Beweismittel Ag47 von Arcturus ================================================================================ Malfoy ------ 21. Dezember 2005 03:27 Uhr Geraldine Road Nr. 47; Kaminzimmer Borough of Wandsworth London       Constable Abercrombie war ein Auror vom Typ „Gryffindor – Abschlussjahrgang 2000irgendwas“ und sah einer Eule viel zu ähnlich. Vielleicht waren es seine Augen – weit aufgerissen, mit großen Pupillen – die diese Wirkung erzeugten, vielleicht auch die dunklen Locken, die nicht nur beachtliche Segelohren verdeckten, sondern auch seinen Kopf umrahmten, als hätte man ihn durch einen Sturm gescheucht. In jedem Fall komplettierte seine Nase, die ein Klatscher in Form gebrochen haben musste, das Bild. Dracos Blick huschte zu der Uhr auf dem Kamin. Drei Uhr siebenundzwanzig. Er wusste nicht, wer in den letzten Jahren für Slytherin gespielt hatte, aber Draco hoffte, Abercrombies Nase ging auf das Konto eines seiner Treiber. Wenn er etwas mehr hasste, als Auroren, die ihre neugierigen Fratzen durch seinen Kamin steckten, dann waren es Auroren, die das mitten in der Nacht taten. Abercrombie jedoch schien sich keiner Grenzübertretung bewusst. Stattdessen starrte er aus dem Flohfeuer, als habe er noch nie ein Kaminzimmer gesehen. Argwöhnisch beobachtete Draco ihn dabei, wie er die dunklen Kommoden zu seiner Linken musterte, die beiden Sessel am anderen Ende des Raumes und die James Baker Pyne-Gemälde, die Astoria so mochte. Sein Blick flackerte im Takt der alten Uhr. Draco musste die Aufputschtränke nicht riechen, um zu wissen, dass Abercrombie so voll damit war, dass sie ihm beinahe zu den Ohren wieder hinausliefen. Ein leises Knarren unterbrach ihn, bevor Draco den ungebetenen Gast aus seinem Kamin werfen konnte. „Liebling?“, hörte er Astorias verschlafene Stimme von der Tür. „Was ist los?“ Draco stöhnte nicht, obwohl der Auror es verdient hätte. Stattdessen schloss er die Augen und zählte langsam bis zehn. Das Bedürfnis, Abercrombie durch die Kamine der nächsten dutzend Nachbarn zu hexen, verringerte es nicht, doch es dämpfte zumindest die Versuchung, es tatsächlich zu tun. Zu dem Klang leiser Schritte auf Holzdielen öffnete Draco die Augen und starrte in den Kamin. „Nichts, Tori“, antwortete er, nur um Astorias Willen um einen neutralen Tonfall bemüht. „Constable Abercrombie wollte gerade gehen, nicht wahr?“ Abercrombie öffnete den Mund, doch nur ein klägliches „Ähm … ich … ähm- Guten Abend, Mrs Malfoy!“ kam heraus. Gerne hätte Draco ihn dafür ge-guten-Abend-Mr-Abercrombie-t, doch Toris sehr wissender Blick, der in seinem Nacken ruhte, hielt ihn davon ab. Einen Augenblick später legten sich Toris Hände auf seine Schultern. Er spürte ihren Bauch in seinem Rücken. Siebter Monat und keine gute Prognose, dachte er finster. Und du Vollidiot hast nichts besseres zu tun, als sie zu wecken. „Sind es wieder Junkies in Peckham?“, fragte Astoria, über seine Schulter hinweg. Im Kamin konnte Draco den Auror schlucken sehen. Abercrombies Blick huschte zu Astoria, zu Draco, zu den Aquarellen, schließlich zurück zu einem Punkt zwei Hand breit unter Dracos Kinn. „Nein, Mrs Malfoy!“, beteuerte er hastig. „Das Ministerium würde Ihren Mann niemals wegen Drogendelikten wecken!“ Hätte sein Kopf Hände gehabt, Draco war sich sicher, er hätte damit gewedelt, doch Abercrombies Arme waren hunderte von Kaminen entfernt. Vermutlich stützten sie sich gerade vor einem der Notfeuer der Aurorenzentrale ab, damit zumindest Abercrombies Hintern blieb, wo er war. Hoffentlich versengtem ihm ein paar Funken ob der Lüge die Uniform. Die Wahrheit war: Niemals hatte allein in den letzten zwei Wochen drei Mal stattgefunden. Es war ein simples Dilemma. Jeder Heiler des St.-Mungo-Hospitals leistete zu Beginn seiner Ausbildung den Eid, nur dann Behandlungen an Patienten vorzunehmen, insofern sie für deren Überleben notwendig waren oder zumindest das volle Einverständnis des jeweiligen Patienten oder seiner Angehörigen vorlag. Bei den Drogenabhängigen, die sich in Peckham, Hackney oder der Nockturn Alley mit MES und getrockneten Amanita odinea zudröhnten, traf in der Regel beides nicht zu. Und selbst in dem Fall, in dem einer der Junkies medizinische Hilfe benötigte, die über einen Aufenthalt in einer Ausnüchterungszelle hinaus ging, gab es immer noch einen wirklich unleidlichen Verschwiegenheitsfluch, an dem sich noch jeder Auror die Zähne ausgebissen hatte. Beides, Eid und Fluch, konnte nur mit der offiziellen Anordnung eines Gamotrichters aufgehoben werden und an eine solche zu kommen – gerade mitten in der Nacht – war eine Aufgabe für sich. Soweit Draco wusste, beinhaltete sie ein halbes Dutzend Formulare, die vorauszufüllen waren. Das und die Notwendigkeit, einen Vertreter von Recht, Ordnung und neun Stunden richterlichen Schönheitsschlafs aus dem Bett zu holen, der in der Ministeriumshackordnung zehn Gehaltsklassen über einem stand. Kurzum: Kein Mitglied der magischen Strafverfolgung, das noch ganz bei Trost war, kam auf die Idee, einen Heiler um Hilfe zu bitten, wenn er einen Junkie einbuchten wollte. Nicht, wenn er auf dem Flur gegenüber ein paar nette Kollegen von der Rechtsmagie hatte, die die gleichen Zauber beherrschten, ganz ohne Eid, Fluch und Gesetzesdrachen. Moralisch fragwürdig? Ja, natürlich. Illegal? Nein. Für die Deppen von der Strafverfolgungspatrouille war es ein Segen – für Draco nicht. Gut, Constable Abercrombie in seinem Kamin zu haben, war auch keiner. Für Draco nicht und für seine Tori auch nicht. Er konnte es nicht sehen, doch er spürte förmlich, wie Astoria hinter ihm die Lippen zusammenpresste. „Wenn es keine MES-Dealer sind“, fragte er schließlich, „was ist es dann?“ „Inspector Graves benötigt einen Rechtsmagier in Dartmoor.“ Dartmoor. Das war ja förmlich um die Ecke. Nicht. „Was ist mit dem Bereitschaftsdienst? Warum wecken Sie nicht den? Tripe brennt sicher förmlich darauf, nachts um halb Vier durch ein Moor zu stapfen.“ Einen Moment lang starrte Abercrombie ihn an, wie Dobby es in seiner Kindheit immer getan hatte. Er blinzelte dabei sogar wie der Hauself. Und wirkte ähnlich panisch. Flüchtig leckte er sich über die Lippen – etwas, von dem man besser absah, wenn der Kopf in einem Feuer steckte. Das Husten ließ nicht lange auf sich warten. Es wirbelte feine, grün leuchtende Aschepartikel aus seinem Kamin. Draco sah den Funken nach, die auf den Holzdielen vor ihm verglommen. Seine Laune sank, wenn möglich, weiter. „Graves-“, Abercrombie hustete und eine neue Woge Funken folgte, „-ich meine, Inspektor Graves hat-“ noch mehr Funken „-Sie persönlich angefordert. Er sagt, Sie sollen den weißen Umhang mitbringen. Den imprägnierten.“ Spätestens jetzt spürte Draco das Pochen, das sich langsam hinter seiner Schläfe ausbreitete. Wenn er etwas mehr hasste, als Junkies in Hackney, dann waren es Auroren, die ihn in voller Montur anforderten. Sie bedeuteten nie etwas Gutes. Er spähte über seine Schulter zu Astoria, die seinen Blick unbegeistert erwiderte. Sie kannte den weißen Umhang auch. Den und die Frettchen-Witze. „Fein. Fein, meinetwegen, Constable. Adresse?“ Alles Husten war vergessen. Abercrombies Gesicht hellte sich schneller auf, als bei einem Magier mit normaler Reaktionsfähigkeit möglich sein sollte. Das grüne Licht des Flohfeuers gab seinen aufgerissenen Augen einen wahnsinnigen Glanz. „Silversteen Farm“, verkündete er, „North Borvey, Newton Abbot, Devon, England, Sir!“ Adressen, befand er, sollte ein Auror nicht trällern. Schon gar nicht mit einem Tonfall, der klang, als täte er ihm gerade einen lebensnotwendigen Gefallen. Es war kein Gefallen, da war Draco sich sicher. Irgendetwas klingelte bei der Adresse in seinem Hinterkopf. Eine Erinnerung. Eine, bei der er sich sicher war, dass es einen guten Grund gab, um sie zu vergessen. „Ich erwarte Sie in einer Viertelstunde am Haupteingang, Sir!“ Bereits während er sprach, begannen die Flammen zu flimmern. „Besorg mir Tee!“, rief Draco ihm noch nach, doch da war Abercrombies Kopf bereits verschwunden. Draco quittierte es mit einem entnervten Stöhnen. Hinter sich hörte er Stoff rascheln, dann legten sich Astorias Hände auf seine Schultern. Geschickt rieb sie mit ihren Daumen über die Muskeln, die sich während des Gesprächs verkrampft hatten, doch die Verspannungen wollten nicht weichen. „Er ist sicher noch ein Trainee“, erklärte sie seinem Nacken. Träge folgte er dem Druck von Astorias Daumen und senkte den Kopf, Abercrombies Eulengesicht noch immer vor Augen. „Erinnere mich daran, dass ich ihn auf die Liste setze“, murmelte er. „Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, damit anzufangen, Auroren den Kaminzugang zu verwehren, Liebling.“ Draco seufzte leise, nicht vor Frustration, dieses Mal. „Ich finde, es ist die beste Idee, die ich seit langem hatte.“ Leises Lachen antwortete ihm. Einen Augenblick lang standen sie so da, Bauch an Rücken, Daumen auf Haut, und genossen die Stille. „Schaffst du es bis zum Frühstück zurück?“ Statt sofort zu antworten, schloss Draco die Augen. Der knappe Faktencheck, den er in Gedanken durchging, ließ nichts gutes erahnen – die fehlenden Details, die Forderung nach der Ausrüstung, der Umstand, dass Graves explizit ihn angefordert hatte und nicht einfach den Bereitschaftsmagier. Verdammt, er wusste nicht einmal, welcher Graves ihn angefordert hatte. Die Graves waren eine alte Familie, wenn auch nicht halb so reinblütig, wie sie es hätten sein können. Die Arbeit für die Strafverfolgungsbehörde war für sie so etwas, wie eine Familientradition. Bereits sein Vater hatte mehr Graves gekannt, als gut für einen Malfoy mit zwielichtigen Absichten gewesen war. Draco hingegen hatte es sich zwar mit keinem von ihnen verscherzt – noch nicht – doch er hatte irgendwann nach dem Gamotrichter aufgehört, den Stammbaum weiter verfolgen zu wollen. Das Bedürfnis, Abercrombie in ein unbewachtes Zaubertrankset laufen zu lassen, wurde stärker – Nein. Es brachte nichts, jetzt aus der Haut zu fahren. Ohnehin würde es viel befriedigender sein, den kleinen Gryffindortroll bei nächstbester Gelegenheit auflaufen zu lassen. Bevorzugt genau dann, wenn es richtig weh tat. Die ersten, vagen Pläne bereits im Hinterkopf, drehte er sich um. Astoria lächelte, doch in ihren Augen spiegelte sich bereits die Antwort, die er ihr geben musste. „Ich versuche es, Tori. Ich versuche es.“ Sie nickte ergeben. Längst kannten sie beide die Nächte viel zu gut, die Draco bis zum Morgen, manchmal bis zum Dienstbeginn der Spätschicht, damit verbrachte, getrocknete Pilze zu analysieren, Zauberstäbe auf ihre letzten Zauber zu kontrollieren und die sterblichen Überreste des letzten, schwarzmagischen Duells aus einer dunklen Seitengasse zu kratzen. (Und das beinhaltete noch nicht die drei Mumien, die sie vor ein paar Monaten von Zachary Rosiers Dachboden geholten hatten.) Einen Moment lang zögerte er, dann hob er die Hand. Behutsam strich er die Falten, die Astorias Nachthemd auf ihrem Oberarm warf, glatt. Er bemühte sich um ein Lächeln. „Wenn ich es nicht schaffe, bringe ich dir dein Lieblingslamm vom Kroaten zum Mittag mit. Ist das ein Deal?“ Ihre Blicke trafen sich. Es war keine bessere Laune, die in Astorias Augen funkelte, doch es war so nah dran, wie es nach einem Aurorenbesuch sein konnte. „Nur, wenn du auch Čupavci mitbringst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)