Von fremden Landen und neuen Wegen von Aon ================================================================================ Kapitel 1: Von fremden Landen und neuen Wegen --------------------------------------------- Von fremden Landen und neuen Wegen Die Wellen plätscherten gegen den Bug des Schiffes, hoben und senkten es sacht. Die Nacht breitete ihren Mantel aus und tupfte tausende Sterne an das schwarze Himmelszelt. Seit geraumer Zeit waren die meisten Mitglieder der Crew in ihren Kajüten und Hängematten verschwunden, schnarchend von Gold und Reichtum, von Abenteuern träumend. Lediglich der Steuermann hielt am Heck seine Wacht, die ‚Black Mermaid‘ stetig weiter gen Küste steuernd. In der Ferne waren bereits die Leuchtfeuer von Task, der Hafenstadt von Ista zu erkennen. Sie loderten auf Türmen in die Nacht, malten helle Lichtkugeln an den sonst schwarzen Horizont. Den Blick aus grau-blauen Augen auf eben jene Punkte gerichtet, saß ein junger Mann von 16 Sommern am Bug. Er hatte sich an die Reling gelehnt, den Krug mit Grog in den Händen. Seine Gedanken schweiften ab, ebenso wie sein Blick. Seine Ohren lauschten dem Gesang der Wellen, dem Wispern des Windes und dem Flügelschlag seines Bussards, der von einem Ausflug zurückkehrte. Sich schüttelnd, krallte er sich ans Holz der Reling, den jungen Mann mit wachsamen Augen beäugend. Sein langes, ebenholzfarbenes Haar war in einem einfachen Zopf gebunden, die sonst helle Haut von der Sonne gebräunt. Seine purpurne Tunika mit den goldenen Stickereien, der wertvollen Borte und dem edlen, feinen Leinen sprach von dem Reichtum, welchen er gewohnt war. Hier und da waren Einrisse an den Nähten und Ärmeln zu sehen und der Stoff wirkte an den Ellbogen und am Kragen abgetragen. Trotz seiner Herkunft, hatte auch jener Mann, der vor kurzem dem Knabenalter entwachsen war, die Arbeit an Bord mit aufnehmen müssen. Hier auf der ‚Black der Mermaid‘ war es gleich ob man Bauer, Bettler oder Adliger war. Wer essen und schlafen wollte, musste anpacken. Wer herumlungerte, faulenzte, der fand sich allein im nächsten Hafen wieder. Ein einfaches Konzept, welches jedoch die Crew zu einer Familie zusammenschweißte. Einer Familie, die Wind und Wetter, Ungeheuer und See hundertfach überstanden hatte. Einen Schluck aus dem Krug nehmend, für einen Moment die Augen schließend, vernahm der Dunkelhaarige Schritte, die ihm wohl bekannt waren. Das Klacken von Holz auf den Planken, der schwere Gang - Martin, ein Seebär, der in einem Sturm sein linkes Bein verlor. Er war ein gemütlicher Geselle, mit grauen Haaren, einem langen Bart mit Zöpfen und Perlen und doch konnte er aufbrausend werden, wenn man seine Geduld zu lange strapazierte. Martin war der Quartiermeister an Bord und das seit wer weiß wie langer Zeit. „So nachdenklich, Balian?“ Die tiefe Stimme mit dem leichten Schmunzeln darin ließ den jungen Mann die Augen öffnen, hinauf blicken in das Gesicht des anderen. Wie viele Abenteuer jener erlebt hatte, was von dem Seemannsgarn wirklich wahr war, das wusste nur jener allein. „Da bist du mal raus aus den Zwängen von Zar’Quantia, hältst die Nase in den Wind der Freiheit und bläst dann doch Türbsal? Da vergeht’s selbst nem Orka zu blasen.“ Langsam ließ er sich neben dem Jüngeren nieder, die Krücke einfach auf die Planken legend und sich streckend. „Na, was los? Na komm, Jung. Lass hören.“ Fast väterlich, kameradschaftlich knuffte der gemächliche Mann in die Seite des Anderen, den er am Hafen von Zar’Quantia als Schiffsjungen an Bord geholt hatte. Er wusste von der noblen Abstammung des anderen und so prahlerisch wie Balian damit umgegangen war, hatte bald die gesamte Crew davon Wind bekommen. Dennoch, wer Abenteuer und Freiheit suchte, war bei ihm meist an der richtigen Adresse. Gut, er musste diesem Großfürstenprinzchen erst einmal die Regeln auf See erklären, aber jeder fing klein an. Und soweit er es einschätzten konnte, hatte sich der Junge doch gemacht. Eine andere Wahl war jenem aber auch nicht geblieben, wenn er ehrlich war. „Also?“ Kurz legte sich erneut Schweigen über die beiden. Tief durchatmend, noch einen Schluck nehmend, blickte Balian kurz auf den Quartiermeister neben sich, ehe die Augen zum Himmelsrund wandten. „Ich erhielt Botschaft von Zuhause.“ Ein Schnauben, ein Kopfschütteln, ehe er fortfuhr. „Erst heute habe ich das Siegel gebrochen. Dabei bekam ich sie bereits im letzten ‚Freihandelshafen‘.“ Die Augen des Großfürstensohnes glitten gen Horizont, etwas suchend, was sie jedoch nicht fanden. Geduldig wartete Martin, wissend, dass manche Gespräche ihre Zeit brauchten. „Ich hatte gehofft, es ging nur um eine Heirat. Wie oft lag mir Vater damit in den Ohren?“ Das Lächeln auf den Lippen des Schiffsjungen verblasste so rasch, wie es gekommen war. Die Augen sprachen von Trauer, aber auch Wut und Zorn. „Doch stattdessen berichtet mir ein Freund, dass es einen Aufstand gab. Einen Aufstand, gegen den Adel, die Fürsten, meine Eltern. Und weißt du, von wem sie angeführt wurden? Von diesem drecks Bastard, Moran! Er sollte froh sein, dass Vater ihn nicht ertränkte, als seine Hure von Mutter ihn geboren hatte! Er sollte dankbar sein, dass Mutter ihn bei den Sklaven und Bediensteten akzeptierte, dass er mit MIR aufwachsen durfte!“ Seine Stimme schwoll an, als er begann dem Ärger Luft zumachen. Von Wut gepackt, warf Balian den Holzkrug gegen den nahen Masten und stand auf. Sich am Bug abstützend, den Blick gen Leuchtfeuer, blickt er über die Schulter zu Martin. „Aber nein. Der Sohn einer Sklavenhure führte den Aufstand an. Sklaven, Diener, Mägde, Knechte. Er ist schuld daran, dass der Maskenball zu einem Massaker wurde. Er riss den Dolch durch die Kehle meines und seines Vaters! Dieser undankbare, nichtswürdige Wurm!“ Auf die Reling schlagend, senkte Balian den Kopf, sich versuchend zu beruhigen. Er wusste, tief in seinem Inneren, dass die Dekadenz und das Lustspiel der Adligen jene blind gemacht hatte. Wer würde sie angreifen? Wer das ‚Spiel‘ auf solche Art beenden, wo es doch feste Regeln gab? „Nun, wirklich menschlich seid ihr ja nich mit euren Leuten umgegangen. Wir ham ja genug Sklaven abgeliefert für die Märkte.“ „Und!? Es war unser Recht! Es gibt Menschen, die beherrscht werden wollen und müssen! Sie sind schwach, kurzsichtig! Ohne uns, ohne den Adel, wäre Zar’Quantia nicht ansatzweise so reich, wie es heute ist! Sie hatten kein Recht dazu!!“ „Doch, sie hatten alles Recht, mein Jung. Keiner ist berechtigt, die Freiheit eines anderen zu nehmen. Keiner sollte über ‚Sklaven‘ derart herrschen wie ihr es getan habt.“ Schnaubend wandte sich der Großfürstensohn um, auf den Mann sehend, der vor ihm an der Reling saß. „Ihr habt sie uns gebracht. Hunderte Sklaven. Also erzähl du mir nichts von Freiheit und Menschlichkeit. Du und diese Crew, ihr seid nicht besser als ich oder meine Eltern. Der Unterschied ist nur, dass ihr auf diesem schwimmenden Sarg haust und wir in Burgen und Palästen leben.“ „Balian, denk darüber nach, was du sagst. Dieser schwimmende Sarg, diese Crew hat dich aufgenommen, als du weg wolltest. Du hast in deinem Starrsinn jeden Weg gesucht, um die Stadt zu verlassen. Und warum? Weil du eine Händlertochter mit schiefen Zähnen nicht ehelichen wolltest. Du bist fortgelaufen vor der Verantwortung. Gut, das hat dir den Hintern gerettet, aber denk darüber nach. Das Leben ist nicht so großartig und arschgepudert wie du es kennst.“ „Das ist etwas anderes gewesen. Dieses Weib ist hässlich wie die Nacht. So was soll neben mir stehen? Mir? Dem Prinzen von Zar’Quantia? Ich habe besseres, schöneres verdient als das! Soll sie doch ein Soldat ehelichen. Da passt sie vom Aussehen hin. Oder einen Bauern.“ Den Kopf schüttelnd, hievte sich der Quartiermeister auf und angelte nach der Krücke. Er hatte keine Lust, sich zu dieser Stunde über Heiratsdünkel und Adelswehwehchen zu unterhalten. Die Sichtweise des Jüngeren war eingefahren und ob sich jene je ändern würde, wusste Neptun allein. Auf die Leuchtfeuer am Horizont deutend, suchte Martin erneut den Blick des Prinzen. „Geh in die Hängematte, mein Jung. Denk über meine Worte nach. Du bist nicht mehr Zuhause. Zar’Quantia ist Monate entfernt und dort…“ Er deutete auf die Feuer zwischen Himmel uns See. „…zählen deine Titel, Würden und hast du nicht gesehen, einen Dreck. Dort, wird nichts mehr so sein, wie du es kennst. Dort, in Task, bist du nur ‘n Reisender, ‘n Ausländer. Wenn du nich aufpasst, verlierst du den Kopf und große Worte, brauchen immer Taten.“ „Oh, ich kenne Task von den Erzählungen meiner Sklaven. Ich habe die Schönheiten dieses Landes bereits gesehen und gekostet.“ Ein vielsagendes Lächeln lag auf Balians Lippen, welcher die Arme verschränkte. Er stand herrschaftlich am Bug, als gehöre ihm das Schiff. Wankelmütig, aufbrausend, selbstverliebt, das war er. Er kannte Herrschsucht, Verschwendung, Maß- und Zügellosigkeit. Nicht selten fällte er als Statthalter seines Vaters grausame Urteile, holte sich jedes Weib ins Bett, das ihm gefiel. Er ließ Aufgaben schweifen, wissend, dass er Zeit hatte und genoss das Leben in vollen Zügen. Warum an das Morgen denken, wenn das Heute prunkvoll und voller Rausch war? Selbstsicher wandte er sich etwas seitlich, den Mann vor sich von oben herab ansehend. „Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was ich weiß, werde ich mir das Land zu Eigen machen. Ich werde es genießen. Die Schönheiten, die Musik, den Tanz. Ausschweifende Feiern. Berauschende Nächte. Heise Verführungen. Ich werde unterkommen, Martin. Lesen, Schreiben, Rechnen - es ist ein Privileg, dies zu können und Task als Handelsstadt wird einen Händler wie mich nicht vergessen.“ Gut, Selbstüberschätzung konnte man ebenfalls in die Reihe von Balians Eigenschaften einreihen. Doch woher sollte der junge Mann es wissen, wenn er nie Grenzen kennengelernt hatte? Den Kopf über so viel Überheblichkeit schüttelnd, setzte Martin noch einmal an. „Hör auf meine Worte, mein Jung. Sei vorsichtig. Das dort is anders als das, was de kennst. Die leben anders. Diese Kultur ist so gänzlich verschieden zu der unseren. Und der Handel, der geht über Ubay. Dort wirst du keinen Fuß fassen. Nicht als Ausländer…“ Haus Ubay. Wie oft hatte Balian von diesem Handelshaus gehört? Er wusste, dass Ubay alles besorgen konnte, wenn der Preis stimmte. Die Männer an Bord sprachen oft davon, dass die Dächer der Hafenstadt von Gold überzogen waren und dass selbst die dicken Befestigungsmauern von Edelsteinen und Gold schimmerten. Ein Reichtum, den sich selbst der Prinz von Zar’Quantia, einer der reichsten Handels- und Hafenstädte in Tukan, nicht vorstellen konnte. „Ich werde sehen, was die Hohen von mir wünschen und wohin mich mein Weg führt. Doch eines ist klar, Martin. Ich werde dort in Task nicht untergehen. In kürzester Zeit wird man meinen Namen kennen, überall.“ „Den Wort Balian in den Ohr’n der Hohen und von Fortuna. Dein Wort, in deren Ohr…“ ~~~ Als der Morgen graute, die Sonne sich rot und orange über die Dünen erhob, glitzerten die goldenen Dächer von Task in ihrem Licht. Funkelnd, unwirklich, erhob sich die Stadt zwischen den Dünen der todbringenden Wüste. Das Wasser schimmerte türkis und aquamarinblau, schöner und klarer als anderswo auf der Welt. Die Edelsteine der Verteidigungsmauern schillerten in den herrlichsten Farben und wundersamsten Mosaiken und Formationen. Task, die Stadt von Haus Ubay. Die Stadt der Händler. Der Nabel zur Welt außerhalb der Wüste. Bereits von Weitem war ihre Herrlichkeit, Macht und ihr Reichtum zuerkennen. Je höher die Sonne stieg, umso prächtiger wirkte diese Perle am Rande von Wüste und Meer. Alles lenkte von den mächtigen Festungsanlagen ab, die Wind und Wetter, Freibeutern und Kriegsschiffen Stand gehalten hatten. Mächte Ketten, von Algen und Moos geziert, versanken vor der Hafeneinfahrt in den Tiefen des Meeres und nur wenige wussten, was sie entfesseln konnten. Die Leuchtfeuer flankierten die Passage in den Hafen, in dem Schiffe aus allen Herrenländern lagen. Bunt angemalte Rümpfe, farbenfrohe Segel und Banner, Flaggen, so mannigfaltig, dass Balian sie nicht alle benennen konnte. Jener stand auf einem Quermasten über dem Deck, die Aussicht genießend. Er hielt sich an einem windgegerbten Tau fest, den Wind durch die langen, offenen Haare wehen lassend, die freie Hand schützend über die Augen gehoben, um nicht von der Sonnenreflexion geblendet zu werden. „Hey da! Wo ist der Ankerplatz!?“ Die Stimme des Kapitäns holte ihn aus den Gedanken, aus diesem Anblick heraus, sodass er kurz nach unten sah. Er brauchte einen Moment, bis er den Einweiser am Kai entdeckte. Jener arbeitete mit Spiegeln, um die Aufmerksamkeit des Steuermannes oder eines Crewmitgliedes zu erhalten. Bei der Vielzahl an Schiffen würde alles andere im Segel- und Mastenmeer untergehen. „Steuerbord! Noch weiter! Gerade jetzt!“ Die ‚Black Mermaid‘ manövrierte sich durch die Anlagestege hindurch, bis der Steuermann sie sicher seitwärts an den Kai lenkte. Dünne Seile, die an den dickeren Tauen befestigt waren, wurden von den Männern hinüber zu den Hafenarbeitern geworfen. Jene zogen die dicken Stellen an Land und legten es um einen großen Poller, um das Schiff festzuzurren. Näher und näher wurde der Rumpf gezogen, bis ein Landungssteg reichte um jenen mit dem Kai zu verbinden. Die letzten Segel wurden gestrichen und während die Männer bereits begannen, die Ladung von den Sicherungstauen zu lösen, kam ein dicklicher Mann in feinem weißem Leinen und prunkvoller Purpurweste den Steg hinauf. Er fächerte sich Luft mit einem reichverzierten Elfenbeinfächer zu, während ein junger Mann mit leicht sonnengeküsster Haut ihm folgte. In seinen Händen hielt jener einen Sonnenschirm, dessen golddurchzogener Purpurstoff in der Sonne glitzerte. Am stoffbezogenen Rand bewegten sich goldene Franzen im kühleren Hafenwind und kleine Glöckchen erklungen hell bei jedem Schritt. „Willkommen in Task, der größten Handelsstadt von Ista. Hier werden alle Träume wahr, wenn man das nötige Kleingeld hat.“ Auf die akzentreichen Worte folgte ein Lachen, welches den Bauch des Mannes deutlich hob und senkte. So freundlich jener Mann wirkte, so aufmerksam waren seine kleinen Augen, die bereits die Länge des Schiffes schätzten. Sich umsehend, verzog er leicht das Gesicht und klatschte in die Hände. Anscheinend hatte sich jemand aus seinem kleinen Gefolge zu weit entfernt, was die Missgunst des dicklichen Herren mit sich brachte. Von Rechts hastete ein junger Mann, kaum älter als Balian heran und kniete sich keuchend vor seinen Meister. In den Händen trug er ein kleines Schreibpult mit einem Tintenfässchen aus blauem Glas. Ein in Leder eingeschlagenes Buch wurde durch einen Steg am unteren Ende gehalten und seitlich steckte eine Falkenfeder in einer Halterung. Auch wenn das Pult eher schmucklos wirkte mit seinen wenigen Schnitzereien, so war es aus edlem Holz von Meisterhand gefertigt worden. Schlicht und doch mehr wert, als so mancher Matrose Jahresheuer bekommen würde. Jetzt, da jener ‚Mitarbeiter‘ vor ihm kniete, hellte sich die Miene des Dicklichen auf und das zuvor gezeigte Lächeln breitete sich erneut auf seinen Zügen aus. Die Feder nehmend und sie in die Tinte tauchend, sah er auf den Kapitän des Schiffes. „Ich bin Hassan, der Hafenmeister. Wenn du, etwas braucht, efendi, kommt zu mir. Alles hat seinen Preis, aber nichts ist nicht zu beschaffen. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ Milan, der Kapitän der ‚Black Mermaid‘ ahnte bereits, dass jetzt die ersten Gebühren anstanden. Diese Stadt war nicht nur für ihre Märkte bekannt, sondern auch dafür, dass es hier nicht einmal einen Brotkrumen umsonst gab. Wie sonst könnten sich Hafenmeister wie Hassan einen Diener und einen Sklaven, denn für jenen hielt Milan den Jüngeren der beiden mit dem Schreibpult, leisten? Noch dazu Purpur, Gold… aber was war an dieser Stadt mit den goldenen Kuppeldächern und der edelsteinbesetzten Mauer nicht verschwenderisch und dekadent? „Milan Windjäger. Das Schiff is meine ‚Black Mermaid‘ und die Jungs sin meine Crew.“ „Es freut mich, Milan Windjäger. Ein wirklich schönes Schiff. Es besitzt 3,5 Pfahlbreiten, also fünfunddreißig Meter Länge, nicht wahr?“ Aufmerksame Augen lagen auf dem Kapitän, welcher nickte und freudig darüber, dass jener nicht feilschte oder ihn betrügen wollte, notierte es der Hafenmeister. „Für wie lang gedenken du zu bleiben, Kapitän Windjäger?“ „Zwei, drei Tage. Die Reise war lang und meine Jungs woll’n mal runner.“ Die Nase etwas krausziehend, bevorzugte Hassan doch die hochgesprochene Handelssprache, blickte er erneut auf den Mann vor sich. Fußvolk. Unverschämte Fremdländer. Aber was erwartete man von solchem Pack? Ach ja, zu viel. „Also drei Tage?“ Die Nachfrage machte bereits deutlich, dass der Hafenmeister etwas verstimmt war. „Aye. Die Steuer in Gulden oder Dublonen“ Wenn jener schon verstimmt war, machte diese Bezahlungsforderung den Fang auch nicht mehr fett. Als sich Milan schließlich gen Deck wandte, rechnete Hassan doch gerade die Steuer um, erblickte jener Balian. Während seine Jungs die Segel verschnürten, Fässer rollten und Säcke an Deck schleppten, hatte jener den Seesack geschultert. Anscheinend wollte der Bursche ohne einen weiteren Finger krumm zu machen von Bord. Leicht knurrend löste sich der Kapitän von der Reling und trat auf jenen zu. „Wo willst’e denn hin!? Denkst wohl, du kannst einfach vom Kahn, weil’s dir gerade passt?“ Die Augenbraue hebend, blickte der Großfürstensohn mit gehobenem Kopf auf den älteren Mann, der ihn hier her mitgenommen hatte. Ja, Milan war ein Mann, der Wind und Stürme, die See kannte. Es schien, als könnte er selbst im tiefsten Nebel sicher navigieren, doch gerade jetzt hatte Balian keine Lust, sich länger mit dem Mann zu unterhalten. Er hatte seine Fahrt bezahlt und den Dienst an Bord geleistet. Mehr war von ihm nicht zu erwarten. „Kapitän Milan, ich hab meinen Teil der Abmachung eingehalten. Was die Ladung angeht, so bin ich wahrlich nicht die geeignete Person, um Fässer zu rollen oder schwere Lasten zu tragen, meint ihr nicht?“ Zumal seine Kleidung eh bereits mehr gelitten hatte, als es ihm Recht war. Für alles Weitere fühlte er sich nicht einmal ansatzweise verantwortlich. Schnaubend wandte sich der Ältere ab. Undankbares Pack! Da nahm man diese Kerle mit an Bord, verpflegte sie und dann so etwas. Adlige. Brut! Die gedanklichen Verwünschungen nahmen kein Ende, doch das Recht war auf der Seite des Dunkelhaarigen und vor dem Hafenmeister war er nicht gewillt, den Streit weiter offen darzustellen. „Dann runter! Glaub bloß nich‘, dass ich dich wieder mit nehm, wenn du hier nich‘ landest!“ „Oh, das wird nicht geschehen, Kapitän, glaubt mir.“ Selbst sicher grinsend, wollte Balian gerade an Hassan vorbei, als Milan sich noch einmal an jenen wandte. „Du bist doch’n Handelskind. Wenn du schon abhaust, verhandel wenigstens noch die Steuer hier. Ich hab anderes zu tun. Kannst deinen Wert ja mal beweisen.“ Warum sich das Geschick des Prinzen nicht zu eigen machen? Sicher, Milan war ein Raubein, ein Seehund, doch wenn es um Verhandlungen wie mit Hassan ging, fehlten ihm einfach das Einfühlungsvermögen und die Geduld. Zumal in Ista eh vieles bei Tee und Wasserpfeife besprochen wurde. Zeitverschwendung, besonders wenn die Ladung gelöscht und verteilt werden musste. „Gut, das sollte kein Problem für mich darstellen. Und danach werde ich mir Task ansehen.“ Wie er von diesem Land erneut fortkommen würde, wie er sein Geld verdiente, das waren Dinge, die gerade nicht relevant waren. Bislang gab es für ihn Münzen in Hülle und Fülle und zur Not schrieb man eben das eine oder andere an. Es gab sicher genug Arbeit in einer Hafen- und Handelsstadt, besonders wenn man die Händlersprache beherrschte und noch zwei, drei gängige Sprachen mehr. Gut, die Sprache der Ishtary gehörte nicht dazu, doch was nicht ist, konnte ja noch werden. Sie konnte nicht all zu schwer sein, zumindest im Verständnis von Balian. Den Steg hinab auf den Kai gehend, lenkte er die Aufmerksamkeit von Hassan auf sich. Diesem war sein aufrechte Gang und die, wenn auch etwas ramponierte, edle Tunika durchaus aufgefallen. Allein schon das lange Haar sprach von Stand, hatten einfach Bürger doch kaum das Geld, jene derart zu pflegen. Während der musternde Blick des Hafenmeisters auf ihm lag, konnte sich Balian seine Gedanken nicht verkneifen. In seinen Augen war dieser Mann ein eher fauler Sack, der seinen Wanst herumtrug und auf eine wichtigtuerische Art seinen nach außen getragenen Reichtum erklärte. In seiner Heimat gehörten die Hafenmeister zwar zu den etwas angeseheneren Menschen, doch keiner von ihnen wurde dermaßen reich bezahlt, dass er sich Dienerschaft oder Sklaven leisten konnte. Anscheinend konnte Zar’Quantia im Bezug auf Dekadenz von Task noch so manches lernen. Den Seesack neben sich auf den Kai sinken lassend, rollte Balian leicht die Schulter, hatte er jenen doch falsch geschultert. „Einen angenehmen Tag, werter Hafenmeister. Kapitän Milan bat mich, die weiteren Gespräche mit euch zu übernehmen.“ Der Klang der verständlichen, weicheren Stimme hellte die Miene Hassans weiter auf, welcher sich fast freudig dem jungen Mann zuwandte. „Ah, sehr schön. Sein Akzent ist doch etwas schwer verständlich.“ Akzent? Die Aussprache hatte wohl eher stark gelitten, doch der Dunkelhaarige behielt dies für sich. Er wollte es sich nicht noch mehr mit Milan verscherzen, welcher bereits jetzt eher Gewitterwolken heraufbeschwören könnte mit seinen Blicken. „ Wie ist dein Name, efendi und bist du Teil der Mannschaft?“ Ein leises Lachen erklang, während Balian den Kopf schüttelte. Es war seltsam, bereits jetzt mit ‚Du‘ angesprochen zu werden. Anscheinend kannten die Bewohner von Ista kein förmliches Ihr oder Sie. Er hatte durchaus bereits gelesen, dass diese Formen in einigen Landen unbekannt waren oder von Titeln ersetzt wurden, doch war es seltsam, so vertraut und doch distanziert mit einander umzugehen. „Ich bin, war ein Reisender auf dem Schiff und werde für einige Zeit in Task bleiben. Mein Name ist Balian Duron. Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen, werter Hafenmeister.“ Er war am überlegen gewesen, ob er seinen Rang nennen sollte, doch hielt er es für äußerst unklug. Sollten Jäger von Moran hier sein, würde allein sein Name für Aufsehen sorgen. Gerüchte über einen Großfürstensohn in irgendeiner Taverne waren eher kontraproduktiv. Ja, in diesem Bezug war der Dunkelhaarige durchaus paranoid, ging es doch gerade um sein Leben und vor allem, seine Freiheit. „Ein Reisender? Dann Willkommen! Willkommen in Task! Ich hoffe, du hast einen klimpernden Beutel dabei, denn nur so kannst du diese wundervolle Stadt genießen!“ Die Laune von Hassan stieg weiter an, waren doch solche Gesprächspartner im Hafenbereich selten geworden, wenn es nicht gerade Händler waren. „Nun, ich freue mich bereits darauf und ich denke, dass jemand wie ich durchaus eine Anstellung finden wird, wenn ihm einmal die Münzen ausgehen. Vielleicht sogar bei euch?“ Ein Lächeln, charmant, wie er es immer zeigte, wenn er etwas von jemandem wollte, trat auf sein Gesicht. Die scharfen, abwägenden Augen von Hassan wanderten über den Jüngeren, wobei er eine undeutsame Mimik aufsetzte. Was jener Hafenmeister gerade dachte, war ebenso verborgen wie die Antwort auf die Frage, was auf dem Grund der See zu finden war. „Nun, man wird sehen, nicht wahr? Doch zurück zum Geschäftlichen. Was ist geladen?“ Jetzt ging es um die Warensteuer, was fast noch wichtiger war, als die Anlegeabgaben. „Zwanzig Sklaven aus verschiedenen Ländern, um die vier Tonnen Gerste und Hirse. Zehn Kisten mit Tand, Schmuck und Zierrat, sowie jeweils sieben Säcke mit Weihrauch, Salz, Zucker, Pfeffer, Majoran, Basilikum…“ Die Liste der Gewürze war vielfältig und weckte das Interesse von Hassan. Besonders Salz und Weihrauch waren sehr begehrt, sodass er kurz den Kopf anhob. An der Reling beugte sich Milan mit sorgenvollem Blick nach vorn, ahnte jener doch, dass ihn die Aussagen von Balian einiges an Geld kosten würden. Es war wohl doch keine so gute Idee gewesen, den Burschen unbeaufsichtigt an Bord herumwandern zu lassen. Jener kannte den Frachtraum ja fast besser, als er selbst! Gut, in Anbetracht der Herkunft und der Handelslehren seines Vaters, war dieser Umstand wohl durchaus zu erklären. Es war eben ein Unterschied, ob ein einfacher Kerl an Bord war oder ein hochwohlgeborenes Prinzlein, das, nach seinem Verständnis, nichts anderes macht, als das Geld seiner Familie zu zählen und die Zeit tot zu schlagen. Seufzend ließ er seine Arme halb über die Reling hängen, während er die Szene weiter beobachtete und hoffte, dass dieser Großfürstenknabe wenigstens etwas Gutes heraus handeln konnte. „Weihrauch? Salz? Und jeweils sieben Säcke davon? Welches Gewicht?“ Das der andere Interesse hatte, war nicht zu übersehen und somit kam der Jüngere langsam in sein Element. „Es sind mittlere Jurtesäcke. Ich schätze um die zwanzig Pfund pro Sack. Das Salz ist beste Qualität, direkt aus Zar’Quantia selbst und den Weihrauch bezogen wir von einem Handelsschiff aus Omnian.“ Nun das man die Ware von dort bezogen hatte, war wohl übertrieben. Milan entschied, dass jenes Handelsschiff ihm im Weg war und gab den Befehl zum Entern. Eine Eigenheit der ‚freien‘ Händler, wie Balian bald erfahren sollte. Nur weil man Piraten mit Handelspapieren ausstattete, bedeutete das nicht, dass sie danach keine mehr waren - im Gegenteil. Man legalisierte ihre Arbeit und wo kein Kläger, da auch kein Richter. Doch dieser kleine, feine Umstand war gerade nicht weiter relevant für den Mann, der nachdenklich den Kopf wog. „Löscht die Fracht und legt diese Ware zur Seite. Ich möchte sie prüfen und ich denke, man wird sich über den Preis einig werden.“ „Oh, da bin ich mir sicher, werter Hafenmeister Hassan.“ Sich umdrehend, blickte er zu Milan hinauf, welcher leicht schnaubte, jedoch mit seinem ersten Maat sprach, welcher entsprechende Anweisungen gab. Der junge Prinz wandte sich erneut an den dicklichen Mann. „Falls ihr an anderen Dingen noch interessiert sind, lasst es mich wissen, werter Hafenmeister.“ Gut, somit verschob sich seine Erkundungstour um einige Zeit, doch wenn hier ein guter Handel lockte und er seine Kasse selbst füllen konnte, warum es sich entgehen lassen? Die Grundverhandlungen zogen sich und als sie einen Basisnenner gefunden und als sich der Hafenmeister am Kai einen Platz gesucht hatte, schickte er seinen Pultsklaven los. Was jener holen sollte, hatte Balian nicht verstanden und es war ungewohnt für ihn, dass man zwar zunächst Wert und Preis besprach, doch das eigentliche Feilschen noch nicht begonnen hatte. Die restliche Ladung wurde in ein Lagerhaus gebracht, von dem aus diese durch Milan an die entsprechenden Stellen verteilt werden würde. Da es sich beim Weihrauch um Diebesbeute handelte, ebenso beim Salz – welches der Großfürstensohn angeboten hatte – waren diese Waren frei, hatte doch kein anderer Händler dafür bezahlt. Nach wenigen Momenten, in denen man sich über die Reise und die See unterhalten hatte, kehrten drei Sklaven zurück. Jener, der zuvor das Pult gehalten hatte, trug ein Tablett mit kleinen Teegläschen und Kännchen, sowie Kleinigkeiten zum Speisen, während ein anderer einen Glasbehälter mit Aufsatz und Schläuchen bei sich hatte und der Dritte große Kissen heranschaffte. Etwas irritiert hob der Dunkelhaarige seine Augenbraue und sah auf den dicklichen Mann, welcher bei der Reaktion freudig lachte. „Das, werter Balian Duron, ist eine Shisha. Du wirst sie lieben! Hier in Ista verhandelt man bei Tee, Baklava und einem guten Töpfchen Tabak.“ Shisha? Bislang hatte der Jüngere nie etwas von dieser Art von… Gerätschaft gehört, sodass er skeptisch auf den Glasbehälter mit Aufsatz blickte. „Nicht so skeptisch, mein Freund. Man nennt es auch Wasserpfeife. Genieß es einfach und lass es auf dich wirken.“ Der Sklave stopfte den Tabakkopf, bevor er sich einem kleinen, goldenen Schälchen mit Henkel und Kohle widmete. „Das ist ein Shishi für Kohlen. Nur die feinste Kokoskohle bringt den richtigen Geschmack. Merk dir meine Worte, junger Balian Duron.“ Mit der Zange wurde die Kohle auf den Tabakkopf gelegt. Es verstrichen einige Momente, bis der Sklave fertig war und die Shisha anrauchte. Fasziniert beobachtete Balian, wie der Dampf sich ausbreitete, es blubberte. Die feinen Rauchschwaden, die aus dem Mund des blonden Sklaven wichen, wurden vom Wind verweht und ein leichter Duft von Zimt und Apfel lag in der Luft. „Bedien dich, mein Freund!“ Aus den Gedanken gerissen, blickte der Adlige aus Zar’Quantia auf das goldene Tablett, auf dem Blätterteig mit Honig zu finden war. Die Nüsse, soweit er sie zuordnen konnte, waren Pistazien, somit nichts, was er nicht mochte. Mit zwei Fingern sich eine Kleinigkeit nehmend, biss er hinein, mit der anderen Hand die Krümel auffangend. Süß, aber durchaus schmackhaft. Der Tee wurde währenddessen aus einer Glaskanne mit frischer Minze eingeschenkt und ebenfalls gereicht. Dazu der Schatten durch den Sonnenschirm, diese angenehme Atmosphäre. Langsam fragte sich Balian, wovor ihn der Seebär gewarnt hatte. Dieser Ort war genau nach seinen Wünschen! Wenn die Verhandlungen hier auf diese Weise begonnen wurden, waren sie angenehmer zu führen, als bei ihm zu Hause und die Gastfreundschaft von Hassan war durchaus willkommen. Jener nahm den ersten Zug von der Shisha, testend, wie gut sie bereits brannte, bevor er nickend den zweiten Schlauch für den Geschäftspartner freigab. Vorsichtig zog Balian am Mundstück und hustete leicht, war er doch das Einatmen von Rauch nicht gewohnt. Lachend hielt sich Hassan den Bauch, während er sich entspannter auf die bequemen Kissen setzte und sich hinter sich an eine breite Kiste lehnte. „Kleine Züge, wenn es deine erste Shisha ist! Du wirst dich daran gewöhnen, glaube mir.“ „Ich hoffe doch.“ Sich auf die Brust schlagend, lächelte der Großfürstensohn etwas, den Blick dabei seitlich auf den Hafenmeister gerichtet. Der Geschmack war durchaus interessant und er mochte diese Gerätschaft bereits jetzt. Das Feilschen um den Preis begann, als die Stimmung am Entspanntesten war. Was für ein harter Knochen sich hinter diesem dicklichen, netten Gesicht verbarg, wurde erst jetzt sichtbar. Wusste man nicht, was man verkaufte, unterlag man gnadenlos. Man durfte sich keinen Fehler erlauben, denn jeder kostete bare Münze. Hin und her argumentierend, wobei der Ishtary mal lauter wurde und dann aber wieder ruhiger, einigte man sich schließlich nach der zweiten Shisha auf einen guten Preis für die Ware. Sicherlich würde er nicht alles an Milan abgeben, hätte dieser das ganze doch für einen Spottpreis verkauft. Nein, er würde gut sechzig Prozent einstreichen und den Rest abgeben. Was Salz und Weihrauch hier wert waren, konnte dieser Einfallspinsel von Kapitän nicht ermessen und Balian war arrogant genug zu behaupten, dass jener eh nur einen Bruchteil davon verstand, was man Handel nannte. „Ah, sehr schön. Es freut mich, mit dir ins Geschäft gekommen zu sein, mein Freund.“ Hassan war durchaus vergnügt, hatte er doch eine Leidenschaft für gute Verhandlungen und auch wenn sein Gegenüber vom Alter her sein Sohn sein könnte, schien jener nicht auf den Kopf gefallen zu sein. Die Münzen holen, dabei Shisha und Tablett entfernen lassend, richtete sich der Hafenmeister von Haus Ubay auf,strich sich die Weste glatt und rückte den Wickelgürtel dabei wieder zurecht. „Ich denke, man kann darüber nachdenken, dich einzustellen. Aber genieß Task zunächst und lass dich von ihrer Schönheit verzaubern! Die Nächte sind heißer als der Tag, vertraue mir, mein Freund!“ Hellhörig werdend, blickte Balian auf den Mann neben sich. Schöne Frauen, heiße Nächte. Das waren Dinge, denen er nicht abgeneigt war - im Gegenteil! So stellte er sich den perfekten Tagesabschluss vor. „Ich bin gespannt und freue mich bereits darauf, diese heißen Nächte selbst zu erleben.“ Schmunzelnd richtete sich der Prinz mehr auf, seine Schultern etwas kreisen lassend, bevor er den Kopf bewegte und seinen Nacken knacken ließ. „Oh, es gibt kaum etwas Besseres, doch Vorsicht, junger Freund. An manchen Frauen verbrennst du dir die Finger und fasst du eine falsche an, bist du deinen Kopf los. Aber so ein junger Geschäftsmann wie du, wird das sicherlich wissen.“ Ein breites Grinsen trat auf die Lippen von Hassan und Balian, zu Stolz um zuzugeben, dass er keine Ahnung von den Eigenarten dieser Stadt hatte, nickte lediglich wissend. „Dessen könnt ihr euch sicher sein!“ Wie Unrecht er mit dieser Aussage hatte, konnte der junge Mann jetzt noch nicht wissen. Hätte er geahnt, wohin ihn diese Fehleinschätzung führen würde, hätte er geahnt, was er damit riskierte, so hätte er wohl nachgefragt. Es war keine Schande, seine Unwissenheit zu offenbaren, besonders wenn man ihn einem so fremden Land wie Ista war. ~~~ Langsam öffneten sich die grau-blauen Augen, hinauf blickend auf die dunklen Felsen des Zimmers, welches er sein Eigen nannte. Eine Kammer, hinein geschlagen in den Felsen, tief unterhalb der mächtigen Stadt Al’Hamu, fern von der Sonne, dem Licht, dem Zeitgefühl. Vorsichtig sich aufrichtend, fühlte Balian jede Rippe, jeden Muskel in seinem Rücken. Die Hand legte sich auf die Seite, welche bläulich leuchtete und bei der kleinsten Berührung schmerzte. Wie so oft hatte er von den Tagen geträumt, an denen er noch töricht genug gewesen war zu glauben, dass dieses Land freundlich sei. Warum er den Fehler seines Lebens begangen hatte, ob etwas in einer Shisha gewesen war, die er sich in einer Taverne bei schönen Frauen gegönnt hatte, wusste er nicht, doch war es nicht eigentlich egal? Er konnte sein jetziges Schicksal nicht ändern und es blieb zu hoffen, dass er überleben würde. In der Türöffnung erschien eine in schwarz gehüllte Gestalt, deren Turban bis auf die Augenpartie alles verbarg. Dunkle Augen mit schwarzer Tätowierung blickten distanziert auf den jungen Mann hinab, der in schwarzer Pluderhose mit abgetragenen Stiefel und dunkelblauem Gürtel auf seinem Lager aus zwei Decken und Stroh saß. „Steh auf. Es wird Zeit für die Prüfung der Wüste.“ Den Blick langsam anhebend, sahen die im Vergleich hellen Augen auf jene Gestalt, bevor sich der Großfürstensohn auf die Beine kämpfte. Deutlich prangte das Zeichen Nizams auf seiner Brust, über dem Herzen. Es war das Mal dafür, dass er durch seine Dummheit, Arroganz und seinen Leichtsinn seine Freiheit eingebüßt hatte. Die schwarze Tätowierung, eine Schlange in einem Kreis, würde ihn, sollte er die Prüfung jetzt überleben, ein Leben lang an jenen Moment erinnern, als er die wundervolle Mauer erklommen hatte, deren Durchbrüche wie Blumen gewirkt hatten. Es war so einfach gewesen und als er oben angekommen war, erblickte er Schönheiten, die er nie zuvor gesehen hatte. Sein Herz ging ihm auf, als er jene Göttin zu herrlichen Klängen tanzen sah. In seinem törichten Leichtsinn überwand er die Mauer, angezogen von jener Dame mit langen, schwarzen Haaren. Ihr Lächeln verzauberte den Prinzen, ihre Bewegungen lockten ihn. Durchsichtige Stoffe, die den Körper verbargen, Augen, so hell und leuchtend wie Sterne. Erschrocken, überrascht schrien die anderen Damen auf, als er in den Feuerschein trat. Selbstsicher wie eh und je, den Kopf erhoben, um seine Ausstrahlung wissend, ahnte Balian nicht, dass er den Harem des Kalifen Nizam betreten hatte. Er wusste nicht, welche Strafen allein darauf standen, die Frauen dieses Mannes anzusehen. Ein Schlag in den Nacken brachte ihn zu Fall und als er aufsah, stand eine Frau in Pluderhose mit Turban und leichter Lederrüstung über ihm, den Kampfstab zwischen seine Schulterblätter drückend. Es war seinem Aussehen und der Tatsache, dass er die Haremsmauern erklommen hatte, ohne gesehen zu werden, zu verdanken, dass er lebte. Wem er genau ‚gehörte‘, warum er in diese Felsenstadt mitten in der Wüste gebracht worden war, war Balian ein Rätsel. Die Sprache so fremd und lediglich die Umgangsformen mit ihm, die Art, wie man ihn zwang, wie man ihn zeichnete, machten ihm deutlich, wie weit unten er nun angekommen war. Wenn er jedoch an jene Dame mit den langen, schwarzen Haaren zurück dachte, daran, wie ihre wunderschöne Gestalt in ein rotes Gewand gehüllt war, welches sich im Tanz bewegte wie feinste Seide, trat ein Lächeln auf die Züge des Prinzen. Sein Blick glitt in die Ferne und führte ihn fort von den Höhlen und der Tristesse dieses Ortes. Ein Schlag, kurz, prägnant und gezielt ließ ihn schmerzerfüllt zusammenfahren, sich die dunkelblaue Seite halten. Die Handkante hatte gut getroffen und ihn schlagartig in das Hier und Jetzt zurück befördert. „Vorwärts!“ Die Hand des Mannes ergriff seine Schulter, stieß ihn nach vorn aus dem Raum heraus und durch die Gänge. In einigen unterirdischen Räumen wurden junge Männer und Frauen trainiert, zum Teil Knaben und Mädchen, waren jene doch lernfähiger als die Erwachsenen. Aus einigen Bereichen erklang das Lied der Schmiedekunst, und in wieder anderen war das Lachen von Frauen zu hören, welche freudig seidene Tücher färbten und in großen Bottichen mit gerafften Kleidern stampften. Sie sangen Lieder oder berichteten sich vom neusten Klatsch und Tratsch. Was sie sagten, verstand Balian nicht wirklich. Auch wenn jener verhängnisvolle Tag bereits ein Jahr her war, hatte er bislang weniger von dieser seltsamen Sprache gelernt, als ihm lieb war und die Zeichen vermochte er noch immer kaum zu lesen. Durch die engen Gänge und über steile Treppen, wurde der ehemalige Prinz hinauf geführt. Die Kühle der Höhlen ließ nach und machte der Hitze des Tages Platz, je weiter er nach oben kam. Lautlos folgte ihm jener, der ihn zuvor zur Raison gerufen hatte und schließlich trat Balian ins helle Licht des Tages. Die Hand hebend, sie schützend vor die Augen haltend, wandte er den Kopf ab. Das Licht war gleißend in diesem Moment und er brauchte einige Augenblicke, bis er sich daran gewöhnt hatte. Vor ihm standen zwei Ausbilder, die er aus den Höhlen kannte, sowie die dunkle Gestalt mit den leuchtenden, blauen Augen, die er bei Nizam gesehen hatte. Jene war aus dem Schatten herausgetreten, als man ihn vor den Kalifen schleppte und hatte Anspruch auf Balian erhoben. Tuban, der Adin von Al’Hamu, der Weise vom Berg, der Herr von Haus Hashim. Ein Mann, dessen Alter keiner einschätzen konnte und welcher gefürchtet war, soweit es der Großfürstensohn in Erfahrung bringen konnte. Die Augen des Älteren hafteten auf ihm und schienen tief in seine Seele zu sehen. Es war einer von jenen Blicken, denen man nicht standhalten konnte, wenn man auch nur einen Funken Zweifel in sich trug und dieser nagte seit dem Verlust der Freiheit an Balian. Was war geschehen, dass ihn die Hohen derart hinabstießen? War es wegen seinem Lebensstil? War es, weil er selbst Sklaven hatte und sich jede Frau zu eigen machte, die er wollte? Wollten sie ihn für seinen Hochmut und seine Dekadenz bestrafen, die er Tag für Tag offen gelebt hatte? Was auch immer es war, er hatte es in seinen Augen nicht verdient! Verdammt, er war ein Großfürstensohn, der dem Massaker entgangen war um jetzt irgendwo in einem fremden Land wie Vieh gekennzeichnet zu sein!? Doch bevor sich diese Gedanken festsetzen konnten, brachte ihn ein gezielter Tritt in die Kniekehlen zum Knien. Sich abstützend, zögerte er noch einen Moment, bevor er seine Hände vor sich auf den Marmorboden legte und seine Stirn darauf platzierte. Es war demütigend, doch er musste seine aktuelle Stellung akzeptieren, wollte er nicht auf der Stelle seinen Kopf verlieren. Der Blick von Tuban war undeutsam und doch beobachtete er jede Gestik und Mimik. Es hatte durchaus gedauert, diesen von sich selbst so überzeugten jungen Mann auf den Boden der Realität zurück zu holen. Man hatte ihm seinen Platz zugewiesen, ihm wieder und wieder offenbart, dass kein Wort, kein Handel, nichts ihn aus dieser Position heben würde. Dass sein Kopf und besonders seine Männlichkeit noch an Ort und Stelle waren, verdankte jener Sklave durchaus dem Herren von Haus Hashim. Jener hatte sich lange mit seinem alten Freund Kalif Nizam unterhalten. Er hatte diesen jungen Mann für sein Haus gewollt, welcher es geschafft hatte, die Mauern zu erklimmen und erst innerhalb des verbotenen Bereiches gefasst wurde. Ob jener ein guter Attentäter war oder nicht, ob jener ein Leibwächter sein würde, blieb abzuwarten. Natürlich wollte Nizam den durchaus adligen Fremden für sich, war er doch gebildet und für die Hallen eines Kalifen geeignet, doch nach einem langen Hin und Her bei Shisha, Tanz und Tee, hatte man sich geeinigt. Ob Tuban dabei auf das falsche Kamel setzte und der Mann vor sich die Prüfung der Wüste überstand, blieb abzuwarten. Im schlimmsten Fall schuldete er Nizam den Wert des Sklaven und einen großen Gefallen, ohne selbst etwas davon zu haben. Die dunkle, rauchige Stimme des Adin erklang und ließ auch die letzten Gespräche auf dem Platz ersterben. Nicht einen Moment ließ er den Sklaven vor sich aus den Augen. „Du wirst von einem Ausbilder in die Wüste gebracht und von dort den Weg zurück nach Al’Hamu gehen. Wenn die Götter dir gnädig sind, werden sie dir den Weg weisen. Wenn sie dich für unwürdig halten, werden Treibsand, Skorpione und die unbarmherzige Hitze dein Todesurteil sein.“ Die Augen schließend, atmete Balian tief durch und ließ die Schultern etwas sinken. Er hatte die Wüste noch nie wirklich gesehen, sie nicht erlebt! Wie sollte er bestehen, wo doch die Dünen überall gleich aussahen!? „Wähle, was du mit dir nehmen willst.“ Den Blick hebend und dem Fingerzeig zu einem Teppich folgend, richtete Balian sich leicht auf. Die mittlerweile kurzen Haare, hatte man ihm doch am Tage, als er nach Al’Hamu gekommen war, die lange Mähne radikal abgeschnitten, wurden vom Wind zerzaust. Bereits jetzt fühlte er das Brennen der Sonne auf seinem Kopf, auf seinem Gesicht. Näher tretend, griff er sich zunächst den zusammengelegten Turban und ein lockeres, dunkles Gewand, welches er anzog, um sich vor der Sonne zu schützen. Ungelenk band er sich das lange Tuch um den Kopf, wobei der Turban für den ersten Versuch zwar schief war, aber halten würde. Den Blick erneut über das wandern lassend, was vor ihm lag, griff seine Hand nach einem Dolch. Er wollte sich verteidigen können, wenn es nötig war. Wozu hatte er das Kämpfen einst gelernt? Um sich am Ende einfach zu ergeben? Nein. Als nächstes war es ein gefüllter Wasserschlauch mit Gurt, den er quer über seine Brust tragen würde. Auch wenn es wohl eher wenig brachte, griff sich der junge Mann eine Karte, die er sich für einen Moment ansah. Zwar konnte er die Zeichen nicht lesen, doch er konnte von der Darstellung ableiten, dass Al’Hamu darauf eingezeichnet war, sowie einige Felsformationen im Norden. Die Windrose beschrieb die Himmelsrichtungen und am Rand waren Sternbilder angebracht, als würden jene den Bereich einkreisen. Zusätzlich dazu nahm der Dunkelhaarige eine dickere Matte, sowie eine Decke mit, waren die Nächte in der Wüste doch eisig kalt. „Wähle noch einen Gegenstand.“ Die Stimme von Tuban ließ ihn aufsehen. Gebäck, Gewürze, Gürtel. Es waren diverse Schuhe noch ausgelegt, Handschuhe, Süßspeisen. Für einen Moment war der junge Mann versucht, einen Gürtel zu nehmen, doch entschied er sich für einen Stock. Sollte er über einen Salzsee müssen, würde jener sein Überleben vielleicht sichern. Er hatte gehört, dass es möglich war, vergleichbar wie beim Durchqueren eines Moores. Sich aufrichtend, blickte er auf den Mann, der sein Schicksal in den Händen hielt und kurz darauf trat der Ausbilder näher, eine Schale mit brennenden Kräutern vor ihn halten. „Einatmen.“ Zögerlich zog der Großfürstensohn die Luft ein. Der Rauch biss in seiner Nase, reize seine Atemwege. Er ließ ihn husten und nach zwei weiteren Atemzügen umhüllte ihn Schwärze. ~~~ Kälte kroch seinen Körper hinauf, als sich das Bewusstsein langsam erneut in seinen Verstand zurückdrängte. Blinzelnd die Augen öffnend, fühlte Balian den feinen Wüstensand unter sich, der bei jedem Atemzug in seine Nase eindrang, sodass er sich hustend und niesend aufrichtete. Die Gegenstände, die er gewählt hatte, waren bei ihm. Ansonsten war er allein zwischen meterhohen Dünen. Sich aufrichtend, den Kopf haltend, da sich dröhnende Kopfschmerzen durch diesen zogen, strich sich der junge Mann den Sand von der Nase, ehe er sich gänzlich aufsetzte. Über ihm standen die Sterne bereits am Himmel und der kalte Wind tanzte über die Dünen, den Sand vor sich hertreibend. Langsam entfaltete der ehemalige Prinz die Karte mit kalten Fingern, wieder hinauf auf das Firmament blickend. Er suchte es nach jenen Sternbildern ab, die er auf der Karte sah, hoffend, dadurch seine Position irgendwie bestimmen zu können. Seufzend, resigniert das Pergament einrollend, entschloss sich der junge Mann, der einst von Dienerschaft und Reichtum umgeben war, eine der Dünen zu erklimmen. Vielleicht würde er so einen besseren Blick auf den Sternenhimmel erhalten. Der weiche, feine Sand rutschte immer wieder unter seinen Füßen fort, sodass Balian wieder und wieder ein Stück des Weges hinab schilderte. Er war den Sand nicht gewohnt, doch schaffte er es schließlich hinauf auf den Dünenkamm. Sein Blick glitt über Meilen von Sand und Dünen. Wohin er sich auch wandte, er sah keine Felsen, keine Stadt, nichts. Die Stille war fast unheimlich in diesem Moment und gerade, als ihn die Hoffnungslosigkeit erfassen wollte bei dem Anblick dieser Ödnis und dem Wissen, dass er lediglich einen Wasserschlauch bei sich hatte, erfasste sein Blick eine Sternkonstellation, die er auf der Karte suchte. Wenn er sich nicht irrte, musste er östlich von Al’Hamu sein. Er ahnte, dass zumindest die Treibsandfelder oder der Salzsee zwischen ihm und seinem Ziel lagen, wenn nicht sogar beide. Man hatte ihm gesagt, dass diese Götterprüfung nicht selten den Tod mit sich brachte und oft jene, die sie begannen, nicht mehr gefunden wurden, begraben unter Sand, versunken im Salz, vergessen von der Zeit. Sicher könnte er versuchen zu fliehen, doch wohin? Folgte er dem Bestreben, die Stadt von Haus Hashim erneut zu finden, bestand zumindest die Möglichkeit, etwas im Rang zu steigen. Sicher war er dann noch immer ein Sklave, doch er war dann mehr wert als ein Teppich. Immerhin hatten ihn die Götter dieses Landes dann für würdig erachtet, hier zu leben, wenn er das Ganze mit der Prüfung richtig verstanden hatte. Seufzend rollte Balian die Karte ein und verwahrte sie sicher in seinem Stiefel. Den Dolch in den anderen Schaft schiebend und das Lederband am Schaft enger ziehend, nahm der junge Mann erneut die Matte und Decke, sowie seinen Stock und machte sich auf den Weg. Er musste das Sternbild immer zu seiner Linken haben, wollte er die Richtung nicht verlieren. Doch auch wenn er eine Möglichkeit gefunden hatte, die Richtung zu bestimmen, lag es an der Wüste, ob er die Stadt am Berg wieder sehen würde. Während er durch den Sand wanderte, krochen kleine Skorpione neben ihm her, sich im Sand vergrabend oder mit den Scheren klappernd, sich gegenseitig bekämpfend. Schlangen zogen ihre Spuren durch den Sand und Echsen hasteten über den losen Sand, ehe sie sich darin eingruben. Die Wüste lebte, auch wenn man es kaum glauben mochte. In dieser so feindlichen Umgebung, hatten sich Tiere darauf spezialisiert, hier zu überdauern. Faszinierend, befremdlich und vielleicht auch etwas hoffnungsfördernd. Sich das längere Tuch vor das Gesicht legend, es in den Ringen des Turbans befestigend, beobachtete Balian das Treiben um sich herum, welches los gelöst von allem zu sein schien. Hier und da begleiteten ihn kleine, schwarze Skorpione, als wollten sie ihn beobachten und allein der Gedanke schien ihm so abwegig, dass er über sich selbst lächelte. Die Nacht ging in den Tag über und je heller es wurde, je höher die Sonne stieg, desto drückender wurde die Hitze. Gleißend brannte sie auf den Wanderer hinab, der mit dem Durst kämpfte. Den Schlauch nehmend, trank er einen Schluck, doch wollte er nicht riskieren zu viel zu verschwenden. Das Flimmern im Wüstensand wirkte fast hypnotisierend und in der Ferne glaubte er einen Fluss, einen See zu sehen. Eilig hastete Balian darauf zu, hoffend, den Durst wirklich stillen zu können, doch kurz bevor er ihn erreichte, fühlte er, wie sein Stock wegsackte. Stehen bleibend, blickte er hinab und zog den Stock heraus. Der Sand füllte das Loch rasch auf und langsam zog sich der junge Mann zurück. War das bereits Treibsand? Erneut hob er den Blick, jenen Fluss suchend, den er gesehen hatte, doch erhoben sich nur weitere Dünen vor ihm. Eine Sinnestäuschung. Wie hatte man es genannt? Fata Morgana? Ja, irgendwo hatte er diesen Begriff einmal aufgefangen und im nächsten Moment fragte er sich, ob er noch in die richtige Richtung ging. War er noch auf dem Weg, den ihm die Sterne nachts gezeigt hatten? Sich über die trockenen Lippen leckend, wandte sich Balian um, eine weitere Düne besteigend. Es erschien ihm sicherer als die Sandtäler. Vielleicht war es töricht, sich auf die Matte zu legen und die Decke schützend über sich zu ziehen, doch ging er jetzt weiter, würde er sich verirren, dessen war sich der Prinz sicher. Viel mehr war es gerade auch die Erschöpfung, der Hunger, die ihn überkamen. Wo sollte er sonst Schutz suchen, wenn doch nur Sand zu sehen war, soweit das Auge reichte? Sich unter der Decke zusammenrollend, schickte Balian ein kurzes Gebet an Mahair, einen Hohen seines Landes, unter dessen Sternen er geboren wurde und welcher einst in der Hitze eines unbarmherzigen Landes sein Leben für das seiner Männer gegeben hatte. Hoffend, dass jener ihn schützte und führte an diesem fremden Ort, schloss der Dunkelhaarige seine Augen und gab sich der Erschöpfung hin, die ihn mit einem Mal überkam. Wirr waren seine Träume, gezeichnet von Trugbildern, Fratzen und Leid. Ein Taumel aus Lachen und Freude, aus Blut und Schreien, der ihn gefangen hielt, in seinen Ohren wiederhallte. Erholsam, sollte keiner seiner Schlafe sein. Fast wirkte es, als wenn sie nur noch mehr Kraft von ihm zogen und doch musste er sich niederlegen, ruhen, Kraft sammeln für die weiteren Meilen, die vor ihm lagen. Die zwei weitere Tage und Nächte zogen dahin, ohne dass Balian seinem Ziel näherzukommen schien. Lediglich die Sternbilder am Himmel wiesen ihm den Weg in dieser Ödnis. Wie man dieses Land lieben konnte, verstand er nicht, verteufelte er es doch mehr, als das er es als schön bezeichnen konnte. Längst war kaum noch Wasser übrig, welches er trinken konnte und seinen Magen hatte er mit erlegten Schlangen gefüllt, die er ausnahm und in der Hitze des Tages trocknen ließ. Auch wenn sein Hunger groß war, konnte er sich nicht überwinden, diese Tiere roh zu essen. Es ekelte ihn an. Allein der Gedanke, was für Krankheiten in diesem Fleisch lebten! Würmer, Insekten, die ihre Larven dort hinein legten! Bah, und das musste er nun essen? Zu allem Überfluss überkam ihn bald eine Übelkeit, die er sich kaum erklären konnte. Schwindel durchzog seinen Kopf, während er sich nach vorn kämpfte, jeder Schritt eine Überwindung. Die aufgesprungenen Lippen brannten und sein Hals fühlte sich so trocken an, als würde er aus purem Sand bestehen. Salz kristallisierte an den Rändern seiner Tunika, ein Anzeichen dafür, dass er sämtliche Mineralien aus seinem Körper verlor. Immer wieder sackte die Gestalt des jungen Mannes zusammen, welcher kaum noch die geröteten, geschwollenen Augen offenhalten konnte. Eine weitere Düne hinter sich bringend, erstreckte sich schließlich ein gewaltiges, weißes Meer vor ihm. Der Boden am Rand war aufgesprungen, wirkte wie Schollen aus Eis, mitten in der sandigen Wüste. Den Kopf hebend, glaubte Balian am anderen Ende eine Erhebung zu sehen. Auf die Knie sinkend, mit einer Hand sich am Stock festhaltend, entrollte er die Karte. Das Salzmeer, wenn er diese Zeichen richtig las. Milhbahr. Und dahinter, vielleicht noch drei Meilen entfernt, Al’Hamu. Der Schatten, den er gesehen hatte, dies war also wirklich sein Ziel. Den Kopf anhebend, schluckend und für einen Augenblick glaubend, nicht erneut die Kraft zu finden, aufzustehen, zwang sich Balian doch auf die Beine. Er wollte hier nicht sterben. Nicht jetzt! Sich auf kämpfend, auf den Stock stützend, schlidderte, rutschte und fiel der ehemalige Prinz die Düne hinab zu jenem Salzmeer. Verdorrte, von der Sonne ausgeblichene Äste ragten auf. Knochen von Tieren erinnerten an das Verhängnis, das vor ihm lag. Dennoch, er musste dort entlang, ob er wollte oder nicht. Ging er außen herum, würde er endlose Zeit verlieren und dies wäre sein Untergang. Ohne Wasser, ohne Nahrung und mit den Krämpfen, die er spürte, würde er nicht mehr allzu lange durchhalten können. Mit dem Stock nach vorn tastend, stetig nach festem Untergrund suchend, setzte er den ersten Schritt auf die Salzkruste. Immer wieder brach er durch sein Gewicht bis zu den Knien ein. Der Stoff an den Beinen und seinem Leib riss durch die scharfen Kristallformen auf. Sie verletzten seine Haut, beim Einbruch und wenn er sich erneut hinauf zog. Doch stets hatte er den Blick nach vorn gerichtet, egal wie sehr das Salz brannte. Der Stoff seiner Kleidung war bald getränkt vom salzigen Schlamm und wog schwer, wenn das Wasser verdunstete in der glühenden Hitze des Tages und nur noch Kruste zurückließ. Hier zu schlafen, war tödlich und in der Nacht war jener Ort ebenso wenig zu begehen, wie jetzt! Es grenzte an Wahnsinn, was Balian gerade versuchte, doch der Überlebenswille trieb ihn voran. Den letzten Schluck Wasser zu sich nehmend, die salzigen Lippen benetzend, mehr wankend als gehend, schleppte er sich voran. Die Luft flimmerte erneut um ihn herum und er glaubte gänzlich den Verstand zu verlieren. Schemen bewegten sich, lockten ihn, den bereits jetzt unsicheren Weg zu verlassen, mit ihnen zu kommen. Es schien, als wenn knapp neben ihm ein Wasserloch wäre und auch wenn der Drang groß war, sich dorthin zu bewegen, rief er sich erneut zur Raison. Wie er es am Ende schaffte und wie lange es dauerte, wusste Balian nicht. Halb im Delirium wandelnd, erreichten seine Füße in tiefer Nacht den sandigen Boden am anderen Ende des Salzmeeres. Schwer zogen die Stoffe an seinem entkräfteten Leib. Die Augen waren geschwollen, rot vom Salz und der Hitze, der Sonne und seine Lippen glichen den aufgesprungenen Schollenrändern des Milhbahr. In greifbarer Nähe erblickte er Al’Hamu. Die Stadt ragte mitten in der weiten Sandwüste auf und dahinter erkannte man die spitzen Felsen und schroffen Schluchten. Sein Blick verschwamm und auch wenn er die Stadt kaum noch erkennen konnte, hielt er sich mit all seiner verbleibenden Kraft am Stab fest. Balian vermochte kaum noch die Füße zu heben und doch zwang er sich dazu. Hinter ihm verwehte der Wind die Spuren, als wäre er niemals da gewesen. Die Sterne erhoben sich über ihm. Sie blickten anteilnahmslos auf ihn herab und schienen nicht einmal zu bemerken, dass er hier war. Gedanklich lenkte er sich mit Gebeten und Geschichten, die er aus Zar’Quantia kannte, ab. Er dachte erneut an die Legende von Mahair, der in glühender Hitze geboren wurde und als junger Mann in den Schenken feierte, als gäbe es kein morgen, der jedoch auf dem Schlachtfeld gefürchtet war wie kein zweiter und der für seine Krieger das Leben aufgab. Er dachte an Morina, die Hohe der Toten, die auf ihrem Weg des Ausbruches aus dem Korsett der Gesellschaft die Blutmagie erlernte. Sie brachte Schrecken und Grauen über die Lande und doch löste sie sich von ihrem Meister. In Einsamkeit und Stille des Waldes baute sie einen Ort der Ruhe und des Abschiedes auf, an dem sie den Trauernden Ruhe und den rastlosen Seelen ein Zuhause gewährte. Seine Sinne wanderten weiter zu Lehir, dem Hohen des Wissens. Jener hatte sich beim aussichtlosen Versuch, das Wissen, was er gesammelt hatte, zu beschützen, über die Schriftrollen und Bücher geworfen und wurde im Augenblick seines Todes von der Ersten, von der Mutter allen Seins zu sich gerufen. Tonlos bewegte Balian seine Lippen, gedanklich Lieder aus seiner Heimat singend. Er dachte an die Überfahrt zurück, als er in den Freihandelshäfen in den Schänken sang und auf den Tischen tanzte. Er spielte Karten und ließ keine schöne Maid aus, wenn sie ihm zusagte und willig war. Schöne Frauen gab es überall und er wusste um sein Aussehen. Seine Gedanken verschwammen und glitten schließlich zu den exotischen Klängen der Tavernen, als er im Rauch der Wasserpfeifen saß und sich jene Tänzerinnen ansah, die ihn mit ihren durchsichtigen Kleidern und Schleiern in den Bann gezogen hatten. Er hatte sich treiben lassen von den Trommeln und Flöten, von den Saiteninstrumenten, die er nicht benennen konnte und doch hatte er keine der Tänzerinnen haben können, waren sie doch Tabu. Auf den reichen Teppichen sitzend, hatte er mit den Händlern gelacht und erst jetzt fiel ihm auf, welche Schönheit er am Tage übersehen hatte, welchen Reichtum an Vielfalt, wenn er durch die Gassen und Straßen, über die Basare gewandelt war. Die reichen Seidentücher, die zwischen den Häusern gespannt waren und vor der Sonne schützten, fielen ihm jetzt, in der Wüstennacht erst auf, hatte er sie doch vor fast einem Jahr nicht bemerkt. Die Schätze an Gewürzen und Handwerk, der feine Schmuck und die meisterlich gefertigten Borten…. Wie konnte er sie übersehen? Endgültig zusammenbrechend, sank die ausgetrocknete Gestalt in den feinen, im Mondlicht weißen schimmernden Wüstensand. Er war kühl, angenehm auf der erhitzten Haut und ein Lächeln trat auf seine Züge. Den Kopf etwas drehend, erblickte er vor sich jenen Berg, auf dem Al’Hamu über dem Land thronte. Er war so nah, dass er sich sicher war, ihn berühren zu können. Den Stock, welcher ihn so lange gestützt hatte, los lassend, hob der Großfürstensohn seine Hand und strich mit den Fingerkuppen über den schwarzen Felsen vor sich. Ein Lächeln trat auf seine Züge, ehe sein Kopf hinab sank und die Hand, die eben den Stein berührt hatte, auf den sandigen Untergrund fiel. Auch wenn er es gewollt hätte, so konnte er keinen Schritt mehr gehen, sich nicht einmal mehr aufrichten in diesem Moment. Doch auch wenn er nun zu den Ahnen gehen würde, würde er mit dem Wissen gehen, dass er es geschafft hatte. ~~~ Der schrille Schrei eines Greifvogels holte das Bewusstsein langsam zurück und schwerfällig öffneten sich die trägen Augenlider. Die Sonne fiel durch einen Spalt halb über ihm, wobei der Spalt wohl eher ein Lichtschacht war. Der Schrei des Greifvogels erklang erneut, so bekannt? Den dröhnenden Kopf drehend, die den Dienst versagenden Glieder versuchend zu bewegen, sah er blinzelnd auf. Im Gegenlicht der Fackeln stand erneut eine verhüllte Gestalt. Ob es dieselbe wie jene war, die ihn vor einigen Tagen zur Prüfung gebracht hatte, vermochte Balian nicht zu sagen. Auf dem Arm des Mannes saß ein Greifvogel, womöglich ein Falke oder Bussard, welcher sich nun von ihm löste und neben den geschwächten noch immer halb toten Mann auf dem Boden landete. „Sobald du wieder stehen kannst, wird deine Ausbildung beginnen.“ Die Augen schließend, fühlte er wieder das Brennen in ihnen, sodass er die Lider ein weiteres Mal anhob, den Kopf etwas seitlich kippte um die Gestalt besser sehen zu können. „Doch glaube bloß nicht, dass du jetzt mehr sein wirst als ein Abd.“ Er hörte deutlich die Ablehnung in der Stimme, konnte fast das Spucken fühlen, so wie der andere das letzte Wort ausgesprochen hatte, ehe er sich abwandte um dem Adin mitzuteilen, dass der Fremdländer erwacht war. Neben ihm hüpfte ein kleiner Schatten näher und als er etwas mehr ins Licht des Schachts trat, erhellte ein Lächeln der Lippen und die Augen des Prinzen. „Zican…“ Trotz der Trennung hatte jener auf ihn gewartet oder ihn womöglich gefunden? Doch wie so vieles, war auch dies gerade irrelevant. Egal ob es die hiesigen Götter oder die Hohen waren, die ihn beschützt hatten. Er hatte die Wüste überlebt. Er hatte die Prüfung der Wüste bestanden und somit einen winzigen Teil seiner Freiheit zurückerlangt. Doch diese Freude war getrübt von dem Wissen, dass sein ‚neues‘ Leben jetzt endgültig in andere Bahnen gelenkt werden würde. Wohin ihn der Wind, das Schicksal oder wie man es auch immer nennen wollte, führen würde, lag nicht länger in seinen Händen. Nur eines war sicher. Er würde nie wieder der Mann sein, der einst zum ersten Mal den Fuß in dieses Land gesetzt hatte, der sich als Prinz alles und jeden gefügig gemacht und der voller Hochmut geglaubt hatte, die Welt würde allein auf ihn warten. Den Blick hinauf zu jenem Lichtschacht wandern lassend, beobachtete er das Licht, das durch jenen fiel. Es kündigte einem neuen Tag an und ließ seine Lippen sich zu einen Lächeln verziehen. Wie aus nicht greifbarer Ferne, vernahm er sanfte, leise Worte in seinen Gedanken. Worte, die in der hiesigen Sprache gesprochen wurden. Auch wenn er nicht wusste, woher sie kamen, ob jemand bei ihm war, den er nicht sah, so wusste er, dass jene Worte sein Leben hier in der Wüste durchziehen würden. Sie waren wie ein Codex, dessen Inhalt dem entsprach, was man in diesem Moment am meisten ersehnte. Und als Balians Bewusstsein erneut schwand, war es jener Ausspruch, der sich in seinem Herzen einnistete, in seinem Verstand, der seine Lippen in der Sprache der Ishtary verließ: „Lebe stolz wie ein Baum. Sterbe frei wie ein Vogel.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)