich, zehn Jahre sind als Kind eine Menge. Aus Iunu kam er nur einmal im Jahr her und besuchte seine Eltern, da habe ich ihn so gut wie nicht gesehen. Wenn du wissen willst, warum er verschwand – das kann dir seine Schwester oder die Eltern bestimmt eher sagen. Ich sah ihn das letzte Mal, als der Herr, der tjati, hier war. Da war er bei ihm, er besuchte seine Eltern und mir wurde gesagt, dass er zu einem Beamten ernannt werden sollte. Das war im ersten Monat der Peret, gerade ehe wir aussäten. Der Herr machte sich natürlich ein Bild von unserer Arbeit, auf allen seinen Landgütern tut er dies. Sennefer wurde ernannt?“ „Ja, er wurde Vorsteher eines neuen Weingutes des Herrn der beiden Länder.“ Hm. Meruka dachte nach. Erster Monat der Aussaat, dann wurde Sennefer ernannt. Es konnte noch gar keine Ernte geben, also, was zahlte er an Steuern oder war das nur eine bürokratische Angelegenheit gewesen, um die Bücher des Schatzhauses soweit zu bereinigen, dass eben die neu angepflanzten Reben noch keine Trauben trugen? „Machte er da einen zufriedenen Eindruck auf dich? Oder wollte er lieber hier sein?“ „Nein, er wirkte sehr zufrieden. Mit sich und ganz kemet. Ich kann mir nicht vorstellen, warum er verschwand. Vorsteher eines königlichen Gutes zu sein, gleich am Beginn der Karriere ...“ Ni-anch-Neith verriet mit diesem Satz, dass er doch etwas frustriert war, nie über einen Ortsvorsteher hinaus gelangen zu können. Er hatte Lesen und Schreiben eben bei seinem Vater gelernt und nicht in der Schule – das genügte für einen Posten in einem Dorf, aber nicht für die vielseitigen Aufgaben, die der wachsende Staat benötigte. Aber sein Vater hatte seinen einzigen Sohn bei sich behalten wollen, da er langsam erblindet war, ein Schicksal, das nur zu verbreitet war, und gegen das die medizinischen Augenschminken nur bedingt halfen. Kapitel 8: Neuigkeiten ---------------------- Paadineith, die Schwester des verschwundenen Sennefer, war eine junge Frau um die sechzehn Jahre. Sie war nervös, aber das war nur zu verständlich. Ihr war gesagt worden, dass der Ortsvorsteher und ein sab-Beamter des tjati sie sprechen wollten. Ihr war bestimmt klar, dass es nur eines Befehls bedurfte, dass sie in ein anderes Dorf kam, auf eine andere Domäne. Meruka sah auf den ersten Blick, dass sie von den Göttern gesegnet worden war, ihr Leib war deutlich unter dem weißen Kleid vorgewölbt. So sagte er freundlich: „Heil dir und deinem Kind, Paadineith. - Leider habe ich schlechte Neuigkeiten. Setz dich.“ Sie gehorchte angespannt. Er fuhr fort: „Mein Name ist Ptahmose, ich bin sab-Beamter. Es geht um deinen Bruder Sennefer. Wann hast du das letzte Mal von ihm gehört?“ „Oh. Ich … er schreibt mir nie, ich kann nicht lesen.“ Sie sah auf. „Ist etwas mit ihm?“ „Ja. Seit mehreren Monaten ist er verschwunden. Es besteht leider Grund zu der Annahme, dass ihm etwas zugestoßen ist.“ „So hat er seinen Kniff einmal zu oft durchgeführt?“ entfuhr es ihr. Meruka wurde hellhörig. „Was meinst du?“ „Oh, nichts, weiter. Er ...als er das letzte Mal hier war, sagte er nur, er habe einen Kniff gefunden, wie man schnell in der Schreiberhierarchie aufsteigen könnte.“ Sie bemerkte, dass sich die beiden Beamten vor ihr ansahen. „Ich weiß davon nicht viel, edle Herren,“ beteuerte sie hastig. „Aber er schien sehr zuversichtlich und versprach auch den Eltern ein Grab.“ „Er war das letzte Mal hier, als auch der tjati seine Besitzungen besuchte,“ sagte Meruka langsam. „Ja, er hatte ihn, und ein oder zwei andere, ja aus Iunu geholt, wo die Schule ist. Und der Herr teilte sie ein. Einen nahm er mit sich, von dem anderen weiß ich nichts, Sennefer bekam ein Weingut. Sie fuhren von hier aus dorthin.“ „Hatte dein Bruder mit einem von ihnen Streit?“ „Nicht, dass ich wüsste. Aber er war immer nur mit einem jungen Mann zusammen, wenn er durch den Ort ging.“ „Menmire?“ „Ich kenne den Namen nicht, edler Herr.“ „Nein,“ erwiderte der Ortsvorsteher nachdenklich. „Der Herr war mit seinem Sohn hier, damit der alles lernen kann, natürlich, wie es sich ziemt. Ja, sie hat Recht. Sennefer war mit dem Sohn des tjati zusammen. Akenptah. Sie haben sich wohl auf der Reise kennengelernt und haben doch ungefähr das gleiche Alter.“ Er bemühte sich, seine Verbitterung zu verbergen, sachlich zu bleiben, wie es sich für einen Gelehrten ziemte. Dieser junge Sohn eines Rinderhirten hatte es vermocht sich an den Sohn des obersten Beamten heranzumachen. Kein Wunder, dass er auf rasche Beförderung hoffte. Akenptah. Meruka hatte wieder den Eindruck Sachmet persönlich am Schwanz gepackt zu haben. Das wurde immer heißer, dieser Fall. „Hat dir dein Bruder erzählt, was er in Ibenu-hedj wollte?“ „Nein, Herr. Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört .Er schrieb nur unseren Eltern, den Brief las ihnen Ni-anch-Neith natürlich vor.“ Meruka sah zu dem Ortsvorsteher. Er dürfte hier der einzige Mann sein, der lesen und schreiben konnte. So meinte der: „Es war nichts besonderes. Eben, dass er ernannt sei, die Domäne neu sei und er hoffe, sich bald hocharbeiten zu können. Er versprach ihnen ein gemauertes Grab und Beigaben. Aber es war wirklich nur ein gewöhnlicher Brief.“ „Nun gut.“ Meruka wusste, dass er hier so nichts mehr erreichen würde. „Danke, Paadineith. Und möge dein Kind heil und gesund sein.“ „Danke. Ich … ich sage meiner Mutter, dass Sennefer ... “ begann sie unsicher. „Er weilt wohl in den Schilffeldern des Westens, ja.“ Der Gruppenleiter blickte zu Ptahnacht, der in seiner Rolle als Wächter stumm neben der Tür stand. Dieser würde ihn verstehen und sich im Dorf umhören, ob noch wer Sennefer mit dem Sohn des tjati gesehen hatte oder ob es sich um einen Jungen aus der Schule gehandelt hatte, was die Leute insgesamt von Sennenfer dachten. Einem einfachen Diener gegenüber wurde deutlich öfter der Mund geöffnet. Hm. Es wäre wohl auch gut, wenn sich Nefer in Ibenu-Hedj mal im Haus des tjati nach Sennefer erkundigen würde. Nur, wie sollte man das unauffällig tun? Weder der Königsbruder noch dessen Sohn waren Personen, die man eben mal so einfach belästigen durfte. Gegen Sobeknacht konnte ihn auch Hekaptah kaum schützen. Natürlich wäre er immer noch durch den Auftrag gedeckt, aber ...Ja, aber.   Ptahnacht wartete nur auf das Nicken des Gruppenleiters, ehe er sich wie zufällig Paadineith anschloss. Der Ortsvorsteher würde ihn kaum vermissen, und es würde auch kaum jemandem auffallen, wenn er sich scheinbar ein wenig die Beine vertrat. Meruka wusste stets, was er tat, und Ptahnacht würde ihm auch nie vergessen, dass er ihn zurück in die Maat geholt hatte, es ihm ermöglicht hatte wieder in kemet zu leben. Aus der einseitigen Bewunderung war irgendwann im Laufe der Zeit wirkliche Freundschaft geworden, auch etwas, was der Fischersohn dem hochgeborenen Beamtensohn anrechnete. „Äh, Paadineith, wo kann ich etwas zu trinken bekommen?“ Die junge Frau fuhr fast erschrocken herum, entspannte sich dann, als sie das Lächeln sah. „Dort, die Frau, sie ist die Dienerin des Ortsvorstehers. Ni-anch-Neith hat nicht mehr geheiratet.“ „Danke.“ Er ging zu der älteren Frau, wohl eine Witwe, und bat um Trinken. „Ja,“ sagte diese mit einem Blick auf den Dolch in seinem Gürtel und der Lanze in seiner Hand. „Du kamst wohl mit dem hohen Beamten?“ „Ja. Und während die Herren sich unterhalten, darf ich mich auch um meine Bedürfnisse kümmern.“ „Dann lebst du in Ibenu-hedj? - Komm, ich habe gerade Bier angesetzt.“ Frisches Bier war gut, denn in der Hitze wurde es rasch verdorben. „Danke, das ist freundlich. Ja, ich lebe in Ibenu-hedj. Im Palast des mächtigen Horus.“ Er kannte die Neugier der Menschen auf den König und Gott. „Oh. Hast du ihn dann schon einmal gesehen?“ „Ja, ab und an. Natürlich darf man ihn nicht anblicken.“ „Nein, natürlich nicht. Wie macht man es?“ „Nun, es kommt der Warnruf, dann werfen sich alle zu Boden.“ Nur die Wachen nicht, natürlich, aber das musste er ihr nicht erzählen. „Welcher Warnruf?“ „Hüte dich Erde, es naht der Gott. - Oh, ich heiße Ptahmose.“ Nun ja, eigentlich nannte sich momentan Meruka so, aber was sollte es. Namen erweckten Vertrauen, das predigte sein Vorgesetzter. „Sat-Neith. - Hier, trinke. Du musst den hohen Herrn wohl immer begleiten, wenn er Amtsgeschäfte hat?“ „Ja.“ Er wusste, dass sie nicht direkt fragen wollte, aber es würde schon durch Paadineith rasch die Runde machen. „Er wird bald in die Hauptstadt zurückkehren. Es ging um einen jungen Mann namens Sennefer.“ „Ach, deswegen sollte die Schwester kommen? Ist etwas mit ihm?“ „Er ist wahrscheinlich tot.“ „Oh, er war doch noch jung.“ „Schlimm für die Eltern, er war wohl der einzige Sohn.“ „Ja, jetzt wird Paadineith das Grab übernehmen müssen. Nun ja, immerhin ist sie eine Handwerkerfrau, da geht schon mehr als es die Eltern allein geschafft hätten. Der Vater ist Rinderhirte.“ „Rinderhirte.“ Ptahnacht tat erstaunt. „Und dann wird der Sohn Gutsvorsteher. Gut.“ „Er wurde mit fünf schon an die Schule geschickt und hat sich herausgemacht, ja. Ich habe ihn ja nur gesehen, als er das letzte Mal mit dem Herrn hier war.“ „Von der Schule darf man wohl nicht oft nach Hause. Ich war da ja nie.“ „Nun, wer schon. - Ja, vermutlich. Aber er unterhielt sich auch nicht mit uns, immer nur mit den Schreibern des tjati und dessen Sohn.“ Um der Gerechtigkeit willen musste Ptahnacht zugeben, dass Sennefer sich kaum mehr an die Leute im Dorf erinnerte – zwölf Jahre waren eine lange Zeit, Eltern und Schwester hatte er besucht. Und es war geschickter sich mit den neuen Vorgesetzten und Kollegen gut zu stellen. Nein, eigentlich hatte der Verschwundene alles richtig gemacht. Nur, warum war er eben verschwunden? Hier im Dorf war kaum mehr etwas über den zu erfahren, dazu war er zu lange weg gewesen. Er selbst sollte vermutlich die Unterhaltung langsam beenden, da sein Becher leer war. „Ach ja, dieses Dorf gehört ja dem tjati. Und der hat einen Sohn.“ „Nur einen noch ja. Zwei oder sogar mehr sind schon länger tot und das Mädchen fiel in den Fluss vor zwei Jahren. Vor lauter Kummer starb dann auch die Frau, samt dem noch nicht einmal geborenen Kind. Eine schreckliche Tragödie. Und das, obwohl er doch dem Krokodilgott geweiht ist!“ „Ja.“ Ach ja, Sobek, der Krokodilgott. Ptahnacht stammte selbst von der Meeresküste und hatte Krokodile erst später in seinem Leben gesehen, als er bereits gelernt hatte, dass Menschen Raubtiere waren. „Vielleicht auch deswegen. - Danke für das Getränk. Ich muss zurück.“ „Bitte.“ Natürlich ging die Arbeit vor.   Auf dem Rückweg sah der Krieger, dass das Schiff ausgeladen worden war. Vor dem Haus des Ortsvorstehers stapelten sich die Waren aus der Residenz für das Fest der Sopdet, denn die Flut würde hier erst in wenigen Tagen eintreffen. Dann wurde aus dem Dorf eine Insel. Wie überall im sumpfigen Delta war auch dieses auf einem Sandrücken erbaut worden, der in aller Regel der Überschwemmung trotzte. Die Rinder, die im Winter auf den fruchtbaren Weiden grasten, waren bereits abgetrieben worden und warteten mit ihren Hirten in den magereren Randgebieten auf den Rückzug des Wassers. Ptahnacht warf einen Blick auf die Güter, die, sobald Ni-Anch-Neith seinen unbeliebten Besuch losgeworden war, gleichmäßig unter den Dorfbewohnern verteilt werden würden. Nun ja, die Rinderviertel wurden wohl vom gesamten Ort gebraten und verspeist. Der tjati schien gut für seine Domänen und Untergebenen zu sorgen. Der Wächter blieb stehen, als er seinen Vorgesetzten mit dem Ortsvorsteher aus dem Haus treten sah. Der Erstere blickte zu ihm und winkte. „Komm nur, der werte Ni-Anch-Neith machte darauf aufmerksam, dass dies wohl erst einmal das letzte Schiff wäre, das von hier zurück in die Residenz fährt. Die Flut kommt und drängt selbst den Wind etwas zurück.“ Der Gruppenleiter lächelte etwas. Man konnte natürlich immer mit dem Wind auch von hier nach Ibenu-hedj oder sogar weiter bis nach Abu fahren – es mussten nur Ruderer mit an Bord sein, wie es auch üblich war. Der Ortsvorsteher war allerdings diese Ausrede eingefallen, um den sab-Beamten rasch wieder loszuwerden. Er hatte so getan, als ob er ihm glaube. Schließlich lag es auch in seinem eigenen Interesse rasch zu erfahren, was Rahotep und Merit herausgebracht hatten und selbst dem Siegler des Königs Bericht zu erstatten. Länger in diesem winzigen Dorf herumzusitzen war nicht nötig.   Merit war ein wenig überrascht, als sie Rahotep auf sich zusteuern sah, blieb jedoch stehen. Der Arzt wollte bestimmt etwas von ihr. „Guten Morgen.“ „Guten Morgen, Merit. - Ich dachte mir, dass du ein wenig auf ...das Leben in unserer Gruppe neugierig wärst. Komm doch heute Abend zu der Laube am Fischteich, im vorderen Garten.“ „Oh, das ist nett.“ Eine wirklich gute Idee, aus mehreren Gründen. Zum einen war sie doch unsicher, wie ihre zukünftige Rolle aussehen sollte, zum anderen war der vordere Garten gerade abends belebt genug, dass es kaum auffallen würde, unterhielte sie sich mit einem jungen Mann, zum dritten war die Laube am Teich schattig und kühl, gerade jetzt im Hochsommer eine wirkliche Erholung. Selbst hier mitten im Palast aus dicken Lehmziegelmauern war die Luft inzwischen stickig geworden. Nun ja, das war eben so, ebenso wie nach der Flut die Mückenschwärme über alle Menschen und Tiere in kemet herfallen würden, oder man im Winter sich nur mit den Herdfeuern warmhalten konnte. Ja, erst vor wenigen Jahren hatte es im Norden, im Delta sogar einmal geschneit,, ein Wunder, das selten vorkam. Regnen tat es dort immerhin häufiger. Bereits in Ibenu-hedj regnete es so gut wie nie, von Oberägypten ganz zu schweigen. Nur die Wasser des Flusses, sorgfältig in Becken aufbewahrt, sicherten die Ernten. Sie lächelte. „Soll ich etwas mitbringen, Rahotep? Zum Schreiben?“ „Nein, ich dachte wirklich an ein Gespräch, keine Lehrstunde.“ Ah, da bemerkte auch er die beiden, eindeutig höhergestellten, jungen Damen, die sie aus Distanz kichernd beobachteten. „Was haben sie?“ Merit wurde etwas rot. „Ich habe immer betont, dass ich nicht heiraten möchte, sondern im ipet bleiben. Sie amüsieren sich wohl nur, dass ich mich mit einem Mann unterhalte.“ Entschuldigend ergänzte sie: „Weißt du, den Königsschwestern und -töchtern ist auch manchmal langweilig.“ „Und sie dürfen ja praktisch nicht heiraten, also nur innerhalb der Familie. Wobei, die Tochter des semer, also, immerhin eines Königssohnes, ist ja auch mit einem Beamten aus dem Gazellengau verheiratet.“ „Ja, aber sie ist ja nur noch die Enkelin eines Königs. Das ist schon wieder anders.“ „Ich habe mich mit dem Erbrecht des Herrn der beiden Länder nie beschäftigt. Gut. Dann nach dem Abendessen.“ Er ging.   Abends waren die Gärten des Palastes fast überfüllt. Jeder suchte Entspannung nach der Arbeit und Hitze des Tages, sei es im eigenen Garten oder eben hier. Merit entdeckte ihren neuen Partner und lächelte. Rahotep kam auf sie zu. „Komm, ein wenig spazieren, Schwester. Wenn ich dich so nennen darf.“ Sie war wirklich erfreut. „Ja, gern. Ptahnacht und du nennt Nefer ja auch so. Und ihr kennt sie viel länger.“ „Ich werde natürlich nichts über das Leben der Anderen erzählen, das müssen sie selbst tun, aber meines. Wie ich schon sagte, stamme ich aus Sau, mein Vater ist der Ortsvorsteher und Schützer des Westens. Das heißt, er darf Bauern ausheben um kemet zu verteidigen, wenn libysche Stämme wieder einmal in das Delta einfallen. Natürlich sollte ich sein Nachfolger werden, aber ich wurde lieber Arzt. Das bedeutet, ich habe zuerst mit fünf die Schreiberlehre angefangen, wie es für einen Beamten vorgeschrieben war, dann, nachdem mein Vater zustimmte, mit zwölf die Arztlehre angefangen. Dabei hatte ich das Glück, dass der Leibarzt des Herrn der beiden Länder mich bemerkte und als seinen persönlichen Lehrling aufnahm. Drei Jahre Lehre und dann die Ausbildung ... - Ich war siebzehn, als ich das erste Mal an einer Expedition teilnahm, nach Osten. Dabei lernte ich Meruka kennen. Er war der Sohn eines hohen Beamten und befehligte eine Schar von fünfundzwanzig Kriegern.“ Rahotep lächelte. „Und er fand eines Tages einen Mann in der Wüste, vollkommen verwildert. Nun ja. Statt ihn umzubringen nahm er ihn mit und hörte ihn an.“ Merit begriff plötzlich. „Ptahnacht.“ Der Arzt war etwas erstaunt, lächelte jedoch erneut. „Ja, ich verstehe, Schwester. Du kannst wirklich denken. Ja. So lernten wir uns alle drei kennen. - Meruka ist unser Vorgesetzter, das weiß er, und das solltest du nie vergessen. Aber er hat etwas, dass ich nie könnte – er plant. Ich bin eher … spontan. Deswegen hat es mir auch nie gefallen, dass ich mich für eine Laufbahn als Augenarzt oder Internist entscheiden sollte, noch einmal eine doch recht spezielle Ausbildung beginnen sollte Was ich dann auch nie tat. Das Leben auf den Expeditionen, Kriegszügen oder auch hier gefällt mir besser. Schnell entscheiden, in einem weit gefächerten Gebiet. - Wenn bei einem Auftrag jemand von euch krank wird oder verletzt – ich muss sehr schnell dagegen vorgehen können und zumeist unauffällig. Diese Herausforderung reizt mich.“ Ja, er war spontan. Und fürsorglich, das zeigte dieses Gespräch. „Bist du verheiratet?“ fragte sie unvermittelt. „Niemand von uns. Ich war es einmal fast, aber das Mädchen starb kurz vor der Hochzeit. Nichts konnte sie retten.“ „Das tut mir Leid.“ „Du hast dich auch für ein Leben ohne Ehemann entschieden. Keine Kinder, aber der Dienst des mächtigen Horus, nicht wahr.“ Merit bemerkte durchaus die neugierigen Blicke, die sie und den Mann an ihrer Seite trafen, aber, das hatte Rahotep wohl auch gesehen. „Ja. Auch, wenn man natürlich als Herrin des Hauses selbständig ist.“ Sie kannte zu viele Frauen, die im Kindbett gestorben waren, aber natürlich waren Kinder ein Geschenk der Götter. „Ich würde dir gern etwas mehr erzählen, aber das ist verboten. Wir müssen schweigen. Als Arzt und als … Mitarbeiter.“ „Ich verstehe. Danke für das Gespräch. Es hat mich doch beruhigt.“ „Ich weiß.“ Rahotep betrachtete auch die seelische Ausgeglichenheit seiner Mitstreiter als Aufgabe – gerade bei Nefer und Ptahnacht, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Merit schien der leichtere Fall zu sein.   Als Meruka in Ibenu-hedj eintraf, entließ er Ptahnacht zu seinen Pflichten im Palast, während er selbst unter der sinkenden Sonne zu dem Haus seines Stiefvaters ging. Dort wurde ihm sofort gesagt, dass sich der Siegler im Garten befände. Warum seine Mutter nicht dort war, konnte der sich der Ermittler vorstellen, denn aus den Zimmern der Hausherrin klang heiteres, rein weibliches, Gelächter. Sie hatte wohl ihre Freundinnen zu Besuch. Hekaptah saß in einer mit Wein umrankten Laube am Zierteich, einen Becher mit Wein und eingelegte Datteln vor sich. „Ah, Meruka. Neuigkeiten?“ „Einige.“ Er wartete höflich die einladende Handbewegung ab, ehe er Platz nahm und sich unwillkürlich rasch umsah. Aber, hier waren sie allein. So berichtete er von seinem Besuch in Iunu und auf der Domäne des tjati. „Ein Schützling von Sobeknacht und einer von Chnummose.“ Der Königsbruder dachte nach. „Das ist mehr als verdächtig, da hast du Recht. Aber alles, was sie neben ihrer Schule gemeinsam haben ist die Tatsache dieser Herberge. Ptahschepses. - Nimm doch ein wenig von den Datteln.“ „Danke. Und ja, ich würde sagen, auch, wenn man damit doch vielleicht einen Hintermann aufschrecken könnte, man sollte dieses Ehepaar befragen. Sie sind die Einzigen, die wissen können, was Menmire und Sennefer womöglich noch gemeinsam hatten.“ „Ich werde es Anchnefer sagen, dass er sie verhaften lassen soll. Und dir erzählen, wenn noch etwas vorgekommen ist.“   Hm. Meruka dachte noch einmal nach, während er eine getrocknete Dattel aß. Sobeknacht war der tjati, Akenptah sein einziger überlebender Sohn. Was auch immer dieses Ehepaar aussagen würde - wer oder was hatte mit diesen Beiden zu tun? Vielleicht sollte er umsichtiger vorgehen, ohne das jedoch seinem Stiefvater zu erzählen, um den nicht aufzuschrecken. Immerhin war Hekaptah Sobeknachts Bruder. „Ich hoffe jedenfalls, dass nur diese Zwei verschwunden sind.“ Das war die Wahrheit und eine gute Umschreibung. „Ja. Und, du kannst immerhin soweit unbesorgt sein, Akenptah befindet sich mit dem Leiter aller Arbeiten des Königs in Abu, um dort den Palast und eine weitere kleine Pyramide zu bauen.“ „Das ist gut,“ erwiderte Meruka höflich, ehe er überrascht aufsah. „Er ist in Abu? Ich dachte, der Bauleiter hat den Königssohn mitgenommen, Menhekat.“ Der einzige, überlebende Sohn der maat-hor, der Falke im Nest und wahrscheinliche künftige König. „Auch dieses. Beide Cousins sind mit ihm unterwegs. Sie sollen die Logistik solcher Bauten lernen, zumal Abu eigen ist.“ Da Hekaptah sah, dass der Jüngere nicht verstand: „Abu in der Überschwemmungszeit sind zwei Inseln. Auf einer liegt das Dorf, auf der anderen die Festung und der zu bauende Palast. Erst, wenn das Wasser sinkt, wird es wieder eine Insel werden. Momentan geht alles nur über den Fluss. Sehr schwierig, da sehr beengt.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ Doch, er müsste mit Nefer reden und ihr einen besonderen Auftrag geben. Natürlich auch mit Rahotep und Merit, was diese herausgefunden hatten. Ihn jedenfalls störte an der ganzen Sache der Abstand von vier Monaten zwischen dem Verschwinden der beiden jungen Männer. Hoffentlich konnte das Ehepaar da Auskunft geben. Nun ja, sie würden müssen.     Kapitel 9: Zwischenergebnis --------------------------- So traf sich bereits früh am Morgen der Sonderermittler mit Rahotep und Merit, die höflich zuerst den Arzt antworteten ließ, dass er nichts weiteres herausgefunden habe. Daher blickte Meruka zu dem Mädchen aus dem ipet: „Und die Türkise?“ „Sie können aus Ton imitiert werden und werden es auch, für einfachere Leute. Aber meine Beschreibung passte dem Hofjuwelier nur auf eine Kette, die einmal aus einem Türkis auf Befehl des Herrn der beiden Länder, er lebe sei heil und gesund, geschnitten hatte.“ „Ehrenschmuck,“ schloss Meruka, die höfisch-höfliche Formel ignorierend, die man anwandte, wenn man über den Lebenden Horus sprach. „Oder gar für ihn selbst?“ „Nein, ich redete, hoffentlich unauffällig, später noch einmal mit einem Gehilfen. Diese Kette besteht aus einem sehr großen Türkis, der in feine Scheiben geschnitten wurde und mit Silber eingefasst ist. Silber, sagte er, sei noch kostbarer als Gold und könne nur weit entfernt eingekauft werden.“ „Und die Kette von Baketbes, die ihr beide morgens zusätzlich an ihrem Hals saht, war so etwas.“ „Es sah sehr danach aus,“ bestätigte Rahotep sofort. „Silber. Mit ein Grund, warum ich sie zunächst für eine Fälschung hielt. Aber Merit versteht ziemlich was von Juwelen.“ „Danke“, erwiderte sie prompt und bewies ihrem Vorgesetzten damit, dass sich diese Beiden wohl angenähert hatten – als Gefährten. Aber sie ergänzte: „Meruka, er erzählte mir, dass der Herr der beiden Länder diese Kette nur einmal verschenkte, an seinen tjati, an Sobeknacht zu dessen zehnjährigem Amtsjubiläum.“ „Das werde ich sofort weitergeben.“ Damit sich der alte Anchnefer und sein Stiefvater auf das notwendige Gespräch mit dem Obersten Beamten vorbereiten konnten – und klären konnten, wie Baketbes an diesen Schmuck gekommen war. Diebstahl? Ein Geschenk? Heute Morgen sollte das Wirtsehepaar ja verhaftet werden, und allein die Aussicht auf hundert Schläge brachten die Meisten zum Reden. Auch säumige Steuerzahler, gleich, ob Bauern oder Gutsverwalter erhielten Prügel. Aber Meruka kannte nicht zuletzt auf Ptahnachts Erzählungen, dass in Ugarit und anderswo die Leute dafür hingerichtet wurden. Dies geschah in kemet doch nur bei dem förmlich unmöglichen Angriff auf die heilige Person des Lebenden Gottes. Undenkbar, also. Und er musste dringend mit Nefer reden, damit sie als Wäscherin, als einfache Frau, Witwe, vom Lande, befohlen in das Haus des tjati wurde. Wenn Ankentptah zurückkehrte, sollte er wenigstens eine Beschützerin da haben. Wer wusste, was noch passiert war. Denn es stellte sich durchaus die Frage, ob es da nicht jemand auf die jungen Beamten im Allgemeinen oder auch nur auf die in der neuen Schule abgesehen hatte. Wo zum Beispiel steckten die anderen beiden jungen Schreiber, die der tjati aus Iunu mitgenommen hatte?   Sobeknacht trank einen Schluck Bier. Es war brütend geworden in der Mittagshitze und die Tatsache, dass sich zumindest im Süden die Flut bereits zurückzog, verursachte ihm mehr Aufgaben. Die Felder mussten neu eingemessen werden, die Flutbecken überwacht, anhand der Höhe der Überschwemmung die Ernte und damit Steuer für das folgende Jahr berechnet werden. Ja, das sollten die Verwalter und Herren vor Ort tun, aber es war leider seine Sache, wie sie es taten. Nur zu bald würden überdies Myriaden Mücken und Fliegen auch hier in der Hauptstadt ihr Unwesen treiben und außer mit Räucherpfannen und dichten Netzen über den Betten war es kaum möglich sich gegen die Plage zu schützen. Nicht einmal sein großer Garten hier in Ibenu-hedj bot Schutz vor diesen Tieren, die es gerade zu heimtückisch verstanden jedes bisschen Erholung am kühleren Teich zu zerstören. Wenn nur ein Arzt einmal etwas gegen diese Mücken finden würde! Ja, die Räucherwerke waren besser als nichts … nun, er sollte nicht undankbar sein. Irritiert sah er auf, da er sich eigentlich jede Störung verbeten hatte, aber ein Schreiber öffnete die Tür und meldete, dass Anchnefer, der Leiter seines eigenen Büros, und Hekaptah, sein Halbbruder und dritte Mann kemets, der Herr der Schatzhäuser um dringende Audienz baten. Das war in all seinen Jahren als tjati noch nicht passiert und er machte fast erschrocken nur eine einladende Handbewegung. Was war so schief gelaufen, dass sich beide zusammen taten? Immerhin konnte er sicher sein, dass sie ihm gegenüber loyal, ja, befreundet, waren, aber sie würden kaum um eines seiner Fehler willen in den Steinbrüchen landen wollen. Oder, schlimmer, war etwas mit seinem einzigen Sohn geschehen? „Willkommen“, sagte er dennoch höflich. Ein Beamter sollte sich immer beherrschen können. „Nehmt doch Platz. Nun, was ist geschehen, dass euch nicht einmal die Hitze von einem Besuch abhalten kann?“ „Deine Anweisung lautete,“ begann Anchnefer, der Büroleiter: „Das Verschwinden dieses Menmire zu klären, der der Leiter der Totenstiftung bei Chnummose war.“ „Er war?“ Für einen Augenblick war der tjati erleichtert, dass ein Fall abgeschlossen wäre, ehe ihm dämmerte, dass dann kaum der Siegler anwesend wäre. „Weiter, was ist ihm zugestoßen? Chnummose ist in der Stadt.“ „Menmire ist tot. Aber ehe ich dir ausführlich berichte ...“ Anchnefer blickte ein wenig hilfesuchend zu Hekaptah, der eine Kette hervorzog und sie zwischen den Dreien auf den Boden legte. „Du kennst sie, mein Bruder?“ fragte er fast sanft. „Ja, natürlich.“ Sobeknacht war jetzt mehr als irritiert – und alarmiert. Immerhin schien nichts mit seinem Sohn passiert zu sein. Es war nur dienstlich. „Der Herr der beiden Länder erwies mir die Ehre sie mir zu meinem Amtsjubiläum zu überreichen.“ Hekaptah fuhr fort: „Wachen des Königs und sab-Beamte fanden sie heute morgen unter dem Schmuck einer Wirtin in der Stadt. Ihr Name ist Baketbes.“ Der tjati erschrak. Es galt als unmöglich, ja, fast ein Verbrechen, derartige Ehrengeschenke an andere weiterzugeben, höchstens den eigenen Erben. „Dann ist es doch kaum meine. Nun gut, ich habe sie länger nicht getragen ...“ murmelte er mehr ehrlich als verteidigend. „Es müsste deine sein,“ erklärte Anchnefer. „Wir verhafteten das Wirtsehepaar allerdings aus einem anderen Grund. Bei den Ermittlungen zum Verschwinden Menmires stellten sich zwei Punkte heraus. Erstens, er war in eben dieser Herberge verschwunden und zweitens, ebendort ein weiterer, junger Beamter. Sennefer.“ „Irgendwie sagt der mir was.“ Sobeknacht zog die Augen etwas zusammen und starrte auf diese ominöse Kette, als könne die ihm Antwort geben. „Der Junge aus meinen Domänen? Er verschwand auch dort?“ „Ja.“ „Weiter.“ „Wir haben jetzt die Aussagen des Wirtes Ptahshepses und seiner Frau Baketbes. Es muss sich folgendes abgespielt haben: Sennefer kam bei dem üblichen Besuch als neuer Vorsteher eines Weingutes nach Ibenu-hedj. Diese Herberge entsprach seinem Stand. Noch bevor er allerdings eintraf, kamen zwei junge Männer zu der Wirtin. Baketbes ist offenkundig eine sehr törichte Frau und glaubte ihnen, als sie ihr geheimnisvoll anvertrauten, sie würden in deinem Auftrag handeln, ja, in dem des Horus selbst. Sie gaben ihr ein Fläschchen und wiesen sie an, das einem gewissen Sennefer in den Wein zu schütten, wenn er käme. Und ihm das Einzelzimmer zu geben.“ „Das wäre kaum ein übliches Vorgehen.“ Der tjati musterte seinen Bürovorsteher jetzt gespannt. „Weißt du, wer diese Männer waren?“ Wenn sich da einige einer Beamten selbstständig gemacht hatten, waren sie unverzüglich aus dem Dienst zu entfernen – am Besten weit in die östliche Wüste. „Nein, sie konnte dazu nichts sagen. Jedenfalls tat sie, offenbar voller Stolz bei einer Geheimmission mitmachen zu dürfen, das Gewünschte. Sennefer wurde, mindestens betäubt, wenn nicht mehr, und schlief in dem Einzelzimmer rasch ein. Kurz darauf kamen diese beiden jungen Männer wieder, sie waren bewaffnet und trugen eine Kiste oder großen Korb mit sich. Sie gingen in das Zimmer und kehrten mit dem Korb wieder hinaus. Dabei bedankte sich der Sprecher bei ihr und gab ihr als Geschenk diese Kette. Sie erkannte sie als überaus wertvoll, aber, da das eine Sache des Horus und tjati gewesen war, durfte sie sie niemandem zeigen. Das versprach dieses törichte Ding auch.“ Sobeknacht holte tief Atem und sah erneut auf die Kette. „Sennefer hatte sie?“ „Das oder die Unbekannten haben sie von dir.“ Hekaptah versuchte den Schock zu mildern. „Aber du nahmst den Jungen doch von Iunu mit nach Norden in deine Domänen? Hattest du da diese Kette dabei?“ Der tjati war zwar nur dem Lebenden Horus Rechenschaft schuldig, aber er begriff die Notwendigkeit. „Ja, ich glaube schon. Du weißt, wie es ist. Man hat allerlei Schmuck zusammen, packt ihn in ein Kästchen und nimmt nur an einem Tag den, der dem Anlass entspricht. Ich wollte zwar auch ein großes Fest vorbereitet sein, aber das kam ja nicht. Ich habe die Kiste auch nicht mehr ausgepackt. Und ja, ich nahm drei Jungen mit von Iunu, aber Sennefer fand Platz direkt auf meinem eigenen Schiff. Er war natürlich nicht in der Kabine, die ich mir mit meinem Sohn teilte, aber er schlief unter dem Vordach.“ „Es wäre durchaus möglich gewesen, dass er hineinschlich, wenn du an Land gingst.“ Anchnefer nahm den Faden wieder auf. „Er war nur in seinem Dorf und in Iunu und erkannte den wahren Wert dieser Kette wohl nicht. Jedenfalls sagte Baketbes aus, dass er sie trug, als er zu ihr kam.“ Der oberste Beamte kemets seufzte auf. Ein Ehrengeschenk des Horus – von einem kleinen Schreiber auf der Straße getragen! Er konnte von Glück reden, dass das niemandem aufgefallen war, der mitgedacht hatte. Das hätte ihm mindestens einen Tadel des Herrn der beiden Länder eingetragen. Er bemühte sich um Ruhe und blickte zu seinem Büroleiter. „Sennefer war also vermutlich in diesem Korb und ist seither verschwunden. Lief das bei Menmire ebenso ab?“ „Nein. Menmire kam Monate später zu Baketbes und fragte, ob sie einen Brief von Sennefer für ihn bei sich liegen habe. Sie erschrak natürlich. Aber, da es eine Geheimmission gewesen war....“ Anchnefer seufzte. „Eine schon ungewöhnlich törichte Frau. Sie komplimentierte Menmire in das Einzelzimmer und gab ihm den Rest von dem Mittel, das sie noch besaß. Er schlief, sagte sie aus. Aber sie hatte Furcht, dass du oder gar der mächtige Horus ihr zürnen würdet, käme die Sache mit Sennefer heraus, und erstach Menmire.“ „Das gab sie zu.“ Sobeknacht musterte Anchnefer. „Was geschah mit dem Toten?“ „Ihr wurde klar, dass ein Toter in der Herberge … verdächtig wäre, und sagt ihrem Mann Menmire habe sie vergewaltigen wollen und sie ihn in Notwehr erstochen. Ptahschepses glaubte ihr und brachte den Toten irgendwohin an den Nil ….Er wird kaum je gefunden.“ Erneut glitt der Blick des tjati zu der Kette. „Ich werde sie nie wieder tragen können, ohne an das Blut zu denken, das an ihr klebt. - Anchnefer, übernimm doch das Richteramt über diese Beiden. Ich wäre sicher kaum gerecht. Gleich zwei Menschen die Möglichkeit auf das ewige Leben zu nehmen, zwei jungen Männern und ihren Eltern ihre Karriere! Kann man herausfinden, der diese Unbekannten waren, die Sennefer abholten?“ Er bemerkte ein wenig verwundert den Blick, den Hekaptah und Anchnefer austauschten, ehe der Büroleiter antwortete: „Es wird daran gearbeitet. Aber die Beschreibung ist mehr als vage. Zwei junge Männer zwischen sechzehn und zwanzig, weißer Schurz, dunkle Perücken, kein Schmuck, aber Feuersteindolche. Das passt auf sehr viele. Wir sollten sie jedoch unbedingt finden. Hekaptah hier fürchtet, dass sie es auf alle Jungen abgesehen haben könnten, die in Iunu und nicht in der Palastschule schreiben lernten, aus welchem Grund auch immer.“ „Das wären ...“ Sobeknacht holte tief Atem. Sicher, die Schule war neu, aber überaus erfolgreich. Das wären bestimmt mehr als fünfzig Männer, die diese Gefahr betraf. „Gut. Anchnefer, tue alles, was du tun musst, um sie zu finden. - Hekaptah, danke. Du wirst ihn natürlich unterstützen.“ „Ja, natürlich,“ erwiderte der Siegler höflich, dessen eigene Leute die Ermittlungen führten. Aber wozu den armen Sobeknacht noch mehr belasten. Seit dem Unglück seiner kleinen Tochter war er noch immer ein fähiger Beamter, aber doch immer wieder deutlich zu emotional dabei.   Am frühen Abend, nach dem Essen, traf sich die Gruppe mit ihrem Vorgesetzten in dem Gästezimmer des tjati. Meruka berichtete, was Anchnefer herausgefunden hatte und ergänzte: „Er hat inzwischen an Hekaptah gemeldet, dass einer der Jungen unter diesem arbeite, im Haus der Doppelscheune, durchaus ein gewöhnlicher Einstieg in eine Beamtenlaufbahn. Der Zweite, ein gewisser Mernebptah, ist seit Monaten Schreiber einer großen königlichen Domäne im Hasengau. Beide leben also noch. Was mich umso mehr zu der Frage führt: was wussten Sennefer und Menmire und die anderen Zwei nicht? Gab der tjati den Befehl, wie es die beiden Unbekannten behaupteten? War es die Tatsache, dass Sennefer das Halsband des tjati stahl und trug – und sein bester Freund davon wusste? Eher nicht. Hekaptah meinte, und das glaube ich ihm, er kennt ihn sein Leben lang, Sobeknacht ist mehr als verblüfft, ja, erschrocken, gewesen. Ich gehe davon aus, dass es sich unter keinen Umständen um einen geheimen Auftrag des tjati oder auch nur seines Vorstehers der Schreiber gehandelt hatte. Wen also hatte Sennefer verärgert und wer sorgte dafür, dass er verschwand? Nefer, wie erwähnt, ich möchte, dass du dich im Haus des tjati anstellen lässt. Wenn Akenptah zurückkehrt, was bald der Fall sein dürfte, sobald die Flut nachlässt, solltest du ein Auge auf ihn haben. Irgendetwas wusste Sennefer – und ich hoffe, nichts über ein Attentat auf den tjati oder seinen Sohn. Die königliche Familie, nicht wahr, Merit, ist recht dünn geworden an Erben.“ Das Mädchen aus dem ipet war etwas überrascht so angesprochen zu werden, erkannte dann jedoch, dass Rahotep wohl recht gehabt hatte. Meruka war nüchtern – und nutzte jede Gelegenheit um seine Aufgabe zu lösen. „Oh, es gibt natürlich den Sohn der maat-hor, den Falken im Nest. Menhekat. Nun ja, er hat diesen Titel nicht erhalten, aber es ist doch recht wahrscheinlich. Es existiert nur noch ein einziger weiterer Königssohn, von einer Frau namens Ka-Merit. Er heißt Menka, ist aber erst acht Jahre alt. Sonst leben nur noch Königstöchter und – schwestern. Die Seuche kostete viele das Leben.“ „Aber der Lebende Horus hat Brüder.“ „Ja, natürlich Sobeknacht, den tjati. Akenptah ist sein einziger Sohn. Dann Hekaptah, den Siegler, der aber nur eine Tochter hat, die mit einem hochrangigen Beamten im Gazellengau verheiratet ist. Dieser ist öfter hier, sie seit der Geburt ihres ersten Sohnes nicht mehr. Ihr Name ist Meresanch. Ich wurde nach ihr benannt, sie ist nur zwei oder drei Jahre älter als ich. Aber ihr Sohn ist eigentlich nicht erbberechtigt.“ Sie wurde etwas rot, aber ihr Vorgesetzter meinte nur: „Weiter.“ „Soweit ich weiß, sind das praktisch schon alle. Der Bauleiter des Königs ist zwar der Sohn eines Königssohnes, aber der Tod des Vaters schließt alle Söhne von der Thronfolge aus.“ Für einen langen Moment herrschte Schweigen. Dann meinte Ptahnacht: „Wie ungemein … übersichtlich. Nach welchem System wird ausgesucht, welcher der wahre Thronfolger wird?“ „Das weiß ich nicht,“ gestand Merit. „Moment.“ Rahotep hob etwas die Hand. „Meruka, du rechnest mit Hochverrat?“ Der Königliche Schreiber blieb sachlich. „Akenptah ist die Nummer Drei der Thronfolge. Er lernte Sennefer kennen. Dieser verstarb, mit einem Halsband des tjati um den Hals. Weitere Fragen?“ „Ja.“ Der Arzt war ebenso nüchtern. „Sennefer kam her um die Steuern abzurechnen, Menmire Monate später. Letzterer wurde nur umgebracht, weil er nach einem Brief fragte, den ihm sein Freund ….oh.“ Meruka nickte. „Ja. Monate später kommt Menmire nach Ibenu-hedj und fragt nach einem Brief. Er musste gewusst haben, dass Sennefer in dieser Herberge war und ihm war ein Brief angekündigt worden, den Sennefer aber wohl aufgrund seines … abrupten Endes nicht schreiben konnte. Es muss also zuvor einen Briefkontakt gegeben haben, der eine saß im Delta, der andere in Ibenu-hedj oder in Nechen.“ „Das wäre nicht unmöglich,“ warf Nefer ein. „Ein Domänenverwalter schickt öfter mal Berichte an den tjati oder so. Ein privater Brief wird mitgenommen. - Aber ich verstehe, warum du möchtest, dass ich Akenptah … beobachte.“ Merit fiel auf, dass irgend ein Hintergrund darin lag. Aber sie konnte unmöglich fragen. Meruka nickte nur. „Ja. Und die Meinung der Hausbewohner über ihn herausfinden. Wird er womöglich erpresst? Wurde er es durch Sennefer? Irgendwie hängt zumindest der Mord an Sennefer mit ihm zusammen und ich möchte nicht, dass ihm etwas zustößt. Wie erwähnt, die Nummer Drei der Thronfolge.“ „Der Brief könnte im Haus des Chnummose hier in Ibenu-hedj liegen“, dachte Ptahnacht laut nach. „Aber ich vermute mal, selbst der semer bekommt Probleme, das Haus einer der Zehn Großen durchsuchen zu lassen.“ „Nicht hier,“ murmelte Rahotep. „Chnummose und damit Menmire waren in Nechen. Falls der Junge so närrisch war einen solchen Brief aufzuheben, müsste der in Nechen liegen. Oder er hat ihn bei sich getragen, dann ist er jedenfalls weg. Natürlich bleibt da ein Problem, dass Chnummose nicht begeistert sein wird...“ „Chnummose erfährt momentan vom Herrn der beiden Länder höchstselbst, was mit seinem Totengutverwalter passierte.“ Meruka dachte kurz, aber umso schärfer, nach. „Ihr habt recht. Ptahnacht, geh zum Hafen, mit einem Befehl des semer. Morgen früh brauchen wir einen Eilruderer nach Nechen. Wir müssen vor der Anweisung von Chnummose, die persönlichen Habe Menmires an seine Familie zu schicken, da sein. Rahotep, du kommst mit. Nefer, du bekommst noch ein Schriftstück aus dem tjati-Büro, dann kannst du dich morgen als verwitwete Bäuerin mit Auftrag im Privathaus Sobeknacht vorstellen. - Merit, du behältst Menka im Auge. Ich fürchte wirklich, hier ist ein Verrat im Gange.“ „Aber, wie und warum ...“ stammelte Merit. „Der Lebende Horus ...“ „Ja.“ Ptahnacht sah zu ihr. „Der Lebende Gott ist unantastbar und nur ein Narr würde sein hiesiges und ewiges Leben verspielen. Aber Thronfolger sind nur Menschen.“ Meruka nickte. „Falls ich mich irre, wir uns irren, passiert gar nichts. Aber wenn wir aus Zufall wirklich den Schwanz der Sachmet in die Hand bekommen haben ...“ Er brauchte nicht weitersprechen.   Kapitel 10: Nefer ----------------- Kaum jemand hätte in der Frau, die sich schüchtern an den Türsteher des großen Hauses wandte, die „Wärterin des Apis“, wie Nefers offizieller Titel lautete, erkannt. Statt des schneeweißen Leinen des Hofes trug sie jetzt dunkleres, deutlich gröber gewebtes, das Kleid war unverziert und nur an einem Oberarm lag ein Kupferreifen. Unter ihrer schwarzen Perücke zeigte sich an der Stirn ihr eigenes Haar, das sie allerdings mit etwas Kalk aufgehellt, ergraut, hatte. Mit viel Erfahrung aus ihren, wie sie es heute nannte, „dunklen Jahren“, hatte sie ihre allgemein übliche Augenschminke ein wenig zu sehr in die Augenwinkel gezogen, so dass es auf einen flüchtigen Beobachter wie Fältchen wirkte. Auch bemühte sie sich um den schweren Dialekt ihrer Heimat. Im Süden wurde vollkommen anders gesprochen und ein Mann aus dem Delta und aus Abu konnten sich fast nicht verständigen. In der Beamtenschaft sah das, schon durch die gemeinsame Schulbildung, doch anders aus, aber auch sie hatte beide Dialekte und die eigenartige Mischung daraus erst in der Hauptstadt gelernt. Der Türsteher konnte sie kaum verstehen und auch nicht lesen, aber er erkannte an dem Papyrus, den sie ihm hinhielt, das Siegel seines Herrn. So vermutete er zurecht, die Bäuerin solle herkommen. Nun ja, das war eine Sache des Hofmeisters, der konnte das sicher lesen. So schickte er Nefer weiter in das Haus und beschrieb ihr den Weg, den sie mit eifrigem Nicken auch ging, sichtlich neugierig und verschüchtert zugleich. Natürlich durfte sie nicht durch den Haupteingang. Linker Hand befanden sich jedoch kleine Häuschen und Zimmer, in denen die Dienstboten hausten, die Häuser mit eigenen winzigen Gemüsegärten daran. Rechts neben der Residenz lag ein schattiger Garten mit einem Wasserbecken, sicher der des Sobeknacht, Hinter dem Haus entdeckte sie ein querstehendes Gebäude, von dem sie aus Erfahrung annahm, es sei die Küche mit den Vorratsräumen. Das Ganze war ein durchaus übliches Herrenhaus, aus Lehmziegeln. Eine Treppe führte sichtbar außen in den ersten Stock und sie vermutete von dort auch eine auf das flache Dach, denn dort befanden sich Wandschirme. In der Sommerhitze war es weitaus angenehmer so zu schlafen als in den immer stickiger werdenden Häusern.   Der Hofmeister, und damit Vermögensverwalter, des tjati war sich seiner Wichtigkeit sichtlich bewusst. Umgeben von einfachen Schreibern saß er in einem gesonderten Büro. Nefer, die hatte warten müssen, streckte ihm etwas hilflos ihren Papyrus entgegen. Nun, auch sie konnte nicht lesen, aber sie wusste, dass darin die Anweisung stand, diese Frau, Nefertari, als Dienerin unterzubringen. Und sie wusste aus Jahren der verdeckten Ermittlung, aber auch aus eigener Erfahrung, nur zu gut, wie es den einfachen Leuten vom Lande erging, wenn sie in solch einer großen Stadt mit Beamten zu tun hatten. So spielte sie recht erfolgreich die etwas verschreckte Bäuerin. Thothotep warf nur einen Blick auf die Frau vor sich, dann auf den Brief. Natürlich erkannte er das Siegel seines Herrn. Dass dieses Weib jetzt so gesondert herkam ... hm. „Dein Mann ist wohl verstorben und du hast keine Kinder?“ Sobeknacht sorgte in solchen Fällen immer für Arbeit für die Witwen, sei es auf seinen Domänen, sei es hier, zumal, wenn kein Erbe vorhanden war, das als Witwengut dienen konnte. Wie eigentlich bei allen Bauern. „Ja, Herr.“ „Ich heiße Thothotep,“ meinte er unwillig. Bauerntölpel. Wenn Sobeknacht so etwas hören würde, würde der Herr annehmen, dass sein Beamter sich seine Stellung anmaße und er bekäme Ärger. „Gut. Ich schicke nach Sat-Sachmet. Sie ist hier die Vorgesetzte aller weiblichen Arbeiter. Sie wird dir ein Zimmer anweisen und Arbeit geben.“ Mehl mahlen oder Wäsche waschen, dachte Nefer prompt. Neue bekamen immer die schwersten Arbeiten, ehe sie sich in der Hierarchie verbessern konnten. Sie hatte ihren eigentlichen Namen behalten. Meruka meinte stets, das sei einfacher zu spielen, zumal Nefertari doch relativ häufig vorkam. Ihrem eigentlichen Vorgesetzten würde sie allerdings erst in zwei Wochen Bericht erstatten können, war er doch heute nach Süden gefahren, um in Nechen diesen vermuteten Brief zu suchen. Falls sie allerdings etwas Wichtiges herausfand, würde ihr auch Hekaptah umgehend Audienz gewähren. Die Gruppe unterstand ja dem Siegler des Königs direkt.   Auf dem königlichen Schnellruderer saß Meruka mit Rahotep und Ptahnacht in der Kabine. Es war morgens und sie nutzten die kühleren Stunden zu einem vertraulichen Gespräch. Später wäre es unter dem Vordach draußen, im Schatten, aber im Fahrtwind, angenehmer. Nach Nechen würde es Tage dauern. Selbst mit Segel und den ausgebildeten Ruderern war die Fahrt gegen die Strömung langwierig, zumal die Überschwemmung langsam abflaute. In Abu fand sicher bereits das Fest der Göttin Anuket statt, mit dem die Flut endete und die Jahreszeit der Aussaat begann, im Norden würde es noch vierzehn Tage dauern. Der Leiter sah zu dem Arzt. „Was könnte das eigentlich gewesen sein, was diese unselige Baketbes den Opfern in das Trinken mischte?“ „Einiges. Bilsenkraut, zum Beispiel, wird als leichtes Schlafmittel gegeben und auch vor Operationen, Meerzwiebeln, Lotusknollen.“ Rahotep zuckte etwas die Schultern. „Also nichts, was ein Ungebildeter wüsste.“ „Das würde ich nicht sagen. Auch die Bauern benutzen Hausmittel und alle diese Pflanzen wachsen in kemet. - Allerdings, wenn der Schlaf so tief war, wie es die Aussage der Wirtin andeutete, muss es schon eine gehörige Dosis gewesen sein. Ah, du meinst, ob diese zwei Unbekannten Zugang zu einem Arzt haben? Vermutlich, muss ich zugeben. Zumindest bei Menmire scheint ein sehr starkes Mittel am Werk gewesen zu sein. Baketbes stach zu und tötete ihn, ohne dass er schrie oder sich wohl auch nur wehrte. Solche Mittel haben eher Ärzte. Es gibt da diese Alraunen aus dem Osten.“ Dann begriff er. „Aber, Meruka, in Ibenu-hedj gibt es nur Hofärzte.“ Dieser nickte. „Dessen bin ich mir bewusst. Und ich frage mich, ob diese zwei Unbekannten nicht zumindest GLAUBTEN auf Befehl des tjati zu handeln.“ Ptahnacht mischte sich ein. „Nach den Feuersteindolchen zu urteilen, könnte es sich um Kollegen von mir aus der königlichen Wache gehandelt haben.“ „Ja.“ Meruka sah von einem zum Anderen. „Jemand aus dem Büro des Obersten Beamten oder ein Hofarzt oder alle beide kommen zu den Getreuen des Königs und haben einen Geheimauftrag. Wer würde nachfragen?“ „Ich,“ erwiderte Ptahnacht prompt. „Aber auch nur, weil die Anweisung nicht von dir käme und ich doch die Arbeitsweise selbst bei Geheimaufträgen kenne. Und Mord ganz sicher nicht dazu gehört.“ Sein Vorgesetzter, der nur zu gut wusste, dass Ptahnacht schon bei Missionen, aber eben in Notwehr, getötet hatte, lächelte. „Da hast du Recht. Wenn Sobeknacht jemanden aus dem Verkehr ziehen will, lässt er ihn verhaften, verurteilen und verbannen, sei es in die Oasen, sei es in die Minen. Nein. Der tjati hat andere Mittel zur Verfügung als Mord. Ganz abgesehen davon, dass er sich stets um die maat bemüht.“ „Aber ein Hofarzt!“ Rahotep war erschüttert. „Glaubst du das wirklich? Wir müssen diesen Brief finden.“ „Ja.“   Ein Schreiber aus dem höchsteigenen Vorzimmer des Lebenden Horus mit einem Brief, der den Vermerk trug „versiegelt in der lebenden Gegenwart des Herrn der beiden Länder“ erhielt unverzüglich Zugang zu dem Zimmer, in dem Chnummose mit einem anderen Schreiber in Nechen gewohnt hatte. Währen die drei Ermittler die persönlichen Sachen des Toten durchsuchten, murmelte Ptahnacht: „Ich sollte mich bei dir ja über nichts mehr wundern, immerhin sitzt du ja wirklich im Schreibbüro de Lebenden Horus – aber, ist das nicht ein gesondertes Siegel? Wie bist du daran gekommen?“ „Du vergisst, dass der semer doch recht vertraut mit dem Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, ist.“ Meruka schüttelte noch einmal die wenige Stoffe aus, die sich hier in einer Papyrustruhe befanden. „Und wir sind die Augen und Ohren des Falken.“ „Hier ist nichts,“ ergänzte der Krieger, während er die fast leere Kleidertruhe musterte. „Er scheint doch eine Menge mit nach Ibenu-hedj genommen zu haben. Naja, so viel dürfte ein Bauernjunge, am Anfang einer neuen Karriere, auch nicht besitzen. Auch kein Schmuck ist mehr da.“ Rahotep hatte sich das Bett angesehen, das, wie üblich bei einfacheren Leuten, aus Lehmziegeln an einer Wand errichtet war. Hölzerne, wahre, Betten, besaßen nur die Vornehmen. Auch hier zeigten die Leinendecken nichts, aber er dachte noch einmal nach, ehe er sich umdrehte. „Ist noch ein Ölgefäß da?“ „Ja.“ Meruka nahm den tönernen Krug, dessen Deckel mit einem blumenartigen Ornament verziert war. Jeder im Land benutzte so etwas. Öle aus Rizinus als Basis waren die billigsten, aber es gab viele verschiedene. Sie waren notwendig, um die Haut vor der Sonneneinstrahlung zu schützen, brannten in Öllampen, wurden für Kochen verwendet. In den Gräbern der Wohlhabenden wurden stets sieben Öle eingebracht, für jede Lebenslage. Das Gefäß hier war für seine Größe recht leicht, dachte er, als er begriff. Er öffnete und erblickte mehrere eng zusammengerollte Papyrusrollen. So sah er auf. „Hast du das auch so gemacht, Rahotep?“ „Ja.“ Der Arzt klang erheitert. „Mein Vater wollte immer meine Briefe lesen. Und bei Öl denkt niemand an Papyri. - Gib mir auch was.“ Ptahnacht war froh, dass sie etwas gefunden hatten. Er selbst konnte nicht lesen und so überließ er es dem Beamten und dem Arzt die Briefe aufzurollen und rasch zu überfliegen. „Wir nehmen sie alle mit,“ entschied sich Meruka. „Wer weiß, ob wir sie noch brauchen. Jedenfalls sind zwei von Sennefer und ich werde sie mir auf der Rückfahrt gründlich ansehen. Wenn ich Nefers Bericht habe, werde ich nachdenken. Irgendetwas ist da gelaufen. Sennefer war ehrgeizig und offenkundig sicher, dass er rasch und weit aufsteigen würde. Jemand hat das gestört. Aber nach diesen Briefen zu urteilen, ist Menmire aus Freundschaft zu Sennefer in die Sache geraten – und diese törichte Baketbes hat ihn nur wegen der Frage nach einem Brief umgebracht.“   Auf der Fahrt von Nechen zurück nach Ibenu-hedj, die deutlich schneller ging, da die Strömung des ablaufenden Wassers die Ruderer unterstützte, las Meruka noch einmal den wichtigsten Brief durch. „Sennefer, der Leiter des Gutes Quahedjet-lebt ...“ Er war offenkundig sehr stolz darauf gewesen, andererseits nicht weiter verwunderlich. „An Menmire, Leiter der Totenstiftung des Chnummose. Mein teurer Freund, ich habe eine wunderbare Entdeckung gemacht, die mir und veilelicht auch dir, helfen wird rasch aufzusteigen. Ich hoffe, wenn ich in zwei Monaten nach Ibenu-hedj komme, können wir uns unterhalten. Falls du mit deinem Herrn nach Nechen musst, wie du im letzten Brief angedeutet hast – ich werde in der Herberge eines gewissen Ptahschepses übernachten, der mir empfohlen wurde. Dort hinterlasse ich dir dann einen Brief, in dem ich dir, zu meiner eigenen Sicherheit, alles genau schildern werde.“ Es folgten noch einige Grüße an die Familie, höflich und üblich. Dazu war er nicht mehr gekommen. Aber: zu seiner eigenen Sicherheit? Wunderbare Entdeckung? Das klang ganz so, als ob der Junge etwas mitbekommen hatte, das nicht für seine Ohren bestimmt war. Erpressung? War er so an die Ehrenkette gekommen? Oder hatte er sie gestohlen, weil er ihren wahren Wert nicht einschätzen konnte, und hatte das nichts mit seiner Entdeckung zu tun? War es reiner Zufall? Oder hatte er gar den Sohn des tjati erpresst? Einen anderen Beamten aus dessen Büro, der ihm den wertvollen Schmuck gab, um den Jungen ruhig zu stellen – und ihn in die Falle zu locken? Akenptah war zugegeben unwahrscheinlich, denn der Sohn des tjati hätte doch die Ehrenkette erkannt und seinem Vater unauffällig zurückgegeben, statt sie einer Wirtin zu schenken, oder? Zu viele Fragen und zu wenig Hinweise, zumal für einen solch heiklen Fall, beschloss der Sonderermittler. Hoffentlich hatte Nefer etwas herausgefunden.   Diese kniete seit Stunden vor einem Mahlstein und arbeitete vollkommen routinemäßig. Es war immer das Gleiche, seit ihren Kindertagen. Man griff die Körner, legte sie auf die Reibefläche und zerrieb sie zu Mehl, wischte das in das Körbchen, nahm die nächsten Körner. Bis man auch nur das Mehl für die Brote einer vierköpfigen Familie beisammen hatte dauerte es zwei Stunden. In einem solch großen Haushalt wie dem Sobeknachts brauchte man deutlich mehr Brot, aber es rieben auch mehrere Dienerinnen und nicht nur die Hausfrau. Dennoch schweiften ihre Gedanken in die Vergangenheit, während ihre Hände und Arme die ewig-gleichen Griffe taten. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte in das kleine Dorf zurückkehren, nahe an den Granitminen im tiefen Süden. Aber das war fast unmöglich. Sie musste dankbar sein, dass sie wieder in die maat hatte zurückkehren dürfen, unter die schützenden Flügel des Horusfalken. Meruka hatte ihr auch geraten sich nicht mehr daran zu erinnern, ihren Wunsch nach Rache zu vergessen. Dennoch: wenn sie diesem Mistkerl eines Tages wieder gegenüber stehen könnte... Sie war zwölf oder dreizehn gewesen, gerade in das heiratsfähige Alter gekommen, als der Vorgesetzte ihres Vaters sich für sie interessiert hatte. Ihr Vater war nur ein kleiner Aufseher in den Minen gewesen, dafür verantwortlich, dass abends alle Kupferbeile und Steine wieder abgeliefert wurden. Die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten für seine einzige Tochter hatte ihm geschmeichelt und er hatte ihr dringend angeraten diesen zu heiraten. Nur, Nefer hatte ihn nicht ausstehen können und das auch deutlich gemacht. Heute würde sie sagen, ungeschickt. Aber wie hätte sie als unerfahrenes Mädchen auch mit dem rechnen können, was dann passierte? Auf dem Weg zum Nil hatte er sie abgepasst und … nein, daran sollte sie wirklich nicht mehr denken. Er war sicher gewesen, dass sie jetzt einer Heirat zustimmen würde, das hatte er lachend noch gesagt, ehe er ging. Ihr war heute noch nicht klar, wie sie es in ihrem geschockten Zustand geschafft hatte zum Fluss zu gelangen, sich abzuwaschen und alle Spuren, zumindest äußerlich zu beseitigen, ja, einen bekannten Fischer überredet hatte, sie ein Dorf weiter mit zu nehmen. Ihr war nur zu klar gewesen, dass nun ihre Eltern auf einer Heirat bestehen würden und sie sich eher umbringen würde. Das war der Beginn ihrer dunklen Jahre gewesen, Jahre, in denen sie durch kemet geirrt war, von Dorf zu Dorf, für Essen und Übernachtung ihren Körper anbietend. Etwas anderes besaß sie nicht. Aber „fremde Frauen“ wie man es nannte, standen außerhalb des Rechtes, außerhalb der maat. So hatte sie begonnen immer neue Geschichten zu erfinden, neue Rollen zu spielen, um wenigstens den Anschein zu erwecken … Ach, was sollte es. Fast wütend rieb sie weiter. Ihr Ziel war immer Ibenu-hedj gewesen, die Hoffnung, Gerechtigkeit bei dem Lebenden Horus zu erhalten. Aber es war schon schwer genug gewesen, überhaupt in die bewachte Residenzstadt zu gelangen.Wieder eine Rolle, wieder „fremd“. Nach einigen Monaten hatte sie einen Mann kennengelernt, der sie überraschte. Ptahnacht hatte ihr erzählt, dass auch er außerhalb der maat gewesen war, ja, außerhalb von kemet, und der Horus ihn aufgenommen hatte. Nun war er einer der Leibwachen. Sie hatte sich mit neuer Hoffnung erkundigt, wie man an eine Audienz käme, und ihm, da er nachfragte, unwillig ihre Geschichte ausgebreitet. Monate später, sie hatte schon längst nicht mehr an ihn gedacht, kehrte er zurück – mit einem interessanten Angebot. So war sie zu Meruka gekommen, zu einer ehrlichen Arbeit, ja, einem Priesterin-Titel. Jahre in der Dunkelheit. Das würde sie nie vergessen, aber auch nie die beiden Männer, die ihr den Weg zurück gezeigt hatten. Natürlich benutzte sie der königliche Schreiber, das war eben so, aber er hatte auch gesagt, dass ihre Erfahrungen im Verkleiden und Rollen spielen für ihn von ungeheurer Wichtigkeit seien. Niemand sonst hatte diese Kenntnisse. Und, das gab sie mit gewisser Achtung zu, er hatte nie versucht, für sich persönlich aus ihrer Vergangenheit Nutzen zu ziehen. Ja, er, oder genauer, alle in der Gruppe, behandelten sie mit gewissem Respekt und als vollkommen gleich. Ihr Meinung wurde gehört. Sie sollte davon ablassen an die Vergangenheit zu denken und sich lieber mit den anderen Dienerinnen in der Pause unterhalten. Wenn Meruka aus Nechen zurückkehrte wollte er einen Bericht erhalten.   Kapitel 11: Frauensachen ------------------------ Merit stellte fest, dass ihr Auftrag den kleinen Königssohn im Auge zu behalten etwas schwierig wurde. Das lag schlicht daran, dass ihr offizielles Amt als Schreiberin der maat-hor bedeutete, auch bei der Königsgemahlin sitzen zu sollen, zum Anderen Menka eben auch in die Palastschule ging und dort viele Stunden verbrachte. Eigentlich sollte er dort sicher sein, aber auch hier im ipet. Allerdings hatte sie das unangenehme Gefühl, dass Meruka solche Beobachtung für Menka und auch den Sohn des tjati, Akenptah, wo ja Nefer heimlich arbeiten sollte, nicht umsonst anordnete. Wenn dieser und der potentielle Thronfolger, Menhekat, wieder in der Residenz eintrafen, würde sie wohl mit den Beiden einmal reden müssen. Sie waren ungefähr in ihrem Alter und sie hatten gemeinsam in der Schule gelernt – ein nicht zu unterschätzender Vorteil für sie, würde Menhekat der nächste Herr der beiden Länder. Auch jetzt war der kleinere Königssohn mit den Söhnen von Beamten ausgegangen zum Schwimmen. Sie würde sich einfach mal ansehen, wo er wohnte. Nun ja, das wusste sie. Die Räume Ka-Merits, seiner Mutter lagen hier im Haupttrakt, wenngleich nach Osten, während die der maat-hor nicht nur größer waren und Richtung des kühleren Norden, sondern auch mehrere Zimmer beinhalteten, schon, für ihre Dienerinnen und Schreiberinnen. Auch Merit schlief hier, in einem Raum gemeinsam mit den anderen beiden Frauen. Ka-Merit verfügte nicht über diese persönlichen Dienerinnen. Mochte ihr Rang mit der Geburt auch zu dem eines „Königsschmucks“ aufgestiegen sein, sie war noch kein Mitglied der königlichen Familie. Falls jedoch Menka den Thron besteigen würde, wäre sie Königinmutter – der höchste Rang, den eine Frau nur erreichen konnte. So wanderte Merit durch die mit bemalten Säulen bestückte Haupthalle des ipet. Nach Westen stand eine große Holztür meist offen, wenngleich mit Wachen davor, die zu dem eigentlichen, königlichen Palast führte. Die „Getreuen“ sollten verhindern, dass ahnungslose, ortsfremde, Beamte vom Weg abkamen, wenn sie die seltene Audienz bei dem Lebenden Horus erhielten. Jetzt, in der noch immer andauernden sommerlichen Hitze, zumal den vielen Mücken, war sie geschlossen, solange niemand sie öffnete. Richtung Nordosten lagen die zwei Räume Ka-Merits, davor die der beiden Königsschwestern. Ansonsten öffnete sich auf der östlichen Seite der Halle der Durchgang in den Arbeitshof des ipet, dessen Boden aus gestampftem Lehm bestand, beschattet von zwei Sykomoren. Auf dessen anderer Seite lag ein weiteres Gebäude, die eigentliche, berühmte Weberei des ipet, in deren ersten Stock sich die Zimmer für die Weberinnen und die Königstöchter befanden, die dort arbeiteten. Die Räume auf der dritten Seite dienten dem Vorrat und der Nahrungszubereitung. Nach rechts war der Hof durch eine Mauer und ein Tor begrenzt, an dessen Außenseite ebenfalls Wachen standen. Dort lag der riesige Hof, in dem die Steinmetze, Juwelieren und Sandalenmacher, kurz, die Handwerker des Königs, arbeiteten. Allerdings befand sich wenig davor, an einer kurzen Wand, die die Haupthalle mit der großen Mauer verband, noch ein Tor. Das führte in die Anlagen des Palastgartens, der sich entlang der nördlichen Seite des ipet und des Palastes mit den Privaträumen des Herrn der Beiden Länder ausdehnte. So waren auch die Räume der Königinmutter und der maat-hor, natürlich erst recht des Königs selbst, stets beschattet und mit angenehmen Gerüchen versorgt. Wasserbecken und duftende Blumen machten das Spazierengehen dort angenehm. Allerdings hatte nicht jeder Zutritt. Die meisten Höflinge gingen in den so genannten Vorderen Garten, auf der Westseite. Eigentlich war der ipet so gut wie abgeschirmt und darum lagen ja auch noch mal die Mauern des Palastes. Merit kannte eigentlich jeden Schritt im diesen Gängen und Höfen und den Gärten, gab jedoch zu, dass sie den geheimen Raum, in dem sich ihr neuer Vorgesetzter mit seiner Gruppe traf, nie bemerkt hatte. Aber gut, sie waren Kinder gewesen, sie, einige Königstöchter und Menhekat, der als jüngster von sechs Brüder wohl nie davon ausgegangen war, einmal der Falke im Nest zu werden. Sie hatten gespielt, sich versteckt und anderes – und waren auch manchmal dafür bestraft worden, wenn sie über die Stränge geschlagen hatten. Vielleicht sollte sie, schon um Menhekats Willen, mit Meruka über ihn sprechen. Es wurde momentan anscheinend von niemandem erwartet, der ein Auge auf ihn halten sollte.   Abedu, die alte Residenzstadt in deren Nähe in der westlichen Wüste die Gräber der legendären Vorzeitkönige lagen, war nicht mehr so mächtig wie einst. Dennoch befand sich hier aus Tradition ein Palast des Horus, und Meruka und seine Begleiter ließen anlegen, um dort zu übernachten. Zu ihrer Überraschung waren sie nicht die einzigen Gäste. Ein Schreiber aus dem Süden war ebenfalls auf dem Weg nach Ibenu-hedj. Da sie aus Erfahrung wussten, dass Schreiber und Schreiber besser miteinander reden konnten, legten sich Rahotep und Ptahnacht unter einem Vorwand in ihrem Zimmer hin. Tatsächlich war Saka stolz, dass sich einer der privaten Schreiber des mächtigen Horus für seinen Weg interessierte. Solch eine Karriere zu machen war der Wunschtraum des Zwanzigjährigen. Nun gut, immerhin diente er als Anfänger seit zwei Jahren im Stab des Königlichen Baumeisters, aber er hoffte doch, auch einmal Vorsteher der Schreiber oder gar mehr zu werden. Und solch ein Mann mit ranghohem Hofamt und Einfluss – schließlich sah er den Herrn der beiden Länder wohl fast jeden Tag – war ein interessantes Vorbild. So beobachtete er genau, wie Meruka aß und trank, sprach. Dieser hatte sich ihm unter seinem richtigen Namen vorgestellt, schließlich würden sie sich demnächst wieder in Ibenu-hedj treffen und es wäre töricht da Misstrauen zu säen. Eifer war ein genauer Beobachter, das wusste er nur zu gut. So lenkte er höflich seine Erkundigungen auf den Königlichen Baumeister. „Er ist ja schon einige Zeit dort mit dem Bau des Palastes in Abu beschäftigt.“ „Ja, aber er kommt nach Ibenu-hedj zurück, schließlich ist das Haus der Unsterblichkeit des mächtigen Horus wichtiger als ein Palast im Leben.“ „Das ist wahr, und eine Pyramide muss der beste Bauleiter natürlich auch überwachen. Obschon er fähige Architekten hat. - Oh, hat er nicht auch den Königssohn dabei gehabt zur Ausbildung?“ „Ja, Menhekat und auch Akenptah, den Sohn des tjati. Beide sollen lernen, wie die Logistik gerade auch bei schwierigen Baustellen wie Abu funktioniert. Eine Insel mitten in den Überschwemmungsfluten des Nil … Aber es lief alles planmäßig,“ beteuerte er hastig. „Ich bin nur der Bote, der mitteilen soll, dass die Drei in einer Woche zurückkehren.“ „Nun, auch für dich wird es in der Hauptstadt angenehmer, denke ich. Der Süden, obwohl ich da nur einmal war, ist sehr heiß im Sommer.“ „Ja, gewiss. Aber auf meinen Herrn wartet ja die Baustelle der Pyramide im Norden von Ibenu-hedj. Und der dortige Palast.“ „Soweit ich weiß ist dieser fertig. Der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, verbrachte die Zeit vor der Überschwemmung einige Wochen dort. Du wirst dort gut unterkommen.“ Saka wurde bewusst, dass er über seine Pflichten gejammert hatte, was kein Gelehrter tun sollte, geschweige denn gegenüber einem Ranghöheren. „Oh, das meinte ich nicht, werter Meruka. Ich meinte nur, es ist doch ein ziemlicher Umschwung von einem Palast in Abu zu einer Pyramide fast im Delta. Aber ich kann viel lernen. Und, wenn ich das so sagen darf, ich hoffe, eines Tages auch unter die Beamten aufsteigen zu dürfen, die die Logistik solcher Großbaustellen vorbereiten. Es gibt da ungemein viel zu beachten, was man nur durch Lernen und Zusehen, ja, sogar Erleben lernen kann. Allein die Versorgung mit Essen und Trinken für Tausende in der Wüste, deren Unterkünfte, die Steine müssen angeliefert werden können, das Werkzeug muss stimmen.... Sehr viele Punkte.“ „Und gerade bei einer Pyramide darf es keinen Zeitverzug geben. Niemand kann vorhersagen, wann der Falke zum Himmel fliegt. Dann muss sie in der Lage sein in Betrieb genommen zu werden und die Verwandlung des Horus in einen Gott unter den unvergänglichen Sternen auszulösen.“ „Ja, natürlich. Mit ein Grund, warum mein Herr nur während der Überschwemmung den Palastbau überwachte.“ „Ich hörte, Abu sind in der Überschwemmung zwei Inseln? Sind dort nicht auch die Granitsteinbrüche?“ „Nein, die und deren Hafen befindet sich am Westufer. Auf der Insel liegen nur das Dorf, die Festung, natürlich der Tempel des Chnum und der Anuket, den Bringern der Überschwemmung, und der neue Palast, samt einer, wenn auch sehr kleinen, Pyramide, wie sie der Herr der beiden Länder schon öfters bauen hat lassen.“ Das Gespräch wandte sich Abu zu.   Nefer arbeitete seit drei Wochen in der Küche. Inzwischen musste sie nicht mehr das Mehl mahlen sondern konnte Bier maischen – noch immer harte körperliche Arbeit, aber mit mehr Luft. Wie in jedem einzelnen Haushalt in kleinem Maßstab bis zu den großen Brauereien der Baustellen, die die Arbeiter versorgten, wurde immer gleich Bier gebraut: Getreide oder Brot in Wasser einweichen und zur Gärung bringen, den entstandenen Brei auspressen, um die Flüssigkeit zu erhalten. Der Rest wurde mit Wasser verdünnt und als Suppe zum Frühstück gegessen. Das so gebraute Bier hielt bis zu drei Tagen. Überdies hatte sie einige Bekanntschaften geschlossen, zum gut Teil auch aus dem Süden, die von ihr wissen wollen, wie es bei ihnen zuhause jetzt aussah. Allzu viel konnte sie freilich nicht dazu sagen, lebte sie doch seit Jahren in der Residenzstadt, jedoch genug, noch dazu im Dialekt des Südens, dass ihr alle glaubten. Und kein Bauer kannte die auch nur zwei Stunden entfernt liegenden Nachbardörfer, die zumeist ja nicht einmal Namen trugen. Aber sie erfuhr doch immer mehr bei näherer Bekanntschaft über den tjati und seinen Sohn. Sie versuchte sich alles zu merken, gleich wie unwichtig es ihr schien. Meruka hatte ihr gesagt, dass oft Geduld der Schlüssel zum Handeln sei.   Der Sonderermittler war kaum in Ibenu-hedj eingetroffen, während er schon seine beiden Begleiter zu ihren Vorgesetzten schickte und Merit und Nefer in das Besprechungszimmer kommen ließ. Er selbst erstattete Hekaptah kurz Bericht über seine Rücckehr und dass er wohl etwas gefunden habe, aber noch die Berichte der Damen abwarten wolle, ehe er alles sage. So saß Meruka mit Merit und Nefer bereits zusammen, noch während Saka endlich zu dem ersten Schreiber des Königs vorgelassen wurde, um dem mitteilen zu können, dass sich der Bauleiter mit den königlichen Abkömmlingen bereits auf dem Weg nach Norden befand. Er betrachtete die Beiden. „Wir haben in Nechen tatsächlich Briefe gefunden,“ begann er. „Darunter auch einen überaus interessanten. Jetzt aber zu dir, Nefer. Was konntest du über die Stimmung im Haus, vor allem gegenüber Akenptah herausfinden?“ Die Angesprochene spürte, wie ihr Herz klopfte. Sie wurde zuerst genannt, sie, nicht die Neue, die so ranghohe Frau aus dem ipet. „Alle sind sich einig, soweit ich mitbekam. Sobeknacht gilt als durchaus fürsorglicher Herr, deswegen wunderte sich auch niemand, dass ich als Witwe in sein Haus befohlen wurde. Er macht das öfter.“ Sie warf einen raschen Blick auf ihren Vorgesetzten. Er hatte das bestimmt gewusst, schon über Hekaptah, der ja der Halbbruder des tjati war, und sie genau darum in dieser Rolle hingesandt. „Alle bedauern auch sein tragisches Familienschicksal. Der Tod der Tochter und dann der von Ehefrau und Baby hat ihn sehr schwer getroffen. Seither ist er leichter zu ermüden, aber auch leichter zu verärgern, obwohl er sich bemüht die maat zu wahren. - Akenptah gilt im Haus als freundlich, ja, sehr gefühlsbetont. Auch er litt unter dem Tod seiner kleinen Schwester, den er wohl auch mitansehen musste, wie die Eltern. Als dann auch noch die Mutter starb, soll er fast ein halbes Jahr krank gewesen sein. Danach habe er sich verändert, ist ernsthafter, habe sich überaus eng an seinen Vater angeschlossen, viel gelernt. Nun ja, er ist jetzt der einzige lebende Sohn, da sollte er wohl auch in beruflicher Hinsicht das Erbe seines Vaters antreten. Wobei ich nicht weiß, wie das gerade mit diesem Amt ist.“ „Das bestimmt der Lebende Horus,“ bestätigte Meruka unverzüglich. „Dieses Amt ist nicht unbedingt vererbbar. Akenptah ist also seinem Vater treu verbunden.“ „So heißt es im Haus. Ein fürsorglicher, treuer Sohn.“ „Danke, Nefer.“ Er wusste, wie mühselig und behutsam sie diese Informationen zusammengetragen hatte – und wie viel Kraft und Zeit das Leben als Dienerin kostete. „Merit, Akenptah ist ungefähr dein Alter. Hast du ihn in der Palastschule kennengelernt?“ „Ja.“ Das Mädchen aus dem ipet dachte kurz nach. „Ich traf ihn nach der Seuche, an der meine Eltern starben. Ich kam ja hierher in den Palast. Ich war acht, er neun oder so. Sehr gefühlsbetont, das kann ich nicht sagen. Er war da sehr freundlich und schaffte es irgendwie immer, dass wir bei seinen verrückten Ideen mitmachten.“ Sie musste lachen. „Einmal sind wir, also zwei der Königstöchter, er, ich und Menhekat auf die Sykomoren im hinteren Palastgarten geklettert. Oh du je, das gab Ärger. Und ja, nach der Tragödie hat er sich verändert. Ich habe ihn dann allerdings kaum mehr gesehen, aber es stimmt, er war lange nicht im Palast. Und wenn, dann meist mit dem Bauleiter. Ich dachte, er solle Architekt oder eben Bauleiter werden. Aber er war viel ernster geworden, oder zielstrebiger. Vielleicht einfach erwachsener.“ „Menhekat machte mit?“ Meruka horchte auf. Merit hob die Hand. „Oh, er war der jüngste der sechs Königssöhne der maat-hor, das heißt nach der Seuche waren es nur noch zwei, und ihm wurde doch mehr Freiheit gelassen als den Älteren. Niemand dachte doch, dass auch sein älterer Bruder noch einen Unfall haben würde. Und Menhekat war da auch erst neun.“ Ja, das wusste der Sonderermittler. Dieser Königssohn war bei der Besichtigung der Pyramide seines Vaters unglücklich gestürzt – so unglücklich, dass niemand ihn mehr retten konnte. Und das unter den Augen des Herrn der beiden Länder höchstselbst. Manipulation war ausgeschlossen gewesen, da der gesamte Hof anwesend war und alle Augenzeugen. „Das klingt jedenfalls, als ob du Menhekat verteidigen willst. Akenptah weniger.“ Sie wurde rot. „Wir waren Kinder!“ Er blieb wie immer sachlich. „Das meinte ich nicht. Du kannst befreundet sein, mit wem du willst. Aber immerhin – Menhekat wird als künftiger Horus gehandelt. Und er ist in einem Alter, in dem er bald heiraten wird.“ „Oh. - Nun, da wird er sicher eine Cousine nehmen oder so.“ Nefer fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen. Dieses Mädchen hatte im Haus des Horus gelebt, nie körperlich arbeiten müssen, ja, war mit den Königskindern durch die Gegend getollt - wusste sie überhaupt, wie hart das Leben außerhalb der Palastmauern war? Meruka bemerkte es und suchte eilig abzulenken. Keine Missstimmung in seiner Gruppe. „Nun, wie würdest du Menhekat beschreiben? Auch so freundlich oder seinem Vater treu ergeben?“ Merit antwortete sofort. „Das sicher, natürlich. Aber er war immer schon ernsthafter. Erst recht natürlich, nach dem Tod seines letzten vollblütigen Bruders, wo er streng gehalten wird. Sonst ist ja nur noch Menka da.“ „Hast du dir angesehen, wo dieser schläft?“ „Ja.“ Sie beschrieb die Räumlichkeiten des ipet. „Das ist praktisch hinten. Wenn jemand dorthin gelangen will muss er auf jeden Fall an Wachen vorbei, durch die Haupthalle, wo eigentlich immer jemand ist, selbst nachts schlafen dort Dienerinnen, den Gang wissen, an den Zimmern der Königsschwestern vorbei gelangen, die jeweils auch stets mindestens eine Dienerin bei sich haben … Meruka, darf ich dich etwas fragen?“ „Natürlich.“ „Nefer soll ein Auge auf Akenptah haben, ich auf Menka – wer achtet auf Menhekat?“ Sie war also mit dem Königssohn zumindest befreundet. Er sollte wahrlich ihren Hofrang bedenken. Womöglich war sie die nächste maat-hor und später gar Königinmutter. „Die Getreuen. Er hat ein eigenes Zimmer, eigene Dienstboten, sehr tief im Palast, fast an den Gemächern des Lebenden Horus selbst. - Hm. Ich werde nachdenken. Spielt doch inzwischen Menat oder so etwas. Oh, und schickt einen Diener um Ptahnacht und Rahotep.“ Ohne Weiteres wandte er sich um und legte sich, wie es Merit erst einmal gesehen hatte, mit unter dem Kopf verschränkten Armen auf das Gästebett und schloss die Augen, versuchte sich zu konzentrieren. Was passierte hier in kemet? Menmires Schicksal war klar – eine falsche Frage an eine törichte Frau, die dafür sicher als Wasserträgerin in irgendeinem Steinbruch enden würde. Aber Sennefer? Dieser Brief, den er seinem Freund sandte, der Ehrenschmuck, der Sohn des tjati, dieser selbst … Menhekat und Akenptah waren Cousins und schon darum als Kinder oft beisammen, durchaus erwünscht. Spielte das eine Rolle? Wie liefen die Fäden und wo konnte er sie aufspüren? Hatte Sennefer den Ehrenschmuck gestohlen, da er keine Ahnung hatte was das in Wahrheit für Edelsteine waren? Hatte Akenptah dies bemerkt? Oder hatte gar Akenptah die Steine gestohlen, weil Sennefer ihn mit was auch immer erpresst hatte? Und dann versucht mit Gewalt das zurück zu holen? Ber, warum hätte er das dann nicht unauffällig seinem Vater zurück geben sollen? Meinte Sennefer in seinem Brief nur die neue Freundschaft mit dem Sohn des tjati, von dem der törichte Junge aus der Provinz annahm, er sei der Erbe und nächste Oberste Beamte? Aber, wer sorgte dann für sein Ende? Und das offenbar durch gleich zwei Männer? Wo lag der Anfang? Ging es um Menhekat oder Menka, die Königssöhne? Irgendwie schien sich alles um Akenptah zu drehen. Nur, wie? War der Opfer oder Täter? Aber wieso und warum? Das galt für alles. Nein. Er sollte noch einmal in Ruhe alle Fäden überdenken, Möglichkeiten und Strategien, die sich aus den Fakten ergaben – sowohl auf der anderen Seite als auch für ihn und seine Gruppe, die sicher jetzt neue Anweisungen von ihm erwarten würde. Und, dessen war sich Meruka bewusst: Staatsaffären waren ein sehr heikles Thema. Kapitel 12: Besprechung -----------------------   Als Meruka die Augen öffnete und sich aufsetzte, bemerkte er, dass auch die beiden Männer seiner Gruppe gekommen waren, und alle vier zusammen das Schlangenspiel spielten. Auf den ersten Blick sahen auch Nefer und Merit ganz friedlich aus, aber ihm war klar, dass er aufpassen musste. Zwei verfeindete Frauen konnten eine Menge anrichten. Nefer war die Nützlichere, eine schon jahrelange Bekanntschaft, aber es wäre mehr als unklug gewesen, Verbindungen in den ipet und zur königlichen Familie nicht zu nutzen, ja, womöglich eine Frau zu verärgern, die dafür sorgen konnte, dass man sich selbst in irgendeinem einsamen Wachposten am Horusweg wiederfand. Das konnte heikel werden und er selbst sollte da überaus behutsam nach beiden Seiten vorgehen. Das Wichtigste war schließlich, dass das Ziel erreicht wurde, der Mörder Sennefers gefunden wurde, und es galt gleichzeitig zu verhindern, dass noch jemandem etwas zustieß, sei es, dass er wie Menmire ahnungslos hinein geriet, sei es, dass der – oder auch diejenige das eigentliche Ziel war. Jemand hatte mit Sennefers Tod etwas tarnen wollen – es stand nicht zu erwarten, dass der damit aufhören würde. Da er bemerkte, dass ihn alle anblickten, stand er auf und ging zu ihnen, ließ sich nieder. „Zunächst eine Zusammenfassung,“ meinte er. „Menmire starb schlicht aufgrund der Frage nach dem Brief. Baketbes brachte ihn in Panik um, aber, was auch immer eigentlich dahinter steckt, er ist eine falsche Fährte, da er nichts mit dem ursprünglichen Plan zu tun hatte. Anders sieht es mit Sennefer aus. In seinem Schreiben an seinen besten Freund erklärte er, dass er etwas gefunden habe, um in der Beamtenhierarchie rasch aufzusteigen, seiner Schwester gegenüber berichtete er, dass er einen Kniff gefunden habe. Das deutet darauf hin, dass er etwas hörte, sah oder sonst wie mitbekam, dass in ihm zumindest diesen Glauben weckte. Dass schlicht der tjati ihm versprach ihn weiter zu fördern, ist auszuschließen. Immerhin wurde er eindeutig ermordet. Es muss um etwas anderes gehen. Bei der Frage, wann er dies mitbekam, bleibt nur ein geringes Zeitfenster. Er war bloß in seinem Dorf und in Iunu, dann auf der Reise zurück in der Flotte des tjati und auf der Domäne. Von dort aus schrieb er den Brief an Menmire. Später, auf der Reise oder in Ibenu-hedj, kann es folglich nicht gewesen sein. Aber auch nicht viel früher, denn als Sobeknacht ihn und zwei andere an der Schule auswählte, befand sich Menmire noch in Iunu. Sennefer hätte es ihm direkt gesagt, statt einen Brief zu schreiben. Es muss daher auf der Fahrt in sein Heimatdorf passiert sein, da er schon dort seiner Schwester gegenüber Andeutungen machte. Überdies – er wurde Vorsteher einer neuen Domäne und ich denke, nicht einmal er wäre so töricht gewesen, von einem der zwei oder drei Unterschreiber, die er dort erhielt, einen wichtigen Hinweis auf Karriere zu erwarten. Nein. Es muss auf der Fahrt gewesen sein. Er wurde, Zufall oder weil er aus einer von dessen Domänen stammte, auf dem persönlichen Boot des tjati untergebracht, die anderen beiden Jungen reisten auf den Begleitschiffen. Natürlich nicht in der Kabine. Dort schliefen nur Sobeknacht und Akenptah, aber er wurde unter dem Vordach untergebracht, wo sicher auch mindestens einer der persönlichen Schreiber des tjati schlief.“ „Anchnefer?“ erkundigte sich Ptahnacht. Sein Vorgesetzter, der es nicht schätzte unterbrochen zu werden, warf ihm einen tadelnden Blick zu, blieb jedoch sachlich. „Nein. Anchnefer ist der Vertreter im Palast, wenn Sobeknacht in kemet unterwegs ist. Er sicher nicht. Aber es lässt sich herausfinden, welche Schreiber mit dabei waren und wer auf dem Boot war. Nun, es ist auch möglich, dass abends, wenn angelegt wurde, nicht nur die drei Jungen miteinander sprachen, sondern sich begeistert in die Runde der Schreiber setzten, bemüht, etwas mitzubekommen.“ Da musste er nur an Saka denken, der ihn genau beobachtet hatte. Aber so lernten junge Beamte auch. „Dabei oder auch im Gespräch mit Akenptah – der vermutlich angetan davon war mit Leuten in seinem Alter reden zu können – bekam Sennefer irgendetwas mit, das in ihm den Glauben weckte, er könne rasch aufsteigen.“ Er sah kurz in die Runde. „Leider bekam das auch der Betroffene mit und, da er wusste, dass ein neuer Domänenverwalter nach Ibenu-hedj kommen würde, baute er die Falle. Die Frage lautet nun, warum? Was kann ein unerfahrener junger Schreiber in der doch relativ kurzen Zeit mitbekommen, das ihn das Leben kostet?“ Er sah fragend in die Runde. Seine Gedanken und Planungen sicherten den Erfolg der Gruppe, aber er war nüchtern genug zu wissen, dass auch ihm etwas entgehen konnte. In diesem Zustand der Planung wäre es töricht sich nicht andere Meinungen anzuhören. Später würde er freilich allein entscheiden. „Die Ehrenkette des tjati?“ warf Rahotep nachdenklich ein. „Er könnte gesehen haben, dass sie jemand stahl und hat den erpresst, um sie selbst zu bekommen, da er keine Ahnung vom wahren Wert hatte.“ „Die Kette ist in der Tat ein Problem,“ erwiderte Meruka sofort. „Es gibt da mehrere Möglichkeiten. Die eine, dass Sobeknacht sie selbst verschenkt hat, schließe ich aus. Aber es könnte Sennefer selbst sie gestohlen haben, jemand anderer sie gestohlen haben, sei er durch Sennefer erpresst worden, oder auch so. Oder es war alles nur ein Zufall. Sennefer will eine wertvolle Kette und nimmt genau die, die der Lebende Horus vergab, bekommt etwas anderes mit und sein Tod hat nichts mit der Kette an sich zu tun. Umgedreht könnte er auch jemanden erpresst haben, ihm eine wertvolle Kette zu beschaffen, warum auch immer. - So oder so, die einzige Person, die wir außer Menmire als, zumindest fast, Freund des Sennefer kennen ist Akenptah. Nefer, sobald er zurückkommt, möchte ich, dass du dich möglichst eng an ihm hältst. Was sagen die Leute im Haus, wenn er jetzt zurückkehrt? Hat er sich wieder verändert?“ „Wie du willst,“ erwiderte sie. „Ich möchte jedoch daran erinnern, dass du selbst sagtest, er hätte die Kette seinem Vater zurückgegeben, möglichst unauffällig, aber doch. Er weiß doch um den immateriellen Wert solch einer Ehrenkette.“ Ah, sie hatte ihn missverstanden. Nun, so konnte er ihre Direktiven verdeutlichen. „Ich habe nie gesagt, dass er der Täter sei, Nefer. Nur, dass er womöglich mehr weiß als wir, und wir das umgekehrt irgendwie in Erfahrung bringen sollten. Vielleicht erpresst ihn jemand, dieser jemand hat auch die Leute angeheuert, die Sennefer … abholten? Wir wissen noch zu wenig. Viel zu wenig bei solch einem heiklen Thema. Wir bewegen uns im Umfeld des tjati und damit der königlichen Familie. - Ptahnacht, wenn ihr Wachen in eurer Freizeit zusammensitzt, versuche doch einmal herauszubekommen, ob jemand einen geheimen Auftrag erhielt. Mehr erst einmal nicht, aber das wäre schon hilfreich.“ Der Krieger zuckte die Schultern. „Geheimaufträge sollten auch geheim bleiben, zumindest sagst du das immer. Aber ja, ich werde es versuchen,“ lenkte er eilig ein. „Vielleicht bei einem Becher schönen, syrischen Wein. Aus Anlass, dass ich schon ….zehn Jahre bei den Wachen bin?“ Das war kein Traubenwein sondern aus anderen Früchten, wie Granatäpfeln – schwer, süß und man musste ihn unverdünnt trinken. Das lockerte so manche Zunge. Aber dieser Wein wurde teuer eingeführt und man bekam ihn nur als Geschenk des Herrn der beiden Länder. Meruka wusste dies. „Ich werde den semer bitten, dir einige Rationen zukommen zu lassen.“ Zum Glück war Hekaptah als Siegler des Königs der Leiter der Magazine und musste sich nur gegenüber Sobeknacht und natürlich dem lebenden Gott rechtfertigen. Das erleichterte manches doch enorm. Nefer sah zu ihm. „Soll ich Sennefer erwähnen?“ „Lieber erst einmal nicht.“ Der Leiter der Gruppe dachte kurz nach. „Vielleicht gelingt es dir dich mit Akenptah vertrauter zu machen als gewöhnliche Dienerinnen. Aber der erste Schritt dazu muss unbedingt von ihm kommen. Sonst erfährst du nur, was du erfahren sollst, nicht, was du willst. Andererseits achte auf Dienstboten, die mehr um ihn sind. Nicht, dass auch da ein … ungeplanter Vorfall geschieht. Irgendjemand hatte Zugriff auf die Schlafmittel, die diese Wirtin Sennefer und Menmire gab. - Darum zu dir, Rahotep. Du hast Einsicht auf die Bücher des Lebenshauses. Wann wurde kurz vor dem Tod Sennefers ein so starkes Schlafmittel ausgegeben und an wen? Das müsste vermerkt sein.“ „Ja.“ Der Arzt dachte kurz nach, ehe er einwandte: „Aber es werden jeden Tag solche Mittel aus dem Magazin genommen, Meruka. Wir behandeln ja nicht nur die königliche Familie und den Hof sondern auch Leute aus der Stadt, die herkommen. Und die meisten dieser Ursprungsmittel verwandelt der Arzt dann noch in unterschiedlichste Medizin, Salben, Tränke, Pulver. Das können selbst in einer Woche hunderte verschiedene Waren, Drogen, sein, angefangen bei Bilsenkraut.“ Der königliche Schreiber nickte. „Nun, du selbst sagtest, es könnten diese Alraunen aus dem Osten sein, Ugarit und weiter her. Sie werden kaum an jeden Menschen in Ibenu-hedj ausgegeben. Und es muss, das zeigt uns Menmire, ein starkes Schlafmittel gewesen sein.“ „Ich werde unter diesen nachsehen. Gib mir dann noch das genaue Todesdatum von Sennefer. Eine Woche im Voraus, eher ein sehr kleines Stück, sonst würde es auffallen. Alraunen sind überaus wertvoll. Kaum eine dieser Wurzeln kann im Jahr herkommen.“ „Dann würde es auch auffallen, wenn jemand jetzt oder in den nächsten Tagen ein Stück nimmt?“ fragte der Gruppenleiter sofort. „Wenn man darauf achtet.“ Rahotep atmete tief ein. „Du verdächtigst einen meiner Kollegen. Dann muss ich mir einen netten Grund aussuchen, warum ich mich dafür interessiere.“ „Es ist nicht gesagt, dass dieser Arzt weiß, dass er nicht für den Herrn der beiden Länder arbeitet. Irgendjemand war sehr schlau. Und ja, ich vermute, dass es sich um Wachen und Hofärzte handelte, die von jemandem so manipuliert wurden, dass sie glaubten, der Tod des Sennefer diene der maat.“ Meruka seufzte fast ein wenig. „Und das bedeutet, wir reden von jemandem aus dem engen Umfeld Sobeknachts, denn kaum einem anderen würden sie so vertrauen.“ Langsam fuhr er fort: „Merit, kannst du dich mit der Mutter Menkas unterhalten, Ka-Merit?“ „Ja, ich denke schon.“ Das Mädchen aus dem ipet war ein wenig verwirrt, versteckte das jedoch rasch. „Ich meine, wir sind nicht gerade befreundet, aber wir sitzen aus Ranggründen immer nebeneinander bei offiziellen Veranstaltungen und haben uns schon öfter unterhalten. Worüber denn?“ „Was soll Menka werden, wen er mit zwölf die Grundausbildung zum Schreiber hinter sich hat? Wenn sie es noch nicht weiß, weiß es wohl niemand.“ Sie sollte ebenso sachlich bleiben wie die Anderen, sonst würde sie sich wohl blamieren. Sie durfte nicht vergessen, dass Meruka hier ihr Vorgesetzter war und ihm Respekt gebührte.„Es sind ja auch noch vier Jahre, in denen einiges passieren kann. - Ich vermute allerdings nach Gerüchten, dass Menka für seinen Halbbruder Menhekat der tjati werden soll. Oder der Siegler. Hohe Beamte sind immer Königssöhne.“ „Frage sie. Und versuche den Tagesablauf von Menka herauszufinden. Wenn es irgend geht, behalte ihn im Auge.“ „Du glaubst, es geht gegen Menka, nicht Menhekat, obwohl der doch der Ältere und der Sohn der maat-hor ist?“ Merit konnte es nicht fassen, trotz aller soeben gefassten guten Vorsätze. Meruka zog die Augen zusammen, beherrschte sich jedoch. Er musste diplomatisch bleiben, ohne sein Gesicht vor seinen Untergebenen zu verlieren. „Merit, du solltest wissen, dass Anweisungen zu befolgen und nicht zu hinterfragen sind. Du bist aber neu in der Gruppe und hast wohl wenig Vertrauen zu mir fassen können. So will ich es dir erklären. Menhekat kommt jetzt erst zurück, aber er wird vermutlich seine Räume wieder beziehen. Diese liegen direkt neben den Privatgemächern des Herrn der beiden Länder. Um dorthin zu gelangen muss man an sicher mehr als zwanzig Doppelwachen vorbei. Es werden immer Schreiber und Diener um ihn sein, ist er doch der zweite Mann am Hofe. Sehr schwer, da unauffällig an ihn heranzukommen. Überdies ist er neunzehn, ein erwachsener Mann, der zusätzlich Kampfausbildung erhalten hat. Selbst gegen einen Dolch dürfte er sich wehren können. - Menka dagegen ist acht, ein Kind. Auch er ist viel in Gesellschaft, gerade auch von den anderen Schülern der Palastschule, aber du selbst hast beschrieben, wie ihr in eurer Kindheit herumgetobt habt. Erzähle mir nicht, dass da auch nur ein Erwachsener dabei gewesen ist. Jemand könnte ihn abseits locken. Ein Dolch ist schnell und lautlos.“ Und die Räume des Palastes oft verschachtelt. Die Gärten dich bepflanzt. Rahotep versuchte unwillkürlich abzulenken. Er müsste später noch einmal mit Merit reden. Sachliche Einwände waren in Ordnung, sogar erwünscht – aber keine Kritik an dem Vorgesetzten und dessen Entscheidungen. „Du glaubst das Motiv läge darin, dass jemand verhindern will, dass Menka der tjati des nächsten Herrn der beiden Länder wird? Akenptah könnte dann in die Nachfolge seines Vaters eintreten. Aber, wenn Sennefer das mitbekommen hat, muss derjenige wirklich auf der Fahrt ins Delta dabei gewesen sein. Und es fragt sich, was derjenige davon hat.“ „Und er wird das Akenptah kaum gesagt haben,“ ergänzte Nefer. „Oder, warum soll ich ihn überwachen? Und – wie weitgehend?“ Meruka sah sich zu einer weiteren Erklärung genötigt. „Das weiß ich nicht. Ich sehe nur Akenptah als Drehpunkt der ganzen Sache an. Und ich will vermeiden, dass noch einem Königssohn etwas zustößt. Übrigens sollte auch der Sohn des tjati am Leben bleiben. Denn, Brüder und Schwestern, ab jetzt geht jeder Tod auf unsere Rechnung.“ Für einen Moment herrschte Schweigen, ehe Ptahnacht sich erkundigte: „Wäre es dann nicht besser, ich würde zusehen, dass ich zu Menhekat eingeteilt werde?“ „Wenn es wirklich unauffällig geht?“ fragte Meruka zurück. „Wir müssen alle bedenken, dass der Täter bei Hofe ist, ja, wohl im Büro des tjati sitzt. Wir dürfen nicht seine Aufmerksamkeit erregen. Ich glaube nämlich nicht, dass er seinen Plan fallen lässt, sondern ihn nur ändert oder verschiebt. Und, nein, ich denke auch nicht, dass derjenige der Herr der beiden Länder werden will. Er müsste an gleich drei Thronfolgern vorbei, das wäre doch ein wenig viel. Aber es geht um sehr viel, in seinen Augen, darum wurde auch Sennefer prompt, und, wenn ich das so sagen darf, geschickt beseitigt. Was im Übrigen auch bedeutet, dass wir selbst uns alle sehr vorsehen müssen. Was auch jedem von euch einfällt – legt euch eine gute Ausrede fest, warum ihr nach etwas fragt. Ich werde mir die Bücher des tjati ansehen, wer mit auf der Reise war und mich dezent erkundigen, wer auf dem Schiff war, wie diese eine Reise im Besonderen ablief. Wir treffen uns übermorgen wieder hier, wenn ihr unauffällig herkommen könnt. Das gilt insbesondere für dich, Nefer. Lieber wartest du ab, als dass du auffällst. Keine Kontaktaufnahme, ehe ihr nicht sicher seid, dass ihr weder verfolgt werdet, noch auch nur im geringsten jemand eure Handlungen und Aussagen anzweifelt. Ich werde hier sein.“   Als Nefer mit ihren Anweisungen in das Haus des tjati zurückkehrte, fühlte sie sich sicherer. Jetzt wusste sie, wonach Meruka suchte. Sie hatte diesbezüglich großes Vertrauen in ihn. Einer der ersten Fälle, an denen sie unter ihm arbeiten durfte, war ein verschwundenes Baby gewesen. Da der Vater, ein hoher Verwaltungsbeamter, erst kürzlich befördert worden war und es einen sehr missgünstigen Rivalen gegeben hatte, hatten die sab-Beamten diesen befragt, ja, verdächtigt. Weil der Vater des Kindes mit dem Siegler des Königs befreundet war, hatte Hekaptah Meruka und seine Gruppe zusätzlich angesetzt, als ein Schreiben mit Lösegeldforderungen eingetroffen war. Nefer und Ptahnacht hatten als Dienerehepaar Unterkommen im Haus gefunden. Sie entsann sich noch heute der bedrückenden Stimmung, an das Schluchzen der Hausherrin. Nach ihren ersten Berichten und den Erzählungen des Kindsvaters war Meruka aufgefallen, dass es nur eine einzige Person gab, die Kontakt mit den Entführern gehabt hatte. Nicht die Kinderfrau, die zwischenzeitlich auch schon verdächtigt worden war, sondern der private Schreiber. Niemand sonst hatte einen Brief bekommen mit Forderungen, ja, der Pförtner wusste nicht, wie dieser Brief in das mittlerweile abgeriegelte Haus gekommen war. Auf Nachfragen hatte der schließlich zugegeben, das Kind entführt zu haben, da er wegen der Mutter eifersüchtig gewesen sei, die er selbst hatte heiraten wollen. Nur vier Stunden später hatten die überglücklichen Eltern das Baby wieder in den Armen halten können. Nefer beeilte sich zu ihrem Zimmer zu gelangen. Es war jetzt Ruhezeit und sie würde die drei Frauen, mit denen sie den Raum teilte, dort jetzt vorfinden. Sie alle stammten aus dem Süden. Der gemeinsame Dialekt, gemeinsame Sagen und Märchen, schufen doch eine gewisse Vertrautheit. Sie war sicher, sie würde, zumal bei dem Stolz im Haus auf die Familie und das deutliche Mitleid bei der Tragödie mit der kleinen Tochter und der Herrin vor zwei Jahren, bald alles über Akenptah wissen, was es zu wissen gab.   Ptahnacht wartete, bis er die Zuteilung an syrischem Wein erhalten hatte, ehe er sich höflich an seinen Vorgesetzten wandte, der schon neugierig die Amphoren musterte. „Stell dir vor, ich habe syrischen Wein als Geschenk des Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, erhalten! Ich wusste gar nicht, dass ich ein Jubiläum habe! Aber die Schreiber des Königs irren sich nicht.“ „Nein. Und es mögen wirklich schon zehn Jahre sein. Was hast du damit vor?“ „Wie du weißt, habe ich ja keine Familie mehr. - Ich dachte, wenn die Meisten heute Abend frei haben, würde ich den Wein ausgeben. Syrischer. Selten genug! - Wenn du nichts dagegen hast, natürlich. Du wärst auch eingeladen.“ „Nun, gern. Unter drei Bedingungen. Die Nachtwachen erhalten nichts, ehe sie zurückkehren, danach kannst du ihnen etwas geben, und die Morgenwachen erhalten nichts mehr, sobald es finster geworden ist.“ „Das ist klar. Die Pflicht geht vor.“ Mit einem Lächeln fuhr Ptahnacht vor: „Überdies – so viel Wein ist es auch nicht, dass ich alle betrunken machen könnte.“ „Du weißt, wie es ist!“ Der Vorgesetzte der Getreuen klang etwas schärfer. „Ja, natürlich. Und ich kenne meine Pflicht.“ Diese lautete, dem Lebenden Gott kemets zu dienen und ihn und seine Familie zu schützen. Kapitel 13: Ermittlungen ------------------------ So fand sich Meruka in den umfangreichen, wenngleich düsteren, Archiven des tjati-Büros wieder. Als Schreiber des Königs hatte er natürlich Zugang und musste sich keine Geschichte ausdenken oder eine Zutrittserlaubnis beschaffen. Akribisch war hier auch festgehalten, welche Beamten wann und wo im Außendienst waren. Er musste zwar suchen, aber endlich fand er die Liste mit den für ihn wichtigen Namen. Einige, um nicht zu sagen, die Meisten davon kannte er, jedenfalls fiel ihm kein Name als ungewöhnlich auf. Während er sie abschrieb, bedachte er, dass es sich, sollten seine Vermutungen zutreffen, wahrlich um jemanden aus der engsten Umgebung des Obersten Beamten handeln musste. Ein sehr guter Grund überaus behutsam zu agieren. Zehn Namen, acht davon aus dem Büro selbst, dann noch der Vorsteher des Hauses, das bedeutete der Verwalter des Privatvermögens, dieser Thothhotep, und dessen Schreiber. Nur zu logisch, schließlich war Sobeknacht auf dieser Reise zu seinen Domänen gefahren um die neue Feldeinteilung zu prüfen, nebenbei und ganz sicher in der Hauptsache auch um ein wachsames Auge auf die Bewässerungssysteme in ganz Unterägypten. Auf der Suche, wie lange die jeweiligen Schreiber schon für Sobeknacht arbeiteten, stieß er auf viele Jahre. Manche hatten bereits unter Horus Chaba gearbeitet, andere waren Söhne hoher Beamter, die mit den Königskindern in der Palastschule ausgebildet worden waren, oft genug in den Jahrgängen um Sobeknacht, der seine ehemaligen Mitschüler als Vertraute bevorzugte. Nun gut, so viele Schreiber gab es auch nicht in ganz kemet. Schon aus diesem Grund war die neue Schule in Iunu am Tempel des Sonnengottes gegründet worden. Meruka seufzte, als er nach stundenlangem Lesen feststellen musste, dass er so einfach hier nicht weiterkam. Hoffentlich hatten die anderen Vier etwas herausgefunden. Aber, das war ihm nur zu bewusst, Geduld war einer der wichtigsten Grundlagen bei einer erfolgreichen Ermittlung.   Rahotep konnte das Gefühl nur zu gut nachvollziehen. Stunde um Stunde hatte er geduldig die Verzeichnisse des Hauses des Lebens durchgestöbert – Alraune war nicht dabei gewesen. Aber, was für ein anderes Schlafmittel konnte so gut wirken, dass das Opfer, in diesem Fall vor allem Menmire, sich nicht einmal gegen eine Frau zur Wehr setzen konnte oder wollte? Oder lag eben darin der Fehler? Baketbes hatte gesagt, dass die Opfer Wein oder Bier bekommen hatten. Hm. Damit verstärkten sich auch gewöhnlichere Mittel. Bilsenkraut wurde als leichtes Schlafmittel verordnet, da es durchaus betäubend wirkte, vor allem, wenn der Patient unter starken Schmerzen litt, oder vor Operationen. Er sollte dort einmal nachsehen, wer so etwas in den zwei Wochen vor Sennefers Tod erhalten hatte. Wie zu erwarten war die Liste lang. Bilsenkraut wuchs am Fluss und jeder Bauer benutzte es mehr oder weniger richtig, wenngleich in niedrigen Dosen oder in anderen Kombinationen. Aber, das war das Interessanteste, was er fand: es waren Beutelchen an das Privathaus des tjati gegangen. Zufall oder hatte das etwas mit ihren Morden zu tun? Er müsste mit Nefer reden, dass die mal dezent nachfragte. Allerdings, und das war der kleine Schönheitsfehler seiner Entdeckung: diese Lieferung war schon Monate vorher erfolgt, als Sobeknacht nach Norden fuhr zu seinen Domänen, und auch, um die Schule in Iunu zu überprüfen. Zufall? Möglich. Aber beide Male war Sennefer irgendwie beteiligt. Was nur hatte dieser Junge herausgefunden?   Ptahnacht war an diesem Abend gewiss ein beliebter Mann unter den königlichen Wachen. Nicht, dass sie seine Kampffähigkeiten nicht geschätzt hätten, aber, dass er Wein aus Syrien aus den königlichen Schatzkammern erhielt und brüderlich mit ihnen teilte, hob sein Ansehen – und die Laune der Kameraden. Der Ermittler nippte stets nur vorsichtig an seinem ersten und einzigen Becher, während sich seine Kollegen das süße Getränk aus Granatäpfeln munden ließen. Schließlich wusste jeder, dass so etwas nur die königliche Familie erhielt – oder besonders geehrte Beamte. Dass der Lebende Horus so freundlich gewesen war, einige Amphoren an einen Getreuen auszugeben hob das Ansehen der gesamten Gruppe. So war die Stimmung recht locker und Ptahnacht bemühte sich unauffällig in Richtung „spezielle Aufträge“ zu fragen. Aber da gab es nichts, wie er schon vermutet hatte. Falls wirklich zwei Männer solch einen Auftrag erhalten hätten, von dem sie annahmen, er komme vom tjati oder gar vom Herrn der beiden Länder selbst, würden sie eisern schweigen. Die Leibwachen waren stolz auf ihren Ruf bedingungsloser Treue. Andererseits waren die Zeitpläne der Wachen bekannt und strikt. Kaum jemand würde mal eben einfach so in die Stadt gehen können und einen Toten verschwinden lassen. Sicher, der Fluss war nahe, aber eine Stunde würde das doch bestimmt in Anspruch nehmen. Aber – wer dann? Moment. Was sagte Nebhotep da gerade? Dieser Mann war dreißig, aus bester Familie, und neben dem Vorsteher der Wachen sicher der einflussreichste aller Getreuen. Das lag nicht nur an seiner entfernten Verwandtschaft mit der königlichen Familie, sondern auch an der Tatsache, dass er den Hofrang eines „Wedelträgers des Königs“ trug. Kurz, er stand neben dem Herrn der beiden Länder und gab ihm Schatten, fächelte ihm Kühlung zu. Näher kam kein Bewaffneter dem lebenden Gott. Nebhotep hob seinen Becher: „Auf unseren edlen Spender. Und, was ich gerade erzählen wollte – nicht nur wir erledigen Aufträge für unsren guten Gott. Sogar die Wüstenwache.“ „Unsinn“ tadelte der Vorsteher prompt. „Sie ziehen durch die Wüste mit ihren Hunden, passen auf, dass die Sandleute kein Dorf belästigen, und fressen Staub. Wie kannst du sie mit uns vergleichen!“ „Würde ich nie. Aber, ich traf an einem freien Abend zwei Männer der Patrouillen der Wüste. Ohne Hunde, übrigens. Und sie waren eindeutig zu erkennen. Ist auch unser gewöhnlicher Schurz weißes Leinen, so tragen sie Leder. Sie erzählten mir voller Stolz, dass sie einen Sonderauftrag erledigt hätten, im Auftrag des Großen Hauses.“ Also, des Palastes, sei es der König selbst oder der tjati. „Natürlich war das Unsinn. Wenn, dann erhalten wir solche Aufträge und nicht die Sandläufer!“ Ptahnacht war hellhörig geworden. „Nun ja,“ meinte er aus doch jahrelanger Erfahrung. „Sie glaubten es wohl. Vermutlich hat sie der Sieger des Königs mit Weintransport beauftragt. Vielleicht den, den wir hier gerade trinken! - Genaueres erzählten sie ja wohl kaum.“ ergänzte er, als das Gelächter abgeklungen war. Die Wüstenpatrouillen waren wichtig, gewiss, jedoch auch anstrengend und gefährlich, jeder würde lieber bei der Palastwache sein. Dennoch war er alarmiert. Männer dieser Art waren selten in Ibenu-hedj. Und warum sollten genau diese einen Sonderauftrag erhalten? Hatte da jemand ganz schlau gedacht? Nun, das sollte Meruka überlegen, aber er musste hier und jetzt nachhaken. Nebhotep musste sein Gelächter unterdrücken. „Du bringst mich auf eine Idee. Stimmt. Nein, sie sagten nichts von Amphoren, aber von einem Korb, den sie aus der Stadt liefern sollten. Ja, Nahrungsmittel oder Wein, das könnte sein - und sie nahmen es so wichtig!“ Ein Korb! Ptahnacht musste an sich halten nicht weiter nachzufragen. Das war ein Hinweis in die richtige Richtung und er sollte weder Nebhotep noch seinen Vorgesetzten auf seine eigentliche Aufgabe aufmerksam machen. Meruka würde es gewiss gelingen alle Leute der Wüstenwachen befragen zu lassen – zumal, wenn diese in der Hauptstadt gewesen waren. Kein Wunder, dass Baketbes das helle Leder des Schurzes der Wüstenwachen in der Düsternis ihrer Herberge, zumal bei Nacht, mit dem weißen Schurz der Getreuen verwechselt hatte. Nur, wer war der Mann, der Zugriff auf die Wüstenläufer hatte? Sicher in ganz hoher Beamter. Kein Wunder, dass Meruka so vorsichtig ein wollte. Jetzt sollte er allerdings nur mehr zuhören, mitlachen und sich auf seine Wache am folgenden Morgen vorbereiten. Mehr war heute hier kaum zu hören.   Nefer hatte sich getreu ihres Auftrages mit Frauen aus dem Süden unterhalten, mit denen sie sich angefreundet hatte. Die gemeinsame Herkunft und Sprache schufen doch ein Band der Zusammengehörigkeit, zumal zwei der Frauen auch Witwen waren und von Sobeknacht hier angestellt worden waren, um sich ihren Lebensunterhalt selbstständig verdienen zu können. Nefer spielte eben diese Rolle. Dass sie sich neugierig nach der im gesamten Haus bekannten Tragödie erkundigte, fiel bei der Neuen nicht auf, zumal alle Diener, die das miterlebt hatten, noch immer gern davon erzählten. So erfuhr die Ermittlerin von dem tragischen Tod der kleinen Neferhenut durch ein Krokodil bei einem Bootsausflug mit ihren Eltern, von dem anschließenden Drama, dass die hochschwangere Herrin durch den Schock tagelang in den Wehen gelitten hatte und schlussendlich samt dem neugeborenen Sohn verstorben war. „Der Herr war so mitgenommen, wir dachten schon, er sterbe auch noch,“ erklärte Mutnofret, als sei es eben passiert. „Er stand nur schweigend da, als die Hebamme zu ihm kam, dann ging er in sein Zimmer. Sein Diener hörte ihn schluchzen, aber als er nach Stunden wieder kam, war er gefasst. Aber schrecklich bleich und viele sagen, ich auch, er sei danach nie wieder derselbe Mann gewesen. Du musst dir nur vorstellen, obwohl er nur noch den einen Sohn hatte, eben den jungen Herrn, ach, den hast du ja noch nie gesehen, Akenptah, hat er nicht wieder geheiratet und will auch seine gesamte Familie in seinem eigenen Grab beisetzen lassen, das ihm der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, zur Verfügung gestellt hat! Das ist sehr ungewöhnlich.“ „Das ist es. Aber es ehrt ihn ja. Nun, er ist auch zu uns sehr freundlich gewesen,“ erklärte Nefer wichtigtuerisch. „Obwohl er doch tjati ist.“ „Oh, er war schon zuvor immer freundlich für solch einen hohen Herrn, aber viele meinen ja, das Ganze habe ihn doch gebrochen, er sei nicht mehr … Nein, das sagt man nicht, und er arbeitet ja auch als Beamter sehr hart. Er nimmt sich zusammen, wie es sich ziemt, ja, doch.“ „Dann hat der junge Herr auch bestimmt getrauert.“ „Getrauert ist gar kein Ausdruck! Er war ja auch erst vierzehn und musste, wie seine Eltern, zusehen, wie das kleine so hübsche, Mädchen von … von Sobeks Diener entführt wurde.“ Mutnofret machte eilig mit der Hand ein Schutzzeichen, das gegen eben jene Reptilien behüten sollte. „Als dann auch noch seine Mutter so starb … er lag fast ein halbes Jahr mit Dämonen auf seinem Lager, unfähig etwas zu tun. Magier, Ärzte, alles kam vom Hof, und überall wurde geräuchert, gebetet, und er bekam Tränke. Aber erst nach Monaten konnte er wieder aufstehen. Der arme Herr machte sich natürlich zusätzlich noch Sorgen um ihn. Ich denke, die Mengen an Bilsenkraut, die diese Zwei in den Monaten nach der Tragödie bekamen, trinkt unsereins in seinem ganzen Leben nicht.“ Nefer war erstaunt und zeigte es auch offen. „Ja, aber hast du nicht gesagt, der junge Herr sei im Augenblick in Abu? Dann hat er sich doch erholt und braucht jetzt keine Kräuter mehr.“ „Ja, natürlich. Es dauerte nur Monate. Dann, als es ihm soweit besser ging, nahm der Herr ihn mit auf eine Reise nach Norden, nach Iunu und in die Domänen oben im Delta, die ihm gehören. Schon um ihn abzulenken, aber wohl auch um zu sehen, ob der junge Herr wieder gesund ist. Er war es wohl, denn wir sahen ihn danach nicht mehr, sondern er blieb gleich in Iunu. Er soll wohl auch Bauleiter werden, oder wie man das nennt. Jedenfalls ist er mit dem Königssohn und dem Bauleiter jetzt in Abu. Unser Zuhause ist nicht weit, nicht wahr?“ Der instinktive Appell an die Nachbarin. „Ja, von mir aus kann man auf die Insel blicken. Ich lebe ja oben an den Granitminen am Rande der Wüste.“ „Oh. Ja, ich weiß. Man kann sie vom Tal aus sehen. Sehr staubig, nicht wahr? Wie kommt eigentlich das Wasser dorthin?“ „Esel bringen es. In langen Karawanen, dann bringen es Träger weiter.“ Nefer stammte ja tatsächlich aus diesem Dorf und sie wusste nur zu gut, warum Meruka solche Rollen immer nahe am eigenen Leben vorgab. Man wusste alles und brauchte nicht zu lügen, was leicht zum Auffliegen führen konnte. Während sie also der Wahrheit gemäß berichtete und Anekdoten aus dem Leben an den Granitminen erzählte, versuchte sie das Gehörte zu verarbeiten. Also war Akenptah nach dämonischer, langer Krankheit gerade gesund geworden, als er auf der Reise nach Norden Sennefer traf. Niemand außer dem tjati hatte ihn mitnehmen können oder auch nur lange zuvor wissen können, dass er mitfuhr. Auch hatte kaum jemand wissen können, welche Schüler der Oberste Beamte auswählen würde, oder? Das Treffen von Sennefer und Akenptah war folglich Zufall gewesen, aber das musste Meruka entscheiden. In dem halben Jahr Krankheit hatte der junge Herr sicher kaum Ansprache von Gleichaltrigen gehabt. War er deswegen so auf den Schreiber aus Iunu mit guten Aussichten eingegangen? Und hatte Sennefer das für zukünftigen Aufstieg als Garantie genommen? Alles nur ein Zufall? Aber Sennefer war tot. Warum nur? Was sagte Mutnofret da gerade über Sat-Sachmet, die Vorsteherin der weiblichen Dienstboten hier im Haus? „Wieso litt sie auch unter der Tragödie?“ fragte Nefer prompt zurück. „Sie erscheint mir eher wie jemand, der den Namen der Löwengöttin zu recht trägt.“ „Ja, sie lässt sich nichts gefallen und faucht gerne,“ gab Mutnofret zu. „Aber, sie ist gerecht zu uns, das wirst du schon noch sehen. Allerdings, sie war damals ja noch mit Thothhotep verheiratet, den wirst du nicht … ach doch, er macht ja die Einstellungen.“ „Er ist der Vermögensverwalter des Herrn, so wurde mir gesagt..“ „Ja. Und, das gebe ich gern zu, als der junge Herr so krank war, war er die gesamte Zeit um ihn, natürlich vernachlässigte er nicht seine Pflichten, aber seine Ehefrau. Sat-Sachmet nahm ihre Sachen.“ Eine Scheidung war, ebenso wie eine Hochzeit, eine rein private Sache. Allerdings … „Oh, sie nahm also mit, was sie in die Ehe eingebracht hatte?“ Die Frauensachen, wie man es nannte. „Nicht nur. Ihr stand ja auch das zu, was ihr Thothhotep nach der Hochzeitsnacht überschrieben hatte und zusätzlich ein Drittel seines Vermögens. Das machte ihn schon deutlich ärmer. Bisher hat er sein Grab nicht fertig bauen können. Allerdings ließ er als erstes ihren Namen ausmeisseln.“ „Warum ging er denn das Risiko ein sie so zu vernachlässigen?“ Und damit doch den erheblichen, finanziellen, Verlust bei einer Scheidung für den Ehemann, zumeist an Land und Kupfer. „Nun, wegen des jungen Herrn, natürlich. Ach so, ja, das weißt du nicht. Da der Herr als tjati doch viel auf Reisen ist und auch war, ließ er seine Söhne, dann natürlich nur noch Akenptah, von seinem Vermögensverwalter betreuen. Praktisch wie ein Lehrer, oder sogar Vaterersatz. Auch, wenn der junge Herr in die Palastschule ging, so war doch Thothhotep immer um ihn. Er nahm es sich sehr zu Herzen, dass es seinem Schützling so schlecht ging. Seine Pflicht gegenüber dem Herrn stand höher als die zu seiner Ehefrau.“ „Das hat Sat-Sachmet ihm übel genommen.“ „Nun, wer nicht? Man bindet sich ja eigentlich doch auch für die Ewigkeit.“ Nefer fragte verblüfft: „Aber Thothhotep ist hier und nicht in Abu.“ „Ja, natürlich. Jetzt lernt der junge Herr ja bei dem Bauleiter. Immerhin ist der auch ein Enkel eines Gottes, wie er.“ Der Enkel eines Horus, ja. Hatte Meruka Recht mit seiner Befürchtung es gehe gegen die potentiellen Thronfolger? Und jetzt waren gleich drei davon auf dem Schiff Richtung Norden? Nein, Merit hatte doch gemeint, der Bauleiter sei kein Erbe mehr, da sein Vater bereits tot sei. Hm. Nun, das war für sie als einfache Arbeitertochter zu schwer zum Entscheiden. Das sollte der Schreiber des Königs machen. Meruka besaß, das wusste sie aus den letzten fünf Jahren, die Gabe sich sehr selten zu irren. Und er lebte sein gesamtes Leben im Umkreis des lebenden Gottes. Vielleicht kam das daher.   Am folgenden Tag fand Nefer unter dem Vorwand, sie benötige einen Vorschuss an Nahrung, um am Tempel des Ptah eine Spende für das Ka, die Seele, ihres verstorbenen Mannes hinterlegen zu lassen, Gelegenheit mit Sat-Sachmet zu sprechen. Schließlich konnte sie es nicht an dem vermeintlichen Grab im Süden tun, aber die Götter würden schon dafür sorgen, dass er es erhielt. „Na schon“, sagte die Haushälterin. „Etwas Rizinusöl, sicher. - Aber du darfst erst nach dem Abendessen zum großen Tempel gehen. Am Tor wird sicher ein Priester stehen um diese Zeit, dem kannst du das geben. Sie werden es Ptah oder Sachmet opfern, wie du sagst, also, für das Ka deines Mannes.“ „Ja, natürlich, danke.“ Nefer nahm das tönerne Fläschchen. „Er war wohl ein guter Mann?“ „Ja. Und er ist jetzt ein Jahr tot. Viele der Arbeiter sterben jung, es gibt in den Minen immer wieder Unfälle, die selbst die Ärzte nicht heilen können.“ „Ärzte können eben auch nicht alles. Ich brauche da nur daran zu denken, wie lange sie gebraucht haben um den jungen Herrn wieder auf die Beine zu bekommen. Aber, davon hast du sicher schon gehört.“ „Ärzte? Sie sagten, das waren Priester.“ Nefer tat ahnungslos. Wenn Ärzte keine andere Ursache für eine Erkrankung finden konnten, ließen sie von einer nutzlosen Behandlung ab und ließen die Priester der Sachmet rufen, die dann mit Beschwörungen und Weihrauch, aber auch mit intensiven Gesprächen mit dem Kranken, versuchten eine Heilung herbeizuführen, indem sie zunächst den Fehler suchten, den der Betroffene gegenüber den Göttern begangen hatte. „Priester der Sachmet sind auch Ärzte, nur andere,“ versuchte die Hausvorsteherin der einfachen Bäuerin zu erklären. „Nur heilen sie anders. Und es dauert anscheinend länger.“ „Aber der junge Herr wurde doch gesund? Ich habe ihn ja noch nie gesehen?“ „Ja, er kommt in wenigen Tagen. Ich bin neugierig, wie er aussieht. Als er nach Norden fuhr, war er noch recht schwach und müde. Nun ja, Dämonen zehren auch an Menschen.“ Schwach und müde, lange krank gewesen und wohl allein mit den Ärzten, dachte Nefer. Hatte ihm darum Sennefer so gefallen? Oder hatte er nur dem Schützling seines Vaters höflich begegnen wollen und Sennefer hatte das missverstanden? Jedenfalls sollte sie heute Abend den erlaubten Ausflug auch dazu nutzen mit Meruka zu sprechen. Und in einigen Tagen würde sie den ominösen jungen Herrn ja dann zu Gesicht bekommen – wenn ihr Vorgesetzter sie nicht vorher abzog. Aber das würde er nur tun, wenn er sicher wüsste, dass Akenptah nicht in Gefahr war. Kapitel 14: Im ipet ------------------- Merit war sich sehr unsicher gewesen, wie sie, noch dazu unauffällig, mit Menkas Mutter reden sollte. Ja, sie hatte Meruka gesagt, dass sie oft nebeneinander saßen bei offiziellen Gelegenheiten und da auch einige Worte wechselten, aber so direkt sprach sie Ka-merit überhaupt nie an. Zum Einen, weil sie als Schreiberin der verstorbenen Königinmutter und nun als der maat-hor eigentlich genug zu tun hatte, zum Anderen … nun ja. Auch die Mutter des jüngsten Königssohnes redete nicht unbedingt mit ihr. Natürlich waren sie nie unhöflich gegeneinander, aber Merit vermutete, dass die junge Dame sich Chancen auf eine Thronfolge ihres Sohnes ausrechnete und sie selbst der Partei der maat-hor und damit der Thronfolge Menhekats zugerechnet wurde. Nicht von ungefähr. Allerdings nahm sie auch doch schwer an, dass Ka-merit gehört hatte, dass sie selbst schon deutlich und öfter gesagt hatte, sie wolle und werde nicht heiraten. Angebote von ranghohen Beamten hatte es schon gegeben, aber sie fürchtete sich davor Kinder zu bekommen. Zu viele Frauen hatte sie bereits erlebt, die bei der Geburt des ersten oder sechsten Kindes sterben mussten, obwohl die Hebammen und Ärzte des Hofes gut geschult waren. Sie konnte nur vermuten, dass es den Bauersfrauen noch ärger erging. Natürlich waren Kinder ein Segen der Götter und galten als höchstes Ziel eines jeden Ehepaares, aber … Sie seufzte. Nun ja. Sie war, dem mächtigen Horus sei Dank, in der Lage, auch sich allein und komfortabel versorgen zu können. Jetzt hatte sie sogar eine interessante Aufgabe bekommen. Was also stellte sie sich so an? Sie sollte mit Ka-merit reden und genau das würde sie tun. Unauffällig, ja. Hm. Das war eine Mutter und Mütter redeten gern über ihren Nachwuchs. Meruka wollte ja möglichst viel über Menka wissen. Da sollte sie doch die Nebenfrau des Herrn der beiden Länder zum Reden bekommen. Vielleicht, in dem sie selbst nach Kindern fragte? Das klang plausibel, oder? So fragte sie, dann doch etwas verlegen, als die Frauen gemeinsam frühstückten, etwas leiser, um in der allgemeinen Unterhaltung unauffällig zu bleiben, wie es Meruka sicher wünschte: „Darf ich dich etwas fragen, Ka-merit?“ Diese schien etwas erstaunt, vermutete dann jedoch dass es um die Einteilung der Dienerinnen der hofrangig fast gleichberechtigten jungen Damen für die Winterkleidung ging. In die Sommergewänder wurden nun lange Ärmel eingenäht. Nach der Hitze des Sommers kühlte das Wetter bestetig ab, ehe nach der Wintersonnenwende der „Monat der Herdfeuer“ kam und nur noch diese und bei Vornehmen zusätzlich Kohlepfannen es in den Häusern erträglich machten. „Ich gehe ja selten aus,“ meinte sie. „Lass dir nur deine zuerst nähen. Ich habe auch einige warme Tücher.“ Merit war für einen Moment verwirrt, ehe sie erwiderte: „Oh, danke, ja. Ich habe nicht so viel. - Aber, was ich eigentlich fragen wollte … wie ist es, einen Sohn, ein Kind, zu haben?“ Sie wurde rot. Das war, zumindest dem Blick ihrer Nachbarin nach zu urteilen, ein schlechter Einstieg. Ka-merit war mehr als verwundert und dachte eilig nach, ehe sie langsam sagte: „Du hast einen Hinweis bekommen? Menhekat kehrt zurück und ich hörte, er solle heiraten.“ „Ich weiß nichts offizielles,“ beteuerte Merit hastig, der Wahrheit entsprechend. „Und ich komme auch weniger in Betracht als eine der Königstöchter.“ „Ich habe dich nie für eine Närrin gehalten, also rede nicht wie eine. Das eine sind seine eigenen Schwestern, mit der gleichen Mutter, das andere sind Frauen, die zu alt sind, um Kinder zu bekommen, die Schwestern des Königs. Die nächste weibliche Verwandte, die in Frage käme, wäre die Enkeltochter Hekapthahs und die ist keine drei. Sie würde im Alter her eher zu Menka passen, denn ich glaube kaum, dass Menhekat so lange warten will. Du bist hier aufgewachsen, kennst ihn, du kennst die Regeln, auch die des Akazienhauses … Ich sehe in dir durchaus eine Kandidatin.“ „Ich möchte eigentlich ja nicht heiraten.“ „Ja, das sagst du immer. Aber wenn der Befehl des guten Gottes kommt, muss man eben gehorchen.“ Merit senkte den Kopf. Sie schienen sich alle mit ihr so sicher zu sein. Aber sie wollte nicht, und sie kannte einige Frauen die Heiratsangebote des Herrn der beiden Länder für seine Beamten abgelehnt hatten – oder andersherum, ohne dass es Folgen für sie gehabt hätte. Eine Ehe war eben Privatsache, ebenso wie eine Scheidung und ging nur die beiden Ehepartner etwas an. Natürlich stand hinter solch einer Empfehlung auch immer die Autorität des Königs, aber eben nicht der Befehl des Gottes. Und nur dagegen gab es keinen Widerspruch. Durchaus ein wichtiger Unterschied in der Doppelrolle des Herrn der beiden Länder, der in sich die reale Welt und die der Magie vereinte. Sie musste retten was zu retten war. „Ich .. .ich meinte, man ist stolz auf ein Kind?“ „Ja, natürlich. Ich im Besonderen, denn das Kind eines Gottes, nun, wie bei der maat-hor, ist eben was anderes. Aber ich denke, Menhekat ist zwar kein Gott, aber doch ein passabler, reicher, junger Mann, dem eine gute Karriere in jedem Fall bevorsteht.“ Ah, dachte Merit prompt. Ihre Nachbarin hoffte also immer noch, dass ihr Sohn und nicht der der maat-hor Nachfolger wird. Natürlich sprach sie es nicht aus, denn es wäre mehr als ungehörig gewesen der Entscheidung des lebenden Horus vorzugreifen. Überdies war es möglich. Horus Quahedjet hatte seinen älteren Sohn noch nicht zum Falken im Nest, dem offiziellen Thronfolger, erklärt, womöglich wollte er warten, bis Menka alt genug war, sich die Auswahl noch sichern. Dann war die Frau neben ihr die Königinmutter, die erste Dame in ganz kemet. Sie sollte behutsam sein. „Ja, das sicher. Du wirst zugeben, dass ich Menka ja ebenso wenig sehe wie Menhekat, der die letzten Monate, eigentlich Jahre, in Iunu und Abu, und wo auch immer reiste. Menka schläft zwar bei dir, aber er ist den gesamten Tag in der Schule oder beim Schwimmen oder sonst wo.“ „Ja, das ist wahr. Und er ist ein sehr guter Schüler, sehr aufgeweckt und fleißig,“ ergänzte die stolze Mutter prompt. „Was lernt er denn nach der Schule, wenn er Schreiber ist? Muss er da auch nach Iunu zu dem Bauleiter, wie Menhekat oder auch der Sohn des tjati?“ „Oh, das weiß ich noch gar nicht. Möglich wäre es, nicht wahr?“ Ka-merit wollte nicht zugeben, dass genau die Tatsache, dass der ältere Königssohn und dessen Cousin bei dem Bauleiter lernen musste, in ihr die Hoffnung auf eine Thronfolge ihres eigenen Sohnes stärker geweckt hatte. Merit besaß das Ohr der maat-hor, und so nett sie diese manchmal auch fand – ihre Söhne waren Rivalen, und damit auch sie diesbezüglich Gegnerinnen. Der jungen Ermittlerin war das bewusst. So suchte sie abzulenken.. „Ich musste nur an einen jungen Arzt denken, mit dem ich neulich zufällig sprach. Wir hatten uns am Krankenbett der verstorbenen Königinmutter gesehen, weißt du. Er erzählte mir, dass er so gern Arzt werden wollte, dass er entgegen des ursprünglichen Wunsches seines Vaters dessen Nachfolger zu werden, das durchsetzen konnte. Ich finde es sehr schön, wenn Menschen anderen Menschen helfen wollen und können.“ „Ach, davon hat mir eine der Königsschwestern erzählt.“ Ma-merit lächelte. „Sie haben sich schrecklich darüber amüsiert, dich einmal mit einem jungen Mann reden zu sehen. Ich meinte, das sei sicher ein Auftrag gewesen, und fragte mich schon, ob die maat-hor etwa erkrankt sei. Aber sie war gesund.“ „Ja. - Es war einfach meine Neugier, da er mich grüßte, und ich wissen wollte, wie man eigentlich Arzt wird. Es dauert sehr lange. Länger sogar noch als diese Lehre, nach dem Schreiberstudium, der Architekten. Ich verstehe davon nichts, für Mädchen endet die Ausbildung ja spätestens mit zwölf in der Palastschule. Und dies sind nur die Mitglieder der königlichen Familie. Alle anderen Frauen lernen ja nie Lesen und Schreiben. Nun, ganz wenige.“ „Das ist wahr. Ich habe auch erst hier einigermaßen Lesen gelernt. Zum Glück war der Ältesten Königsschwester langweilig und so brachte sie mir doch zumindest Lesen bei. Schreiben kann ich freilich nicht, aber muss ich ja auch nicht.“ „Schreibst du nie an deine Familie?“ Merit war erstaunt. Soweit sie wusste, stammte Ka-merit aus dem Gazellengau, der mächtige Horus hatte sie auserwählt, als er bei ihrem Vater übernachtete und sie dort kennenlernte. „Selbstverständlich, aber das kann ich ja diktieren.“ „Ja, natürlich, wie dumm von mir.“ Ka-merit versuchte sofort ihre Nachbarin zu beruhigen, die tatsächlich mehr als nur etwas verlegen schien. Diese war feuerrot geworden. Soweit kam es noch, dass sie die, trotz aller immer wieder bezeugten Abneigung gegen Heirat, zukünftige Prinzengemahlin oder gar maat-hor verärgerte. „Wenn man es selbst kann, denkt man wohl gar nicht daran. Das sieht man ja auch an den Weberinnen, gleich welcher Abkunft. Sie weben das feinste Leinen für den Herrn der beiden Länder – und denken überhaupt nicht mehr nach, wie sie ihre Finger bewegen. Sie reden nebenbei, scherzen – ich müsste mich viel zu sehr auf den Stoff konzentrieren.“ „Ja.“ Merit lächelte, da sie die Ablenkung verstand. „Das müsste ich wohl auch, obwohl ich einmal weben lernte. Aber da war ich acht, überdies nicht lange.“ Und das war gewesen, ehe der lebende Gott sie an die Palastschule gewiesen hatte, ihr somit wie einem Jungen Ausbildung ermöglicht hatte,ihre Zukunft als Schreiberin auf diese Weise gesichert hatte. Sie bemerkte, dass die Schüsseln abgeräumt wurden und die maat-hor aufstand. „Oh, ich muss an die Arbeit.“ „Ja, natürlich.“ Hm. Sie sollte vielleicht einmal mit dem Leiter der Palastschule sprechen, was dieser für ihren Sohn in vier Jahren plante – oder planen sollte. „Oh, Achti-hotep,“ wandte sich Ka-merit an den „Vorsteher des ipet“, der soeben das Aufräumen der Halle beaufsichtigte, ehe der wieder in seinem Büro verschwinden konnte. „Du kannst doch sicher einen Termin in der Schule für mich vereinbaren. Ich möchte Menkas Lehrer sprechen.“ „Natürlich.“ Womöglich war das die nächste Königinmutter. Und überdies wollt jede Mutter wissen, wie sich ihr Sprössling in der Schule machte. „Ich gebe dir dann Bescheid.“   So traf sich Meruka mit seinen Leuten in dem verborgenen Raum nahe der Büros des tjati am Abend. Erfreut sah er, dass auch Nefer hereinkam, allerdings meinte: „Ich habe nicht viel Zeit. Hier, dieses Fläschchen sollte ich dem Priester am Großen Tempel des Ptah als Opfer für das Ka meines verstorbenen Mannes geben.“ „Gut, dann fange du an.“ Sie berichtete von der Tragödie des tjati, dem Tod von Kindern, Ehefrau und der langen Krankheit seines letzten Sohnes, so ausführlich sie es heute und gestern erfahren hatte. „Das hast du doch schon erwähnt,“ meinte Meruka dann. „Ja, aber die Frauen, die mir das heute erzählten, taten es ausführlicher – und deutlich emotional beteiligter. Akenptah scheint, ebenso wie sein Vater, viel Mitleid im Haus erhalten zu haben. Sie waren auch sicher, dass die Reise nach Norden eine Überprüfung darstellte, ob er die Dämonen wirklich überwunden habe. Und sowohl er als auch der tjati erhielten Bilsenkraut als Schlafmittel.“ Meruka sah, dass Rahotep etwas sagen wollte und hob die Hand. „Später. Nefer muss sicher gleich gehen, um unauffällig zu bleiben. - Nefer, kehre in das Haus zurück, ich hörte heute, dass der Bauleiter, und damit Akenptah und Menhekat in kaum drei Tagen hier sind. Pass auf den Sohn des tjati auf. Auch, ob er noch Bilsenkraut oder ähnliches erhält, sei es durch einen Hofarzt, sei es auch durch einen Diener, der es gut meint, wie womöglich Thothhotep. Und habe ein Augenmerk darauf, welche Diener sehr um den jungen Herrn sind, womöglich sein Vertrauen besitzen. Ich werde zusehen, dass ich dir mitteilen kann, was sonst noch herausgekommen ist.“ „Danke.“ Sie stand bereits auf. „Viel Glück.“ Jetzt sollte sie rasch zum Tempel gehen, die bescheidene Opfergabe überbringen lassen, und zurück zum Haus gehen. Es war wichtig in solche einem Rollenspiel, dass man tat, was man verkündete. Zehn Minuten abseits konnte sie wegreden – aber jemand sollte sie am Tempel sehen. Als sie weg war, sah Meruka fragend zu Rahotep. „Bilsenkraut, keine Alraune?“ Der Arzt zuckte die Schultern. „Ich fand keine verschriebene Alraune in den Papyri des Lebenshauses. Jede Menge Bilsenkraut, für allerlei Zwecke. Und eine größere Lieferung ging vor Beginn der Reise an das Privathaus Sobeknachts. Vermutlich war ein Arzt dabei, bestimmt sogar, bei einer Reise des tjati, und der wollte sicher gehen, zumal Akenptah ja offenbar Monate lang Bilsenkraut erhielt und sein Vater ebenso.“ „Vor der Reise, danach nicht mehr.“ „Nein. Womöglich benötigten es Vater und Sohn auch nicht mehr. Es wurde allerdings auch nicht zurückgebracht – oder auch nur versehentlich nicht wieder eingebucht. Übrigens, Meruka, Bilsenkraut wird als leichtes Schlafmittel verordnet, in größeren Dosen auch vor Operationen, aber falsch und zu hoch dosiert, kann es auch Halluzinationen und Alpträume auslösen. Es sollte wirklich ein Arzt dabei gewesen sein.“ „Gut, danke. Was war bei dir, Ptahnacht?“ Er kannte den Krieger doch schon Jahre und der rutschte beim Sitzen hin und her – also hatte er etwas gefunden. Als er erfuhr, was es war, holte er tief Atem. Wüstenläufer, die einen Geheimauftrag erhielten und einen Korb durch die Residenzstadt trugen? Das war eindeutig nachdenkenswert. „Natürlich kannte unser Wedelträger keine Namen.“ „Natürlich nicht,“ bestätigte Ptahnacht. „Ich meine, man sieht sich nie, und außerdem sind für die Wachen hier die Wüstenläufer Krieger zweiter Klasse. - Anwesende natürlich ausgenommen.“ Immerhin hatte Meruka mit sechzehn einen derartigen Trupp geführt, ehe er bei einem Feldzug des Horus dort Männer seines Vaters in den Kampf führte. Meruka ignorierte das. „Merit, konntest du etwas über Menka herausfinden?“ „Nicht viel,“ gab sie zögernd zu. „Seine Mutter weiß nichts über seine Zukunft, aber sie hofft natürlich. Und ich müsste mich sehr irren, wenn sie jetzt nicht an der Schule mit den Lehrer reden will.“ „Dann bleibe mit ihr in Kontakt. Und achte darauf, mit welchen Jungen Menka beisammen ist, vor allem, ob er mit Menhekat oder Akenptah spricht, wenn die in drei Tagen zurückkommen.“ Sie nicke nur und er Leiter erhob sich. „Ich werde nachdenken.“ Die restlichen Anwesenden wussten, sie konnten spielen, reden, über was auch immer – aber kein Wort über den Fall.   Meruka dachte lange nach. War es so einfach? Aber dann entdeckte er Kleinigkeiten, die ihn störten. Ja, das musste die Lösung sein. Als er sich aufsetzte, schwiegen seine Mitarbeiter sofort und blickten zu ihm. So stand er auf und ging zu ihnen, nahm Platz. „Ich liefere eine kleine Zusammenfassung, was geschehen sein könnte,“ begann er. „Akenptah war lange mit einer dämonischen Krankheit geschlagen gewesen und war noch erholungsbedürftig. Vermutlich, aber das wirst du, Rahotep, mir bestätigen können, bekam er als Schlafhilfe noch immer Bilsenkraut, das würde die Lieferung an das Privathaus des tjati erklären.“ „Ja,“ bestätigte der Arzt. „Der Patient erhält immer weniger, wenn er eine Medizin so lange bekommen hat, um sich wieder zu entwöhnen.“ „Also hatte Akenptah Bilsenkraut dabei und trank es wohl in irgendeiner Flüssigkeit. Ich kannte keinen Namen auf der Liste als Arzt, aber ich nehme an, dass doch einer bei der Begleitung Sobeknachts dabei war, als er nach Norden fuhr. Selbst wenn der Sohn des tjati selbst mischte – er scheint zu wissen, wie es geht. In Iunu kommt Sennefer, der sehr ehrgeizig ist, an Bord. Er beobachtet die hochrangigen Schreiber, aber natürlich in erster Linie Sobeknacht und dessen Sohn. Dabei bemerkt er das Bilsenkraut und weiß, dass das das nicht nur ein Schlafmittel ist, sondern in höheren Konzentrationen auch Halluzinationen verursachen kann. Vielleicht wusste er es schon, vielleicht hatte Akenptah einen entsprechenden Anfall an Bord. Also erpresst er den Sohn des tjati, Akenptah stiehlt die Kette seines Vaters, gibt sie Sennefer, um den ruhig zu stellen, und tut so, als wolle er ihn fördern. Dazwischen beichtet er das Ganze seinem väterlichen Freund Thothhotep. Der verspricht sich um die Sache zu kümmern. Auf der Rückfahrt nach Iunu, wo Akenptah aussteigt und bei Großbauten lernen soll, nimmt Thothhotep Kontakt zu den Wüstenwachen auf, deren Leitung ja auch dort stationiert ist. Angeblich im Auftrag des tjati erteilt er einen Geheimauftrag, wenn Sennefer nach Ibenu-hedj reist. Die Wachen sind angenehm berührt, gehen zu dem vereinbarte Zeitpunkt in die Residenzstadt und nehmen Sennefer in einem Korb aus der Herberge mit, in der ihn Baketbes betäubt hat, mit Bilsenkraut, das Thothhotep vorausschauend den Wüstenläufern übergab, zumal es sein junger Herr nicht mehr benötigte. Vermutlich bringen sie ihn um und werfen ihn in den Fluss. - So weit eine Theorie. Was sagt ihr dazu?“ „Deine Theorie hat ihren Schwachpunkt,“ meinte Rahotep prompt. „Es ist keine Schande krank zu sein und auch keine, entsprechend Medizin zu erhalten. Wieso sollte Sennefer auch nur auf den Einfall kommen Akenptah zu erpressen – und der auch noch darauf eingehen?“ „Das ist ein Haken, den ich sehe, ja,“ gab der Gruppenleiter zu und erst da begriffen seine Mitarbeiter, dass er sie etwas herausfordern wollte. „Die Kette, die Ehrenkette.“ Merit bemerkte, dass sie alle ansahen und wurde etwas rot, ehe sie auf einen Wink des Leiters doch erklärte: „Akenptah hätte doch jede Kette nehmen können, wenn er erpresst worden wäre – wieso diese? Er war bei der Verleihung dabei und lebt am Hofe, er muss die ungeheure Bedeutung ebenso kennen, wie die Schande für seinen Vater, mit dem er doch ein gutes Verhältnis hat. Und wieso sorgte Thothhotep nicht dafür, dass sein Herr sie zurück erhielt? Außerdem trug doch Sennefer sie, als er hier, also, in Ibenu-hedj, war, offen auf der Straße und in der Herberge. Das hätte er doch kaum getan, wenn er sie erpresst hätte.“ „Das ist auch meine Meinung. - Ich könnte, mit der Geschichte, die ich zuvor erzählte, kaum einen sab-Beamten veranlassen, den Vermögensverwalter seines Vorgesetzten zu verhören. Es sind zu viele Lücken. Thothhotep mag etwas für Akenptah getan haben, aber vermutlich schlicht, dass er noch etwas mehr Bilsenkraut vor der Reise für ihn bestellte. Aber das bedeutet, dass auf dieser Reise irgendwer irgendetwas tat, das Sennefer mitbekam – und letztlich zu seinem Tod führte. Diese ganze Sache kommt mir vor wie der Fluss – er fließt so ruhig dahin, aber wir wissen alle, dass unter der Oberfläche ein Krokodil lauert.“ Kapitel 15: Festvorbereitungen ------------------------------ Nefer saß im vor der Küche des Hauses und fädelte mit einer anderen Dienerin Zwiebeln zu einem schönen Kranz auf, immer zwei Größen für den Kopf und den Hals. Es stünde das Zwiebelfest bevor, hatte ihr die andere Frau stolz erklärt. Nun ja, dachte die Ermittlerin, sie lebte schon fünf Jahre in Ibenu-hedj und wusste natürlich, dass das nur ein Name eines der wichtigsten Königsfeste des Jahres in der Residenzstadt war. Allerdings lautete der offizielle Name Barkenfest des Sokar, aber Zwiebelfest stimmte, wenn man sich die geradezu Unmengen hier ansah, auch. Meruka hatte sie heute Morgen noch im Schutz der Dämmerung aufsuchen können und ihr geraten sich auf Akenptah und Bilsenkraut, sowie Thothotep erst einmal zu konzentrieren. Das war nur leichter gesagt als getan. Der junge Herr, wie er hier im Haus genannt wurde, war vorgestern Abend samt dem Königlichen Bauleiter und dem Königssohn Menhekat wieder in der Stadt eingetroffen, aber alle drei hatten sich selbstverständlich erst im Palast vorgestellt. Als der tjati und sein Sohn spät Abends nach Hause gekommen waren, hatten sie sich sofort in ihre Zimmer zurückgezogen. Gestern früh hatten sie gemeinsam gefrühstückt, ehe sie zum Palast aufgebrochen waren, um dort, was wusste sie, zu arbeiten. Was sollte es. Sie musste Informationen beschaffen. Und immerhin würde Akenptah doch im Palast nichts zustoßen, wie Meruka ja offenkundig befürchtete.   „Zwiebelfest, ja. Mich wundert es nur, dass es so viele Ketten sind. Wer nimmt denn alles daran teil?“ Sie sollte ja eine ältere, harmlosere Bäuerin aus Abu spielen, die sicher in ihrem Leben noch nichts vom Sokarfest gehört hatte. „Sei nicht so töricht,“ entfuhr es der anderen Dienerin, ehe sie ergänzte: „Ach, du hast es ja noch nie mitgemacht.“ Sie ließ ihre Zwiebelkette in den Schoss sinken.   „Arbeitet weiter,“ befahl Sat-Sachmet, die in ihrer Eigenschaft als Hausvorsteherin soeben aus der Küche kam. „Nefer, der Herr und der junge Herr tragen diese Ketten, aber nicht nur, sie werden auch an Schreiber des Büros, oder auch hier, an Thothhotep und andere vergeben, wenn sie bei dem Umzug mitmachen. - Den Gott Sokar kennst du auch nicht? Er hat sein Haus oben am Rand der Wüste, wo die Häuser der Ewigkeit der Könige und Beamten liegen.“ Sie deutete vage auf das Hochufer. „Dahinter, in der Wüste liegt ein Ort namens Ra-setjau. Dort hat er sein Heiligtum. Er schützt die Handwerker, die die Gräber bauen, und wohl auch die Gräber selbst. Er reist immer auf einer Barke. Einmal im Jahr, immer in den letzten Tagen der Jahreszeit der Überschwemmung findet ein großes Fest zu seinen Ehren statt. Genauer, es beginnt am Tag sechsundzwanzig und endet am Tage dreißig des letzten Monats Achet. Aber es findet eben an seinem Heiligtum statt, und der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, sogar nimmt daran in Person teil. Alle Sterblichen, die daran mitwirken dürfen, tragen diese Zwiebelketten. Was draußen am Heiligtum selbst geschieht, weiß ich natürlich nicht, aber es werden Riten stattfinden, um den Gott auf das Fest vorzubereiten und seine Barke mit einer Statue wird auf einen Schlitten gesetzt. Dieser Schlitten wird von vornehmen Herren und Priestern gezogen, bis hier herunter nach Ibenu-hedj. Am zweiten Tag werden die Mauern unserer Stadt umkreist, wobei selten genug der Herr der beiden Länder höchstselbst die Barke zieht, und wer kann, folgt der Prozession, mit Zwiebeln geschmückt. Dann ziehen sie, nach einem Opfer, wieder hinauf zu dem Heiligtum. Ich hörte, am letzten Tag der Überschwemmungsjahreszeit dauern die Riten von frühmorgens bis zum nächsten Sonnenaufgang, dem ersten Tag des ersten Monats der Peret, und es werden Pfeiler durch den König höchstselbst aufgestellt. Der Herr ist danach immer sehr müde und versucht einen Tag lang zu schlafen. Mach also schöne Ketten, denn der Herr wird sie tragen, auch welche verschenken – und sie alle werden vom Horus selbst und Sokar gesehen!“ „Solch ein großes Fest,“ staunte Nefer. „Ich werde mir Mühe geben. Vielleicht gelingt es mir einen Blick auf den Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, zu erhaschen!“ Hm. Das hieß ja wohl, dass auch Akenptah an diesem Fest teilnehmen würde und sich einige Tage außerhalb der Stadt aufhalten würde, oder? In Gegenwart des Königs sollte er sicher sein, aber es war ja nicht gesagt, dass er daran mitwirken würde.   So erkundigte sie sich später danach. Sat-Sachmet war zwar so freundlich gewesen ihr den Festablauf zu erklären, aber die Haushälterin hatte viel um die Ohren und war nicht immer nur freundlich. Sie schien ihr durchaus gewogen, aber man sollte nicht übertreiben. Allerdings war es im Haushalt Sobeknachts nicht schwer Frauen dazu zu bewegen über seinen Sohn zu sprechen, den sie alle, ob alt oder jung, einfach nett und reizend, und einen armen Kerl fanden. Ja, er würde am Fest teilnehmen, obwohl er doch erst solch eine lange Reise hinter sich hatte, aber natürlich war das auch eine Gelegenheit sich dem guten Gott höchstselbst in Erinnerung zu bringen, vielleicht schon zum Nachfolger seines Vaters bestimmt zu werden, was ihm alle gönnten. Er sei so ein nettes Kind gewesen und das schreckliche Unglück … Nefer, die von Natur aus und durch ihre Erlebnisse, recht nüchtern war, fand das ein wenig übertrieben. Aber, was sollte es. Sie würde den jungen Herrn bestimmt sehen, wenn sie sich heute Abend zum Essensdienst eintragen ließ, danach musste sie eben zusehen, dass sie in den Palast zur Besprechung kam. Schon morgen früh würden der tjati und sein Sohn mit dem mächtigen Horus selbst in die Wüste aufbrechen und dort übernachten. Natürlich nicht einfach so, für den Hof stand etwas entfernt ein kleiner Palast zur Verfügung, das hatte ihr Meruka einmal erzählt, der als Privatschreiber des Königs und Stiefsohn des Königsbruders ebenfalls daran teilnehmen durfte.   Teilnehmen musste, hätte dieser vermutlich korrigiert. Es gefiel ihm nicht sonderlich, dass er mit zu dem Heiligtum sollte. Ja, es war wichtig für die Fruchtbarkeit und den Schutz der Toten dort oben, aber …. Er hatte ein ungutes Gefühl. Sicher, die Getreuen des Königs waren um diesen und den gesamten Hof, und vermutlich war es in der Einsamkeit von Ra-sentjau harmloser für Akenptah und Menhekat als in der deutlich unübersichtlicheren Stadt. Aber es gab diesen Tag Zwei, das Ziehen der Barke um die Mauern. Und praktisch alle Einwohner von Ibenu-hedj würden tanzend und singend der Prozession folgen, angeführt von den Frauen des ipet. Ein unübersichtliches Menschengewirr, in dem vielleicht noch ein dritter junger Beamter in den Westen geschickt wurde, weil er zu viel mitbekommen hatte? Wer auch immer dahinter steckte, mit welchem Ziel auch immer, bemühte sich ja anscheinend, auch nur potentielle Zeugen zu beseitigen. Er konnte sich inzwischen vorstellen, was Sennefer zugestoßen war, warum der arme Junge so begeistert von Aufstieg geschwärmt hatte. Dann jedoch musste dem jungen Beamten beim Nachdenken auf seiner Domäne klar geworden sein, dass und was er da mitbekommen hatte – und hatte sich durch Menmire abschirmen wollen, darum dem einen Brief geschrieben. Aber zunächst einmal, da war sich Meruka inzwischen sicher, hatte er an nicht Schlimmes gedacht. Er hatte die Ehrenkette des tjati als Geschenk genommen und getragen, bestimmt, ohne den eigentlichen Wert zu ahnen – aber erst in Ibenu-hedj, nicht vor den Augen Sobeknachts. Dieser hätte ihn garantiert des Diebstahls bezichtigt und jedes Wort Sennefers, er habe es doch von einem Schreiber im Auftrag des tjati und als Zusicherung weiterer Förderung erhalten, als glatte Lüge eingestuft. Zufall oder Klugheit, Sennefer hatte die Kette erst in der Hauptstadt getragen und war damit der ersten Falle entkommen. Aber in Ibenu-hedj schlug die zweite zu. Was nur konnte der Junge mitbekommen haben, dass jemand, der auch nur den Verdacht hatte, er habe ihn belauscht oder gesehen, ihn derart zielsicher ausschalten wollte? Es musste um Schwerwiegenderes als Mord gehen, und leider fiel ihm da nur weiterer Mord oder Hochverrat ein. Merit würde gewiss im Gefolge der maat-hor das Sistrum schütteln oder singen, Ptahnacht mit zum Heiligtum des Sokar zu nehmen war ebenso einfach wie Rahotep als Arzt. Dann hätte er zumindest schon stets zwei bis drei Leute dabei, die aufpassten. Nefer? Sie konnte fast unmöglich aus der Tarnung weg, außer, auch der Haushalt des tjati durfte sich unter dem allgemeinen Volk der Prozession anschließen. Doch, das war eigentlich als sicher anzunehmen. Was tat denn überhaupt der jüngere Königssohn? Menka? War der mit in der Wüste oder mit bei den Frauen des ipet? Aber er konnte jetzt nicht hinübergehen, Merit saß gewiss als Schreiberin bei der Königsgemahlin. Es würde Aufsehen erregen. Vielleicht konnte er ihr ein Steinchen zukommen lassen, dessen Zeichen sie inzwischen kennen sollte – dass sie sich zu ihrem Treffpunkt begeben sollte, abends.   Auf der Suche nach einem Diener, der ihm abnehmen würde, dass das ein Liebesbrief sei, stieß er in einem Seitengang überraschend auf die junge Dame. Sie schien erleichtert ihn zu sehen. „Kann ich dich kurz sprechen?“ hauchte sie. „Ja, aber ...“ Er blickte sich unwillkürlich um. Merit schüttelte den Kopf, so dass die sorgfältig frisierten Strähnen ihrer Perücke flogen. „Komm schon.“ Sie führte ihn in den Garten an einen Fischteich. „Wenn sie uns hier wirklich sehen, denken sie höchstens du willst mit mir anbändeln,“ erklärte sie. „Sie werden dich bemitleiden, das ist alles.“ „Was ist passiert?“ Stimmt, dieser Teich war nur vom ipet aus einsehbar – und vom Thronsaal aus, aber kaum anzunehmen, dass in beiden Häusern jemand die Wand hochkletterte, um aus den hochgelegenen Fensterspalten zu spähen. Zuhören war unmöglich, da um sie Beete Kornblumen und anderen waren. Erst etwa fünf Meter entfernt boten Sykomoren und Dumdum-Palmen Schatten. Sie kannte sich hier wirklich aus. „Noch nichts. Aber, wir haben gleich das Sokar-Fest. Menhekat und Akenptah werden mit in die Wüste ziehen.“ „Ja. Ich auch, Ptahnacht und Rahotep sollen auch dabei sein. - Was ist mit Menka?“ „Er soll dieses Jahr zum ersten Mal mitgehen. Ka-merit ist sehr stolz darauf. Aber, damit wären alle drei Erben an einem Ort.“ „Du denkst mit. Ja.“ Meruka überlegte. „Nein, wir machen nichts anderes. Du wirst im Gefolge der maat-hor sein?“ „Ja, am zweiten Tag, gleich hinter der Sänfte des Horus. Die ranghöchsten Beamten, aber auch Menhekat, Akenptah und Menka werden die Barke des Sokar ziehen.“ „Also auch Sobeknacht als tjati?“ „Ja, wie immer, denke ich.“ „Hm. Mit den drei Jungen sind es zwölf Personen, die die Barke ziehen.“ Der Weg des Zuges wurde von Wachen freigehalten, überdies warfen sich alle Menschen vor der Barke und erst recht dem lebenden Gott zu Boden. „Der Umzug und auch die Wüste scheinen mir sicherer als das, was danach kommt. Wenn die Prozession um die Mauern vorbei ist, geht es wieder auf das Wüstenplateau. Ist Menka dann auch wieder dabei oder die anderen Beiden?“ „Ich denke schon, man kann doch heilige Riten nicht einfach abbrechen!“ Merit musterte ihren Vorgesetzten. „Du machst dir Sorgen?“ „Ja,“ gab er zu. „Etwas ist in Vorbereitung und wir wissen nicht, was. Das Neujahrsfest ging vorbei, ohne dass etwas geschah. Aber nun sind Menhekat und Akenptah auch wieder in der Hauptstadt. Ich fürchte einen großen Schlag.“ Merit versuchte nicht so zu tun als habe sie nicht verstanden. „Solange diese Zwei weg waren, war auch Menka in Sicherheit? Je weiter die drei auseinander sind, desto mehr schützen sie sich gegenseitig.“ „Du hast es erfasst.“ Nun, ohne Grund wäre sie auch keine Schreiberin der Königinmutter geworden. „Du kennst dich doch im Erbrecht aus. Wer erbt, wenn diese Drei aus dem Weg sind?“ Sie starrte ihn sichtlich überrascht an, ehe sie ehrlich sagte: „Naja, du.“ Im nächsten Moment bereute sie ihren Satz, denn ihr Vorgesetzter wurde totenblass. „Wie bitte? Ich gehöre nicht zur königlichen Familie.“ „Nun ja, es gibt dann noch den Sohn der Tochter Hekaptahs, aber das ist schon ziemlich weit weg. Er ist nur der Enkel eines Königssohnes. Und du bist, wenngleich Stiefsohn, Sohn eines Königssohnes. Im Übrigen steht es dem Herrn der beiden Länder natürlich frei jeden als seinen Nachfolger zu wählen.“ Meruka versuchte sich von seinem gewissen Schock zu erholen, das vollkommen aus den Augen verloren zu haben. „Und warum sollte ein Junge, der direkt in der Blutlinie folgt, nicht Vorrang vor mir haben?“ „Er ist drei oder fünf oder so. Dennoch wird eigentlich immer vermieden, wurde mir gesagt, dass ein Horus nicht erwachsen ist.“ Meruka nickte etwas. „Und da haben wir ein wunderbares Motiv. - Die Mutter des Jungen heißt Meresanch, wie du, sie ist ja sozusagen meine Schwester. Ihr Mann Padiselket ist hoher Beamter im Gazellengau, naja, eigentlich Säbelantilopengau, aber du weißt, wie man es nennt. Er ist der Verwalter der Gräben, zuständig für die Bewässerung und die Landwirtschaft, und ist auch oft hier, während die Familie in der Hauptstadt Hebenu bleibt. Ich kenne ihn und er erschien mir nie als Mörder. Aber, das mag täuschen. Wenn die Königssöhne und Akenptah weg sind, wäre sein Sohn, oh, heißt der nicht auch Sennefer? - der voraussichtliche Erbe aus königlichem Blut. Mich würde ich da nicht zählen. Auch, wenn du Recht hast, und der Lebende Horus jeden zu seinem Nachfolger ernennen kann, der ihm geeignet erscheint.“ Er musste dringend mit seinem Vorgesetzten, Stiefvater und Königssohn reden. Wie er Hekaptah kannte, war dem das auch entgangen. Gut, es war auch nie zur Sprache gekommen, als seine Mutter ein zweites Mal geheiratet hatte, war er bereits siebzehn gewesen, ein erwachsener Mann, in der königlichen Familie hatte es Erben gegeben. Schon bei Akenptah wäre noch vor Jahren niemand auf den Einfall gekommen, er sei irgendwie erbberechtigt. Man dachte einfach an so etwas nicht, wenn es Königssöhne gab. Lag er doch falsch? Ging es gar nicht um Königssöhne oder Erbe? Doch um diese Schule für Bauernsöhne in Iunu?   Nefer deckte die zwei kleinen Tische, die vor den Hockern von Vater und Sohn aufgebaut worden. Heute Abend würden die Zwei nicht im Palast essen sondern hier, um gleich mit Morgengrauen im Palast zu der ersten Prozession aufbrechen zu können. Ein Tross von über hundert Männern würde zu dem Heiligtum des Sokar ziehen, natürlich der Herr der beiden Länder in einer Sänfte, ebenso Sobeknacht, Hekaptah und andere wichtige Personen, geschützt von Wedelträgern vor der Wüstensonne und von Wachen und Dienern umgeben. Sicher war oben im Palast schon alles hergerichtet worden, um den lebenden Gott und sein Gefolge gebührend unterzubringen, für Wachen und Diener gab es Überdachungen. Die meiste Zeit stand der kleine Palast in der Wüste ja leer, und so musste er von Sand und Getier gereinigt werden, möbliert. Ah, jemand war schon so nett gewesen und hatte die Bierkrüge hingestellt. So bückte sie sich vor der Tür, deren Matte hochgerollt war und wandte sich, je einen tönernen Henkelkrug in einer Hand ab. Nur, um festzustellen, dass sie etwas hart von hinten traf. Mit einem unwillkürlichen Aufschrei stürzte sie nach vorn, versuchte noch die Krüge zu retten, aber diese, samt Inhalt, verteilten sich auf dem Fliesenboden. Irgendwie schaffte sie es noch den Kopf empor zu reißen, um nicht in die Splitter zu fallen. Was war das denn gewesen? Mühsam raffte sie sich auf. „Oh, bei Ptah!“ sagte ein Mann hinter ihr und sie fuhr herum. Er mochte sechzehn, siebzehn Jahre alt sein, aber sie musste nur einen Blick auf den Schmuck um seinen Hals und an seinen Oberarmen werden, nicht zu vergessen die, nach der neuesten Hofmode gearbeiteten Reifen um die Fußknöchel, dass sie nicht gewusst hätte, wer er war. Akenptah, der junge Sohn des Hauses. Hastig neigte sie den Kopf. Eine Dienerin musste sich entschuldigen. So stammelte sie: „Ich bitte um Vergebung, junger Herr, ich hatte dich nicht bemerkt.“ „Ich muss mich entschuldigen, Mädchen, nein, gute Frau. Ich lief rückwärts, da ich mit jemandem redete und gar nicht bemerkte, dass du hier schon arbeitest.“ Er entschuldigte sich, statt sie für ihr Ungeschick strafen zu lassen? Und sein Lächeln ließ Nefer begreifen, warum so viele Angehörige des Haushaltes ihn liebenswürdig fanden. Jedenfalls: das war DIE Gelegenheit, wie Meruka es wünschte, an ihn heranzukommen. „Danke, das ist sehr freundlich von dir. Ich … entschuldige, ich muss hier aufwischen und natürlich neu Krüge bringen.“ „Lass nur. - He, Thothhotep,“ rief er – und verriet damit, dass er mit diesem geredet hatte. „Schick neues Bier und jemanden, der hier aufwischt. - Du brauchst nicht für meine Fehler zu arbeiten, hast dir gewiss auch weh getan. ...Dich habe ich hier noch nicht gesehen.“ „Oh danke. Ich bin Nefer, eine verwitwete Bäuerin aus einem Dorf bei Abu.“ „Aus Abu? Da komme ich gerade her. So bist du noch nicht lange hier?“ „Nein.“ Eigenartig, aber sie verstand immer mehr, warum ihn das Personal so anhimmelte. „Hübsche Gegend.“ Oh, er wollte höflich sein, denn „hübsch“ war nicht das Attribut, dass sie der trockenen, oft sonnenverbrannten Gegend zugebilligt hätte. Bis auf das schmale fruchtbare Land am Fluss selbst, natürlich. Dennoch, sie sollte sich alles merken, was er sagte, denn heute Abend wäre die letzte Besprechung der Gruppe, vorausgesetzt, sie konnte sich davonstehlen, ehe Meruka und ihre beiden anderen männlichen Partner für die Tage des Festes nicht erreichbar waren. Immerhin war es ihr in den letzten beiden Tagen gelungen viele Details zu erfahren – nichts, womit sie selbst etwas anfangen konnte, aber Meruka würde es sicher. So lächelte sie etwas, gespielt mühsam. „Ja, junger Herr.“ „Schon gut.“ Er seufzte etwas. „Du kannst gehen, Bäuerin. Nefer, war dein Name.“ Diese wusste sich die Bemerkung zu deuten. Ja, er wollte nett sein, aber ganz offensichtlich hatte er keine Ahnung, wie sich Leute vom Land fühlten, die derart von einem so Ranghohen angesprochen wurden. Nun ja. Er hatte sein ganzes Leben ja wohl am Hof verbracht, ähnlich wie Merit oder die Königskinder. Das war eine sehr kleine Gruppe von Menschen, wohl eher, Männern, die über das Schicksal der Anderen in kemet entschied. Meruka war da anders, aber dieser Meinung waren auch Ptahnacht und Rahotep, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.   Kapitel 16: Gespräche --------------------- Rahotep kehrte von seiner ärztlichen Verpflichtung zurück. Für die Kranken der Stadt gab es im ersten Hof des Palastes stets einen Arzt als Ansprechpartner, der ihnen Medikamente und Beratung zukommen ließ, wenn sie ihn hier aufsuchten. Da wurde abgewechselt. Hausbesuche geschahen so gut wie nie, außer natürlich bei Unfällen an einer Baustelle oder ähnlichem, aber da waren auch stets Ärzte mit zugeteilt. Er fand die Gänge des Palastes bemerkenswert leer, erfuhr aber auf Nachfrage bei einem Diener, dass der mächtige Horus alle Höflinge zu sich befohlen hatte, es ginge um Menhekat. Nun, dann war wohl davon auszugehen, dass der Junge als Erbe vorgestellt werden würde. Ob das Meruka beruhigen würde, der war ziemlich angespannt. Das morgen beginnende Barkenfest lag seinem Vorgesetzten offenbar im Magen. Vielleicht würde er heute Abend auf der Besprechung der Gruppe mehr erfahren, auch, was bei diesem Empfang geschehen war. Jetzt sollte er erst einmal seine Arzttasche erneut bestücken, mit anderen Rezeptpapyri und vorbereiteten Medikamenten, denn er war für morgen mit zu dem Fest des Sokar in die Wüste befohlen. Mittel gegen Fieber, Skorpione und Schlangen waren da notwendiger als Schienen für Brüche oder Operationsbesteck, zumal er zwar die gängigen Fieberrezepte im Kopf hatte, aber durchaus nicht alle. Es gar sehr viele Möglichkeiten. Zum Glück konnte er aus der Vorratskammer des königlichen Haus des Lebens auch bereits vorbereitete Pflanzen und Mittel mitnehmen. Als Arzt in einer anderen Stadt hätte er sie sich erst suchen und vorbereiten müssen, etwas, was jeder Arzt schon früh in der eigentlichen Ausbildung lernte, ebenso wie Pflanzen zu unterscheiden und eben Lesen und Schreiben. Er war noch nie im Festzug selbst dabei gewesen und vermutete stark, dass bei dieser Abordnung Merukas Einfluss am Werk war, denn auch der und Ptahnacht würden mitgehen. Merit wäre erst am zweiten Tag mit bei den Frauen des ipet, alles andere wäre zu auffällig gewesen, da keine Frauen mit zu dem geheimnisvollen Tempel des Sokar gingen. Er selbst war neugierig, ob die Gerüchte stimmten, dass dieser zum Teil sogar unterirdisch lag. Ah, die Höflinge strömten aus der große Halle, dann war der Empfang vorbei. Er suchte seinen eigentlichen Vorgesetzten in der Menge, aber der guckte sich auch um. „Hier wäre ich, aber ich denke nicht, dass du mich so plötzlich benötigst.“ „Nein,“ gab der „Persönliche Schreiber des Königs“ zu. „Ich wollte mit Hekaptah reden, aber der ist sehr schnell weg gewesen.“ „Der und seine Schreiber gingen soeben mit unserem tjati und er sprach eifrig mit Sobeknacht.“ „Oh, danke. Dann haben sie wohl noch etwas zu bereden und ich muss warten. - Menhekat wurde zum Ältesten Königssohn ernannt, dazu Priester des Ptah und diverse andere Priestertitel. Damit hat er eine eigene Versorgung aus den Opferumläufen, dazu Domänen für seine Totenstiftung, und kann einen eigenen Haushalt gründen.“ Wie immer hatten alle Höflinge, auf dem Bauch liegend, diese Entscheidung bejubelt. Wenn Horus auf dem Thron der Lebenden erschien, mit der Doppelkrone, den Zeptern und dem uralten Ornat angetan, war er als Gott unfehlbar. Der Herr der beiden Länder leitete die Verwaltung, konnte krank werden und alt – nie das Göttliche in ihm, das sich bei seinem Tod mit den anderen Göttern vereinen würde. „Und er ist definitiv der Falke im Nest.“ Der designierte Erbe. „Ja. Ich weiß nur nicht, ob mir das gefallen soll.“ „Wegen Merit?“ „Wegen Merit?“ wiederholte Meruka ein wenig erstaunt. „Weißt du etwas, das ich nicht weiß?“ „Ich sah gestern rein zufällig, wie er sie und seine eigene Schwester, die Tochter der maat-hor, begrüßte. Es gab einen kleinen Unterschied. Zuerst die Schwester, nach dem Hofrang, natürlich, aber da nahm er nicht beide Hände, wie bei unserer lieben Merit. Er scheint eine gewisse Freundschaft zu ihr zu haben, wenn nicht mehr.“ „Ja, ich weiß. Sie wuchsen doch gemeinsam auf, es wäre erstaunlich, würde er sie missachten. Überdies liegt diese Entscheidung nicht bei mir. Du bist morgen bei Sonnenaufgang dabei.“ „Ja. Der Vorsteher der Ärzte, mein Lehrer, befahl mich dazu. - Dein Werk?“ Meruka lächelte etwas. „In der Tat. Ich habe ein ungutes Gefühl und zwei Ärzte schaden bei doch über hundert Männern sicher nichts. Bis später.“   Fast zwei Stunden später erst verließ Meruka wieder seinen Arbeitsplatz und bat um Audienz beim Siegler des Königs, nur um zu erfahren, dass Hekaptah noch immer nicht zurück sei. „Er wird bald kommen,“ versicherte der zuständige Schreiber. „Meine Kollegen sandte er bereits zurück, wenn du warten willst.“ „Das werde ich tun.“ Meruka ließ sich nieder. Als Stiefsohn und vor allem Mitglied des privaten Büros des Herrn der beiden Länder, würde ihm Vorrang vor den anderen Wartenden eingeräumt werden.   Als der Siegler des Königs kam, entdeckte er sofort seinen Stiefsohn und Sonderermittler und war entsprechend alarmiert. „Komm,“ sagte er nur. Merka gehorchte. Für einen Moment saßen sie sich im Arbeitszimmer Hekaptahs gegenüber, ehe dieser meinte: „Nun?“ „Zum Einen: mir wurde erst heute bewusst gemacht, dass ich nach den Königssöhnen und Akenptah der Nächste in der Thronfolge bin. Glaube mir, ich habe das zuvor nicht bemerkt.“ Hekaptah hob beruhigend die Hand. „Ich weiß. Aber mir war das immer klar. Ich wunderte mich schon, wann du es bemerkst.“ Aber so fähig der auch war, so analytisch er dachte – bei sich selbst sah das immer ein wenig anders aus. Meruka stockte. „Aber, warum hast du mich nicht von diesem Fall abgezogen ?“ „Mein lieber Junge.“ Wohl niemand außer ihm und dem lebenden Horus durfte diesen Mann so ansprechen. „Du warst derjenige, der vorgeschlagen hat es könne um den Thron gehen. Du warst aber auch derjenige, der jede Möglichkeit gehabt hätte, die Ermittlungen ordnungsgemäß und unauffällig abzuschließen. Nein, du nie. - Aber, du bist immer noch der Überzeugung, es gehe um den Thron des Horus?“ Meruka wusste nicht, ob er sich bedanken sollte oder peinlich ertappt fühlen. So rettete er sich in Sachlichkeit. „Da bin ich mir eben nicht sicher. Für die Thronfolgertheorie spricht, dass Sennefer offenbar auf der doch recht kurzen Reise mit dem tjati etwas mitbekam, von wem auch immer. Dagegen, dass nichts mehr passiert ist seit seinem Verschwinden. Dennoch: das Barkenfest steht unmittelbar bevor und alle drei Thronanwärter sind dabei. Ich bin mir nicht sicher, ob die Ernennung Menhekats zum Thronfolger etwas an den Plänen ändern würde. Und es behagt mir eigentlich nicht, dass das vor einem derartigen Fest geschah, dessen Termin ebenso fest liegt wie dessen Ablauf.“ Der Siegler zuckte ein wenig die Schultern. „Nun, diese Ernennung habe ich dem mächtigen Horus zu diesem Zeitpunkt in den Sinn gebracht.“ Meruka starrte seinen Vorgesetzten an. „Ja, aber, warum?“ Man fragte das eigentlich nicht, aber er war sicher, dass Hekaptah nie etwas ohne Grund tat. „Um ehrlich zu sein nehme ich deine Besorgnis sehr ernst. Und ich beschloss, wenn es einen offiziellen Ältesten Königssohn gibt, könnte das einen möglichen Attentäter entmutigen. Überdies: Menhekat hat nun Anspruch auf mehrere Räume, direkt neben denen des Herrn der beiden Länder. Als Priester der beiden Kronengöttinen und Ältester Königssohn liegen seine Aufgaben hauptsächlich im Palast. Er dürfte hier, von den Getreuen und Höflingen umgeben, sicherer sein, als wenn er erneut zur Bauleitung in Iunu gehört. Die Ziegel für die Räume werden bereits nach dem Barkenfest bereit gestellt. Es wird an sein bisheriges Zimmer angebaut. Büro, ein Raum für die Diener … nun, was eben so dazu gehört. - Menka dagegen lebt noch im ipet und teilt sich ein Zimmer mit seiner Mutter, ansonsten ist er von Kindern der Höflinge umgeben, an der Palastschule. Auch hier wäre es sehr schwer an ihn heran zu kommen. Und er sollte sicher sein, gerade wenn es einen ernannten Thronfolger gibt. Ein künftiger tjati oder Bauleiter sollte keine Mordgelüste erregen.“ „Wenn die Thronfolgertheorie die richtige ist und es nicht um die Bauernkinder geht, die zu Schreibern werden,“ wandte Meruka ein, doch erleichtert, dass der Siegler so gut mitgedacht hatte. „Das ist wahr. Eine Idee dazu?“ „Ich werde mir nach den Festtagen eine Liste besorgen mit allen Schreibern, die dort ihren Abschluss gemacht haben und überprüfen, wer davon alles noch am Leben ist.“ „Die Liste kann ich dir besorgen lassen, damit du sie nach dem Fest bereits vorliegen hast. In Iunu wird das Barkenfest ja nicht gefeiert und sie arbeiten die gewöhnliche Woche. Ja, bleiben wir lieber auf beiden Fährten, da hast du recht. Irgendwo in kemet lebt jemand, der genau weiß, warum Sennefer verschwinden musste, oder, seien wir ehrlich, sterben musste. Wer von deinen Leuten ist mit in Ra-Setjaui? „Pthanacht als Wächter und Rahotep als Arzt. Der Vorsteher der Ärzte des Palastes ist ja sein Lehrer.“ „Nefer wird dann ebenso wie Merit am zweiten Tag mit um die Mauern ziehen.“ „Äh, ja.“ Meruka wusste, dass er nichts verschweigen sollte, aber er fürchtete doch eine gewisse Bruderliebe, würde er zugeben, dass er Nefer unter falschem Namen in das Haus des Sobeknacht eingeschmuggelt hatte. Außerdem stimmte es, denn sie würde mit fast der gesamten Einwohnerschaft um die Mauern ziehen. „Ehe ich es vergesse – wer ist Thothhotep?“ „Wenn du den Hausvorsteher des tjati meinst? Ein alter Freund. Warum?“ „Oh, er war mit euch gemeinsam in der Palastschule?“ „Ja, natürlich. Die Schule in Iunu gab es damals ja noch nicht. Warum?“ „Eigentlich nichts weiter. Aber ich sehe in Akenptah irgendwie ein Bindeglied zu dem Tod Sennefers, auch, wenn er kaum etwas davon weiß. Und Tothhotep war doch sein Erzieher?“ „Ja. Ach, du suchst um Akenptah nach Verdächtigen? Nun, die engsten Vertrauten Sobeknachts, darunter auch Thothhotep, sind seit Jahren uns bekannt und vertrauenswürdig. Sobeknacht ist ein sehr pflichtbewusster tjati, auch, wenn er durch die schreckliche Tragödie als Mensch litt. Verständlich, nicht wahr?“ „Ja.“ Meruka sah seinen Verdacht bestätigt, dass er ohne genügende Beweise nicht weiter vorgehen sollte. „Dessen bin ich mir bewusst und ich will auch niemanden beschuldigen. Aber ich möchte eben auch alles ausschließen.“ „Du überprüfst alle Leute, die mit Sennefer, neben Sobeknacht und Akenptah, auf dem Schiff waren?“ „Zunächst einmal, ja. Und, nachdem der eigentliche Mörder Sennefers Zugang zu den Wüstenläufern hatte, kann es sich kaum um einen einfachen Ruderer gehandelt haben. Aber womöglich befand er sich auch auf einem anderen Schiff. Abends, nach dem Anlegen, redet man doch miteinander.“ „Wie mühselig dein Werk doch ist. - Noch etwas? Ich muss mich noch um die Lebensmittelzuweisungen an die Stadt für das Fest kümmern.“ „Nein, danke für deine Zeit und die Liste.“ Meruka erhob sich. Morgen schon, wenn der Herr der beiden Länder und sein Gefolge zum Tempel des Sokars zogen, würden auf den großen Plätzen Gestelle aufgebaut und Holz aufgeschichtet. Dann würden Ochsen Ptah und Sachmet geopfert, Sokar, natürlich auch, und, wenn die Götter ihren Anteil hatten, der Rest für die Einwohner Ibenu-hedjs gegrillt. Da kein Haus einen derart großen Herd besaß, fand das im Freien statt. Ochsen, Getränke und Brote wurden vom lebenden Horus ausgegeben.   Nach dem Abendessen, das er gemeinsam mit seinen Kollegen eingenommen hatte, ging Rahotep zu dem verborgenen Zimmer, in dem die Besprechung der Gruppe wie immer stattfinden sollte. Er blieb jedoch stehen, als er Merit entdeckte, die mit Ptahnacht auf ihn zukam. Nun, mit Ptahnacht war falsch. Der Krieger hielt sich, wie es seinem Rang gebührte, einen Schritt hinter der jungen Dame. Sie war eben eine Königstochter mit Leibwächter, so mochten es alle anderen sehen. Der Arzt lächelte seine beiden Kollegen an. „Wie schön,“ sagte er höflich an beide adressiert. „Merit, neuer Schmuck?“ „Oh, das ist dir aufgefallen?“ Sie wurde prompt rot. „Ja, da ich wegen der Türkise nachfragte, bestellte die maat-hor bei den Juwelieren einiges. Und, was sie trägt, sollte jeder tragen. Es ist die neueste Hofmode.“ Sie fasste sich unwillkürlich an ihren Hals. Statt der drei einzelnen Ketten, wie man sie bislang als Mann oder Frau getragen hatte, waren diese nun zusammengefasst und bildeten einen breiteren Kragen, verbunden mit kleinen Stäbchen. Um das Ganze nicht zu schwer werden zu lassen, trug man dazu im Nacken, ein Gegengewicht, das menit. „Du wirst sehen, übermorgen bei dem Zug um die Mauern tragen es fast alle Frauen des ipet, wenn nicht sogar auch die der hohen Beamten bereits. Das geht immer schnell.“ „Wie wahr, wie wahr.“ Das zweite Lächeln des Arztes galt Ptahnacht. „Unsereins ist da nie so auf dem Laufenden, nicht wahr?“ Der Krieger war deutlich weniger an höflichem Gespräch interessiert. „Stimmt. Aber wir sollten gehen. Ich denke, Nefer wird alles tun um heute hier aufzutauchen, aber sie kann bestimmt nur kurz weg.“   Als drei in den Raum kamen, fanden sie ihren Vorgesetzten bereits wartend. „Gedulden wir uns noch etwas,“ sagte Meruka als Begrüßung. „Wenn Nefer dann noch nicht hier ist, kommt sie wohl auch nicht mehr. - Merit, wir drei sind morgen auf dem Weg nach Ra-setauj. Bis das Barkenfest vorbei ist, werden wir uns nicht sprechen können. Dennoch: falls sich irgendetwas Verdächtiges oder Dramatisches im Haushalt des tjati ereignet, wird sich Nefer an dich wenden. Was ich, zugegeben, kaum glaube, denn Sobeknacht und Akenptah sind ja mit bei Hofe. Ptahnacht, wie viele Wachen sind dabei?“ Der Krieger zuckte etwas die Schultern. „Ich denke um die fünfzig. Nicht, dass der Palast unbewacht bleibt, aber es kommen ja keine Besucher herein in den Festtagen. Die Tore sind soweit geschlossen. Aber die Männer werden benötigt, um bei dem Zug um die Mauern die Menschen zurück zu halten.“ „Und drei Ärzte,“ ergänzte Rahotep. „Der Vorsteher der Ärzte, ich und vermutlich noch Akenchepri. Er ist Priester der Selket, spezialisiert auf Schlangenbisse und Skorpionstiche. Und deren Vorbeugung.“ Das bedeutete, er würde Gebete sprechen und mit Weihrauch den Palast ausräuchern, ehe der Herr der beiden Länder samt Gefolge dort einzog Überdies verstand er sich auf gewisse magische Sprüche, die das Gift aus dem Körper vertreiben sollten, eine wertvolle Ergänzung, wenn Kräuter und Kühlung versagten.   Nefer kam mit einem Korb herein. Was sich darin befinden mochte oder auch befunden hatte, war aus der Tatsache zu erkennen, dass sie nun statt der „alt“ wirkenden, einfachen Perücke eine deutlich bessere der gehobenen Stände trug, über dem einfachen weißen Kleid lag ein Netz aus bunten Perlen und auch ihr Schmuck entsprach keiner armen Witwe. Mit diesem Mitteln wäre sie kaum zu erkennen, wenn man sie nicht gut kannte. „Guten Abend, Nefer,“ meinte Meruka fast erleichtert. „Schön, dass du kommen konntest. Setz dich doch. - Bei uns gibt es nur soweit etwas Neues, dass Menhekat zum Ältesten Königssohn ernannt wurde, ebenso wie Menka und uns dreien morgen im Gefolge des Herrn der beiden Länder ist. Wir werden also ein Auge auf diese Zwei haben können. Akenptah ist wohl auch dabei.“ „Ja, er und der tjati.“ Sie holte tief Luft. „Glaubst du, das während des Festes etwas passiert? Das wäre ja Gotteslästerung. Sokar würde den Frevler doch bestrafen.“ „Das oder der mächtige Horus, ja. Aber es gibt Leute, die nicht daran denken, wie du weißt. Wie sieht es im Haushalt unseres tjati aus?“ „Alle bereiten sich auf das Fest vor. Ich habe heute einige, nun, sehr viele, Zwiebelketten hergestellt. Sie werden auch an Untergebene und Diener verschenkt. Natürlich tragen sie auch der Herr und Akenptah.“ „Hast du Akenptah gesehen und was sagen die Leute im Haus zu ihm?“ „Immer noch, es bestätigt sich nur, dass er sehr freundlich ist, er wirkt fast weich und sehr höflich auch zu Dienern. Thothhotep, der Vermögensverwalter, war ja sein Erzieher, aber auch die anderen Männer finden ihn sehr nett.“ „Blödsinn!“ entkam es Pthanacht. „Was ich sage?“ Nefer holte tief Atem. „Moment,“ unterbrach Meruka hastig, ebenfalls ein wenig verwundert, die gewöhnlich schon betont sachliche Nefer das so sagen zu hören. „Ptahnacht meinte sicher nicht dich, sondern etwas anderes.“ „Ja,“ gab der Krieger zu. „Irgendwie musst du etwas falsch mitbekommen haben, Nefer, meine Schwester. Das meine ich.“ Er wusste, dass ihr Temperament selten ausbrach, aber wenn, dann richtig. „Sage mir, er sieht gut aus, und alle jüngeren Frauen himmeln ihn an, und ich werde es dir glauben. Sage mir, Thothhotep war sein Erzieher und würde für seinen kleinen Prinzen alles tun, das nehme ich dir ab. Aber alle und jeder im Haus sollen ihn so nett finden? Das ist doch unglaubwürdig. Kein Mensch ist immer und überall gut gelaunt und nett.“ „Nun, er ist es.“ Nefer berichtete die Szene, bei der er sie rückwärts angerempelt und sie dabei die Krüge zerschlagen hatte. „Er hätte mich strafen können, Ersatz für die Krüge fordern, aber er schickte Thothhotep um neue und jemanden, der das aufwischte. Das fand ich überaus reizend. Das wirst du schon noch merken, wenn er die Tage bei euch ist und du ihn genauer im Auge behalten sollst.“ „Das werde ich, das werde ich.“ Meruka musterte seine Mitarbeiterin. „Du bist sicher, dass er dich nicht … weitergehend anmachen wollte.“ „Nein, sicher nicht. Er hat, soweit mir das im Haus bestätigt worden ist, keine Geliebte. Aber er war ja auch lange krank, nach dem Tod seiner kleinen Schwester und der Mutter.“ „Hm. Und er unterhielt sich mit Thothhotep so ausgeprägt, dass er in den Speiseraum rückwärts ging?“ „Ja. Was ist dabei?“ „Er scheint wirklich ein sehr innigesVerhältnis zu dem Vermögensverwalter zu haben. Aber auch ein gutes zu seinem Vater?“ „So sagen es die Anderen. Ich persönlich war noch nie dabei, wenn sie sich unterhalten, aber wenn ich sie auf dem Gang sehe oder beim Verlassen des Hauses unterhalten sie sich stets.“ Nefer war wieder sachlich. Sie verstand durchaus, dass es fast unglaubwürdig war, wenn jemand von allen gemocht wurde, aber sie vermutete, dass Akenptah zum Einen wirklich charmant war, wie er das bei ihrem Unfall ja auch bewiesen hatte, zum Zweiten natürlich der Sohn und Erbe des Hauses war, und so schon gewissen Respekt erhielt, und drittens sein Schicksal, vor allem mit der langen Krankheit und den ganzen Todesfällen Mitleid erregte. Das sagte sie auch. Ihr Vorgesetzter nickte. „Ja, das könnte natürlich alles stimmen. - Gut. Dann treffen wir uns in vier Tagen wieder hier. Bis dahin sollte ich auch die Liste der Schreiber, die in Iunu gelernt haben, erhalten haben. Vielleicht will jemand wirklich keine Bauernsöhne unter den Schreibern sehen. Wir müssen so oder so davon ausgehen, dass es sich weniger um ein handfestes Motiv handelt, wie das Erbe von Landgütern oder Eifersucht auf eine untreue Frau, sondern irgendetwas, das wir momentan noch nicht erfassen können. Wenn die Liste überprüft ist, sehen wir weiter, auch, wenn nichts auf dem Barkenfest geschieht.“ „Oh, eine Frage noch.“ Rahotep hob etwas die Hand. „Wie lange ziehen wir denn morgen früh zu dem Haus des Sokar?“ „Bis zum Nachmittag, denn es wird auch eine Mittagspause eingelegt. Nur zum Gehen sind es über drei Stunden. Mit der Barke wird es morgen langsamer, aber da geht es auch hinunter wieder in das Fruchtland. Der Rückweg morgen mit der Barke ist dauert dann.“ „Harte Arbeit für die hohen Beamten.“ Ptahnacht klang amüsiert. „Und der Tag ist noch nicht vorbei,“ tadelte Meruka sofort. Dann wird die Statue wieder in den Tempel geleitet, und der mächtige Horus selbst, unterstützt von drei oder vier Priestern beginnt mit den Riten der Nacht. Mit der ersten Dämmerung werden dann die Djedpfeiler aufgestellt. Erst dann ist das Fest vorbei. Wachen und Ärzte sind bestimmt auch als Zuschauer dabei. - Gut. Wir treffen uns in vier Tagen wieder hier, morgen bei Sonnenaufgang ziehen wir los.“     Kapitel 17: Auf dem Weg in die Wüste ------------------------------------ Bereits kurz nach Sonnenaufgang öffneten sich die Tore des Palastes und der Zug des Herrn der beiden Länder begann. Zuerst kamen Wachen, die allzu Neugierige in die Schranken weisen sollten, dann ein Priester der Kronengöttinnen, der fortgesetzt rief: „Hüte dich, Erde, es naht der Gott!“ um Mensch und Tier vor der Annäherung des lebendigen Gottes kemets zu warnen, dann folgte das Horusgeleit, Standartenträger, deren göttliche Symbole der realen und magischen Welt dazu dienten, dem lebenden Horus jeden Weg zu öffnen: Horus, Seth, Upaut und andere, deren Namen kaum jemand wusste. Erst, wenn alles und jeder sich niedergeworfen hatte, erschien Horus Quahedjedt in seiner Sänfte, getragen von zwölf kräftigen Männern, begleitet von zwei Wedelträgern, die ihm Schatten spendeten. Jetzt war es noch nicht so notwendig, aber die Sonne stieg rasch höher. Hinter ihm wurden Menhekat als Thronfolger getragen, dann der tjati Sobeknacht, der Siegler Hekaptah. Alle anderen Höflinge gingen zu Fuß.   Rahotep war nie zuvor mit in dieser Prozession gegangen und er vermisste schon zu Beginn das sonst allgegenwärtige leise Rasseln des Sistren, die Gesänge der Frauen. Aber sie würden erst morgen beim Zug um die Mauern hinzukommen. So dachte er lieber nach. Anchchepri war mit den Dienern bereits in der Nacht in die Wüste aufgebrochen. Zum einen mussten Unterstände in der Wüste für die Mittagspause Schatten bieten, zum anderen sollte der hochspezialisierte Arzt noch den Palast ausräuchern, ehe er Herr der beiden Länder dort einzog. So war sicher für die Obersten Höflinge nie einfach jeden Schritt ihres Herrn zu bewachen. Er war ein Gott, aber auch der Garant der Weltordnung. Mit seinem Tod erstarrte alles Leben und nur, wenn wieder eine Inkarnation des Horus auf dem Thron der Lebenden erschien, würde auch am nächsten Tag noch die Sonne aufgehen. Was Merukas Theorie eigentlich so unwahrscheinlich machte. Wer sollte denn alle Thronfolger ausschalten wollen – zu welchem Zweck? Das mochte in Ugarit funktionieren oder diesen anderen seltsamen Städten, in denen Ptahnacht gewesen war. Aber die kannten ja auch keine Maat. Nur in kemet herrschte ein wahrer Gott, der eben auch seinen Nachfolger bestimmte, ja, dessen Wort sich in Wahrheit umwandelte, sobald es ausgesprochen wurde. Aber, genau das befürchtete sein Vorgesetzter: jemand plante etwas gegen die Thronfolger, um dem Horus die Auswahl fast nicht mehr zu ermöglichen. Nun, das wäre ein Narr. Soweit er wusste, und er stammte aus einer alten Beamtenfamilie, konnte ein Gott sich natürlich stets selbst sein neues Gefäß aussuchen – und wenn es, unwahrscheinlich, aber theoretisch möglich, der nächste Bauer war. Andererseits: jeder Mörder war ein Narr, denn er riskierte nicht nur das kurze irdische Leben, sondern das ewige. Nun gut. Er sollte sich besser konzentrieren und seine medizinische Aufgaben erfüllen. Überdies hatte Meruka ja gewünscht, dass er auf die Königssöhne und Akenptah ein zusätzliches Auge halten sollte. Der kleine Menka ging einige Reihe vor ihm neben seinem Cousin und er bemerkte durchaus, dass sich Meruka, zwar den Hofrang beachtend, aber doch möglichst unauffällig, kurz hinter diese beiden begeben hatte. Ja, der passte auf, obwohl es hier auf dem Weg kaum notwendig war. Es waren so viele Männer, dazu die Wachen – hier konnte nichts passieren. Der Palast und der Tempel wurden jedoch heute auch bewacht. Gleich. Meruka besaß die Gabe sich selten zu irren. Und, das wusste der Arzt auch, der Tag des Festes, der Ablauf, waren stets gleich. Hier, in diesen Tagen, eine Falle zu legen mochte am Wahrscheinlichsten sein.   Meruka kannte den Ablauf des Festes. Schon seit Vater war hier mitgegangen, als hoher Höfling, später er mit ihm. Nach dessen Tod war das Auge des Herrn der beiden Länder gnädig auf ihn gefallen und er hatte sich von der Position als Vorsteher der Wüstenläufer in die direkte Umgebung des Hofes verbessern können. Dass sich mit Hekaptah der dritte Mann des Reiches in seine Mutter verliebt hatte, war seiner Karriere nur zuträglich gewesen. Aber er gab zu, dass diese Ehe glücklich war. Seltsamerweise schien der Siegler des Königs an seiner Mutter das Gleiche zu schätzen wie an ihm: Unterhaltung, Intelligenz. Aber gut, beide hatten bereits Kinder besessen. Meruka gab zu, er war froh gewesen, als seine Mutter wieder lächeln konnte. Vaters Tod hatte sie sehr mitgenommen. Gleich. Er sollte sich zusammennehmen. Er war hier nicht um in Erinnerungen zu schwelgen.   Hier auf dem Weg würde kaum etwas geschehen, nicht einmal in der Mittagspause, wo schattenspendende Unterstände inzwischen aufgebaut waren, das Essen dort serviert wurde. Der Palast selbst stand das Jahr über leer. Er war, wie alle Bauten in kemet, die nicht als Häuser für die Ewigkeit oder für Götter dienten sollten, aus getrockneten Lehmziegeln erbaut und besaß zwei Stockwerke, dazu hinten Nebengebäude für Vorräte und Küche. Im Erdgeschoss befand sich die Haupthalle, dahinter die Räume des Horus und wohl auch die seiner Söhne. Die restlichen Höflinge schliefen eng beisammen in den kleinen Kammern im ersten Stock. Bäder gab es, für den Herrn der beiden Länder und für die Höflinge, wenn auch nicht in ausreichender Zahl. Meruka gab zu, dass er sein Morgenritual, von Dienern mit Wasser durch eine durchlöcherte Kelle übergossen zu werden, während er in einer gefliesten Wanne stand, zu vermissen. Aber, das war eben so, und nicht zu ändern. Weiter nachdenken. Der Palast war mit einer aus Lehmziegeln befestigten Prozessionsstraße mit dem Tempel des Sokar verbunden, der gut einen Kilometer entfernt lag. Beide Gebäude waren mit Sykomoren und Palmen umgeben, die mühsam aus dem Brunnen des eigentlichen kleinen Dorfes versorgt wurden. Darin, in der Abhaltung der Dienste für den Gott und der Instandhaltung des Palastes, bestand das Leben der Einwohner. Und dafür erhielten sie Lebensmittel und alles andere. Nebenbei hatte das abgeschlossene Leben den Effekt, dass sich gerade die, eigentlich wie alle nebenberuflichen, Priester des Sokar in der Bevölkerung von Ibenu-hedj gewisser Scheu erfreuten. Diese Tage zählten natürlich zu den Höhepunkten im Jahr, nicht nur in der Residenzstadt sondern auch und gerade für das Dorf. Er bemerkte, dass ihn sein Nachbar angesprochen hatte und wandte den Kopf. Noch war es keine festliche Prozession sondern eher ein Spaziergang im Gefolge des Horus und so konnte man sich, wenngleich leise, miteinander unterhalten. Ah, das war doch Selketschepses, der Vorsteher der privaten Schreiber des tjati, einer der Männer, die mit auf der Reise in den Norden gewesen waren, als der unglückliche Sennefer wohl etwas zu viel hörte oder sah. Sehr gut. „Verzeih, Selketschepses,“ sagte er daher. „Ich war in Gedanken über das Barkenfest versunken. Erinnerungen.“ Dieser Mann stammte auch aus dem Kreis der Beamtensöhne, mit denen Sobeknacht und Hekaptah, sowie natürlich der Herr der beiden Länder, aufgewachsen waren. Sein eigener Vater war ja auch dabei gewesen. Selketschepses lächelte auch. „Erinnerungen an deinen Vater? Ich wollte dich nicht stören.“ Immerhin war Meruka einer der privaten Schreiber des mächtigen Horus, nach den Kammerherren bestimmt einer der Männer, die den lebenden Gott am Häufigsten zu Gesicht bekamen. „Natürlich. Aber, da uns die Götter hier nebeneinander geführt haben, darf ich dir eine Frage stellen?“ Der ranghohe Schreiber lächelte, strich aber unwillkürlich über die unterste Kette an seiner Brust, die das Zeichen der Seschat, der Schreibergöttin enthielt, ebenso, wie es Meruka trug. „Nun, nichts über meine Arbeit, aber das weißt du.“ „In der Tat. Was hältst du von der Schreiberschule in Iunu? Die für die Bauernsöhne?“ Wenn es nicht um die Thronfolge ging, ging es um diese Schule. Vielleicht konnte er so herausfinden, wie die Stimmung in der älteren Schreiberschaft gegenüber den Aufsteigern war. „Soll jemand von dort etwas zu euch kommen?“ Da Meruka den Kopf schüttelte, fuhr Selketschepses fort: „Nun ja. Ich gebe ehrlich zu, dass ich erst meine Zweifel hatte, ob Bauerntölpel die Disziplin aufbringen. Vielleicht tun es nicht alle, aber die, die die Lehre abgeschlossen haben, benehmen sich auch gesittet. Erziehung ist doch ein großer Faktor und dieser Leiter der Schule, dessen Name mir nicht einfällt, vermag wohl vieles. Überdies, das muss ich zugeben, kemet benötigt mehr Steuereintreiber, mehr Schreiber. Momentan läuft ja alles über das Büro des tjati, und wenn ich bedenke, dass der gute alte Anchnefer im Augenblick fast allein ist, da die Ernten und Steuern berechnet werden müssen, die Bauten fertig werden sollen, alle Schreiber im Land unterwegs sind … Mehr Personal schadet gewiss nicht, um die Domänen und Dörfer besser zu kontrollieren.“ „Ja, das ist auch meine Meinung. Allein, wenn man bedenkt, wie viele Schreiber in den Steinbrüchen und Domänen nützlich wären ...“ Meruka wusste, dass man bei derartigen Gesprächen oft mehr hörte, wenn man dem Anderen recht gab. Überdies war er tatsächlich der Meinung. Je strikter eine Verwaltung auf den Herrn der beiden Länder ausgerichtet wurde, umso weniger Ärger würde es geben. „Hast du schon jemanden kennengelernt aus dieser Schule?“ fragte der private Schreiber Sobeknachts. „Nicht persönlich, gebe ich zu, aber ich hörte, dass Chnummose, immerhin einer der Großen, einen gewissen Menmire zu seinem Vermögensverwalter gemacht hat. Sie scheinen recht viel zu lernen.“ „Ja, auch wenn viele zum Bauleiter gehen, der ja auch in Iunu sitzt. Aber es wird doch auch viel gebaut in kemet.“ Selketschepses sah nach vorne zu den Sänften, ehe er ergänzte: „Ich würde mir fast wünschen, dass an möglichst vielen Tempeln solche Schulen eingerichtet werden. Bauernkinder hin oder her, wir benötigen mehr Leute, die lesen und schreiben können, als aus unseren Familien stammen. Zumindest auch als einfache Schreiber und Buchführer. Allein, wenn ich bedenke, dass der werte Sobeknacht, unser tjati, Männer aus seinem privaten Schreiberbüro in das seines Amtes einteilen musste, weil der Palastbau in Abu und das Haus der Ewigkeit des lebenden Horus und der Tempel der Bastet im Delta alle Schreiber beanspruchten …“ Der Ermittler verlor sein Ziel nicht aus den Augen. „Und dazu kommen noch die Reisen mit dem tjati. Ich vermute ja, wenn er auf seine eigenen Domänen reist, bist du auch dabei.“ „Ja, natürlich. Vor der Überschwemmung waren wir im Norden, eben auch in Iunu. Wir nahmen auch drei Schüler von dort mit, die der Herr dann einsetzte, einen selbst auf eine königliche Domäne im Delta. Dieser Junge war sogar mit auf unserem Schiff, er stammte ja von einer Domäne Sobeknachts. Und ich kann nicht behaupten, dass er sich tölpelhaft benommen hätte.“ Sennefer. Behutsam fragte Meruka nach. „Er war eher wissbegierig?“ „Ja, auch, wenn ich zugeben muss, dass es mir nicht gefiel, dass er so um Akenptah herumlief. Andererseits – Akenptah war noch immer schwach, er war ja lange krank, wie du vermutlich weißt, und die Gesellschaft eines Altersgenossen gefiel ihm.“ „Ja, sicher. Überdies, der Sohn des tjati kennt keine Staatsgeheimnisse, aber der junge Schreiber hofft wohl auf Empfehlung. Ehrgeiz ist nicht schlecht.“ „So vorgetragen … Nun ja. Ich hatte immer das Gefühl er schleiche um uns herum, wenn wir abends redeten, aber natürlich wollte er auch lernen. Er war nie bei Hofe oder in solcher Umgebung.“ Und dabei hatte Sennefer wohl zu viel gehört. Wusste Selketschepses davon oder nicht? Wenn der Vorsteher der privaten Schreiber Sobeknachts den Schützling seines Herrn umbringen ließ, würde er kaum etwas davon erzählen. Andererseits schien er offen zu sein. „Allein dabei sind schon viele Schreiber mit unterwegs, ja. Sozusagen die engsten Vertrauten des tjati. Bis auf Anchnefer, nicht wahr?“ „Ja, er ist nun einmal der Bürovorsteher und vertritt unseren Herrn in den Gerichtsdingen, die so anfallen und macht auch die Berichte fertig, die Hekaptah dann dem guten Gott morgens vorträgt. Da hat er eine schwere Verantwortung und kann unmöglich weg. Diese Tage ist es ja ebenso.“ „Wer vertritt dich denn?“ fragte Meruka in ehrlicher Neugier. „Niemand. Meine Männer helfen fast alle Anchnefer. Nun gut, die Tage des Barkenfestes sind bald um und es kommen höchstens die Berichte über die neuen Feldausmessungen und die geplanten Ernten in Sobeknachts privaten Domänen. Das kann auch liegen bleiben.“ Aber das erklärte natürlich auch, warum Selketschepses auf neue Schreiber aus Iunu hoffte. Sobeknacht schien sein privates Büro dem staatlichen unterzuordnen, was die Personenzahlen betraf. Nichts, was man tadeln sollte. „Dann ist Anchnefer wahrlich allein, sobald der tjati auf Reisen geht, oder?“ „Nein, ein Stab bleibt natürlich in Ibenu-hedj. Die Berichte aus ganz kemet müssen ja weitergeleitet werden an den Herrn der beiden Länder. Eigentlich bleiben dann mehr Schreiber bei ihm als heute.“ „Das Fest dauert auch nur drei Tage. Und während des Umzugs um die Mauern wird niemand arbeiten in der gesamten Stadt.“ „Ja, natürlich.“ „Hm, lass mich doch einmal raten. Auf einer solchen Reise in den Norden bist du dabei, dann sicher ein Schreiber des Büros des tjati, der Hausvorsteher Sobeknachts, damit er sich um die private Domänen kümmern kann, einige Unterschreiber, so in etwa.“ Meruka kannte die Namen bereits, aber er wollte auch dezent überprüfen, wie sehr der alte Selketschepses die Wahrheit sprach. „Ja, Thothhotep, natürlich, wir arbeiten ja viel zusammen. Oh, er ist der Hausvorsteher und war auch Betreuer des jungen Akenptah, jetzt braucht der ja keinen Erzieher mehr.Aber der tjati ist eben oft unterwegs, um seinen Pflichten nachzukommen.“ „Eine wichtige Person. Sag, war der nicht auch mit euch in der Schule?“ „Ja, genau. Mit deinem Vater. Ebenso wie Anchnefer und dessen Vertreter Meribast. Der war natürlich auch mit dabei, ist er doch der zweite Schreiber im Büro des tjati. Schon aus diesem Grund glaube ich nicht, dass Schüler aus Iunu oder anderen Schulen je einen hohen Beamten stellen können. Wir alle lernten ja gemeinsam, kennen uns, ja, kannten den Königssohn, ehe er zum Gott wurde. Das kann keine Schule außer der Palastschule vermitteln.“ „Natürlich.“ Also sah Selketschepses, sahen die hohen Beamten, die Beamtensöhne aus reichen und einflussreichen Familien waren, in den Bauernkindern keine Gefahr für ihre eigene Stellung. Denn es war wahr – jeder hielt sich lieber an die, die er bereits sein Leben lang kannte. Für die Schüler aus Iunu blieben die einfacheren Tätigkeiten. Erst, wenn diese sich wahrlich hochgearbeitet hatten, würden deren Söhne oder Enkel es leichter haben. Nun gut. Auf dem Schiff des tjati auf dieser für Sennefer offenbar fatal endenden Reise hatten sich Sobeknacht selbst befunden, sein Sohn Akenptah, sein ranghöchster Privatschreiber Selketschepses, der zweithöchste Beamte des staatlichen Büros Meribast, und Thothotep sein Hausvorsteher und damit Verwalter seines Privatvermögens, seiner Domänen. Dazu Ruderer und ein oder zwei Dienstboten, wenn überhaupt. Und ab Iunu war Sennefer in diesem illustren Kreis gewesen. Dies hatte er zuvor auch schon gewusst, aber es war einmal schön das bestätigt zu bekommen. Jetzt sollte er ablenken. „Was gab es denn im delta zu essen? Fische?“ Er klang spöttisch. Das Delta und seine Bewohner wurden von den Leuten aus dem Süden gern ein wenig als Kiebitze verspottet, deutlich primitiver. „Nicht nur, ich war überrascht. Aber das liegt natürlich auch daran, dass diesmal Thothhotep selbst dabei war und die jeweiligen Domänenvorsteher vorher anschrieb. Es gab kleine Vögel aus den Sümpfen, aber auch Wild aus der Wüste, natürlich auch Brot und Wein, den aus den neuen Domänen, nicht den syrischen. - Mal sehen, was wir später bekommen. Mein Schwiegersohn gab sich Mühe.“ „Ah ja, er ist ja der Vorsteher der Scheunen der Wüste.“ Und damit verantwortlich für alle Lebensmittel des Palastes, die nicht im Fruchtland geerntet werden konnten. Selbst die gezüchteten Hyänen sowie Wildvögel gehörten zu seinem Aufgabenbereich. Das Thema wandte sich verschiedenen Speisen zu.   Trotz der Mittagspause im Schatten waren doch alle froh, als sie den Palast erreichten. Rechter Hand lag, ebenso wie der Palast von mühsam am Leben gehaltenen Bäumen beschattet, der Tempel des Sokar. Das kleine Dorf Ra-sentauj, dessen Name schon längst auch auf den Tempel übergegangen war, hatte der Zug bereits passiert. Rahotep, der noch nie hier gewesen war, musterte neugierig die Bäume hier in der Wüste. Es musste einen ziemlichen Aufwand darstellen sie zu bewässern. Um ihren Fuß war auch ein fast kniehoher Wall gemauert worden, in den offensichtlich hineingegossen wurde, um das Wasser nahe an ihnen zu halten. Es waren Sykomoren und Dumdum-Palmen, die solcherart Schatten erzeugten, robust und schnellwüchsig, soweit er wusste. Zwar waren Pflanzenkenntnisse im Arztstudium enthalten, aber eher Früchte und Blätter, Wurzeln als direkte medizinische Verwendung, als die Tatsache ob und wie sie wuchsen. Er sah zu seinem Lehrer, dem Vorsteher der Ärzte, als der Herr der beiden Länder in den Palast getragen wurde. „Was geschieht jetzt?“ „Der mächtige Horus wird in die Halle getragen zu seinem Thron. Dort wird er uns begrüßen und sich dann zurückziehen. Gleich hinter der Halle befinden sich seine privaten Räume. Der Haushofmeister, hier als Leiter der Sitzordnung, wird uns dann unseren Schlafplatz zuweisen. Ich denke, wir sind im ersten Stock, gemeinsam. Die Wachen und Diener werden in der Halle nächtigen. Aber zunächst einmal wird in der Halle gemeinsam gegessen, wie immer im Palast. Morgen früh geht es dann mit Sonnenaufgang los. Du und ich müssen nicht viel tun, nur dem lebenden Horus und Sokar zujubeln, während die höchsten Beamten dann die Barke ziehen. - Oh, das kannst du nicht wissen. Vor dem Essen gehen sie noch hinüber und bereiten mit den Sokar Priestern den Gott auf den Auszug morgen vor. Auch der Herr der beiden Länder, selbstverständlich. Aber wir haben da frei.“   Tatsächlich kam der Zug in der Halle zum Stehen und alle knieten nieder, legten sich flach auf den Boden vor dem lebenden Gott. Sobeknacht trat neben ihn, nachdem er sich erhoben hatte. „In einer Stunde beginnt die feierliche Prozession hinüber zum Tempel. Im Gefolge des mächtigen Horus werden sich befinden ...“ Rahotep lauschte auf seinen Namen und war erleichtert, dass der nicht fiel. Meruka musste dagegen noch einmal mitgehen. Oder durfte, wie man das sehen mochte. Es war natürlich ehrenvoll, aber er war Arzt und weder Krieger noch ein Wüstenläufer und der Weg hier hinauf hatte ihn doch ermüdet. Es wäre besser Wasser zu trinken und im Schatten zu bleiben. Sobald sich der Herr der beiden Länder zurückgezogen hatte und alle wieder standen, nahm der Vorsteher des Palastes und Leiter der Sitzordnung eine Papyrusrolle in die Hand. Streng nach den Hofrängen erklärte er jedem, wo er beim Abendessen zu sitzen habe und wo er schlafen könnte. Rahotep erfuhr so, dass er neben seinem Lehrer sitzen würde und sie beide, gemeinsam mit zwei anderen Männern, im ersten Stock in der vierten Kammer nächtigen sollten. Tjati und Siegler des Königs teilten sich das erste Zimmer im ersten Stock, von der Treppe aus gezählt, die vor der Halle hinaufführte. Darunter befanden sich zwei Bäder – wenig für diese Anzahl Personen, aber immerhin. Die beiden Königssöhne und Akenptah dagegen wurden in einem Raum untergebracht, der sich links neben der Halle befand, mehr oder weniger direkt neben dem Schlafzimmer de Königs, das direkt hinter dem Thron lag. Beides wurde im Unterschied zu den anderen Eingängen, außer natürlich dem Haupttor, mit hölzernen Türen verschlossen. Oben wurden die Kammern nur mit herunter gerollten Matten verhängt, wenngleich schön bunt gewebten. Auch Boden und Decken waren so geschmückt worden, sicher erst vor wenigen Tagen, denn die Farben waren frisch. Rahotep merkte auf, als er an der Treppe einen lautstarken Streit vernahm – ungewöhnlich genug, dass nicht nur er sich scheinbar unauffällig der Treppe näherte. Nanu? Das war doch der Vorsteher der Sitzordnung? Und wer war der andere? Garantiert auch ein hoher Beamter, das zeigte der Schmuck. Er entdeckte seinen Kollegen Ptahnacht, der sich fast neben den beiden befand. Nun, so würde er auf diesem Weg erfahren, worum es ging. Er wollte sich schon umdrehen, als dem Palastvorsteher etwas ärgerlich entfuhr: „Thothhotep! Jedes Jahr, das die Götter werden lassen, das Gleiche! Nein, Akenptah kann nicht bei dir schlafen und auch nicht bei seinem Vater. Er ist kein Kind mehr. Überdies erhielt ich eine direkte Anweisung des Herrn der beiden Länder!“ „Er wieder!“ hörte Rahotep seinen Lehrer flüstern und bemerkte das gewisse Lächeln in den Gesichtern um sich. „Es ist schön, wenn man auch seine Pflegekinder liebt, aber er übertreibt wirklich. Akenptah ist von schwacher Gesundheit, aber das ist auch alles.“   Kapitel 18: Ra-Sentauj ---------------------- Meruka hatte das Gespräch zwischen dem Leiter der Tischordnung und Thothhotep nicht mithören können, aber er hatte seine beiden Mitarbeiter näher dran gesehen und wusste, er würde die Informationen bekommen. Immerhin war Thothhotep selten direkt bei Hofe und es war unüblich sich mit dem Protokollchef in die Haare zu bekommen. Vielleicht wurde er selbst nervös, aber alles, was ungewöhnlich war, sollte er überprüfen. Da war dieses seltsame Gefühl im Magen, und er hatte gelernt Dingen nachzugehen, die ihm seltsam vorkamen. Fünf Jahre in der Wüste als Leiter einer Einheit und gelegentlichen Kriegszügen, das Leben seit seinem sechsten Jahr bei Hofe – er wusste, wo eine Falle lag. Er konnte Merit durchaus nachvollziehen. Als sich Meruka umwandte, war er ein wenig erstaunt den Ehemann seiner Stiefschwester zu sehen. Padiselket war eigentlich der Vorsteher des Gazellengaus, aber dennoch oft in der Residenz, während sich die Tochter Hekaptahs mit ihren mittlerweile drei Kindern in Hebenu, der Hauptstadt des Gaus aufhielt. „Ich grüße dich,“ sagte er höflich. „Ich habe dich ja noch nie bei der Prozession gesehen.“ Padiselket, ein Mann Ende der Zwanzig, zuckte die Schultern. „Nun, du weißt, dass ich der Leiter des Gazellengaus bin. Man reist hin und her, je nachdem. Da ich allerdings Sennefer in die Schule brachte, erwies mir Hekaptah, unser Vater, die Ehre, mich hier einzuladen.“ Vater oder Schwiegervater – das war in der Sprache vollkommen gleich. Sennefer? Für einen Augenblick durchzuckte den Ermittler Hitze, ehe er sich entsann, dass auch der älteste Sohn seines Gegenübers, und damit der älteste Enkel des Sieglers, so hieß. Namen wurden eben auch öfter vergeben – Meresanch hießen sowohl die Tochter Hekaptahs als auch seine neue Mitarbeiterin. „In die Palastschule, nicht wahr? So hatte er wohl bislang Privatlehrer?“ „Ja. Er ist ja schon acht. Aber Meresanch mochte sich nicht von ihm trennen. Du weißt sicher, wie Frauen sind.“ Erneut zuckte er die Schultern. „Er ist bestimmt klug und wird als Schreiber erfolgreich sein.“ „Ich hoffe doch auf mehr. Der Sohn ist der Stab des Alters des Vaters.“ Ach ja? Meruka blickte sich unwillkürlich um. „Aber er ist heute nicht dabei?“ „Nein, er erhielt keine Einladung. Ich wunderte mich allerdings schon, dass Menka heute dabei ist. Er ist doch fast in dem Alter.“ „Menka ist ein Königssohn.“ „Ja, natürlich.“ Padiselket hob etwas die Hand. „Ich würde nie eine Entscheidung unseres guten Gottes auch nur anzweifeln.“ Genau dieses hatte er soeben getan. Meruka musterte ihn. „Nun, er ist wohl ein Jahr älter als dein Sohn. Ich erinnere mich nicht mehr wann ich das erste Mal an dieser Prozession teilnehmen durfte. Wie geht es denn Meresanch? Ich sah sie zuletzt bei dem Fest des Ptah vor etwas über einem Jahr und da erwartete sie euer drittes Kind. Ein Mädchen, nicht wahr?“ „Ja. Drei gesunde Kinder in acht Jahren, ich danke den Göttern. Und Meresanch hat alles auch stets gut überstanden. Sie meint, das Amulett, dass ihr ihr Vater aus Obsidian von Bes, dem Schutzgott der Schwangeren, fertigen ließ, hätte ihr sehr geholfen.“ „Der Gott mag klein und hässlich scheinen, aber er hilft,“ erwiderte Meruka höflich. „Drei Kinder, gesund und munter, sind ein Segen. Sennefer und …?“ Er sollte die Namen kennen, dachte er zerknirscht. Seine Mutter wusste sie sicher, hatte auch zu den Geburten stets Amulette und Geschenke gesandt. „Zwei Mädchen. Meritneith und Meritbast. Du wirst sie bald kennenlernen. Meresanch möchte mit den Mädchen Sennefer in einem halben Jahr besuchen und dabei sicher ihren Vater ebenso.“ „Das freut mich. Nicht gegen Hebenu, natürlich, aber der Hof ist doch etwas anderes.“ Padiselket richtete sich auf. „Ich bin mir bewusst, dass sich Meresanch unter ihrem Stand verheiratete.“ Oh, da lag ein Fettnäpfchen. Familie war manchmal schwieriger als Ermittlungen. Meruka sagte eilig: „Ich bin mir jedenfalls sicher, sie wusste, was sie tat. Und ich bin ebenso sicher, du sorgst gut für sie und ihre Kinder. - Ich selbst fand ja noch niemanden.“ Der Vorsteher des Gazellengaus entspannte sich. „Natürlich.“ Meruka war wohl einfach auf jeden neidisch, der wen gefunden hatte. Er sollte das nicht persönlich nehmen, eher sich fragen, wo der Haken bei dem erfolgreichen, ranghohen, durchaus gut aussehenden Beamten lag, wenn keine Frau den wollte. „Ja, wie bedauerlich. Kinder sind ein Segen der Götter.“   Ptahnacht wich dezent zurück. So interessant diese Diskussion zwischen Thothhotep und dem Protokollchef auch sein mochte, er hatte einen klaren Auftrag, um den er sich bei dem Leiter der „Getreuen“ fast beworben hatte. Meruka, sein eigentlicher Vorgesetzter, wollte, dass er ein Auge auf die Königssöhne behielt und so hatte er sich für Abend und den ersten Teil der Nacht als Wache vor der hölzernen Tür einteilen lassen, die aus dem Saal nach links zu deren Zimmer führte. Jetzt stand sie offen, da Menhekat, Menka und Akenptah noch mit hinüber zu den Feierlichkeiten im Tempel gehen würden. Ein Blick zur Kontrolle schadete sicher nichts. Hinter der Tür befand sich ein kleiner Vorraum, dahinter ein noch kleinerer Raum, in dem ein Tontopf mit Sand stand und ein leerer Topf unter einem Hocker mit Öffnung. Die Königssöhne hatten also ihre eigene Toilette. Oben in der Wand war die schmale Fensteröffnung. So wandte sich der Wächter um und betrat den Schlafraum. Drei einfache Lager waren hier bereits aufgeschlagen worden, vom Fenster bis zur gegenüberliegenden Seite. Dazwischen standen jeweils Tonkrüge, sicher mit Wasser. Auch hier war die Öffnung lang und schmal, um Frischluft und etwas Licht einzulassen, jedoch die Hitze des Sommers nicht. Er ging wieder hinaus, gerade noch zurecht, um sich unauffällig an die Wand stellen zu können, denn der Thronfolger, sein Halbbruder und Cousin kamen. Menhekat schien erheitert und Ptahnacht bemühte sich, die Holztür einen Spalt offen zu halten, um mithören zu können. Meruka wollte sicher seinen Bericht. Der neu ernannte Älteste Königssohn meinte: „Ich hätte lachen mögen, wie du das sagtest. Nein, Thothhotep, ich werde nicht ersticken, nein, ich werde nicht erfrieren, nein, ich werde nicht am Fenster liegen, sondern hinten an der Wand, und das vor dem halben Hofstaat. … Macht er das immer? Du bist doch kein Kind mehr.“ „Er macht sich immer viele Sorgen um mich.“ Akenptah klang resigniert. „Er meint es nett, aber so vor aller Ohren, ist es einfach nur peinlich. Anscheinend hat Vater vergessen ihm zu sagen, dass ich bei dir schlafe, und er dachte sich schon wieder, wissen die Götter was.“ „Letztes Jahr hast du bei ihm geschlafen, nicht wahr? Aber da war auch Menka nicht dabei und ich schlief bei ... oh, natürlich, mit dir und deinem Vater und Hekaptah, aber oben. Dass ich und Menka hier sind, wurde ja erst vor einigen Monaten entschieden. Das hatte der gute Thothhotep dann wohl nicht mitbekommen. Aber schön, ich bat meinen Vater, unseren guten Gott, darum, dass du bei uns bleiben kannst. Es wäre doch Unsinn, wir haben wochenlang, ja, monatelang, ein Zimmer geteilt, in Iunu bei den Baumeistern wie auch in Abu.“ „Er klang wie meine Mutter,“ meinte der kleine Menka, der auch etwas dazu beitragen wollte. „Und da mag ich es schon nicht. Du bist doch erwachsen und er ein Mann!“ „Ja.“ Akenptah seufzte. „Aber ich war letztes Jahr lange krank und seither ist es wirklich schlimm mit ihm. Jetzt beeilen wir uns lieber. Zu einer Prozession zu spät zu kommen gibt Ärger.“ Der Wächter schloss behutsam die Tür, sicher, dass die Drei sich rasch frisch machen wollten.   Als die Teilnehmer am Gottesdienst des Sokar mit Horus Quahedjet aufgebrochen waren, kam Rahotep zu Ptahnacht, der neben der Tür an der Wand lehnte, und sah sich kurz um, um sicher zugehen, dass niemand zuhören konnte. „Meruka,“ begann er leise: „Möchte die Einteilung der Wachen wissen.“ „Ja. Zuerst nur noch ein kleines Gespräch, Bruder, für unseren Vorgesetzten.“ Ptahnacht berichtete von dem belauschten. „Akenptah hat es wohl nicht einfach mit seinem ehemaligen Erzieher.“ Der Arzt verzog den Mund. „Das war auch ... der halbe Hof hörte zu, denn natürlich erregte ein Streit Aufmerksamkeit. Falls irgendwer nicht wusste, dass Akenptah bei den Königssöhnen schläft, jetzt wissen es alle. Die Posten?“ „Mitten in der Nacht werden wir abgelöst. Hier stehe ich, zwei Männer vor den Räumen des Horus, er lebe, sei heil und gesund, zwei draußen vor der Tür, die hier in die Halle führt. Sie haben damit auch die Treppe in den ersten Stock im Blick. Vor dem eigentlichen Palast stehen zwei und zwei vor dem großen Portal der Mauer, die den Palast umschließt. Die Anderen werden sich seitlich des Palastes legen und schlafen, bis sie uns ablösen.“ „Im Hof.“ „Ja, Richtung der Küche und Vorratsgebäude. Die Diener, die mit von Ibenu-hedj gekommen sind, werden hier in der Halle schlafen, die aus dem Dorf gehen nach Hause, gerade auch die Frauen, die jetzt hinten wohl das Abendessen zubereiten.“ „Der Raum der Jungen hat ein Fenster?“ „Ja, auch die Toilette. Übrigens, die Räume des Horus nicht. Sie werden nur durch Öllampen erhellt.“ „Kühle und Sicherheit. Als ob jemand es wagen würde ...“ „Ich denke, es soll eher ein Schutz gegen Dämonen sein. Nicht, dass der Lebende Gott kemets so etwas benötigt, aber im Schlaf ist man doch wehrloser.“ „Das ist wahr. Und die Dämonen der Sachmet schlagen meist nachts zu, das weiß jeder Arzt. Ich werde Meruka nach dem Abendessen davon berichten, wenn er von den Feierlichkeiten drüben zurück kehrt und es unauffällig möglich ist. Er wird oben schlafen, ebenso wie ich, aber in einem anderen Raum.“   Das Abendessen wurde, wie es üblich war, streng nach der Rangordnung in der großen Halle serviert. Die Männer saßen auf Kissen, kleine Tischchen vor sich, auf denen die Diener ihnen die jeweiligen Speisen servierten. Natürlich war die Speisefolge am Königshof die mit der größten Auswahl des gesamten Landes, aber jeder der hier Anwesenden vertrat eine hohe Position und kannte es kaum anders. Es gab Brot, gekochten Fisch, Wachteln und gebratene Rinderschenkel, gekochte Innereien, gekochte Feigen, mit Honig gesüßte, kleine Kuchen und eine Reihe von Käsearten. Dazu Wein und Bier von den königlichen Domänen, die den Hof versorgten.   Während sich der mächtige Horus danach mit seinem Geleit zurückzog, um seine abendlichen Riten zu begehen, damit morgen die Sonne aufging und alles im Lande sich wohl befand, zogen die Höflinge zu Gesprächen im Palast und dem Hof umher. Auch sie würden bald ins Bett gehen müssen, denn schon mit Sonnenaufgang würde die eigentliche Prozession hinab in das Fruchtland und um die Mauern von Ibenu-hedj beginnen. Rahotep nutzte die Gelegenheit um Meruka Bericht zu erstatten. Der nickte nur. Alles schien gesichert. Warum nur hatte er ein ungutes Gefühl? „Du siehst nur deine Verantwortung,“ erklärte der Arzt, als habe er die Gedanken gelesen. „Aber, was soll hier schon passieren? Da ist eine Mauer, sind Wachen, es sind so viele Menschen da.“ „Ich weiß. Aber ich weiß auch, dass ich beruhigter sein werde, wenn wir wieder in den weißen Mauern sind und im eigentlichen Palast. Ich habe das Gefühl, dass wir alle irgendetwas übersehen haben.“ „Sennefer?“ „Der ist in der Palastschule und da sicher. Oh, du meinst unseren. Ja. Was hat der bloß mitbekommen.“ „Gibt es noch einen Sennefer?“ „Ja, den Enkel des Sieglers, sozusagen eine Art Neffe von mir.“ „Und der Erbe, wenn beiden Königssöhnen und Akenptah etwas zustößt?“ „Ja. Sein Vater ist hier. - Ich werde Padiselket im Auge behalten.“ Meruka wandte sich ab.   In der Residenzstadt freuten sich alle auf den morgigen großen Umzug. Sokar würde, da Ibenu-hedj stellvertretend für das gesamte Land stand, die Fruchtbarkeit der Böden sichern. Im folgenden Monat würde der mächtige Horus auch noch mit dem Apisstier um die Mauern ziehen, die Herden damit segnen. Alles würde gut werden, daran zweifelte niemand. Im Haus des tjati hatten alle ebenfalls schon sich frisch gewaschene Kleidung zurecht gelegt, die Zwiebelkränze, die die Dämonen abhalten sollten, vorbereitet. Nefer, die sich ihrem Auftrag gemäß möglichst nahe bei der Haushälterin hielt, bemerkte überrascht, dass noch eine Lieferung hereinkam. Sat-Sachmet zeichnete die Säcke ab, nur mit einem Symbol, da sie nicht schreiben konnte und Thothhotep nicht da war, und seufzte. „Was ist?“ fragte Nefer. „Das sieht nach Essen für das Fest aus.“ „Leider nein. Das wäre Arbeit.“ Sat-Sachmet trat um ein Haar gegen einen der Säcke. „Samen von degem! Welcher Narr schickt so etwas vor einem solchen Fest!“ „Degem? Samen?“ Nefer wusste, dass sie eine Rolle zu spielen hatte. „Wir müssen sie auspressen für Öl?“ Rizinusöl wurde in Mengen benötigt, da man damit nicht nur Öllampen anzünden konnte, sondern es auch das billigste und geruchloseste Öl für die Hautpflege war. Dienstboten und Arbeitern stand es als Bezahlung ebenso zu wie Brot und Bier. Eine neue Lieferung war daher kaum verwunderlich, aber natürlich vor einem derartigen Fest lästig. Rizinuspflanzen wuchsen im gesamten Land an den Flussufern, wurden auch auf Domänen gehalten, als schnell wachsende Schattenspender und sichere Ernte. „Ja.“ Sat-Sachmet seufzte. „Nein. Das kann warten bis nach dem Fest. Es könnte Sokar verärgern, wenn wir ihn nicht gebührend feiern. Und die Samen sind reif. In zwei Tagen werden wir eben länger arbeiten, das hat dann Vorrang. Ich werde das allen Frauen sagen. Morgen der Umzug, die Feier, dann die Arbeit. Heute ist es auch schon zu spät. Zwei Säcke! Da wollte mich wohl jemand ärgern.“   Lautlos brachten Diener Öllampen in die Räume der Schlafenden, ein Kammerherr in das Schlafzimmer des Herrn der beiden Länder. Die Sonne sollte bald aufgehen, der erste Schein des Tages zeigte sich bereits am Horizont. Nun musste es rasch gehen, denn bereits in wenigen Stunden wollte Sokar seine Reise antreten. Schon aufgrund der mehrstündigen Wege, die vor ihnen lagen, wollten alle, ob der lebende Horus selbst oder seine Höflinge noch sich in die Bäder begeben und in der großen Halle „Mundwaschung“ gehen, frühstücken. Die Stille des Palastes wurde jäh von Schreien durchbrochen – nach Wachen und Ärzten. Die Getreuen beeilten sich zu der Ursache der Rufe zu gelangen, handelte es sich doch um einen Seitenraum der Halle – dem Raum der Königssöhne. Nebhotep, der Wedelträger des Königs, und zweiter ranghöchster Offizier der Wachen wandte den Kopf und sagte zwei Namen: „Bringt sofort alle Ärzte her!“, ehe er sein Messer zog und der schwarzen Schlange, die zwischen dem regungslosen Menka und dessen älteren Halbbruder lag, den bereits zerschmetterten Kopf abzuschneiden. Menhekat stand an der hinteren Wand, noch immer die Reste des Wasserkruges in der Hand, sichtlich erschreckt. Er hatte um Hilfe gerufen. Akenptah kauerte auf seinem Lager, die Decke bis zum Hals emporgezogen. Er war bleich und zitterte am gesamten Körper dermaßen, dass es auch ein Unkundiger sah, dass etwas nicht stimmte. Nebhotep schickte die Wachen wieder an ihre Plätze, es war ja nicht gesagt, dass das nicht nur eine Ablenkung sein sollte. Er konnte jetzt schon das Getrappel der Höflinge hören, die natürlich lalle aufmerksam geworden waren. Leider wäre auch der tjati dabei, der Siegler. Ganz zu schweigen, was der Lebende Gott von solch einem Zwischenfall halten würde. Eine Schlange im Palast! Hoffentlich würde das der Nachlässigkeit der Diener zugesprochen werden, die wohl nicht vor dem Einzug alles geputzt und mit Zwiebelbier bespritzt hatten. Jeder wusste doch, dass keine Schlange dann in ein Haus gelangen konnte. Hoffentlich gab man die Schuld nicht den Wachen. Umso wichtiger war es jetzt professionell zu handeln. Immerhin hatte der Thronfolger die Schlange getötet – aber der jüngere Königssohn schien gebissen worden zu sein. Das war definitiv schlecht.   Der Vorsteher der Palastärzte, Rahotep als sein Schüler und Anchchepri, der für Schlangenkunde zuständig waren, waren bereits informiert, als sie sich durch die Menge der Neugierigen schoben. „Ich sehe,“ meinte der Vorsteher nur. „Anchchepri, sieh du nach dem Jungen. - Rahotep, bringe Akenptah hier raus und in einer ruhigen Raum. Er wird Ruhe benötigen. - Du auch, Menhekat. Gib mir doch erst einmal den Krug. Alle anderen sollten hier Verschwinden!“ Das war leichter gesagt als getan, denn vor der Tür in die große Halle zurück standen verwirrt und neugierig miteinander tuschelnde Männer, jemand berichtete dem tjati und Hekaptah, was geschehen war. Meruka, der sich hinter seinem Stiefvater hielt, wusste so Bescheid. Eine Schlange! Er konnte, wie viele im Land die giftigen Tiere nicht ausstehen, ja, besaß leider eine geradezu fürchterliche Angst vor ihnen. Nicht einmal tot mochte er sie sich ansehen. Nun ja. Rahotep war dabei und würde ihm Bericht erstatten können. Etwas wie ein Rauschen, ja, Platschen auf den Fliesen, verriet, dass sich die Höflinge eilig auf den Bauch warfen. Und das konnte nur bedeuten, dass der Herr der beiden Länder kam. Horus Quahedjet trat zu seinen Halbbrüdern. „Sobeknacht?“ „Die Ärzte sind bei den Jungen. Eine Schlange ist in ihr Schlafzimmer eingedrungen. Menka wurde gebissen.“ Der tjati hätte liebend gern einen anderen Bericht abgegeben, noch lieber nach Akenptah gesehen. Für einen langen, zu langen, Augenblick schwieg der Herr der beiden Länder. Zeit genug für seine Höflinge sich zu fragen, ob sich in seinem Inneren der lebensschützende Himmelsfalke von Seth, dem zerstörerischen Gott der Stürme und Wüsten abwechseln ließ. Man sagte, aber niemand wollte den Beweis sehen, dass es dann zu Erdbeben komme. Meruka zuckte zusammen, als er, wie alle flach auf dem Boden liegend, erkannte, dass sich die Füße des Lebenden Gottes direkt vor ihm befanden. Auf den Sohlen von dessen Sandalen waren die Feinde kemets eingeschnitzt, die solcherart magisch zertreten wurden. Das konnte auch ihm leicht geschehen, wenn er in den Augen des Königs versagte. „Meruka, mein Schreiber. Ich erteile dir den Auftrag diesen Zwischenfall zu untersuchen. Jeder Mann, jede Frau in kemet soll dir jede Auskunft geben. Du wirst allein mir Bericht erstatten.“ Natürlich wusste der Herr, dass er verdeckter Ermittler war, dachte Meruka fast panisch. Sonderermittler mit solchen Befugnissen zu sein – immerhin war er nicht einmal dem tjati unterstellt – konnte jedoch auch leicht ins Auge gehen, wenn er keine Resultate brachte. Und das möglichst schnell. Er brauchte einen Schuldigen, und sei es auch nur ein Diener, der das Zwiebelritual vergessen hatte – oder er würde selbst im besten Fall in einer Oase der westlichen Wüste landen, wo die Sandleute und Libyer keine Ruhe gaben. Aber, was sollte er gegen den Willen eines Gottes auch nur andenken. Es war sicher richtig, denn, was immer der Horus auf dem Thron der Lebenden äußerte, wurde wahr. „Suche dir Männer aus, die mit dir zusammenarbeiten. - Jetzt brechen wir auf. Was auch immer geschah, Sokar wartet nicht.“ So sehr er um Menka besorgt war – die Verpflichtung gegenüber dem gesamten Land hatte Vorrang. Es ging um die Ernten. Kapitel 19: Sonderermittler --------------------------- Sobald der Herr der beiden Länder mit dem Schwarm der Höflinge verschwunden war, und sich auch Meruka erhoben hatte, kam Nebhotep zu ihm, der zweite Mann der Wachen, und ein ranghoher Beamter, als Wedelträger des Königs, dem einige Domänen gehörten. Sie kannten sich seit Schulzeiten. „Sonderermittler, also, Glückwunsch,“ sagte er. „Brauchst du Wachen? Denn die Meisten müssen mit der Prozession ziehen und einige nur im Palast bleiben.“ Es wäre ihm eindeutig lieber, wenn einige seiner Männer bei dem doch deutlich unerfahrenen Ermittler bleiben würden. Meruka war klug, sicher ein diskreter, fähiger Schreiber, anders wäre er kaum unter die privaten Schreiber des Herrn der beiden Länder gerückt ... aber dazwischen und ermitteln lag einiges. Nebhotep wusste nur zu gut um den Druck, der jetzt auf seinem Kollegen lastete. Es stand zu erwarten, dass Meruka bei aller Freundlichkeit lieber die Köpfe einiger Wachen oder Diener rollen sah als seinen eigenen, zumal, wenn dem Königssohn wirklich etwas zustieß. Namenlos in das Jenseits zu gehen war etwas, was jeder Denkende vermeiden wollte. Meruka vermutete dies. Der Wedelträger des Königs hatte keine Ahnung von seiner wahren Arbeit der vergangenen Jahre. „Ja, das ist mir klar, danke, Nebhotep. Lass mir Ptahnacht da, mit dem habe ich schon einmal gearbeitet, das sollte erst einmal genügen, je nachdem, was die Ärzte sagen.“ Meruka sah sich unwillkürlich um. „Ich werde mir zunächst das Zimmer ansehen, sobald es Menka besser geht.“ „Ich bezweifle nicht die Fähigkeit der Hofärzte, aber es war eine Kobra mit schwarzem Kopf und der Königssohn ist ein Kind. Ich frage mich nur, wer von unseren Leuten so nachlässig war, sie durchzulassen. Ich traue es keinem zu.“ Weiter durfte er nicht gehen um seine Männer zu schützen. „Die Dienstboten müssen beim Aufräumen mehr als liederlich gewesen sein.“ „Ich fürchte, genau das soll ich herausfinden. Der mächtige Horus, er lebe, sei heil und gesund, wünscht Bericht.“ Wie jeder hohe Beamte kannte auch Nebhotep die gewisse Furcht einen Gott zu verärgern. Da ging es schnell um das eigene ewige Leben. Der Fluch des Lebenden Horus konnte über die Entfernungen, jedoch in alle Ewigkeit, vernichten. „Dann wünsche ich dir viel Glück. Ptahnacht, also? Ja, der ist ein intelligenter Bursche. Oh, der hatte gestern Abend und den ersten Teil der Nacht Dienst. Er kann dir sicher auch sagen, wer mit ihm hier stand.“ Er musste sich beeilen, denn der Herr der beiden Länder stieg soeben in seine Sänfte und er sollte neben ihm gehen und ihm Schatten spenden. Näher als er kam diesem nur die maat-hor. „Danke. Er wird mich bei einem Gang um den Palast finden.“ Immerhin einer seiner eigenen Mitarbeiter stand ihm schon zur Verfügung und, wenn Rahotep mit Akenptah fertig war, würde der ebenfalls zu ihm kommen und ihm Bericht erstatten.   Auf dem Weg durch die Halle blickte sich Meruka noch einmal um. Die einzigen Türen, die es hier gab, waren die in die Räume des Horus, das Zimmer der Söhne und der Ausgang. Ansonsten bot nur die nach oben offene Decke des Saales Licht, die freilich so konstruiert war, dass der bunt bemalte Raum darunter zum größten Teil beschattet wurde. Er bog ab in den Vorraum mit der weißen Treppe. Die Bäder dort hinten hatten ebenfalls nur Fenster und auch hier waren Wachen gestanden, Menschen hin und her gegangen. Wieder eine doppelt geflügelte Holztür, in den Hof, auch hier zwei Wachposten. Zudem hatten Diener in der Halle geschlafen. Eigentlich unmöglich, wie sich eine Schlange an all diesen vorbei winden sollte. Wenn, so hätte doch eher im Hof jemand gebissen werden müssen. Und besagter Hof bestand aus einer doppelt mannshohen Mauer, festgetretenem Sandboden, wenn man von der Prozessionsstraße absah, und war ebenfalls bewacht. Es gab also nur zwei Möglichkeiten. Die Schlange war in der Zeit des Leerstandes hier eingedrungen und hatte sich verborgen, geschlafen, und die Diener hatten das ebenso übersehen wie Anchchepri bei seiner Schlangenaustreibung – oder jemand brachte sie erst in der Nacht in den Hof. Und warf sie durch das schmale Fenster. Kaum rein zufällig in diesen Raum. Das wiederum bedeutete mehrerlei. Erstens: der Täter kannte sich aus und die Abläufe des Festes. Zweitens: er hatte gewusst, dass sich beide Königssöhne und Akenptah dort aufhielten, aber es war ihm wohl gleich gewesen, wen es traf. Drittens: wusste es wirklich jeder? Thothhoteps unrühmlicher Auftritt gestern Abend hatte genau das bewirkt – oder hatte von ihm selbst ablenken sollen. Immerhin war er einer der Männer gewesen, die auf der Reise nach Norden auf Sobeknachts Schiff gewesen waren und Sennefer kennen gelernt hatten. Hatte er einen der Königssöhne ausschalten wollen, um seinen Liebling näher an den Thron zu bringen? Jedenfalls war bis vor Wochen noch nicht festgestanden, dass Menka hier mit durfte oder gar Menhekat anerkannter Thronfolger wurde. Oder wollte nur jemand, dass ein Ermittler das glauben sollte? Thothhoteps schon fast etwas verrücktes Verhältnis zu Akenptah dürfte nicht gerade geheim sein, wenn sich seine Ehefrau deswegen scheiden ließ. Viertens: wer auch immer eine Giftschlange unter dem Arm trug, kannte sich mit Schlangen aus. In vielen Dörfern und Domänen lebten freilich Männer, seltener Frauen, die sich mit diesen Biestern auskannten und sie aus den Häusern verjagten. Oh. Angenommen, Sennefer hörte auf dieser Reise, wie einer der hohen Beamten um ihn mit einem Schlangenbändiger sprach und dem einen Auftrag erteilte. Er dachte sich nichts dabei, viele Leute benötigten ihre Hilfe. Dann jedoch wurde ihm irgendwas bewusst und er schrieb an seinen besten Freund. Umgedreht hatte der hohe Beamte mitbekommen, dass er mit dem Schlangenbändiger gesehen wurde, und reagierte schnell, wenngleich sehr überlegt. Im Namen des tjati die gestohlene Ehrenkette zu überreichen, war gewiss kein Problem, und ebenso wenig dem Jungen weitere Förderung zu versprechen. Hätte Sennefer die Ehrenkette getragen, wäre er wegen Diebstahls verurteilt worden. Das tat er jedoch nicht und auf der Rückfahrt, als der Ahnungslose schon auf seiner neuen Domäne saß, baute der Beamte in Iunu mit den Sandläufern die zweite Falle. So weit, so gut. Sennefer war da anscheinend über etwas wie einen Mordplan gestolpert. Aber, war das hier überhaupt möglich? Er stand jetzt im Schatten einer Sykomore, auf der Rückseite des Palastes. Vor sich konnte er die Vorratsgebäude sehen, davor hatten die Wachen geschlafen, die keinen Dienst hatten. Nur, das hier konnten sie nicht einsehen und auch die Vorratsräume besaßen aus Sorge vor Mäusen und anderem keine Fenster. Er wollte empor zu dem Lüftungsschacht blicken, aber ein dicker Ast grüner Blätter versperrte ihm die Sicht.   „Meruka?“ Ptahnacht kam heran. „Rahotep sagt, er komme gleich, sobald Akenptah eingeschlafen ist. Menhekat fühlte sich wohl genug, um mit der Prozession zu gehen. Nun ja, er nahm sich wohl eher so zusammen. Rahotep will noch mit dem Vorsteher der Ärzte sprechen, auch ihm sagen, dass du ihn anforderst, ehe er dir Bericht erstattet. Schon was herausgefunden?“ „Dieser Baum steht sehr günstig, nicht wahr?“ „Das da oben ist das Fenster des Zimmers der Jungen?“ „Sehr richtig. Klettere doch einmal hinauf und versuche, ob du etwas hineinwerfen könntest.“ „Etwas ein Meter langes, sich windendes und giftiges?“ Der Krieger streifte die Sandalen ab und kletterte gewandt empor. „Der Ast hier ist wirklich schön einladend. Aber, Meruka, wenn ich hier mit einer Giftschlange in der Hand stehen würde, hätte die vermutlich etwas dagegen geworfen zu werden.“ „Es war früher Morgen, noch kühl.“ „Ja, da sind sie noch sehr langsam. Stimmt. Trotzdem, der Kerl ging doch ein unglaubliches Risiko ein. Und überhaupt, wie sollte er an den Wachen am Tor vorbeikommen – mit einer Kobra über der Schulter? Manche meiner Kollegen sind nicht ganz so schnell im Denken, aber das würde sie doch wundern.“ „Auch über Leute mit Krügen?“ „Nein, natürlich nicht. Das halbe Dorf kam ja schon im Dunkeln zum Frühstück vorbereiten.“ Ptahnacht tat, als wolle er einen Krug in die Fensteröffnung ausschütten, ehe er wieder abstieg. „Gehen würde es. Aber, wie willst du die Schlange in den Krug bekommen? Und die Dörfler kennen sich doch.“ „Aber hier sind auch Diener des Palastes aus der Residenz dabei. Wer auch immer einen Fremden sieht, schiebt das der jeweils anderen Partei zu.“ „Ja. Du glaubst, hier ging jemand her, kletterte hoch und schickte eine Schlange in das Zimmer, sprang wieder runter und dann....?“ „Dann tat er so, als ob er den Krug ausschüttet und die Sykomore goss. Erinnere dich, diese Bäume müssen alle mit Wasser, das von dem Brunnen im Dorf geholt wird, gegossen werden. Sie haben sicher auch Wasserkrüge in die Küche gebracht, die dann leer wieder zurück zum Dorf getragen werden, um erneut gefüllt zu werden. „Das war kein Anfänger.“ „Nicht, was Schlangen betrifft. Und ich habe einen Verdacht, dass er einen Auftraggeber hier bei Hofe hat, der ihn mit allen notwendigen Informationen versorgte.“   Rahotep kam langsam heran. „Meruka.“ Der drehte sich etwas zu abrupt um, alarmiert durch den Tonfall. „Menka?“ „Ja, es sieht schlecht aus. Anchchepri und Ramose versuchen es mit Weihrauch und Gebeten, und flössen ihm Zwiebelbier ein, aber er ist eben doch noch ein Kind. Ramose sucht jetzt nach Schlangenholz, das in aller Regel sehr gut wirkt. - Akenptah gab ich ein Schlafmittel. Wenn er aufwacht, wird er vielleicht wieder besser bei sich sein. Er ist sehr empfindlich in seinen Gefühlen. Aber wenn es hier jemand mit Mord versucht hat – das könnte auch ein Attentat eigentlich auf Akenptah gewesen sein. Dass er schwach ist, und gefühlsmäßig durcheinander, könnte nicht nur in seinem Haus bekannt sein.“ „Ja,“ gab sein Vorgesetzter zu. „Theoretisch wäre das möglich. Ich gehe jedoch davon aus, dass eben das Gespräch unseres Unbekannten mit dem Schlangenbändiger Sennefer auffiel, also vor der Überschwemmung. Und erst, als Menhekat darum bat, wurde Akenptah in sein Zimmer eingeteilt. Die Schlange war weit vorher beauftragt. Von jemandem, der wusste, dass Menhekat und vielleicht sogar Menka dieses Zimmer bekommen sollen. Das plante der Leiter der Sitzordnung und seine Mitarbeiter sicher seit Wochen. Kaum ein Problem für einen anderen hohen Beamten aus dem Umfeld des tjati in einem harmlosen Gespräch das herauszubekommen.“ „Thothhotep ist natürlich der Hauptverdächtige, nach der Szene gestern Abend,“ gab Rahotep zu. „Aber er scheint Akenptah zu lieben. Hätte er da nicht seinen Attentäter zurückgerufen?“ „Wie? Er hatte Pflichten, wir aßen alle zusammen, und der Schlangenbändiger war gewiss im Dorf, oder sogar drüben am Tempel, um unsichtbar zu bleiben. Er konnte nicht in den Palast, ehe der Zug hier war, und er konnte nicht in den Hof, nachdem die Tore verschlossen wurden. Im Morgengrauen war die einzige Möglichkeit. Und darum vermute ich auch, dass sich die Schlange in einem Krug befand, vielleicht unter einem Deckel.“ „Wenn der Schlangenbändiger schlau ist, ist er bereits auf dem Weg nach Ibenu-hedj und auf dem Heimweg in sein Dorf.“ Ptahnacht seufzte. „Er wäre der Einzige, der deine Theorie bestätigen kann. Man müsste alle Schiffe nach Norden auf Passagiere überprüfen. Das wird mühsam. Und er wird sich vorgesehen haben. Das war Mord oder zumindest Mordversuch.“ Rahotep schüttelte den Kopf. „Das muss der Schlangenbändiger nicht wissen. Angenommen, der Beamte erzählt ihm, dass er gern einen, wenn auch schlechten, Scherz machen will, eine Schlange in ein leeres Zimmer zu werfen … Zum Beispiel, weil der den Palastvorsteher nicht ausstehen kann und dieser so Ärger bekommt? Schlangen als Symbol alles Bösen in der Nähe des lebenden Gottes bedeuten Ärger. Oder der Beamte das sogar selbst annahm, ich meine, dass der Raum leer wäre? Letztes Jahr schlief Menhekat noch oben, mit ihm, bei seinem Vater und Hekaptah, das sagte mir Akenptah. Er warf sich vor, dass er auf Menhekat gehört hat und nicht oben schlief, dass er Thothhotep albern fand. Man kann wahrlich Mitleid mit ihm haben.“ Meruka sah ihn an. „Ahja, noch jemand, der ihn nett findet?“ „Ich kann die Menschen verstehen, die ihn nett finden. Er wirkt wie ein kleiner Hund, wenn du verstehst, was ich meine. Schutzbedürftig.“ Rahotep überdachte seine Worte sorgfältig. „Aber, das muss nichts heißen. Ich habe schon Leute kennen gelernt, die mit dieser Art immer ihren Willen durchsetzen. Das sind allerdings meistens Frauen gewesen. Eine davon hätte ich fast geheiratet, ehe ich … nun ja, die Richtige traf.“ Da diese leider noch vor der Hochzeit verstorben war, suchte der Vorgesetzte abzulenken. „Die Beamten um Sobeknacht, die mit auf dem Schiff waren, sind sein oberster privater Schreiber Selketschepses, der zweite Mann seines Büros, Meribast, sein Sohn und sein Hausvorsteher Thothhotep. Jeder von denen, wenn er sich nur ein wenig Mühe gibt, bekommt heraus, wer welches Zimmer benutzt. Deswegen lag mir dieses Fest so im Magen. Die Abläufe sind seit den Tagen der Götter stets gleich, nur Kleinigkeiten ändern sich. Ein Jahr im Voraus kann man planen. Ja, alle sagen sie haben Mitleid mit Akenptah und schätzen ihn und Thothhotep beweist das ja dauernd, aber wer weiß. Umgedreht – vielleicht wusste der Planer nur von Menka und Menhekat. Mit dem Tod auch nur eines der letzten beiden Königssöhne rückt Akenptah, aber natürlich auch Sennefer, mein Neffe, näher an die Nachfolge. Und Padiselket, sein Vater, ist auch hier. Der Siegler hat ihn eingeladen, schließlich ist er sein Schwiegersohn. - Meritbast. Ich bin ein Narr.“ „Würde es dir viel ausmachen, uns an deinen Gedanken teilnahmen zu lassen?“ fragte Rahotep sofort. „Padiselket ist mit Meresanch verheiratet, der Tochter des Sieglers, damit der Tochter eines Königssohnes. Sein ältester Sohn, Sennefer, ist acht und geht jetzt zur Palastschule. Er ist in der Thronfolge ziemlich weit hinten. Überdies ist Padiselket der Leiter des Gazellengaus und reist zwischen diesem und dem Palast hin und her. Ich unterhielt mich vorher mit ihm, er hat noch zwei Töchter, die beide mit Merit heißen und dem Namen einer Göttin.“ „Das ist doch oft so,“ warf Rahotep ein. „Richtig. Aber seine Jüngste ist Meritbast. Und Meribast, der zweite Mann aus dem Büro des tjati, der mit an Bord auf dieser Reise in den Norden war, und oft genug Anchnefer vertritt,ist sein Vater.“ „Hm. Großvater eines Thronanwärters?“ Rahotep dachte nach. „Das könnte heißen, dass Meribast unser gesuchter Auftraggeber für den Schlangenbändiger ist, oder dass er Informationen weitergegeben hat ..“ „Nein, Padiselket war auf dieser Reise nicht dabei.“ Meruka dachte nach. „Meribast als Auftraggeber ... Nun, er würde das Drama um die Familie des tjati nur zu gut kennen, er wäre als Zweiter Vorsteher der Staatsverwaltung glaubwürdig für jede Sandläufer oder Schlangenbändiger. Motiv: seinen Enkel an die Spitze zu bringen und selbst tjati zu werden? - Das ist alles zu vage. In jedem Fall: gleich ob Menka in den Westen eingeht oder nicht: es war eindeutig ein Attentat. Mit unbekanntem Ziel und unbekanntem Auftraggeber.“ „Das kannst du so kaum dem lebenden Gott berichten – zumindest nicht, ohne dass du ihm sagst, dass die Sicherheitsvorkehrungen im Palast verschärft wurden, gerade auch für Menhekat.“ Der Arzt seufzte etwas. „Ich gehe zu meinen Kollegen, um bei Menka zu helfen. Das Schlangenholz muss fein gemahlen werden und in süßlicher Flüssigkeit aufgelöst werden, das der Junge hoffentlich trinken kann. Zur Sicherheit werden die Blätter des Schlangenstocks in Behenöl zermahlen, damit der Körper eingerieben, um das Herz zu befreien. Das ist die beste Kur, hunderte Mal erprobt. Aber aufwendig.“ „Ja, geh nur,“ erwiderte Meruka sofort. „Ich gehe dann mal auch,“ schlug Ptahnacht vor. Und da er den überraschten Blick seines Vorgesetzten bemerkte: „Ich dachte, ich solle zurück nach Ibenu-hedj, zu Anchnefer, um die Verfolgung dieses Schlangenbändigers einzuleiten.“ „Das dürfte keinen Sinn haben. Der unbekannte Auftraggeber bemerkte, dass Sennefer ihn gesehen hatte, etwas gehört hatte – und zog sofort Konsequenzen. Glaubst du wirklich, dass er den Zeugen eines Mordanschlags laufen lässt, wenn er ein Jahr Zeit zum Nachdenken hatte? Die Wüste lässt ebenso Tote verschwinden wie der Fluss. Es mag sein, dass er sogar hier im Umfeld des Palastes verscharrt ist. Wir werden keine Aussage bekommen. Aber der unbekannte Beamte muss, als alle neugierig oder pflichtbewusst in die Halle liefen, den Schlangenbändiger getroffen haben. Frage doch deine Kollegen, wer von den ranghöchsten Beamten, die an dieser Nordreise teilnahmen, zu diesem Moment nicht in der Halle war, sondern sich mit einem Diener oder Bauern unterhielt, mit Sicherheit draußen. - Sobeknacht und Hekaptah kann ich bestätigen, sie standen direkt vor mir in der Halle, die drei Ärzte auch, Nebhotep wohl auch.“ „Bleiben also unser alter Freund Thothhotep, Meribast und Padiselket, sein Schwiegersohn.“ „Und Selketschepses, der Leiter der privaten Schreiber. Ja. Frage nach diesen, ich werde es auch tun, aber bitte überaus dezent und unauffällig.“   Kapitel 20: Menka ----------------- Meruka sah sich noch einmal in dem Hof um. Leider bewies der nur zu deutlich, dass dieser Palast nur für drei Tage im Jahr bewohnt werden sollte. Nur überaus wenige Bäume boten Schatten. Selbst der Sommerpalast an der Pyramidenbaustelle verfügte über Wasserbecken, weinbewachsene Kioske und blumenumsäumte Ruheplätze – aber der lag ja auch nicht oben auf dem Wüstenplateau sondern am Rand des fruchtbaren Landes. Er bemerkte einen älteren Mann, der sich, auf seinen Stock gestützt, ihm wohl nicht zu nähern wagte. Eine schmale goldene Kette mit einem Amulett daran bewies, dass es sich vermutlich um den Dorfvorsteher handelte. Natürlich war dieser in Sorge um seine Mitbewohner. Falls ihnen Nachlässigkeit unterstellt werden würde, drohten ihnen mindestens kollektiv Schläge, wenn nicht eine Versetzung als Leibeigene in irgendeine Domäne. So ging Meruka auf ihn zu. „Du bist der Dorfvorsteher,“ stellte er sachlich fest. „Ja, edler Herr, oder sagt man Sonderermittler? Mein Name ist Minnacht. Darf ich fragen, wie ich dir behilflich sein kann? Die Frauen würden gern mit dem Backen der Brote anfangen, das Ragout für das Abendessen müsste eingelegt werden, sagte der Koch des Königs ...“ „Sage mit doch zunächst, wie der Palast aussieht, wenn der mächtige Horus, er lebe, sei heil und gesund, nicht hier weilt. Sind die Tore offen?“ „Oh nein. Schon, um den Sand abzuhalten, werden sie geschlossen. Das Außentor hat zwar nur innen einen Riegel, aber dort hinten befindet sich eine kleine Tür, die man von außen öffnen kann. Wenn allerdings, wie jetzt, der mächtige Horus hier weilt, wird auch sie von ihnen mit einem Riegel versperrt. Überdies – ja, sieh nur, da steht ein Wächter. Dort gehen wir hinein und öffnen erst später das große Tor. Auch das Holztor am Palast selbst ist geschlossen. Wir Männer schaufeln dann den Sand in die Wüste, der trotz allem immer selbst in das Gebäude kommt, dann fegen die Frauen und putzen die Fliesen und Wände. Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine Schlange dort hineingekommen ist und wir sie überdies alle übersehen hätten.“ Minnacht atmete etwas durch, da der Sonderermittler nicht widersprach. Er hatte gehört, dass dieser vom Herrn der beiden Länder die Erlaubnis bekommen hatte alle Personen in ganz kemet zu befragen, ja, befragen zu müssen. Wer sich diesem Mann widersetzte, zog damit gewiss nicht nur dessen Zorn, sondern auch und gerade den des Lebenden Gottes auf sich. In der Einsicht, dass der Dorfvorsteher seine Leute kannte, meinte Meruka: „Lass die Frauen an die Arbeit gehen, aber frage sie, ob sie seit gestern Abend im Dorf oder auch hier einen Fremden gesehen haben.“ Der Dorfvorsteher beschloss ehrlich zu bleiben und doch seine Nachbarn zu schützen. „Hier, nun, hier sehen wir viele Fremde. Wir kennen die Dienstboten des Palastes ja nur von einmal im Jahr und da kommen meist nicht die gleichen. Die Beamten kennen wir kaum.“ Meruka präzisierte. „Frage die Frauen, ob sie im Dorf wen sahen. Und hier, ob ein Beamter am frühen Morgen, noch vor dem Aufstehen, im Hof war.“ „Wie du willst. Soll ich die Männer auch fragen?“ „Ja. Müssen sie dann in das Dorf?“ „Ja. Das Wasser muss erneut geholt werden.“ Es würde Stunden benötigen, das Wasser für alle Menschen und die Pflanzen zu beschaffen. „So sollen alle ihre Arbeit tun, sobald sie dir diese Frage beantwortet haben.“ „Danke.“ Minnacht nahm sich vor jeden einzelnen wirklich zu befragen. Anscheinend suchte der Sonderermittler einen Fremden – das konnte nur gut für die gesamte kleine Gemeinschaft sein.   Meruka war erst einmal froh diese lästigen kleinen Verhöre, bei denen so gut wie nie etwas herauskam, abgegeben zu haben. Der Dorfvorsteher würde gründlich sein. Wenn wider Erwarten doch jemand aufgefallen war, müsste es sich, so seine Theorie stimmte, um den Schlangenbändiger handeln. Und der sollte, damit wollte er die Aussage überprüfen, einen Krug getragen haben. Jetzt sollte er zur Sicherheit noch einmal den möglichen Weg abgehen, falls die Schlange doch zum Tor hineingelangt wäre. Unbemerkt von den Dörflern, verborgen in … ja, in einer leeren Ecke, denn das Mobiliar wurde ja auch erst aufgebaut. Danach war Anchhepri mit Weihrauch und Myrrhe in jedem Zimmer gewesen und hatte es rituell gereinigt, die Wachen hatten durchgesehen – sehr unwahrscheinlich, dass da ein Kriechtier, vor dem sich noch dazu alle fürchteten, unbemerkt geblieben wäre, aber natürlich nicht unmöglich. Dennoch: diejenigen, die die drei Lager in dem Zimmer der Königssöhne aufgeschlagen hatten, hätten die Schlange ebenso übersehen müssen, wie diejenigen, die später die Krüge mit frischem Wasser hinstellten. Er schritt die Halle entlang, aufmerksam die Blicke auf dem Boden hin- und herschweifen lassend. Es bestand natürlich die entfernte Chance, dass sich eine Schlange hier in den Palast verirrt hatte – nachdem die Türen geöffnet waren und überall Menschen eifrig putzten? Eher nein. Nachdem die Menschen verschwunden waren? Da waren die Tore bereits wieder geschlossen. Sie wurden erst geöffnet als der Zug des Herrn der beiden Länder samt Wachen und Gefolge eintraf. Danach war ein zufälliges Hineinwinden ebenfalls unmöglich. Nein. So oft er nachdachte – er blieb bei einem Attentat. Leider verbesserte das seine eigene Situation kaum, denn er musste eine, einen Gott zufriedenstellende, Lösung finden.   Er wandte sich an die Wachen, die vor dem Zimmer der Königssöhne standen. „Sind alle drei Ärzte noch bei Menka?“ Einer nickte nur. Das sah nicht gut aus, wirklich nicht. Und es würde den mächtigen Horus nicht freuen erneut einen seiner Söhne zu verlieren. Sechs hatte ihm allein die maat-hor geboren, davon waren bereits fünf verstorben. Auch die Söhne anderer Frauen weilten längst in den Schilffeldern des Westens. Immer die Jungen. Die Mädchen hatten der Seuche erstaunlich gut widerstanden. Sieben oder sechs, da musste er Merit fragen, Königstöchter des jetzigen Herrn der beiden Länder lebten im ipet. Dazu zwei Schwestern. Zufall, oder hatte da jemand seit Jahren nachgeholfen? Auch die Schlange jetzt wäre als Fügung des Schicksals, Unglück, verstanden worden, ja, wäre da nicht die Sache mit Sennefer oder eher sogar mit Menmire gewesen. Nur die Tatsache, dass einer der höchsten Beamten seinen Vermögensverwalter als vermisst gemeldet hatte und sich selbst an den tjati gewandt hatte, hatte alles ins Rollen gebracht. Ah, er drehte sich mit seinen Gedanken im Kreis. Wo war nur seine nüchterne Denkfähigkeit hin? Er sollte auf Ptahnachts Bericht warten, auf den des Dorfvorstehers und … Er brach ab, denn Rahotep kam ihm aus dem Zimmer der Königssöhne entgegen. „Königlicher Schreiber?“ fragte der. „Kann ich kurz mit dir reden?“ Er wollte also nicht, dass die Wachen zuhörten, die hier stumm neben der Tür standen, aber auch die wie rein zufällig herum schlendernden Dienstboten. So nickte Meruka: „Komm.“ Sie gingen in den Hof, wo der Sonderermittler den Weg zu den wenigen Bäumen im Hintergrund einschlug. Über den Platz würde man jeden sehen, der kam. „Wie geht es Menka?“ erkundigte er sich erst dort. „Ramose meint, er könne es schaffen. Er ist ein Kind, aber gesund. Was ich dich fragen soll und will – du glaubst an ein Attentat.“ „Ja. Ich bin gerade noch einmal die Halle durchgegangen, habe mir auch von dem Dorfvorsteher die Arbeiten schildern lassen – es wäre mehr als unwahrscheinlicher Zufall, wenn eine Schlange hier unentdeckt bliebe. Aber er soll momentan fragen, ob jemand einen Fremden gesehen hat. Natürlich kennen die Dörfler nicht die Dienstboten des Palastes, aber womöglich fiel jemand zu einer ungewohnten Zeit auf. Ptahnacht soll auch seine Kollegen fragen, ob und welcher Beamte zu früh hier im Hof war. - Ramose, der Vorsteher der Ärzte, fürchtet eine Wiederholung?“ „Ja.“ „Das glaube ich nicht. Diese Sache mit dem Schlangenbändiger war von langer Hand vorbereitet. Und es zielte, meines Erachtens, auch nicht auf Menka, oder gar Akenptah, der ja erst vor wenigen Wochen, wenn nicht Tagen, auf Bitte Menhekats in dieses Zimmer geschickt wurde, sondern eben auf Menhekat. Der Mann im Hintergrund hat diesen, seinen wichtigsten, Pfeil vergeblich aus dem Köcher genommen. Er konnte, als er den Schlangenbändiger beauftragte, und Sennefer dies mitbekam, nicht wissen, dass Menka zum ersten Mal mit bei diesem Fest ist, oder auch Akenptah und Menhekat sich so anfreunden würden. Dennoch – wir sollten sicher gehen. Und womöglich auch eine Falle stellen, um den Ältesten Königssohn zu schützen. Warte einen Moment.“ Rahotep nickte nur. Er wusste, dass sein Vorgesetzter nachdachte, wandte sich aber um, da er aus den Augenwinkeln eine Bewegung erhaschte. Zu seiner gewissen Erleichterung kam dort sein Kollege Ptahnacht. Dieser würde nicht nach Meruka suchen, hätte er keine Meldung. So sagte der Arzt: „Menka wird wohl überleben, Bruder. Ich hoffe, du hast auch gute Neuigkeiten?“ „Wie man es nimmt.“ Der Krieger sah zu seinem Vorgesetzten. „Einige der hohen Beamten waren in der Frühe bereits im Hof. Manche können oder wollen eben nicht warten, bis die Toiletten frei sind. Aber von unseren Verdächtigen waren es zwei: Thothhotep und Meribast.“ „Immerhin.“ Meruka holte Atem. „Nun gut. - Rahotep, wird Ramose meinem Vorschlag folgen?“ „Wenn er seinen Patienten nicht gefährdet, ja. Jeder sah doch, dass dich der Horus höchstselbst beauftragt hat.“ Außerdem Meruka damit dem König, dem Gott, wohl vertraut war. Und dass sich dieser nicht irrte, stand fest. „Gut. - Ptahnacht dazu benötige ich auch dich. Ihr bringt Menka hinunter nach Ibenu-hedj, in mein eigenes Haus. Tragt ihn möglichst verdeckt, aber so, dass man sieht, dass er keine Sandalen trägt.“ „Nur Lebende tragen Sandalen,“ murmelte Ptahnacht sofort. „Du willst, dass alle glauben, dass er gestorben ist.“ „Ja, erst einmal. Ich werde meiner Mutter einen Brief schreiben, dass sie Menkas Mutter, Ka-Merit und Merit, aus dem ipet holt und ihnen das sagt. Diese drei sollen sich um den Jungen kümmern, Ptahnacht, du wirst die Wache übernehmen, auch du, Rahotep. Ich werde selbst dem Herrn der beiden Länder Bericht erstatten. - Damit will ich zwei Dinge erreichen. Erstens, Menka gilt als tot, eine Wiederholung des Attentats wird erst einmal nicht erfolgen, zweitens, das Ziel war Menhekat. Wenn man aus den bisherigen Plänen des Unbekannten etwas folgern kann, dann, dass er sich nicht lange über vergeblichen Plänen aufhält. Sein Plan Sennefer wohl als Dieb darzustellen schlug fehl, aber bereits Tage später, in Iunu, wusste er genau, wie er vorgehen musste, dass die neue Falle in Ibenu-hedj auch wirklich zuschnappt. Er ist ein sehr intelligenter Mann, aber neigt wohl auch nicht gerade zum Abwarten. Ich werde selbst Menhekat dauernd begleiten, sobald wir zurück in den Palast kommen.“ Der Arzt wiegte den Kopf. „Wie lange willst du Menka verstecken? Spätestens, wenn er nicht in den Häusern der Reinigung ist oder gar bestattet wird, wird doch jemand misstrauisch werden.“ „Ja. Deswegen haben wir maximal vier Wochen, und das auch nur, wenn der lebende Horus dem zustimmt.“ Meruka atmete durch. „Ich bin sicher, der Unbekannte, ob Thothhotep, Meribast oder jemand, an den im Moment niemand denkt, obwohl er hier ist, hat bereits einen zweiten Plan in Vorbereitung. Einen zweiten Pfeil im Köcher. Und ich werde alles tun, dass der erneut Menhekat verfehlt. Und auch Menka. - Ich werde einen Diener an meine Mutter schicken, muss aber zuerst noch den Brief schreiben. Informiere inzwischen deine Kollegen, Rahotep. Es soll so aussehen, als ob alles von den Ärzten ausgeht.“   Die Frauen des ipet standen, ebenso wie praktisch die gesamte Bevölkerung der Residenzstadt mit Zwiebeln um Hals und Kopf geschmückt vor den Mauern und erwarteten den Prozessionszug. Schon länger konnten sie die Barke des Sokar sehen, die auf einem Schlitten von hohen Beamten gezogen wurde, dahinter die Sänfte des lebenden Horus. Sie ließen die Sistren, die sie in der Hand hielten, leise rascheln. Vom gewöhnlichen Volk trennten sie Wachen, die aufmerksam darauf schauten, wer welche Position einnehmen durfte. Langsam konnte man die Ziehenden erkennen und Ka-Merit holte tief Atem. „Er ist nicht dabei! Menka!“ Sie erstarrte. Merit, die wie stets bei höfischen Terminen neben ihr war, warnte leise: „Mache weiter, oder willst du die Götter erzürnen?“ Als Ka-Merit erneut das Sistrum schwang, fuhr sie hastig beruhigend fort: „Ich sehe auch Akenptah, den Sohn des tjati, nicht, womöglich gibt es Zeremonien im Tempel von Ra-Sentauj.“ Aber sie suchte in der Menge der Beamten hinter der Sänfte des Herrn der beiden Länder Meruka. Doch sie konnte weder den entdecken noch einen ihrer anderen Kollegen. Etwas wie eine eisige Hand umklammerte ihren Magen. Das war kein Zufall, konnte keiner sein. Zwar zog der Älteste Königssohn mit neben dem tjati, aber wo steckten ihre Kollegen, wo der kleine Menka und Akenptah? Was war oben in der Wüste geschehen? Als sich die Frauen des Hofes in die Prozession einreihten, suchte Merit erneut, diesmal nach Nefer. Aber in der Menge der gewöhnlichen Einwohner konnte sie sie kaum entdecken, beruhigte sie sich, als sie auch sie nicht sah. Akrobaten und Tänzerinnen wirbelten durch die singende und jubelnde Masse. Wann, wenn nicht bei dem Barkenfest, sah man, dass Ibenu-hedj die größte Stadt in ganz kemet war.   Stunden später, die Prozession war wieder in Richtung auf die Wüste abgezogen und die Feierlichkeiten in der ganzen Stadt waren in Essen und Trinken umgewandelt worden, die Bewohner sangen, erzählten Geschichten und freuten sich an den großzügigen Spenden des Herrn der beiden Länder, fand im ipet eine förmliche Verschwörung statt. Da Meruka unverzüglich nach Ende der Prozession die wenigen Minuten ausgenutzt hatte, die der Herr der beiden Länder zwischen dem Umzug und den weiteren Riten im Tempel des Sokar hatte, war inzwischen auch ein Brief des lebenden Horus an die maat-hor eingetroffen, ebenso einer an Merit und einer zum Vorlesen an die Königsgemahlin Ka-Merit, die verständlicherweise nicht sonderlich beglückt war, dass ein Attentat auf ihren einzigen Sohn stattgefunden hatte – und, dass er als tot gelten sollte. Aber es war der Befehl des lebenden Gottes. Die drei Frauen saßen im Schlafzimmer der maat-hor beisammen. Ihnen war angekündigt worden, dass Baketbast, Merukas Mutter und Ehefrau des Sieglers Hekaptah, sie abholen und ihnen alles erklären würde. Als eine der wenigen Frauen trug sie den hohen Hofrang einer „Königsbekannten“. Um Menka zu schützen sollte alles möglichst unauffällig passieren, leichter gesagt als getan in einem Haus, in dem hauptsächlich Frauen arbeiteten. Nun, nicht, dass die Männer weniger neugierig gewesen wären, aber diese waren entweder noch in Ra-Sentauj beim Tempel des Sokar oder oft schon draußen auf den Straßen der Stadt und feierten. Die maat-hor hatte jetzt möglichst vielen Frauen freigegeben, damit sie die Akrobaten und Tänzer ansehen konnten, aber natürlich blieben die Mitglieder der königlichen Familie drinnen. Es ziemte sich nicht, sich unter gewöhnliche Sterbliche zu mischen. Merit sah ein wenig neugierig die Frau um die Vierzig an, die sich höflich vor der maat-hor verneigte. Natürlich hatte sie Baketbast bereits gesehen, als Frau des Königsbruders und königlichem Sieglers war sie bei vielen Anlässen dabei, aber ebenso hatte sie hinter der „Bekannten des Königs“ nie die Mutter ihres neuen Vorgesetzten entdecken können und so suchte sie unwillkürlich nach Ähnlichkeiten. „Baketbast,“ sagte die maat-hor, hörbar erfreut. „Du bringst die Antworten, auf die wir warten?“ „Ich weiß nicht, was du bereits … was ihr bereits wisst,“ erwiderte die Dame höflich. Sie trug die gewöhnliche höfische Kleidung, aber der breite Schmuckkragen verriet ebenso wie die sieben Armreifen, dass sie nicht nur Zugang zu den neuesten Moden, sondern auch zu den Hofjuwelieren hatte. „Ich soll Ka-Merit und Merit abholen und in das Haus meines Sohnes bringen.“ „Wie geht es Menka?“ erkundigte sich die besorgte Mutter sofort, ohne die höfische Rangordnung zu beachten. Die maat-hor winkt auch nur und so antwortete Baketbast: „Es geht ihm nach dem Schreiben gut, er wird überleben, aber ein Arzt des Palastes wird stets um ihn sein um Komplikationen vorzubeugen. Um das auch zu vermeiden werden Wachen im Haus sein – und natürlich wir drei.“ „Der lebende Gott sprach,er werde leben, solle aber als tot gelten,“ formulierte die maat-hor behutsam. „Das ist natürlich besorgniserregend. Es gab wohl ...Schwierigkeiten.“ „Es gab ein Attentat.“ Baketbast, die die maat-hor seit Kindertagen kannte, zusammen mit der Königstochter im Palast als Tochter eines hohen Beamten aufgewachsen war, nahm kein Blatt vor den Mund, beobachtete allerdings die anderen beiden Frauen. Ka-Merit erschrak, wie sie es vermutet hatte, Meresanch, nein, Merit, wollte sie ja genannt werden, nickte jedoch nur. Meruka hatte in seinem Brief erwähnt sie könne ihr vertrauen. Nun ja, das war die Schreiberin der verstorbenen Königinmutter gewesen und sie selbst kannte das Mädchen als höflich und diskret.Sie schien auch nicht von der Tatsache überrascht. „Niemand weiß jedoch im Augenblick ob es Menka treffen sollte oder Menhekat. Darum Vorsicht nach allen Seiten. Ich bin sicher, die scharfen Augen des Horus werden bald den Übeltäter entlarvt haben und alles wieder seine Korrektheit haben.“ Ja, das war richtig gewesen, denn Ka-Merit atmete auf. „Das ist wahr.“ Die maat-hor verriet durch nichts, dass sie wusste, dass der Sohn ihrer alten Bekannten und Merit zu eben den Augen und Ohren des Falken gehörten. Das ging Ka-Merit nichts an - und sie hatte überdies wenig Vertrauen in deren Diskretion oder Selbstbeherrschung, wenn es um ihren Sohn ging. Man merkte eben doch, wer bei Hofe erzogen worden war, und wer aus der Provinz stammte. „Wie lautet deine Anweisung?“ „Ka-Merit, Merit und ich werden uns in Sänften zum Haus meines Sohnes begeben. Dort sollte inzwischen auch Menka eingetroffen sein, in Begleitung eines Arztes und anderer Personen. Wir bleiben bei ihm, bis wir andere Anweisungen erhalten.“ Und hoffentlich würde Meruka nicht versagen. Er war fähig, wer wüsste das besser als seine, durchaus auf ihn stolze, Mutter, aber ein Sonderauftrag des Königs konnte sowohl mit Reichtümern belohnt als auch mit dem Nichts im Dies- und Jenseits bestraft werden. „Dann dürfen wir gleich aufbrechen?“ Ka-Merit hätte fast bittend die Hände gehoben, aber ohne Erlaubnis der maat-hor durfte sie den ipet nicht verlassen. „Ja, natürlich,“ nickte die Königsgemahlin. Es war der Befehl des Herrn der beiden Länder. Überdies wusste sie nur zu gut, wie es sich anfühlte Angst um Kinder zu haben. Zu viele hatte sie verloren.   Meruka ging langsam über den Hof. Drüben im Tempel fanden die nächsten Zeremonien statt, aber einige der Beamten waren nun hier, da sie nicht in den Hof des Tempels zugelassen waren. Seine Hauptverdächtigen, Meribast und Thothhotep waren hier. Er wollte jetzt doch einmal bei dem Dorfvorsteher nachfragen, der sich seit heute Morgen nicht bei ihm gemeldet hatte. Den Grund erkannte er allerdings, als dieser auf ihn zukam, offenkundig auf einem nun leeren Stab Wasserkrüge geholt habend. So meinte er nur höflich: „Ah, Minnacht. Etwas herausgefunden?“ „Ja, Herr.“ Der Dorfvorsteher stützte sich ein wenig matt auf den langen Stab, den man über den Nacken legte um die Krüge gleichmäßig tragen zu können. „Eine Nachbarin sah heute morgen am Brunnen einen Fremden. Aber er holte nur Wasser.“ Stimmte das? Das konnte auch gelogen sein, denn natürlich waren die Dörfler daran interessiert eine möglich Strafe von ihrer Gemeinschaft abzulenken. „Tun das viele der königlichen Diener?“ „Niemand. Und es war noch vor Sonnenaufgang. - Ich sagte ihr, dass du sie sprechen willst. Sie ist schon dort, vor der Küche, und bäckt Fladenbrote.“ Ein kleiner Hinweis darauf, dass auch der vornehme Herr sie nicht zu lange aufhalten sollte. Die Zeremonien im Tempel würden die gesamte Nacht andauern, aber die Beamten, die hier waren, wollten auch etwas zu essen haben.   Kapitel 21: Weiterungen ----------------------- Meruka folgte Minnacht, dem Dorfvorsteher, vor das abseits des Palastes, aber noch im ummauerten Hof gelegene, Küchenhaus. Vor einem von unten befeuerten Lehmofen, der flach wie eine Platte war, knieten drei Frauen, die in tönernen Schüsseln vor sich Teig zubereiteten, den sie abwechselnd rasch auf die Platte warfen, drehten und das fertige Fladenbrot beiseite in einen Korb legten. Eine der Frauen sah unwillkürlich auf, wagte jedoch sichtlich nicht ihre Arbeit zu unterbrechen. So meinte der Dorfvorsteher beruhigend: „Der Sonderermittler des Horus möchte deine Aussage nur noch einmal hören.“ „Arbeite nur weiter,“ ergänzte Meruka, dem klar war, dass sie ihre Pflicht tun musste, wollte sie keinen Ärger bekommen. „Minnacht sagte, du hast einen fremden Mann gesehen? Warum fiel er dir auf?“ „Nun ja,“ murmelte die Frau in den Teig sehend, den sie knetete. „Ich weiß nicht, ob du weißt, Herr, wie es ist. Wenn der göttliche Horus und der Hof hier sind, arbeiten wir, die Männer und Frauen, fast rund um die Uhr. So stehen wir Frauen schon vor Sonnenaufgang auf, um für die Kinder und die Alten Brote zu backen und so weiter. Deswegen war ich schon, es war fast noch dunkel, am Brunnen. Und da sah ich ihn.“ „Wie sah er denn aus?“ „Ich hielt ihn für einen Diener des Palastes, Herr, keinen Beamten. Er trug keinen Schmuck, wie du oder die anderen.“ Sie wedelte den Teig scheinbar, aber es entstand ein Fladen, den sie ebenso geschickt wie die anderen Frauen auf die Platte warf. „Er war jedenfalls nicht aus unserem Dorf.“ „Sind die Diener denn so früh schon dort?“ „Nein, nie, deswegen wunderte ich mich ja. Aber er hatte einen Krug dabei. Und deswegen fiel er mir auch auf.“ Sie wurde rot, bemerkte aber aus den Augenwinkeln den auffordernden Blick sowohl des hohen Beamten als auch ihres Dorfvorstehers. Nun ja. Es war unangenehm, aber es würde wohl die Aufmerksamkeit auf den Fremden lenken und ab von ihrer kleinen Gemeinschaft. „Er hatte eben nur einen Krug dabei. Ich ...vergib mir, Herr … ich hielt ihn für schrecklich ungeschickt.“ „Ich verstehe.“ Meruka kannte die Dorfbrunnen und vermutete nicht, dass dieser viel anders aussah. Über dem mit Steinen umfassten Rund, schon, um den ewigen Sand abzuhalten, befand sich ein Gestell, an dem Lederbeutel mit Seilen befestigt waren. Über eine Rolle ließ man sie hinunter und holte sie wieder empor, um die Krüge zu füllen. Diese besaßen in der Regel zwei Henkel, durch die ein Seil geführt war. Dann legten die Träger die vollen Krüge rechts und links auf eine Stange, luden sie sich auf Nacken und Schultern und liefen los. Mit nur einem Krug hätte man doppelt so oft gehen müssen. „Er hielt den Krug anders?“ „Ja, Herr. Vor sich.“ „Anstrengend,“ kommentierte der Dorfvorsteher prompt, murmelte hastig dann: „Entschuldige, hoher Herr.“ Es war ziemlich töricht einem Mann vorzugreifen, der sein gesamtes Dorf ins Unglück stürzen konnte. Meruka ignorierte das allerdings, viel mehr an etwas anderem interessiert. „War dieser Krug verschlossen?“ Die Frauen samt Minnacht starrten ihn an, ehe die Zeugin schüchtern sagte: „Das weiß ich nicht, Herr. Es war ja noch recht dunkel. Und die anderen Frauen kamen.“ „Als du dich wieder des Mannes entsannst, war er weg?“ „Ich dachte erst wieder an ihn, als Minnacht so fragte, Herr.“ Natürlich. Sie hatte den Unbekannten für einen einfachen Diener des Palastes gehalten, sich über dessen Ungeschicklichkeit vielleicht amüsiert, das womöglich sogar den anderen Frauen erzählt – aber darüber würden sie lieber schweigen. Und es war nur zu glaubhaft, dass jeder an seine eigene Arbeit dann dachte und sie den Fremden wieder vergaß. Menschliches Erinnerungsvermögen, das hatte er in den letzten Jahren als Sonderermittler nur zu gut gelernt, war recht unzuverlässig. Allerdings, auch das gab er zu, war er nie zuvor vom lebenden Gott selbst beauftragt worden, und damit unter solch einem hohen Erfolgsdruck gestanden. „Eine Frage noch. Hast du gesehen, wie der Fremde seinen Krug füllte?“ Die Frau dachte sichtlich nach, während sie ihren Teig knetete. „Äh, nein, Herr. Er hielt ihn aber irgendwie falsch.“ Ungeschickt, eben – oder, weil sich darin eine Giftschlange befand? Was hatte der Unbekannte dann nur an dem Brunnen verloren? Hatte er … ah, das war möglich. Mochte die Nacht in der Wüste auch kühl sein, sicherer war ein Versteck im kalten Brunnenwasser. So war die Kobra unbeweglich – wachte jedoch während des Transportes im Sonnenaufgang in den Palast wohl doch auf. Aber es war für den erfahrenen Schlangenbändiger ungefährlicher. Umgedreht würde er auch von den Palastwachen durchgelassen, die einen Träger mit Krug im Morgengrauen für einen Diener hielten. Das war schlau durchdacht. „Gut, das war es einmal.“ Er wandte sich ab. Wer hatte Wache am Tor gehalten? Das würde ihm die Bestätigung liefern. Nur, wer konnte ihm über den Dienstplan Auskunft geben? Nebhotep, der zweite Mann der Wachen, den er kannte, war als Wedelträger des Königs sicher drüben im Tempel. Der eigentliche Anführer der Getreuen, Akensachmet, war im Palast zu Ibenu-hedj zurückgeblieben. Ptahnacht, der gewöhnlich derartiges für ihn herausbrachte, war mit den Ärzten und Menka bereits auf dem Weg nach Ibenu-hedj. Es half nichts, er musste da sich wohl selbst durchfragen. Immerhin konnte er sicher sein, dass ihm alle der „Getreuen“ Auskunft geben würden. Seine Mutter und seine Kollegen würden dafür sorgen, dass inzwischen in Ibenu-Hedj Menka in Sicherheit war. Der Junge sollte auch, wenn er sich erholt hatte, in Gegenwart seiner Mutter ruhig in seinem, Merukas, Haus bleiben. Merigeb und Sesheshet, das Dienerehepaar, das das zumeist leere Haus hütete, würden Mutters Anweisungen als die ihrer alten Herrin bedingungslos gehorchen. Also konnte und sollte er hier weiter ermitteln. Morgen früh ging es erst nach einer gewissen Pause – da die Riten im Tempel bis Sonnenaufgang abgehalten wurden – zurück in die Residenz. Abends würde er hoffentlich mit allen seinen Mitarbeitern sprechen können. Und hoffentlich fragte der Herr der beiden Länder nicht bereits nach Ergebnissen. Allzu viel Beweise konnte er ihm nicht anbieten. Gleichgültig, ob Meribast oder Thothhotep oder ein ihnen Gleichrangiger der Anstifter war – es handelte sich um einen alten Freund der Brüder des Königs und gar dessen selbst. Da musste der Beweis handfest sein.   In der feiernden Stadt Ibenu-hedj erregten die drei Damen in Sänften, zumal geleitet von königlichen Wachen, kein Aufsehen. Man nahm an, dass es sich eben um Mutter und Töchter aus einer vornehmen Familie handelte, die privat weiterfeiern würden. Nun ja, dachten die Menschen und gaben den Weg frei, die konnten es sich eben leisten. Für gewöhnliche Sterbliche waren die ausgelassenen Feste, die kostenlosen Darbietungen der Tänzerinnen und Akrobaten eben ihr Vergnügen. Reiche Leute luden sich Künstler auch nach Hause ein. So gelangten Baketbast, Ka-Merit und Merit zu Merukas Haus. Im Vorgarten verneigte sich das eilig heran gelaufene Dienstbotenehepaar, als die Sänften abgestellt wurden. „Herrin, welche Überraschung, das du persönlich kommst“ begrüßten sie Baketbast, die bis zu ihrer zweiten Heirat hier die Hausherrin gewesen war. Momentan gab es keine, sehr zum Bedauern der alten Leute, die gern die Familie ihrer Herrschaft weiter bestehen sehen würden. Aber sie wussten, dass Meruka vertrauliche Dinge für den Herrn der beiden Länder regelte und oft unterwegs war. Merit meinte eilig: „Verzeih, sollten wir nicht …?“ Ihre Handbewegung galt den Trägern und Wachen. „Oh.“ Baketbast wusste in diesem Augenblick, warum Meruka gemeint hatte, sie könne ihr vertrauen, und was gewiss auch die Königinmutter an ihr geschätzt hatte – Aufmerksamkeit und Ruhe. So meinte sie nur: „Ihr könnt gern gehen.“ Sie wartete, bis Merigeb die Tür hinter den königlichen Bediensteten geschlossen hatte, ehe sie sich wieder an Sescheschet wandte. „Ich brauche sämtliche Gästezimmer. Eines davon für hier, Ka-Merit, und ihren kranken Sohn. Ich vermute, er ist bereits eingetroffen?“ „Ja, samt einem Arzt und einem Wächter. Ich gab ihm daher das große Zimmer nach Osten.“ „Sehr gut. Dann eines für Merit, das ist die junge Dame hier. Und ich nehme mein altes. Es wird ja noch immer sauber sein.“ „Ja, natürlich,“ erwiderte Sescheschet fast beleidigt. „Ich besorge nur rasch Matten und Decken. Essen ist natürlich jetzt nicht fertig für so viele Leute, ich rechnete ja erst morgen mit … mit dem Herrn und er wollte im Palast speisen.“ „Ja, natürlich. Mache dir keine Sorgen. - Es sollte jedoch niemand erfahren, dass Mutter und Sohn hier zu Gast sind. Befehl des mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund. Wenn du für uns alle einkaufen gehst, solltest du dir bei Nachfragen etwas ausdenken. Es wird noch eine Anweisung auf die Speicher des Horus für mich kommen, die ich dir geben werde.“ „Wie geht es meinem Sohn? Wo ist er?“ platzte es doch aus Ka-Merit heraus. „Ich denke gut,“ erwiderte die Dienerin. „Er redete mit dem Arzt, als er hereingetragen wurde. Darf ich sie begleiten, Herrin?“ „Wir gehen alle einmal mit.“ Baketbast hatte durchaus Verständnis für die Sorgen einer Mutter. Auch sie hatte zwei Mädchen verloren, in dem gefährlichen Alter zwischen drei und vier, wenn nach dem Abstillen die Gefahren der Welt nicht von Amuletten abgehalten werden konnten.   Ptahnacht richtete sich auf, als er die Damen nahen sah. Er lehnte vor der Tür des Gästezimmers. Sein flüchtiges Lächeln galt Merit, konnte aber auch den anderen Beiden gewidmet sein. „Ihr wollt zu Menka?“ fragte er nur. „Ja, wie geht es meinem Sohn?“ Ka-Merit wäre um ein Haar an der Hausherrin vorbei in das Zimmer gestürmt, aber da der Wächter bereits den Vorhang beiseite schob, nahm sie sich zusammen, zumal sie so erkennen konnte, dass Menka dort lag, einen Arzt neben sich, aber sofort zur Tür blickte. „Mama!“ Sie war unverzüglich neben ihm, ließ sich auf die Knie fallen. „Menka, oh, was ist nur passiert?“ „Eine Schlange hat mich gebissen,“ erklärte der Junge fast stolz. „Aber Rahotep und die anderen Ärzte sagen, ich sei kräftig und werde das bestimmt überleben. Menhekat hat die Schlange erschlagen, stell dir das vor. Er nahm einfach den Wasserkrug und schlug zu. Damit hat er mich wohl gerettet. Hier, da sieht man noch die Scherbenschnitte.“ Er wies seinen Arm vor, der allerdings mit Leinenbinden umwickelt war. So sah Ka-Merit zu dem Arzt. „Es wird alles gut?“ „Ja,“ bestätigte Rahotep. „Es war allerdings eine Kobra mit schwarzem Kopf und so benötigt Menka noch viel Ruhe und keinerlei Aufregung. Ich werde, so lautet mein Befehl, mich um ihn kümmern, bis er sicher ist.“ Um die sichtlich besorgte Mutter zu beruhigen fügte er hinzu: „Und es entspricht den Tatsachen, dass die schnelle Reaktion des Ältesten Königssohnes Menka gerettet hat. Die Kobra konnte ihr Gift wohl nicht ganz ausgeben. Überdies ist Menka ein kräftiger Junge. Wir werden hoffentlich keine Rückfälle erhalten, wenn er sich hier noch einige Tage entspannen kann. In die Schreiberschule und zu den anderen Lehrstunden gehen wird ihm eben erst später wieder möglich sein.“ „Ja, natürlich.“ Ka-Merit war nur zu froh, dass ihr Einziger diese Sache vermutlich überleben würde. Baketbast besann sich inzwischen auf ihre Pflichten. „Hast du schon etwas zu trinken und zu essen erhalten, Arzt des Horus?“ Der Angesprochene neigte den Kopf. „Ja, danke. Mein Name ist Rahotep. Sescheschet war so freundlich. Schlafen werde ich allerdings einstweilen hier bei meinem Patienten.“ „Ja, natürlich. - Menka, der Befehl der mächtigen Horus, er lebe sei heil und gesund, lautet, dass deine Mutter und ich und Merit uns um dich zusätzlich kümmern.“ Der Junge sah zu den ihm durchaus bekannten Frauen, dann zu seiner Mutter und seufzte. Gegen diesen Befehl gab es keinen Widerstand, aber das bedeutete wohl, dass er einstweilen nur Märchen erzählt bekommen würde, nicht jedoch mit seinen Freunden Schwimmen gehen oder Krieger spielen durfte. Kurz, es würde langweilig werden. Aber, was half es. „Ja, natürlich,“ erwiderte er nur wohlerzogen. Baketbast lächelte. Sie hatte schließlich selbst einen Jungen. „Ich werde zusehen, dass wir alle bald etwas zu essen bekommen. Dann speisen wir hier bei dir und du erzählst uns von der Schlange und deinem Abenteuer. Danach, nun, wie wäre es mit Märchen? Ich meine mich zu erinnern, Merit, dass du einige kennst.“ „Ja, danke,“ antwortete Merit höfisch ausgebildet und suchte den Blick ihres Kollegen, ehe sie zu dem kleinen Patienten fortfuhr: „Morgen darfst du bestimmt auch schon baden oder duschen. Und wir könnten Senet oder das Schlangenspiel spielen. Nur Herumlaufen ist wohl nicht erlaubt.“ Ka-Merit blickte ebenfalls zu dem Arzt des Königs, ehe sie doch etwas tadelnder als gewöhnlich zu ihrem Sohn sagte: „Und du wirst brav sein, Menka. Dies ist kein Spiel, sonst hätte der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, dies sicher nicht so angeordnet. Du wirst dem Arzt gehorchen.“ „Ja.“ Der Junge erkannte langsam, dass es wohl nicht so schlimm werden würde – essen, trinken, Märchen und Spiele, dafür keine Schriftübungen, kein Lernen, keine Strafen. Auch Königssöhne konnten den Stock ihres Lehrers zu spüren bekommen. „Sicher. Ich werde brav sein.“ Überdies schmerzte der Arm noch immer und er fühlte sich zugegeben matt. Verwöhnt werden wäre nur gut.   Nefer hielt sich an ihre Anweisung falls irgend möglich nahe an Akenptah zu bleiben. Als sie hörte, dass der junge Herr samt Vermögensverwalter zurückkämen, eilte sie tunlichst unauffällig in den Hof. Während sie scheinbar eifrig ihren Besen schwang, um den Sand aus der Vorhalle zu bekommen, hatte sie ein wachsames Auge für das geöffnete Tor, wo Träger und Diener Akenptah und Thothhotep nach Hause brachten. Gut. Der Sohn des tjati wirkte gesund und munter, der Haushofmeister etwas abgespannt. Aber sie wusste von Meruka, dass das Fest des Sokar zwar eine übergroße Ehre, nichtsdestotrotz aber sehr anstrengend war. Die Sänften wurden abgesetzt und die Zwei erhoben sich etwas mühsam, nach dem Stunden im Sitzen in der engen Holzkiste vergangen waren, die Beine angezogen, nur ein Kissen als Bequemlichkeit. Nefer musste ein Lächeln unterdrücken, als sie Sat-Sachmet, die Haushälterin, bemerkte, die förmlich heran schoss, sich dann, der Höflichkeit zuliebe kurz vor dem Erben des Hauses verneigte: „Schön, dass du wieder da bist, junger Herr,“ ehe sie sich an ihren Ex-Mann und Vermögensverwalter wandte: „Thothhotep! Falls das ein Scherz gewesen ein sollte …!“ Sie machte wieder einmal ihrer Namenspatronin, der Löwengöttin Sachmet, alle Ehre. Thothhotep sah sie etwas verblüfft an, während Akenptah fast freundlich meinte: „Liebe Sat-Sachmet, was immer hier passiert ist – es hat Zeit. Wir sind müde, es ist Aufregendes passiert in den vergangenen Tagen. - Stell dir vor, es war eine Schlange n unserem Schlafzimmer! Zum Glück biss sie nicht mich, aber den kleinen Menka, du weißt schon, den Königssohn.“ Sat-Sachmet fuhr herum. „Du bist wohlauf? Ist der nicht noch ein Kind? Eine giftige Schlange? Wo waren denn die Wachen? Das ist ja eine Schlamperei des Personals!“ „Der mächtige Horus war auch nicht sonderlich angetan.“ Der Sohn des Hauses richtete sich etwas auf. „Nun, gleich. Gib Anweisung, dass ich baden will, etwas zu trinken, und dann nur noch schlafen.“ Er wandte sich ab. „Thothhotep, du solltest auch schlafen. Wir reden später.“ Er ging in das Haus. „Ja, natürlich, junger Herr.“ Sat-Sachmet wich zurück, um die notwendigen Befehle zu erteilen, ehe sie, durchaus beruhigt aber nicht zufrieden gestellt, sich wieder an ihren Vorgesetzten und ehemaligen Ehemann wandte, der eigentlich nur Akenptah in das Haus folgen wollte. „Du warst wohl auch sehr aufgeregt? Was sagte denn der Horus, er lebe, sei heil und gesund?“ „Er befahl einen Sonderermittler. Und zwar niemandem aus den Büros des tjati, wo doch gewöhnlich Ermittlungen angestellt werden, sondern, wenn ich mich recht entsinne, aus seinem eigenen, privaten Schreiberbüro. Das mag Unheil bedeuten.“ Er rieb sich über das Gesicht. „Du meinst, er vertraut Sobeknacht, unserem Herrn nicht mehr? Das kann ich mir nicht vorstellen. Eher, dass er ihn schonen will. Du kennst doch die hohen Herrn besser als ich. Es muss ein Schuldiger gefunden werden, wenn nicht der Beamte, der schlecht ermittelt. Und in einem Palast gibt es viele Menschen.“ „Ah.“ Thothhotep sah sie aufmerksam an. „Das wäre natürlich eine Idee, auf die ich noch nicht gekommen bin. Der Beamte hat ihn verärgert – und bekommt einen unmöglichen Auftrag, ja. Gut. - Sat-Sachmet, sage mir noch kurz, was geschehen ist, ich bin ebenfalls sehr müde, habe praktisch nicht geschlafen in den Tagen.“   Nefer bekam den Eindruck, dass Sat-Sachmet angesichts der Neuigkeiten vom Königshof ihre eigenen Probleme merklich als uninteressanter einstufte, vor allem ihre Wut zurückfuhr, aber die Ermittlerin beobachtete möglichst unauffällig die Zwei weiter, wich jedoch zurück, um vorgeblich weiter hinten zu fegen – allerdings so, dass der Besen kaum den Boden berührte und so leise blieb, dass sie zuhören konnte.   „Hast du Rizinussamen bestellt? Mit Lieferung am Abend vor dem Zwiebelfest?“ „Rizinussamen, hier?“ Thothhotep atmete durch. „Hast du sie etwa schon mahlen lassen?“ „Man presst sie. - Nein, natürlich nicht. Es war ja das Fest. Ich wollte es heute tun lassen – und dir sagen, dass so etwas gefälligst Sache auf den Domänen ist und nicht hier im Haus.“ „Ja, natürlich, natürlich. - Von welcher Domäne kam das denn?“ „Weiß ich nicht.“ „Da hängen doch gewöhnlich Liefertäfelchen dran?“ „Ich kann nicht lesen, Thothhotep!“ Der Vermögensverwalter musste offenkundig ein Seufzen unterdrücken. „Aber du bist sicher, dass es Samen sind. Und hast einen Sack geöffnet.“ „Ja.“ „Gut. Zeige mir das. Wenn ich ein wenig geschlafen habe, werde ich das Ganze an die entsprechende Domäne zurückschicken. Da hat vermutlich jemand einen Fehler begangen und statt Rizinusöl Rizinussamen gelesen. Öl benötigen wir ja wohl.“ „Wir hätten es auch schon vor dem Zwiebelfest benötigt. Der Herr wünscht doch immer, dass zusätzliche Ölrationen an die Leute ausgegeben werden, damit sie sich schmücken können. Das hat gerade so gereicht. In wenigen Tagen haben wir nicht einmal mehr genug Rizinusöl für die Lampen.“ „Ja, ich sagte ja, ich kümmere mich darum. Nach ein wenig Ruhe. Der arme Herr bekommt ja nicht einmal das. Er musste die gesamte Nacht, ich meine, er durfte die gesamte Nacht mit dem mächtigen Horus die Pfeiler aufstellen – jetzt sind beide wieder im Palast.“ „Ja, schon gut. Ich bin im Haus unterwegs. Sage mir dann, für wann du die Öllieferung bestellst. Wegen mir so rasch wie möglich.“ Sat-Sachmet drehte sich um, aber Nefer war bereits um die Ecke. Kapitel 22: Neue Besprechungen ------------------------------ Meruka seufzte in Gedanken ein wenig, als er sich aus der Sänfte erhob, die ihn mit dem „Siegler des Königs“ hierher getragen hatte. Hekaptah stand ebenfalls auf und wollte bereits in sein Haus gehen, in dem sein Stiefsohn über ein eigenes Zimmer verfügte. „Äh, Hekaptah, auf ein Wort.“ Dieser blickte sich um. Das Sokar-Fest war anstrengend gewesen und er sehnte sich nach Ruhe, aber er wusste nur zu gut, dass Meruka nicht nur für ihn, sondern nun im Auftrag des lebenden Gottes ermittelte. Wenn dieser ihn so sprechen wollte, war etwas geschehen. „Gehen wir in die Gartenlaube,“ schlug er daher vor. Dort war es angenehm schattig, Blumen im Wasserbecken und um den Pavillon spendeten angenehme Gerüche und Diener würden rasch Getränke bringen, ohne jedoch sich dort weiter aufhalten zu können. „Komm.“ Meruka blickte sich kurz um, als sie nebeneinander den privaten Garten betraten, ehe er leise erklärte: „Zunächst einmal – meine Mutter befindet sich in meinem Haus. Aus Gründen, die ich dir gleich erläutern werde.“ „Ich vermute, du hast einen guten Grund.“ Hekaptah war nicht angetan, dass sich seine Ehefrau nicht in seinem Haus befand, aber nach dem Zwischenfall mit der Schlange war er in Alarmbereitschaft, zumal er von Meruka nur einen kurze Mitteilung auf einer Tonscherbe erhalten hatte: „Mache dir keine Sorgen“. So hatte er getan, als ob er glaube, dass Menka verstorben sei, aber er kannte sowohl seinen Halbbruder, den Herrn der beiden Länder, als auch Meruka zu gut, als dass er nicht gewusst hätte, dass da etwas ohne sein Wissen lief. Und sein Stiefsohn hatte erst vor wenigen Stunden private Audienz bei dem lebenden Horus gehabt. Nun gut, jetzt würde seine Neugier wohl befriedigt werden.   Als die Herren in der Laube saßen und die Diener den leichteren Wein aus dem Delta serviert hatten, meinte der Siegler daher: „Der mächtige Horus scheint dir zu vertrauen. Was ist mit Menka?“ Meruka neigte den Kopf, durchaus angetan, dass sein Vorgesetzter mitdachte. „Wie du ohne Zweifel schon errätst, befindet er sich in meinem Haus. Darum sollte auch meine Mutter seine Mutter abholen. Es ist immer noch das Haus, in dem sie einmal die Herrin war, und Ka-Merit dürfte so nicht stutzen. Rahotep ist bei ihm als Arzt und Ptahnacht als Wache, zur Sicherheit. Merit übrigens auch, wegen Ka-Merit. Ich bin mir nicht sicher, wie verschwiegen diese sein kann. Merit soll sie ablenken oder, wenn nötig, beschwichtigen.“ Der dritte Mann Kemets ordnete nur scheinbar zufällig seine Schmuckketten. „Ich verstehe. Dann weißt du schon, was mit der Schlange war?“ „Es war ein Attentat, ich habe eine Zeugin, die einen Fremden sah. - Ich werde von vorne beginnen, denn irgendwie hängt alles mit Sennefer zusammen.“ „Du meinst, er hat etwas mitbekommen? Darum musste er sterben?“ „Ja.“ Meruka schilderte seine Vermutungen. „Beweise“, schloss er: „Habe ich kaum handfeste. Und ich bin mir bewusst, dass ich genau diese benötige.“ Hekaptah holte tief Atem. Bislang hatte er schweigend zugehört, aber jetzt sagte er mühsam ruhig: „Du bist dir hoffentlich im Klaren, dass du hier Leute verdächtigst, die sowohl ich, als auch Sobeknacht, als auch und vor allem der Herr der beiden Länder seit Jahrzehnten kennen!“ Und ein Gott irrte sich nicht. „Dessen bin ich mir bewusst.“ Er hatte es doch geahnt. „Und ich bin mir bewusst, dass ich Beweise brauche, unwiderlegbare. Aber, Hekaptah, wer auch immer dahinter steckt, ist ein sehr intelligenter Mann. Ich fürchte sehr, dass wir von dem Schlangenbändiger nicht einmal mehr die Leiche finden werden. Die Sandläufer, die Sennefer umbrachten, taten es in dem Glauben für den tjati zu arbeiten. Und wer sollte unter ihnen allen diejenigen finden, die diesen Auftrag ausführten? Sie würden jedem gegenüber schweigen, mit Ausnahme des tjati und des mächtigen Horus selbst.“ „Ich sehe vor allem kein Motiv. Nun gut, wenn Sennefer etwas von Hochverrat auch nur ahnte, wäre das ein Grund für seinen Tod. Und nach dem Schreiben an Menmire, das ihr fandet, ahnte er etwas. Nur, warum sollten, um bei deinen Verdächtigen zu bleiben, was ich nicht gut heiße, Thothhotep oder Meribast am Tode des Thronfolgers interessiert sein? Um meinen Enkel Sennefer oder Akenptah auf den Thron der Lebenden zu senden? Stirbt Menhekat wäre immer noch Menka da. Überdies gibt es eine uralte Regel in der Thronfolge: der Erbe sollte kein Kind mehr sein, aber auch kein reifer Mann. Wenn der mächtige Horus, wie ich es erbitte, noch zehn Jahre leben sollte, ist Menhekat bereits neunundzwanzig und damit zu alt für die Thronfolge. So war es doch auch bei Sobeknacht und mir.“ Alles in Hekaptah sträubte sich dagegen, Männer, die er für seine Freunde hielt, als Mörder zu oder gar Hochverräter anzusehen. „Das weißt du. Aber wissen es auch andere, die außerhalb der königlichen Familie leben? Mögen sie auch im Palast erzogen worden sein?“ Meruka nahm einen Schluck Wein. „Und Menka … Fällt Menhekat, ist er der einzige leibliche Königssohn. Wie leicht kann ihm auch ein Unfall zustoßen. Ich werde nach unserem Gespräch unverzüglich in den Palast zurückkehren. Menhekat wird inzwischen erfahren haben, dass ich stets um ihn sein werde.“. „Du fürchtest ein erneutes Attentat? Aber niemand kann so rasch umplanen, zumal innerhalb des königlichen Palastes. Dort sind Wachen, Diener. Überdies zieht Menhekat vorübergehend in ein anderes Zimmer, bis seine Räume eines auch nur mutmaßlichen Thronfolgers würdig umgebaut wurden.“ „Das mag alles richtig sein. Aber, wer auch immer hinter der Schlange steckte, weiß sich vorzusehen, und er plant nicht nur vorausschauend, sondern auch gründlich und rasch. Und er ist vertraut mit den Abläufen im Palast. - Ich werde heute Abend mit möglichst vielen aus meiner Gruppe reden und mir ihre Ermittlungen anhören, dann plane auch ich weiter. Aber ich bleibe bei Menhekat. Wenn irgendetwas dem Ältesten Königssohn widerfahren soll – es werden zwei Männer sterben.“ Hekaptah nickte langsam. „Du nimmst es sehr ernst. Aber erlaube mir dennoch die Hoffnung, dass niemand ein Verräter ist, den ich so lange kenne.“   Ptahnacht übernahm die Wache bei Menka, während sich Rahotep und Merit unter dem Vorwand neue Kleidung besorgen zu wollen, sich zum Palast aufmachten. In dem verborgenen Raum nahe der Büros des tjati, trafen sie Meruka und Nefer, die nur kurz vor ihnen gekommen war. Der Leiter der Gruppe erzählte zunächst den beiden Frauen, was oben in der Wüste geschehen war, ehe er an den Arzt gewendet fragte: „Es geht Menka gut?“ „Ja. Er ist ein kräftiger Junge und erholt sich. Gewöhnlich würde ich sagen, dass er morgen bereits etwas aufstehen darf, aber bleiben wir lieber vorsichtig. Ich werde mit ihm baden gehen, und ihn dabei genau überwachen. Ramose wollte übrigens meinen Bericht. Er ist mein Lehrer und der Vorsteher der Ärzte des Palastes,“ ergänzte er fast entschuldigend. „Natürlich. Du weißt ja, was du erzählen darfst. Alles medizinische. - Merit, wie gut hast du Ka-Merit unter Kontrolle? Sie erscheint mir recht spontan.“ „Das ist sie,“ gab das Mädchen aus dem ipet zu. „Aber sie liebt ihren Sohn und hat Respekt vor deiner Mutter als Königsbekannter. Solange es Menka gut geht, wird sie sich nur um sein Wohl kümmern. Sie befolgt natürlich auch den Befehl des lebenden Horus, in deinem Haus mit Menka zu sein. Es gelang uns ihr klar zu machen, dass es im ipet doch unruhiger und lauter zugeht und er sich so besser erholen kann.“ „Gut. - Nefer, wie geht es Akenptah?“ Diese zuckte etwas die Schultern. „Er war ziemlich müde, als er nach Hause kam, und wollte baden und sich hinlegen, aber er schien mir nur abgespannt, nicht krank. Thothhotep war wohl auch sehr müde, aber er wurde ja gleich überfallen. Nun, nicht im Wortsinn, aber von Sat-Sachmet, seiner ehemaligen Frau und Haushälterin. Es ging um eine Lieferung Rizinussamen, die wohl irrtümlich vor einigen Tagen von einer Domäne geschickt wurden.“ „Rizinussamen?“ Rahotep richtete sich ein wenig auf. Meruka warf ihm einen irritierten Blick zu, sagte jedoch nur: „Kannst du uns die Szene genauer schildern, Nefer?“ Diese gehorchte ein wenig verwundert, bemühte sich jedoch so sehr wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben und schloss: „Akenptah meinte ja auch, wörtlich: Liebe Sat-Sachmet, was immer hier passiert ist – es hat Zeit. Wir sind müde, es ist Aufregendes passiert in den vergangenen Tagen... Und dann erzählte er von dem Schlangenbiss. Er ist immer sehr freundlich zum Personal.“ „Freundlich – oder wollte er nicht, dass um die Säcke oder um Thothhotep Aufsehen erregt wird?“ fragte Meruka unverzüglich zurück. „Natürlich war Sat-Sachmet wütend, so kurz vor dem Fest solch eine Menge Arbeit zu bekommen. Sie hat es ja auch beiseite legen lassen. Im Haus gibt es, im Gegensatz zu den Domänen, keine Pressen. Das müsste alles per Hand gemahlen werden und würde viel Zeit und Frauen in Anspruch nehmen.“ Nefer blickte ihn erstaunt an. „Warum misst du dieser Szene solche Bedeutung bei?“ „Seit unser Arzt bei dem Stichwort Rizinussamen stutzte. Also, Rahotep, was stört dich? Wir alle haben doch Rizinusöl schon zum Erleichtern und Ausräumen der Kanäle des Körpers erhalten. Jeder vernünftige Mensch in kemet macht das einmal im Monat.“ Der Arzt nickte nur, sichtlich in Gedanken. So ergänzte Merit: „Das Öl wird auch in den Häusern der Vornehmen, ja, im Palast und den Tempeln für Leuchten verwendet und ich hörte, man könne es auch als Haarwuchsmittel benutzen.“ „Überdies,“ meinte Nefer: „Wird es in großen Mengen für die Haut benötigt. Es ist billig und praktisch geruchsfrei und kann mit allerlei Blüten und Gerüchen versehen werden. Es sollte ja auch an die Bediensteten des Hauses von Sobeknacht zum Zwiebelfest verschenkt werden.“ „Ja,“ murmelte Rahotep, ehe er sich aufsetzte und zu seinem Vorgesetzten blickte. „Das ist alles wahr. Ich wüsste auch noch ein Rezept, wie man aus Rizinuswurzeln ein gutes Mittel gegen Kopfschmerzen herstellt. Alles richtig. Nur, es handelt sich eben um die Wurzeln und das Öl, nicht die Samen. Worüber ich gerade nachdenke ist, wie ich euch das erklären kann, ohne meinen Eid zu brechen. Ihr wisst ja, dass schon ein angehender Arzt schwören muss die Rezepte und das Wissen geheim zu halten.“ „Um dir zu helfen,“ sagte Nefer schlicht: „Ich weiß, dass mein Bruder, der inzwischen in den Schilffeldern des Westens weilt, von einem Arzt aus Abu Rizinussamen erhielt, als er schwer krank war. Er hatte dann fürchterliche Leibschmerzen und erbrach sich, aber danach ging es ihm besser.“ „Ja, das mag sein. Samen werden auch von Ärzten verwendet, und nur von diesen sollten sie es auch. Die Nebenwirkungen sind … unangenehm. Man verwendet es meist nur bei Vergiftungen und mit großer Kenntnis. Denn, so viel kann ich verraten: die Samen des Rizinus können tödlich sein, je nach Dosierung. Man muss behutsam damit umgehen. - Womöglich war es wirklich ein Irrtum, die Säcke werden zurück an die Domäne geschickt, dort ausgepresst und fertig.“ „Ja, aber wenn es ein Irrtum war ...“ Meruka dachte kurz nach, ehe er meinte: „Irrtum oder nicht. Thothhotep hat sich in sehr vielen Fäden verfangen, zu vielen, als dass es Zufall sein könnte. Entweder er ist schuldig – oder jemand sorgt dafür, dass er so wirkt. Ich lege mich kurz zum Nachdenken.“ Er stand auf und ging hinüber zu dem hölzernen Gästebett, wo er sich niederlegte, die Hände unter dem Kopf verschränkte und die Augen schloss. Merit hatte das erst einmal gesehen, aber sie vermutete, dass er wohl wieder eine Weile nachdenken würde. In dieser Zeit konnte man reden, aber ja nichts über den Fall. So fragte sie Nefer: „Weißt du schon, wann der Umlauf des Apis um die Mauern sein soll In zwei Wochen?“ „Ungefähr wohl, ja. Ich war ja nicht bei dem mächtigen Gott, seit ich in Sobeknachts Haus bin. Aber es ist ja die Zeit.“   Priester führten den Stier als Symbol der Fruchtbarkeit um die Mauern der Residenzstadt, um alles Vieh im Lande segnen zu lassen. Der lebende Horus ging nebenher. Die seit Kalbstagen vertrauten Pflegepersonen und die Musik der Sistren beruhigten den Apis gewöhnlich so, dass es zu keinen Zwischenfällen kam. Anschließend warteten in dem Hof vor seinem „Haus“ ausgewählte Kühe, die seine Fruchtbarkeit über das gesamte Land bringen sollten. Nefer hatte, wenn sie nicht gerade für Meruka arbeitete, die Pflicht, den Stier zu besänftigen, zu singen und zu tanzen – Gottesdienst, der mit Gaben durch den Herrn der beiden Länder für ihren Unterhalt sorgte. Zum Glück bedeutete das nicht ständige Anwesenheit. Es handelte sich um ein Ehrenamt zur Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern, das auch andere Männer und vor allem Frauen erhielten. Nur die beiden eigentlichen Betreuer des mächtigen Stieres waren stets vor Ort – schon, damit Apis sich an sie gewöhnen konnte. Während des Auslauf des Apis sahen die Bewohner von Ibenu-hedj von den Mauern zu, anschließend gab es eine große Feier in der Stadt, die der Herr der beiden Länder versorgte. Der Jahresbeginn war mit den Fruchtbarkeitsfesten von Sokar, Apis und Min immer ein sehr freudiges Ereignis – zur Ernte gab es wiederum mehrere Feste zu Ehren der Erntegötter wie Retenut und am Jahresende in den sechs „geschenkten Tagen“. Der zehnte Tag jeder Woche war ebenso frei wie die Götterfeste, die allerdings nur selten das gesamte Land betrafen, und natürlich auch die Feste des Herrn der beiden Länder, wie die Thronbesteigung und die Jubiläen.   „Sag mal, Merit,“ begann Rahotep unerwartet. „Der gesamte Hof schwirrt vor Gerüchten, du würdest Menhekat heiraten. Weißt du was davon?“ Die junge Dame wurde rot. „Das war ja zu erwarten,“ murmelte sie. „Ka-Merit begann auch schon davon. Ja, der Herr der beiden Länder schlug mir das im Vorbeigehen vor. Das bekamen natürlich einige Leute mit.“ „Sag nicht, du hast eine Anweisung des lebenden Gottes erhalten und widersprichst?“ Er war überaus erstaunt. „Nein, denn es handelt sich ja nur um … nun, gegen den Befehl des guten Gottes gibt es wirklich keinen Widerspruch. Aber darum handelte es sich ja nicht. Er trug nicht die Doppelkrone, keine Zepter, er war ein Mensch. Und ich kenne einige, die sich solch einem Wunsch des Herrn der beiden Länder widersetzten.“ „Du gestattest schon, dass ich mich wundere.“ Nefer strich unbewusst ihr Kleid glatt. „Menhekat zu heiraten verspricht dir die hohe Rangstelle der maat-hor, später vielleicht sogar als Königinmutter die höchste Stellung einer Frau in ganz kemet. Menhekat sieht ansprechend aus und er scheint dich zu mögen.“ Was steckte hinter Merit, wenn diese solche Positionen ausschlug? Ein verwöhntes Mädchen kaum. Sie sollt sich einmal genauer mit ihr befassen. „Ja, das gebe ich alles zu.“ Merit holte Atem, ehe sie gestand: „Es ist vielleicht, dass ich doch schon zehn Jahre im ipet lebe und es gesehen habe – das so streng geregelte Leben einer Königinmutter oder der maat-hor. Nie unbeobachtet, nie allein, jeder Schritt wird überwacht. Ärger hat es wohl nur der mächtige Horus selbst, aber der ist auch ein Gott. Für einen Menschen finde ich dieses Leben schwer erträglich. - Überdies.. aber das sagt niemandem, ja? Überdies fürchte ich mich vor dem Tod. Ich sah so viele Frauen, die im Kindbett starben. Natürlich nichts gegen euch Ärzte, Rahotep, ich weiß, dass ihr viele auch rettet.“ „Ein Sohn würde genügen,“ meinte Nefer prompt. „Nun ja, auch ich könnte mich nicht verheiraten, aber aus ganz anderen Gründen. Ich werde nie wieder einen Mann so nahe an mich lassen.“ Rahotep meinte mit einem etwas gezwungenen Lächeln: „Ich auch nicht. Ich würde immer an meine verstorbene Liebe denken. Aber ich vermute, dass wir eben in Merukas Gruppe sind, weil wir keine Familie haben und haben wollen, die Fragen stellt.“ Unwillkürlich sahen die Drei zu ihrem Vorgesetzten, der ja auch keine Ehefrau oder Kinder besaß. Meruka bemerkte die Blicke, als er sich aufrichtete. „Ich habe nicht zugehört,“ murmelte er. „Ich hoffe, ihr habt nur nett über mich gesprochen.“ „Eher gar nicht,“ beteuerte Nefer sofort. „Aber, stell dir vor, der Herr der beiden Länder empfahl unserer lieben Merit hier die Ehe mit Menhekat, die sie ablehnte.“ „Das ist ihr Recht.“ Meruka erhob sich und setzte sich zu seinen Leuten. „Aber zur Arbeit. Laut Hekaptah ist eine Verdächtigung von Meribast oder Thothhotep fast so schlimm als würde man ihn selbst verdächtigen. Wir müssen also uns auf zwei Straßen weiter bewege. Menhekat und Menka darf nichts zustoßen – und wir müssen Beweise, sehr überzeugende Beweise für einen der Tatverdächtigen bringen, wobei ich im Moment Thothhotep bevorzuge. Beweise, und ein Motiv, das sich belegen lässt.“ Er sah in die Runde. „Wieso ich Thothhotep bevorzuge? Sein persönliches Verhältnis zu Akenptah ist ein etwas eigentümliches. Er scheint seinen Schützling noch immer um jeden preis vor allem bewahren zu wollen. Er war mit im Norden, auf dieser Reise mit Sennefer und konnte sowohl diesem die Kette unauffällig geben, als auch einen Schlangenbändiger beauftragen, als auch in Iunu glaubhaft als Vertreter des tjati auftreten. Die letzten drei Punkte treffen allerdings auch auf Meribast zu. Beide waren jetzt auch oben in Ra-Sentjau, beide waren vor Sonnenaufgang im Hof, angeblich, um sich zu erleichtern, können aber ebenso gut den Schlangenbändiger gesprochen und umgebracht haben. Die hintere Tür ist zwar bewacht, aber im Morgengrauen kommen dort die Leute aus dem Dorf herein, es entsteht eine gewisse Unruhe. Hinaus in die Dämmerung, um die Palastecke, ein Dolchstoß ...es könnte sehr schnell gehen. Sowohl Thothhotep als auch Meribast waren schon bei Feldzügen des lebenden Horus gegen die Sandleute dabei und können kämpfen. - Rahotep, du gehst jetzt zu Ramose als deinem Vorgesetzten und erstattest ihm Bericht, dann kehre zu Menka zurück und schlafe. Das sollt auch gegenüber Ka-Merit glaubwürdig sein Morgen prüfst du noch einmal seine Gesundheit, dann kehrst du in den Palast zurück, möglichst unauffällig in der Nähe des Inneren. Menhekat wird seine Pflichten als Priester der Kronengöttinen absolvieren, dann bei einem Priester des Horus Rituale studieren und lernen. Um ihn sollten stets Diener, Priester und Wachen sein. Ich bleibe in der Nacht jetzt bei ihm, wenn er seinen Pflichten nachgeht werde ich Anch-chepri aufsuchen. Das ist ein junger Architekt, der Sobeknachts Grab beaufsichtigt. Vielleicht hat dieser ihm gegenüber über Akenptah gesprochen oder sogar Thothhotep. Treue Dienstleute erhalten ja öfter Gräber in der Nähe ihres Herrn. - Nefer, versuche möglichst herauszufinden, wer alles an die Säcke von Rizinus kam, wer sie offenkundig irrtümlich bestellte und ob sie zurückgeschickt wurden. Thothhotep wusste sicher, wie seine ehemalige Frau auf solch eine Lieferung reagieren würde. War es Planung oder einfach nur Zufall. Oder sogar gesteuerter Zufall.- Merit, hole jetzt die Kleidung für dich und Ka-Merit, um deine Deckung zu wahren. Morgen verlässt du Menka und kommst in den ipet. Ich werde dir nach meiner Rückkehr von der Baustelle Bescheid geben, was du tun sollst.“ „Ja,“ erwiderten alle, nur Merit ergänzte: „Dann bleibt Akenptah sozusagen von Nefer beschützt?“ „Akenptah ist kaum in Gefahr. Ist der Schuldige Thothhotep, sicher nicht, ist der Schuldige Meribast, so muss er zunächst die Königssöhne beseitigen, zumal er denken muss, er habe bereits einmal Erfolg gehabt.“ Kapitel 23: Nachdenken ---------------------- Auf dem Wüstenplateau oberhalb der Residenzstadt wurde wie an jedem Werktag fleißig gebaut. Die Pyramiden der zu Göttern gewordenen ehemaligen Herrn der beiden Länder dienten als Vorbild, was menschenmöglich war, auch, wenn heutzutage hier nur noch Beamtengräber angelegt wurden. Horus Quahedjet hatte sich für ein nördlicher gelegenes Areal entschieden, dort wurden auch die Gräber seiner Höflinge errichtet, die erst nach diesem Beschluss ihre Gräber zugewiesen erhalten hatten. Hier bei Ibenu-hedj lagen jene „Häuser der Ewigkeit“, die bereits zuvor angelegt wurden – wie diejenigen des tjati Sobeknacht und seines Halbbruders Hekaptah. Ein Stück neben dem Ziegelbauwerk, in dem Sobeknacht mit seiner Familie Ruhe finden wollte, war ein Dach aus Stroh über einfachen, roh belassenen, Akazienhölzern aufgerichtet worden. Dieser leichte Sonnenschutz diente dem jungen Architekten Nianchchepri und seinem Bauleiter als Büro. Ein Mann kam eilig angerannt. „Architekt! Nianchchepri, hoher Besuch!“ „Der tjati?“ Der junge Architekt war alarmiert. Bauherren hatten meist etwas auszusetzen, auch, wenn sich Sobeknacht da zurück hielt. Und er konnte es sich nicht leisten das wichtigste Projekt seiner bisherigen Laufbahn zu verlieren. Er hatte in Iunu an der königlichen Architektenschule gelernt, arbeitete aber nun jedoch für Beamte, formell natürlich noch immer als Architekt des Königs bezeichnet. Zunächst Handwerker, dann einfache Beamte, dann höhere, je nach dem, wie geschickt man sich anstellte, hatten seine Dienste verlangt. Jetzt, mit Sobeknacht als tjati und Königsbruder, war der Gipfel seiner bisherigen Laufbahn erreicht und Nianchchepri durfte darauf hoffen bei einer königlichen Pyramide eingesetzt zu werden, in die Leitung des Planungsbüros befohlen zu werden, damit die Hoffnung auf ein ewiges leben im Umfeld der Götter zu erhalten. Natürlich nur, wenn er sich keinen Fehler leistete. „Ein vornehmer Beamter in einer Sänfte, begleitet von Getreuen des lebenden Horus.“ Ach du je! Nianchchepri wurde blass. Sobeknacht hatte doch nichts kritisiert? Warum sollte er verhaftet werden? „Ich lasse natürlich den Herrn bitten.“ Was half es. Er legte jedoch seinen angespitzten Pinsel aus Binsen sorgfältig in die Schatulle und erhob sich. Höflichkeit und Sachverstand wurde von Beamten jederzeit verlangt, selbst in den schlimmsten Momenten ihres Lebens. Im Zweifel konnte das lebensrettend werden. Er sah beiseite zu seinem Bauleiter: „Mernebptah, du solltest vielleicht den Nordschacht überprüfen.“ Dieser war deutlich älter als der Architekt, aber er nickte nur in gewisser Anerkennung. Sein Vorgesetzter wollte ihn offenbar schützen. Das hatte er bei einem so jungen Mann nicht erwartet, auch, wenn das natürlich der maat entsprach. So setzte er sich das Kopftuch, das chat, auf, das die Arbeiter in der Sonne schützte. „Viel Glück, Nianchchepri.“ Das hoffte der Architekt, als er sich etwas aus dem Schatten begab und den Talweg entlang blickte. Ein vornehmer Mann, ja, vier Männer trugen die Sänfte, aber doch deutlich rangniederer als ein tjati. Und er war sicher, diesen Beamten noch nie gesehen zu haben. Aber vier Getreue, vier Träger – dazu das Schreiberamulett um den Hals und eindeutig höfischer Schmuck, nein, das war kein Zufall. Nianchchepri versuchte sein Unbehagen, das an Furcht grenzte, zu verbergen, als er höflich den Kopf neigte, da die Sänfte abgesetzt wurde.   Meruka erhob sich ein wenig steif. Der steile Weg in der engen, hölzernen, Sänfte, war anstrengend. Aber er konnte sich die Sorge des Architekten vorstellen, und wollte diesen daher beruhigen. „Mein Name ist Meruka, ich bin Sonderermittler des Herrn der beiden Länder. Ich habe nur einige Fragen an dich.“ Ein Sonderermittler – das bedeutete in der Regel, dass er im Auftrag des tjati, nein des Lebenden Gottes selbst handelte. Sab-Beamte waren im Auftrag des tjati unterwegs. Natürlich ziemte sich Höflichkeit. „Selbstverständlich, Meruka, bitte, komme hier in den Schatten. Was kann ich für dich tun? Möchtest du Wasser?“ „Gern.“ Meruka zog sich das Kopftuch ab. „Es handelt sich um einen Zwischenfall beim Sokarfest. Ich habe nur einige Fragen an dich. Du baust hier das Grab des tjati, Sobeknacht.“ „Ja.“ Immerhin schien es nicht um seine Baustelle zu gehen. Nianchchepri goss einen Becher ein. „Ein Zwischenfall beim Fest des Sokar? Davon hörte ich nichts. Oh, entschuldige.“ Es ziemte sich nicht einem Sonderermittler im Auftrag des Horus zu sagen, was dieser zu untersuchen habe. Das konnte schnell um das ewige Leben gehen, denn ein Fluch des Herrn der beiden Länder war vernichtend. Meruka hob die Augenbrauen etwas, erklärte jedoch sein Anliegen. „Da ich den tjati nicht damit behelligen möchte, kam ich zu dir. Was weißt du über die Familie des tjati und vor allem seine Beamten? Wer wird im Grab erwähnt?“ „Die Familie des tjati? Äh, ja.“ Nianchchepri bemühte sich sich zu sammeln, während er sich zu dem Ermittler auf die Matten setzte. „Sie liegen, also, die Meisten, bereits im Nordschacht, unter dem Ziegelbau. Da wäre die Gemahlin Hathorhotep und die Söhne Padiptah und Bakenptah, und ein ungeborenes Kind. Für diese sind auch in der Kapelle farbige Bilder bereits fertig gestellt, damit sie an den Totenopfern für den tjati teilhaben können. Ausnahmsweise und auf Wunsch Sobeknachts ist alles in Farbe gehalten. Ich habe allerdings schon gehört, dass diese Art in Mode kommen soll. Magst du es ansehen?“ „Ja. Und dann erzähle mir, ob der tjati nicht etwas von einem kleinen Mädchen erwähnte.“ „Oh, ja, natürlich. Darauf legt er großen Wert. Sie liegt ebenfalls im Nordschacht.“ Meruka sah ihn erstaunt an. „Ich hörte, das Kraut des Sees ...“ Eine Umschreibung für ein Krokodil: „Hätte sie verschleppt.“ „Ja, das stimmt wohl. Aber ihr Körper wurde von den Ut-Priestern nachgebildet, damit ihr Ka zurückfinden kann. Und sie ist ebenfalls in der Kapelle dargestellt. Ihr Ka wird wohl versorgt, dafür sorgte ihr Vater, wahrlich. Komm, bitte folge mir. Das Mädchen hieß Neferhenut. Ihr Name wird auch in der Kapelle erwähnt. Ich bin sicher, dass ihr Ka die Totenopfer erhalten wird.“ „Wohl.“ Meruka ging neben dem Architekten hinüber zu der Baustelle. „Sobeknacht sorgt sich sehr um seine Familie. Nur, sein Sohn Akenptah wird nicht erwähnt?“ „Oh nein. Er lebt ja noch. Und es steht auch zu erwarten, dass er einen hohen Rang einnehmen wird und sich damit selbst ein Grab zuweisen lassen kann.“ Das stimmte, dachte der Sonderermittler. Überdies wurden die Häuser der Ewigkeit stets nach dem Status errichtet, den sich der Grabbesitzer im Leben erworben hatte. „Werden auch Beamte des Haushaltes oder Schreiber aufgeführt?“ Nianchchepri nickte. „In einer Gruppe, gleich im Osten, neben der Auflistung der Güter für die Totenstiftung.“ „Zeige mir das und die Bilder der Familie.“ „Ja, Sonderermittler.“ Der junge Architekt warf einen unbehaglichen Blick zurück, wo sich die Getreuen des Herrn der beiden Länder mit Dolch und Lanzen bewaffnet aufhielten. Ein Befehl von diesem Meruka würde sie dazu bringen ihn selbst zu verhaften. Es war eindeutig klüger sich nur stumm über die Fragen zu wundern. Irgendetwas war jedenfalls auf dem Zwiebelfest in der Umgebung des tjati geschehen. Mehr zu wissen war nur gefährlich. „Hier – die Maler sind natürlich an der Arbeit. Die Kapelle ist soweit fertig gebaut.Wir mauern gerade noch den Nordschacht, der ja nach oben hin offen bleibt, bis auch Sobeknacht in die Schilffelder des Westens eingeht.“ „Natürlich.“ Meruka sah sich in der nun dunklen, mit Öllampen erleuchteten, Kapelle um, wo die Maler ihn neugierig ansahen, aber offenbar nicht ihre Arbeit einstellen wollten ohne direkte Anweisung. „Das ist die Familie.“ Nianchchepri nickte und deutete vage hin. „Ja. Die verstorbene Gemahlin, die beiden Söhne und das Mädchen, mit ihren Namen. Der tjati achtete sehr auf möglichst genaue Wiedergabe. - Hier drüben siehst du die Prozession der Personifikationen der Totenstiftungen, die die Opfer liefern werden.“ „Und das ist die Gruppe Beamter?“ „Ja. - Soll ich dir die Namen vorlesen?“ Fehler, dachte Nianchchepri fast panisch. Ein Sonderermittler des Königs mit dem Zeichen des Seschat, der Schutzgöttin der Schreiber, um den Hals, konnte das natürlich selbst. Meruka ignorierte ihn auch. Thothhotep war aufgeführt und sechs andere Beamte, natürlich deutlich kleiner als Sobeknacht selbst, die Hierarchie wurde stets gewahrt. Hm. Thothhotep, aber nicht Akenptah. Alles klang plausibel, aber irgendetwas übersah er. Der treue Vermögensverwalter, alter Freund der Königsbrüder und des lebenden Horus selbst, – warum sollte er Hochverrat begehen, einen Königssohn ermorden wollen, ja, auch auch den Mord an Sennefer geplant haben? Damit sein offenkundig innig geliebter Schützling auf dem Thron der Lebenden Platz nehmen konnte? Das war kaum vorstellbar. Umgekehrt – das war es bei Meribast auch. Großvater des lebenden Horus zu sein war sicher ehrenvoll – aber dafür zu morden und das eigene Leben, auch das ewige, aufs Spiel zu setzen, wenn man entdeckt wurde? Nein. Wer auch immer der Beiden das getan hatte, hatte einen anderen Grund. Es ging vermutlich nicht um den Thron, aber um irgendetwas, das demjenigen überaus wichtig erschien. Und es war davon auszugehen, dass weder Thothhotep noch Meribast genauer über die Thronfolgeregelungen innerhalb der königlichen Familie Bescheid wussten. War genau das das Problem? Er musste dringend nachdenken. „Danke, Nianchchepri, das war alles.“ Der Architekt atmete erleichtert auf. „Danke.“   Während er durch die Straßen der Residenzstadt getragen wurde und zwei Männer vor ihm und seiner Sänfte den Weg schufen, dachte Meruka noch immer nach. Was nur war falsch? Er konnte kein realistisches Motiv sehen. Bedeutete das, das es keins gab? Unsinnig. Menschen handelten immer nach Ursachen. War das Motiv jedoch unrealistisch? Nur für den wichtig, der es hatte? Er kam nicht darum herum immer wieder an die Thronfolge zu denken. Das schien der Punkt zu sein – nur, es war unsinnig. Selbst wenn alle seine eigenen Söhne tot waren, konnte der mächtige Horus jeden zu seinem Nachfolger erwählen, den er für fähig hielt, ebenso, wie er ja auch die Auswahl unter seinen Söhnen hatte. Natürlich gab es da die ungeschriebenen Regeln, wie dass der Tod des Vaters alle Söhne von der Nachfolge ausschloss. Aber ein Gott konnte sich darüber hinwegsetzen. Er hatte zwei Hauptverdächtige, die offenbar aus der Thronbesteigung ihrer Schützlinge gewinnen konnten und auch die Möglichkeit gehabt hatten Sennefer kennen zu lernen und umbringen zu lassen. Der eine würde so Großvater eines Gottes werden. Genügte das für Morde? Familienstolz? Thothhotep dagegen würde seinen Schützling auf dem Thron der Lebenden sehen, selbst maximal tjati werden. Genügte dieses schwere Amt als Mordgrund? „Auf dein Ka!“ Meruka blickte seitwärts. Der allseits bekannte Trinkspruch war ihm zugerufen worden, da ihn wohl jemand kannte. Vom Dach eines Hauses grüßte ihn ein Beamter aus der königlichen Schreibstube, der wohl frei hatte, denn er hob seinen Bierbecher. So winkte er zurück, ehe er erneut in seiner Grübelei versank. Er drehte sich im Kreis. Er sah kein Motiv, aber es gab sicher eines. Umgedreht – er konnte vor dem Herrn der beiden Länder, der von ihm ein Ergebnis wollte, nicht ranghohe Beamte ohne Nachweis beschuldigen. Er konnte nur sagen, dass diese Zwei seine Hauptverdächtigen waren und die Gründe dafür benennen. Das würde allerdings kaum genügen. Würde er bei dieser Ermittlung versagen – nun ja, am Horusweg nach Palästina gab es einige kleine Forts, in die man Leute schicken konnte, die sich für höhere Aufgaben als unbrauchbar erwiesen hatten, aber dennoch wichtig für die Landesverteidigung gegen die räuberischen Sandleute waren. Sich mit fünf Männern unter seinem Kommando in der Wüste wiederzufinden war für Meruka nicht erstrebenswert. Immerhin würde seine Mutter nicht unter seinem Versagen leiden müssen. Nein, befahl er sich energisch. Er durfte nicht einmal an Versagen denken. Der lebende Gott kemets hatte ihm diesen Auftrag gegeben und er würde ihn erfüllen. Das war alles, was zählte. Denke noch einmal nach, beschwor er sich, während er in den Palast getragen wurde, ausstieg und in das Büro der königlichen Schreiber schritt. Welche Ursache gab es? Nicht für den Mord an Sennefer, das Motiv war Vertuschung, soweit war es klar. Aber für dieses Schlangenattentat auf einen oder beide Königssöhne? Warum sollte Menhekat sterben? Oder auch Menka? Wo lag nur sein Fehler? Es musste doch um die Thronfolge gehen. Nur, welchen Vorteil hatte der Mörder davon, wenn jemand Bestimmter Herr der beiden Länder wurde? Auf dein Ka! Meruka ließ sich langsam nieder. War genau das der Fehler? Er selbst hatte doch schon lange in Akenptah eine Schlüsselfigur gesehen. Immer wieder kam die Rede auf diesen. Thothhotep war sein Erzieher und Beschützer, bekannt mit den Vorgängen im Palast. Und immer wieder kam die Rede auf den Zwischenfall mit dem kleinen Mädchen, dessen Tod auch den Tod ihrer Mutter und des ungeborenen Bruders verursacht hatte, das Leid Sobeknachts und die monatelange Krankheit ihres Bruders. Der tjati hatte, das hatte er selbst ja erst heute in der Grabkapelle gesehen und gehört, alles Menschenmögliche unternommen, das Ka der Kleinen zu beschützen, selbst, wenn die Seele keinen Körper wieder finden konnte, und so wohl langsam seinen Frieden gefunden. Akenptah hatte sich unter den Bemühungen der Ärzte langsam von den Dämonen befreit, die seine Seele und den Körper niedergeworfen hatten, nach dem Tod von Schwester und Mutter. Thothhotep hatte sich da intensiv um ihn gekümmert, so sehr, dass seine eigene Ehe zerbrach. Und dann? Warum eigentlich war Akenptah dann geheilt worden? Nicht, dass Meruka den Ärzten kein Vertrauen schenkte, aber bei dämonisch verursachten Krankheiten war das immer so eine Sache. Merit hatte doch erwähnt, dass Akenptah schon in Schulzeiten sowohl sie als auch Menhekat und die älteren Königssöhne immer zu verrückten Sachen anstiften konnte. Rahotep hatte gemeint, dass er Akenptah zuschreibe seinen Willen durchsetzen zu können, in dem er sich als hilflos zeige. Akenptah litt unter dem Verlust von Schwester und Mutter. Die Mutter konnte er wohlversorgt wissen, aber ohne Körper … Ja, das hatte die Familie von Neferhenut sicher am Meisten bedrückt. Sobeknacht hatte den Körper nachbilden lassen, um dem Ka seiner Tochter eine Wohnung zu schaffen, neuartige Bilder in Farbe in seine Opferstelle als zusätzliche Sicherheit. Hatte das Akenptah auch für gut gehalten? Oder hatte er sich etwas anderes gewünscht? In diesem Fall würde Thothhotep gewiss alles getan haben, um seinem geliebten Schützling zu helfen. Jetzt begriff Meruka. Es ging nicht darum Herr der beiden Länder zu werden. Es ging darum Herr der beiden Länder gewesen zu sein. Wenn der Falke zum Himmel flog, wie man den Tod des Königs nannte, setzten komplizierte, altehrwürdige, magische Bräuche ein, die sicher stellen sollten, dass der, nun ehemalige, Horus auf dem Thron der Lebenden, zu seinesgleichen wurde, ein Gott unter Göttern in den nie untergehenden Sternen am Nordhimmel. Der letzte Weg dazu stellte die Pyramide dar, die dies sicher stellte, in alle Ewigkeit. Jeder verstorbene Horus war ein Garant für das Wohl seines Landes und dafür und für alle Einwohner verantwortlich. Nur ein Gott, zu dem ein ehemaliger Horus dann wurde, würde auch ein Ka ohne Körper beschützen können. Akenptah wollte zum Gott werden um seine Schwester zu retten. Und Thothhotep hatte ihm dies zugesagt.   Das allerdings würde bedeuten, dass Thothhotep nicht aufgeben würde. Menhekat befand sich in Gefahr, Menka galt als tot und sollte sich in seinem, Merukas, Haus, erst einmal sicher ausruhen können. Das wiederum bedeutete, dass er alle seine Leute hier benötigte. Rahotep war als Arzt wertvoll, Merit, weil Menhekat zu ihr Zuneigung hatte, Ptahnacht als Wache. Nefer musste hingegen in Sobeknachts Haus bleiben, um ein Auge auf Akenptah zu haben. War er der eigentliche Treiber bei diesem Mordkomplott oder quasi unschuldiger Anstifter? So oder so benötigte er selbst einen Beweis, der nicht nur den tjati, sondern auch und vor allem den Herrn der beiden Länder, überzeugen würde. Er benötigte eine Falle, mit einem sehr guten Plan dahinter, denn Thothhotep war alles andere als dumm. Er schrieb eine kurze Notiz auf einen Kalkstein und rief einen Diener, diesen zu seinem Haus zu bringen. Seine Mutter konnte recht gut lesen, wenngleich weniger schreiben, aber sie würde im Zweifel Merit das geben. Jetzt musste er dringend nachdenken. Außerhalb seiner Gruppe sollte nur der lebende Horus und Hekaptah davon erfahren, wenngleich Sobeknacht natürlich davon in Kenntnis gesetzt werden musste, war er doch der erste Beamte des Landes. Und, es ging um seinen Sohn. Also sollte er nicht zu früh davon wissen. Wer wusste, was Vaterliebe anrichten konnte. Aber wie sollte er selbst Menhekat schützen und gleichzeitig eine Falle aufstellen? Hm. Entweder hatte Thothhotep erneut einen Handlanger oder er musste es selbst tun. Für Letzteres sprach, dass er sich das offenbar giftige Rizinus in das Haus hatte bringen lassen, zu einem Zeitpunkt, an dem er genau wusste, dass Sat-Sachmet, die Haushälterin, und immerhin seine ehemalige Frau, es ganz sicher nicht weiter verarbeiten lassen würde. Er konnte es als Fehler ausgeben und zurück an die Domäne schicken – nachdem er angeblich nachgesehen hatte, ob es wirklich Rizinussamen waren oder nur falsch etikettiert. Damit konnte er ohne jedes Aufsehen das potentielle Gift in seinen Besitz bringen. Dass er um die Gefährlichkeit wusste, war nicht sonderlich überraschend – er hatte Jahrzehnte im Palast verbracht und war sicher auch mit einigen der älteren Ärzte befreundet. Ein Gespräch vor langer Zeit genügte da wohl schon. Wenn er selbst Rahotep richtig verstanden hatte, musste der Samen in die direkte Umgebung von Menhekat gebracht werden, möglichst in dessen Essen oder Trinken. Nein, Trinken war eher unwahrscheinlich, schließlich war das Öl ja wieder vollkommen ungefährlich. Aber Menhekat speiste als Ältester Königssohn doch in er großen Halle, in der Diener und Protokollbeamte aufpassten, wer wann wo saß und was aß. Das Risiko für Thothhotep, der als Vermögensverwalter des tjati zwar in den Palast aus und eingehen durfte, jedoch nicht an der Tafel des Horus saß, wäre ungemein hoch gewesen. In der Küche oder auf dem Weg in den Saal konnte praktisch auch nichts vergiftet werden. Jeder saß vor seinem eigenen Tischchen und die Diener legten jedem Gast von großen Platten oder aus Schüsseln vor. Niemand konnte vorhersagen, wer was bekommen würde. Er brauchte ärztlichen Rat, wobei Rahotep natürlich Recht hatte und die Ärzte Verschwiegenheit schworen, er musste Nefer Bescheid geben, dass sie auf Akenptah aufpassen sollte. Und er musste unverzüglich wissen, wo und mit wem sich Menhekat in den nächsten Stunden aufhalten würde.   Kapitel 24: Vorbereitungen -------------------------- Meruka sandte einen Kollegen aus dem königlichen Schreibbüro zu dem Lebenden Horus, um um eine private Audienz zu bitten. Er wusste nur zu gut, wie eng das tägliche Programm des Garanten der Weltordnung war und hoffte auf dessen Interesse, schließlich hatte der Herr der beiden Länder ja gesagt, er solle ihm Bericht erstatten. Natürlich würde der auf einer Lösung des Zwischenfalls beim Tempel des Sokar bestehen, aber der Ermittler hoffte, dass eine Falle ein guter Lagebericht wäre. Allerdings sollte er sich jetzt beeilen alle Informationen zu erhalten, die er für eine Falle benötigte. Nach einigen Erkundigungen in den Büros des Palastvorstehers und des Leiter des Speisebüros, stand er mit Ptahnacht und Rahotep in einem kleinen Seitengang des Palastes. Von hier aus gingen rechts und links kleine Zimmer ab, die hohen Beamten zugewiesen wurden, die aus dem einen oder anderen Grund kein Haus in der Residenzstadt besaßen. Jetzt standen alle leer, denn das Leben bei Tage war durchaus hektisch und von Arbeit geprägt. „Das hier ist das Zimmer, das Menhekat für die Tage bewohnt, in denen seine eigene Räume entsprechend umgestaltet werden.“ Meruka schlug den Vorhang beiseite. „Nach der Auskunft des Palastvorstehers wird er in drei Tagen in seine ausgebauten Räume zurückziehen können.“ Als Ältestem Königssohn standen ihm ein Vorraum, ein Empfangsraum, ein Schlafzimmer, ein Bad und ein Ankleidezimmer zu, deutlich größer als diese Kammer hier, und größer als der Raum, der ihm als einfachem „Königssohn“ zugeteilt worden war. „Wer auch immer ihn angreifen will, hat also nur noch diese drei Tage.“ „Warum? Ein Attentat könnte doch auch später erfolgen?“ Rahotep blickte sich jedoch unwillkürlich um. „Nicht wirklich.“ Ptahnacht war von der Leibwache des Herrn der beiden Länder und fühlte sich entsprechend etwas angegriffen. „Schon, um hierher zu gelangen, musst du dich auskennen. Aber, die Räume des Ältesten Königssohnes liegen direkt neben den Privatgemächern des Lebenden Horus. Da stehen an jeder Tür Kollegen von mir, eilen Diener herum und Höflinge. Da wird jeder gesehen.“ „Der Gang hier hat allerdings auch nur zwei Ausgänge.“ Meruka deutet vage hinter sich. „Der eine führt in den Vorraum der großen Halle, der andere allerdings in den vorderen Hof. Dort steht ebenfalls ein Türhüter, aber eine Menge Leute sind befugt hier herein zu gehen. Nicht zuletzt alle, die hier Zimmer besitzen. - Ptahnacht, gehe in das Privathaus des tjati und versuche unauffällig Nefer zu sprechen, Gleich, was sonst passiert, sie soll sich in der Nähe von Akenptah aufhalten. Entweder er ist unschuldig, in diesem Fall wäre sie jemand, der bezeugen kann, was er tat, oder aber er ist der Anstifter, in diesem Fall sollte sie zuhören, was er mit Thothhotep spricht. Du dagegen bleibst an Thothhotep dran, für eben diese drei Tage. Du solltest deine Waffen allerdings hier im Palast lassen, griffbereit.“ „Ja, ich bin nur ein einfacher Diener. Oder so. Ich bin schon weg.“ Der Krieger nickte nur und verschwand. Diener fielen in solch großen Haushalten, in denen immer wieder Personal von den Domänen kam und wieder ging, am wenigsten auf. Die Waffen weg, den Armreif weg, eine einfachere Perücke ... Meruka sah zu Rahotep. „Kannst du als Arzt etwas erkennen?“ „Was meinst du?“ fragte der zurück. „Diese Rizinussamen. Ich bin mir sicher, dass Thothhotep sie einsetzen will. Und das Essen bei den gemeinsamen Mahlzeiten zu vergiften, wie auch immer, wäre töricht. Niemand kann vorhersagen, welchen Teil welcher Schüssel, welches Brot, jedem einzelnen vorgelegt wird. Der Wasserkrug dort neben dem Bett wird abends frisch gefüllt gebracht. So etwas?“ „Eher weniger. Die Samen würden aufquellen, ja, aber ich glaube kaum, dass sie dann giftig sind.“ Rahotep musterte den Raum noch einmal genau. Ein Holzbett mit einem Brett am Fußende, oben die persönliche Kopfstütze des Besitzers, angepasst an dessen Schulterbreite, eine leichte Decke, denn der Sommer war vorbei. Auf dem Boden daneben ein tönerner Krug mit einem runden Griff. Wie alle Räume auf dieser Gangseite besaß dieser kein Fenster, denn jenseits der Rückwand befand sich bereits die große Halle. Die Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite verfügten über die schmalen Öffnungen oben an der Wand. Nicht zuletzt deswegen brannte selbst jetzt hier ein kleines Öllämpchen und hüllte den Raum in ein ungewisses Licht. Hinten links ging eine Tür zum Bad ab, getrennt durch einen dichten Vorhang aus Schilf. Wenn Menhekat zurückkäme, würde ein Diener sicher die größere Feuerschale anzünden, die Wärme und Licht spenden würde. Schon jetzt waren am Rand der kleinen Holzstückchen Kräuter aufgelegt worden, die wohltuende Gerüche verbreiten würden. Der Raum war ansonsten leer, vermutlich hatte der Älteste Königssohn für die wenigen Tage seine Garderobe in seinem bisherigen Quartier gelassen und die Truhen nicht mitgenommen. „Lass mir einen Moment, Meruka,“ bat er. „Ich muss nachdenken.“ „Gut. - Der Raum gleich gegenüber wurde vor einer halben Stunde geräumt und steht uns zur Verfügung.“ „Du hast wahrlich gute Beziehungen.“ Der Königliche Schreiber lächelte flüchtig, ehe er hinaus in den Gang trat, da er meinte, Schritte gehört zu haben. Zu seiner gewissen Erleichterung kam Merit. „Schön, dass dich der Bote gefunden hat. Die maat-hor ließ dich gehen.“ „Ja, sie weiß ja Bescheid. Was gibt es?“ Das Mädchen atmete etwas heftiger, sie hatte sich beeilt. Sie trug bereits ein Kleid mit langen Ärmeln, denn es wurde gerade in den Morgenstunden bereits empfindlich kühl. In zwei Monaten würde sie bei Ausflügen außerhalb des Palastes sich lieber Socken und einen Umhang anziehen Der „Monat der Feuer“ war eindeutig der kälteste – aber er zeigte an, dass es bald auf die Ernte zugehen würde. Er kam gleich zur Sache. „In den folgenden drei Tagen, da bin ich sicher, wird ein Angriff auf Menhekat erfolgen.“ Sie holte tief Luft, schwieg jedoch. Gut, sie wurde professionell. „Im Augenblick kommt er seinen Pflichten als Priester der Kronengöttinnen nach, danach wird er in dem Vorbereitungsraum dort Unterricht haben zu eben den beiden Herrinnen, ihrer Geschichten aus Pe-Dep und Nechen, und allen Zeremonien, die ein Herr der beiden Länder durchführen muss. Er sollte Stunden beschäftigt sein. Aber, und das ist mir das Wichtigste: er darf unter keinen Umständen hier erscheinen, ehe wir alles überprüft haben. Gehe in den Garten, du weißt ja, wo das Heiligtum ist, und warte dort einfach. Kommt Menhekat nicht bis ich dich hole, ist es gut. Wenn er jedoch aus irgendeinem Grund früher kommt, lenke ihn ab. Du kennst ihn besser als ich, frage ihn nach seiner Gesundheit, lobe ihn für seine Reaktion, die Schlange zu erschlagen, irgendetwas. Er mag dich ja wohl sehr und wird sich auf ein Gespräch mit dir einlassen.“ Merit seufzte ein wenig, verbarg es jedoch sofort. „Gut. Du holst mich, wenn ihr hier alles überprüft habt?“ „Und ich dem mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund, Bericht erstattet habe.“ „Oh. Natürlich. Verzeih.“ Er durfte mit dem Lebenden Gott direkt sprechen, das sollte sie nie vergessen. „Ich bin dann etwas im Garten.“ „Viel Vergnügen.“ Meruka öffnete den Vorhang des gegenüberliegenden Zimmers. Wie alle auf dieser Gangseite besaß es ein schmales, langes Fenster, durch das Luft und Licht hereinkam. Der bisherige Nutzer war vor einer halben Stunde ausgezogen, da er einen Befehl des Herrn der beiden Länder erhalten hatte, dessen Aufenthalt in seinem Palast bei seiner Pyramidenbaustelle vorzubereiten. Meruka gab zu, dass er nachgeholfen hatte, dass es diesen Beamten traf – aber er hatte nun einmal sein Zimmer benötigt. Und Schreiber, Beamte, waren für jeden Dienst am Herrscher zu nutzen. Er wandte den Kopf, als er den kaum wahrnehmbaren Schritt im Gang hörte und sah hinaus. Ein Kammerherr des Lebenden Gottes kam heran. „Meruka,“ sagte er: „Der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, wünscht dich sofort zu sehen.“ Der Ermittler nickte nur. Den Göttern sei dank hatte er alle Vorbereitungen getroffen. Jetzt benötigte er nur noch die Zustimmung eines Gottes.   Rahotep bemerkte durchaus, dass sein Vorgesetzter ging, aber er hatte einen anderen Auftrag. Zum wiederholten Mal blickte er sich in dem Zimmer um, versuchte sich an alles zu erinnern, was er je über die so heilbringende und doch auch tödliche Pflanze gehört hatte. Würde es wirklich hier ein Attentat auf Menhekat geben? Meruka irrte sich selten und zugegeben, es gab hier die besseren Voraussetzungen, als wäre der erst einmal in seine Räume gezogen. Und, Thothhotep hatte sich Rizinussamen besorgt, er war bei der Sache mit Sennefer mit im Norden gewesen, er war auch mit am Tempel des Sokar gewesen. Gleich. Thothhotep oder ein anderer. Was würde jemand mit diesen Samen anstellen, wenn er nur halbwegs Ahnung von deren Tödlichkeit hatte? Doch in den Wasserkrug stecken? Aber das war riskant. Diese Krüge wurden hier jeden Abend ersetzt und frisch gefüllt. Hm. Im Bad? Aber, was sollt das bringen? Auch da kam das Wasser frisch am Morgen, wurde von Dienern gebracht. In das Essen in der Königshalle, da hatte sein Vorgesetzter recht, war es fast unmöglich etwas zu schmuggeln, vorausgesetzt, man wollte eine bestimmte Person treffen. Es musste hier passieren sollen. Aber wie? Noch einmal drehte sich der Arzt um. Hm. Kein Fenster, ein kleiner Raum. Selbst das Bad relativ dicht mit der Schilfmatte verhängt. Natürlich. Und es war kein Kunststück im Büro des Palastvorstehers herauszufinden, in welchem Zimmer Menhekat vorübergehend untergebracht wurde. Niemand dachte doch an so etwas. Wenn nicht der Attentäter es sogar vermocht hatte, einen Raum auf dieser Seite des Ganges vorzuschlagen. Kein Fenster. Ein kleiner Raum. Der Blick des Arztes glitt noch einmal durch das Zimmer, ehe er hinausging und den Vorhang schloss. Er sollte auf Meruka warten, aber dort drüben, in dem Raum, der ihnen zur Verfügung gestellt worden war, unsichtbar bleiben. Wer wusste schon,was passieren würde.   Meruka erkannte, dass er in den privaten Empfangsraum des Herrn der beiden Länder geführt wurde, wo dieser sich auch mit seinen engsten Beratern traf. In seiner Eigenschaft als Schreiber des privaten Schreibbüros des Lebenden Horus war er oft genug hier gewesen, um Notizen zu machen oder auch Befehle zu schreiben. Dennoch konnte er einen gewissen ehrfürchtigen Schauder nicht unterdrücken, als er erkannte, dass Horus Quahedjet auf seinem Stuhl auf einem Podest saß, Nebhotep, den zweiten Mann der „Getreuen“ als Wedelträger neben sich. Auf den Stufen des Podestes, niedriger, als das im Empfangssaal, waren Gefangene der Neun-Bogen-Länder gemalt, die die Feinde Kemets darstellten, und über die der Herr der beiden Länder so stets triumphierte. Vollkommen automatisch beachtete er das strenge Hofzeremoniell und glitt bereits an der Tür in die Knie, rutschte vor. Hinter ihm wurde die Tür geschlossen – von außen. „Komm, Meruka.“ So gehorchte er, rutschte weiter vor, bis er sich flach zu Boden warf, wie es sich in Gegenwart des Lebenden Gottes geziemte. „Dein Bericht? Und richte dich etwas auf.“ Im solch engem Raum sah der Herr der beiden Länder über das Protokoll hinweg. Es half nichts, wenn er stets nachfragen musste, weil die Berichte in den Boden erzählt wurden. Und er wusste um die Dienste, die ihm dieser Mann schon geleistet hatte. „Wenn man gestattet, so werde ich bereits vor einem halben Jahr beginnen, denn der Zwischenfall am Sokar-Palast begann eigentlich schon viel früher. Zum ersten Mal wurde es aktenkundig, als ein gewisser Sennefer, ein junger Leiter einer königlichen Domäne verschwand. Hier in Ibenu-hedj.“ Er berichtete davon, dass die Suche eingestellt wurde, von Chnummose, der sich an den tjati wandte, da sein Vermögensverwalter Menmire verschwunden war, den Ermittlungen und der schließlichen Festnahme des Wirtsehepaares. „Dennoch war klar, dass jemand, ein hoher Beamter, in die Sache verwickelt sein musste. Baket-bes ist eine törichte Frau, und sie wird dafür bezahlen, aber auch die angeblichen Wachen des Königs glaubten ja offenkundig im Auftrag des tjati zu handeln. In Menmires Papieren fanden wir einen Brief von Sennefer, dass der etwas entdeckt habe, und sich großen Hoffnungen darüber machte. Ich fuhr nach Iunu, die Schule, in der die beiden gewesen waren. Beide stammten aus einfachsten Verhältnissen und beide waren nur miteinander befreundet. Unmöglich, dass Sennefer an der Schule etwas mitbekommen haben könnte, unmöglich aber auch, dass er etwas wirklich Wichtiges auf der neuen Weinplantage, die ihm nun unterstellt war, erfahren hatte. Es konnte also nur auf der Reise nach Norden, an Bord des Schiffes des tjati, passiert sein. Außer Sobeknacht selbst und seinem Sohn Akenptah befanden sich einige wichtige Mitarbeiter seines engsten Umfeldes mit an Bord. Nur von denen kam jemand in Betracht. Sennefer war unerfahren, aber er hätte keinem Ruderer oder einfachem Bauern bei einer Landung in einem Dorf zugetraut ihn zu fördern.“ Meruka berichtete von der Halskette, die er für die erste Falle hielt, von der Rückfahrt nach Iunu, wo der Unbekannte wohl die Sandläufer im Namen des tjati bestellt hatte, um den Jungen zu töten. „Ich fragte mich lange, was Sennefer mitbekommen haben könnte, dass der Unbekannte zu solch drastischen Maßnahmen griff. Aber ich betrachtete das näher kommende Fest des Sokar mit Bedenken. Der Ablauf aller Feste ist stets gleich, so entspricht es der Maat. Ein Fest, abseits und in der Wüste … Ich war allerdings überrascht, dass es sich um eine Schlange handelte, aber dann wurde mir klar, dass es in allen Dörfern Schlangenbändiger gibt. Ich vermute, Sennefer bekam etwas von der Unterhaltung des hohen Beamten mit dem Schlangenbändiger mit. Und der Beamte wiederum bemerkte das. - Menka befindet sich in meinem eigenen Haus und erholt sich rasch. Aber, da der Eindruck erweckt wurde, er sei tot, wird sich der nächste Angriff auf Menhekat richten.“ „Warte.“ Der Herr der beiden Länder sagte es nur halblaut. „Wer ist es, der meine Söhne töten will, um selbst diesen Thron zu besteigen?“ „Er will ihn nicht selbst besteigen. Er will, dass Akenptah das tut.“ „Thothhotep?“ Ein wahrer Gott erkannte natürlich dies. „Ich bin mir bewusst, dass er einst mit dem tjati, mit Sobeknacht, mit Hekaptah und allen in die Schule ging, dass er ein guter, alter, Bekannter ist. Aber, da war auch noch die Sache mit dem Rizinus.“ Er berichtete. „Falls Thothhotep unschuldig ist, hat sich jemand überaus große Mühe gegeben, ihn zu verdächtigen. Ich weiß nicht, was von Akenptah zu halten ist. Aus diesem Grunde habe ich eine Falle aufgestellt. Wer auch immer in Menhekats Zimmer geht und dort etwas verändert oder sich verbergen will, wird gefasst. Zeitgleich beobachten zwei meiner Leute Thothhotep und Akenptah. Sind sie unschuldig, werden sie es bezeugen können. Ich darf nur bitten, mir noch einige Krieger zur Verfügung zu stellen, falls es notwendig werden sollte.“ Horus Quahedjet nickte. „Ich dachte es mir bereits. Nebhotep, übernimm das. Ihr beide bewahrt Stillschweigen. Geht.“ Unter tiefen Verneigungen zogen sich die Höflinge rückwärts zurück.   In einem Seitenzimmer der großen Halle blieben Meruka und Nebhotep stehen. „Wie viele Männer benötigst du?“ erkundigte sich der Wedelträger. „Ptahnacht überwacht Thothhotep. Mindestens zwei noch. Es sei denn, du willst selbst dabei sein.“ Nebhotep lachte fast auf. „Nett, dass du mich mit zwei Männern vergleichst. Aber du hast recht. Es sollten so wenige wie möglich davon wissen. Ptahnacht kann man vertrauen. Wie genau sieht deine Falle aus? Jeder, der in das Zimmer Menhekats geht, wird festgenommen?“ „Ja, aber das ist nur der erste Teil. Wir müssen herausbekommen ob Thothhotep UND Akenptah schuldig sind, wenn nein, welcher von beiden. Deswegen habe ich dann auch einen netten Aufenthaltsort für dich.“ Meruka blieb ernst. „Es kann sich nur um diese drei Tage handeln.“ „Im Auftrag des Herrn der beiden Länder.“   Als die beiden Männer zu Menhekats Zimmer zurückkehrten, warfen sie zunächst dort einen Blick hinein. Da es vollkommen leer war, aber auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges der Rollvorhang des dortigen Zimmers etwas gelüftet wurde, schlüpften sie rasch hinein. „Rahotep ist einer der königlichen Ärzte, Nebhotep. Ich denke, ihr kennt euch. - Rahotep, hast du eine Idee gehabt?“ „Leider.“ Der Arzt setzte sich auf das Bett und wies in dem Zimmer umher. „Was fällt euch hier an Unterschieden zu dem Raum von Menhekat auf?“ „Es gibt ein Fenster,“ erwiderte Nebhotep sofort, der das als gewisse Prüfung verstand. „Darum brennt hier momentan auch keine Öllampe. Aber, warum meinst du „leider“?“ Meruka dachte noch einmal nach. „Nebhotep hat recht. Aber, auch hier, die Feuerschale wurde noch nicht gefüllt. Verständlich, denn der Raum gilt als unbewohnt, während drüben der Älteste Königssohn vorübergehend einquartiert ist.“ „Ja.“ Rahotep atmete durch. „Wie ich Meruka schon des Öfteren mitteilte, ist es mir natürlich als Arzt verboten Rezepte und anderes an Nichteingeweihte zu verraten. Dennoch kann ich so viel dazu sagen: die Feuerschale drüben ist mit Tamariskenholz gefüllt, das außerhalb der Stadt gesammelt wurde, Kräuter liegen dort. Wenn Menhekat kommt, wird sie sicher entzündet. Er geht ins Bad, mit dem Öllämpchen, wird dort entweder ausgekleidet oder tut es selbst, aber es wird immer noch ein Diener dabei sein. Dieser geht dann und lässt den Vorhang an der Tür sorgfältig hinab. Das Öllämpchen wird gelöscht sein. Menhekat legt sich ins Bett. Der Raum ist klein und der Kräuterduft wird ihn bald komplett ausfüllen ...“ „Bei Sachmet!“ entkam es Nebhotep. Meruka war sachlicher. „Rizinus kann auch gefährlich sein, wenn er verbrannt wird?“ „Er kann, ja. Das hängt von der Dosierung ab. Jedenfalls ist ein kleines Zimmer ohne Fenster gefährlicher als eines mit einer Öffnung. Da passiert sicher nichts. Und darum, Nebhotep, meinte ich zuvor „leider“. Denn diese Informationen kann Thothhotep, oder wer auch immer, nur von einem Arzt erhalten haben.“ „Er ist ein alter Mann, vertraut mit den ranghöchsten Beamten und Königssöhnen,“ meinte Meruka prompt. „Ein Gespräch vor Jahren, womöglich in völlig anderem Zusammenhang, das ihm nun wieder in den Sinn kam, würde ja schon reichen. Gleich. Wer auch immer in das Zimmer geht und sich an der Feuerschale zu schaffen macht, wird verhaftet. Womöglich wurde wieder ein an sich harmloser Mann, wie der Schlangenbändiger, angeblich im Auftrag des tjati überzeugt. - Bleibt ihr beide hier. Ich werde Merit informieren, dass sie erst morgen wieder benötigt wird, wenn ich das Tagesprogramm Menhekats kenne. Die maat-hor wird ihre Schreiberin schon vermissen.“   Als Nebhotep mit dem Arzt allein war, setzte er sich neben diesen auf das Bett. „Merit? Er meint Meresanch?“ „Ja.“ „Sie arbeitet in dieser Sache auch für ihn?“ „Befehl des Lebenden Horus.“ „Schon gut, ich frage nicht weiter.“ Aber der zweite Mann der Leibwachen lächelte. „Oh, ja, ich hörte bereits, Menhekat würde sie gern sehen ...“   Kapitel 25: Die Falle --------------------- Merit nickte nur, als ihr Meruka sagte, sie werde erst morgen wieder benötigt. „Dann sind es noch zwei Tage,“ sage sie allerdings. „Wäre es nicht sinnvoll, dass er erneut umzieht? Der eigentliche Palast und seine umgebenden Häuser sind doch wie ein Irrgarten.“ „Nein, die Gefahr bleibt ja. Jemand, der zwei oder drei Morde geplant hat, um sein Ziel zu erreichen, wird nicht aufhören. Das wäre unwahrscheinlich. Und Menhekat ist erst in Sicherheit, wenn der Attentäter gefasst ist. - Geh in den ipet, und sage der maat-hor unter vier Augen, dass du morgen erneut weg müsstest. Jetzt hast du Dienst bei ihr.“ „Dann hoffe ich, dass ihr bald den Attentäter fasst. Menhekat ist ein netter Kerl, wirklich.“ Ja, dachte Meruka, als er ihr nachsah, und er ist der Falke im Nest. Diese Kleinigkeit schien sie für ihre alte Freundschaft zu vergessen. Nun gut. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. So bat er einen vorbeikommenden Diener des Speisebüros für ihn und Nebhotep sowie einen Arzt eine kleine Mahlzeit in den Raum zu bringen, der ihnen zugewiesen worden war. Sie durften von ihrem Beobachtungsposten erst einmal nicht weg. Nicht einmal, um im Saal mit dem mächtigen Horus selbst zu speisen. Erst, wenn Menhekat unbeschadet in seinem Zimmer war, konnten sie sich ebenfalls notdürftig hinlegen – mit immer einem von ihnen als Wächter.   Nach dem etwas dürftigen Essen, zumal, wenn man bedachte, dass sie im Palast saßen, meinte Nebhotep: „Meruka, was planst du, wenn niemand kommt? In allen drei Tagen?“ „Dann habe ich ein Problem,“ gestand der Ermittler. „Denn dann müssten wir unsere beiden Hauptverdächtigen permanent beobachten, aber dazu auch noch ein oder zwei andere hohe Beamte, die für mich als Verdächtige nur in der zweiten Reihe platziert sind. Aber es darf Menhekat nichts zustoßen. Sicher vor diesem Anschlag ist er erst, wenn er selbst durch die geheimnisvollen Zeremonien der Krönung und Thronbesteigung zu einem Gott geworden ist. Aber wir werden ihn beschützen. - Weiß eigentlich Akensekmet, als Vorsteher der Wachen, wo du bist?“ „Nein, denn er ist im Auftrag des mächtigen Horus mit fünfzig Männern in die Westwüste gegangen, um die Wege zu den Oasen zu überprüfen. Der tjati meldete vor einigen Tagen, Sandleute hätten eine Patrouille unserer Sandläufer überfallen und getötet. Das haben sie bestimmt gemacht, weil sie auf dem Rückweg von einem Überfall auf ein Dorf waren. Sie müssen gestellt werden. Eine zweite Gruppe aus Sandläufern soll zu Akensekmet stoßen, an einem Wasserversorgungspunkt. Du weißt.“ Entlang der Wüstenrouten befanden sich in regelmäßigen Abständen hohe Steinhaufen, die innen mit Amphoren voll Trinkwasser gefüllt waren. Jede Handelskarawane brachte Ersatz mit und füllte das auf, auch die Sandläufer versorgten so die Reisenden. Jeder Bürgermeister und Dorfvorsteher, jeder Domänenverwalter, war verpflichtet, gebrauchte Amphoren bei den entsprechenden königlichen Schreibern abzuliefern. In der Wüste freilich wurden sie nach Gebrauch zerschlagen, da niemand solche Leergut mitnehmen konnte und wollte. So erhöhten sich die steinernen Merkmale an den Wegen um Scherben.   Eilige Schritte im Gang ließen die drei Männer aufhorchen, zumal sie vor der gegenüberliegenden Tür, dem Raum Menhekats, stehenblieben. „Meruka!“ zischte jemand. „Hier, Ptahnacht.“ Der so Angesprochene hob den Vorhang etwas. „Was ist geschehen?“ Der Krieger neigte höflich den Kopf vor seinen beiden Vorgesetzten. „Ich hatte Nefer gerade deinen Auftrag gesagt, als Thothhotep nach einer Sänfte für den jungen Herrn verlangte. Nefer wollte sich ihm dann anschließen und so blieb ich in Sichtweite zu dem Hausvorsteher des tjati, war dann jedoch verwundert, dass eine zweite Sänfte kam. Kurz, alle beide ließen sich in den Palast tragen und befinden sich momentan beim tjati. Nefer zieht sich rasch etwas um, ich habe mir meine Waffen geholt, so dass wir auf den ersten Blick nicht als die Dienstboten von vorher zu erkennen sind. Weitere Anweisungen?“ „Bleibt an ihnen dran. Weißt du, was sie von Sobeknacht wollen?“ „Nefer meinte zu mir, auf dem Weg her, dass Akenptah schon den ganzen Tag unruhig wäre, auch unruhig geschlafen habe. Sie hatte das Gefühl, als habe er etwas auf dem Herzen. Vielleicht eben diese Audienz bei seinem Vater?“ „Wir werden sehen. Geh jetzt hinaus.“ „Warte, Ptahnacht,“ meinte Nebhotep. „Wer ist der Türhüter vorne zum Hof?“ „Anchhori.“ „Gut.“ Als der Krieger verschwunden war, sah der Wedelträger zu dem Sonderermittler. „Was meinst du, soll ich den Türhüter wegschicken? Er wird froh um die Pause sein, aber wir machen es einem, doch Fremden, einfacher diesen Gang zu betreten.“ „Ja, ein guter Einfall.“ Meruka war zu nüchtern, um sich zu ärgern nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein. Überdies war der momentane Befehlshaber der Getreuen sicher unauffälliger. „Sage ihm, er hat dann frei. Die Wachen werden doch zum Essen gewechselt?“ „Ja.“ Immerhin etwas. Das waren noch gut drei Stunden, in denen es einem Täter möglich wäre sich hier einzuschleichen. So blickte Meruka beiseite. „Rahotep, leg dich einstweilen hin. Du warst wegen Menka doch einige Nächte wach.“ „Stimmt, danke.“ Der Arzt legte sich auch sofort nieder. Zwar war er gewohnt auch manchmal im Sitzen zu schlafen, aber so war es doch deutlich angenehmer.   Nefer hatte sich inzwischen rasch in dem verborgenen Zimmer neben den Büros des tjati umgezogen, und kaum jemand hätte in der Frau mit Hofperücke, bodenlangem Leinenkleid und sechs Armreifen jeweils vom Handgelenk bis zum Oberarm, um den Hals eine Menitkette, in der Hand ein Sistrum, die heiligen Musikinstrumente, etwas andere als eine Priesterin vermutet. Sie ging, getreu ihres Auftrags nahe an Akenptah sein zu sollen, in das große Hauptbüro des tjati, wo sie prompt ein Schreiber aufhielt. „Was möchtest du?“ Sie warf einen Blick auf die Estrade im Hintergrund, wo Sobeknacht saß, seinen Sohn und dessen Lehrer vor sich, und denen zuhörte. Leider konnte sie so nichts verstehen. Aber Akenptah berichtete seinem Vater offensichtlich etwas. Oder beichtete es ihm. „Oh, ich bin Nefer, die Wärterin des Apis-Stieres, er möge leben. Ich soll neue Sistren bestellen. Aber da bin ich wohl hier falsch?“ „Ja, in der Tat. Da musst du hier wieder hinaus gehen, nach rechts in die Magazinverwaltung.“ „Danke.“ Sie lächelte etwas. „Der Palast des mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund, ist wahrlich riesig.“ Oh, der tjati sagte etwas zu Thothhotep, der verneigte sich und stand auf. Nun gut, das war Ptahnachts Fall, sie sollte sich um Akenptah kümmern. So würde sie in die Magazinverwaltung gehen, schon, um einen weiteren Grund zu haben, hier etwas länger sich aufzuhalten. Dort warteten in aller Regel einige Menschen, bis sie drankamen. Während sie wartete, stellte sie fest, dass auch Thothhotep sich eingereiht hatte. Hier, zur königlichen Magazinverwaltung kamen nur hohe Beamte und Priester, jeweils im Rahmen ihrer Pflichten. Nun ja, dann wäre Thothhotep zumindest einstweilen beschäftigt. Ein weiterer Blick herum verriet ihr, dass ihr Kollege neben der Tür stand, ganz aufmerksam in seiner Rolle als Wache des Horus. Niemand würde einen zweiten Blick auf ihn werfen, schließlich gab es genug Torhüter und Wachen im Palast. Nefer fühlte sich allerdings nicht mehr so allein, wie die vergangene Tage im Haus des tjati. Es war doch ein Unterschied ob ein Partner in der Nähe war oder man ganz allein agieren musste. Einsam war sie Jahre gewesen – und, aber das gab sie nur sich selbst zu, sie wollte es nie wieder sein. Sie hoffte ja, dass niemand das wusste, aber bei ihrem Vorgesetzten war das wohl vergeblich. Meruka neigte dazu Leute zu durchschauen.   Nebhotep sah zu dem schlafenden Arzt, ehe er leise meinte, auch auf die Gefahr hin sich zu wiederholen: „Meruka, du wirst es sicher wissen, aber – was machen wir, wenn nichts passiert?“ „Warten. Ich kann nur sagen, dass es in diesem Zeitraum von drei Tagen passieren kann, mit hoher Wahrscheinlichkeit. Eine bessere Möglichkeit wird ein Attentäter nicht finden. Aber es ist nicht gesagt, dass es sofort geschieht, auch nicht morgen. Wenn Menhekat in seinem Zimmer ist, kannst du, kann Rahotep, gehen. Ich werde zur Sicherheit hier bleiben. Dann sind auch vor den Türen des Ganges die Nachtwachen, alle Zimmer hier belegt. Das wäre ein unglaubliches Risiko. Morgen, wenn die Sonne aufgeht, werden die Diener kommen und alle wecken. Dann solltet ihr beide auch wieder hier sein, spätestens, wenn Menhekat zu seinen Pflichten geht. Dabei ist er jetzt ja stets von Menschen umgeben. Schwierig, ihn da anzugreifen, zumal seine Reaktion die Schlange am Tempel des Sokar zu erschlagen, auch dem Attentäter bekannt sein dürfte.“ Der Sonderermittler lächelte etwas. „Nebhotep, du warst mit auf manchem Feldzug des Horus. Du weißt, dass es manchmal besser ist abzuwarten als anzugreifen.“ „Ja, natürlich. Und du brauchst Beweise. Der Lebende Gott, der tjati und wohl auch Sobeknacht verlangen das bei einem alten Freund.“ „Und die maat.“ Meruka klang leicht unwillig. „Und die Weltordnung, ja.“ Der Wedelträger hatte die Verstimmung bemerkt. Er selbst neigte eher zu einer praktischen Lösung und hätte wohl Thothhotep einfach festgenommen – auch, wenn der unschuldig sein sollte, das gab er zu. Den Sohn des tjati zu verhaften war schon eine heiklere Sache. Nun ja, vermutlich hatte Meruka recht und sein Plan wäre besser. Aber es ging ihm auf die Nerven einfach nur da zu stehen und nichts zu tun. Der Sonderermittler lächelte etwas. „Weißt du, Nebhotep, ich wäre schon sehr zufrieden, wenn ich wüsste, dass Menhekat und auch Menka nichts mehr zustoßen kann. Das WER ist dann eigentlich nur der Bonus für die Weltordnung, denn jemand, der auf solche Listen, ja, Morde, sinnt, sollte nicht unter den Lebenden wandeln.“ Und auf Mord stand nicht nur der vorübergehende Tod sondern der ewige – alle Erinnerungen, auch in allen Gräbern, wurden ausgelöscht, der Name verboten, die Kinder, so es sie gab, durften nicht mehr den Beruf des Vaters ausüben ... eine ewige Strafe. Jeder sollte sich dessen bewusst sein, erst recht Leute wie Thothhotep und Akenptah, die als Schreiber doch jahrelang ausgebildet worden waren.   Drei Stunden später fand sich Meruka allein im Zimmer. Diener und Beamte waren fast lautlos über den Flur gekommen, Rahotep und Nebhotep gegangen. Der Sonderermittler warf einen Blick vorsichtig unter dem Vorhang hinaus. Ja, auch drüben bei Meruka brannte jetzt die Feuerschale, hüllte dessen Zimmer, ebenso wie die anderen, in Wärme und Licht. Der gesamte Flur flackerte in den Reflexen, die unter den Türvorhängen hervordrangen. Aber es war still hier. Die Meisten der Beamten würden sich schon hinlegen. Die Tage im Palast waren lang und anstrengend. Einige natürlich würden noch einen Brief an zuhause schicken, ihre Familie informieren, wann sie kämen oder ähnliches. Aber er hatte eine Aufgabe – und er würde den Herrn der beiden Länder nicht enttäuschen. So sah er noch einmal nach, ob er unbeobachtet war, ehe er quer über den Flur huschte und in Menhekats Kammer ging. Der Königssohn saß auf dem Bett, fuhr jedoch sofort auf, entspannte sich dann. „Mer ...“ Dieser legte hastig die Hand auf den Mund um Schweigen anzudeuten und kam näher. „Ich möchte heute Nacht hier schlafen,“ flüsterte er. Menhekat seufzte, gab aber ebenso leise zurück: „Wenn die Sache mit der Schlange nicht gewesen wäre … Wie geht es meinem kleinen Bruder?“ Meruka stutzte nur kurz. Wenn Menhekat Bescheid wusste, konnte er es nur von Hekaptah oder gar vom Lebenden Horus erfahren haben. „Das kann ich dir in drei Tagen sagen.“ Menhekat nickte. „Das ist also die Zeit, in der auch ich noch in Gefahr bin?“ Da der Königliche Schreiber zustimmend den Kopf neigte, seufzte er erneut. „Ich verstehe es nicht. Wer riskiert so viel – für so wenig.“ „Wenig würde ich den Thron der Lebenden nicht nennen.“ Meruka setzte sich auf den Boden neben das Bett. „Ich werde hier schlafen.“ Menhekat machte eine einladende Geste, ehe er sich hintenüber fallen ließ, und eines der Kissen nahm. „Hier,“ flüsterte er. „Und, danke.“ „Für die Maat.“ Aber Meruka nahm das Kissen und legte sich nieder auf den Boden. Er hatte schon unbequemer geschlafen. Aber er wusste, er hatte einen leichten Schlaf und würde jeden Eindringling hören. Allerdings auch die Geräusche des erwachenden Palasts, so dass er rechtzeitig hier wieder verschwinden konnte. „Ja,“ gab Menhekat leise zurück. „Du und wenige andere, auf die man sich verlassen kann.“ Und er dachte: „Wenn ich je den Thron der Lebenden besteigen kann, dann auch wegen dir. Und das werde ich nie vergessen.“   Meruka erwachte von den Schritten der Wachablösung, dem Rattern der ersten Karren und fuhr auf, verschwand lautlos dann in das gegenüberliegende Zimmer. Menhekat hörte auf zu schlafen, aus ähnlichen Gründen, und fand sich allein – aber nicht unbeschützt, wie er wusste. So lächelte er dem eintretenden Diener mit zwei Amphoren zu. „Ah, Wasser. Danke. Ich gehe dann in das Bad.“ Waschen, Zähne putzen, sich einölen, die tägliche Morgenroutine eines jeden Menschen in ganz kemet. Der Unterschied lag nur in der Qualität des Öls oder des Natrons. Wenn er aus dem Badezimmer kam würde das „Mundwaschen“, das Frühstück, bereits auf ihn warten. Schon bald würden die Hofbeamten kommen, die ihn zu dem Lebenden Gott begleiten würden, sein neuer Tagesablauf beginnen.   Rahotep war auf dem Weg in das kleine Zimmer, als er erstaunt seinen Kollegen erkannte. „Ptahnacht? Ist Thothhotep etwa schon wieder hier?“ „Nein,“ gab der Krieger zurück. „Aber ich habe Nachricht für Meruka. Ich muss dann zurück als Diener in das Haus des tjati“ „Interessant? Na, dann komm. Oh, da kommt auch schon Nebhotep. - Guten Morgen, Wedelträger.“ Nebhotep nickte beiden zu, ohne erkennen zu geben, dass ihn Ptahnachts Anwesenheit überraschte – negativ. Auch Meruka war alles andere als begeistert, grüßte die drei Männer jedoch. „Schön, dass ihr alle schon hier seid. - Ptahnacht?“ „Als Thothhotep und Akenptah gestern nach Hause zurückkehrten, hörte Nefer, wie der Junge sagte, sein Vater habe ihm seinen größten Lebenswunsch erfüllt. Was das aber war, weiß sie nicht. Nur, dass er es bald geschafft habe.“ „Sein Vater? Der tjati? Sobeknacht?“ erkundigten sich die anderen Drei fast gleichzeitig. Der Krieger zuckte die Schultern. „Mehr wusste sie nicht.- Ich bin gestern Thothhotep auf seinen Wegen durch den Palast gefolgt. Er war in der Magazinverwaltung, in der Protokollabteilung, in der Nahrungsverteilung – nichts, was nicht zu seinem Aufgabengebiet gehören würde. Soweit ich zuhören konnte, war er auch nur dienstlich unterwegs. Er fragte nach Sendungen, Lieferungen und so weiter. Wirklich nichts, was nie einem Haushofmeister auffallen würde. Bist du sicher, Meruka? Ich meine, du irrst dich eigentlich selten ...“ „Sicher, nein. Aber ich bin dabei mein Leben darauf zu setzen.“ Der Sonderermittler sah in die Runde. „Eures auch, übrigens, aber das ist euch bewusst. - Ja, er ist der Haushofmeister des tjati, ein alter Bekannter von vielen, und er kann Fragen stellen – die bei jedem anderen auffallen würden. Konnte er auf diese Weise herausfinden, wo Menhekat schläft?“ „Ich kann nur sagen, dass er nicht direkt nach ihm fragte,“ gab Ptahnacht zur Antwort. „Aber ja, natürlich, er wollte einige Informationen, aber ich bin sicher, dass das niemandem auffallen würde.“ „Er dürfte einer der wenigen Menschen sein, bei denen das nicht auffällt. Und die Hauptfrage für uns ist – macht er das von sich aus oder hat Akenptah trotz seiner Jugend die Finger im Spiel? - Ptahnacht geh, bleib bei Thothhotep und Nefer bei Akenptah. Um was handelte es sich bei seinem Lebenswunsch? Ich werde mich um Menhekat kümmern und ihn bewachen. Das Zeitfenster sind nur noch zwei Tage. Geduld und Ruhe sind nun das Wichtigste für uns.“ Hatten sie die Beiden, das wäre am Besten, auf frischer Tat ertappt, würde hoffentlich seine Falle funktionieren, sie sich selbst demaskieren. Und erst dann würden auch Sobeknacht, Hekaptah und vor allem natürlich der Lebende Gott überzeugt sein. Wobei, das gab Meruka zu, der tjati wohl nur bei Unschuld seines Sohnes wahrlich zufrieden wäre. „Nebhotep, wie sieht es tagsüber mit den Wachen aus?“ „Ich habe niemanden an die Tür zum Hof beordert,“ gab der zweite Man der Getreuen zu. „In der großen Halle muss jemand stehen. Aber, wenn ein Fremder hier herein möchte, muss er das sowieso unauffälliger über den Hof tun. Die Halle ist noch einmal mehr beschränkt vom Zutritt her.“ Ja, das war klar. Im Palast herrschten strenge Zugangsregelungen. Allerdings waren hochrangige Beamte des tjati oder auch sein Sohn doch vielen bekannt und so mancher Wächter würde sie durchlassen, gaben sie an im Auftrag des obersten Beamten zu handeln. Letzten Endes war ja wohl so auch Sennefer verstorben, der Schlangenbändiger überzeugt worden. Menschen dachten oft nicht genug mit – oder hatten zu viel Angst vor negativen Folgen für sich selbst. „Gut. Dann werde ich mir im Hof eine schöne, übersichtliche Stelle suchen. Rahotep, du bleibst hier. Wenn jemand in Menhekats Zimmer geht, solltest du es überprüfen, gleich, ob es nur ein Diener zu sein scheint oder sonst wer. Nebhotep, du bleibst ebenfalls hier. Wenn Thothhotep oder Akenptah das Zimmer betreten – sofort festnehmen, ebenso einen nur scheinbar harmlosen Diener, wenn Rahotep etwas findet.“ Er wartete das Nicken der zwei Männer ab, ehe er hinaus in den Gang trat und in den vorderen Hof ging.   Kein Türhüter, gut. Vor ihm und rechter Hand lagen die Büros der königlichen Verwaltung, des tjati und das höchste Gericht des Landes, ebenso der Zugang zum Palast, den Besucher benutzen sollten. Dort befanden sich zwei Wachen und ein so genannter Wärter, der Beamte und andere Besucher durch die Gänge führte und dabei instruierte, wie sie sich zu benehmen hatten. Schließlich waren Leute aus den entfernteren Gegenden bei weitem nicht so mit dem Hofprotokoll vertraut. Auch, wenn eine Reisebereitschaft und Flexibilität von allen Schreibern und Beamten erwartet wurde. Nach links dehnte sich der Hof zu einem Portal des ipet, ebenfalls mit Wachen bestückt. Hinter ihm, zum Palast hin, befand sich allerdings ein kleiner, bewässerter Garten, in dem Dumdum-Palmen und Sykomoren Schatten boten. Dies sorgte auch dafür, dass die große Halle in dieser Richtung kühlere Luft durch die oberen Fensteröffnungen erhielt. Ein hübscher Platz um zu warten, dachte er, und ging hinüber zu dem Wasserbecken, setzte sich dort hin. Es mochte ein langes Warten werden. „Guten Morgen, Meruka.“ Er sah auf. „Merit.“ „Ich wollt gerade zu dir, aber dann sah ich dich hier. Was soll ich tun?“ „Setz dich zu mir. Ich hoffe, die Leute denken dann an eine andere Art der Unterhaltung. Wie steht es im ipet?“ „Gut. Die maat-hor ist natürlich ein wenig besorgt, da sie ahnt, dass etwas mit den Königssöhnen ist, aber sie fragt nicht. Wann können Menka und Ka-merit zurück?“ „Übermorgen. Ich hoffe, dass wir bis dahin den oder die Täter haben.“     Kapitel 26: Geduld ------------------ Nefer war es gelungen in den privaten Gang des Hausherrn und seines Sohne zu gelangen. Um ihre Anwesenheit zu erklären, fegte sie eifrig die Fliesen und arbeitete derart minutiös, dass selbst Sat-Sachmet, die Haushälterin, die auf einem Kontrollgang vorbeisah, sich nicht wunderte, dass sie hier war sondern nur die Arbeit abnickte. Tatsächlich versuchte die Ermittlerin jedoch zu hören oder zu sehen, was Akenptah trieb. Außer, dass er im Bad gewesen war und gefrühstückt hatte, hatte sie jedoch nichts mitbekommen. Das würde sich bald ändern, erkannte sie, als sie den Haushofmeister in den Flur kommen sah. Eilig wich sie etwas zurück und schwang den Besen. Thothhotep warf ihr keinen Blick zu. Überall im Haus gab es Personal, das putzte, Öl nachfüllte, den Tisch deckte oder Kleidung sammelte, um dies im Fluss zu waschen, als er in das Schlafzimmer Akenptahs ging und die Matte hinunterließ. Nefer fegte sofort deutlich näher, um zuhören zu können, zumal sie erkannte, dass ihr Kollege Ptahnacht dem Hausverwalter gefolgt war und ebenso in den Flur ging, sich jedoch dezent zurückzog, da er sie dort sah. „Was hast du vor?“ Thothhotep klang besorgt. „Du hast nach einer Säfte geschickt. Willst du nochmals mit deinem Vater reden?“ „Ach, nein. Ich habe hier einen Brief eigenhändig geschrieben, den möchte ich sicher Menhekat zukommen lassen.“ „Menhekat? Warum um Ptahs Willen denn das?“ „Ich möchte mich von ihm … Nun ja, eigentlich möchte ich mich bei ihm bedanken. Und es ihm erklären.“ „Warum schickst du keinen Diener? Es ziemt sich doch nicht selbst Briefe durch die Gegend zu tragen ...“ In Thothhoteps Stimme lag eine gewisse Emotion, die Nefer jedoch nicht deuten konnte. „Nein, ich gehe in sein Zimmer und mache das selbst.“ „Das macht man doch nicht!“ „Ich werde es tun.“ „Ich werde es für dich tun, Akenptah. Ich weiß zwar nicht, was in dich gefahren ist, aber ...“ „Ich will es selbst machen! Ich werde mich durchfragen, bis ich weiß, wo Menhekat im Moment schläft und ihm das auf das Bett legen.“ Thothhotep schien zu seufzen. „Nun gut. Ich weiß, in welchem Zimmer er momentan untergebracht ist, müsste mich jedoch noch einmal zur Sicherheit erkundigen. Machen wir es so: wir lassen uns gemeinsam in den Palast tragen und ich erkundige mich. Dann gehen wir zu dem Trakt und am Beginn des Flures gibst du mir das selbst. Wenn mich ein Diener trifft, kann ich mich mit deinem Befehl herausreden. Aber du begehst keinen Bruch der Sitte, der dir irgendwann einmal schaden könnte.“ „Siehst du das nicht zu eng, Thothhotep?“ Akenptah klang seltsam zwischen Zorn und Resignation schwankend. „Nein, und du solltest das wissen. Was auch immer in der Zukunft liegt – schon eine Heirat mit einer Königstochter, die dir zusteht, ist dein Vater doch ein Königssohn, ist nur möglich, wenn du einen tadellosen Ruf hast.“ „Oder der Herr der beiden Länder bin.“ Der Junge klang spöttisch. „Na schön. Lass zwei Sänften holen. Ich will, dass dieser Brief ohne Zwischenfall zugestellt wird.“ Nefer hörte Schritte und machte, dass sie selbst möglichst lautlos aus dem Flur huschte, um Ptahnacht, der dort wartete, hastig zu erklären. Eines der Dinge, die Meruka seinen Leuten beigebracht hatte, war, dass Informationen immer möglichst rasch zumindest an einen Partner, wenn nicht schon an ihn als Leiter weitergeleitet werden sollten, um zu verhindern, dass ein Geheimnis nur durch die Vergesslichkeit oder im schlimmsten Fall den Tod eines Kollegen auch immer eins bleiben würde. „Ich folge ihnen,“ hauchte der „Getreue“mehr als er es sagte, da er ihre beiden Zielpersonen erkannte. Nefer hätte fast geseufzt, aber es war nur logisch. Sie fegte eilig weiter. Beide zusammen würden sie auffallen, und wenn doch etwas gegen den Ältesten Königssohn unternommen werden sollte, war Ptahnacht sicher deutlich besser zu gebrauchen als eine Sängerin des Apis. Sie wäre nur auch gern einmal beim Ende eines Falles selbst dabei gewesen. Aber kämpfen, noch dazu mit einem Dolch oder einer Lanze, gehörte eindeutig nicht zu ihren Fähigkeiten.   Da Ptahnacht wusste, wohin die beiden vornehmen Herren sich tragen lassen wollten, wartete er nicht, sondern sah zu, dass er so rasch wie möglich in den Palast gelangte. Die Wachen am Tor waren Kollegen und ließen ihn ohne Weiteres ein, so dass er die kleine Tonmarke gar nicht vorzeigen musste. Im Vorhof blickte er sich hastig um, vermutete jedoch, dass Meruka wie gestern schon in dem kleinen Raum gegenüber Menhekats war. In wenig überrascht sah er ihn dann in dem kleinen Garten neben Merit sitzen, ging aber hin. Meruka bedeutete dem Mädchen aus dem ipet eilig sitzen zu bleiben, stand jedoch selber auf und kam seinem Mitarbeiter entgegen. Was war geschehen?   Ptahnacht war knappe Berichte, die die Lage jedoch veränderten, seit einigen Kriegszügen gewohnt, und hatte sich das auch bei Merukas Aufträgen beibehalten. „Die Zwei kommen wieder her. Akenptah will unbedingt in Menhekats Zimmer, angeblich um einen persönlichen Brief dort niederzulegen, in dem er sich bedanken will. Thothhotep war dagegen, aber geht jetzt mit um das selbst zu tun, schließlich sei ein vornehmer Herr kein Bote. Er erwähnte, dass Akenptah durch so etwas, wenn das bekannt werden würde, seine Möglichkeiten, eine Königstochter zu heiraten, einschränken würde, das dürften doch nur Leute mit tadellosem Ruf. Nefer sagte, dass Akenptah darauf erwiderte, und der Herr der beiden Länder. Sie dürften bald kommen.“ „Danke. Geh in das Zimmer, das Menhekats gegenüberliegt, und sage es Nebhotep und Rahotep. Vor allem letzterer sollte gewisse Tropfen griffbereit haben.“ „Ich sage es ihm.“ Ptahnacht gab zu, dass er diese Tropfen schon schätzen gelernt hatte. Es war eine Mischung, überaus sorgfältig zusammengestellt aus so ziemlich allen einschläfernde Pflanzen in ganz kemet. Rahotep rückte als Arzt natürlich nicht damit heraus, was das alles war, aber ihm war einmal entkommen, dass es sich um seine eigene Spezialmischung handelte. Er selbst, Ptahnacht, hatte sie zu schlucken bekommen, als er bei einem Zusammenstoß mit Sandleuten bei Timna verletzt worden war. Der Narr, der ihm das Messer in den Körper gejagt hatte, war tot gewesen – und er hatte sich das nur mehr gewünscht, denn das waren wahrlich höllische Schmerzen gewesen. Dieser Trank, den ihm Rahotep da aufgezwungen hatte, hatte jedenfalls bewirkt, dass er von der eigentlichen Behandlung nichts mitbekommen hatte. Als er aufwachte, waren zwar noch immer Schmerzen da, aber der Arzt hatte mit seiner Vorhersage: „eine Verletzung, die ich heilen werde,“ natürlich recht behalten. Nur eine tiefe Narbe in der Leiste zeugte noch von dem Zwischenfall. Die Chirurgen kemets waren ebenso fähig wie die Augenärzte, nun, eigentlich alle.   Meruka kehrte unterdessen zu Merit zurück, die aufstand und ihn erwartungsvoll ansah. „Es könnte bald losgehen,“ sagte er. „Menhekat ist sicher noch von viele Leuten umgeben und sollte keine Zeit finden in sein Zimmer zu gelangen. Du kannst mir dennoch einen Gefallen tun.Gehe zu Hekaptah, wenn dich ein Schreiber hindern will, sage, du kämst im Auftrag des Herrn der beiden Länder, dann werden sie dich durchlassen, und sage dem Königlichen Siegler folgendes: es scheint alles bereit zu sein. Er möge, wie ich es ihm vorschlug, handeln. Er wird Zeit brauchen, wir auch. Und erinnere ihn daran, dass es vollkommen dunkel im Raum sein soll. Danke.“ Merit war etwas verwirrt, aber sie war Befehle gehorchen gewohnt und ging nur so rasch weg, wie es ihrer Stellung ziemte. Ihr Vorgesetzter wandte sich um. Die Falle stand bereit – aber wer würde hineinfallen? Akenptah, Thothhotep oder beide? Im schlimmsten Fall niemand und alles war ganz harmlos und er hatte sich geirrt. Das wäre eine ziemliche Blamage für ihn, würde ihn vermutlich eine Beförderung kosten, ja, ihn eher am Horusweg in der Wüste landen lassen, aber er sah beim besten Willen kaum andere Kandidaten. So ging er etwas weiter vor. Im Vorderen Hof herrschte ein gewisses Kommen und Gehen, die Büros des tjati wurden von allen möglichen Leuten, Schreibern, Beamten und auch schlichten Bürgern aufgesucht. Hier lagerten die wichtigsten Urkunden ganz kemets, auch Testamente, Käufe und Schenkungen, hier konnte im Streitfall nachgesehen werden. Er wich erst um die Ecke zurück, als er zwei Sänften erkannte, die durch das Tor getragen wurden und rechts, wo alle Tragestühle der hohen Herrschaften abgestellt wurden, hingebracht wurden. Thothhotep und Akenptah. Hm. Für einen Augenblick schwankte Meruka. Was, wenn sie nur zu Sobeknacht wollten? Aber dort waren sie doch erst gestern gewesen und überdies hatte Akenptah als Sohn auch Abends Zeit mit seinem Vater zu reden. Drittens hatte Nefer doch ausrichten lassen, es gehe um einen Brief an Menhekat. Nur, was war an dem so schrecklich wichtig, dass Akenptah das einem Diener, ja, nicht einmal einem der Schreiber des tjati anvertrauen wollte, die zwischen Privathaus und Palast des Öfteren hin-und hergingen? Er sollte einigermaßen in Deckung gehen und verschwand wieder zu dem kleinen Garten, blieb allerdings rückwärts am Stamm der Dumdum-Palme stehen, so dass er nicht ohne weiteres auffiel, wenn seine beiden Verdächtigen um die Ecke kamen. Für jeden anderen, der ihn zufällig sah, musste es wirken, als ob er das Bassin und die kleinen Nilbarsche darin betrachtete.   „Ich verstehe wirklich nicht, warum du mit musst,“ beschwerte sich Akenptah gerade. „Mich sieht schon keiner und … sieh nur, hier steht nicht einmal ein Türhüter.“ „Das stimmt, war aber nicht vorherzusehen.“ Der Haushofmeister klang angespannt. „Akenptah, mein lieber Junge, du bist noch immer sehr spontan und handelst, ohne nachzudenken.Ich betrachte es als meine Pflicht dich vor den Folgen zu schützen. Gib mir den Brief und ich lege ihn auf das Bett.“ „Nein, ich will mitkommen!“ Meruka dachte bei sich, dass die Zwei diese Diskussion schon öfter geführt hatten. Und ja, Akenptah klang in diesem Moment wie ein kleines Kind. Als er um den Stamm sah und bemerkte, dass die beiden den Trakt betraten, folgte er ihnen lautlos, blieb jedoch draußen stehen und warf nur einen Blick um die Ecke. „Das ist hier nicht sonderlich vornehm,“ beschwerte sich Akenptah. Sein offenbar geplagter Erzieher seufzte. „Junger Freund, nicht jeder ist tjati. Und du warst doch wirklich oft genug schon hier, dass du das wissen solltest. Schon die Tatsache, dass die hier Schlafenden abgetrennte Schlafmöglichkeiten zugeteilt bekommen, deutet auf ihren hohen Status hin. Arbeiter und einfache Leute schlafen bei Bauprojekten nebeneinander in großen Räumen, haben auch nur gemeinsame Waschanlagen und Toiletten. Wie übrigens auch die Diener bei uns im Haus.“ Akenptah bereute seinen unüberlegten Kommentar hörbar, als er eifrig erwiderte: „Nun ja, bei einem Pyramidenbau oder ähnlichen Bauvorhaben arbeiten Tausende. Es wäre kaum möglich, oder auch nur sinnvoll, diesen allen Einzelzimmer zu gewähren. Und selbst Vater könnte nicht jedem Dienstboten etwas geben. - Abgesehen davon, dass die Bauern ja auch immer alle in einem Zimmer schlafen.“ „Du bist ein so kluger Junge. - Warte.“ Der Hausverwalter des tjati zählte lautlos die Räume ab, ehe er stehenblieb. Noch einmal vergewisserte er sich, dass er richtig war, in dem er die Zimmer von der anderen Seite zählte, dann blickte er sich gründlich um, ehe er den Vorhang emporhob und hineinschlüpfte, ihn für Akenptah aufhielt. „Das hier muss der Raum von Menhekat sein,“ flüsterte er. „Ja, sieh nur, die Feuerschale ist schon gefüllt, alles bereits hergerichtet, ja, sicher.“ „Dann lege ich den Papyrus hier hin.“ „Du könntest auch mit ihm sprechen.“ „Ach, lieber nicht. Er wäre bestimmt enttäuscht.“ Als sich Akenptah abwandte und den Brief auf das Bett legte, zog Thothhotep einen kleinen Beutel unter den Falten seines Schurzes hervor, den von dem Seil um seine Taille löste, und zu der Feuerschale trat. Mit einer fast ruckartigen Bewegung schüttete er den Inhalt auf das Tamariskenholz und deckte es mit der linken Hand dann darüber.   Im nächsten Augenblick fühlte er sich von vier Händen gepackt und unsanft zu Boden geworden. Er hörte den Aufschrei Akenptahs, dem es nicht anders erging. Gegen vier Männer, alle davon kriegserfahren, konnten sie sich jedoch ebenso wenig helfen, wie dagegen, die Ellbogen auf den Rücken gefesselt zu bekommen und ein feuchtes, nach Kräutern und allerlei riechendes, Tuch in den Mund gestopft zu bekommen. „Haltet sie gut fest,“ befahl Meruka, der mehr auf Thothhotep kniete, während der Arzt noch einmal seine Tropfen nachgoss. Es dauerte jedoch fast fünf Minuten, bis die beiden Gefangenen das Bewusstsein verloren.   Als Akenptah erwachte, atmete er tief durch. Er lag in vollkommener Dunkelheit. Erst nach einigem Nachdenken fiel ihm die Szene in Menhekats Zimmer ein. Entsetzt spürte er, dass seine Arme noch immer unter ihm gefesselt waren. Er lag auf einem kalten Fliesenboden. Wer nur waren diese Leute gewesen? Er lauschte, hörte dann etwas neben sich. Erschreckt fragte er: „Ist da wer?“ „Akenptah!“ Erleichtert hörte er die vertraute Stimme seines Erziehers. „Was war das? Was ist nur passiert?“ Das Schlafmittel wirkte noch immer nach. „Ich erkannte mindestens einen Mann in der Tracht der Getreuen. Ich fürchte, wir sind verhaftet worden.“ Auch Thothhotep war noch etwas verwirrt und versuchte seine Gedanken mühsam zu sammeln. „Weil ich einen Brief für Menhekat hinterlassen wollte? Das kann doch kein Verbrechen sein.“ „Was steht denn in dem Brief drin?“ „Naja, ich bedankte mich für seine Freundlichkeit, ja, Freundschaft, und dafür, dass er mir angeboten hatte mal tjati zu werden, aber das möchte ich ja nicht. Und Vater sagte mir ja gestern zu, mir meinen größten Wunsch zu erfüllen.“ „Ja? Wie?“ Thothhotep klang verwundert. „Er sagte, ich kann nach Iunu, in die Schule.“ „Nach Iunu, an den Tempel des Re, diese Schule? Ja, aber, du wolltest doch nie Architekt werden?“ „Nein, nicht Architekt. Das Messen und Rechnen … nein. Ich habe jedoch, als ich mit Menhekat jetzt in Abu war, wo der Palast des mächtigen Horus gebaut wird, gesehen, was noch alles notwendig ist. Die Steine aus allen Teilen des Landes müssen geliefert werden, pünktlich so, dass sie nicht zu viel Lagerplatz verbrauchen, aus Timna muss genug Kupfer kommen, dass die Arbeiter weiter machen können, diese müssen ausgehoben und mit Häusern und Nahrung versorgt werden, man braucht Schmieden, Küchen ...Es ist eine riesige Aufgabe solch eine große Baustelle zu versorgen. Alles muss passen. Das möchte ich lernen und machen.“ „Akenptah, du redest von Schreiberarbeit. Das kann doch nicht seit Neustem dein größtes Ziel sein? Hast du vergessen, was du mir so oft erzählt hast? Du wolltest das Ka deiner Schwester retten!“ „Ich kann nicht in die Fußstapfen meines Vaters treten, die sind mir zu groß. - Oh, natürlich. Das Ka von Neferhenut. Das hat Vater doch gerettet.“ „Akenptah, du weißt doch, was du mir gesagt hast, als du im Fieber niederlagst und dich die Dämonen der Sachmet peinigten?“ Der Erzieher schien deutlich entsetzt. „Ja, natürlich. Ich mag … Ich war im Fieber, Thothhotep. Als ich dann hörte, und sah, was Vater für sie tat, die Mumie, die Bilder im Grab ...Da wusste ich doch, dass für ihr Ka alles getan worden war, damit es zurückfinden kann. Und er, also, Vater sagte mir auch, dass der Herr der beiden Länder sich für sie einsetzen will.“ Akenptah versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Leuchtete da es nicht golden oder silbern? Irritiert starrte er hin, meinte dann jedoch: „Ich werde auch, wenn der Totentempel fertig ist, immer für meine Familie dort Opfer bringen, und sie alle auch in meinem Haus der Ewigkeit zeichnen lassen. So sind sie doppelt gesichert.“ „Ja, aber ...“ brachte Thothhotep hervor. „Du wolltest doch sie retten, selbst im Jenseits.“ „Ja, natürlich.“ Akenptah schien nicht zu verstehen. „Junge, du weißt ja gar nicht, was ich alles für dich tun würde! Und dann sagst du mir, jetzt, du willst Schreiber werden, eine einfache Schreibertätigkeit bei irgendeinem Bauplatz?“ „Das ist viel mehr, das habe ich ja auch erst in Abu gesehen. Und Menhekat meinte ja auch, es sei sehr schön, wenn ich das machen würde,wenn es mir so zusagt. Man braucht da Leute, die klar denken können, planen und vorhersehen. Andererseits aber eben auch jemanden, der weiß, wie die Verwaltung läuft und wie lange manche Dinge eben benötigen. Die Karawanen vom Meer bis nach Ibenu-hedj oder weiter nördlich durch die Ostwüste, wie man die versorgen muss und so weiter. - Thothhotep, wenn wir wirklich verhaftet sind, was passiert denn jetzt? Und warum?“ Er hätte sich gern über die schmerzende Stirn gerieben. Der Hausvorsteher suchte eine Gedanken zusammen. „Ja, das warum weiß ich nicht so genau, vor allem, du. Ansonsten wird wohl bald ein sab-Beamter kommen, mit Dienern und uns das sagen. Vielleicht liegt auch ein Irrtum vor, nein, ganz bestimmt, bei dir.“ „Werden Angeklagte nicht auch geschlagen?“ Akenptah klang plötzlich ängstlich. „Ich habe doch nichts verbrochen. Ich will nicht in die Steinbrüche oder Gold in der Ostwüste schürfen! Wenn ich doch sage, dass wir unschuldig sind, Vater ...“ „Ich glaube nicht, dass wir ohne Wissen deines Vaters verhaftet wurden, mein Junge. Höchstens kam der Befehl noch von Anchnefer. Oder irgendein Getreuer wäre vollkommen durchgedreht. Nein, du bist unschuldig, das werde ich auch beschwören.“ „Ja, du doch auch!“ Mit einem gewissen, deutlich verzweifelten, Lachen ergänzte der Jüngere: „Ich bin sicher, du hast niemanden umgebracht, naja, früher sicher, auch einem Feldzug des mächtigen Horus.“ „Ja, damals schon. Und sonst habe ich nie ein Messer geführt, nein.“ Thothhotep atmete tief ein. „Ich werde dich beschützen, dir helfen, das wollte ich immer. Du bist der Sohn, den ich nie hatte, den mir die Götter verweigert haben.“   „Zündet das Licht an.“ Auf diese Anweisung einer befehlsgewohnten Stimme wurden unverzüglich Öllämpchen, dann Feuerschalen entzündet. Blinzelnd sahen sich die Gefangenen um. Sie befanden sich im Vorzimmer des lebenden Gottes, erkannt sie dann. Er saß auf seinem Sessel, hinter sich Sobeknacht und Hekaptah, die Männer, die sie gefangen genommen hatten, waren dabei. Akenptah wollte erleichtert „Vater“ sagen, ehe er begriff, dass er protokollgerecht auf dem Bauch liegen sollte, und sich umzudrehen bemühte, ebenso wie Thothhotep. Was auch immer passiert war, man durfte doch den Horus nicht erzürnen.   Kapitel 27: Folgen ------------------ Horus Quahedjet trug nicht nur die Doppelkrone sondern auch seine beiden Zepter, damit war jedem klar, dass er seines göttlichen Amtes waltete, und er konnte nicht irren. Er machte eine Handbewegung zu seinem tjati und Sobeknacht deutete aus langer Kenntnis den stummen Wink mit dem Hirtenstab. „Nebhotep, gib Akenptah frei und führe ihn in ein sicheres Zimmer.“ Er war unendlich erleichtert, dass nicht sein letzter, einziger, Sohn schuldig war, aber das hatte hier nichts verloren. Ein Beamter des Herrn der beiden Länder hatte stets sachlich zu bleiben. Während der Wedelträger gehorchte und den noch immer etwas erschreckten und verwirrten jungen Mann aufzog, musterte der tjati seinen Hausvorsteher. „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder du bestätigst das, was hier Meruka, der Schreiber des Herrn der beiden Länder, berichtet – oder du kannst es entkräften. Nur, nach allem, was du soeben sagtest und in Menhekats Zimmer tatest, wird dir letzteres schwerfallen.“ Er sah zu dem Sonderermittler.. Hoffentlich verstand der, dass er schlicht selbst nicht mehr die Kraft hatte, diesen Bericht sachlich zu wiederholen.   Meruka konnte sich das vorstellen. „Thothhotep, nach dem Gespräch, das du zuvor mit Akenptah geführt hast, und allem, was wir sonst erfahren haben, hast du, als der Sohn des tjati von den Dämonen der Sachmet gepeinigt wurde, geglaubt, sein Herzenswunsch sei es, das Ka seiner Schwester zu retten. Schon da sind dir offenkundig zwei Fehler passiert – zum Einen hast du übersehen, dass Sobeknacht bereit alles unternommen hatte um eben das zu erreichen. Zum Zweiten – wer hört schon auf das Gerede eines von Dämonen Gejagten? Nun, gleich. Du hast beschlossen, dass Akenptah der ...“ Meruka warf einen Blick auf den Lebenden Gott, aber der sah ihn nur an, also durfte er weiter reden. „Der neue Horus werden solle. Dazu kam dir nichts anderes in den Sinn als Menhekat zu ermorden. Das Fest des Sokar mit dem Palast in der Wüste schien dir gelegen. Du bist der Hausvorsteher des tjati und kanntest diverse Personen in dessen Dörfern. Darunter auch einen Schlangenbändiger. Ich frage dich nicht, ob dem so war, wir wissen es.“ Er berichtete, was sie in Iunu ermittelt hatten, wie Sennefer von Sobeknacht mit an Bord genommen worden war. „Du hast geglaubt, er habe etwas von deinem Gespräch mitbekommen – und wolltest ihn unmöglich machen. Natürlich war es für dich als Hausvorsteher ein Leichtes Schmuck deines Herrn zu stehlen. Ebenso, dem ahnungslosen Hirtensohn den Schmuck als wertvolles Geschenk des tjati zu übergeben. Dummerweise war Sennefer zu schüchtern oder zu klug ihn zu tragen, so dass es Sobeknacht nicht bemerkte. Du wusstest, dass ein junger Domänenvorsteher nach Ibenu-Hedj kommen würde und in welche Taverne. Ich vermute, dass du auf dem Rückweg in Iunu Sandläufer mit einem „besonderen Auftrag“ des tjati geködert hast. Sie kannten dich als hohen Beamten, hatten dich keine zwei Wochen zuvor gesehen, und schöpften daher keinen Verdacht, als du sie aufgefordert hast, Sennnefer bei seinem Besuch in Ibenu-hedj umzubringen. Vermutlich hast du auch noch ein Amtssiegel benutzt, so dass sie reisen durften, da auch ihr Vorgesetzter an eine geheime Mission glaubte. Was du, lieber Thothhotep, allerdings nicht wissen konntest, war, dass Sennefer in der Tat ein sehr kluger Junge war. Irgendwann fiel ihm auf seiner Domäne ein, was er da mit dir gehört hatte, und er schrieb einen Brief an seinen besten Freund Menmire.“ Meruka sah, dass der Angeklagte fast den Kopf gehoben hätte. „Er ließ sich freilich nur in Andeutungen aus, über raschen und sicheren Aufstieg, dass er einen guten Weg gefunden habe – und Menmire alles berichten würde, wäre er erst in Ibenu-hedj. Diesen Brief würde er eben in der Taverne lassen. - Er kam nie dazu, denn deine Falle schnappte zu. Wir werden wohl nie erfahren, wo der arme Junge nun ruht. Die Sandläufer, die, ohne Zweifel auf deine Anweisung hin, der Wirtin Schlafmittel oder gar Gift für Sennefer mitgegeben hatten, schenkten ihr zum Abschied die Kette, die das Opfer trug. Die Ehrenkette des tjati. Menmire allerdings ging ebenfalls in die Taverne, wenngleich Wochen später. Mit dem Rest Gift und der Angst, dass diese angebliche Geheimmission auffliegen würde, betäubte ihn die Wirtin und erstach ihn. Ah, das hast du nicht gewusst. Noch ein Opfer, wenngleich indirekt, deiner Ambitionen für Akenptah. Menmire war allerdings der Vorsteher der Totengüter eines der Großen Zehn, Chummose, du kennst ihn doch, und dieser wandte sich direkt an den tjati. So kamen die Ermittlungen in Bewegung. Mit einer Reise nach Iunu und ins Delta kam langsam die gemeinsame Vorgeschichte der beiden Jungen an das Licht des Re. Zugleich wurde bei der Wirtin die Ehrenkette des tjati gefunden, und sie gab zu, woher sie sie hatte. Damit aber beschränkte sich die Auswahl der Verdächtigen auf die direkte Umgebung Sobeknachts, alle, die mit auf dem Schiff im Delta gewesen waren. Nur dort, nicht in Iunu und nicht mehr oder weniger unter Weinbauern auf seiner Domäne, konnte er etwas getan haben, das ihm solch ein Schmuckstück einbrachte. Es wurde nur ein einziges im Auftrag des Lebenden Horus, er lebe, sei heil und gesund, angefertigt. Der Kreis wurde immer enger. Allerdings betrachtete ich das nahende Fest des Sokar in der Wüste mit gewisser Sorge. Es liegt abseits, die höchsten Beamten sind mit dabei, diesmal auch Königssohn Menka, und, wie ich dann erfuhr, auch Königssohn Menhekat und der Sohn des tjati Akenpath, die beide von einer Reise zur Palastbaustelle in Abu zurückgekommen waren. Meine Sorge stieg in Anbetracht der Tatsache, dass Menhekat kurz zuvor zum „Ältesten Königssohn“ und damit zum Thronfolger ernannt worden war. - Du wirst es uns sicher erzählen können, wie du dafür gesorgt hast, dass der Schlangenbändiger nach Ibenu-hedj und dann zum Wüstenschloss kam. Kein Problem für den Hausvorsteher und Güterverwalter des tjati, nicht wahr? Hast du dem törichten Bauern erzählt, es handele sich um einen Scherz? Du wusstest, wo Menhekat wie jedes Jahr schlafen würde. Menka hättest du billigend in Kauf genommen, aber dass Akenptah aus neuer Freundschaft mit dem Ältesten Königssohn ebenfalls dort nächtigen sollte, war dir unbekannt. Entsprechend die überaus emotionale Szene mit dem Leiter der Sitzordnung. Es war schon fast lachhaft, wie besorgt du um einen erwachsenen jungen Mann, der einst dein Schützling gewesen war, warst, aber du konntest dich nicht mehr mit deinem Mann in Verbindung setzen ohne aufzufallen. Und natürlich machte es dich doch verdächtig, als die giftige Schlange dann in dem Zimmer war. Oh, ich muss dich übrigens enttäuschen. Königssohn Menka wird mit seiner Mutter noch heute in den ipet zurückkehren und seine Schulbildung wieder aufnehmen.“ Meruka sah wieder eine Bewegung bei dem Gefangenen, der es jedoch wohlweislich nicht wagte, das Gesicht vom Boden zu nehmen. „Der Schlangenbändiger war allerdings verschwunden. Ich hoffe, dass er in sein Dorf zurückgekehrt ist, aber dir traue ich auch zu, dass er sterben musste. Hast du ausnahmsweise selbst das Messer geschwungen, Thothhotep? Nein, nicht wahr? Du hattest dir ein schnell wirkendes Gift, sei es zum Schlaf oder zum Mord, besorgt, das du den Sandläufern gegeben hast, um Sennefer zu betäuben oder gleich umzubringen. Noch eine geringer Rest genügte Baketbes um Menmire zum Einschlafen zu bringen. Ich bin sicher, du hast auch noch einen guten Rest davon besessen. Und du hast dem Schlangenbändiger hilfreich Wasser gegeben, als er alles erledigt hatte. Das Werk von Minuten. Er liegt wohl irgendwo im Sand dort oben, nahe bei Sokars Tempel. Nun, der Herr der Fruchtbarkeit und Bewahrer der Toten wird auch ihn hüten. Eine Nachfrage bei allen Ärzten des Palastes wird bestimmt erbringen, wer dir das Gift gab, im Zweifel als starkes Schlafmittel, ohne zu ahnen, dass du damit morden würdest. Hat er dir irgendwann auch einmal von der Gefährlichkeit der Rizinussamen erzählt, die du großzügig in Menhekats Feuerpfanne warfst? Er wird gewiss auch zur Verantwortung dafür gezogen werden über ärztliche Dinge zu plaudern.“ Meruka blickte vorsichtig mit gesenktem Kopf seitwärts, ebenso wie alle im Raum bis auf den Angeklagten kniend. „Es sind mindestens zwei Männer, die sein törichter Plan das Leben kostete,“ meinte der tjati mit zitternder Stimme, so sehr er sich auch bemühte sie im Zaum zu halten. „Dazu Menmire und letztendlich auch das Wirtsehepaar. Dazu kommt der lebensgefährliche Angriff auf die Söhne des Herrn der beiden Länder und meinen eigenen. Selbst den heiligsten Eid, den Thothhotep schwören würde, nie wieder gegen die ma´at zu verstoßen, kann und werde ich ihm nicht abnehmen.“ „Nein,“ ergänzte Hekaptah. „Überdies – wir kannten ihn seit langen Jahren und ich glaube niemand von uns hat ihn je ungerecht behandelt. Er hat uns belogen, ja, den Horus auf dem Thron der Lebenden herausgefordert.“ Man sagte nicht, dass ein Gott belogen worden war. Im Zweifel hatte es dieser gewusst und alles war nur eine große Falle für den Schuldigen gewesen. Immerhin hatte Horus Quahedjet Meruka zum Sonderermittler ernannt, ihn, Hekaptah für solche Dinge bereits vor drei Jahren abbefohlen. „Nicht die Bergwerke,“ brachte Thothhotep hervor und wollte sich irgendwie trotz seiner Fesselung aufrichten, fühlt sich jedoch von dem Körpergewicht eines Mannes wieder zu Boden gedrückt. Ptahnacht hatte keine anderen Anweisungen erhalten als auf den Gefangenen aufzupassen. „So hast du selbst entschieden.“ Der Herr der beiden Länder sprach zum ersten Mal. „Bringt ihn an seinen Ort. Er wird wissen, was er zu tun hat. - Sobeknacht, sorge dafür, dass in ganz kemet sein Name vergessen wird.“   Später am Nachmittag, als Meruka, die drei Männer und beiden Frauen der Gruppe in dem kleinen Raum beisammen saßen, hatte er bis hierher berichtet. Er wusste, dass jeder, der nicht beim Abschluss dabei gewesen war, doch neugierig war. „Was bedeutet das – an seinen Ort?“ fragte Merit irritiert. „Irgendwie sollte ich das wohl wissen?“ „Ja.“ Nefer hätte fast geseufzt. Ja, das Mädchen aus dem ipet. „Das ist das Zimmer, in dem er bei seinem Herrn lebt, oder sein Haus. Manche Beamte haben ja sogar ein Haus, er auch, denke ich. Wenn man das nicht weiß, sagt man sein Ort – oder der mächtige Horus, er lebe, sei heil und gesund, wollte das gar nicht mehr wissen, weil er ihn bereits vergessen hat.“ Eine schreckliche Strafe vom Ka der Lebenden bereits vergessen zu sein, seiner Lebenskraft beraubt zu sein. „Er wurde in sein Haus gebracht und dort mit sich und seinen Dingen allein gelassen. Entweder er hat noch ein Messer oder das Gift, mit dem er die Anderen umbrachte,“ erklärte Rahotep etwas hilfsbereiter. „Lebt er morgen noch, wartet das Hinrichtungsgerät auf ihn. Aber er ist ein hochrangiger Beamter, da kann man ihm gnadenhalber auch das Recht zum Selbstmord lassen.“ „Sein Körper wird dann nicht begraben,“ fuhr Meruka fort: „Sondern verbrannt. Sein Name, sein Bild, werden aus allen Gräbern ausgelöscht, so dass er auch das ewige Leben verliert. Ein hoher Preis für das Fiebergeschwätz eines halben Kindes. Ich hoffe Akenptah lernt daraus.“ „Ohne Zweifel.“ Die Gruppe fuhr herum. Der Siegler des Herrn der beiden Länder, schloss jedoch die Tür und hob etwas die Hände. „Ich wollte euch nicht erschrecken, nur die Weiterungen berichten, ehe ihr sie morgen anders erfahrt.“ „Sehr freundlich, Hekaptah.“ Meruka hatte sich wieder gefangen und bot dem Königsbruder seinen Sitzplatz an. „Danke. - Nun, Akenptah kann nach Iunu. Von dort wird er dann weitergeschickt, zur Pyramidenbaustelle. Der Leiter der königlichen Arbeiten soll ihn anleiten und weiter ausbilden. Wir, also, ich und sein Vater, hoffen, dass er dort zur Ruhe kommt und lernt mehr sachlich zu denken. Er möchte ja an Großbaustellen arbeiten. Aber zu euch. Der Dank des Lebenden Horus, er lebe, sei heil und gesund, ist euch allen für diese diskret gelöste Aufgabe sicher. Im Augenblick werden die entsprechenden Urkunden im Büro des tjati ausgefertigt, aber ich sage euch schon einmal den Inhalt. Nefertari, Ptahnacht, ihr bekommt auf Befehl des Herrn der beiden Länder jeweils ein kleines Grab im Verbotenen Land zugewiesen, mit einer Versorgung, die der König gibt.“ Die Beiden sahen sich an. Das Verbotene Land war jeweils das Gebiet um eine königliche Pyramide. Sie, die beide schon außerhalb der ma´at gewesen waren, durften nicht nur wieder in ihr leben, sondern nach ihrem Tod im Umfeld des Herrn der beiden Länder weiterleben, versorgt durch ihn. Damit war ihr Leben in alle Ewigkeit gesichert. Hekaptah sah weiter. „Du, Rahotep, erhältst den Hofrang eines semer, dazu den höheren Rangtitel eines Königlichen Leibarztes.“ Das ging natürlich mit einer besseren Versorgung im Palast und nach dem Tode einher. „Du, lieber Meruka erhältst den Titel eines Vorstehers der königlichen Schreiber und den Hoftitel eines Königsbekannten.“ Das war ein sehr ranghoher Titel, wichtig an einem Hof, an dem allein die Nähe zum König zählte. Dazu, aber das wollte der Siegler nicht vor allen sagen, würden Meruka auch noch einige Ländereien zugewiesen werden, die zusätzlich zu seinem väterlichen Erbe dafür sorgen würden, dass er wirklich gut versorgt war. „Tja, und meine liebe Meresanch – hast du noch einmal nachgedacht?“ Sie wurde prompt rot. „Wegen Menhekat?“ „Ja. Du bist doch eigentlich ein kluges Mädchen. Warum also weigerst du dich ihn zu heiraten? Er erscheint mir weder im Aussehen noch im Charakter als so schrecklich. Überdies ist er der Falke im Nest.“ „Eben genau das letztere. - Ich habe ja gesehen, wie streng der Tagesablauf der maat-hor oder der Königinmutter ist. Überdies: ich bin keine Königstochter oder Königsschwester, ich kann einen solchen Titel auch gar nicht bekommen.“ „Aber du könntest den Titel einer maat-hor oder einer Königinmutter erreichen, das sind die zwei höchsten Titel. Und, wenn du nachdenkst: es gibt keine Königstochter, die Menhekat heiraten könnte. Das eine sind seine Tanten – und deutlich älter als er, das andere seine Schwestern von der gleichen Mutter. Das ziemt sich nicht. Du bist die Einzige, die die Riten kennt, die das Akazienhaus kennt, die an fast allen Ritualen bereits als Zuschauerin teilgenommen hat.“ Der Siegler lächelte plötzlich. „Oh, und rede dich nicht auf Menka heraus. Der Junge ist intelligent und wird einen guten tjati abgeben. Aber, verzeih mir einen gewissen Stolz auf meine Familie, ich hätte es doch lieber, wenn der Sohn einer maat-hor der Nachfolger wird.“ Merit seufzte. „Das weiß ich ja alles. - Aber, was geschieht, wenn Menhekat … ich meine, ich habe so viele Menschen sterben sehen, nicht zuletzt meine Eltern ...“ Sie wusste nicht, wie sie das sagen sollte. „Du meinst, wenn Menhekat vor seinem Vater stirbt? Ja, gewöhnlich schließt das seinen Sohn von der Thronfolge aus. Aber in Anbetracht aller Umstände – ich denke da an Akenptah, - glaube ich, dass dein Sohn die besten Aussichten hätte.“ Nefer griff ein. „Meine Liebe, du weißt schon, was dir da angeboten wird? - Ich würde an deiner Stelle nur eine Bedingung stellen. Der Name deines Sohnes.“ Normalerweise wurde der Name vom Vater ausgewählt nach den ersten Worten, die die Mutter bei oder nach der Geburt sagte. „Nenne ihn nach dem Schuldigen.“ Merit musste lächeln. „Hekaptah?“ „Nein, Senneferu.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)