Zimtschnätze und Koboldsteine von Absinthium ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Dezember 1969 Sanft landeten die ersten Schneeflocken auf den knorrigen Ästen der hohlen Eiche. Für einen Moment überlegte er, ob es nicht doch nur Asche aus den großen Kohleöfen am Stadtrand war. Als sich ein paar Flocken zu ihm herunter in sein Versteck verirrten und auf seiner blassen Hand landeten, stellte er erfreut fest, dass nun wohl endlich der nasse ungemütliche Herbst einem klaren stillen Winter wich. Neugierig kletterte er aus der Höhle im Baum heraus und sah sich um. Es wehte ein frischer Wind, der die feinen weißen Flocken durch die kalte Luft wirbelte, und bald bedeckten die dunklen Haare und die abgetragene Kleidung des Jungen eine helle Schicht aus Schnee. Auch auf dem Boden blieben die Flocken liegen und wenige Minuten später war kaum mehr etwas von der Erde zu sehen. Die Kälte machte ihm nicht viel aus, sein Mantel war alt aber warm und er bevorzugte ohnehin niedrige Temperaturen. So setzte er sich in den Schnee und schaute zum Himmel hinauf. Als es noch wärmer war, hatte er hier oft gesessen und gedankenversunken die vorbeiziehenden Wolken beobachtet. Dieser Sommer hatte sich dennoch stark von all den vorherigen unterschieden. Zum ersten Mal war er nicht allein gewesen. Lily, das hübsche rothaarige Mädchen aus der Muggelfamilie hatte sich zu ihm gesellt und neugierig seinen Erzählungen über die magische Welt gelauscht. Seine Eltern hatten kaum bemerkt, dass er noch seltener zuhause war als ohnehin schon. Er atmete tief durch und ließ sich nach hinten fallen, an das was ihn bei seiner Familie erwartete wollte er lieber nicht denken. Entfernte Stimmen rissen ihn aus seinen dunklen Gedanken und er lauschte ohne sich dabei bemerkbar zu machen. „Lass und zurückgehen, Lily. Mir ist kalt.“, beschwerte sich eine dem Jungen wohlbekannte Stimme. Er runzelte die Stirn, Lilys zickige und schrecklich gewöhnliche Schwester Petunia konnte er nur schwer ausstehen. „Dann geh du zurück, ich hab dir gesagt, du sollst deinen Schal mitnehmen, aber du hört ja nicht auf mich.“, flötete Lily, ohne dabei besonders unfreundlich zu klingen. Ihre Schwester schnaubte verärgert. Die Stimmen kamen näher, kurz bevor sie den Ort erreichten an dem er lag, stieß Petunia einen spitzen Schrei aus. „Wieso liegt der da? Will der mich zu Tode erschrecken? Was für bescheuerte Freunde suchst du dir eigentlich aus?“ Wütend bäumte sich Petunia über ihm auf. Der Junge lächelte aber nur selbstgefällig. „Was kann ich denn dafür wenn du nicht schaust wo du hin gehst?“ Verärgert trat Lilys Schwester ihm eine Ladung Schnee ins Gesicht und stapfte davon. „Entschuldige, sie ist ziemlich schreckhaft.“ Erklärte Lily grinsend, beugte sich zu ihm herunter und wischte ihm den Schnee aus dem Gesicht. „Was liegst du aber auch hier herum, Sev?“ „Ich wollte beobachten wie der Schnee fällt. Schau mal!“ Severus deutete in den Himmel, woraufhin sich Lily neben ihn setzte und nach oben sah. Er machte mit seiner ausgestreckten Hand kreisende Bewegungen und wie von Zauberhand begannen die Schneeflocken um die beiden umher zu wirbeln. „Wie machst du das?“, staunte Lily und streckte ebenfalls ihre Hand aus. „Ich glaube, wenn ich ‚Zauberei‘ sage, ist das nicht besonders aussagekräftig.“ Severus lächelte schief und erzeugte weitere Wirbel mit einigen Handbewegungen. „Nein, ist es nicht. Denkst du einfach daran und es passiert? Ich habe das auch versucht, aber meistens funktioniert es nicht.“ Nachdenklich folgte ihr Blick seinen Gesten. „Na ja, jeder hat so seine Sachen die immer funktionieren, wie bei dir mit der Schaukel. Gerade bei uns Kindern ist das unterschiedlich. Manche hüpfen wie Gummibälle, andere fliegen, es gibt auch welche die Pflanzen wachsen lassen können. Das ist ganz unterschiedlich.“ Still nickte Lily und schaute eine Weile den Schneeflocken zu. Schließlich wandte sie sich wieder zu Severus und lächelte geheimnisvoll. „Weißt du was ich kann?“ Mit großen Augen richtete er seinen Blick auf sie und der Schnee rieselte wieder wie gewohnt. „Außer Schaukeln?“ Lachend griff Lily in die dünne Schneedecke. „Hey!“ Nun warf sie ihm eine Hand voll Schnee ins Gesicht. “Das ist keine Antwort!”, erklärte er empört, lachte dann aber ebenfalls. „Und die bekommst du auch nicht, wenn du so frech bist.“ Wie sie es geschafft hatten sich mit so wenig Schnee eine Schneeballschlacht zu leisten, konnten sie später nicht mehr genau sagen. Wirklich wundern tat es sie beide allerdings nicht. Severus‘ Mutter hatte ihm versprochen ihn vor Weihnachten noch einmal mit in die Winkelgasse zu nehmen. Sie kam oft dorthin, um neue Zutaten zu kaufen und nach gebrauchten Büchern Ausschau zu halten. Meistens hatte sie keine Lust ihren Sohn mitzunehmen, ab und zu konnte er sie aber doch überreden. Auch wenn sie es niemals zugeben würde, vermutete Severus, dass sie dabei vermeiden wollte, dass er sah wie wenig sie sich doch leisten konnten und was andere magische Kindern hatten und er vermutlich nie haben würde. Nicht verwunderlich war es also, dass auch die Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke karg ausfielen. Alte Bücher, ein paar Süßigkeiten, immerhin bekam er fast immer eine Kleinigkeit. Jedenfalls wenn seine Mutter es an seinem Vater vorbeischmuggeln konnte. Wenn dieser seine Launen hatte, landeten die Sachen sonst vorher gerne mal im Kamin. Dieses Jahr hatte sie ihm versprochen, dass er sich etwas zu Weihnachten aussuchen konnte. Vermutlich weil sie zuletzt guter Dinge gewesen war, in den vergangenen Wochen hatte es zwischen seinen Eltern weniger Streit gegeben als sonst. Dieses Jahr unterschied sich für ihn allerdings von den vorherigen. Zum ersten Mal musste er an jemand anderes denken als an seine Eltern, die weder Geschenke von ihm haben wollten, noch diese zu würdigen wussten. Sich etwas für sie zu überlegen, hatte er schon vor langem aufgegeben. Aber diesmal brauchte er ein Geschenk für Lily. Er wusste nicht, ob sie ihm etwas schenken würde, aber mit leeren Händen dastehen konnte er nicht. Außerdem war es ihm relativ egal, ob sie etwas für ihn hatte. Er wollte ihr einfach nur eine Freude machen. So plante er sich etwas auszusuchen was auch ihr gefallen würde, etwas aus der Zauberwelt, was sie ansonsten kaum bekommen konnte, und es ihr dann zu schenken statt es für sich zu behalten. Unerwartet wurde sein Plan allerdings zunichte gemacht. Er stand eingepackt in seinen alten Mantel, ein dicker dunkelgrüner Schal verdeckte die Hälfte seines Gesichts, vor dem Kamin. Seine Mutter griff nach dem Flohpulver, hielt dann aber inne. Sie war den ganzen morgen schon etwas seltsam gewesen. Severus hoffte vergeblich, dass es nur eine Laune war. „Bevor wir losgehen… diesmal ist doch nichts übrig für dein Geschenk. Bedank dich bei deinem Vater.“ Mit großen Augen starrte er seine Mutter an und schüttelte ungläubig den Kopf. Wenn es nur für ihn gewesen wäre, wäre er enttäuscht gewesen, sauer auf seinen Vater, der zweifellos wieder für Alkohol oder ähnlich sinnloses das Gesparte durchgebracht hatte. Aber diesmal ging es nicht um ihn, was sollte er sonst Lily schenken? Irgendein abgegriffenes altes Schulbuch von seiner Mutter? Bei dem Gedanken musste er sich zurückhalten nicht seine Enttäuschung zu zeigen. Am Ende durfte er vielleicht nicht mit in die Winkelgasse. So blieb er stumm und versuchte sich die Wut nicht anmerken zu lassen. Wenn er seinen Vater versehentlich verfluchte, konnte er die Winkelgasse für die nächsten Monate vergessen. In der vorweihnachtlichen Winkelgasse herrschte reges Treiben. Zauberer und Hexen waren beschäftigt mit ausgiebigen Weihnachtseinkäufen, Schüler die ihre Ferien außerhalb von Hogwarts verbrachten zeigten stolz ihre neuen Schulroben, und zahlreiche Stände verkauften heiße Maronen und andere winterliche Süßigkeiten. Severus wusste besser als nach etwas zu bitten oder zu lange vor einem der Schaufenster zu verweilen. Er trottete nur unzufrieden seiner Mutter hinterher. Diesmal konnte er die Atmosphäre in der Winkelgasse kaum genießen, viel zu beschäftigt war er damit sich noch eine Alternative für Lily zu überlegen. Doch so viel er darüber nachdachte, ihm wollte nichts einfallen. Sie blieben schließlich vor dem Zaubertrankladen der Cawlings stehen. Seine Mutter war eine gute Bekannte der Inhaberin und sie verdiente sich ab und zu ein paar Sickel damit Haushaltstränke zu verkaufen. Immerhin bekam sie dadurch häufig einen Nachlass und konnte so wenigstens ihren eigenen Bedarf an Zutaten decken. Severus mochte das Geschäft fast so gerne wie Flourish und Blotts. Die magischen Pflanzen und rätselhaften Tiere in Einmachgläsern faszinierten ihn. Zudem verstand er sich gut mit der Tochter von Mrs. Cawling, auch wenn er sie nur selten sah. Elliot war immer fröhlich und freundlich zu ihm, was er ihr hoch anrechnete. Auch diesmal kam sie aus der Hintertür als sie die Stimme von Severus‘ Mutter erkannte. Aufgeregte winkte sie ihn zu sich herüber. „Wir haben Kekse gebacken! Also Mama hat das, meine sind alle nur schwarz geworden… na ja, vielleicht habe ich auch ein bisschen was reingemacht was da nicht rein sollte. Möchtest du probieren?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, griff sie Severus‘ Ärmel und zog ihn hinter sich her. „Magst du Zimtschnätze? Vielleicht ist da ein bisschen Zweihornhorn reingekommen, das sieht Puderzucker so ähnlich… und die silbernen Streusel sind auch keine Billywigstacheln, versprochen.“ In der kleinen Küche roch es weihnachtlich… wenn auch etwas seltsam. Normalerweise wurden hier eher Tränke gebraut als Kekse gebacken. „Elliot…“ Ermahnte sie Severus und zog eine Augenbraue empor. „Okay… es sind Billywigstacheln… Aber sie schmecken echt gut!“ Die junge Hexe nickte eifrig und drückte ihm einen Keks in die Hand. „Na du hast echt Glück, dass die Stacheln durch das Backen größtenteils ihre Wirkung verlieren.“ Belustigt probierte er das Gebäck und ließ sich von Elliot auf einen der Stühle drücken. „Ich mache Tee!“ Wie ein kleiner Wirbelwind lief sie in der Küche umher, und Severus fragte sich wie so oft, wie Elliot es anstellte in diesem Chaos aus teils gefährlichen Zutaten zu überleben. „Aber nicht schon wieder Wermut! Weißt du noch wie du das letzte Mal den Tee über den ganzen Tisch gespuckt hast?“ Er konnte sich lebhaft daran erinnern, wie sie in dem Irrglauben der Tee könnte gut schmecken, die heiße Flüssigkeit in hohem Bogen wieder ausgespien hatte. „Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“, fragte sie während sie ein paar undefinierbare Blätter in eine Kanne schüttete. „Willst du darauf wirklich eine Antwort?“ Empört stemmte Elliot die Hände in die Hüften. „Das nächste Mal gibt es keinen Tee für dich!“ Sie versuchte streng zu bleiben, musste dann aber doch grinsen. „Wie hält Lily es eigentlich mit dir aus?“ „Hm?“ Severus schaute überrascht und lies seine Hand mit dem angebissenen Keks sinken. „Na das Mädchen aus deiner Nachbarschaft von der du erzählt hast. Die Hexe.“ Als ob er sie vergessen könnte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich daran erinnerst.“ Er seufzte unzufrieden. Die Sache mit dem Geschenk ließ ihm keine Ruhe. „Ist alles okay?“, erkundigte sich Elliot und ging zu ihm herüber. „Ja…“ Severus war es unangenehm über das Thema zu reden. Schlimm genug, dass Elliot wusste wie es um seine Familie stand. Als Halbblut kannte sie die Problematik, auch wenn sie mit ihren Eltern weitaus mehr Glück hatte. „Na ja… ich wollte ihr etwas zu Weihnachten schenken… aber ich weiß nicht was. Mein Vater hat alles Geld für irgendeinen Mist ausgegeben und ich habe auch nichts Interessantes herumliegen was ich ihr geben könnte.“ „Und Basteln ist wohl auch nicht so deins.“, stellte Elliot fest und strich sich nachdenklich über das Kinn. „Ich wollte ihr ja mein Geschenk geben…“ Er machte eine Pause, es war schwer für ihn das vor jemandem zuzugeben. „Aber ich bekomme dieses Jahr keins. Es ist einfach nichts übrig.“ Elliot ließ sich auf dem Stuhl neben Severus nieder und legte ihm ihre kleine Hand auf die Schulter. Für einen Moment sagte sie nichts, schaute ihn nur mitfühlend an. Schließlich nickte sie und lächelte. „Magst du Koboldstein?“, fragte sie aufmunternd. „Mir ist jetzt nicht zum Spielen zumute.“, erklärte Severus mit belegter Stimme. „Nein, nein, du verstehst nicht.“ Elliot klang aufgeregt. „Meine Mama hat mir ein neues Set geschenkt, dabei ist mein altes eigentlich noch ganz okay…“ Langsam realisierte er was das Mädchen zu sagen versuchte. Ungläubig schaute er sie schließlich durch den Vorhang seiner schwarzen Haare hindurch an, strich sie zur Seite und runzelte die Stirn. „Du meinst…“ „Natürlich!“ Sie sprang auf und lief zu einer Tür, die scheinbar in das obere Stockwerk führte. Severus hörte nur ihre Füße auf dem Holzboden poltern und nach kurzer Zeit stand sie wieder im Raum, eine hübsche neue Box mit buntem Aufdruck in den Händen. „Das kann ich nicht annehmen.“ Er schüttelte den Kopf, so nett konnte doch niemand ohne Hintergedanken sein. Außer vielleicht Lily. „Ach Quatsch, irgendwann schenkst du mir mal was Nettes und wir sind quitt. Alles klar?“ Zögerlich nahm er die Box entgegen. Der Aufdruck zeigte eine Hexe, die triumphierend eine Murmel in ihrer Hand hielt. In der anderen hatte sie ein Samtsäckchen in dem sich wohl die anderen Murmeln befanden. Das Bild war so verzaubert, dass sie einem ab und zu zuzwinkerte. „Danke…“ Gerührt schaffte er es nicht Elliot in die Augen zu sehen. „Du tust ja fast so als hätte ich dir den neuen Nimbus 1980 geschenkt! Das ist doch nur ein Spiel!“ Aber für ihn war es wesentlich mehr als das. Nicht nur hatte er jetzt etwas für Lily, er war zudem glücklich, dass er doch einmal Glück hatte und nicht alles in der Welt - mit einer Ausnahme - dunkel und feindlich gesinnt war. Er schluckte und räusperte sich. Es wäre ja noch schöner, wenn er vor dem kleinen Mädchen zeigen würde wie gerührt er war. „Du hast etwas gut bei mir, ehrlich. Danke.“ Wie es Severus erwartet hatte, war der Weihnachtsabend alles andere als ruhig und besinnlich gewesen. Seine Mutter hatte seinen Vater beschuldigt das Geld durchgebracht zu haben, was darin resultierte, dass es kein Weihnachtsessen, keine Geschenke, nicht einmal einen Baum gab - wenn man von ein paar dekorierten Zweigen absah. Natürlich hatte sein Vater versucht sich zu verteidigen indem er seiner Frau an den Kopf warf, dass man wohl kaum eine Wahl hatte als dem Alkohol zuzusprechen, wenn die Familie aus zwei so abnormalen Personen bestand. Zwischen seinen Eltern hatte es schon früh Probleme gegeben, allerdings meinte seine Mutter einmal, dass es erst richtig eskaliert war als Severus das erste Zeichen von Magie gezeigt hatte. Die Magie seiner Frau schien ihn zunächst wenig zu stören, die Tatsache, dass sein Sohn aber auch magisch begabt war, gab ihm das Gefühl nicht mehr dazu zu gehören und die Kontrolle zu verlieren. Severus ging davon aus, dass es nur der Tropfen gewesen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Sein Vater war wirklich kein einfacher Mensch. Früher hatte er noch gehofft sich doch mit ihm zu versöhnen, er hatte sogar schon als kleines Kind versucht die beiden vom Streiten abzubringen. Irgendwann war er aber resigniert dazu übergegangen sich immer häufiger in sein Zimmer zurück zu ziehen und sich in einem Buch zu vergraben in der Hoffnung die Stimmen seiner Eltern auszublenden. Die Aussicht nach Hogwarts zu kommen erfüllte ihn mit Hoffnung, er musste hier nicht mehr lange ausharren, bald waren es nur noch die Sommerferien, und die konnte man auch gut unter freiem Himmel verbringen. Cokeworth war keine schöne Stadt, die umliegende Natur hatte aber ihre schönen Seiten. Am Weihnachtsmorgen wachte er wie so viele Kinder früh auf. Der Grund dafür war allerdings ein völlig anderer als bei den meisten. Ihn erwarteten keine Geschenke unter dem Tannenbaum, keine Familienfeiern, er hoffte lediglich das Haus zu verlassen bevor seine Eltern aufwachten. Dies gestaltete sich ein wenig schwieriger als erwartet, da sein Vater nach dem Streit im Wohnzimmer schlief und Severus sich vorsichtig durch den Flur schleichen musste, um ihn nicht aufzuwecken. Sich etwas zum Frühstück mitzunehmen traute er sich nicht, das wäre viel zu laut gewesen. Dabei hatte es nicht einmal Abendbrot gegeben den Tag zuvor. Aber daran war er schon gewöhnt. Als er die Tür hinter sich schloss hielt er inne und holte tief Luft. Der Himmel war klar und hinterm Horizont ging gerade die Sonne auf. Das sanfte Licht erleuchtete die unberührte Schneedecke auf der Straße in einem kühlen Violett. So schnell wie die weiße Schicht es zuließ, lief Severus die engen Straßen entlang, bis die Reihenhäuser schließlich den Blick auf ein Feld freigaben. Eine Weile spazierte er durch die einsame Landschaft. Es war noch viel zu früh, um Lily einen Besuch abzustatten. Irgendwann wurde es ihm aber doch zu kalt und er schlug den Weg zum Haus der Evans ein. Sie wohnten schöner als seine Familie, sie hatten sogar einen kleinen Vorgarten und konnten auf eines der Felder sehen statt nur auf das eintönige Haus vor ihnen. Nun war es schon bald Mittag und ihm kamen einige Familien entgegen, die sich in dem schönen Wetter die Füße vertreten wollten. Kaum einer beachtete den kleinen ein wenig seltsam aussehenden Jungen in dem zu weiten Mantel. Severus störte das nicht, was interessierte er sich auch für Muggel. Als jedoch ein paar Jungen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu Lachen begannen und sich über seine Kleidung lustig machten, warf er ihnen einen ärgerlichen Blick zu und scheinbar zufällig löste sich eine Ladung Schnee vom Dach des Hauses und begrub die Jungen unter einer dicken weißen Schicht. Severus lächelte grimmig und setzte seinen Weg fort. Schon bald hatte er die Begegnung vergessen. Er freute sich darauf Lily zu sehen und ihr das Geschenk zu geben, auch wenn er deswegen ein wenig nervös war. Unsicher trat er auf den Weg der zu ihrem Haus führte. Die unberührte Schneedecke verriet, dass keiner aus der Familie bisher das Haus verlassen hatte. Bevor er sich traute zu klingeln vergingen fast zehn Minuten. Er kannte Lilys Familie kaum. Ihren Eltern hatte er nur zugewinkt als er sie von weitem gesehen hatte. Schließlich drückte er aber doch den Knopf und wartete. Wie konnte ihn etwas so Einfaches so nervös machen? Die Tür wurde kurze Zeit später von Lilys Vater geöffnet. Etwas verdutzt schaute er auf den Jungen vor sich herab. „Oh hallo… was kann ich für dich tun?“ Severus war sich nicht sicher, ob er ihn erkannte oder sich nur wunderte warum ein komischer Junge mit einem Geschenk in den Händen vor seiner Tür stand. „Ich… guten Morgen Mr. Evans… ist Lily da?“ Ihm war es schrecklich unangenehm, dass er seine Nervosität kaum unterdrücken konnte. „Ach, bist du nicht ihr kleiner Freund aus Spinner’s End? Sie hat schon öfter von dir erzählt. Severus, nicht wahr?“ Die freundliche Art von Lilys Vater verwirrte ihn ein wenig und er nickte nur schüchtern. „Komm erstmal rein, du siehst ja schon aus wie ein Eiszapfen.“ Severus machte ein paar Schritte nach vorne, schloss die Tür hinter sich und blieb dann stehen. Er traute sich kaum sich zu bewegen. Er war noch nie in einem Haus wie diesem gewesen. Vermutlich war es eigentlich ganz normal, aber für ihn waren die hellen gemütlichen Räume so ungewohnt, dass er sich kaum traute sich umzuschauen. „Sev!“ Die fröhliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er schaute mit großen Augen zu Lily, welche nun auf ihn zugelaufen kam, ein überraschtes Lächeln auf dem Gesicht. In ihrem festlichen Kleid sah sie besonders hübsch aus und Severus wurde sich schmerzlich bewusst wie schlimm er im Vergleich aussehen musste. Wie ein seltsamer kleiner Schornsteinfeger. Dies schien Lily aber völlig egal, sie umarmte ihn sogar bevor sie ihm signalisierte, er solle sich erstmal aufwärmen. „Ich wollte nicht stören, aber ich laufe schon seit Sonnenaufgang herum und langsam wird es zu kalt…“ Bevor Lily antworten konnte, schnitt ihr Petunia, welche ihren Kopf um die Ecke gestreckt hatte, das Wort ab. „Was macht DER denn hier?!“ Mr. Evans, der das Schauspiel neugierig beobachtet hatte, warf ihr einen strengen Blick zu. „Petunia, geht man so mit Gästen um?“ Ihm schien der kleine Junge leid zu tun und nur wenige Minuten später saß Severus vor dem großen Kamin im Wohnzimmer von Lilys Eltern. Er konnte kaum sagen wie er dorthin gekommen war, woher die Teetasse in seinen Händen kam und die Decke auf seinem Schoß. „Und du bist seit wie vielen Stunden schon da draußen gewesen? Du hättest doch später losgehen können. Deine Lippen sind schon ganz blau.“ Lily machte sich offensichtlich Sorgen. „Ich wollte nicht länger zuhause bleiben…“ Es fiel Severus mehr als schwer zuzugeben wie schlecht es bei ihm Zuhause aussah. „Haben sich deine Eltern wieder gestritten? An Weihnachten?“ Auf ihre Frage nickte er nur stumm. Er trank einen Schluck Tee und deutete auf das Paket auf dem Tisch neben ihm. „Ich wollte dir das hier bringen… Es ist nur etwas Kleines, ich weiß auch nicht, ob es dir gefällt, ich-“ Lily bedeutete ihm still zu sein und lächelte. Peinlich berührt studierte er seine Teetasse. So hörte er nur das Rascheln des Zeitungspapiers, wobei er sich fragte, warum sie so lange brauchte es auszupacken. Er hatte doch nicht einmal richtiges Geschenkpapier verwendet. Vielleicht war sie enttäuscht deswegen? Vorsichtig schaute er zu ihr herüber und bemerkte überrascht, dass sie fasziniert auf das Papier starrte. Natürlich… der Tagesprophet! Er hatte ihr bisher noch keine Ausgabe gezeigt. „Die Bilder… es ist genau wie du es beschrieben hast!“ Sie konnte ihre Aufregung kaum unterdrücken. „Ach… das ist doch nur eine Zeitung, das Geschenk ist da drin.“ Etwas widerwillig legte sie das Papier beiseite und öffnete die Box mit den Koboldsteinen. An ihrem Blick erkannte Severus, dass es ihr gefiel. Sehr sogar. Glücklich umarmte sie ihn ein weiteres Mal. In diesem Moment hatte er allen Streit in seinem Elternhaus vergessen, die Jungen auf der Straße, Petunia, nichts hatte mehr Platz in seinen Gedanken. Es bestand kein Zweifel, er konnte sich kaum etwas schöneres zu Weihnachten vorstellen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)