Crosscourt von Schangia (One Shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Meister des Flirtens (Atobe/Sanada) -------------------------------------------------- »Findest du nicht auch, dass ich eine sehr gute Partie bin, Sanada?« Sanada hielt in seiner Bewegung inne und warf Atobe einen fragenden Blick zu. Sie hatten gerade ihr gemeinsames Training beendet – seit fast drei Monaten trafen sie sich jeden Sonntag für einige Stunden auf einem öffentlichen Platz, um gegeneinander anzutreten –, räumten ihre jeweilige Ausrüstung zusammen und genossen die Stille. Zumindest hatte Sanada sie genossen, ehe Atobe vor seiner Aussage selbstbewusst gelacht hatte, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Er wusste nicht wirklich worauf Atobe hinauswollte, aber das wusste er in den seltensten Fällen. Gerade in letzter Zeit schien der andere noch sonderbarer zu sein als sowieso schon, und so reagierte Sanada wie in den meisten anderen Fällen auch, runzelte die Stirn und hoffte (fast ausnahmslos vergebens), dass seine Worte ihn zum Schweigen bringen würden. »Du bist in der Tat ein würdiger Trainingspartner.« »Ich sprach eigentlich von etwas anderem«, meinte Atobe darauf kryptisch, dieses seltsame Grinsen auf den Lippen, von dem Sanada instinktiv wusste, dass es eine tiefere Bedeutung hatte, die sich ihm jedoch stets entzog. Etwas ratlos schwieg er und wartete darauf, dass Atobe fortfuhr. »Nun,«, Sanada verstand nicht, wie Menschen so überheblich grinsen konnten, ohne sich selbst lächerlich vorzukommen, »von meinem unverschämt guten Aussehen mal abgesehen habe ich nicht nur als Sportler eine strahlende Zukunft vor mir. Mein Vermögen sichert meinen späteren Partner und dessen Familie locker mit ab. Jedes Elternteil könnte sich glücklich schätzen, mich als Schwiegersohn zu gewinnen.« So gerne er auch mit Atobe trainierte, sobald es um Gespräche ging, deren Thema nicht Tennis war, wusste Sanada in neun von zehn Fällen nicht, wovon er überhaupt redete oder warum er es ausgerechnet in diesem Moment zur Sprache brachte. Jetzt war einer dieser Fälle, und auch wenn seine Ausführungen Sinn ergaben, wusste er nichts damit anzufangen. »Das mag sein, ja«, gab er zu, die Stirn immer noch in Falten gelegt. »Aber warum erzählst du mir das?« Hätte Atobe weniger Selbstkontrolle wären ihm seine Gesichtszüge vermutlich komplett entglitten. Er sah Sanada ungläubig an, so als könnte er nicht fassen, wie man ihn in dieser Situation nicht verstehen konnte. Sanada wartete einige Augenblicke, doch als Atobe immer noch nichts erwiderte, nickte er ihm knapp zu und wandte sich zum Gehen. Er wollte sich noch mit Yukimura und Yanagi treffen, um den Trainingsplan für die nächsten Wochen durchzugehen, und soweit er sich richtig erinnerte, hatte Atobe auch noch Pläne gehabt. Trotz seiner Pläne stand Atobe noch einige Momente wie angewurzelt da und starrte Sanada nach, der festen Schrittes den Platz verließ. Nicht einmal der kalte Januarwind schien ihn in seiner Schockstarre zu stören. Dann lächelte er und schüttelte leicht den Kopf. »Ich habe nicht einkalkuliert, wie begriffsstutzig er manchmal ist.« Atobes Verhalten der letzten Wochen verwirrte Sanada so sehr, dass er manchmal sogar schon von ihm träumte. In diesen Träumen überhäufte Atobe ihn mit Geschenken – teurem Tenniszubehör, Autogrammen berühmter Spieler, Reisen zu Trainingscamps in europäischen Ländern – und lud ihn ein, mit ihm die größten internationalen Stars der Tennisszene zu besuchen. Am nächsten Morgen wachte er meist genauso ratlos auf, wie er sich während der Träume fühlte und ging dann seinem gewohnten Tagesablauf nach. Gegen acht Uhr morgens bekam er im Regelfall die erste SMS von Atobe, die entweder aus einer leeren Floskel oder einem für seinen Geschmack viel zu protzigen Bild bestand. Wenn ihm danach war, antwortete er ihm sogar, aber das war nicht allzu oft der Fall. Vor allem dann nicht, wenn Atobe ihm Bilder schickte, häufig von sich selbst mit irgendeinem Statussymbol. Sanada konnte mit Selbstdarstellung dieser Art nichts anfangen. Ganz zu Anfang hatte Atobe sogar mal versucht, ein Telefonat mit ihm zu führen, doch dieser Versuch war nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Es mochte daran gelegen haben, dass er gerade den Moment abgepasst hatte, in dem Sanada sein Schwert gezogen hatte und trainieren wollte. Da Sanada jedoch generell kein großer Freund von längeren Telefonaten war, wäre es vermutlich so oder so das erste und letzte gewesen. Atobe versuchte auch regelmäßig, ihm Geschenke zu machen, und das nicht nur in seinen Träumen. Trotz aller Proteste seitens Sanada hörte er damit auch nicht auf; er lächelte nur, triumphal, selbstsicher und zufrieden, und einige Wochen später präsentierte er ihm das nächste aufwendig verpackte Päckchen, mit dessen Inhalt er eigentlich nichts anfangen konnte. Und obwohl er sich beschwerte, dass Atobe unnötig Geld für ihn ausgab, wusste er die Geste zu schätzen. Nichtsdestotrotz wusste Sanada nicht mit der Situation umzugehen, also wollte er Yukimura und Yanagi um Rat bitten, nachdem sie ihre Pflicht getan hatten. Es dauerte nicht lange, bis sie den neuen Trainingsplan aufgestellt hatten, also genossen sie nach erledigter Arbeit den Tee, den Yanagis Mutter ihnen gebracht hatte, und unterhielten sich über alles mögliche. Bis Sanada sich schließlich leicht beschämt räusperte und den beiden erzählte, was ihm auf dem Herzen lag. »Sieht für mich danach aus, als wollte er dich beeindrucken«, sagte Yukimura langsam, nachdem er einige Zeit so getan hatte, als würde er intensiv nachdenken. Eigentlich hatte er sofort eine Ahnung gehabt, worum es ging, doch der Anblick eines fast schon hilflosen, überforderten Sanada war so amüsant wie ungewohnt. »Wozu denn?« »Damit du ihn magst.« »Aber ich habe nichts gegen ihn.« Sichtlich verwirrt zog Sanada die Augenbrauen zusammen. Yukimura hätte ihm zwar geradeheraus sagen können, worum es Atobe ging, aber er hatte viel zu viel Spaß daran, diese neue Seite an seinem Freund zu beobachten. »Oh?«, hakte er nach, ein schwaches Grinsen auf den Lippen, ehe er den Kopf auf seiner Hand bettete und darauf wartete, dass der andere fortfuhr. »Wenn ich Atobe nicht mögen würde, würde ich wohl kaum wöchentlich mit ihm trainieren.« Yukimura legte den Kopf schief, sein Grinsen wurde unmerklich breiter. Es amüsierte ihn, wie Sanada höchstwahrscheinlich unbewusst von ihm wegrückte. »Vielleicht magst du ihn für seinen Geschmack nicht genug.« Neben ihm seufzte Yanagi lautlos und verzog den Mund ein wenig. Während sie ihrem Freund beide helfen wollten, war Yanagi sehr viel mehr daran gelegen, es so schnell und schmerzlos wie möglich zu machen. Yukimura hingegen machte sich gerne einen persönlichen Spaß daraus, wie ahnungslos Sanada in manchen Dingen war. Auch jetzt verstand er nicht ansatzweise, worauf Yukimura hinauswollte. Stattdessen weiteten sich seine Augen für einen kurzen Moment, ehe er in seinen Erinnerungen zu kramen schien. »Meinst du, ich habe ihn unbeabsichtigt beleidigt?« Es war leicht für Yukimura, seine stetig wachsende Schadenfreude vor seinem Freund zu verbergen, also entschied er sich dafür, weiterzumachen. »Du sagtest doch, du wärst der Einzige, mit dem Atobe sich zum Einzeltraining trifft.« Sanada nickte eifrig, vollkommen überzeugt davon, dass der andere ihm aufrichtig helfen wollte. »Was meinst du, warum er nur mit dir trainieren will?« Darauf war er lange still. Wenn er ehrlich war, hatte Sanada nicht die geringste Ahnung, warum Atobe ihn jede Woche zum Training rief. Selbstverständlich sah er den Nutzen dahinter, gegen einen starken Spieler anzutreten, schließlich profitierte er genauso davon. Was ihn hingegen irritierte war all das, das Atobe zusätzlich tat – der ständige Kontakt zu ihm, die Geschenke, das auffällige Verhalten. Doch so sehr er auch überlegte, er konnte sich keinen Reim darauf machen. »Ich gebe dir einen Tipp: es hat nichts mit deinen Fähigkeiten als Spieler zu tun«, meinte Yukimura irgendwann, nachdem Sanada eine ganze Weile geschwiegen hatte. Wie beabsichtigt verwirrte er ihn mit diesen Worten komplett. Man konnte ihm ansehen, wie angestrengt er nachdachte, ohne der Antwort auch nur ein Stückchen näher zu kommen. »Atobe ist ein hervorragender Rivale, ich denke nicht, dass—«, begann Sanada irgendwann beinahe hilflos, eine Erklärung zu finden, doch Yanagi konnte sich das Trauerspiel nicht länger mit ansehen und unterbrach ihn. »Er meint, dass Atobe allem Anschein nach versucht, mit dir zu flirten.« »Was?!« Yanagis Worte überraschten ihn so sehr, dass er sich fast an seiner eigenen Spucke verschluckte. Yukimura hingegen schob gespielt schmollend die Unterlippe vor und sah Yanagi missbilligend an. »Wie gemein, jetzt hast du mir den Spaß verdorben.« »Es geht auch nicht um deinen Spaß. Genichirou hat uns um einen Rat gebeten, weil er selbst nicht weiterkommt.« Für einen kurzen Moment blickte Yukimura unzufrieden drein, doch er fing sich schnell und lächelte wieder. Sanada war immer noch zu verwirrt, um an der Unterhaltung teilzunehmen, also konnte er bei Yukimuras nächsten Worten auch nicht protestieren. »In Ordnung, dann wollen wir ihm mal verraten, wie er sich in so einer Situation verhalten sollte.« Es war mehr als ungewöhnlich für Sanada ihn um ein Treffen zu bitten, das nicht an einem Sonntag stattfand. Atobe hatte im ersten Augenblick nicht gewusst, wie er auf die SMS des anderen reagieren sollte, die er Montagnachmittag vor dem Training bekommen hatte. Dann wiederum war er für jede Möglichkeit dankbar, Zeit mit Sanada zu verbringen, also stimmte er dem Treffen selbstsicher grinsend zu. In der Tat hielt seine Laune das ganze Training über an, und vielleicht wurde sie sogar noch besser, als die Schüler aus dem ersten Jahr zunehmend Angst vor seinem Grinsen bekamen. Als er am Abend an ihrem üblichen Treffpunkt ankam, war Sanada bereits dort und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. So erstaunt Atobe auch darüber war, schob er es auf den kalten Wind, der bereits die letzten Tage über wehte und dachte sich nichts weiter dabei. Zumindest bis Sanada ihn auf seine lockere Begrüßung hin nur anstarrte, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. »A-atobe, wir müssen reden!« Darauf wusste er nun wirklich nichts zu sagen, also wartete er, bis Sanada sein Schweigen als Zeichen deutete, fortzufahren. Anstatt einer ausgereiften, schlüssigen Erklärung – die er zugegeben erwartet hatte –, schleuderte er ihm jedoch nur eine einzelne Frage entgegen. »Wieso machst du das?« »Wieso mache ich was?«, fragte Atobe ehrlich überrascht. Er hatte mit vielem gerechnet, hatte sich einige wünschenswerte Szenarien für dieses Treffen ausgemalt, doch das Verhalten des anderen machte nicht ansatzweise Sinn für ihn. »Spiel nicht den Ignoranten!«, blaffte Sanada ihn an, die Ohren mittlerweile so rot gefärbt, dass Atobe es zwar nicht mehr auf die Kälte schieben konnte, es sich aber auch sonst nicht erklären konnte. Irritiert legte er die Stirn in Falten. »Sanada, bitte, wenn du mir nicht zumindest einen kleinen Hinweis gibst, weiß ich nicht, worum es dir geht.« Endlich schien Sanada einzusehen, dass er ein bisschen konkreter sein musste. Für einen kurzen Moment dachte Atobe sogar, er würde sich entschuldigen, doch stattdessen räusperte er sich und starrte ihn wieder an. »Warum f...« Er stockte beim zweiten Wort, und wäre Atobe nicht immer noch so verwirrt gewesen, hätte er ihm gesagt, wie niedlich er dabei aussah. »Warum f-flirtest du mit mir?« »Aah. Das.« Jetzt, da Atobe alles klar war, kehrte das Grinsen auf seine Lippen zurück. »Warum nicht?« »Weil ich ein Junge bin! Und weil es verwirrend ist!« Sanada fühlte sich von Atobes Grinsen provoziert. Das tat er zwar meistens, doch jetzt war es besonders schlimm. Seit seinem gestrigen Gespräch mit Yukimura und Yanagi fühlte er sich rastlos und unkonzentriert. Er hatte kaum geschlafen, war auch durch seine morgendliche Meditation nicht ruhiger geworden und hatte das Training nur überstanden, weil sich niemand wagen würde, ihn auch nur schief anzusehen. Es war nicht so sehr das, worüber er mit den beiden gesprochen hatte, sondern vielmehr das, was nicht zur Sprache gekommen war; nämlich welche Art Gefühle er für Atobe hatte. Sanada sah sich schlichtweg nicht in der Lage, diese Frage allein zu beantworten. Dafür kannte er sich auf diesem Gebiet viel zu wenig aus, also würde er versuchen es so lange ruhen zu lassen, bis er für eine Konfrontation bereit war. »Hör auf damit«, bat er Atobe schließlich, ohne ihn anzusehen. Eine Antwort erhielt er prompt, auch wenn sie ihm nicht gefiel. »Und wenn ich nicht aufhören will?« »W-was?« »Es ist doch normal mit der Person zu flirten an der man Interesse hat, also warum sollte ich aufhören?« Atobe gefiel die Richtung nicht, in die dieses Gespräch zu laufen schien, aber er war sich sicher, dass Sanada ihm das nicht anmerken würde. »Meine Gesellschaft und die paar Geschenke werden dich ja wohl nicht so sehr stören, dass ich aus deinem Leben verschwinden soll.« Darauf schwieg Sanada lange, aber man sah an seinem fokussierten Blick, dass er angestrengt nachdachte. »Es ist nicht deine Gesellschaft, die mich stört.« »Sondern?«, hakte Atobe nach. »Alles andere halt«, presste Sanada nach einer gefühlten Ewigkeit hervor. Er war schon immer eher ein Mann der Tat statt des Wortes gewesen, und gerade diese Gefühle in Worte zu fassen fiel ihm unglaublich schwer. »Dass ich lächeln muss, wenn ich eine SMS von dir kriege, obwohl ich genau weiß, dass du nichts Interessantes schreibst. Dass ich mich auf Sonntage mehr freue als auf mein reguläres Training. Dass mir flau im Magen wird, wenn du mir eine Hand auf die Schulter legst.« Er hielt inne, ehe er etwas leiser fortfuhr. »Und dass ich dir das alles nicht einmal klar sagen kann.« Atobe überlegte lange, überlegte hin und her, bis er sich seiner nächsten Aussage so sicher war, dass er sie mit dem gleichen selbstbewussten Grinsen sagen konnte, das er immer versuchte zu tragen, wenn er die Kontrolle über eine Situation nicht verlieren wollte. »Für mich klingt das so, als hättest du auch Gefühle für mich.« »Nein«, antwortete Sanada reflexartig und viel zu schnell, um für einen von ihnen überzeugend zu klingen. Darauf schwiegen sie lange. Sanada, weil ihm nun endgültig die Worte fehlten, und Atobe, weil dies die letzte Situation war, mit der er vor ihrem Treffen gerechnet hatte. Nach einer Weile begann Sanada seinen Mund immer wieder zu öffnen und zu schließen, so als wollte er unbedingt etwas sagen, aber wüsste nicht wie. Schließlich räusperte er sich und fixierte Atobe mit festem Blick. »Ich...« Er stockte kurz, holte tief Luft und setzte dann erneut an. »Ich bin kein Mann für eine Nacht, aber ein bis zwei Stunden hätte ich schon Zeit.« Diesmal reichte Atobes Selbstkontrolle nicht aus. Mit offenem Mund starrte er sein Gegenüber an, völlig sicher, dass er sich verhört haben musste. Doch als er die Situation endlich vollkommen verstanden hatte, brach er in schallendes Gelächter aus. »Wo hast du das denn her?« »Yukimura meinte, dass ich das sagen soll, wenn wir an einem toten Punkt angekommen sind«, erklärte er, verwirrt darüber, dass Atobes Reaktion vollkommen anders war, als Yukimura ihm zugesichert hatte. Atobe hingegen hob eine Augenbraue und blickte ihn skeptisch an. »Und du glaubst wirklich, dass ihr Freunde seid?« Erst schien es so, als wollte er Yukimura verteidigen, doch letzten Endes starrte Sanada nur peinlich berührt den Boden an und stellte sich diese Frage gedanklich vermutlich immer und immer wieder selbst. »Na gut, Sanada, wie wäre es hiermit?« Atobe seufzte lautlos und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Wir küssen uns, und wenn dich das völlig kalt lässt, werde ich nicht mehr mit dir flirten, in Ordnung?« »K-küssen?« Wäre ihm nicht so sehr daran gelegen gewesen, dieses Desaster von einem Geständnis positiv enden zu lassen, hätte Atobe ihm gesagt, wie niedlich er aussah, wenn er sich so genierte. »Hast du eine bessere Idee?« Wenn er ganz ehrlich war, war Atobe unzufrieden damit, wie sie dieses Problem lösen wollten. Vor allem verglichen mit seinen anderen möglichen Plänen – die meisten beinhalteten Tennisplätze außerhalb Japans und vorangegangene Treffen mit berühmten Spielern, andere wiederum begannen ganz klassisch in einem Restaurant und endeten an einem Strand – war dies die wohl unspektakulärste, unangenehmste Variante. Er nahm an, dass Yukimura der Schuldige war, und auch wenn er noch nicht wusste, wie genau er es anstellen wollte, würde er ihn definitiv dafür büßen lassen. Zuerst galt es allerdings Schadensbegrenzung zu leisten, und wenn er sich Sanada so ansah, würde das ein hartes Stück Arbeit. Der andere schüttelte zwar auf seine Frage den Kopf, doch er sah alles andere als überzeugt aus. Als Atobe den Abstand zwischen ihnen überwand und eine Hand in seinen Nacken legte, meinte er sogar zu spüren, wie er zitterte. Innerlich schreiend atmete er einmal tief durch und küsste Sanada für einige kurze Sekunden auf die Lippen, bevor er wieder ein paar Schritte von ihm zurücktrat. Seinem Selbstwertgefühl zuliebe beschloss Atobe, den leicht glasigen Blick des anderen als Etappensieg zu verbuchen. Er wartete noch, ob Sanada vielleicht etwas sagen wollte, seufzte dann schließlich und gab sich für diesen Abend geschlagen. »Wenn du erst noch Zeit brauchst, darüber nachzudenken, können wir das auch wann anders klären«, meinte Atobe gedehnt und wartete auf irgendeine Art von Reaktion. Sanada wusste allerdings nicht, wie er darauf antworten sollte. Es war nicht so, dass ihm der Kuss nicht gefallen hätte. Eigentlich hatte er es ganz schön gefunden, aber gerade das verwirrte ihn noch mehr. Er war schon immer jemand gewesen, der sich eher durch Taten als durch Worte ausdrücken konnte, und genau aus diesem Grund vertraute er Taten auch sehr viel mehr. »Das nehme ich mal als Ja. Also da—« Atobe wollte sich gerade umdrehen und gehen, als Sanada ihn am Arm packte und zurückhielt. Einige Sekunden lang starrten sie sich einfach nur an, bis Sanada ihn so lange zu sich zog, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Beide wirkten auf den ersten Blick vollkommen ruhig, doch Atobe musste sich eingestehen, dass sein Herz gerade so laut wie nie gegen seinen Brustkorb hämmerte. »Und was soll das jetzt werden?«, fragte Atobe atemlos, ohne ihren Blickkontakt zu unterbrechen. Sanada wirkte etwas verunsichert, blinzelte jeden Zweifel in seinem Blick jedoch schnell weg. »Ich... flirte mit dir«, erklärte er, unsicher, ob er das wirklich tat. Atobes kurzes, tiefes Auflachen verriet ihm jedoch schnell, dass er sich gar nicht so schlecht schlug. »Oho?« Wieder in seinem Element legte er seine Hand an Sanadas Wange und fuhr mit dem Daumen seine Unterlippe nach. »Hat dir mein Charme so sehr die Sprache verschlagen, dass du dich auf Taten verlassen musst?« Merklich gelassener als vorher rollte Sanada mit den Augen. »Halt doch einfach mal für einen Moment den Mund.« »Zwing mich doch«, raunte Atobe mit tiefer Stimme, ehe er den letzten Abstand zwischen ihren Lippen überwand. Kapitel 2: Auf nicht ganz so dünnem Eis (Niou/Sanada) ----------------------------------------------------- Yagyuu konnte mit wenig Stolz behaupten, dass er Niou von allen Mitgliedern des Tennisclubs am besten kannte. Auf der einen Seite war das eine völlig logische Konsequenz, wenn man bedachte, wie viel Zeit sie nicht nur als Spieler miteinander verbrachten. Auf der anderen Seite zeigte es ihm jedoch auch, dass er seinen sozialen Umgang vermutlich besser auswählen sollte. In jedem Fall hatte Yagyuu durch seine Freundschaft mit ihm das Privileg – so zumindest nannte Niou es –, über den Großteil seiner Ideen und Gedankengänge auf dem Laufenden gehalten zu werden. Das mochte ab und an recht amüsant sein, doch in den meisten Fällen tat er aus Höflichkeit so, als würde er zuhören, und nickte nur ab und zu. Sein Freund war allerdings nicht dumm, also sagte er mit Absicht von Zeit zu Zeit etwas so Absurdes, dass Yagyuu innehielt und ihm seine komplette Aufmerksamkeit schenkte. So wie jetzt. »Ich glaube, ich frage Sanada heute nach einem Date.« Der Spruch war neu, also wollte Yagyuu ihm den Gefallen tun und erst einmal mitspielen. »Unseren Sanada?« »Wen denn sonst?«, fragte Niou verwirrt, obwohl Yagyuu nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob diese Verwirrung echt war oder nicht. »In unserem Jahrgang gibt es ein Mädchen, das auch Sanada heißt. Du erinnerst dich vielleicht an das Sommerfest im letzten Jahr, als einige Schüler dachten, sie wären verwandt und es zu Zwischenfällen während des Trainings kam«, erklärte er, bevor er von seinem Buch aufsah. Niou schaute ihn an, als habe er gerade unaufgefordert die Inhaltsstoffe von sämtlichen Gerichten ihrer Schulmensa aufgezählt, also seufzte Yagyuu nur lautlos und richtete kurz seine Brille. »Also gut, was willst du mir sagen?«, versuchte er es erneut. »Dass ich Sanada fragen will, ob er am Wochenende etwas mit mir unternimmt.« Würde er Niou nicht so gut kennen, wäre ihm der minimal genervte Unterton in seiner Stimme vermutlich nicht aufgefallen. Als Yagyuu ihm jedoch eine ausführliche Antwort darauf geben wollte, begann er zu verstehen, dass Niou ihn nicht angelogen hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, sondern die Wahrheit gesagt hatte. »Warum?« Mehr brachte er nicht heraus, denn an diesem Punkt verwendete er seine ganze Selbstkontrolle dafür, seine Gesichtszüge davon abzuhalten, ihm zu entgleisen. Offensichtlich amüsiert über seine Reaktion grinste Niou ihn an. »Warum führt man Menschen wohl zu Dates aus?« Er stieß sich von der Fensterbank ab, an der er bis eben gelehnt hatte. »Aus romantischem Interesse.« »Ich denke, Sanada ist der letzte Mensch, mit dem du dir da einen Spaß erlauben solltest«, gab Yagyuu zu bedenken, nachdem er sich so weit gefangen hatte, dass er sein Gesicht wieder unter Kontrolle hatte. »Tue ich nicht.« Nious Grinsen verschwand für einen Moment komplett. »Das ist mein voller Ernst.« Yagyuu schloss sein Buch und legte es zur Seite. »Romantisches Interesse... an Sanada?«, fragte er erneut, nicht in der Lage, den Unglauben aus seiner Stimme zu verbannen. »Für jeden anderen wäre dein Zögern eine Beleidigung gewesen.« »Hast du dir das gut überlegt?«, hakte Yagyuu nach, ohne auf seinen Kommentar einzugehen. Wenn er ehrlich war, dann waren Niou und Sanada für ihn aus unterschiedlichen Gründen die zwei Menschen, die er sich am wenigsten in einer Beziehung mit irgendwem vorstellen konnte. Ausgerechnet diese beiden dann zusammen zu sehen konnte er sich nicht vorstellen. Niou schienen seine Bedenken jedoch nicht zu stören, zumindest nicht, wenn man nach dem selbstbewussten Lächeln auf seinen Lippen ging. »Wann handle ich je unüberlegt?« Genau das wusste Yagyuu nicht. Auch nach all der Zeit, die er gezwungenermaßen mit Niou verbracht hatte, konnte er immer noch nicht sagen, ob sein Freund tatsächlich alle Lebenslagen durchgeplant hatte, oder ob er einfach nur gut improvisieren konnte. »Es geht mich an sich nichts an, also warum erzählst du mir davon?«, fragte Yagyuu schließlich, anstatt Niou zu antworten. Sein Freund grinste ihn schief an. »Weil ich mir seelischen Beistand erhoffe?« »Natürlich.« Er schmunzelte, ehe er fortfuhr. »Welche Pläne hast du denn für euer Date, für den Fall, dass er zustimmt?« Niou hatte mittlerweile damit begonnen, seine Sachen zusammenzupacken. Ihr Training begann erst in einer guten Stunde, und während Yagyuu die Zeit für gewöhnlich schon nutzte, um seine Hausaufgaben zu erledigen oder wie heute zu lesen, zog es Niou an andere Orte. Wo genau die lagen wusste niemand, aber wenn er es genau bedachte, wollte er das auch gar nicht. »Wir gehen Schlittschuhlaufen«, erwähnte Niou fast schon beiläufig, als er gerade das letzte Buch in seiner Tasche verstaut hatte. Darauf hob Yagyuu überrascht eine Augenbraue. »Sanada stand meines Wissens nach noch nie auf dem Eis.« »Ganz genau«, grinste Niou so unverschämt breit, dass Yagyuu nur seufzen konnte. »Also hast du es dir tatsächlich gut überlegt.« »Alles ist bis ins kleinste Detail durchgeplant.« Mit diesen Worte warf er sich seine Tasche über die Schulter, streckte sich kurz und verabschiedete sich von seinem Freund. Yagyuu nickte ihm zu und griff in der gleichen Bewegung nach seinem Buch. Bevor er jedoch eine Seite aufschlug, hielt er kurz inne. »Dann tu dem gesamten Team bitte einen Gefallen und mach nichts Dummes«, mahnte er Niou schärfer als beabsichtigt. Es beunruhigte ihn ein wenig, dass der andere ihm bereits den Rücken zugewandt hatte und er sein Gesicht nicht sehen konnte. »Das kann ich dir leider nicht versprechen«, gab Niou zu, ein Lächeln in der Stimme, von dem Yagyuu nicht wusste, ob es erheitert oder wehmütig klang, ehe er die Hand zum Gruß hob und durch die Tür auf den Flur trat. »Aber ich werde mir Mühe geben.« Wie genau Niou es geschafft hatte, Sanada dazu zu bringen, mit ihm an diesem Sonntag zur Eislaufbahn zu gehen, war ihm selbst nicht ganz klar. Nun gut, eigentlich schon – schließlich war er ein Meister der Manipulation und Überredung. Dass Sanada allerdings von Anfang an kaum Überzeugung benötigt hatte, hatte ihn positiv überrascht. (Und wenn er ehrlich war auch ein wenig geängstigt.) Vermutlich lag es daran, dass er ihr Treffen anfangs nicht als Date bezeichnet hatte, sondern als einen zwanglosen Tag auf dem Eis voller neuer Erfahrungen. Als er sich jedoch mit den Worten ›Ich freue mich schon auf unser Date‹, einem koketten Grinsen und einem Augenzwinkern von Sanada verabschiedet hatte, hätte er schwören können gesehen zu haben, wie Sanadas Wangen sich rot färbten. Seine Wangen waren auch leicht rot gewesen, als Niou ihn vor der Eislaufbahn getroffen hatte (Sanada war noch vor ihm angekommen, und dabei war er selbst schon eine Viertelstunde zu früh), aber das hatte er auf die Kälte geschoben. In der Tat hatte sich seine Gesichtsfarbe wieder normalisiert, sobald sie einige Zeit drinnen verbracht hatten. Bis Niou die Ausleihgebühr für beide Paar Schuhe übernommen hatte und trotz Sanadas lautem Protest darauf bestanden hatte, ihn an diesem Tag zu allem einzuladen. Er würde lügen, wenn er behauptete, keinen Spaß daran zu haben, Sanada verlegen zu machen. Es war eine willkommene Abwechslung zu dem Bild, das der andere für gewöhnlich während des Trainings abgab. Besonders wenn es um Dinge ging, die neu oder ungewohnt für ihn waren. Als sie sich beispielsweise die Schlittschuhe angezogen hatten, war Niou kurz davor gewesen, sich einfach wortlos hinzuknien und Sanada zu helfen, so hilflos hatte er gewirkt. Dann wiederum hätte Sanadas Stolz das nicht verkraftet, und angesichts dessen, was er heute noch geplant hatte, wollte er ihm das nicht zumuten. Letzten Endes hatte Sanada es auch selbst geschafft und stand nun auf etwas wackeligen Beinen neben ihm am Ring. »Ich bin absolut dagegen.« Sanadas Stimme war bestimmt und fest, ganz anders als seine unsichere Körperhaltung es vermuten ließ. Entsetzt starrte er die Ansammlung an dicken Pinguinen, Schneeeulen und -füchsen aus Plastik an, um die sich ein Haufen Kinder scharrte. »Auf einmal?«, fragte Niou höhnisch. Sanada hörte ihm das Grinsen auf den Lippen an der Stimme an. »Von diesen... diesen Ungetümen war nie die Rede.« »Weil ich davon ausgegangen bin, dass es für den versierten, weltgewandten Sanada selbstverständlich sein würde, dass er anfangs mit einer Lernhilfe auf dem Eis steht.« Sanada verzog das Gesicht und Nious Grinsen wurde breiter. »Oder wirst du etwa dein Wort brechen?« Unwillkürlich zuckte Sanada zusammen. Damit hatte er einen empfindlichen Nerv getroffen, doch Niou war noch nicht fertig. »Dabei hatte ich mich so darauf gefreut, auch außerhalb des Trainings Zeit mit dir zu verbringen.« Das war nicht einmal gelogen, immerhin hatte er sich wirklich sehr auf diesen Tag gefreut, und bisher lief auch alles so, wie er es geplant hatte. Es gefiel ihm jedoch viel zu sehr, Sanada zu ärgern, also konnte er sich die Sticheleien nicht verkneifen. Schon gar nicht, wenn der andere darauf immer diese hübsche Röte auf den Wangen bekam. »Natürlich werde ich mein Wort halten. Aber«, Sanada suchte fast schon sichtbar verzweifelt nach Worten, »gibt es keinen anderen Weg, mir Schlittschuhlaufen beizubringen?« ›Einen weniger erniedrigenden Weg‹, wollte er nachsetzen, aber er vermutete, dass Niou auch so verstand, was er sagen wollte. Als Sanada das katzenhafte Grinsen des anderen sah, war er sich sogar verdammt sicher, dass er es auch so verstand. Auf einmal fühlte es sich so an, als wäre er in eine Falle getappt. »Nun, es gäbe da schon einen anderen Weg«, verriet Niou mit einer Tonlage, die man normalerweise von jemandem erwarten würde, der ein Heilmittel gegen Krebs gefunden hatte. Sanada hatte ein ziemlich ungutes Gefühl in der Magengegend, doch er folgte dem anderen dennoch. Solange es hieß, dass er diese lächerlichen Lernhilfe hinter sich lassen konnte, war ihm fast alles recht. Als sie schließlich am Eingang zum Ring angekommen waren, trat Niou sicheren Schrittes aufs Eis, drehte sich zu ihm um und hielt ihm seine Hand entgegen. »Nimm meine Hand«, schnurrte er fast schon, die Stimme tief und die Augen dunkler als sonst. »Oder vertraust du mir etwa nicht?« Niou wusste, dass Sanada trotz seines einschüchternden Körperbaus und seines generellen Auftretens elegant sein konnte. Er hatte ihn vor langer Zeit mal bei seinem Schwerttraining beobachten können und war tief beeindruckt gewesen, auch wenn er das niemals laut aussprechen würde. Nur Eleganz auf dem Eis lag ihm nicht so sehr. Nachdem gut zwanzig Minuten vergangen waren, hatte Sanadas eiserner Griff um seine Hand sich zwar etwas gelockert, aber Niou sah ihm an, dass ihm die ganze Angelegenheit immer noch nicht geheuer war. Seine Bewegungen waren steif und hatten nichts von der Geschmeidigkeit, mit der er sich sonst auf dem Platz bewegte. Damit er sich abgewöhnte, immer auf den Boden zu starren – und damit er nicht nur eine, sondern beide seiner Hände halten konnte –, war Niou irgendwann dazu übergegangen, rückwärts vor Sanada zu laufen. So konnte er ihm sowohl in die Augen sehen (und ihn besser aufziehen), als auch seine Haltung einfacher korrigieren. »Läuft doch gar nicht so schlecht«, meinte Niou nach einer Weile. Nicht einmal er selbst konnte sagen, ob er überzeugend klang, und das wollte etwas heißen. Sanada hielt sich zwar wacker auf den Beinen und war noch nicht gefallen, aber dass er noch nicht allein fahren konnte, kratzte ein wenig an Nious Ehre als Lehrer. »Hmm.« Seine Antwort war einsilbig und klang nicht überzeugt, aber das konnte er ihm nicht verübeln. Stattdessen lachte er kurz und zwinkerte Sanada zu. »Keine Angst. Ich passe schon auf, dass du nicht fällst.« »Ich habe keine Angst«, konterte Sanada umgehend, auch wenn sie beide wussten, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. »Mhmm.« Diesmal war es Niou, der eine einsilbige Antwort gab. Nach kurzem Überlegen brachte er sie beide zum Stehen und drückte die Hände des anderen versucht aufmunternd. »Ich denke, du bist jetzt soweit, ohne Hilfe zu laufen.« »W-was?« Nicht laut zu lachen, als Sanadas Stimme bei seinem entsetzten Ausruf brach, kostete Niou fast sein gesamtes Maß an Selbstkontrolle. Er beließ es bei einem amüsierten Grinsen. »Lauf einfach nur ein paar Meter auf mich zu. Ums Bremsen musst du dir keine Gedanken machen, dabei helfe ich dir«, schlug er vor, überraschend sanft. Vermutlich war seine Tonlage der einzige Grund, aus dem Sanada letzten Endes zustimmte. Niou ließ seine Hände los, lief ein paar Meter rückwärts und wartete, dass der andere bereit war. Sanada blickte ziemlich missmutig drein, als er langsam auf ihn zulief, doch er hielt sich tapfer. »Gut so, immer weiter«, ermutigte er ihn. Eigentlich hatte Niou ihn wieder an den Händen halten und so stoppen wollen, doch im letzten Moment breitete er seine Arme aus und wartete, bis Sanada – zwar ungebremst, aber dafür sehr langsam – mit seiner Brust kollidierte und so zum Stehen kam. »Siehst du, war gar nicht so schlimm.« Ohne groß darüber nachzudenken schlang Niou seine Arme komplett um den Körper des anderen, und sehr zu seinem Erstaunen dauerte es nicht lange, bis Sanada die Geste erwiderte. Wahrscheinlich war es pure Erleichterung gewesen, denn einige Augenblicke später schien er zu realisieren, was er eigentlich gerade tat. »Ich bin mir sicher, dass das noch besser geht«, murmelte Sanada mit so viel Würde, wie er in dieser Situation aufbringen konnte, und schob Niou sacht von sich. Es störte Niou ein wenig, dass ihre Umarmung so schnell endete, wie sie begonnen hatte, doch das ließ er sich nicht anmerken. »Mit Sicherheit.« Er grinste ungeniert und glitt erneut einige Meter rückwärts. Dann gab er das Startsignal und beobachtete genau, wie Sanada sich bewegte. Er lief etwas sicherer als vorher, aber immer noch nicht passabel genug, als dass er ihn guten Gewissens allein laufen lassen könnte. Als Sanada etwa die Hälfte des Weges geschafft hatte, breitete Niou erneut die Arme weit aus. »Komm in meine Arme«, rief er ihm mit einem Lächeln im Gesicht zu. Dass diese Idee wohl nicht so durchdacht war, wie er angenommen hatte, merkte er erst, als Sanada ihn fassungslos anstarrte, die Ohren und Wangen rot, und so verzweifelt in eine andere Richtung starren wollte, dass er das Gleichgewicht verlor. Reflexartig schoss Niou nach vorne um ihm zu helfen, bekam ihn aber nicht mehr rechtzeitig zu fassen. Es endete damit, dass Sanadas Gewicht ihn mit zu Boden zog und sie beide recht unsanft auf dem harten Eis landeten. Im ersten Moment wusste Niou nicht, wo seine Gliedmaßen aufhörten und Sanadas anfingen. Dann fing er plötzlich an zu lachen, laut und unkontrolliert, und das obwohl Sanada fast komplett auf seinem Brustkorb lag. »Es ist Jahre her, dass ich beim Schlittschuhlaufen gefallen bin, aber ich schätze, deine Gesellschaft macht alles möglich«, erklärte er, immer noch lachend und mit viel zu guter Laune für ihre Situation. »Das klingt nicht sehr schmeichelhaft.« Sanada sah ihn säuerlich an, zumindest so gut es in seiner jetzigen Position möglich war. Ehe er sich jedoch aufrichten konnte, schloss Niou erneut seine Arme um ihn und zog ihn wieder näher. »Ich meine es aber als Kompliment«, raunte er, sich nur zu gut im Klaren darüber, dass das eins der dummen Dinge war, vor denen Yagyuu ihn vor einigen Tagen noch gewarnt hatte. Bisher hatte Sanada allerdings so positiv auf seine Annäherungsversuche reagiert, dass Niou fand, er könnte ruhig noch offensiver sein. Auch jetzt brummte Sanada nur und verlagerte sein Gewicht so, dass er Niou das Atmen nicht mehr erschwerte. »Sollten wir nicht wieder aufstehen?«, fragte Sanada nach einer Weile, ohne ihn anzusehen. Niou ließ sich Zeit mit seiner Antwort und legte stattdessen eine Hand in Sanadas Nacken. »Wieso? Mir gefällt es hier ganz gut.« »Die Leute gucken schon.« »Sollen sie doch gucken«, entgegnete er mit einer Ruhe, die Sanada für völlig unangebracht hielt. Es war nicht so, dass ihm die Nähe zu Niou unangenehm war, aber sie befanden sich immer noch an einem öffentlichen Ort. Ihm war nicht wohl dabei, wenn andere ihn in solchen Momenten sahen. In Gedanken versunken merkte er nicht sofort, dass Niou angefangen hatte, ihm den Nacken zu kraulen. Sowie er es jedoch realisiert hatte, konnte er spüren, wie seine Ohren vor Scham brannten. »Niou!« Dass Sanada so empört klang, wie er ihn noch nie zuvor gehört hatte, brachte Niou nur wieder zum Lachen. Dennoch ließ er von dem anderen ab, stand auf und klopfte sich die Hose ab. Dann grinste er ihn provokant an und hielt ihm seine Hand entgegen. »Ist ja gut, ist ja gut.« Niou störte sich nicht an der Grimasse, die Sanada zog. Für ihn könnte ihr Date eigentlich nicht besser laufen. Er wartete, bis Sanada seine Hand ergriffen hatte und wieder stand, bevor er etwas leiser und verheißungsvoller fortfuhr. »Wir können ja später noch zu mir.« Fast hätte Sanada sich an seiner eigenen Spucke verschluckt. Er fing sich jedoch sehr viel schneller als bisher an diesem Tag, und auch wenn seine Ohren immer noch rot waren, wirkte er selbstsicherer als vorher. »Aber erst, wenn ich ohne Hilfe Schlittschuhlaufen kann«, meinte er mit so viel Würde, wie er auf Schlittschuhen momentan aufbringen konnte. Nious Grinsen wurde breiter. »Ganz wie du willst.« Kapitel 3: Dear Diary (Atobe/Shishido) -------------------------------------- Tag 3: Es sind gerade mal drei Tage vergangen, seit Atobe und ich ein Paar sind, und ich frage mich bereits, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist. Er hat mich heute mit einer Limousine von Zuhause abgeholt und darauf bestanden, dass ich mit ihm zur Schule fahre. Mit einer Limousine! Wer macht denn sowas?! Nur weil er die Dekadenz in Person ist heißt das nicht, dass ich das von jetzt an auch sein werde. Tag 4: Er dachte, es wäre ein Witz gewesen, dass mich die Limousine stört, aber heute habe ich ihn einfach stehen lassen und bin stattdessen gelaufen. Als wir uns beim Training gesehen haben hat er sich aber nichts anmerken lassen. Tag 5: Endlich hat er's gecheckt. Tag 6: Ein Kuss zur Begrüßung ist eigentlich ganz nett. Tag 7: Ein Kuss zum Abschied ist nur dann in Ordnung, wenn der Rest des Teams nicht anwesend ist. Tag 8: Mukahi hört nicht auf, mich gehässig anzugrinsen. Tag 10: Atobe meinte, dass ein Kuss zum Abschied vor dem Team immer in Ordnung sein sollte, weil sie uns schließlich schon dabei gesehen haben. Ich bin nicht überzeugt. Tag 12: Vielleicht habe ich Mukahi heute die Nase blutig geschlagen, aber auch nur vielleicht. (Gott, hat das gut getan!) Tag 13: Ein naiver Teil von mir dachte, den Captain zu daten würde bedeuten, dass ich eben keine Strafrunden laufen muss, nur weil ich einem Teamkollegen ins Gesicht geschlagen habe. Ganz klar mein Fehler. Also, die Naivität, nicht der verdammt zielgenaue Schlag. Tag 14: Wer feiert denn bitte sein Zweiwöchiges? Machen Paare das?! Tag 15: Meine Mutter hat mir, wenn auch sehr misstrauisch, erklärt, dass Paare sowas für gewöhnlich nicht machen. War ja zu erwarten, weil wann ist Atobe schon gewöhnlich? Über die Schokolade habe ich mich trotzdem gefreut. Tag 20: Matches gegen Atobe zu spielen war schon immer ein sehr effektives Training gewesen, und einer der Vorteile ihn zu daten ist, dass wir nun fast jeden Tag gegeneinander antreten. Das einzig Negative ist, dass er nun mal nicht still ist und mir alles, was aus seinem Mund kommt, ein wenig bis sehr peinlich ist. Tag 21: Um das Ganze mal in Relation zu setzen: wenn sogar Choutarou mich mitleidig anlächelt, dann hat Atobe mit seinen Flirtversuchen definitiv über die Stränge geschlagen! Tag 30: Sein Einmonatiges zu feiern ist anscheinend sehr viel üblicher, als bereits nach zwei Wochen die Korken knallen zu lassen (was Atobe gemacht hat, nur eben mit alkoholfreiem Champagner), aber es war naiv zu glauben, dass wir in irgendeiner Form wie ein normales Paar feiern würden. Wobei, der Abend hat relativ normal angefangen: wir sind nach dem Training essen gegangen (günstiges Familienrestaurant, getrennte Rechnung) und danach zum Flussufer gelaufen, um noch ein wenig Zeit miteinander zu verbringen. Alles war perfekt. Und dann zieht Atobe dieses Geschenk aus seiner Tasche, das sich als unglaublich teures Paar Jeans entpuppt. Wollte ich immer haben, aber eben von meinem eigenen Geld. Und ein Paar hätte vollkommen gereicht. Stattdessen hat er mir stolz verkündet, dass ein weiteres Dutzend zuhause auf mich wartet. Natürlich bin ich daraufhin total wütend geworden, hab ihn vielleicht etwas zu laut angeschrien und bin nach Hause gerannt, wo das übrige Dutzend fast im Müll gelandet wäre, wenn ich nicht wüsste, was für ein kleines Vermögen es gekostet haben muss. Tag 31: Atobe muss dringend lernen, Grenzen einzuhalten! Wer lauert seinem Freund denn auf, wenn der mit seinem Hund Gassi geht, nur um sich zu entschuldigen?! Tag 34: Wir haben beschlossen, dass ich von nun an erst einmal die Dateplanung übernehme, damit Atobe einen Leitfaden dafür hat, was für mich in Ordnung ist und was nicht. Warum ich dachte, ihn in einen Freizeitpark auszuführen sei eine gute Idee, ist mir rückblickend schleierhaft. Das erste Mal die Nase verzogen hat er, als wir in der Ticketschlange standen und eine Horde Kinder schreiend hinter uns zum Stehen kam. Das zweite Mal keine drei Minuten später, als wir den Park betreten hatten und jemand einige Meter vor uns seine Pommes verschüttete und einfach auf dem Boden liegen ließ. Man konnte ihm ansehen, wie sehr er sich zusammenreißen musste, nichts Abwertendes zu sagen, und in diesen 27 Minuten war ich wirklich beeindruckt von ihm. Dann ist ein kleines Mädchen mit ihrem Eis gegen ihn gelaufen und hat die schon wieder flüssige Schokoladenmasse auf seinem Hemd und seiner Hose verteilt. Zugegeben, den Fluch, der ihm herausgerutscht ist (auf Deutsch, immerhin war ein Kind anwesend), hatte er sich verdient. Und als wir danach auf der Achterbahn waren, hat er bei der ersten Beschleunigung ganz unbeherrscht die Luft eingesogen und sich mit einer Hand in meinem Arm festgekrallt. Eigentlich war allein dieser glorreiche Moment den ganzen Stress wert. Also, für mich. Für ihn vermutlich nicht. Tag 42: Heute wollte ich Atobe zeigen, dass es auch viele Lebewesen gibt, denen es nicht so gut geht wie ihm, also haben wir den Tag im Tierheim verbracht. Wider Erwarten hat er die Käfige ohne zu murren gesäubert und hat mit den Tieren geschmust, obwohl das bedeutete, dass er danach mehr Haare als Kleidung am Leib hatte. Für einen kurzen Moment war ich unglaublich stolz auf ihn und seine Anpassungsfähigkeit. Dann, kurz bevor wir gegangen sind und ich ihn loben wollte, hat er das Tierheim gekauft und umgehend mit der Planung begonnen, wie man es weiter ausbauen kann. Er hat zwar alles zunichtegemacht, worauf ich hingearbeitet habe, aber ich kann ihm einfach nicht böse sein. Dieser verdammte Mistkerl und sein wunderschönes Lächeln! Tag 50: Natürlich war jeder aus unserem Team schonmal bei Atobe zuhause, schließlich werden viele unserer Meetings während der Ferien dort abgehalten. Oder er lädt uns einfach so ein, weil er Lust darauf hat. Man kann über ihn sagen, was man will, aber seinen Wohlstand hat er schon immer gerne mit anderen geteilt. Nur jemanden als Freund zu besuchen ist anders als ein Besuch als fester Freund, vor allem wenn Atobe vor seinen Eltern so offen damit umgeht. Ich hab nicht einmal damit gerechnet, dass sie überhaupt anwesend sein würden, aber vermutlich hat er sie explizit darum gebeten, damit er mich erneut vorstellen konnte. Ich wäre am liebsten wieder hinausgerannt, auch wenn beide wirklich aufrichtig froh darüber zu sein schienen, dass ihr Sohn in einer Beziehung war. Zum Glück hatten sie nicht genügend Zeit für ein längeres Gespräch, also haben wir den Rest des Tages in seinem Zimmer verbracht – das allein ist fast so groß wie unsere gesamte Wohnung. Der Plan war auch, dass ich bei ihm übernachte. Also, nicht im gleichen Bett. Zumindest war das der Plan, wie gesagt. Als er mich aber ins Gästezimmer geführt hat, das ebenfalls fast so groß war wie unsere Wohnung, habe ich es mir anders überlegt. Ich meine, wie dekadent kann man sein? Es wäre doch total lächerlich, wenn ich allein in diesem überdimensionalen Gästebett schlafe, wenn Atobe genug Platz für drei in seinem eigenen überdimensionalen Bett hat. Man muss wirtschaftlich denken! Es hat definitiv nichts damit zu tun, dass es ein verdammt schönes Gefühl ist, nicht nur kuschelnd einzuschlafen, sondern auch so aufzuwachen. Tag 62: Trotz all der Male, die ich schon bei Atobe war, habe ich ihn noch nie mit zu mir genommen. Vor unserer Beziehung nicht, und jetzt erst recht nicht. Mal davon abgesehen, dass ich meiner Familie noch nichts von uns erzählt habe, fühle ich mich generell unwohl bei dem Gedanken daran. Mich stört es nicht, dass wir wohl zu den einzigen Familien an der Schule zählen, die nicht wohlhabend sind. Aber Atobe hat gewisse Standards, von denen ich nicht weiß, ob ich sie erfüllen kann. Tag 71: Wir hatten unseren ersten richtigen Streit, mit viel Geschrei und zugeknallten Türen. Eigentlich komisch, dass es nicht schon längst gekracht hat. Ich weiß gar nicht mehr richtig, wie es angefangen hat, aber vermutlich war es wieder meine Schuld gewesen. Das ist auch das erste, woran ich mich wirklich erinnere: dass ich ihn angeschrien habe. Ursprünglich wollte ich ansprechen, dass mir nicht wohl dabei ist, wie Atobe mich an seinem Reichtum teilhaben lässt. Dass ich mich unwohl fühle, weil das einer der gravierendsten Unterschiede zwischen uns ist und ich eine Heidenangst habe, ihn deswegen zu verlieren. Aber aus »Ich habe Angst, dass ich dir nicht genügen könnte« wurde leider »Schieb dein Geld doch wem in den Arsch, der sich dafür interessiert«, und jetzt habe ich vielleicht den Menschen verloren, der mir in den letzten Monaten am wichtigsten geworden ist. Tag 72: Er ignoriert mich immer noch. Tag 74: Unser Training ist noch nie so unangenehm gewesen. Sogar Mukahi guckt mich mitleidig an. Tag 75: Entschuldigungen haben mir noch nie gelegen, selbst wenn mir bewusst war, dass es mein Fehler war. Und in diesem Fall ist es ganz klar mein Fehler gewesen, da führt kein Weg dran vorbei. Aber ich wusste partout nicht, wie ich Atobe um Verzeihung bitten sollte. Also musste das Internet weiterhelfen, und nachdem ich geschlagene drei Stunden lang gegoogelt habe, wie man sich bei seinem Partner entschuldigt, war ich zwar immer noch nicht schlauer, aber dafür voller Hass für Jugendzeitschriften und ihre Herausgeber. Es half ja doch alles nichts, also hab ich mich abends auf den Weg zu ihm gemacht und unterwegs noch einen Strauß Blumen gekauft. Natürlich hat es ganz klassisch angefangen zu regnen, aber ich bin schon bei schlechterem Wetter gerannt. Als ich jedoch triefend nass und mit fast ruinierten Blumen vor seiner Haustür angekommen war, schien es eine verdammt dumme Idee gewesen zu sein, mir keinen Regenschirm gekauft zu haben. Ich kannte den Butler, der mir die Tür öffnete, und auch wenn er angesichts meines Auftritts die Nase rümpfte, ließ er nach Atobe rufen. Niemand hatte ihm gesagt, dass ich der ungebetene Gast an der Türschwelle war, das sah ich an dem verwirrten Blick, den er mir zuwarf. Wir haben uns lange angeschwiegen, und als ich endlich etwas sagen wollte, ist mir die Stimme gebrochen. Atobe sagt, ich hätte geweint, aber ich bin mir sicher, dass es nur der Regen gewesen ist. Wie dem auch sei, er hat mich ins Haus gelassen, mir trockene Klamotten gegeben und danach haben wir einfach nur geredet, über alles, was sowohl ihn als auch mich bedrückt. Und es hat gut getan. Fast so gut wie sein Atem in meinem Nacken und seine Arme um meinen Bauch, als wir danach nebeneinander einschlafen sind. Ich bin so froh, dass er mir verziehen hat. Tag 98: Liebes Tagebuch, heute ist der Tag, an dem ich fest damit gerechnet habe, vor Aufregung zu sterben. Nach vielen Diskussionen (und meiner Meinung nach regelwidrigen Küssen) habe ich endlich nachgegeben und beschlossen, Atobe meinen Eltern vorzustellen. Erst einmal nur als normaler Freund, so viel hat er mir zugestanden, weil ich wirklich überhaupt nicht einschätzen kann, wie sie auf ein Outing reagieren würden. Jedenfalls ist er zum Mittagessen vorbeigekommen, und sehr zu meiner Überraschung hat er auf meinen Rat gehört und ist nicht in seinem besten Anzug erschienen, wie ich es bei seinen Eltern gemacht hätte, wenn er mir vorher eine Warnung gegeben hätte. Und was soll ich sagen? Meine Eltern lieben ihn. Er ist ja so wohlerzogen, so höflich, so weltgewandt und oh mein Gott, Ryou, du kannst dankbar sein, so einen großartigen Freund zu haben! Ja, klar. Mein narzisstischer, pingeliger, ›Töte-diese-Motte-auf-der-Stelle-oder-ich-verlasse-dich‹-schreiender und natürlich rein platonischer Freund. Mein Lächeln muss ziemlich wehleidig gewesen sein, aber davon abgesehen lief alles erstaunlich gut. So gut, dass ich mich echt frage, warum ich mir solche Sorgen gemacht habe. ...ach ja, stimmt. Unser Abschied. Als ich Atobe dafür gedankt habe, dass er nicht so extravagant aufgetreten ist wie sonst. »Ich mag dich zwar häufig aufziehen, aber wenn dir etwas wichtig ist, weiß ich mich zu benehmen.« Das hat er daraufhin gesagt und mir einen Kuss auf die Wange gegeben, bevor er mich frech angegrinst hat. Danach hat er sich umgedreht und ist ohne ein weiteres Wort gegangen. Als ich mich jedoch mit hochrotem Kopf umgedreht habe, standen meine Eltern dort, denen ich dann eine sehr ausführliche Erklärung schuldig war. Sie haben es zwar gut aufgefasst und meinten, ich hätte es wirklich schlimmer treffen können, aber sie wissen ja auch nicht, dass Atobe das ohne Zweifel mit Absicht getan hat. Tag 121: Atobe meinte, wir sollten unbedingt zusammen in den Urlaub fahren, aber wir haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von Urlaub. Mich würde ein Wochenendausflug glücklich machen, am liebsten an einen Ort mit viel Natur, an dem wir wandern und campen können. (Vielleicht möchte ich auch einfach nur Atobes Aufschrei hören, wenn er neben einer Horde Käfer aufwacht.) Aber mein Freund sieht die meisten Dinge ja etwas anders als ich. Ich wollte Normalität. Atobe wollte eine Luxussuite im höchsten Stock eines 5-Sterne Hotels irgendwo in den Arabischen Emiraten. Und weil ich nicht selbst bezahlen durfte (als ob ich das gekonnt hätte), musste ich mich fügen und liege gerade auf einer Couch, von der aus ich eine zugegeben atemberaubende Aussicht habe. Aber das darf ich ihm nicht sagen, sonst wird der nächste Ausflug noch extravaganter. Wenn das denn überhaupt möglich ist, schließlich haben wir gestern Abend Kaviar mit Austernschalen gelöffelt. Ich weiß, dass er das alles nur tut, um mich glücklich zu machen. Aber ich will nicht, dass er glaubt, ich wäre nur wegen seines Geldes mit ihm zusammen. Tag 143: Zweifle an der Sonne Klarheit, Zweifle an der Sterne Licht, Zweifl', ob lügen kann die Wahrheit, Nur an meiner Liebe nicht. Anscheinend ist das von Shakespeare. Wenn man dem Internet glauben kann aus Hamlet. Jedenfalls hat Atobe mir das gestern Abend ins Gesicht gesagt, ohne sein übliches Grinsen und mit so ernster Miene, dass mir ganz anders wurde. Mittlerweile komme ich mir echt dumm vor, seine Gefühle angezweifelt zu haben. Ich meine, wie konnte ich glauben, dass er sich mit mir nur einen Spaß erlaubt, wenn er mich immerzu berührt, als wäre ich kostbarer als das angehäufte Vermögen in seinem Zimmer, und wenn seine Lippen so— ...nun gut. Der Rest ist Schweigen. Tag 1: Heute hat Atobe mir seine Gefühle für mich gestanden, und auch wenn ich glaube ich das gleiche fühle, wäre ich am liebsten auf der Stelle tot umgefallen. Er hat es vor unserem Team getan! Mukahi hat sich fast eingenässt vor lauter Lachen! Ich schwöre bei allem was mir lieb und teuer ist, der Junge kennt kein Schamgefühl. Am liebsten hätte ich ihm allein für diese Aktion einen Korb gegeben, aber ich konnte es nicht. Natürlich nicht. Wie denn auch, bei dem Blick in seinen Augen und dem aufrichtigsten Lächeln auf seinen Lippen, das ich je gesehen habe, nachdem ich ihm gestanden habe, dass ich liebend gerne sein fester Freund sein würde. Ich glaube, ich bin nie glücklicher gewesen als heute. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)