Nobody Knows She von Mephistokles ================================================================================ Kapitel 2: Erinnern ------------------- Kapitel 2 - Erinnern „Oh man.“ Omi seufzte und setzte sich probehalber auf das wacklige Campingbett. Dieses knarzte verräterisch, hielt aber stand. „Tut mir Leid. Ich hätte nicht gedacht, dass es so hinüber ist.“, entschuldigte er sich bei Rin, welche auf seinem Bett saß. „Ich denke, wenn ich mich nicht so viel bewege, wird es gehen.“ Rin lächelte und stand auf. „Danke, dass du es mir aufgebaut hast.“ Das Mädchen schaute sich in Omis Zimmer um. Er war ganz offensichtlich noch Schüler und nicht ganz so ordentlich wie Aya. „Ist es wirklich in Ordnung für dich, wenn ich hier schlafe?“ „Sicher.“ Er lächelte und stand vorsichtig auf. Wieder knarrte das Campingbett. „Die Zimmer von Ken und Yohji sind zwar größer, doch Ken ist ein Chaot und Yohji ein Womanizer.“ „Und Aya-kun?“, fragte Rin vorsichtig. „Er ist nicht so der gesellige Typ. Ich glaube er hat es lieber, wenn er seine Ruhe hat.“ „Ach so.“ Rin senkte den Kopf. „So hab ich das nicht gemeint, sorry!“, versuchte sich Omi zu entschuldigen, als er den traurigen Blick von Rin sah. „Es ist nur, er ist die Sorte Mensch, die eine Möglichkeit braucht allein zu sein und nachzudenken, verstehst du?“ „Ich verstehe schon, mach dir keine Sorgen.“ „Aber weißt du was? Da dieses Campingbett alles andere als tauglich ist, werde ich Aya jetzt endlich eine neue Couch aus den Rippen leiern können. Meine ist vor einer Weile kaputt gegangen.“ Der blonde Junge strahlte über das ganze Gesicht. Rin musste Lachen. „Schön, dass ich dir helfen konnte.“, grinste sie, zuckte dann aber leicht zusammen, da der blaue Fleck auf ihrer Wange, doch noch leicht weh tat. Omi lächelte, doch plötzlich schien er sich an etwas zu erinnern und seine Augen weiteten sich erschrocken. „Oh verdammt! Ich bin heute mit Kochen dran und es ist schon gleich halb acht!“ Er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Soll ich dir helfen?“, fragte das Mädchen. „Gerne. Kannst du kochen?“ „Hm. Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Aber es kann nicht schaden es zu versuchen, oder?“ „Ganz sicher nicht.“, lächelte Omi. „Komm mit.“ Das Meer rauschte und die Schreie der Möwen, die über sie hinweg flogen mischten sich darunter. Sie hielt eine Stoffpuppe im Arm und drückte diese fest an sich. Es war Abend und die Sonne sank langsam hinter den Horizont. Der Wind frischte auf und es wurde kühler. Sie weinte. Jemand rief ihren Namen. Sie drehte sich um und sah einen Jungen auf sich zu laufen. „Was machst du denn hier, es ist schon spät.“ Sie schniefte und hielt dem Jungen die Puppe in ihren kleinen Händen entgegen. Ein Arm fehlte und das Kleidchen hatte einen Riss. „Ich bin hingefallen.“ Schluchzer schüttelten ihren kleinen Körper. „Sie ist kaputt gegangen. Mama und Papa werden böse sein.“ Der Junge umarmte sie und nahm ihr die Puppe ab. „Ach was. Ich mach sie wieder gesund, noch bevor Mama und Papa wieder da sind.“ Sein Gesicht lag im Schatten, doch sie wusste das er lächelte. Das Zimmer war dunkel und sie lag auf dem kalten, harten Holzboden. Sie versuchte auf zu schauen. Unter der Tür konnte sie einen Lichtschein erkennen. Geschirr klirrte. Ein Stuhl schabte über den Boden und fiel um. Der Schrei einer Frau ertönte. Ein Mann fluchte. Was schrien sie? Monster? Dämon? Sie bekam Angst. Warum waren Monster bei ihr zu Hause? Waren sie daran schuld, dass ihr Rücken so sehr weh tat? Warum konnte sie sich nicht bewegen? Sie schluchzte und fror. Dann wurde es still. Schritte vor der Tür. Jemand öffnete sie; ein Junge. Vorsichtig kniete er sich neben sie und nahm sie in den Arm. Er weinte; genau wie sie. Schluchzend klammerten sie sich an einander. „Es wird alles wieder gut.“, flüsterte er unter Tränen. „Sie sind weg.“ „Mein Rücken … er tut so weh…“, wimmerte sie leise. Der ganze Raum war weiß. Viele Geräte standen um sie herum. Alle piepten und surrten. Schläuche und Kabel ragten aus ihnen heraus. Sie wollte aufstehen, konnte sich aber nicht bewegen. Man hatte ihre Arme und Beine gefesselt. Ihr Kopf tat weh. Sie versuchte an sich herab zu schauen, konnte den Kopf aber nicht heben. Die Angst wuchs. Sie zitterte. Eine Gestalt kam an ihr Bett. Ein Arzt? Er trug einen Kittel und eine Maske. In der Hand hielt er eine Spritze. Sie wimmerte, wollte weg. „Nicht…“, schluchzte sie. „Hilf mir, großer Bruder…!“ Es war dunkel, doch sie musste nicht sehen können um zu wissen wo sie war. Geräuschlos ging sie vorwärts zu der Tür und öffnete diese. Dort hinter befand sich ein Gang, an dessen Ende sie einen schwachen Lichtschein erkennen konnte. Schnell lief sie weiter und horchte an der Tür. Sie konnte Stimmen vernehmen. Vier verschiedene. Das würde einfach werden. Die Männer in diesem Raum waren allein, dass wusste sie. Sie fühlten sich sicher; doch das war ein Irrtum. Mit einer blitzschnellen Bewegung öffnete sie die Tür und nur einen Augenblick später, fiel der erste Mann tot zu Boden. Noch ehe die anderen wussten, was ihnen geschah, starben auch sie. Das war wirklich sehr einfach gewesen! Sie schaute sich um. Die toten Männer blickten sie aus stumpfen Augen an. SIE hatte sie umgebracht! „Rin! RIN!!“ Jemand rief ihren Namen. Sie schreckte hoch und sah sich panisch um. Omi stand neben ihrem Bett und schaute sie besorgt an. „Du hast im Traum geschluchzt. Hattest du einen Albtraum?“ Rin nickte. „Es geht schon wieder.“ Sie fuhr sich über die Augen. Diese brannten leicht und ihre Wangen waren feucht von den Tränen. „Soll ich dir ein Glas Wasser holen?“ Omi sah wirklich besorgt aus. Rin schüttelte den Kopf und versuchte zu Lächeln. „Wie spät ist es?“, fragte sie stattdessen. „Gleich halb fünf.“ „Du solltest noch etwas schlafen. Du hast doch nachher Schule.“ „Und was ist mit dir?“ „Mir geht es gut. Es war nur ein Traum.“ Tatsächlich brachte sie ein Lächeln zustande. „Wenn du meinst.“ Omi ging zurück zu der Campingliege und legte sich wieder hin. Er hatte darauf bestanden, dass Rin in seinem Bett schlief und nicht auf diesem wackligen Gestell. „Denk nicht mehr daran, in Ordnung?“ Der Junge klang wirklich besorgt. „Keine Sorge.“ Sie drehte sich um, doch schlafen konnte sie nicht mehr. Als es hell wurde klopfte Aya an die Zimmertür und öffnete sie. „Omi, aufstehen.“, meinte er nur und verließ den Raum wieder. Rin schlug die Decke zurück und stand ebenfalls auf. Auch Omi war wach und schaute sie verschlafen an. „Konntest du noch etwas schlafen?“, fragte er und gähnte gleich darauf. „Etwas.“, log das Mädchen und nahm sich ihre Sachen um ins Bad zu gehen. Aus dem Spiegel schaute ihr ein Geist entgegen. Ihre Augen waren noch immer gerötet und lagen tief in den Höhlen. Sie seufzte und drehte das Wasser auf. Nach ein paar Spritzern des eiskalten Nass sah sie wenigstens nicht mehr ganz so untot aus. Sie zog sich an und band ihren Zopf. Danach verließ sie das Bad und ging nach unten. Omi kam gerade aus seinem Zimmer geschlichen. Er sah wirklich noch sehr verschlafen aus. Aya stand in der Küche und briet ein paar Spiegeleier. „Guten Morgen.“ Unschlüssig blieb sie am Tisch stehen. Der Angesprochene schaute über die Schulter und nickte leicht. „Morgen“, sagte er mit einem kurzen Lächeln und widmete sich wieder seiner Arbeit. Die Stille war ihr unangenehm. „Also, ähm, kann ich dir bei irgendwas helfen?“ Aya schüttelte leicht den Kopf. „Nicht nötig.“ Rin setzte sich auf einen Stuhl und wusste nicht so recht, was sie nun tun sollte. Die ganze Situation war irgendwie unangenehm. Aber was hatte Omi gestern zu ihr gesagt? Aya war ein Mensch, der seine Ruhe brauchte. Nach einer Weile kam auch Omi in seiner Schuluniform in die Küche geschlurft. Noch immer sah er sehr müde aus. „Morgen Aya-kun.“, gähnte er und ließ sich auf seinen Platz fallen. Aya ging zum Kühlschrank und nahm eine Packung Milch heraus. Ohne ein Wort goss er zwei Gläser ein und stellte sie vor Omi und Rin. „Das kommt davon, wenn ihr so spät ins Bett geht.“, tadelte er sie. „Aber es war gar nicht so spät.“, verteidigte sich Omi. „Mein Zimmer ist direkt neben deinem. Als du aufgehört hast zu reden war es fast zwei Uhr.“ „Oh.“, meinte Omi nur kleinlaut. „Du hast uns gehört?“ „Tut mir Leid. Haben wir dich wach gehalten?“ Rin schaute betreten zu Aya. „Dir mache ich keinen Vorwurf.“ meinte er. „Omi weiß selbst was für eine Schlafmütze er ist. Er hätte sich ruhig etwas zusammenreißen können.“ „Aber es war nicht seine Schuld. Ich habe ihn ausgefragt.“, versuchte Rin den Jungen zu verteidigen. „Er ist 16 und damit alt genug sich für seine Taten zu verantworten.“ Omi seufzte. „Es tut mir Leid, Aya-kun. Es wird bestimmt nicht wieder vorkommen.“ Rin verstand nicht so ganz, warum Aya so streng gegenüber Omi war, fragte aber nicht weiter nach. Wahrscheinlich machte der Ältere sich nur Sorgen. Oder war da etwa mehr? Das Haus war still. Omi hatte sich vor einer geraumen Weile schon auf den Weg zur Schule gemacht und Aya stand im Laden. Die vier Jungs führten einen kleinen Blumenladen, der sich im Erdgeschoss des Hauses befand. Rin hatte sich mit Ayas Erlaubnis eines seiner Bücher ausgeliehen und saß nun im Wohnzimmer auf dem Sessel und las. Ein geschichtlicher Roman über den Bau von Stonehenge. Rin war erstaunt, dass Aya so etwas las, er machte nicht den Eindruck, dass er sich für Geschichte interessierte. Andererseits, welchen Eindruck machte er dann? Er wirkte sehr verschlossen und in sich gekehrt. Es hätte sie mit Sicherheit schockiert, wenn sie Liebesschmonzetten oder Fantasybücher in seinem Regal gefunden hätte. Das passte irgendwie gar nicht zu ihm. Krimis oder Thriller dagegen wären nicht weiter verwunderlich gewesen. Sie schätzte Aya eher in diese Richtung ein. Rin seufzte. Sie schaffte es nicht sich zu konzentrieren. Wie oft hatte sie den Satz jetzt gelesen? Verdammt, so wurde das nichts. Sie legte das Buch bei Seite. Wenn sie schon so viel nachdachte, warum versuchte sie dann nicht sich zu erinnern? Sie kniff die Augen zusammen und versuchte die mentale Mauer in ihrem Kopf ein weiteres Mal zu überwinden. Da war es wieder. Dieses irrsinnig penetrante Pfeifen, das ihr die Sinne raubte. Sie hielt sich den schmerzenden Kopf. Schnell an etwas anderes denken, nur an was? Ein Bild aus ihrem Traum kam ihr in den Sinn. Die Möwen, das Meer, der Sonnenuntergang. Sie versuchte sich mit aller Kraft an die Geräusche zu erinnern. Das Kreischen der Möwen und das Rauschen der Wellen, wenn sie sich an den Klippen unterhalb brachen. „…n Rin!“ Jemand rief ihren Namen und berührte sie an der Schulter. Sie blickte auf. Schweiß perlte an ihrer Schläfe herab. Yohji hockte neben ihr und schaute sie besorgt an. „Rin was ist passiert?“ Sie schüttelte den Kopf. Ein Nachhall des Pfeifens war noch immer zu hören. „Es geht schon.“, flüsterte sie und versuchte schwankend auf zu stehen. Sofort hielt Yohji sie fest und rückte sie sanft, aber bestimmt zurück in die Kissen. „Ich hol dir ein Glas Wasser.“, meinte er und ging schnell in die Küche. Rin lehnte sich zurück und atmete tief durch. Warum passierte das jedes Mal, wenn sie versuchte sich zu erinnern? Es war gerade so als wollte ihr Unterbewusstsein das nicht zulassen. Doch warum? Was war in der Vergangenheit passiert, dass ihr Unterbewusstsein einen derartigen Schutzmechanismus errichtet hatte? Schutz… Sie wollte sich schützen. Doch wovor? Rin seufzte. Sie drehte sich im Kreis. Yohji kam mit einem Glas Wasser und einer kleinen Dose wieder. Er reichte ihr das Wasser und hockte sich vor sie. „Geht es? Hast du Kopfschmerzen? Ist dir Schwindlig? Brauchst du eine Tablette?“ Das Mädchen lächelte leicht. „Es geht schon wieder, danke.“ Sie nahm das Wasser und trank einen großen Schluck. Die Kühle tat ihr wirklich gut. „Was ist passiert?“ Yohji hatte sich neben sie auf das Sofa gesetzt und schaute sie fragend an. „Es sah fast so aus, als hättest du einen Anfall. Du hast gezittert und bist ganz blass geworden.“ „Ich habe versucht mich an das zu erinnern, was passierte, bevor ich in diesem weißen Raum aufgewacht bin. Doch es klappt nicht. Ich bekomme Kopfschmerzen und höre ein lautes, schrilles Pfeifen in meinem Kopf, wie bei einem Tinnitus.“ „Eine Abwehrreaktion.“ Yohji verschränkte die Arme vor der Brust. Rin nickte. „Möglich, aber warum?“ „Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ich fürchte, dass wir es nicht herausfinden, solange du dich nicht erinnern kannst.“ sinnierte der junge Mann. „Schlange.“, meinte Rin und lächelte gequält. „Wie bitte?“ Yohji sah sie fragend an. „Es heißt, da beißt sich die Schlange in den Schwanz, oder nicht?“ „Achso.“ Yohji lachte. „Aber ich mag keine Schlangen, also bleib ich bei Katze.“ Nun musste auch Rin Lachen. Am Nachmittag hielt ein Möbeltransporter vor dem Blumenladen, was nicht wenige fragende Blicke, sowohl von Seiten der Kunden, als auch von Yohji und Ken aufwarfen. Nur Aya schien das Ganze nicht im geringsten seltsam zu erscheinen. Er ging zum Wagen, wechselte ein paar Worte mit dem Fahrer und lotste diesen in die kleine Seitenstraße zum Privateingang des Hauses. Rin stand in der Küche und kochte sich einen Tee, als die Eingangstür aufging und die Möbelpacker von Aya ins Wohnzimmer gebracht wurden. „Die Couch kommt raus und dafür die Große hier hinein. Die Kleine kommt in eines der Zimmer im ersten Stock, ich zeige ihnen später welches genau.“ Irritiert stand Rin in der Küchentür und beobachtete das Szenario. Aya hatte neue Möbel gekauft? „Rin.“ Der junge Mann kam auf sie zu, nachdem er die Möbelpacker instruiert hatte. „Geh in Omis Zimmer und räum´ die Liege weg. Wir brauchen gleich den Platz.“ Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „Du hast Omi-kun ein neues Sofa gekauft?“ Aya zuckte mit den Schultern. „Jetzt da du dort schläfst war es notwendig.“ „Trotzdem ist das eine wirklich liebe Geste.“ Rin nahm ihre Tasse und ging nach oben in Omis Zimmer. Schnell klappte sie die Campingliege zusammen und räumte noch ein wenig auf, bevor die Möbelpacker kamen und das neue Zweisitzersofa für Omi brachten. Es war modern, in einem nicht allzu dunklen Grau gehalten und konnte mit wenigen Handgriffen in eine Schlafcouch verwandelt werden. Passend dazu gab es noch einige Kissen in grau und Blau. „Nehmen sie diese Liege bitte auch gleich mit runter.“, instruierte Aya die beiden Männer. Einer der Beiden nickte, nahm die Liege und ging. Der andere hielt Aya einen Umschlag mit der Rechnung entgegen. „Zahlbar innerhalb von 14 Tagen. Reklamation ebenfalls 14 Tage, Gewährleistung 2 Jahre.“ Aya nahm dem Mann den Umschlag ab. Dieser blickte zu Rin, verabschiedete sich mit einem Nicken und wurde von Aya zur Tür begleitet. Auch Rin ging wieder nach unten. „Das ist ja phänomenal!“, hörte sie Yohji aus dem Wohnzimmer, welcher es sich schon auf dem neuen, großen Ecksofa bequem gemacht hatte. „Wurde auch wirklich Zeit, dass wir ein neues Sofa bekommen. Das ist ja fast noch bequemer als mein Bett.“, grinste er und lungerte sich in die Ecke, beide Arme auf der breiten Rückenlehne liegend. „Zurück in den Laden. Wir haben noch fast 3 Stunden geöffnet.“ meinte Aya in ruhigem, wenn auch bestimmten Ton und ging ebenfalls zurück in den Verkaufsraum. „Du gönnst einem auch nicht die kleinste Pause.“, seufzte Yohji und folgte ihm. Rin hatte es sich wieder mit dem Buch auf dem Sofa bequem gemacht, als Omi nach Hause kam. „Bin wieder da!“, rief er fröhlich, als er zur Haustür hereinkam. Er zog seine Schuhe aus und kam ins Wohnzimmer. „Wow!“, machte er mit großen Augen, als er das neue Sofa sah. Rin legte das Buch beiseite und musste schmunzeln, als Omi sich auf die weiche Sitzfläche fallen ließ. „Wahnsinn. Das ist ja super bequem!“ „Aya hat es heute Nachmittag liefern lassen. So wie es aussah, wussten weder Yohji-kun noch Ken-kun etwas davon. Aber wenn dir das schon gefällt, solltest du wirklich einmal in dein Zimmer gehen.“, meinte Rin lächelnd. Omi strahlte auf einmal über das ganze Gesicht. „Ehrlich?“ Ohne eine Antwort ab zu warten sprang er wieder auf und lief die Treppe nach oben. In der Zwischenzeit kamen auch Aya, Yohji und Ken aus dem Laden. Der Freudenschrei des Jüngsten der Vier war nicht zu überhören. Er lief dir Treppe hinunter und umarmte den Rothaarigen voller Freude, was diesen allerdings sichtlich verlegen machte. „Vielen, vielen Dank, Aya-kun. Und du hast sogar das gekauft, was ich dir vor Ewigkeiten gezeigt hatte.“ Aya strich dem Jungen einmal über den Kopf und räusperte sich leicht. „Es wurde wirklich Zeit, dass du ein Neues bekommst.“, meine er nur und löste sich aus der Umarmung. Ken und Yohji schmunzelten und auch Rin lächelte, als sie die leichte Röte auf Ayas Gesicht bemerkte. Rin folgte Omi wieder nach oben in dessen Zimmer. „Ihr versteht euch wirklich gut untereinander.“, meinte sie nach einer Weile. Der Junge saß auf seinem neuen Sofa und machte Hausaufgaben., Rin saß auf dem Bett und umschlang eines der Sofakissen. „Manchmal ja, manchmal weniger.“, meinte er nur abwesend und versuchte sich weiter an der Übersetzung des Textes. „Ach verdammt. Das kann doch nichts werden!“, fluchte er. Frustriert lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Rin stand auf und schaute auf das Blatt. Ein Text, der aus dem japanischen ins Deutsche übersetzt werden sollte. Die Übersetzung allerdings beinhaltete nicht wenige Grammatikfehler und auch der Satzbau war an einigen Stellen falsch. „Darf ich?“ Rin deutete auf Omis Übersetzung. „Sicher.“, meinte dieser nur und beugte sich wieder vor. Interessiert schaute er zu, wie das Mädchen die Fehler in seinem Text korrigierte und den Satzbau richtig stellte. „Wow!“, staunte er, als Rin fertig war. „Du bist fantastisch! Jetzt ergibt das ganze Wirrwar wenigstens einen Sinn.“ Er schien eine Weile zu überlegen und holte einige Kopien aus der Tasche. „Lies das mal vor, bitte.“, meinte er und reichte Rin die Blätter. Diese begann zu lesen. „Der Sandmann“, las sie vor. „Von E.T.A. Hoffmann.“ Sie strahlte. „Ich erinnere mich an diese Geschichte!“ Sie setzte sich im Schneidersitz auf das Sofa und begann zu lesen. Omi hörte ihr aufmerksam zu. Zum einen, weil er die Geschichte sowieso zur nächsten Stunde hätte lesen müssen, zum anderen um auf die Aussprache des Mädchens zu achten. Sie sprach fließend und ohne Akzent. Vielleicht kam sie ja aus Deutschland? Allerdings sprach sie auch Japanisch ohne nennenswerten Akzent. War sie bilingual aufgewachsen? Als Rin geendet hatte schaute sie Omi fragend an. „Alles in Ordnung? Du siehst so nachdenklich aus.“ „Du sprichst wirklich gut japanisch und deutsch.“ Er reichte ihr den japanischen Text, den er übersetzen sollte. „Lies das mal bitte vor.“ Rin nahm das Blatt und starrte auf den Text. Sie glaubte zu wissen, was Omi vorhatte. Nach einigen Momenten gab sie auf. „Das kann ich nicht lesen.“, meinte sie resignierend und gab Omi das Blatt zurück. „Du sprichst fließend japanisch, kannst aber keine Kanji lesen? Das ist eigenartig.“ Der Junge stand auf und holte seinen Laptop. „Lass uns herausfinden, welche Sprachen du noch beherrscht.“ Rin nickte. Das war eine gute Möglichkeit um heraus zu finden, wo sie her kam. „Ich habe gesehen, dass du eines von Ayas englischen Büchern liest. Dass heißt, du verstehst die Sprache. Aber wie sieht es mit der wörtlichen Übersetzung aus?“ Omi nahm seinen Laptop und suchte einen englischen Text, den sie vor einer Weile in der Schule behandelt hatten. „Hier, übersetze den bitte.“ Eine ganze Weile saßen die Beiden in Omis Zimmer und durchforsteten das Netz nach Texten in verschiedenen Sprachen. Es klopfte und Yohji trat ohne abzuwarten in das Zimmer. „Kommt runter essen. Wir haben schon zwei mal nach euch gerufen.“, meinte er mürrisch. „Oh. Das haben wir nicht gehört. Tut uns Leid.“, entschuldigten sich die Beiden, was Yohji nur mit einem Murren quittierte. „Beeilt euch.“, murrte Yohji und ging wieder. „Das ist unglaublich!“, meinte Omi zwischen zwei Bissen. „Rin spricht japanisch, deutsch, englisch, und russisch fließend. Französisch und Italienisch zumindest so gut um sich zu verständigen und und einige Brocken Spanisch. Mit dem kyrillischen Alphabet hat sie keine Schwierigkeiten. Allerdings kann sie unsere Schriftzeichen nicht lesen und auch keine anderen Asiatischen Schriften.“ „Dass heißt also, wir können deine eventuelle Herkunft auf Deutschland, England, Amerika oder Russland beschränken.“, warf Yohji ein, worauf die anderen Anwesenden nickten. „Wobei.“, er musterte Rin eine Weile ausgiebig. „Ich glaube, wir können Russland auch ausschließen, du siehst nicht wie der Osteuropäische Typ aus.“ „Da spricht der Frauenkenner.“, seufzte Ken und schüttelte den Kopf. „Mag sein, dass sie nicht so aussieht, trotzdem werden wir das nicht völlig ausschließen.“ Aya stellte seine Schüssel beiseite und legte die Essstäbchen darauf. „Welches Englisch ist präsenter, das Britische oder das Amerikanische?“ „Beim Übersetzen gab es mit keinem der Beiden Probleme, jedoch von der Aussprache würde ich sagen, dass das britische Englisch präsenter ist.“, beantwortete Omi die Frage. „Heißt das, wir können Amerika auch ausschließen?“, fragte nun Ken. „Nicht mit Sicherheit.“, meinte Yohji. Plötzlich machte Omi große Augen und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Natürlich, warum ist mir das nicht schon früher aufgefallen!“ Rin blickte ihn neugierig an. „Was ist dir aufgefallen?“ „Na deine Sprachkenntnisse. Es passt alles zusammen.“ „Was passt zusammen, Chibi. Drück dich klarer aus.“, murrte Yohji. „Also, hört zu.“, begann Omi zu erklären. „Von allen Sprachen, die Rin spricht, spricht sie deutsch am Besten, was heißt wir können etwa zu 92% davon ausgehen, dass dies ihre Muttersprache ist. Weiter mit Englisch und Russisch. Sie spricht sowohl das amerikanische, als auch das britische Englisch. Zwar hat sie damit auch keine Probleme, jedoch würde ich die Wahrscheinlichkeit, dass eine der beiden Sprachen ihre Muttersprache ist auf etwa 65% festlegen. Russisch liegt bei knapp 75%. Wenn wir das alles in einen Topf werfen, kommt folgendes heraus. Sie ist in Deutschland aufgewachsen oder aber hat dort auf jeden Fall die meiste Zeit verbracht. Englisch und Russisch hat sie gelernt und in den jeweiligen Ländern verfeinert, Russisch sogar einen Tick mehr als Englisch. Wir können also davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich im östlichen Teil von Deutschland gelebt hat.“ „Und warum der östliche Teil?“, fragte nun Ken verwirrt. „Ganz einfach. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Deutschland unter den vier Siegermächten aufgeteilt. Amerika, Großbritannien, Frankreich und Russland. Während Großbritannien, Amerika und Frankreich bald zusammen arbeiteten, verfolgte Russland seine eigene Politik. Das Ganze ging soweit, dass das Land bis 1989 geteilt war in Ostdeutschland und Westdeutschland. Genau das gleiche Spiel wie bei Nord- und Süd Korea. Da Rin besser Russisch spricht, als Englisch oder französisch, legt das den Schluss nahe, dass sie aus dem östlichen Teil Deutschlands kommt.“, schloss Omi seine Ausführungen. „Ich bin beeindruckt, Chibi!“, staunte Yohji. „Wie sicher bist du dir bei dieser Theorie?“, fragte nun Aya. Omi überlegte eine Weile. „Ungefähr 90Prozent.“ „Das ist nicht wenig, trotzdem sollten wir uns nicht darauf festnageln. Rin,“, er schaute zu dem Mädchen. „Ist dir irgend etwas eingefallen, nachdem du das gehört hast?“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Leider nicht.“ „Versuche weiter dich zu erinnern, aber übertreib es nicht. Yohji hat uns gesagt, was passiert, wenn du das tust.“ Rin nickte. „Ich geb mir Mühe.“, versicherte sie. Es klingelte an der Tür. Aya stand auf und die Blicke der anderen jungen Männer ruhten auf ihm. Rin kam es so vor, als wäre die Temperatur im Raum gerade um einige Grad gefallen. Rin hörte das Klacken hoher Absätze auf den Fliesen im Flur und leise Worte wurden gewechselt. Nach einem kurzen Moment kam Aya zurück. „Rin, sei so gut und kümmere sich um den Abwasch.“, bat er das Mädchen und schaute danach zu seinen Kollegen. Diese nickten wortlos, standen auf und verließen die Küche. Rin wusste nicht, was sie davon halten sollte, tat aber worum Aya sie gebeten hatte. Nach einer Weile kam Aya zurück, seine Miene ernster als zuvor. „Wir müssen noch einmal weg. Es wird mit Sicherheit spät werden, warte also nicht auf uns.“ Rin nickte. Irgend etwas wollte sie den Vieren mit auf den Weg geben. Viel Spaß war mit Sicherheit unangebracht, so wie sie Ayas Blick deutete. „Ähm… Passt auf euch auf.“, sagte sie leise, als Aya sich schon wieder zum gehen wandte. Mitten in der Bewegung hielt er inne und schaute zu Rin zurück. Nach einem kurzen Moment zierte ein leichtes Lächeln seine Lippen. „Werden wir. Und bleib nicht zu lange auf.“ „Werd ich nicht.“, versprach Rin und die vier Männer verließen das Haus. Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatte, ging sie wieder nach oben in Omis Zimmer. Warum mussten alle vier um diese Uhrzeit plötzlich noch einmal weg? Bestimmt hatte das etwas mit dem Besuch zu tun, den sie nicht gesehen hatte. Bevor es an der Tür geklingelt hatte, sah keiner der Vier so aus, als müsste er noch einmal irgendwo hin. Rin seufzte und versuchte sich auf das Buch zu konzentrieren, schaffte es aber nicht. Sie schaute auf die Uhr. Gleich halb neun. Eigentlich noch viel zu früh um schlafen zu gehen. Sie schnappte sich ein paar der Sachen, die Omi ihr gegeben hatte und verschwand ins Badezimmer. Ein langes, erholsames Bad würde ihr jetzt sicherlich gut tun. Rin hörte Schritte auf dem Flur und die Tür öffnete sich. Sofort war sie hellwach und schreckte hoch. „Oh tut mir Leid, ich wollte dich nicht wecken.“, entschuldigte sich Omi. „Schlaf weiter.“ Er ging an seinen Schrank und nahm sich einige Sachen heraus. „Schön, dass ihr wieder da seid.“, flüsterte Rin schlaftrunken und legte sich wieder hin. Ein Blick auf die Anzeige des Weckers auf Omis Nachttisch verriet ihr, dass es kurz nach ein Uhr war. Die vier waren wirklich lange weg gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)