Coffee Speciale von Shizana (Animexx-Adventskalender 2016) ================================================================================ One Shot -------- „Eh, Leute? Ich glaube, wir haben da ein kleines Problem.“ Auf Sawas Aussage versammelte sich auch der Rest an dem Tresen. Es war still im »Meido no Hitsuji«, noch hatten sie geschlossen. Das würde sich bald ändern. In ihren Händen hielt Sawa ein kleines Päckchen. Ein abgeschnittener Folienstreifen in gleicher schwarzer Farbe lag unter der großen Schere. Ein leerer, offener Füllbehälter direkt daneben ließ leicht erraten, was das Mädchen bis eben tun wollte. „Sawa, was ist denn los? Ist der Automat schon wieder defekt“, fragte Toma sogleich. Sorgenvoll trat er an ihre Seite heran. „Hier, riech mal“, forderte sie prompt und drückte ihm das Päckchen entgegen. Unter dem braunen Pony durchzogen tiefe Falten ihre Stirn. „Findest du nicht, dass das seltsam riecht? Oder liegt das an mir?“ Ihre Zweifel blieben ihm nicht verborgen. Kurz musterte er sie, dann das Päckchen in seiner Hand. Er hob es höher, um der Aufforderung zu folgen. „Hm doch, du hast recht. Das riecht nicht wie sonst.“ „Sag ich doch! Also liegt es nicht an mir.“ „Zeig mal her“, gesellte sich Ikki hinzu und nahm die Verpackung an sich. Auch er unterzog den Inhalt einer strengen Geruchsprobe. „Hm. Ich könnte mich irren, aber ist das nicht Zimt?“ „Zimt? Aber ich dachte, das sei Kaffee“, wunderte sich Mine, die zweite Maid in der Runde. Anzweifelnd sah sie zu Sawa. „Ist es ja auch“, versicherte diese. Schon im nächsten Moment wurde sie unsicher. „Glaube ich zumindest. Ich habe es aus dem Karton genommen, auf dem »Kaffee« gestanden hat.“ „Ist es“, bestätigte Kento, unbeeindruckt von der geschürten Aufregung. In seiner Hand hielt er das Päckchen und hob es, gut sichtbar für jeden, empor. „Seht ihr das Logo hier oben? Das ist zweifellos das Firmenlogo des Herstellers. Und wenn wir den Bodendruck berücksichtigen, steht dort der Name des Herstellers vermerkt. Folglich, du hast dich nicht geirrt, Sawa.“ „Naja, es roch ja auch wie Kaffee, als ich es aufgeschnitten habe. Aber dann, im zweiten Moment …“ „Was hat das zu bedeuten?“, empörte sich Mine. Sie verdeutlichte ihren Ekel, indem sie eine Hand über die Nase legte und das Päckchen an den Nächsten winkte. „Kaffee und Zimt? Buwäh, wer soll das denn trinken? Wie ekelhaft!“ „Wenn du das schon ungewöhnlich findest“, kommentierte Shin gleichgültig, „dann möchte ich nicht wissen, was du zu Leuten sagst, die ihren Kaffee mit Rum trinken.“ „Shin! Woher weißt du so etwas? Du bist noch minderjährig!“ „Was denkst du?“, grollte dieser an Toma zurück. Er schenkte ihm nicht einmal einen Blick. „Du solltest wissen, dass ich so bitteres Zeug nicht trinke. Wie dem auch sei. Wer hat das bestellt?“ „Boss“, rief Ikki aus, wobei er sich von der Gruppe entfernte. Beim offenen Durchgang zum Personalbereich blieb er stehen und streckte den Kopf in den hell erleuchteten Flur. „Boss, kannst du kurz nach vorn kommen? Wir haben da ein kleines Problem.“ Sekunden verstrichen, bis ein hochgewachsener Mann mit Brille und in vornehmer Butler-Uniform aus dem hinteren Bereich erschien. Kurz warf er einen Blick in die versammelte Runde, bevor er nach vorn trat. „Was gibt’s?“ „Waka-san, hier.“ Sawa löste sich von der Gruppe und eilte an ihren Chef heran. Auffordernd hielt sie ihm das Päckchen entgegen, keinen Kommentar verlierend. Waka musterte sie einen Moment, ehe er annahm. Auf ihr Nicken prüfte er das Päckchen auf seinen Zustand, wonach er an dem Inhalt roch. „Und?“ „Riechst du das nicht? Das ist …“ „Zimt“, beendete er und nickte. „Ja, ich weiß.“ „Du weißt es? Ich meine, du wusstest es auch?“ „Natürlich“, bestätigte er ruhig, nicht im Geringsten beeindruckt. Im Gegenteil, erste Zweifel wurden auf seiner hohen Stirn deutlich. „Ich war es schließlich, der die Bestellung aufgegeben hat. Ich bin immer derjenige, der sich um das Organisatorische kümmert.“ Angeregt von seinem Geständnis trat auch der Rest der Gruppe herbei. „Dann war es also kein Versehen?“, äußerte sich Toma als Erster. Die Skepsis war ihm, sprichwörtlich, ins Gesicht geschrieben. „Bei allem Respekt, aber was hast du dir dabei gedacht? Ich meine, wieso …“ „Erkläre uns das“, forderte Kento direkt. Darauf wurde es still, während alle Blicke auf Waka ruhten. „Es war ein Angebot des Herstellers“, eröffnete er schließlich, offen und frei heraus. „Nur für eine kurze Zeit und im Rahmen der Saison. Ich habe als treuer Kunde einen fairen Preis dafür bekommen.“ „Das ist alles?!“, stieß Sawa aus. Der Unglaube machte ihre Augen groß. „Du bestellst etwas, nur weil es ein Sonderangebot war? Boss!“ „Wir müssen wirtschaftlich denken“, sagte er streng. „Wisst ihr, was uns das Café jeden Monat an Ressourcen kostet? Ich rede hier nicht nur von Lebensmitteln, auch Betriebs- und Unterhaltskosten spielen eine Rolle. Arbeitsmaterialien kommen zusätzlich obendrauf. Wir sichern uns zudem kein konstantes Bestehen auf dem Markt, wenn wir der Konkurrenz nichts entgegenzusetzen haben. Neue Wege einzuschlagen ist unvermeidlich.“ „Irgendwie klingt das für mich immer noch nach einer Entschuldigung, wieso du bei einem Sonderangebot sofort zugeschlagen hast“, murmelte Sawa und seufzte niedergeschlagen. „Ich kann dir folgen“, äußerte Kento und nickte. „Kapitalismus und Erfolgswirtschaft lassen sich durch Risikowahrscheinlichkeit, Richtungsentwicklung und Profitkalkulation vorab berechnen. Wo hohe Kosten entstehen, muss an anderer Stelle gespart werden. Das sind simple Mathematik und grundlegendes Marketing. Direkten Einfluss zu nehmen im Rahmen der Dienstleistung ist schwierig, aber es gibt Möglichkeiten zur Einwirkung auf Individualität, Kontinuität und nicht zuletzt der Qualität. Das ist wichtig, wenn –“ „Stooopp!“, warf Sawa dazwischen. Beide Hände lagen an ihren Kopf gepresst, ihr Gesicht blass, als würde sie jeden Moment kollabieren. „Ich komme nicht mehr mit. Können wir bitte zurück zum Thema kommen?“ „Ich kann euch zu einem Großteil folgen“, schloss Toma an, „aber Sawa hat recht: Das geht zu weit ins Detail. Die Frage ist, was sollen wir jetzt mit diesem Zimtkaffee machen?“ „Ich verstehe deine Frage nicht, Toma-kun.“ „Naja, also …“ Er zögerte. Unwohl schob er sich eine Hand in den Nacken, den Kopf nachdenklich zur Seite gelegt. „Ich verstehe schon, dass wir es den Kunden anbieten sollen. Aber, wie soll ich sagen? Ich bezweifle, dass sie es gut annehmen werden.“ „Wo liegt deiner Ansicht nach das Problem?“, hinterfragte Waka, ruhig und gesetzt. „Es ist etwas Neues. Ein Aktionsangebot in limitierter Auflage und zeitlich begrenzt. Macht das den Kunden deutlich, das wird ihr Interesse wecken.“ „Das sagst du so einfach“, brummelte Sawa missmutig. „Boss, ich denke, das Problem liegt vorrangig darin, dass die Kunden bevorzugen, was sie bereits kennen. Das zeigt die Praxis und ist in gewisser Weise nachzuvollziehen“, klärte Ikki auf. Waka schob betont die Brille nach oben. „Die Mutigen wagen, die Welt zu entdecken. Ich vertraue meinem Personal, daher übergebe ich die Verantwortung ganz in eure Hände. Wenn ich euch bei der Umsetzung eurer kreativen Vorschläge behilflich sein kann, lasst es mich wissen.“ Damit nickte er höflich, bevor er sich abwandte und in dem hinteren Personalbereich verschwand. „Mit anderen Worten“, warf Mine ein und blähte die Backen, „er wälzt es auf uns ab und tut keinen Finger krumm.“ „Es scheint so“, bestätigte Sawa unter einem weiteren Seufzen. „Na, na“, versuchte Toma auf die Mädchen einzuwirken. „Das bringt uns jetzt auch nicht weiter. Viel wichtiger ist, was wir jetzt machen. Hat jemand eine Idee?“ „Ich schlage vor, wir unterziehen das neue Produkt zuvor einer Geschmacksprobe“, unterbreitete Ikki. Seine Lippen zogen sich zu einem verzückten Lächeln. „Ich meine, wir können dem Kunden nichts empfehlen, was wir nicht aus eigener Hand erprobt haben. Findet ihr nicht?“ „Ikkyu. Wieso habe ich das Gefühl, dir geht es um dein persönliches Vergnügen?“ „Und wenn, was spricht dagegen?“, konterte er verspielt an Kento zurück. „Am Ende ist es trotzdem noch Kaffee. Ich bin einer gratis Kostprobe nicht abgeneigt.“ „Das bist du nie, wenn es um Kaffee geht“, schmunzelte Toma besiegt. „Nun, da das geklärt ist, wer ist dabei?“   Konzentrierte Stille füllte den Bedienungsraum. An zwei Tischen saß die Gruppe auf Sitzbank und Stuhl beisammen, jeder eine kleine Tasse vor sich. Hier ein Klirren, da ein Schlürfen, doch bei allem fiel kein einziges Wort. So blieb es für einige Zeit. „Also ich weiß nicht“, begann schließlich Sawa, die teilnahmslos an ihrem Kaffee rührte. „So wirklich schmecke ich nichts. Es riecht zwar stark nach Zimt, aber sonst …“ „Doch, man schmeckt es schon heraus“, widersprach Toma mäßig. Langsam setzte er die Tasse ab, eine Hand nachdenklich um das Kinn gelegt. „Nicht so erschlagend, wie ich erst vermutet hatte, aber doch deutlich für jemanden, der regelmäßig Kaffee trinkt. Ich bezweifle immer noch stark, dass die Kunden es annehmen werden.“ „So schlimm finde ich es nicht“, setzte Ikki ein. „Im Gegenteil, es hat durchaus seinen Reiz. Meint ihr nicht? Es gibt dem Herben etwas Warmes im Abklang. Nun, nicht dass es ein Dauerrenner werden würde …“ „Ich bleibe beim Altherkömmlichen“, schloss Kento, was Sawa und Toma mit einem Kopfnicken befürworteten. „Vergiss es“, wies Shin die Tasse zurück, die Toma ihm anbietend entgegenschob. „Ich sagte doch, ich trinke dieses Zeug nicht. Kakao ist voll und ganz in Ordnung.“ „Was machen wir jetzt nur?“, stieß Sawa aus. In einem schweren Seufzen streckte sie die Arme nach vorn, weit über die Tischplatte, und ließ den Kopf darauf sinken. „Das ist nicht gut. Die Kunden werden es nicht mögen. Und wir haben eine ganze Palette davon … Eine ganze Palette!“ „Ikki-san ist bislang der Einzige, der es mag“, überlegte Toma laut. Grinsend wandte er sich an den Nachbartisch, den Oberkörper nach vorn lehnend. „Wie sieht es aus? Du magst doch Kaffee so sehr. Möchtest du deinen Vorrat nicht ein wenig aufstocken?“ „Abgewiesen“, konterte er mit einem Unschuldslächeln. „So sehr ich ein Gratisangebot zu schätzen weiß, aber ich muss dich enttäuschen: So gut ist es auch wieder nicht.“ „War nur ein Scherz. Ich glaube nicht, dass Waka-san ihn dir umsonst überlassen würde.“ „Wenn es so mies ist, dass es sich nicht verkaufen lässt“, übernahm Shin und sah in die Runde, „wozu dann diese Grübelei? Machen wir einfach weiter wie bisher und bleiben bei dem, was die Kunden bereits kennen. Wo liegt das Problem?“ „Das wird nicht gehen“, stöhnte Sawa gequält. „Wieso nicht?“ Leicht hob sie den Kopf und ließ ihren Blick zu Kento gehen. „Wir haben kaum noch Kaffee da. Wenn ich mich nicht irre, habe ich gestern nur noch zwei Packungen gesehen.“ „Hast du keinen neuen bestellt?“ „Doch, natürlich!“, verteidigte sie. „Ich habe es sofort Waka-san gesagt und er meinte nur, es sei alles okay und er habe sich schon darum gekümmert.“ Darauf hob sie die Hände an den Kopf und raufte sich die Haare. „Ich wusste ja nicht, dass er das damit meint! Ich habe auf Waka-san vertraut …“ „Wie viel haben wir jetzt noch?“ Ihr Blick ging zu den beiden Automaten hinter der Theke. Die Gruppe folgte ihrem Fingerzeig, als sie mit zusammengezogenen Schultern erklärte: „Das ist der Letzte …“ Shin verzog das Gesicht. „Das ist nicht dein Ernst.“ „Der Erfahrung nach reicht das für keinen ganzen Tag“, errechnete Kento. Nun doch sichtlich in Sorge wandte sich Ikki an Sawa: „Bist du dir sicher, dass du richtig geschaut hast?“ „Ja doch, ja doch!“ „Das ist schlecht. Einer sollte losgehen und noch welchen holen.“ „Aber Toma-senpai, das schaffen wir nicht mehr“, rief Mine aus. Gehetzt sah sie zu der runden Wanduhr, die eine Zeit von zehn vor halb zwei zeigte. „Wir öffnen doch gleich. Waka-san wird nicht erlauben, dass jetzt noch einer weggeht.“ „Dann muss er selbst gehen. Was sollen wir den Kunden denn sagen, wenn sie nach normalen Kaffee verlangen?“ „Sieht so aus, als hätten wir keine andere Wahl“, seufzte Ikki leise, worauf er gefasst in die Runde sah. „Besser, wir bereiten uns darauf vor. Uns fällt schon etwas ein, um die Kunden zu überzeugen.“ „Ich hätte da vielleicht eine Idee“, verkündete Sawa mit einem Hoffnungsschimmer und sah auf. „Wie wär’s, wenn wir das Ikki-san überlassen? Du hast doch so ein Händchen mit weiblicher Kundschaft. Wenn du sie nur eindringlich ansiehst und ein wenig erzählst …“ „Du möchtest, dass ich meinen Zustand zu unseren Gunsten einsetze?“ Ungläubig hob er eine Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Was für eine Idee … Das ist nicht sehr fair. Ich fühle mich ein wenig missbraucht.“ „Aber das hat beim letzten Mal doch auch gut funktioniert“, murmelte sie leise zur Rechtfertigung. „Und was machen wir anderen? Ikki-san ist nicht der Einzige, der bedient“, warf Toma ein. „Ich bin dagegen“, verdeutlichte Shin. „Ikki-san ist zu gefährlich. Auf ihn zu vertrauen gibt nur Ärger. Habt ihr etwa vergessen, welchen Tumult wir das letzte Mal hatten? Ich möchte das nicht wiederholen. Waka-san fand es nicht lustig.“ „Ich muss Shin-kun zustimmen“, bestätigte Kento und nickte. „Ich verbringe so viel Zeit mit Ikkyu, dass es zur Gewohnheit geworden ist, wenn Frauen aus unlogischen Anreizen heraus die Kontrolle verlieren. Das bedeutet nicht, dass es ein angenehmes Unterfangen ist. Um ehrlich zu sein, es ist lästig.“ „Ich darf ja wohl bitten“, erhob Ikki leisen Protest. Mit einem Ausdruck, der auf Ärgernis hindeuten könnte, wandte er das Gesicht zur Seite. „Es war auch nicht leicht für mich. Denkt nicht, es würde mir Vergnügen bereiten, diesen Umstand herauszufordern. Nicht im Geringsten.“ „Also haben wir keine Lösung?“, lenkte Toma zurück auf Anfang. Sie schwiegen alle gemeinsam, worauf ein einiges Seufzen ertönte. „Überlegt euch etwas. Wenn jemandem etwas einfällt, lässt er es den Rest wissen. Wir öffnen jeden Moment. Kümmern wir uns fürs Erste um die Arbeit, bevor es noch Ärger gibt. Einverstanden?“   Nachdem der Rat als beendet erklärt war, galten die Vorbereitungsarbeiten als oberste Priorität. Stühle mussten gerückt werden, Geschirr zur Verfügung gestellt und die Kasse geöffnet. Es verblieben noch wenige Minuten bis zur Caféeröffnung, und doch begrüßten sie ihren ersten Gast, bevor die Tür entriegelt war. „Hey Leute!“, rief eine junge Männerstimme fröhlich in den Raum hinein. Alle Blicke der Anwesenden richteten sich auf den frühen Gast, mit dem keiner gerechnet hatte. Aus dem Flur zum hinteren Personalbereich trat er hervor, lächelte und verbeugte sich leicht, wobei er sich offen umsah. „Ich weiß, ihr habt noch nicht geöffnet. Aber ich dachte mir, wenn ich schon einmal hier bin, sage ich kurz Hallo.“ „Ukyo-san?“, nahm Toma den bekannten Mann in Empfang und fand an dessen Seite. „Was machst du denn hier? Bist du heute nicht etwas früh dran?“ „Oh, ich war mit Waka-san verabredet. Ich war bis eben bei ihm, in seinem Büro“, erklärte er, worauf er die Kamera um seinen Hals ein Stück anhob. Diese Geste war selbstredend. „Habe ich es nicht erzählt? Ich war auf dem Idea-Fest letzte Woche und hatte die Ehre, Fotos in voller Befugnis machen zu dürfen. Waka-san hat mich gebeten, vorbeizukommen und ihm die Ergebnisse zu zeigen, sobald ich wieder da bin. Er war wohl als Kind ein großer Fan davon. … Nanu, was ist los? Ihr wirkt nicht so belebt wie sonst, oder?“ Toma seufzte. „Naja, die Sache ist die“, begann er, wobei er mit einer Hand über seinen Nacken fuhr. „Wir haben ein neues Produkt, aber wir sind nicht sehr überzeugt davon. Obendrein ist uns der Kaffee ausgegangen und wir bekommen keinen Nachschub. Es ist … ein kleines Dilemma.“ „Keinen Nachschub? Wieso?“ „Dafür haben wir das neue Produkt. Waka-san möchte, dass wir es stattdessen anbieten. Aber es ist nicht gut.“ „Eine neue Kaffeesorte also? Aber das ist doch gut? Darf ich sie probieren?“ „Was? Aber …“ „Wieso nicht?“, warf Shin vom Flur aus ein, kurz bevor er das Café betrat. Während er die Hände an einem Geschirrtuch trocknete, gesellte er sich an die beiden heran. „Lass es ihn probieren. Es kann nicht schaden, noch eine weitere Meinung einzuholen. Ukyo-san hat möglicherweise noch etwas aus Kundensicht zu ergänzen, woran von uns noch keiner gedacht hat.“ Toma überlegte einen Moment, bis er beigab und erneut seufzte. „Na schön. Warte hier einen Moment, Ukyo-san. Ich hole dir etwas.“   Wenige Minuten später wurde Ukyo die versprochene Tasse serviert. Noch war es still im Café, obgleich die Pforten derweil geöffnet waren. Es war ihrer Gruppe vergönnt, um den Tisch versammelt zu stehen, an welchem sich Ukyo wie gewohnt niedergelassen hatte. Still wie gespannt beobachteten sie, wie er das Dargebotene inspizierte. Er prüfte den Kaffee mit wacher Skepsis, roch am aufsteigenden Dampf, ehe er ansetzte und zögerlich nippte. „Und?“, drängte Ikki als Erster, ruhig und gedämpft. „Was meinst du?“ Ukyo ließ den Geschmack einen Moment auf sich wirken. Zuerst war da nichts als Herbe, stark und bitter. Doch dann, nachdem er geschluckt hatte, bemerkte er es: eine neue Note. Schwach und nachklingend, mehr flüchtig denn anhaftend. Es folgte ein weiterer Schluck und dieses Mal, als er das Fremde erfasst hatte, warf er den Kopf überrascht zurück. Mit großen Augen sah er in die Runde auf. „Was ist das? Zimt?“ „Nicht schlecht, Ukyo-san“, schmunzelte Ikki und deutete Applaus. „Ganz ohne Hinweis, ich bin beeindruckt. Du überraschst mich immer wieder.“ „Ach was“, wies Ukyo verlegen zurück. „So schwer war das nicht zu erraten. Zimt ist ein sehr prägnantes Gewürz. Wenn man es einmal kennt, ist es leicht herauszuschmecken.“ „Es ist schlimm, nicht wahr?“, äußerte Sawa und stöhnte entmutigt. „Es ist schrecklich, einfach furchtbar. So etwas kann doch keiner wirklich genießen. Na los, sag es ruhig.“ „Nein, das ist es nicht. Aber … irgendwie …“ „Irgendwie?“, spornte Toma an, ohne zu drängen. „Irgendwie … erinnert es mich an etwas.“ Die Tasse vor sich abstellend, legte Ukyo nachdenklich eine Hand um sein Kinn. Seinem Stirnrunzeln war abzulesen, dass er nach einer Erinnerung kramte. Nach einigem Grübeln nahm er einen weiteren Schluck, überlegte, bis die Erkenntnis Einzug auf seine Gesichtszüge hielt. „Das ist es!“, rief er aus, stellte die Tasse scheppernd auf das Untergeschirr zurück und sprang auf. „Natürlich, das ist es! Aber … nein, wartet. Das ist es nicht. Es fehlt etwas. … Kento, Shin, darf ich kurz eure Küche benutzen?“ „Sicher“, antwortete Kento vom Durchgang aus, den Blick hinter der Brille verschmälert. In der nächsten Sekunde war Ukyo um den Tisch herumgewirbelt und wie ein Blitz davongeeilt. Die Gruppe von Maids und Butler sah ihm nach, zu verdutzt, um auf diesen Wandel zu reagieren. In diesem Moment läutete die Türglocke und hieß ihren ersten Gast willkommen. Lediglich Shin und Kento war es vergönnt, dem Freund  in die Küche zu folgen.   „Hier, probiert das!“ Es war keine viertel Stunde vergangen seit Ukyos überstürztem Aufbruch. Jetzt standen alle, die zum Zeitpunkt abdingbar waren, mit ihm im Pausenraum an dem dort einzigen Tisch versammelt. Auf einem braunen Tablett warteten drei Tassen, die Ukyo sogleich an Shin, Ikki und Sawa verteilte. „Hm? Was ist das?“, bemerkte Ikki als Erster. Prüfend senkte er die Nase über den Rand, um den aufsteigenden Dunst auffangen zu können. Sein Ausdruck war nachdenklich, als er den Kopf wieder zurückzog. „Es riecht ganz anders. Irgendwie kommt es mir bekannt vor, aber was …“ „Kennt ihr Starbucks?“, fragte Ukyo in die Runde. In seinen grünen Augen lag ein Leuchten, als er in das Gesicht jedes Einzelnen blickte. „Das war es, woran es mich erinnert hat: Pumpkin Spiced Latte! Jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit bieten sie es in ihrem Sortiment an. Es ist bei vielen Leuten sehr beliebt. In manchen Gegenden ist man ganz verrückt danach! Das hier ist zwar nicht ganz dasselbe, aber …“ „Pumpkin?“, wiederholte Sawa und legte nachdenklich den Kopf schief. „Ist das nicht Englisch für »Kürbis«? Ist da etwa Kürbis dran?“ „Oh, nein, nein“, winkte Ukyo schnell ab. Sein Lächeln war beklommen. „Keine Sorge, es heißt nur so. Kein Kürbis, versprochen.“ „Hm.“ Sie nahm einen ersten, skeptischen Schluck. Die gewohnte Herbe des Kaffees fand sofort Prägnanz, doch darunter lag eine Würze, die sie als prickelnd empfand. Sie konnte es nicht recht benennen. Es schmeckte bitter, ja, wie gewohnt. Aber auch nussig, irgendwie. Und da war noch etwas, das sie an in Kaffee getunkten Lebkuchen erinnerte. Wie sollte sie es beschreiben? Lebkuchengeschmack? Sie schluckte, und erst da schmeckte sie ihn: den Zimt. Anders als zuvor. Klarer, deutlicher. Er war unverkennbar im Nachklang und hinterließ eine behagliche, seltsam kribbelnde Wärme am Gaumen. „Irgendwie … schmeckt es wie Weihnachten“, murmelte sie verträumt. Ein Lächeln eroberte ihr Gesicht, als sie sich nach den anderen umsah. „Meint ihr nicht auch?“ „Mh“, bestätigte Shin, der selbst an seiner Tasse nippte. Er machte nicht den Anschein, als müsste er sich zwingen. „Ich weiß nicht, woran man eine solche Schlussfolgerung definiert“, kommentierte Kento, „aber ich stimme zu, dass es jetzt besser ist. Eine zugegeben ungewöhnliche Kombination für Kaffee, aber ich bin dem nicht abgeneigt.“ „Was hast du rangegeben?“, hinterfragte Shin an Ukyo gewandt. Seinem wachen Blick war ehrliches Interesse abzulesen. Ukyo lächelte stolz und entspannte die Schultern. „Zimt, Gewürznelke und ein wenig Muskat. Ich hatte überlegt, ob noch Ingwer oder Vanille dazu sollte. Man kann auch Milch hinzugeben oder Zucker oder beides. Als Latte ist es schließlich berühmt geworden.“ „Ich würde Vanille bevorzugen“, lächelte Ikki und genoss sichtlich, was er verzehrte. „Aber es ist auch gut so. Ich bin optimistisch, dass sich damit etwas machen lässt. Ich werde Toma holen, er soll es probieren. Gut gemacht, Ukyo-san.“ „D-danke!“ „Und ich hole Mine. Das ist wirklich gut! Ukyo-san, du bist unser Lebensretter!“ „N-nicht doch“, widersprach er leise. Verlegen nestelte er an dem Objektiv seiner Kamera, den Blick zu Boden gesenkt. „So schlimm war es doch vorher nicht. Ich habe wirklich nicht viel getan …“ „Aber es ist gut!“, beschwor sie. „Die Kunden werden es lieben, ganz bestimmt!“ „Wie soll es heißen?“ „Wie?“, gab Ukyo irritiert zurück. Shin taxierte ihn mit festem Blick. „Wenn wir es den Kunden verkaufen wollen, braucht es einen Namen“, erklärte er. „Pumpkin Spiced Irgendwas ist zu irreführend. Es verschreckt die Kunden am Ende nur. Haben wir eine Alternative?“ „Eine Alternative …“ Ukyo überlegte. Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Gab es einen Namen für das, was er da zusammengebraut hatte? Was könnte am Treffendsten sein? „Vielleicht … Meidos Zimtkaffee? Nein, das ist nicht gut. Pumpkin … Gewürzt … Hm, Gewürzkaffee? Oder wie wäre es mit Black Clove? Schwarzes Wunder? Joker… nein. Chris… Christmas Coffee?“ „Christmas Coffee?“ „Naja, weil … was Sawa gesagt hat“, rang er in Erklärungsnot. Shins eingehender Blick bereitete ihm Unbehagen, weswegen er zu Boden auswich. „Ich dachte nur, weil sie gesagt hat, dass es nach Weihnachten schmeckt … Ist es nicht gut?“ „Nein“, sagte Shin und schüttelte den Kopf. Seine Lippen umspielte ein Lächeln, als er ergänzte: „Ich finde es gut. Den Kunden wird es gefallen. Wir nehmen es.“ „W-wirklich? Shin-kun …“ „Da bin ich“, fiel ihnen Toma dazwischen, der gerade den Pausenraum betreten hatte. Eilig trat er heran, sichtlich aufgeweckt von dem, was er wohl von Ikki gehört hatte. „Und, was ist herausgekommen?  Habt ihr eine Lösung gefunden?“ „Hier“, fing Shin ihn ab und reichte die Tasse, aus der er getrunken hatte. „Probier das. Christmas Coffee.“ „Christmas Coffee?“ Verdutzt nahm er die Tasse entgegen, unschlüssig, ob er zuerst fragen oder trinken sollte. Er entschied sich für Zweites, setzte an und nahm erst einen zögerlichen, dann einen entschiedeneren Schluck von dem ominösen Getränk. „Mh, das ist gut. Sehr viel besser als vorher. Was ist da dran?“   Das »Meido no Hitsuji« war ein schöner Ort. Ideal, um zu entspannen und die Seele ein wenig baumeln zu lassen. Er kehrte gern hierher zurück, genoss die Ruhe und die Betriebsamkeit, die Tag und Stunde definierten. Er beobachtete sie gern, die Menschen, die sich hier bewegten. Kein Besuch glich dem anderen. Nein, er wurde dieses Orts nicht müde. Hier, nur hier, blieben die Dinge beständig. Es war lebhaft im Café geworden. Um ihn herum plauderten die Leute und teilten überraschte Gesichter. Es roch nach Kaffee und Kuchen, warmer Apfelstrudel stand im heutigen Tagesangebot. Ein Fest für die Sinne, und über allem schwebte ein schwacher Duft von lieblichem Zimt. Er war glücklich. Die Tasse in seinen Händen war beinah leer, das filigrane Porzellan wärmte längst nicht mehr. Und doch fühlte er sich wohl, durchweg wohl. „Möchtest du noch einen Kaffee haben?“, vernahm er die Frage der Maid an seiner Seite. Der Klang ihrer leisen Stimme rief viele kleine Schmetterlinge in ihm wach. Sie flatterten und tanzten, frei und losgebunden, wie es immer war. Er wusste, das würde sich nie ändern. In keiner Welt. „Danke“, lächelte er und sah zu ihr auf. „Ich will euch keine Umstände machen. Es gibt noch mehr Kunden neben mir. Ich bin zufrieden, wirklich.“ „Du brauchst dich nicht zurückzuhalten“, beschwichtigte sie sanft. „Wir haben genug. Du machst uns keine Umstände und wir haben dir viel zu verdanken. Ich würde mich freuen, wenn wir dir etwas zurückgeben können.“ „Nicht doch“, wies er zurück und wandte das Gesicht ab. „Ihr habt schon so viel für mich getan. Das war meine Chance, etwas zurückzugeben. Und wenn ich helfen konnte, macht mich das glücklich.“ Sie nickte verstehend und verschenkte ein Lächeln. Über die Schulter sah sie zurück und betrachtete die Leute, die das Café mit so viel Leben füllten. Sie ließ das Bild einen Moment auf sich wirken, ehe sie sich zurück an Ukyo wandte und sagte: „Christmas Coffee ist sehr beliebt. Es ist ein gutes Getränk, ich habe es probiert. Es schmeckt wie Weihnachten, finde ich.“ „Dasselbe hat Mine auch gesagt“, bekundete er schmunzelnd. Ihr anschließendes Kichern ließ sein Herz erfreut hüpfen. „A-aber es ist gut, dass ihr auch wieder normalen Kaffee habt“, sagte er schnell und lenkte alle Anerkennung auf sie um. „Nicht wahr? Es wäre schlecht fürs Geschäft gewesen, wenn ein Café nicht die einfachsten Wünsche des Kunden erfüllen kann. Das wäre peinlich gewesen.“ „Mh“, bestätigte sie und nickte. „Es war gut, dass wir noch so viel vom Projekt übrig hatten. Hätte Shin-kun nicht geschrieben, ich hätte niemals gefragt … Aber so war es gut.“ „Es hat das Meido gerettet.“ Sie lächelte, wobei sie über das gesamte Gesicht strahlte. „Ich schätze, das macht uns beide zu Helden.“ Er stutzte. Im ersten Moment sagte er nichts, dann erhellten sich seine Züge und er lachte verlegen. „Ja, so kann man das wohl sagen.“ Es war ein tolles Gefühl. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit beschlich ihn der Gedanke, etwas richtig getan zu haben. Es war ein Geschenk. Dieses Glück, dass sie etwas gemeinsam hatten, nie wieder wollte er es verlieren. „Ähm, also“, polterte es aus ihm heraus, noch ehe er begriff, was er da tat. „Ich … ich wollte fragen –“ „Ukyo-san“, wurde er jäh unterbrochen, als Ikki wie aus dem Nichts zwischen ihnen aufgetaucht war. Seine schmalen Lippen umspielte ein Lächeln, rein und erbarmungslos wie das eines Engels. „Ich hoffe, du hast noch ein wenig Platz im Magen. Hier, auf Kosten des Hauses.“ „Für mich?“, fragte Ukyo überrascht aus großen Augen. Vor seiner Nase schwebte ein Teller, balanciert auf Ikkis Hand, und lockte mit süß-würzigem Duft. Er nahm ihn an sich, ehe er es versah, und labte sein Auge an dem braun-weiß gepuderten Gebäckstück darauf. „Apfelstrudel? Aber wofür?“ „Wir wollen uns bedanken für deinen großen Einsatz heute. Wir haben die Rezeptur ein wenig verfeinert. Bitte, lass es dir schmecken.“ Das ließ er sich nicht zweimal sagen. „Danke“, freute er sich und griff zu der kleinen Gabel. „Ich denke, ein wenig Platz habe ich noch.“ Er ahnte nicht, dass Muskat die Rezeptur ergänzte. Vielleicht ein klein wenig zu viel davon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)