Chrysalis von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 15: ------------ Dass Yaku gleich auf der anderen Seite des Spielfelds stehen würde, war surreal. Jetzt saß er noch hier, neben Tetsurou auf einer Bank im Eingangsbereich der großen städtischen Sporthalle, in der die Vorrunden der Intercollegiate stattfanden. „Die Jungs kommen nicht?“, fragte er wie beiläufig. Er klang trotzdem bedrückt, ähnlich wie Tetsurou sich fühlte. Er seufzte leise. „Die stecken grad selbst Hals über Kopf im Training. Im aktuellsten Trainingscamp letzten Monat haben sie nicht gut abgeschnitten, hat Kenma mir erzählt, deshalb ziehen sie die Wochenenden jetzt komplett durch. Hast du schon gehört, dass Lev sich ernsthaft anstrengt?“ Yaku schnaubte, als wolle er dahinter sein Grinsen verstecken – es gelang ihm nicht. Tetsurou grinste selbst amüsiert, lehnte sich entspannt zurück. Sie wurden groß, ihre kleinen Kouhai. Dass Kenma geblieben war, und dass Kenma doch so viel Ehrgeiz zeigte, war unglaublich beruhigend. Selbst wenn er nach der Schule aufhören würde – auch wenn Tetsurou daran nach wie vor nicht denken wollte. Kopfschüttelnd schob er den Gedanken beiseite. „Wir haben unsere Senpai auch nie besucht. Ob die sich auch so mies gefühlt haben?“ – „Hat von denen überhaupt jemand weitergemacht?“ „Hm. Auch wieder wahr.“   Es war doch auch gar nicht, dass sich ihre Jungs nicht kümmerten. Sie hatten Nachrichten geschickt, allesamt. Lev, Inuoka und Shibayama hatten ein Foto mit einem nicht gerade hübschen, bunten, gebastelten Schild geschickt, das wohl anfeuernd sein sollte. Tetsurou hatte es so lange liebenswert gefunden, bis er begriffen hatte, dass der Staubwedel mit dem Grinsegesicht darauf er sein sollte. Die Geste war trotzdem nett, irgendwie. Es wäre dennoch schöner gewesen, wären sie hier. Immerhin war Bokuto da. Natürlich war Bokuto da. Tetsurou hatte ihn vorhin gesprochen, als er angekommen war und Bokuto bereits lärmend durch den Eingangsbereich walzte. Akaashi war bei ihm, und es war absolut unübersehbar, wie sehr der Idiot sich darüber freute. Er erzählte bestimmt fünf Mal stolz, dass er Akaashi vom Training entführt hatte, weil das hier ja so viel wichtiger war. War es nicht. Tetsurou schätzte es gerade deshalb ungemein, dass Akaashi sich wirklich hatte abschleppen lassen, auch wenn das zu mindestens neunzig Prozent sowieso nur daran lag, dass er bei Bokuto sein wollte – aber zumindest die verbliebenen maximal zehn Prozent wünschte er Tetsurou Glück. Das war mehr, als er manchmal für all den Unfug verdient hatte, zu dem er Bokuto anstiftete. „Wir gehen trotzdem zum Frühlingsturnier, oder?“, fragte er, eigentlich völlig überflüssigerweise. Er kannte die Antwort, noch ehe Yaku auflachte, „Natürlich! Ich hab noch ein Hühnchen mit den Jungs zu rupfen!“ „Du meinst wohl eher mit Lev?“ „Irgendwer muss es ja tun!“ Tetsurou lachte. Er widerstand gerade so dem Drang, Yaku durch das unruhige, kurze Haar zu wuscheln, um ihn noch ein bisschen mehr zu ärgern. „Gib doch wenigstens zu, dass du ihn magst.“ Der Winzling schnaubte amüsiert. Er grinste zu Tetsurou hinauf, große Augen warm und voller Liebe. Ein seltener Anblick, der automatisch auch an Tetsurous Mundwinkel zupfte und ihn ebenso grinsen ließ. Yaku hatte schon immer ein ansteckendes Lachen gehabt, man vergaß es nur schnell, so oft, wie er eine grimmige Miene ziehen konnte. Das nächste Mal, dass er Yaku so erwischte, würde er ein Foto für Lev machen. Einfach, weil er es konnte.   „Nicht vor ihm!“   „Man könnte glatt neidisch werden.“ Tetsurou seufzte amüsiert. Er sah sich im Eingangsbereich um. Selbst hier fand er sie, die verliebten Tölpel. Einige Jungs hatten ihre Freundinnen mitgebracht und turtelten jetzt vor ihren großen Spielen noch fleißig. „Überall verliebte Vollidioten.“ Eine Faust kollidierte mit seiner Schulter, nicht wirklich schmerzhaft, aber mahnend – der nächste Hieb würde wehtun. Tetsurou rieb sich schnaufend über die nicht schmerzende Stelle und warf Yaku einen beleidigten Blick zu. Er sagte nur die Wahrheit! „Niemand hindert dich daran, dich zu verlieben.“ – „Doch. Es gibt einfach niemanden, der meiner würdig ist!“ Er fasste sich theatralisch an die Brust. Neben ihm lachte Yaku nur schadenfroh und rein gar nicht mitleidig. Tetsurou wollte auch kein Mitleid! Oder dass sein Gegenüber glaubte, er brauchte dringend eine Beziehung, nur, weil er keine hatte. Es reichte, dass Bokuto so tickte. Vielleicht war das überhaupt auch der Grund, weshalb er mit Yaku das Thema anriss – er wusste haargenau, dass der kleine Libero selbst so unglaublich unromantisch war, dass er niemals auf die Idee käme, eine Beziehung wäre Pflichtprogramm. Eigentlich war es überhaupt unglaublich, dass Yaku verknallt war – und sich das auch noch eingestand. Es war so abstrus, dass Tetsurou einfach nachfragen musste: „Wie verliebt man sich in Lev von allen Menschen?“ Er rechnete halb damit, dass Yaku ihn allein für die Frage vermöbeln würde, doch es passierte nichts. Als er zur Seite blickte, sah er, dass der Blick des Anderen unbestimmt in die Ferne ging. Er schien eine Gruppe von Studenten zu beobachten, ihren Trainingsklamotten nach zu einem Team gehörend, die sich eifrig unterhielten. Tetsurou war sich recht sicher, dass er im Endeffekt nur durch sie hindurchblickte. „Er kann überraschend liebenswert sein“, gab er schließlich nachdenklich zurück, „charmant. Und… keine Ahnung. Ich hab nie behauptet, guten Geschmack zu haben!“ Tetsurou lachte amüsiert. Jetzt ließ er es sich doch  nicht mehr nehmen, Yaku durch das Haar zu wuscheln. „Das hast du auch nicht!“ „Deiner wäre nicht besser, Kuroo!“   „Wir müssen los!“   Daishous Stimme unterbrach Tetsurous Gedanken, noch ehe sie wirklich bildliche Form annehmen konnten. Insgeheim wusste er, was sein Kopf ihm da ausspucken wollte, und er war froh, dass es so weit gar nicht gekommen war. Beinahe erleichtert stand er von der Bank auf, winkte abwesend zu ihm hinüber, ehe er sich noch einmal grinsend zu Yaku drehte. Der Pimpf stand inzwischen auch und war immer noch viel zu winzig. „Mein Geschmack ist großartig“, konstatierte er breit grinsend. Es war Zufall, dass sein Blick just in diesem Moment noch einmal in Daishous Richtung zuckte. Der Kerl stand mit verschränkten Armen abwartend da, die Augenbrauen hochgezogen. Selbst auf die Entfernung sah Tetsurou die verdammten Piercings in seinem Gesicht viel zu deutlich. Yakus Augenbrauen wanderten, als Tetsurou zurück zu ihm sah. Er sah ihn forschend an, sah dann an ihm vorbei in die Richtung, in der die Schlange stand, zuckte dann mit einem spöttelnden Lächeln die Schultern. „Könnte schlimmer sein.“ – „Der hat nichts damit zu tun!!!“ „Natürlich nicht. Kuroo, wirst du rot?“ Tetsurou wurde nicht rot – und wenn doch, dann rein vor Empörung über Yakus dreiste Dummheit! Er schnaubte beleidigt, verschränkte die Arme vor der Brust. „Kümmer dich um deinen Wolkenkratzer, statt mich zu nerven, Yakkun.“ – „Der hat sich selbst zu kümmern. Ich bin noch lange nicht so weit, einfach mit ihm auszugehen!“ Einerseits hätte Tetsurou das Thema gern festgehalten, weil es leicht und irgendwie erheiternd war, aber auf der anderen Seite wusste er ganz genau, dass das einfach nicht funktionierte. Sie konnten nicht ewig das Offensichtliche vor sich herschieben. Letztlich war es auch genug – wenn er Yaku noch zu viel mobbte, würde der Kerl ihn doch noch verprügeln; auf blaue Flecken vor dem Spiel konnte er verzichten. Und es wurde Zeit, dass sie zu ihren neuen Teams zurückkehrten, huh? Und irgendwie… freute er sich darauf. Er streckte Yaku die Hand hin. „Viel Erfolg.“ – „Dir auch.“ Yakus Händedruck war immer noch viel fester, als seine kleine Gestalt vermuten lassen würde. Es war vertraut, weil alles an Yaku stärker und harscher war, als man vermuten würde, gleichzeitig war es fremd, denn das letzte Mal, dass sie Hände geschüttelt hatten, war in der Mittelschule gewesen. Das letzte Mal, dass sie gegeneinander gespielt hatten. Rivalen gewesen waren. Das Leben war ein Bastard, dass es Tetsurou stattdessen ausgerechnet Daishou an die Seite gestellt hatte. Besagter Daishou rief noch einmal nach ihm – „Tetsurou, beweg dich!“ – und brachte Yaku damit, amüsiert die Augenbrauen zu heben, doch er sagte nichts. Tetsurou war froh darum. Bald wich das Amüsement wieder aus seinem Blick und machte Platz für fast feierliche Ernsthaftigkeit.   „Wir sehen uns auf dem Spielfeld.“     ***     Trainingsspiele waren eine Sache. Jetzt hier auf dem Feld zu stehen und ein offizielles Match zu bestreiten, bei dem es kein Zurück mehr gab, war etwas völlig anderes. Tetsurou hatte gar keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, dass er Daishou eigentlich auf den Tod nicht ausstehen wollte – es aber inzwischen doch tat… – , und er hatte keine Zeit mehr, darüber zu sinnieren, wie ein Team funktionieren sollte, in dem sie beide aufgestellt waren. Es funktionierte einfach. Es funktionierte. Es wurde Tetsurou erst so richtig bewusst, als sie sich zum ersten Timeout einfanden und er völlig selbstverständlich und ohne darüber nachzudenken eine Wasserflasche an Daishou reichte, nachdem er sich selbst eine genommen hatte.   Irgendwann im zweiten Satz wurde aus Daishou Suguru, und als es Tetsurou endlich wirklich auffiel, war es schon viel zu spät, als dass er noch etwas ändern könnte. Eigentlich wollte er es auch gar nicht. Es erinnerte ihn an die vagen Überbleibsel seiner Kindheit, in der sie beide noch keine Idioten gewesen waren.   Schon im zweiten Match standen sie Yakus Team gegenüber. Von allem, was Tetsurou wusste, war das Team alles andere als schlecht, aber gut, das war ihres genauso wenig. Wirklich Sorgen machte er sich keine. Er kannte Yaku. Er wusste ganz genau, wozu der Kerl fähig war, und er wusste, dass Yaku nicht allmächtig war. Auch der beste Libero hatte seine Grenzen, ganz zu schweigen davon, dass auch der beste Libero  nicht dauerhaft auf dem Spielfeld sein würde. „Ich hoffe sehr für dich, dass du nicht aus Sentimentalität heraus patzt“, zischte Suguru ihm mahnend entgegen, als sie ihre Plätze auf dem Feld einnahmen. Tetsurou lachte, nur ein winziges bisschen ertappt. „Nein. Yakkun würde mich umbringen, wenn ich ihn nicht ernstnehme.“ „Es würde für ihn gar nichts mehr zum Umbringen übrig bleiben, Tetsurou.“ – „Hah? Du drohst mir? Wo ist denn der liebe Junge hin, der sonst immer auf dem Feld steht, Suguru~?“ Suguru grinste. Kein boshaftes, spöttisches, schleimiges Schlangengrinsen, sondern – anders. Breit, selbstbewusst, aufgeregt. Ein Sportlergrinsen, das Tetsurou ganz automatisch dazu brachte, es zu erwidern. „Sag nicht, du vermisst ihn.“ Nein. Tetsurou vermisste die schmierige Schlange nicht. Er schüttelte vehement den Kopf, boxte Suguru gegen die Schulter. Er hatte sich so sehr verändert, dass Tetsurou ehrlich Mühe hatte, den jungen Mann, der gerade vor ihm stand und ihn anlachte, noch mit dem Kerl übereinzubringen, den er letztes Jahr noch mit vollster Leidenschaft gehasst hatte – und der umgekehrt auch ihn gehasst hatte. Das hier war der Junge mit dem braven Pottschnitt, den er vor Jahren einmal gekannt hatte; nur, dass er einfach älter geworden war. So wie Tetsurou selbst auch. Er hatte keine Ahnung, weshalb sie irgendwann den Kontakt verloren hatten, aber gerade in diesem Moment, in dem ihm bewusst wurde, wie viel er eigentlich verpasst und verloren hatte dadurch, wünschte er sich, er könnte es verändern. „Natürlich nicht.“ Suguru schüttelte den Kopf, amüsiert. Seine Augen blitzten. „Dann kann ich ja gehen?“   „Bullshit. Du bleibst. Nur das Schmierentheater lässt du sein!“     ***     Nach dem letzten High-School-Jahr war es seltsam tröstend, zu wissen, dass er sein gesamtes Universitätsleben noch vor sich hatte. Morisuke war zwar trotzdem danach, irgendetwas kurz und klein zu schlagen und vor Frust zu heulen, aber das Wissen, dass er wirklich noch ein nächstes Mal hatte, dass es ein nächstes Jahr gab, ein nächstes Turnier, machte es leichter. Trotzdem fühlte er sich verloren, als er vor dem Netz stand, Hände schüttelnd, Fassung wahrend. Kuroo grinste zu ihm hinunter, ein perfektes Sinnbild von Arroganz und Selbstüberzeugung. Er erinnerte Morisuke unangenehm an den Kotzbrocken, der er zu Beginn ihrer Bekanntschaft gewesen war. „Das war die Rache für die Mittelschule, Yakkun~ Jetzt sind wir quitt“, singsangte der Mistkerl fröhlich. Morisuke überlegte, ob er es riskieren konnte, ihm auf den Fuß zu treten, beschied dann aber, dass er das eigentlich nicht wert war und beließ es bei einem extra harten Händedruck und einem verkrampften Lächeln. „Das heißt, nächstes Jahr bin ich wieder dran, huh?“ – „Niemals.“   Es war ein komisches Gefühl, das Spielfeld auf der anderen Seite als Kuroo zu verlassen. Zuzusehen, wie er mit einem anderen Team zusammen abzog, lachend, scherzend, wie ihm ein Haufen Fremder auf die Schultern klopften und sich auf die Schultern klopfen ließen. Nächstes Jahr würden sie auf diese Art vielleicht noch mehr ihrer alten Teamkameraden wiedersehen. Es war ein einsamer Gedanke. Gleichzeitig hatte Morisuke nun auch sein eigenes Team, das nicht Kuroos war, und er hatte längst Anschluss und lose Freundschaften gefunden. In ein paar Jahren würde er wieder ein neues Team haben, wenn er noch spielte. Sich auf neue Leute einstellen. Es gehörte zum Teamsport einfach dazu. Und obwohl er das wusste, war er immer noch verblüfft davon, was für ein gutes Team Kuroo und Daishou abgaben. Er erinnerte sich, dass Kuroo zu Beginn des Jahres unglaublich laut gejammert hatte, weil das Schicksal sie auf die gleiche Universität verschlagen hatte, und jetzt klebten sie zusammen, als wären sie schon immer Freunde gewesen. Alte Rivalitäten zu begraben war natürlich eine gute Sache, aber trotzdem fühlte er sich seltsam bei dem Anblick. Sie lebten jetzt eben alle ihr eigenes Leben, teilten nicht mehr selbstverständlich quasi alles. „Mokkun! Komm endlich! Ich will hier raus sein, bevor der Captain die Halle unter Wasser setzt!“ Die Stimme eines Teamkameraden riss ihn aus seinen Gedanken. Kopfschüttelnd wandte er sich ab und schloss zu dem verzweifelt grinsenden jungen Mann auf, der gerade wohl versuchte, den Captain zu trösten. Die Tränen flossen trotzdem ungehindert. Morisuke verstand es – es war seine letzte Chance gewesen. Zu wissen, dass es für ihn selbst nächstes Jahr einfach noch weiterging, bescherte ihm glatt ein schlechtes Gewissen. Er konnte nicht so sehr leiden. Gut, er wollte es auch nicht, dafür war die Enttäuschung einer vertanen letzten Chance einfach zu groß, aber schlussendlich hielt sich so auch das Mitgefühl ein Stück weit in Grenzen. Er wusste, wie es sich anfühlte, er wusste, wie abartig es war, er hatte Mitleid, aber gleichzeitig trug er einfach die sichere Hoffnung in sich – nächstes Jahr.   Es war laut, während sie die Halle verließen. Das ganze Team plapperte und jammerte durcheinander, und vor allem ihr Captain war einfach nicht ruhig zu stellen. Weil es Morisuke schnell zu viel wurde, ließ er sich unauffällig ein Stück zurückfallen, um ein paar Nachrichten zu schreiben. Oikawa hatte ungefähr zehn Mal geschrieben, um nachzuhaken, wie es bei ihm gelaufen war. Seine eigenen Vorrunden waren erst in den nächsten Tagen. Suga hatte auch geschrieben. Sawamura. Morisuke antwortete auf die Nachrichten, berichtete folgsam von seiner Niederlage. Von Suga bekam er Mitleid. Von Oikawa etwas, das beinahe beleidigt klang, offensichtlich, weil er Kuroo den Sieg nicht gönnen wollte. Keine Sorge, ich räche dich!, versprach er großspurig in einer der nächsten Nachrichten. Morisuke schnaubte sein Handy nur erheitert aus. Dafür musst du erstmal durch die Vorrunden kommen. – Natürlich tu ich das!!!!!!!!!! Und Kuroo müsste es auch schaffen. So gut sein Team auch sein mochte, es gab eine Vielzahl an guten Teams, es war nicht, als hätte er schon gewonnen.   Ein Stück weit wünschte Morisuke es sich allerdings. Er wollte nicht gegen einen Haufen Loser verloren haben.     ***     Sie waren die ersten, die ausschieden. Koushi fand es furchtbar frustrierend, aber mit Heulboje Yuda an seiner Seite war die Niederlage irgendwie einfacher. Er konnte gar nicht wirklich traurig sein, wenn dieser dumme Kerl neben ihm nur noch brabbelte und heulte und rotzte; er war viel zu beschäftigt damit, ihn regelmäßig mit einem neuen Taschentuch zu versorgen. Statt unglücklich nach Hause zu fahren verschanzten sie sich auf den Tribünen, um sich den Rest der Vorrunden anzusehen. Koushi wollte sehen, wie weit Daichi kam. Und er war neugierig auf Oikawas und Ushiwakas Team. Bisher hatte er sie noch nicht spielen sehen. „Wie ist’s in Tokyo gelaufen?“, fragte Yuda, während sie zusahen, wie Iwaizumis Universitätsteam einen Gegner gnadenlos niedermähte. Sie waren so gut, dass Koushi beinahe froh war, gar nicht in die Verlegenheit gekommen zu sein, gegen ihn zu spielen. Yuda, der schon zu Beginn des Spiels kommentiert hatte, wie angsteinflößend sein Freund war, wenn er auf der anderen Seite des Spielfeldes stand, ging es vermutlich ähnlich. „Yakkun hat verloren“, erzählte Koushi mit einem leisen Seufzen. Es tat ihm immer noch Leid um seinen kleinen Freund. Er war froh, dass es allgemein so geklungen hatte, als hätte Yaku es gut verkraftet. Ich hab noch genug Chancen hatte er geschrieben, und die Worte hielt Koushi auch jetzt in seinem Herzen fest, um sein eigenes Unglück zu lindern. „Kuroos Uni hat das Finale gemacht. Knapp, hat er geschrieben.“ „Immerhin ein bekanntes Gesicht!“ Yuda grinste fröhlich. Er lehnte sich auf seinem Sitz vor, als könne er durch die paar Zentimeter Distanzunterschied so viel besser hinunter auf das Spielfeld sehen. Je länger er hinuntersah, desto mehr schlich sich allerdings Beunruhigung auf sein fröhliches Gesicht, bis von Fröhlichkeit bald nichts mehr übrig war. Er seufzte unzufrieden, zog die Schultern unwohl hoch. „Hajimes Team ist gut, ne? Wenn sie so weitermachen, kommen sie ins Finale.“ – Wenn sie so weitermachen, werden sie gegen Tooru spielen.   Koushi brummte vage. Er sah hinunter, gerade in dem Moment, als Iwaizumi einen gnadenlos harten Schmetterball übers Netz beförderte, an drei Blockern vorbei. Es sah furchterregend aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ins Finale kommen würden, war wirklich nicht klein. „Ist bei den beiden eigentlich wieder alles gut?“ Allein Yudas unbestimmtes Brummen war aussagekräftig genug, dass Koushi nur leise seufzen konnte. Wie es schien, bewegten sich die beiden immer noch auf relativ dünnem Eis, auch wenn sie wieder miteinander redeten. Yuda hatte, nicht ganz unbegründet, Sorge, was passieren würde, wenn sie jetzt gegeneinander spielten, zum ersten Mal in ihrem Leben. Koushi konnte sich gar nicht vorstellen, wie sich ein solches Spiel emotional auswirkte. Er war es gewöhnt, dass aus Freunden Rivalen wurden – und umgekehrt. Mit Nishinoya war er zu Mittelschulzeiten einmal zusammengestoßen. Und selbst da, wo er es nicht am eigenen Leib erfahren hatte, gab es genug Beispiele. Allein Kageyama und Hinata waren ein absolutes Paradebeispiel dafür, dass sich solche Positionen einfach rasend schnell und effektiv ändern konnten. Und Koushi hatte nicht den Eindruck, dass es seiner Freundschaft zu Daichi schadete, dass sie nun in zweierlei Teams spielten. Aber er war auch nicht Oikawa. Dass für Oikawa die ganze Welt anders aussah, so viel Menschenkenntnis hatte Koushi. „Ich vermute, dass irgendetwas passieren wird“, murmelte Yuda gedankenverloren, besorgt, „Aber frag mich nicht, in welche Richtung. Vielleicht reicht es, damit sie sich wieder vertragen. Vielleicht wird alles schlimmer. Aber so ein richtig lauter Knall ist auch besser, als wenn es nur schwelt, huh?“   Koushi lächelte flüchtig. Er legte Yuda eine Hand auf die Schulter, drückte sanft zu. „Mach dir keinen Kopf. Selbst wenn sie sich streiten. Wir sind doch da, um zu schlichten.“ Yuda lachte sanft. Er warf Koushi ein schiefes Grinsen zu, das von einem resignierten Blick begleitet wurde, hinter dem sich trotzdem noch so etwas wie Hoffnung versteckte. Natürlich wollte er helfen. Natürlich hoffte er auf das Beste. Er war einfach so.   „Ich hab dir erzählt, dass Tooru sich nicht gut schlichten lässt?“     ***     Das war es. Die eine Sache, vor der Tooru sich am Meisten gefürchtet hatte – und die er am Meisten herbeisehnte. Iwa-Chan war auf der anderen Seite des Spielfeldes. Der Anblick war seltsam und fremd, und als Tooru ihn dort sah, aufrecht, stolz, selbstbewusst, war er hin– und hergerissen zwischen Bewunderung, weil Iwa-Chan so cool aussah, und unwilliger Beleidigung, weil es nicht im Geringsten so aussah, als würde Iwa-Chan ihn an seiner Seite vermissen. Tooru vermisste ihn. Es wurde ihm schmerzlich bewusst in dem Moment, in dem er Iwa-Chans Aufwärmübungen sah, die Nase rümpfte, weil sein Zuspieler einfach nichts wert war und Tooru jeden einzelnen Ball so viel besser zu ihm hätte bringen könnten. Er könnte ihm blind zuspielen, so gut kannte er seinen Freund. Er kannte jede seiner Macken, jeden Blick, jedes Zucken, wusste haargenau, welche Bälle für Iwa-Chan die besten waren und wann er sie brauchte. Dieser Typ, der da jetzt für Iwa-Chan spielte, kam auf keiner Ebene an Tooru heran. Er war nicht hübsch, er war nicht charismatisch, er war mit Sicherheit auch nicht so intelligent. Er war ein guter Zuspieler, aber er war bei weitem nicht auf Toorus Level. Ob Iwa-Chan das überhaupt merkte? Es sah nicht so aus. Schlussendlich hatte Tooru sich von dem Anblick losgerissen, konzentriert auf sein eigenes Team, das ohne Iwa-Chan existierte, dafür aber Ushiwaka umfasste, der ihn mit einem missbilligenden Blick musterte. Offensichtlich hatte er gemerkt, wohin Toorus Blick gewandert war, und offensichtlich störte es ihn. Er hatte schon im Vorfeld genug Predigten über Sentimentalität und deren Nutzlosigkeit bekommen, dass er auch ohne Menschenkenntnis wusste, was in Ushiwaka vor sich ging. Er erwartete, dass Tooru ohne jede Diskussion gut spielte, dass er Iwa-Chan schlagen würde, wie er jeden Gegner schlug, dass er nicht zögern oder sich von lächerlichen Gefühlen übermannen lassen würde.   Es war nicht, als ob Tooru das vorhätte – er war ein Profi.   Einmal das Spiel angepfiffen war Iwa-Chan nicht mehr Toorus bester Freund und der Mann, den er liebte, sondern nur noch – ein Gegner. Ein Kontrahent auf dem Spielfeld, den er zufällig gut genug kannte, um beinahe jeden seiner Schritte voraussagen zu können. Für den Moment war alles vergessen. Ihr Streit, aller Ärger, Enttäuschung, alle Einsamkeit. Tooru wollte gewinnen. Würde gewinnen. So stark das gegnerische Team auch sein mochte, Toorus Team war stärker. Ushiwaka trug ein gutes Stück dazu bei, das zu leugnen wäre dämlich gewesen, aber Tooru wusste ohne jede Arroganz, dass sein eigener Verdienst daran auch nicht gering war. Den ersten Satz gewannen sie. Es war nicht wirklich schwierig gewesen, aber es war viel zu früh, aufzuatmen. Iwa-Chans Team kam langsam in Fahrt, das hatte Tooru schon bemerkt. Von hier aus würde es nur noch viel schwieriger werden, an ihnen vorbeizukommen. Schwierig, aber sicher nicht unmöglich. Solange sie ihr Tempo aufrechterhalten konnten, hatten sie gute Chancen, siegreich aus dem Spiel hervorzugehen. Die kurze Pause zwischen den Sätzen war trotzdem willkommen. Tooru nutzte sie, um sich auf eine Bank plumpsen zu lassen und das rechte Knie auszustrecken. Es schmerzte. Es war ignorierbar, aber es schmerzte. Immer noch. Er wusste, dass es seine Schuld war, weil er die letzte Verletzung nicht ganz hatte ausheilen lassen, aber was hätte er tun sollen? Er musste trainieren! In einem Team mit jemandem wie Ushiwaka konnte er sich keine Atempause leisten, wenn er nicht gnadenlos ersetzt werden wollte. Er mochte noch so überragend sein durch all sein hartes Training, das brachte ihm nichts mehr, wenn er wegen einer Verletzung ausfiel und Ushiwaka sich sofort einem anderen Zuspieler zuwandte. Ushiwakas Spielstil brauchte keinen brillanten Zuspieler. Er brauchte nur jemanden, der zuverlässig den Ball zu ihm brachte, und von der Marke würde er mehr Leute als nur Tooru finden. Er hatte sich wirklich keine Pause leisten können. Es war okay. Nach dem Turnier konnte er ruhen, wenn es nötig war. Tooru erwartete allerdings eher, dass er mit Zähnezusammenbeißen einfach weitermachen würde, wie er es immer getan hatte, wenn ihn niemand aufhielt.   Es hielt ihn doch niemand mehr auf.     ***     Oikawa war noch besser geworden seit dem letzten Mal, dass Hajime ihn hatte spielen sehen. Er war noch besser geworden, obwohl er längst übermenschlich war. Es beeindruckte Hajime, aber gleichzeitig weckte es Sorge in ihm. „Aber Iwa-Chan! Ich pass schon auf mich auf, keine Sorge~ Ich hab’s dir doch versprochen!“ Er konnte es einfach nicht ganz glauben. Oikawa war unfähig darin, auf sich selbst aufzupassen, war es schon immer gewesen. Sei das in Kindertagen gewesen oder im letzten Jahr der High School, Hajime hatte nie den Eindruck gehabt, dass der Idiot in der Lage wäre, auch nur fünf Minuten selbst für seine Gesundheit zu sorgen. Andererseits sah er eindeutig gesund aus. Er spielte reibungslos, und mitten in einem Match war ohnehin nicht der passende Zeitpunkt, sich Gedanken um seinen Gegner zu machen. Hajime hatte auch größere Sorgen, strenggenommen – der zweite Satz neigte sich dem Ende, nur noch wenige Punkte trennten Oikawas Mannschaft vom Sieg. Wenn er jetzt nicht sofort aufgehalten wurde, war es vorbei. Auf der eigenen Spielfeldseite waren Oikawas Aufschläge ein Segen und eine wertvolle Waffe, eine Sicherheit, dass noch nicht alles verloren war. Auf der anderen Seite des Spielfelds waren sie absolut verstörend. Nicht einmal ihre Rotation war tauglich, um den Aufschlag anzunehmen. Ihr Libero stand unruhig neben der Bank, Hajime sah, wie er immer wieder die Hände zu Fäusten ballte. Er hatte selbst schon am eigenen Leib erfahren, wie heftig Oikawas Angriffe waren, und zweifelsohne war ihm genauso bewusst wie Hajime, dass sie jetzt immense Probleme damit haben würden, den Ball in der Luft zu behalten. Sie hatten schon genug Punkte in diesem Spiel an Oikawas Aufschläge verloren.   Er lief los. Hajimes Blick war auf den Ball fixiert, sein ganzer Körper angespannt, darauf vorbereitet, den Aufschlag abzufangen, zu verhindern, dass Oikawa ihren Rhythmus zerstörte. Er hatte sich vor diesem Tag noch nie in der Position befunden, Oikawas Aufschläge annehmen zu müssen, und er war sicherlich nicht gut darin – aber es musste reichen. Der Ball flog in die Luft, Oikawa sprang, schmetterte ihn gnadenlos übers Netz.   Irgendwo zwischen dem Moment, als Oikawa auf dem Boden aufkam und augenblicklich stürzte, und dem Moment, in dem der Ball einfach neben Hajime aufs Spielfeld prallte, vergaß er die ganze Welt um sich herum. Die Pfeife des Schiedsrichters schrillte in seinen Ohren, als er längst das halbe Spielfeld überquert hatte, sich schlitternd unter dem Netz hinwegduckte. Oikawa war noch nicht wieder aufgestanden. Er hielt sich das rechte Knie, sein Gesicht war schmerzverzerrt. Hajimes Brustkorb schmerzte, sein Magen krampfte, in seinem Kopf schwirrte ein Chaos aus Sorge, Angst und Wut umher, das er nicht einmal weit genug sortieren konnte, um halbwegs klar zu denken. „Iwa-Chan…“ Da lag für einen kurzen Moment etwas in Oikawas Blick, das alles in Hajime zerbrechen ließ. Hilflosigkeit. Angst. Er fühlte sich taub. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und er sah die ganze Halle in einem so grellen, scharfen Licht, dass es wieder unwirklich wirkte. Er wollte Oikawa schütteln und anschreien, wollte ihm hochhelfen, um ihn höchstpersönlich zu den Sanitätern zu schleifen, aber er war festgefroren an dem Punkt, an dem er stand, konnte nur zusehen, wie sich fremde Gesichter um den anderen scharten, auf ihn einredeten. Kurz darauf kamen die Sanitäter tatsächlich, bugsierten Oikawa auf eine Trage. Inzwischen war die alte Fassade wieder da. Er grinste, winkte dem Team fröhlich, als würde er mal eben nur einen entspannten Ausflug machen. „Iwaizumi! Es geht weiter!“ Die Stimme seines Captains ließ Hajime lang genug aus seiner Starre erwachen, dass die ganze Situation Zeit hatte, um zu sacken. Oikawa war verletzt. Schwer genug verletzt, dass er offensichtlich nicht weiterspielen konnte. Er war verletzt, und Hajime hatte nichts davon gewusst.   „Spielt ohne mich weiter!“   Die rüden Rufe seiner Teamkollegen waren ihm völlig egal. Er wusste gerade nicht einmal, ob er nicht gerade völlig gegen die Regeln handelte, aber es war ihm genauso gleichgültig. Mit schnellen Schritten verließ er das Spielfeld, folgte den Sanitätern, folgte Oikawa. Es gab Wichtigeres als dieses Volleyballspiel.     ***     Kaneo stolperte über seine eigenen Füße, als er die Tribüne entlanghastete. Hinter sich hörte er Koushis Schritte und fluchende Leute, weil sie immer wieder gegen irgendjemanden prallten. Er japste Entschuldigung über Entschuldigung, ohne sich umzudrehen – er hatte keine Zeit! In dem Moment, in dem Tooru zusammengeklappt war, war Kaneo klar gewesen, dass er da hinunter musste. Er war nicht lange genug geblieben, um irgendetwas Weiteres zu sehen. Wenn Tooru zusammenbrach, dann war es klar, dass es schlimm war. Dass er Hilfe brauchte, dass er nicht mehr spielen konnte. Natürlich würden sie ihn in den Erste-Hilfe-Raum bringen. Für Kaneo war das so sicher wie die Tatsache, dass Hajime ebenfalls bei ihm sein würde.   Er behielt mit beidem Recht.   Schon aus der Ferne sah er Hajimes verkrampfte Gestalt vor der Tür zum Sanitätsraum stehen. „Hajime!“ Schlitternd kam er neben ihm zum Stehen, keuchend, atemlos. Er sah den Anderen groß an, besorgt. Er sah alles andere als glücklich aus. Es war offensichtlich, wie viel da unter der schlecht beherrschten Oberfläche brodelte. „Wie steht es?“ Er schüttelte den Kopf. Biss die Zähne zusammen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis seine Kiefer sich wieder entspannten, und selbst dann sah er alles andere als wirklich entspannt aus. „Sie verarzten ihn gerade“, gab er zurück. Tonlos. Tonlos und Hajime war keine gute Kombination. Hajime war laut und geradeheraus, nicht tonlos. Dass er nicht schrie und tobte machte die ganze Sache noch viel furchteinflößender. Alarmiert suchte Kaneo Koushis Blick; dass sein neuester Freund ähnlich besorgt aussah wie er selbst war überhaupt kein Trost. Unwohl schob Kaneo die Hände in die Taschen seiner Trainingshosen, zog die Schultern hoch. Es war so unangenehm. Hajime schien nicht reden zu wollen, was Kaneo einerseits völlig verstand und andererseits einfach nur grauenhaft fand, denn er hätte vielleicht gern gesprochen! Die Stille war drückend und unheilschwanger. Koushi nestelte unruhig an seinem Handy herum. Als er Kaneos fragenden Blick auffing, lächelte er flüchtig. „Ich habe Daichi gebeten, das Spiel im Auge zu behalten“, erklärte er sanft. Daichi – Kaneo kannte ihn kaum, aber Koushi redete unheimlich oft von seinem besten Freund. Sein Team war im zweiten Spiel ausgeschieden, aber sie hatten sich gut geschlagen. Wie Koushi selbst hatte er weiterhin bleiben wollen, um sich den Rest der Vorrunden anzusehen; fast sein ganzes Team hatte sich dazugesellt, und weil die Tribünen nirgendwo genug Platz boten, waren Kaneo und Koushi eben trotzdem unter sich geblieben.   Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Sanitäter die Tür des Raums öffneten und wieder hinaustraten. Eine kurze Information war, dass Tooru sich noch ausruhen sollte, aber danach wohl mit den bereits bereitgestellten Krücken weit genug vorankommen könnte, bis er einen ordentlichen Sportarzt aufsuchen und sich behandeln lassen konnte. Kaneo war sich absolut sicher, dass Hajime ihnen überhaupt nicht zuhörte. Er schob sich an ihnen vorbei, kaum, dass sie den Eingang freigaben. Mit einer gemurmelten Entschuldigung tat Kaneo es ihm gleich. Es war seltsam erleichternd, dass auch Koushi auf dem Fuße folgte. Es wurde noch erleichternder ob des Schauspiels, das sich ihm in dem Räumchen bot – Kaneo hätte hier nicht allein sein wollen. Hajime, kaum, dass er Tooru erblickt hatte, war zu ihm gestapft, hatte jetzt die Hand am Kragen des Anderen und sah mit wutverzerrtem Gesicht auf ihn hinunter. „Erklär mir das“, forderte er, und er war so gefährlich leise dabei, dass es Kaneo den Magen umdrehte. Hajime war wütend. Selbst ein Vollidiot würde es bemerken. Entsprechend war es unmöglich, dass Tooru es nicht bemerkte. Es entsetzte Kaneo, dass er trotzdem nur lachte, das unbekümmerte, überhaupt nicht ehrliche Tooru-Lachen, das er so oft lachte, wenn lachen eben einfacher war als alles andere. „Awwww, Iwa-Chan~! Keine Sorge. Das ist kaum mehr als ein Kratzer.“ „VERARSCH MICH NICHT, OIKAWA!!!“ Kaneo zuckte zusammen. Koushi zuckte zusammen. Tooru, der unter Garantie genau diese Reaktion vorhergeahnt hatte, zuckte nicht einmal mit der Wimper bei Hajimes Ausbruch. Er wirkte beinahe unbeteiligt. Es war ein grauenhafter Anblick, und Kaneo hätte am liebsten weggesehen, doch – er konnte nicht. Er wusste, dass die Chance groß war, dass das hier ausartete. Er musste es sehen, um einschreiten zu können, wenn es nötig wurde. „WAS SOLL DIE SCHEISSE?! ICH DACHTE, DU PASST AUF DICH AUF?! IST DIR EIN VERSPRECHEN DENN SO WENIG WERT?!“ „Aber Iwa-Chan…“ „KEIN ABER! DU SOLLTEST AUF DICH AUFPASSEN, VERDAMMT!!!“ Für einen Moment war es still. Völlig still. Dann schnaubte Tooru, und er murmelte etwas in sich hinein, das so leise war, dass Kaneo es nicht verstand – Hajime auch nicht. Er forderte barsch eine Wiederholung.   „TU NICHT SO, ALS WÜRDE ES DICH KÜMMERN!“   Tooru wurde nicht laut. Nicht so. Das war eine Art von ungeschriebenem Gesetz, genauso wie der Umstand, dass Hajime nicht leise wurde. Beide Gesetze waren gebrochen. Fassungslos sah Kaneo zu, wie Toorus Hand vorschnellte und sich viel zu fest um Hajimes Handgelenk krallte, als wollte er die fremde Hand von seinem Kragen zerren. „Es kümmert dich nicht!“, wiederholte er wütend, aufgebracht. Seine Stimme überschlug sich beinahe, so voll von Emotionen, wie Kaneo sie selten gehört hatte. Er hatte das unangenehme Gefühl, hier etwas zu sehen und zu hören, das nicht für seine Augen und Ohren bestimmt war. „Es ist deine Schuld! Du hast dich nie gekümmert! Du hast nie Zeit für mich! Das kann dir jetzt genauso scheißegal sein wie alles andere die letzten Monate! Du hast es doch nicht einmal geschafft, dich zu melden, ohne dass Yudacchi dir in den Arsch treten musste!“ Kaneo zuckte zusammen. Unwohl trat er einen Schritt zurück, suchte mehr unabsichtlich nach irgendeinem Schlupfwinkel, hinter dem er sich verstecken konnte. Es war ihm alles andere als angenehm, mitten in diesen Streit gezogen zu werden – vor allem, weil es stimmte. Er hatte Hajime gedrängt, sich öfter zu melden. Er hatte ihn öfter dazu gedrängt. Er hatte wirklich geglaubt, dass das eine gute Idee war. So im Nachhinein schien er falsch gelegen zu haben. Hajime war schon wieder so gefährlich still. Er sah auf Tooru hinunter mit einem Blick, der frostig genug war, um die Hölle zuzufrieren. Kaneo wusste nicht genau, was er dahinter versteckte, aber es war ohne Zweifel nichts Gutes. Schmerz. Wut. Enttäuschung vielleicht. Er ließ von Oikawas Kragen ab, als hätte er sich an dem Stoff verbrannt und trat einen Schritt von seinem Bett zurück.   „Stimmt. Es kümmert mich nicht.“ Die Lüge war so schmerzhaft offensichtlich, dass Kaneo sie mühelos durchschaute. Hajime sah unglaublich bitter aus. Tooru fauchte, starrte ihn voller Wut und Verletztheit an, völlig ignorierend, wie offensichtlich Hajime gerade Dinge sagte, die er nicht so meinte. Kaneo wollte dazwischen gehen. Irgendetwas tun, aber sein Kopf drehte sich, und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er war hilflos. Überfordert. Verzweifelt obendrein. Und Tooru war viel zu schnell darin, zu reagieren, Worte auszuspucken, die er mit Sicherheit ebenfalls nicht wirklich meinte: „Dann geh.“ Hajime gehorchte. Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt, steuerte die Tür an. Einen langen Moment starrte Tooru ihm hinterher, als hätte man ihn geohrfeigt, schockiert und verzweifelt, dann schrie er wütend auf. „Und komm bloß nicht wieder, Iwaizumi!“   Die Tür knallte so heftig zu, dass der ganze Raum unter der Wucht des Aufpralls zu erbeben schien. Hajimes Abgang hinterließ eine beißende Stille, die sich in Kaneos Nerven fraß und ihn wünschen ließ, er könnte die Zeit zurückdrehen, und seien es nur fünf Minuten. Ein paar Sekunden später wünschte er sich die Stille zurück. Tooru heulte. Er weinte nicht, er heulte, wie ein kleines Kind. Mit lautem Schluchzen und Schniefen, das Gesicht in den Händen vergraben. Er wusste, dass das theoretisch nicht sein Platz war, trotzdem stapfte Kaneo kurzentschlossen zu ihm und zog ihn in eine ungelenke Umarmung. Toorus Gesicht kollidierte mit seiner Brust, seine Hände klammerten sich in Kaneos Shirt und er heulte sich die Seele aus dem Leib, während Kaneo selbst dagegen ankämpfen musste, einfach mitzumachen. Er fühlte sich hundeelend, seine Ohren schrillten immer noch von all dem Gebrüll, das er gerade erst hinter sich hatte. Er fühlte sich müde und ausgelaugt, unglücklich, hilflos, überfordert, und er wusste nicht, ob er Tooru schimpfen sollte oder trösten, oder gar nichts von beidem und ihm einfach Ruhe lassen. Ein hilfloser Blick durch ungeweinte Tränen hindurch zu Koushi hinüber zeigte ein verschwommenes, hilfloses Gesicht mit einer unglücklichen Miene, die Kaneos in nichts nachstand. Es war absolut widerlich. Zumindest machte Toorus Klammergriff die Frage überflüssig, ob er bleiben oder gehen sollte. Er würde bleiben, so lange, wie Tooru ihn brauchte, und dann würde er irgendetwas tun, um sich daran zu hindern, Dummheiten zu machen. Hajime anzurufen und anzuschreien. Oder doch lieber Tooru. Oder irgendetwas ähnlich beklopptes. War es seine Schuld? Hätte er sich gar nicht einmischen sollen? Wäre es dann besser gewesen? Hätte er sich noch mehr einmischen sollen? Er wusste es nicht.   Die Tür ging auf. Kaneo erstarrte. So gut es ging ruckte sein Kopf in die entsprechende Richtung, Hoffnung und Verzweiflung vollführten einen wilden Tanz in seinem Herzen. War Hajime zurückgekommen? Es war nicht Hajime. Weil er ahnte, dass Tooru sich vor Ushiwaka keine unnötige Blöße geben wollte, trat er behutsam einen Schritt von seinem Freund zurück. Toorus Augen waren rotgeheult, sein Gesicht klatschnass und gerötet, aber in dem Moment, in dem er den Hünen in der Tür erblickte, wurde mit einem Mal sein Ausdruck blank und gefasst. Es sah völlig unpassend aus. Überhaupt war es unpassend, dass Ushiwaka hier war. Er machte sich nicht die Mühe, näher zu kommen, sondern stand einfach da in der Tür, überlebensgroß und arrogant, sah auf Tooru hinunter in einer Art, von der Kaneo sich sicher war, dass sie seinen Freund innerlich zum Kochen brachte vor Wut. „Wir haben verloren“, verkündete er in einer trockenen, nichtssagenden Stimme. Für Kaneo wäre das vermutlich noch schlimmer als deutlicher Vorwurf. Er zog unwohl die Schultern hoch und presste die Lippen zusammen. Er fühlte sich wirklich fehl am Platz. „Es ist deine Schuld.“ „H-Hey, jetzt mach mal halblang, du Typ! Tooru ist nicht–“ – „Er ist unfähig“, unterbrach Ushiwaka eiskalt, „Wer nicht einmal auf seinen eigenen Körper aufpassen kann, hat kein Recht, ein Zuspieler in diesem Team zu sein. Er ist eindeutig nicht der Richtige für uns.“ Und damit ging er hinaus. Einfach so, ohne sich um Kaneos empörte, wütende Schreie zu kümmern, ohne sich um Toorus entsetztes Gesicht zu kümmern, ohne irgendeine Spur von Mitleid oder Fürsorge für seinen verletzten Teamkameraden. Kaneo hätte ihn am Liebsten verprügelt! Seine Sorge um Tooru hinderte ihn daran, Ushiwaka nachzulaufen, um genau das zu tun – und sein ungesunder Respekt vor dem Typen.   „Yudacchi…” Toorus Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er wirbelte wieder zu seinem Freund herum. Große, tränennasse Augen sahen ihn völlig verzweifelt an, Tränen liefen in Strömen über das sonst so hübsche Gesicht. Kaneo wollte ihn wieder in den Arm nehmen, aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass der Moment vorbei war, in dem es okay gewesen war. Aber Tooru sah so hilflos aus! Es brach ihm das Herz.   „Ich hab alles kaputt gemacht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)