Monster von AtriaClara ================================================================================ Kapitel 1: Paranoia. -------------------- Seit Monaten schon habe ich das Gefühl, verfolgt zu werden. Dieses brennende Gefühl im Nacken, das man bekommt, wenn man von hinten angestarrt wird. Dieses dumpfe, flaue Gefühl im Magen, dass irgendetwas nicht stimmt. Eine schreckliche, nagende Angst, die dich nie wieder loslässt, wenn sie sich einmal in deinem Herzen eingenistet hat, und langsam immer größer wird. Nie habe ich meinen Verfolger wirklich gesehen, da waren immer nur Bruchstücke. Ein vorbeihuschender Schatten am Rande meines Blickfeldes. Das Gefühl von ledriger Haut, die für einen Sekundenbruchteil über meinen Arm strich und mir einen Schauer über den Rücken jagte. Der süßliche, metallische Geruch von Blut, der plötzlich in die Nase stieg. Ein warmer Atemhauch an meinem Ohr. Ein ekelerregendes Scharren wie Fingernägel auf einer Tafel, direkt hinter mir. Aber immer, wenn ich panisch herumfuhr, mit wild schlagendem Herzen und einem Schrei auf den Lippen, war da nichts. Nichts, was auch nur eins dieser Phänomene annähernd hätte erklären können. Ich begann ernsthaft, an meinem Verstand zu zweifeln. Ich dachte, ich werde verrückt, dachte, ich litte an Wahnvorstellungen. Bis ich begriff, dass es wollte, dass ich genau das dachte. Ich habe keine Ahnung, was es letztendlich dazu gebracht hat, sein Versteckspiel aufzugeben. In diesem Moment weiß ich nur, dass ich mir wünsche, es wäre nie dazu gekommen. Denn jetzt steht es mir direkt gegenüber, nur wenige Meter entfernt, und starrt mich an. Ich starre zurück, erfüllt von einem seltsamen Gemisch aus Angst und Ekel. Jetzt, wo ich es ganz bewundern darf, sieht es noch abstoßender aus, als ich es mir in meinen Albträumen ausgemalt habe. Sein Kopf hängt so unnatürlich zur Seite, als wäre sein Genick gebrochen- oder als hätte es gar keins mehr. Die Augenhöhlen sind tiefe schwarze Löcher, seine Augen nicht zu erkennen. Auch die Nase fehlt, an ihre Stelle sind nur zwei senkrechte Schlitze zu sehen. Das Ding ist ekelhaft abgemagert und man kann jeden einzelnen Knochen in seinem Körper erkennen, als wäre die blasse, dünne Haut, die sie überzieht, ihm viel zu klein. Da sind lange, gelbe Nägel an Fingern und Zehen, unter denen Reste von Hautfetzen zu kleben scheinen. Jetzt weiß ich, woher das Scharren kam, dass ich immer gehört habe. Ich wünschte, ich hätte es nie erfahren. Das Verstörendste aber ist nicht einmal das Monster an sich... sondern, dass es einmal ein Mensch gewesen zu sein scheint. Einer seiner Füße steckt in den jämmerlichen Resten eines Turnschuhs und die fleckigen Fetzen, die wohl einmal ein T-Shirt und eine Hose gewesen sind, bedecken seinen Körper nur noch dürftig. Es hat sogar Haare... wenn man die paar fettigen Strähnen, die noch an seinem Schädel kleben, Haare nennen kann. Unzählige schlecht verheilte Narben ziehen sich über den schmächtigen Brustkorb, die hervorstehenden Rippen und die ausgezehrten Gliedmaßen. Aus einigen quillt sogar noch frischer Eiter. Es steht nur da und starrt mich aus seinen dunklen Augenhöhlen an, sein Atem geht rasselnd und unregelmäßig. Ich starre zurück. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, während der Wirbelsturm in meinem Kopf all meine Gedanken wirr durcheinanderfegt und nichts als Chaos zurücklässt. Ich will mich umdrehen und laufen. Laufen, bis meine Lungen versagen. Alles hinter mir lassen. Ich will, dass es endlich aufhört. Aber meine Beine sind wie erstarrt, ich kann mich keinen Zentimeter bewegen. Außerdem wissen wir beide, dass ich nicht fliehen kann. Ich habe gesehen, wie schnell es ist. Und so stehen wir uns gegenüber wie zwei Cowboys vor ihrem unausweichlichen Duell. "Was bist du?", will ich mit sich überschlagender Stimme schreien. "Warum tust du das?" Aber das Monster öffnet seinen zahnlosen Mund und stößt einen lauten, kehligen Schrei aus, in dem meine Worte völlig untergehen. Unwillkürlich muss ich schlucken, kalter Angstschweiß sammelt sich in meinem Nacken. Wie lange es die Konfrontation wohl noch hinauszögern will? Es starrt mich an. Ich starre zurück. Langsam ordnen sich meine Gedanken wieder und obwohl die Angst mein Gehirn immer noch zu lähmen scheint, schaffe ich es, ein paar klare Gedanken zu fassen. Es will mich gar nicht töten. Natürlich nicht, dazu hätte es genug bessere Gelegenheiten gehabt. Nein, es will mich foltern. Mein Gehirn durch die Mangel drehen. Meinen Verstand auf die Streckbank spannen, so lange, bis er endgültig zerreißt. Nun, das wird nicht passieren. Ich werde sein Spielchen nicht mehr länger mitspielen. Ich werde diese Welt wenigstens mit einem Hauch von Würde verlassen, wenn ich schon gehen muss. Ich schicke ein letztes Stoßgebet gen Himmel, dann beginne ich, zu rennen. Das Ding gibt ein wütendes Fauchen von sich und hinkt seinerseits los, den Fuß mit dem Turnschuh hinter sich herziehend. Aggressiv schlägt es nach mir, zerteilt die Luft mit seinen Fingernägeln. Ich unternehme nicht einmal den Versuch, die Attacke abzuwehren. Stattdessen hole ich aus und schaffe es tatsächlich, dem Monster meine Faust in die Brust zu rammen. Ein dumpfes Geräusch ertönt, geht mir durch Mark und Bein und versichert mit, dass ich mein Ziel getroffen habe. Die kehligen Schreie werden lauter, rasend schlägt das Ding um sich, aber das kümmert mich nicht in meinem Rausch. Ich werde das hier beenden, koste es, was es wolle. Wieder und wieder schlage ich auf das Monster ein. Adrenalin rast durch meinen Körper, mein Gehirn ist betäubt, ich stehe wie unter Droge. Da ist nichts Raffiniertes an meinem Kampfstil, nichts auch nur annähernd Elegantes. Es ist mir egal, wohin meine Schläge treffen, ich will nur eins: dem dürren Ding sämtliche Knochen brechen. Und ich lasse nicht locker, bis ich das ersehnte Knacksen höre. Bis ich spüre, wie es unter meinen Fäusten zerbricht. Unter schrillem, ohrenbetäubendem Gekreische zersplittert das Monster in tausend Stücke und fällt klirrend zu Boden. Und dann ist es vorbei. Keuchend stehe ich in einem Haufen von Scherben, meine Schultern heben und senken sich. Vor mir ein zerschlagener Spiegel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)