Chrysalis von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 13: ------------ Yuutarou wäre bei jedem anderen fest überzeugt gewesen, dass es nur ein schlechter Witz war. Dummerweise stand hier aber Hinata vor ihm und nicht jeder andere, und obendrein hatte er selbst gut genug beobachten können, wie mies die Leistung von dem Gör gewesen war – er hatte gar keine andere Wahl, als ihm zu glauben. „Bitte!“, rief der Junge gerade zum fünften Mal. Yuutarou warf einen hilflosen Blick in Richtung Kunimi. Der blieb aber natürlich schön auf Distanz, hob nur flüchtig die Schultern, als wäre alles andere zu anstrengend. Yuutarou war sich sicher, dass er grinste. Seufzend kratzte er sich am Hinterkopf. „Na gut. Aber was auch immer du zu tun hast, du beeilst dich gefälligst, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“ Er würde ehrlich gesagt noch gern zum Training kommen. Hinata strahlte ihn an, viel zu dankbar und viel zu freudig. Yuutarou fühlte sich unangemessener Weise wie ein Superheld unter diesem Blick. Furchtbar. Schmeichelnd. Noch schlimmer. „Kunimi. Sagst du dem Captain, dass Kusachi und ich später kommen?“ Er nickte knapp. Yuutarou war sich wirklich sicher, dass er grinste. Hmpf. Grimmig führte den Chibi an seiner Seite aus dem Raum hinaus und rüber in die Küche. Er hatte noch mitbekommen, wie Kusachi sich bereit erklärt hatte, die Einkäufe zu verräumen, damit die wenigen anwesenden Mädels das nicht allein machen mussten. Als Yuutarou den Kopf zur Tür hereinsteckte, begrüßte ihn das gleiche Bild wie immer: Obwohl Kusachi rein gar nichts tat, das das rechtfertigte, wurde er von allen Seiten her geradezu verängstigt gemustert. Er seufzte schwer.   Vielleicht war er durch Kageyama einfach abgehärtet, aber Kusachi hatte ihn nie erschreckt.   „Oi! Kusachi, komm mal raus!“ Kusachi kam raus. Yuutarou versuchte, ihn nicht allzu genervt anzufunkeln, aber es war schwierig, nicht genervt zu sein, nachdem Hinata sich hinter seinem Rücken versteckte und an seinen Arm klammerte wie ein kleines Kind. Kleines Kind – die Beschreibung hatte selten besser auf den dummen Jungen gepasst als gerade in diesem Moment. „Was gibt’s?“ Yuutarou packte grob eine der klammernden Hände und zog Hinata daran wieder nach vorn. Er protestierte panisch und wehrte sich, war aber viel zu schwach, gegen seinen Griff anzukommen. „K-Kindaichi…!“ – „Du wolltest mit ihm reden, also red mit ihm, du Schisshase! Sei froh, dass ich überhaupt mitgekommen bin!!!“ Kusachi verfolgte das Theater schweigend. Er sah nicht aus, als würde es ihm viel ausmachen – eher, als wäre er resigniert. Yuutarou konnte ihm das kaum verübeln bei allem Theater, das er auf täglicher Basis mitmachen musste. Hinata stand steif neben ihm, schaffte es inzwischen immerhin, Kusachi anzusehen, aber irgendwie bekam Yuutarou das dumpfe Gefühl, dass der Junge dafür nun vor Angst erstarrt war. Großartig. „Er hat Angst vor dir“, erklärte er trocken. Er erntete dafür ein empörtes Geräusch aus Hinatas Richtung, aber immerhin sparte der Kerl sich jeden Widerspruch. Kusachi verzog kurz das Gesicht zu einer unglücklichen Grimasse. Yuutarou zuckte mit den Schultern. Es war nicht seine Schuld! Er seufzte, fügte dann noch erklärend hinzu: „Kogami.“ „Ah.“ Das Übliche, sagte Kusachis müder Blick. Er versuchte ein Lächeln, das ihn nur noch müder und älter aussehen ließ, als er tatsächlich war. „Hinata-Kun, nicht wahr?“ – „J-jawohl!!!“   Yuutarou verdrehte die Augen. Das konnte ja noch heiter werden hier. Er hatte ehrlich wenig Lust auf das ganze Theater. „Hey. Kommt mit raus?“   Es war von Vorteil, mehrere Sporthallen an einer Schule zu haben – ohne das Training zu stören, dass in der anderen Sporthalle inzwischen schon seinen Anfang nahm, konnte Yuutarou in Frieden die zweite Sporthalle blockieren. Er scheuchte Hinata und Kusachi hinein, holte aus dem Geräteraum einen Volleyball. Er warf ihn Hinata zu, der den Ball mit einem ratlosen Blick auffing. „Passübung“, erklärte er, ohne damit wirklich viel zu erklären. Kurz darauf standen sie im Dreieck zueinander und konzentrierten sich darauf, den Ball in der Luft zu halten, während sie ihn ohne jede feste Reihenfolge hin und her spielten. Ganz wie Yuutarou erwartet hatte, lenkte es Hinata ab. Es dauerte nicht lange, bis er ruhiger wurde, die zuerst noch hektischen und panischen Bewegungen und Entschuldigungsrufe abebbten und schließlich ganz verschwanden. Was das anging, war er einfach – Volleyball über alles. Er war Kageyama wirklich ähnlich… und trotzdem völlig anders. Yuutarou schüttelte den Gedanken ab. „Also, nochmal von vorne.“ Nachdem es offensichtlich kein guter Plan gewesen war, den Kern des Problems einfach anzusprechen, musste ein neuer Plan her. Yuutarou war egal, wie bescheuert es war – bescheuerte Situationen erforderten eben bescheuerte Maßnahmen. „Ich bin Kindaichi Yuutarou – und ihr?“ Seine Worte wurden mit verwirrter Stille erwidert. Hinata sah ihn einen Moment entgeistert an – der Ball, der gerade zu ihm flog, hatte beste Chancen, an ihm abzuprallen und auf dem Boden zu landen. In letzter Sekunde bemerkte er ihn noch und spielte ihn mit verblüffender Genauigkeit an Kusachi zurück. Der immerhin schien verstanden zu haben, was Yuutarou wollte. Er lächelte flüchtig. „Kusachi Mikio. Sehr erfreut!“ Hinata verstand immer noch nicht. Sein Blick blieb ratlos, aber der Volleyball schien ihn weit genug abzulenken, dass er nicht weiter darüber nachdachte und einfach mit dem Strom schwamm. „Hinata Shouyou. Mein größtes Ziel ist es, das Ass von Karasuno zu werden! Wie der kleine Gigant!“   Kein Stottern. Kein Stammeln. Keine panischen Schweißausbrüche oder Angstattacken. Das war ein guter Anfang, oder? Yuutarou seufzte erleichtert. Das bedeutete, das Theater konnte doch noch ein Ende finden. „Es passt zu dir“, kommentierte Kusachi behutsam – „Auch wenn dein Stil sehr anders ist als seiner.“ Jetzt war es vorbei mit dem Volleyballspielen. Hinata fing den Volleyball mit beiden Händen auf, überwand die Distanz zu Kusachi mit wenigen schnellen Schritten und sah aus riesigen, ungläubigen Augen zu ihm auf. Jetzt war es auch vorbei mit der Angst. Unfassbar. „Du kennst ihn?!?!?“ Wie sich herausstellte, hatte Kusachi vor Jahren einmal ein High-School-Spiel live gesehen, weil sein Bruder in der Mannschaft gewesen war, die damals Karasunos Gegner waren. Es war ein Spiel, in dem der kleine Gigant, von dem Yuutarou gerade einmal so viel gehört hatte, dass er wusste, dass er existierte, gespielt hatte, und weil ihn das Spiel des kleinen Außenangreifers fasziniert hatte, hatte Kusachi sich eben weiter damit auseinandergesetzt. Es war nichts Besonderes. Für Yuutarou war es sogar ziemlich langweilig, aber Hinata war aus der Begeisterung gar nicht mehr herauszubekommen – er plapperte am laufenden Band, über den kleinen Giganten, über Volleyball, über seinen speziellen Stil. Über Kageyama. Yuutarou würde es niemals jemandem sagen, aber der Grund, weshalb er blieb, war genau dieser. Es machte ihn gleichzeitig rasend wütend und unglaublich erleichtert, zu hören, dass es Kageyama gut ging, dass er Zugang zu seinem Team hatte und einen Partner, mit dem er tatsächlich arbeiten konnte. Wenn der sich nicht aus kindischer Angst vor einem Gegner einschiss, der nicht im Geringsten gruselig war.   Irgendwann kehrten sie bei allem Plappern zu ihrem Spiel zurück. Yuutarou hätte seine Zeit wirklich besser nutzen können, aber er bereute es trotzdem nicht wirklich. Ein bisschen mochte er Hinata ja. „Hey. Warum habt ihr eigentlich mit dem Volleyball angefangen?“ Hinatas Frage kam unerwartet. Yuutarou passte den Ball zu ihm, nutzte die Gelegenheit, um ihn anzusehen. Er grinste breit und ausgelassen, jede Angst scheinbar völlig vergessen für den Moment. „Mein Bruder“, erklärte Kusachi sanft, „Es liegt in der Familie? Ich wollte schon immer Sport machen, und weil ich immer schon groß gewesen bin, war für mich klar, ich mache etwas, wofür man diese Größe nutzen kann. Und ehrlich… Basketball war mir zu brutal!“ Er lachte verlegen. „Ehrlich?!“ Hinata schien völlig fassungslos zu sein. Dann lachte er und verkündete, dass das ja irgendwie doch passte. Und es erinnere ihn an Karasunos ehemaliges Ass Azumane. Yuutarou hatte sich nie näher mit dem Kerl beschäftigt, aber er erinnerte sich vage, dass er einiges an Getuschel über ihn gehört hatte. Kaum zu fassen, dass Hinata dem ganzen Schwachsinn trotzdem auf den Leim gegangen war. „Und du, Schalottenkopf?“ „Nenn mich nicht so, Winzling.“ – „Ich bin kein Winzling!!! Ich bin einen Zentimeter gewachsen seit dem letzten Camp!!!“ „Macht dich nicht größer.“ Er grinste, während Hinata vor sich hin zeterte. Weil er sich nicht wieder beruhigen wollte, redete ihm Yuutarou knallhart dazwischen: „Ein paar meiner Grundschulfreunde haben gespielt. Ich hab mitgemacht, weil ich nichts Besseres gewusst habe. Sie sind irgendwann wieder gegangen; ich bin geblieben.“ „Wie gut“, kommentierte Hinata völlig unbekümmert. Er grinste blöde vor sich hin, fing den Volleyball wieder auf, als er das nächste Mal bei ihm landete. Sein Lachen war beinahe blendend, und Yuutarou hatte das dringende Bedürfnis, wieder wegzusehen. „Es würde was fehlen, wenn du nicht dabei wärest!“     ***     Hinata kam zu spät zum Training. Das für sich war nicht einmal besonders schockierend, gemessen, wie sein aktueller Stand im Team war. Chikara hatte trotzdem das Gefühl, ihm würden die Augen aus dem Kopf fallen müssen, als er sah, wie der kleine Rotschopf in die Halle marschiert kam, in Begleitung von Seijohs Kindaichi und dem Narbengesicht, vor dem er solche Panik gehabt hatte. Sie unterhielten sich. Lachten miteinander. Scherzten. Kindaichi boxte Hinata gegen die Schulter, als sie sich trennten, um zu ihren Teams aufzuschließen. Er rief den beiden irgendetwas hinterher, das von Kindaichi mit einem barschen Lachen und von Kusachi mit einem Winken beantwortet wurde. Chikara hätte sicherlich wütend sein können, dass das Problem sich plötzlich so einfach löste, aber er fühlte nichts anderes als bodenlose Erleichterung. Hinata… war zurück? Wirklich? Er konnte es noch nicht so ganz fassen. Aber es sah eindeutig so aus. „Captain!“ Er klang auch wieder um einiges besser als zuvor. Entschlossen, selbstbewusst, typischer Hinata-Tonfall. Straff stand er vor Chikara, ehe er sich tief vor ihm verbeugte. „Entschuldige bitte all den Ärger, den ich gemacht habe! Gib mir eine Chance, mich noch einmal zu beweisen!“   Chikara hätte sofort zugestimmt. Hinata war ein viel zu starker Spieler, um ihn nicht anzunehmen. Und es war offensichtlich, dass seine Probleme beseitigt waren. Ganz egal, wie, oder warum, oder weshalb. Er hatte es geschafft. Und, was viel wertvoller war: Er hatte seine Probleme alleine überwunden. Es war ohne Drängen und Schubsen von außen passiert, etwas, auf das Chikara seit Beginn dieses Zoffs gehofft hatte. Es war trotzdem nicht so einfach. Chikara seufzte stumm, sah Hinata beinahe entschuldigend lächelnd an. „Das ist etwas, das du mit Kageyama klären musst. Für heute wirst du noch in Osamus Team mitspielen, Hinata. Ich möchte sehen, dass du wirklich wieder auf dem Damm bist. Wenn das funktioniert, sprich mit ihm.“ Glücklich sah er nicht aus. Sein Blick zuckte zu Kageyama hinüber, der aus frostigen Augen zu ihnen hinüberblickte. Er schluckte, presste die Lippen zusammen. Chikara an seiner Stelle hätte auch Angst vor dem unausweichlichen Gespräch, aber das Gespräch musste stattfinden, ohne jede Diskussion. Sie konnten ihr Freak-Duo nicht gebrauchen, wenn es nicht miteinander reden konnte, selbst wenn Kageyama sich wieder zur Zusammenarbeit herabließ, ohne diese Sache komplett geklärt zu haben. Für den Moment lief Hinata noch folgsam zu dem anderen Team hinüber. Osamu begrüßte ihn fröhlich, zerzauste ihm das Haar. Kinoshita suchte kurz Chikaras Blick; als er nickte, breitete sich auch auf seinem Gesicht ein Lächeln aus.   Am Ende waren sie doch alle erleichtert, dass Hinata zurück war. Und auch, wenn es nicht so aussah, Chikara war sich sicher, dass es Kageyama insgeheim genauso ging.   Es war, als hätte er nie Probleme gehabt. Hinatas Level war immer noch genauso hoch wie vor dem Seijoh-Zwischenfall, wenn nicht sogar noch deutlich gestiegen – sein Training mit Ukai Senior machte sich offensichtlich bezahlt. Vielleicht war es Einbildung, aber Chikara glaubte, dass der Junge inzwischen auch deutlich besser mit Osamus Zuspiel zurechtkam. Bisher war er immer noch ein bisschen zu sehr auf Kageyama gepolt gewesen, als dass er wirklich gut mit anderen Zuspielern gespielt hatte. Es hatte immer erzwungen gewirkt. Heute wirkte es um einiges flüssiger. Das konnte natürlich auch daran liegen, dass Chikara längst nicht mehr so direkt vor Augen hatte, wie Hinata und Kageyama harmonierten, nachdem die beiden schon seit über einem Monat nicht mehr miteinander spielten. Fast zwei Monate. Sie hatten viel Zeit vergeudet. Chikara wusste nicht, ob es die richtige Entscheidung gewesen war. Hätte er sich aktiv eingemischt, er hätte Hinatas Probleme schon nach einigen Tagen lösen können – aber der Lerneffekt wäre wohl deutlich geringer gewesen. „Chikara!“ Nishinoyas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Der kleine Kerl stand neben ihm, mit ernstem Blick auf das Spiel sehend, das Karasuno Zwei gerade gegen Fukuroudani bestritt. Es war absehbar, dass sie verlieren würden, aber es war jetzt schon genauso absehbar, dass die Niederlage nicht so vernichtend werden würde wie die des letzten Trainingscamps. „Shouyou ist besser geworden.“ Also war es keine Einbildung. Auf Nishinoyas Vogelaugen war Verlass. Der kleine Kerl lachte herzlich, Erleichterung und Freude deutlich in seiner Stimme hörbar, klopfte Chikara dann auf den Rücken. „Es ist gut. Shouyou hat gefehlt! Tobio wird sich auch freuen.“ Ein Blick zu Kageyama zeigte aber alles andere als Freude. Er war immer noch sichtlich verärgert, und er schien nur noch verärgerter zu sein, je länger er dem laufenden Spiel zusah.   Chikara fürchtete wirklich, dass es bis zur Freude noch ein langer Weg sein würde.   Aber da mussten sie durch. Als Team. „Tsukishima!“, rief er zu dem Jungen hinüber. Tsukishima sah einen Moment lang so aus, als überlegte er, den Ruf einfach zu ignorieren, dann kam er träge angelaufen, desinteressiert, mit nichtssagendem Blick. Chikara führte ihn ein Stück vom Tumult weg in eine Ecke der Halle, wo er schließlich vor dem Riesen stehenblieb und ihn offen ansah. „Du hast es gesehen, oder?“ Er nickte schweigend. „Du wirst dafür sorgen, dass er und Kageyama sich wieder vertragen.“ Jetzt wanderten Tsukishimas Augenbrauen. Ungläubig. Fast fassungslos. Chikara hingegen lächelte. Es war gewagt, aber wenn es klappte, wie er sich das vorstellte, dann war das die Gelegenheit, um noch diverse andere Baustellen in diesem Team endlich zu beseitigen. Oder zumindest ein bisschen schrumpfen zu lassen.   „Du bist schließlich für Kageyamas Sozialkompetenzen zuständig. Es ist eine perfekte Gelegenheit.“     ***     Kei fand das ganze Theater absolut lächerlich. Weil er außerdem am Abend besseres zu tun hatte, als Eheberatung für zwei Idioten zu spielen, verschob er jedes Gespräch mit Kageyama und Hinata eiskalt auf den nächsten Morgen. Er hätte es noch länger verschoben, wäre es nach ihm gegangen. „Tsukki! Du solltest mit ihm reden!“ Aber Yamaguchi hing ihm in den Ohren, seit er spitzgekriegt hatte, dass es Keis Aufgabe war, das tragische Liebespaar – pardon. Freak-Duo – wieder zu vereinen. Was auch immer Ennoshita sich dabei gedacht hatte, es konnte nichts allzu kluges sein. „Halt die Klappe, Yamaguchi.“ Yamaguchi lachte nur sanft. Er sprang von seinem Platz am Boden auf und eilte zu den Zwillingen hinüber, die neben Kageyama die einzigen waren, die gerade auch noch im Schlafraum waren. Ein kurzes Gespräch später stand auch Osamu und zog umständlich seinen Bruder auf die Beine. Die beiden trotteten in Yamaguchis Begleitung aus dem Raum, und bevor der Kerl die Tür hinter ihnen schloss, grinste er Kei unnötig breit an.   Ehrlich gesagt wusste Kei nicht einmal, wie er diesem hirnlosen Idioten irgendetwas begreiflich machen sollte. So wenig er Hinata mochte, er stand auf Ennoshitas Seite, was die Sache betraf, dass der Junge wieder ordentlich spielen sollte. Ganz persönlich betrachtet allerdings fand er, dass das Gör noch einiges mehr an Strafe verdient hatte für sein dummes Verhalten, also war es schwierig, überhaupt aufrichtig – oder unaufrichtig – Partei für ihn zu ergreifen. Und er mochte Hinata nicht. Das machte es nicht einfacher. Sozialkompetenztraining… Pff. Seufzend erhob er sich von seinem Futon, strich seine Kleidung glatt und rollte die Schlafunterlage mit geübten Handgriffen auf. Kageyama brütete immer noch in seiner Ecke, als er fertig war. Ein gutes Zeichen, dass er noch länger da sein würde. Vermutlich ging er Hinata aus dem Weg, der vorhin erst zum Frühstück gelaufen war. Leider hatte er längst wieder zu seinem munteren Selbst zurückgefunden. „Euer Majestät sollte bei Gelegenheit Ihr Bettzeug wegräumen“, säuselte er betont freundlich in Kageyamas Richtung. Er erntete einen wütenden Blick zur Antwort und die übliche geblaffte Aufforderung, dass er aufhören sollte. Was er, wie immer, natürlich nicht tat. „Man hätte glauben können, du freust dich, deinen Lieblingshofnarren zurückzuhaben. Wo ist das Problem?“ Keine Antwort. Kageyama beließ es bei einem weiteren hasserfüllten Blick, ehe er sich abrupt abwandte und aufstand. Nun, zumindest das Aufräumen erledigte er jetzt schon einmal, auch wenn das nicht Keis primäres Ziel gewesen war. Er könnte es dabei belassen. Ennoshita sagen, dass Kageyama nicht mit ihm reden wollte, dass er seine blöden Botschaften doch selbst vermitteln sollte. Er war kurz davor, es zu tun. Dumm nur, dass er zu stolz war, um einfach so hinzunehmen, dass er gegen Kageyama unterlag. Im Volleyball, okay. Da erwartete er nichts anderes. Aber außerhalb des Spielfelds stand er meilenweit über dem arroganten König.   „Aber natürlich verstehe ich, dass dein Stolz zu groß ist, um ihn runter zu schlucken“, fuhr er unbekümmert fort. Er blinzelte nicht einmal, als sich Kageyamas Gesicht zu einer wütenden Fratze verzog. „Hm?“, Kei lächelte, betont freundlich, legte den Kopf leicht schief. „Es ist doch so. Ah. Lass mich raten… hat der kleine Hofnarr ein Trauma wieder aufgeweckt, als er deine Bälle nicht mehr getroffen hat?“ Das war es – Kageyama explodierte. Er fuhr herum, packte Kei grob am Kragen, sah ihn an, als würde er ihn lieber kurz und klein schlagen. „Du hast keine Ahnung!!!“, schrie er, während der fast verzweifelt wütende Blick in seinen Augen Kei genau das Gegenteil sagte – er hatte völlig ins Schwarze getroffen. Kei konnte nicht anders als zu grinsen, während er auf Kageyama und sein wütendes Gesicht hinuntersah. Fast spöttisch sanft legte er eine Hand auf die Wange des Anderen, als würde er unsichtbare Tränen wegstreichen wollen. „Wollt Ihr euch ausweinen, mein König?“ Wollte Kageyama natürlich nicht. Der erzielte Effekt war aber auch nicht schlecht – er ließ Kei abrupt los und ging einen Schritt auf Abstand, wütend und schwer atmend. Kei war bewusst, dass er dieses Spiel noch stundenlang spielen konnte. Kageyama verspotten, provozieren, ihn gleichzeitig dazu zwingen, sich mit seinen idiotischen Problemen auseinander zu setzen und schlussendlich einzuknicken. Es klang ausgesprochen reizvoll. Gleichzeitig aber ahnte er, dass Ennoshita das gar nicht gutheißen würde, und auf großen Stress mit seinem Captain – wegen Kageyama von allen Menschen – konnte er dann auch wieder verzichten. Langsam stieß er die Luft aus, verschränkte die Arme vor der Brust. Sah Kageyama abwägend an, wartend, dass der sich wieder zumindest ansatzweise beruhigte. Es dauerte nicht lange, bis zumindest seine Atmung wieder leichter wurde und der angespannte Körper sich kaum merklich entspannte. „Was?!“   „Wenn du ihn weiter ignorierst, bist du der Böse, das ist dir bewusst, oder?“ Kageyama schnaubte unzufrieden. Ja, es war ihm offensichtlich bewusst. „Niemand ist noch auf deiner Seite. Ich gehe nicht so weit, zu spekulieren, dass sie dich ersetzen für Hinata, aber…“ Er zuckte mit den Schultern. Fakt war, dass Hinata bei all seinen (besonders charakterlichen) Schwächen inzwischen gelernt hatte, nicht nur nützlich, sondern extrem nützlich zu sein. Seine Geschwindigkeit, seine Reflexe, sein absoluter Instinkt. Kei gab es selbst nicht gern zu, aber er war einer ihrer stärksten Spieler. Dass er noch nicht den Titel Ass trug, lag vermutlich zu gut fünfzig Prozent daran, dass er einfach immer noch auf der falschen Position dafür spielte. „Kein aber“, knurrte Kageyama leise, „Es macht keinen Unterschied. Wenn ich nicht will, dass Hinata spielt, spielt Hinata auch nicht.“ „Und du glaubst, ein Team, das dich völlig zum Kotzen findet, will noch mit dir arbeiten? So viel Potential wegzuwerfen ist dumm, selbst für deine Standards.“ Auch wenn Kageyama nicht so aussah, als wollte er das einsehen, sein verstockter, fast trotziger Blick zeigte zur Genüge, dass es ihm bewusst war. Kei zuckte langsam mit den Schultern, löste die verschränkten Arme und schob die Hände in die Taschen seiner Trainingshose. „Ich hab dir alles gesagt, was ich zu sagen habe. Der Rest liegt an dir. Wenn du wieder zur Diktatur zurückkehren willst, viel Vergnügen. Wenn du zur Abwechslung mal etwas Hirn beweisen willst…“ Er zuckte noch einmal mit den Schultern. „Das ganze Team steht hinter seinem König.“   Einen langen Moment sah Kageyama ihn vollkommen entgeistert an, so als hätte Kei verkündet, dass er dringend mit ihm ausgehen wollte, dann schnaubte er und wandte sich demonstrativ ab. Kei grinste zufrieden, als er sich abwandte.   Botschaft angekommen. Jetzt konnte er sich wohl wieder aus dem idiotischen Theater rausnehmen.     ***     Es war unübersehbar, dass Shouyou überwunden hatte, was sein Problem gewesen war. Karasuno spielte wieder in ihrer üblichen Aufstellung, hatten Narita gegen Shouyou getauscht, und sie waren plötzlich so extrem viel besser, dass es Kenma die Sprache verschlug. „Waren die schon immer so stark?!“, brüllte Tora empört neben ihm. Nein. Waren sie nicht gewesen. Shouyou hatte jetzt über einen Monat nicht gespielt, aber er hatte eindeutig noch trainiert, und das nicht zu knapp. Er hatte es schon wieder geschafft, Kenma mit seinen Fähigkeiten zu überwältigen. Das war es. Ein Endboss, für den es sich zu spielen lohnte. „Wir gewinnen trotzdem“, gab er leise zurück. Noch. Karasuno waren nicht mehr gut genug aufeinander eingespielt. Es würde dauern, bis sie zu ihrem alten Rhythmus zurückfanden. Kaum auszudenken, wie überwältigend sie dann sein würden, aber bis dahin behielten sie die Oberhand. Womöglich für den Rest des Trainingscamps. Aber danach – in zwei Wochen war ein Trainingsspiel zwischen ihren Mannschaften angesetzt. Kenmas persönliche Deadline für seine Entscheidung, ob er nun bleiben würde oder nicht. Bis dahin würde Karasuno seinen Rhythmus wiedergefunden haben. Auch wenn er sich sicher war, dass es das anstrengendste Spiel werden würde, das sie dieses Jahr bisher gespielt hatten, ein Teil von ihm freute sich auf die Herausforderung. Es hatte etwas von einem Videospiel, das man nicht mehr aus der Hand legen konnte.   Vielleicht hatte Shouyou recht gehabt. Kenma war noch nicht wirklich bereit, ihm zuzustimmen, was das Volleyballspielen und seine Intensität anbelangte.   Ihr Sieg fiel weit knapper aus, als sie es vom letzten Camp gewohnt waren, aber es schien niemanden zu stören. Statt sich zu ärgern, stürzte Inuoka sich sofort auf Shouyou, packte ihn, wirbelte ihn lachend durch die Luft und verkündete der ganzen Welt, wie froh er war, dass er zurück war. „Es war langweilig ohne dich!“, erklärte er lachend, als er den Kleineren endlich wieder am Boden absetzte, „Es hat so viel gefehlt! Alles gwah und bämm war weg!“ Sie verloren sich in einem Gespräch, das niemand außer ihnen jemals verstehen würde, während Shibayama lachend zusah. Es war befremdlich, wie das ganze Team sich für ihre Gegner freute, aber gleichzeitig war es ganz nett – es vermittelte eine weit angenehmere Stimmung als Kenmas erste Volleyballerfahrungen gewesen waren. Ursprünglich hatten sie es nicht einmal in einem einzigen Team geschafft, wirklich Zusammenhalt aufzubauen, und jetzt funktionierte es teamübergreifend. Zumindest zu Teilen. Er hatte das seltsame Best-of-Team nicht vergessen.   Er war nicht der Einzige.   Fukuroudanis Shima kam auf die Idee – „Hey! Jetzt, wo wieder alles gut ist, sagt mal, wieso machen wir’s nicht nochmal? Wir müssen irgendwann Revanche gegen die Ehemaligen spielen! Zurück zu unserem Best-of-Team! Wir können das Trainingscamp ausnutzen und lernen, miteinander zu spielen. Wenn Karasuno sich zusammenraufen kann, dann können wir das alle!“ Shouyou war natürlich sofort Feuer und Flamme. Nishinoya stimmte ebenfalls sofort zu. Tora auch. Etwas anderes hätte Kenma von ihm auch gar nicht erwartet. Dass Lev viel zu begeistert war, wunderte ihn noch weniger. Trotzdem musste Kenma zugeben, dass die neue Frisur und das damit einhergehende Image es sogar fast einfacher machten, Lev und seine große Klappe zumindest in einigen Dingen ernst zu nehmen. Auch wenn er immer noch einen langen, langen Weg vor sich hatte, bis er ein Ass sein würde. Einen sehr langen. „Wir können jeden Abend eine Stunde zum Training abzwacken?“, schlug Shima grinsend vor, nachdem sich allgemein darauf geeinigt war, dass ja, sie diese Sache wieder aufleben lassen wollten. Niemand hatte etwas dagegen. „Das sollte erst einmal genügen, um zusammenzufinden. Wir spielen dann in unseren Standardteams gegen die Best-Ofs und müssen dann eben sehen, dass wir etwaige Lücken anderweitig auffüllen. Das ist dann sogar doppelt lehrreich!“ „Und wann wollen wir uns unsere Revanche holen?“, fragte Lev neugierig nach. Dass er es nur darauf abzielte, Yaku zu imponieren, war offensichtlich. Zumindest für Kenma.   „Irgendwann! Das Jahr ist doch noch lang!“     ***     „So funktioniert das  nicht.“   Mareis Worte unterbrachen das Training. Sie hatten sich nach dem regulären Training noch zusammengetan, um weiter zu üben – Blocken, Schmettern, alles, aber bisher war kaum eine Viertelstunde vergangen. Yamamoto sammelte den Volleyball ein, der ihnen gerade davonkullerte, ehe er sich mit einem missmutigen Blick nach dem Anderen umwandte. „Was soll das heißen?“ Marei hob die Augenbrauen. „Goshiki, das hier ist kein Konkurrenzkampf. Krieg deinen Wettbewerbsdrang unter Kontrolle, mit deiner Attitüde machst du es dem ganzen Team schwer. Du bist nicht das alleinige Nonplusultra, sondern einer von vielen.“ Der Angesprochene starrte Marei völlig entgeistert an. Entgeistert und ertappt. Yuutarou verkniff sich ein Grinsen, als er zusah, wie Goshiki vor Scham tomatenrot anlief, ehe er eine laute Entschuldigung bellte, die er womöglich sogar ernst meinte. (Mit Sicherheit meinte er sie ernst. Goshiki war so.) „Kindaichi.“ Prompt verging Yuutarou jedes Grinsen. „Was auch immer dein Problem mit Kageyama ist – komm drüber hinweg.“ Auf eine seltsame Art war Yuutarou erleichtert. Er hatte schlimmeres gefürchtet, eine Predigt, die tatsächlich handfester war als das. Damit, dass Marei das Offensichtliche noch einmal herausstellte, konnte er leben. Er nickte mechanisch, ohne auch nur daran zu glauben, dass er es so einfach ändern könnte. Es ging nicht. Er versuchte es doch! Trotzdem sträubte sich alles in ihm dagegen, mit Kageyama zu spielen. Ihm zu vertrauen. Das war das Problem. Er konnte und wollte Kageyama einfach nicht vertrauen.   Mareis Predigt ging weiter. Haiba, der zu viel Selbstbewusstsein und zu wenig brauchbare Technik hatte, der gefälligst lernen sollte, seine unnötige Kraft und seine mörderisch langen Gliedmaßen besser einzusetzen. Nishinoya, der seine Grenzen lernen sollte, statt übers ganze Spielfeld zu wuseln, wenn dafür kein Grund bestand – hier war außer Haiba niemand, der so schlecht in Annahmen war, dass er wirklich einen Babysitter brauchte, also sollte er nicht babysitten. Kageyama, weil er Yuutarou mied. Es war schockierend, aber ausgerechnet Hinata und Nekomas Ass waren die einzigen, die davonkamen, ohne dass Marei irgendein größeres Gemecker fand. „Ich gehe“, verkündete er, als er fertig war. „Wir machen morgen weiter, wenn ihr an euren Problemen gearbeitet habt.“ Und wenn ihr es nicht tut, trainieren wir auch nicht. Niemand hielt ihn auf. Stattdessen zerstreute sich die Gruppe bald. Nishinoya und Yamamoto verkrümelten sich mit der Verkündung, sie würden sich den anderen Spättrainierern anschließen. Goshiki stapfte ebenfalls davon. Haiba folgte, nachdem er nichts Besseres zu tun fand.   Es waren nur noch Kageyama, Hinata und er selbst in der Sporthalle.   Yuutarou wusste nicht, was er sagen sollte. Marei hatte angesprochen, was sie alle wussten, und er tat es in der Erwartung, dass sie etwas an der Situation änderten. Er wusste nicht, wie. Dass er Kageyama nicht vertraute, ließ sich nicht ändern. Dass Kageyama womöglich ein Problem mit ihm hatte, auch nicht. Wobei – nein. Vermutlich hatte er keines, weil ihm Yuutarou nicht einmal für einen vergangenen Groll wichtig genug war. Er war doch nur ein Lakai gewesen, den Kageyama weggeworfen hatte, als er unbrauchbar wurde. „Kindaichi, Kageyama!“ Ein Volleyball flog in Yuutarous Hände. Hinata grinste ihn breit an und ließ ihn für einen Moment den Groll vergessen. „Passübungen!“ Diesmal war Kageyama derjenige, dessen Gesicht in Unglauben entgleiste. Yuutarou begriff auch nicht, wieso er trotzdem mitmachte, aber er tat es, und so standen sie bald schon im Dreieck zueinander und es wurde still bis auf das beinahe rhythmische Aufprallen des Volleyballs auf ihren Unterarmen. Er war nicht Hinata. Der Volleyball löste nicht auf einmal magisch seine Blockaden und ließ ihn seine Gedanken vergessen. Etwas zu tun zu haben entspannte zwar tatsächlich in Maßen, aber es half ihm nicht darüber hinweg, dass er keine Worte und keine Gedanken für all das hier hatte. „Nee, Kageyama! Findest du nicht, dass Kindaichi echt bämm ist?“ Yuutarou zuckte zusammen. Beinahe ließ er den Volleyball fallen vor Schreck über das plötzlich aufkommende Thema. Sehr zu seiner Erleichterung schien niemand seinen Patzer zu bemerken. Hinata nahm den Ball problemlos an und spielte ihn an Kageyama weiter, dessen Blick unleserlich und nichtssagend war – und uninteressiert. „Er ist gut.“ – „Dann solltest du das nutzen, Bakageyama!“ Der Ball flog zwischen Hinata und Kageyama her, Yuutarou völlig vergessen. Es war, als müssten sie ihre Meinungsverschiedenheit unbedingt auf allen möglichen Ebenen austragen. Er war nicht traurig darum, wenn er ehrlich war; kein Teil der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein war angenehm in diesem Moment. „Kann ich nicht, du Idiot!“ – „Haaaah? Hat der große Kageyama gerade gesagt, er kann etwas nicht~?“ „Hi-na-taaaaaaaaaaaaaa…!“   Der Volleyball war vergessen, stattdessen jagte Kageyama Hinata quer durch die Sporthalle. Der Rotschopf lief lachend vor ihm davon, provozierte ihn nur noch weiter, indem er ihm noch mehr Dummheiten entgegenrief. Yuutarou konnte nur zusehen, sprachlos und nicht ganz sicher, ob er nicht halluzinierte. Das war etwas ganz neues. Er hatte Kageyama noch nie so gesehen. Er hatte ihn in klein und unschuldig und harmlos und übereifrig erlebt, hatte erlebt, wie er sich von diesem kleinen, arglosen Balg in einen arroganten, egozentrischen König verwandelt hatte, aber nie hatte er dabei erlebt, dass Kageyama so normal gewesen war. Er könnte das Bild vor seinen Augen gegen jedes andere Pärchen austauschen, und es würde sich immer noch natürlich anfühlen. Selbstverständlich. Dazugehörig. Nichts, das Kageyama je getan hatte, hatte diesen Beigeschmack von Normalität und Gewöhnlichkeit. Gerade war er kein Genie. Er war einfach nur Kageyama. Die Erkenntnis ließ Yuutarou sprachlos und verunsichert zurück. Er kannte diesen Jungen nicht. Er kannte diesen Kageyama nicht, der fluchend und zeternd durch die Sporthalle lief, einem kleinen Kobold hinterher, der ihm immer wieder entschlüpfte, wenn er ihn beinahe gepackt hatte. Zu behaupten, Kageyama hätte sich verändert, war eine drastische Untertreibung.   Wie konnte Yuutarou jemandem misstrauen, den er nicht kannte?   Kageyama bekam Hinata endlich zu fassen. Der Kleinere wand sich lachend in seinem Griff, zeterte und meckerte, konnte sich aber nicht befreien. Als sein Blick Yuutarou streifte, strahlte er plötzlich breit und hell wie die Sonne persönlich. Yuutarou schnaubte leise, gegen seinen Willen erheitert. Hinata grinste nur noch mehr. Selbst Kageyama bemerkte den Stimmungsumschwung. Er ließ den Knirps los, der sich schnell außer Reichweite brachte. Yuutarou holte tief Luft. Trat auf Kageyama zu. Vom Hinata-Jagen waren seine Wangen gerötet. Er sah fröhlich aus, wenn man ganz genau hinsah – auf den ersten Blick war sein Gesicht vertraut grimmig. Vor dem Kerl angekommen blieb Yuutarou stehen. Langsam streckte er ihm die Hand hin, versuchte, gar nicht so genau hinzusehen, als Kageyamas Blick hinunterwanderte und dann mit hochgezogenen Augenbrauen skeptisch zu ihm zurückkehrte. Das war nicht mehr der Kageyama, den er einmal gekannt hatte. Er konnte immer noch so wütend auf ihn sein, wie er wollte, aber er konnte es nicht auf diesen Jungen abstrahieren, weil – es ging nicht. Dafür hatten sie viel zu wenig miteinander gemein. Und irgendwo, zwischen allem Misstrauen, allen Vorwürfen und allem Schlechten, das er mit Kageyama verband, irgendwo hatte er immer gehofft, dass sie doch noch eine gemeinsame Basis fanden. Auch wenn es dafür eigentlich schon zu spät war – die Möglichkeit war trotzdem da. „Kindaichi Yuutarou. Auf gute Zusammenarbeit.“ Kageyamas Blick wurde nur noch skeptischer. Sein Blick senkte sich auf Yuutarous Hand, blieb sehr lange dort verharren, ehe er den Kopf wieder hob. Inzwischen war sein Ausdruck unlesbar. Yuutarou blieb beinahe das Herz stehen, als der Andere grinste.   „Kageyama Tobio. Ich erwarte, dass du dein Bestes gibst!“     ***     Keiji hatte mit dem Gedanken gespielt, sein Handy auszuschalten. Er hatte Bokuto im Vorfeld informiert, dass er die ganze Woche wegen des Trainingscamps weg sein würde; zuerst hatte er sich verständnisvoll gezeigt, aber schon am ersten Abend hatte er begonnen, zu quengeln. Er schrieb. Rief an. Jammerte und klagte: Keiji habe zu wenig Zeit, melde sich nicht oft genug, und wenn Bokuto ihn dann anrief, dann erzählte er auch nur so wenig! Aber Bokuto wollte doch wissen, was bei ihm abging, was das Team machte, wie das Training lief, ob sie stärker wurden. Keiji war einfach kein großer Geschichtenerzähler. Jeden Abend erzählte er, aber er füllte keine fünf Minuten mit den teilweise doch turbulenten Trainingsgeschichten. Ihr Best-of-Team nahm wirklich Gestalt an; es fing an, deutlich stärker zu werden, tatsächlich eine Bedrohung, und mit jedem Tag konnten sie mehr Siege verzeichnen. Die Spieler harmonierten viel besser, und angespornt von dieser Truppe fanden sich zum freien Training immer mehr bunt gemischte Gruppen zusammen. Es war etwas, das Bokuto unglaublich gut gefallen hätte. Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb Keiji nie sehr ins Detail ging. Er wollte Bokuto nicht neidisch machen mit seiner Erzählung, wollte nicht, dass er noch mehr den Eindruck gewann, dass er viel lieber beim Trainingscamp sein wollte als wo auch immer er gerade war. Aber er war dadurch zu einsilbig.   „Akaashiiii… Du erzählst mir gar nichts“, klagte Bokuto wie jeden Abend. Keiji seufzte müde. „Ich habe dir alles erzählt, Bokuto-San.“ – „Aber das war ja fast gar nichts! Akaashi, das war nicht spannend!“ Das war Keiji auch bewusst, ohne, dass Bokuto es ihm sagte. „Ich habe bald Prüfungen“, erzählte er das nächste, das ihm in den Sinn kam. Er hatte schon zu Beginn des Schuljahres klar gemacht, dass er kein Bedürfnis an Universitätsaufnahmeexamen hatte, also ließen die Lehrer ihn weitgehend in Ruhe, trotzdem war es stressig, weil er seine eigenen Ansprüche erfüllen wollte. Wenigstens musste er sich keine Sorgen darum machen, dass man ihm den Club verbieten würde. „Akaashiiii! Heißt das, du hast noch weniger Zeit?“ – „Nein. Nicht noch weniger.“ Noch weniger war gewissermaßen unmöglich. Nein, natürlich nicht, aber es wäre für Keiji emotional unmöglich. „Ich vermisse dich, Bokuto-San.“ Auf der anderen Seite der Leitung wurde es still. Keiji runzelte beunruhigt die Stirn. Er hatte nicht mit Stille gerechnet. Bokuto war von Natur aus laut. Wenn er etwas hörte, das ihm in irgendeiner Form gefiel, reagierte er laut. Wenn er etwas hörte, das ihm nicht gefiel, reagierte er laut. Es gab beinahe keine Variante, in der Bokuto nicht laut wurde. Nervosität setzte sich als schwerer Klumpen in Keijis Magen, während er darauf lauschte, dass noch irgendetwas passierte. Es schien eine schiere Ewigkeit zu dauern, bis endlich wirklich noch einmal Regung in Bokuto kam.   „Tust du nicht, Akaashi.“   Bokuto klang anders. Keiji konnte nicht einmal den Finger darauf legen, was es war. Seine Stimme klang tiefer. Unglücklich. Verletzt. Verletzt. Beinahe schockiert starrte er sein Handy an, presste es dann wieder ans Ohr, um einen hektischen Abschied zu murmeln, von dem er schon Sekunden später nicht mehr wusste, was er eigentlich gesagt hatte. Er kannte viele Facetten von Bokuto. Er kannte seine Hochs, er kannte seine Tiefs. Er kannte ihn nicht in verletzt. Nicht so. Nicht, weil Keiji Schuld war. „Geh.“ Nishiame stand vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt. Er sah streng aus, hatte die Augenbrauen zusammengezogen. Schräg hinter ihm ragte Minamishima in die Höhe. Als Keiji nicht schnell genug reagierte, schnaubte Nishiame und stampfte mit dem Fuß auf. „Akaashi Keiji! Du wirst jetzt sofort deine Sachen packen und verschwinden, oder ich jage dich eigenhändig hinaus! Na los! Du weißt doch wohl noch, wo Bokupon wohnt!“ Natürlich wusste Keiji das. Aber– Er öffnete den Mund zu einem irritierten Protest, wurde aber wieder unterbrochen. Nishiames tragisches Seufzen war so laut, dass er da gar nicht hätte drüberreden wollen. (Und insgeheim war das genau, was er gewollt hatte. Zu Bokuto gehen. Jetzt.) „Minamin!“ Minamishima gehorchte. Packte Keiji, zog ihn auf die Füße. Drückte ihm seine Tasche in die Hand, ignorierend, dass die Hälfte seiner Sachen noch hier verstreut lag. Es war prinzipiell nichts Wichtiges dabei, deshalb ließ Keiji es unkommentiert – und weil er immer noch ein wenig sprachlos war. Nishiame baute sich vor ihm auf, piekste ihm mit einem kleinen Finger in die Brust. „Du gehst jetzt. Bokupon will dich sehen, und du willst ihn sehen. Mach es dir nicht so kompliziert! Wir kommen einen Tag auch ohne dich aus! Verantwortungsbewusstsein in Ehren, aber es gibt Wichtigeres. Na los. Weg mit dir!“   Keiji wollte protestieren – abgesehen davon, dass er überhaupt nicht protestieren wollte. Seine Mundwinkel zuckten flüchtig zu einem Lächeln. „Danke.“ Als er sich umdrehte, um den Raum zu verlassen, verpasste ihm Minamishima einen sanften Stoß in den Rücken, als wollte er ihn zusätzlich antreiben.   Als würde Keiji das brauchen.     ***     „Ich bin hier, Bokuto-San.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)