Chrysalis von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Als Koushi aufwachte, viel zu früh, gemessen daran, wie unglaublich spät sie erst ins Bett gegangen waren, schien der Großteil der Anderen noch zu schlafen. Daichi schnarchte – wie immer –, aus der Richtung von Kuroos Bett hörte er auch nicht mehr als ein leises Geschnarche. Ushiwaka schlief, oder lag zumindest ganz ruhig da. Yakus Platz auf dem Sofa war hingegen leer. Leise stand Koushi auf, bemüht, weder auf knisternde Süßigkeitenverpackungen, noch auf irgendetwas anderes zu treten oder irgendetwas umzuwerfen. Umständlich staksend dauerte es so unnötig lange, bis er die kleine Küche erreichte, deren Tür penibel geschlossen war. Er trat ein, ohne zu klopfen. Ihn begrüßte der Duft von frischem Kaffee und ein müder Blick vom Küchentisch, an dem Yaku hockte, eine Tasse Kaffee bei sich stehend und einen Teller mit halbgegessenen Überresten von ihrem Mitternachtssnack vor der Nase. Er sah aus, wie Koushi sich fühlte, blass und mit dunklen Schatten unter den Augen, trotzdem lächelte er breit. „Morgen. Kaffee?“ – „Gern. Bleib sitzen, ich nehm mir selbst welchen.“ In welchem Schrankfach sich die kleine Sammlung an Kaffeetassen und Trinkgläsern befand, wusste er immerhin noch von gestern. Er ließ sich Yaku gegenüber nieder, nachdem er sich zu dem Kaffee ebenfalls einen kleinen Teil von ihrem gestrigen Essen stibitzt hatte.   „Habt ihr das Oikawa-Drama noch geklärt, während wir weg waren?“ „Mhm… so irgendwie. Wir haben lediglich rausgefunden, dass er in seinen besten Freund verliebt ist, dann hat er abgeblockt.“ Koushi zuckte bedauernd mit den Schultern. Aber hey, das war genug, damit konnte er weiterarbeiten. Er mochte Oikawa nicht gut kennen, und deshalb nicht gerade der Richtige sein, um ihm klarzumachen, was für ein Idiot er war, aber er kannte da jemanden, der wohl die nötigen Qualifikationen hatte. Nicht, dass es wirklich Koushis Angelegenheit war, theoretisch. Aber sollte er wirklich herumsitzen und nichts tun, wenn er helfen konnte? Yaku ihm gegenüber grimassierte und schüttelte den Kopf. „Klingt anstrengend.“ – „Wie war euer Ausflug eigentlich?“ – „Bokuto hat fünfmal versucht, falsch abzubiegen. Er hat die ganze Zeit den Mund nicht zubekommen und Ushiwaka mindestens zehnmal dazu aufgefordert, jetzt und sofort gegen ihn anzutreten, damit er ihm beweisen kann, wie viel besser er doch ist, und – ugh! Ich war kurz davor, beide umzubringen.“ Koushi lachte nur. Yaku funkelte ihn an, doch sein Blick wurde schnell wieder milder. „Aber Ushiwaka ist eigentlich echt keine so üble Gesellschaft.“ Wäre es nicht Yaku gewesen, Koushi hätte einen bösen Witz gemacht. Aber weil er den Jungen doch schon gut genug kannte, und weil es einfach genug war, in Yakus Gesicht zu lesen, wusste er, dass ein solcher Witz ohnehin nicht auf fruchtbaren Boden fiel.   Sie verfielen in zufriedenes Schweigen, aßen ihr Frühstück, nippten an ihrem Kaffee. Koushi mochte die friedliche Stimmung und die Ruhe. So viel Spaß er auch gehabt hatte, der Abend war so turbulent gewesen, dass er im Nachhinein ein paar ruhige Minuten wirklich sehr wertschätzen konnte. Es war eigentlich insgesamt die erste Gelegenheit, die er hatte, um wirklich zu verarbeiten, wie viel nur an diesem Samstag passiert war. Er hatte das neue Team Karasuno kennengelernt, er hatte beschlossen, dem Volleyballclub beizutreten und alle seine Zweifel einfach über Bord zu werfen. „Es war wirklich eine gute Idee“, kommentierte Yaku aus dem Nichts heraus und grinste vage, „Dieses Camp. Ich bin froh, dabei zu sein.“ Er unterbrach sich selbst mit einem Schnauben. „Auch wenn es anstrengend ist.“ – „Was Kuroo-Kun gestern angedeutet hat?“ Koushi hob die Augenbrauen, nippte an seinem Kaffee. Yaku zog eine Grimasse, als wollte er sagen erinner mich nicht daran, doch dann nickte er langsam, ehe er jedes Wort, das er hätte sagen können, selbst in einem Schluck Kaffee ertränkte. „Willst du reden?“ Kopfschütteln. Innehalten. Noch ein Kopfschütteln. Dann ein Seufzen. Koushi fand, dass es nicht schwer war, zu erraten, was gerade bei Yaku los war. Er lächelte aufmunternd, während er aufstand. Trat im Vorbeigehen zur Spüle an Yaku heran, um ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter zu legen. „Ich bin da, wenn du reden willst. Und vergiss nicht: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“ Er lachte sanft.   „Und ich gewinne jetzt hoffentlich einen Blumentopf damit, dass ich die anderen wecke und dafür sorge, dass wir pünktlich kommen!“     ***     „Wenn ihr zu spät zum Training kommt, gibt es Ärger!“, rief Takayuki lachend, während er die Zimmertür hinter sich schloss. Es war noch früh, viel zu früh, um Panik zu machen, deshalb lachte Yuuki nur leise. Dass sie überhaupt schon wach waren, statt noch zu schlafen, war Karasunos Hinata zu verdanken; nach einem lautstarken Zusammenstoß mit irgendeinem der anderen Spieler war im Grunde das gesamte Trainingscamp aufgewacht. So früh mit dem Training zu beginnen fand allerdings niemand wirklich reizvoll, und so hatten sie im Zuge des Kriegsrats beim frühen Frühstück beschlossen, die Zeit bis zum geplanten Trainingsbeginn als zusätzliche Freizeit zu nutzen. Inzwischen hatte sich das Team größtenteils zerstreut. Yuuki, Sou und Lev waren die einzigen gewesen, die nach dem Frühstück überhaupt zurück in ihren Schlafraum gekommen waren – Takayuki war nur kurz wieder hereingeplatzt, um sein Handy zu holen –, und wo die anderen sich aufhielten, wusste Yuuki überhaupt nicht so recht. Zugegeben, für den Moment reichte es ihm aber auch, dass er einen Platz hatte, um in Ruhe mit seinen Freunden zu reden, schließlich gab es viel zu besprechen, und diese Sache konnte vor allem keinen Aufschub gebrauchen. „Also, was ist schiefgelaufen?“, griff Sou den alten Gesprächsfaden wieder auf. Er stützte die Hände auf die lose übereinandergeschlagenen Beine und lehnte sich verschwörerisch vor. Sein Blick ruhte auf Lev, immerhin würde der die Frage am Ehesten beantworten können. Als Yuuki folgte, begegnete ihm aber nur ein ratloses, unwilliges Stirnrunzeln. „Er hat nein gesagt.“ – „Ja, so weit waren wir schon. Aber warum?“   Das war das Problem. Selbst Yuuki, der viel Zeit mit Yaku verbracht hatte, konnte sich nicht ausmalen, woher die rigorose Ablehnung kam. Also. Doch. Es gab natürlich eine ganz lange Liste an Möglichkeiten, angefangen bei schlicht mangelndem sexuellen Interesse am eigenen Geschlecht, und Yuuki war sehr bewusst, dass das eigentlich eine sehr realistische Möglichkeit war – aber das hätte Yaku einfach direkt sagen können, nicht wahr? „Er hat dir wirklich keinen Grund gegeben?“, hakte er noch einmal nach, obwohl er die Frage schon am Vorabend sicher fünf Mal gestellt hatte. Lev schüttelte wieder nur den Kopf, „Er hat nur gesagt, er will nicht.“ Yuukis ratloser Blick wurde von Sou geechot, genauso wie das folgende resignierende Seufzen. Es war so kompliziert! Yaku war sonst so direkt. Trotzdem sagte er nicht, was sein Problem war, und während er dazu sicher nicht verpflichtet war, war sich Yuuki eigentlich sehr sicher, dass es eigentlich Yakus Art wäre, einfach ganz klar zu sagen, was bei ihm los war. Abgesehen von– „Die Größe!“, vervollständigte Sou den halben Gedankengang mit einem triumphalen Grinsen. Als hätte er gerade eines der größten Rätsel der Weltgeschichte gelöst. Lev sah ihn groß und ungläubig an. Sah an sich hinunter. Zu Sou zurück. Wieder an sich hinunter. „Aber ich bin doch sicher groß genug für Yaku-San…“ Yuuki spürte, wie Hitze ihm ins Gesicht schoss und fast panisch unterbrach er das Gespräch mit hektischem Gefuchtel. „L-Lev!!! Nicht deshalb!“ – „Aber es geht doch immer darum, wenn man über Größe spricht!“ Sou lachte. Yuuki wollte lieber im Erdboden versinken und vergrub verlegen das Gesicht in den Händen. Vielleicht war es noch ein paar Stunden zu früh am Morgen für solche Gespräche. Aber eigentlich war es jetzt sowieso schon zu spät für den Gedanken.   „Was Sou meint – vielleicht stört ihn der Größenunterschied!“ – „Genau. Yaku-San hat doch solche Größenkomplexe! Lev, glaubst du nicht, das könnte es sein?“   Wirklich überzeugt sah Lev nicht aus. Yuuki hingegen fand die Theorie unglaublich schlüssig, immerhin sprachen sie hier von Yaku, der jeden verprügelte, der auch nur darüber nachdachte, dass er kleiner als der Durchschnitt war. Tagtäglich mit einem Kerl zusammen zu sein, der locker dreißig Zentimeter größer war, war doch auch nur eine dauerhafte Erinnerung daran, wie klein man war, oder? Ganz zu schweigen davon, dass Yuuki sich das auch logistisch nicht so praktisch vorstellte. Bekam man denn beim Küssen dann nicht einen furchtbar steifen Hals? „Aber bei dir und Inuoka geht das doch auch! Und außerdem könnte Yaku-San doch Plateauschuhe kaufen, dann sieht das schon ganz anders aus!“ „Ganz schlechte Idee“, lachte Sou herzlich, „Yaku-San bringt dich um, wenn du ihm das jemals vorschlägst! Übrigens haben Yuuki und ich nichts damit zu tun! Du bist nochmal zehn Zentimeter größer als ich, außerdem wollen wir ja auch nicht knutschen.“ Levs Augenbrauen wanderten beinahe ungläubig in die Höhe, er sah aus, als wollte er noch einmal nachhaken, ob sie sich denn ganz sicher dabei waren. Waren sie, jedenfalls war sich Yuuki sehr sicher darüber. Und darum ging es auch gerade gar nicht! „Okay! Die Größe könnte ein Argument sein, weshalb er nein gesagt hat. Aber daran können wir gerade nicht so viel ändern, huh? Haben wir noch andere Ideen, woran es liegen könnte?“  „Vielleicht–“   „–liegt’s an deiner Frisur.“   „Meine Frisur?“, wiederholte Lev verwirrt, und Yuuki blinzelte, sah zu Sou hinüber, dessen Blick genauso ratlos zu ihm gerichtet war – hast du das grad gesagt? Mit einem nicht mehr ganz männlichen Paniklaut wirbelte Yuuki herum. Die Tür war offen, und im Rahmen stand einer von Fukuroudanis Erstklässlern, der jetzt mit einem breiten, sonnigen Grinsen die Hand zum Gruß hob. „Yo! Morgen zusammen! Ich hoffe, ich stör nicht~?“ – „Also…“ Eigentlich, strenggenommen, störte er wohl ein bisschen, immerhin war das Gespräch privat! Yuuki jedenfalls würde nicht wollen, dass sein Liebesleben vor Leuten ausgebreitet wurde, die er eigentlich nicht kannte. Lev hingegen schien das gar nicht zu stören, denn die erste Verwirrung wich schon längst einem freundlichen Grinsen. „Löwenzahn-Kun! Was machst du denn hier?“ „Löwenzahn–? Hör mal, Mieze, ich hab nen Namen! Shima Takuya. Takuya reicht. Merk es dir gefälligst!“ Trotz der harschen Worte lachte er, ein lautes, dröhnendes und fröhliches Lachen, das unheimlich ansteckend war. Sou und Lev stimmten ein und auch Yuukis Mundwinkel zuckten amüsiert. Er rückte ein Stück zur Seite, um Platz auf dem Futon zu machen, den sie als Sitzgelegenheit missbrauchten, und so selbstverständlich, als hätte er schon ewig dazugehört, ließ Takuya sich auf den jetzt freien Platz plumpsen. Vielleicht störte er ja wirklich nicht.  „Krieg ich ne Vorstellungsrunde?“ „Klar! Ich bin Sou, der Riese ist Lev, und der Winzling hier ist Yuuki! Also, was führt dich zu uns?“ „Und was ist jetzt das Problem mit meiner Frisur?“   „Eins nach dem Anderen! Warum ich hier bin, darüber können wir nachher reden. Aber zu deiner Frisur – sie ist eben langweilig? Wenn du deinen Typen da beeindrucken willst, musst du schon härtere Geschütze auffahren!“ „Ich glaube nicht“, begann Yuuki vorsichtig, sehr darum bemüht, nicht zu grinsen. Sou machte sich so viel Mühe gar nicht und grinste ganz ungeniert, als er fortfuhr: „dass Yaku-San wirklich so viel Wert auf eine tolle Frisur legt!“ Man konnte wirklich nicht behaupten, dass Yaku modebewusst war. Takuya war trotzdem der Überzeugung, dass ein Versuch nicht schaden konnte – jeder Mensch ließ sich von einem beeindruckenden Äußeren mitreißen, das war doch simple Logik. Yuuki verfolgte das Gespräch schweigend, mit einer gewissen Faszination. Dass Takuya ein eitler Pfau war, das war schnell zu erraten gewesen. Dass Lev allerdings tatsächlich auch mit einem gewissen Gespür für Mode und Styling aufwarten konnte, überraschte Yuuki ungemein. Er hatte noch nie darauf geachtet. Vielleicht hatte er Lev einfach auch noch nicht oft genug in nicht-Schuluniform-oder-Trainings-Klamotten gesehen, als dass es ihm aufgefallen wäre. In jedem Fall war es unglaublich interessant, den beiden dabei zuzusehen, wie sie minutenlang über Levs Frisur diskutieren konnten und schließlich tatsächlich zu dem Ergebnis kamen, dass ja, es vielleicht gar kein so schlechter Ansatz wäre, es mit einem Frisörbesuch zu versuchen.   Es war zumindest einfacher, als den Größenunterschied ändern zu wollen.   „Nachdem das nun geklärt ist – warum bist du hier?“ Takuya grinste breit. Er stützte sich nach hinten auf seine Hände und sah gleichzeitig unglaublich stolz und unglaublich aufgeregt aus. „Ich finde, wir sollten uns bedanken. Ich meine, es ist echt ne einmalige Gelegenheit, die wir hier haben! Nicht nur, mit so vielen grundverschiedenen Teams zu spielen, sondern vor allem mit den Ehemaligen! Entsprechend – ich würde den Jungs gern irgendwie ein Dankeschön geben, das ist immerhin das Mindeste. Bloß…“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, kratzte sich am Nacken. „Mein bisheriger Plan war, dass wir eine Art Best Of aus unseren Teams zusammenstellen, um gegen die Großen zu spielen – damit sie auch mal ne Herausforderung haben! Gestern haben sie uns ja durchweg ganz schön plattgemacht. Na ja. Shiratorizawas Captain hat mich netterweise darauf hingewiesen, dass das wenig mit einem Dankeschön zu tun hat, und – jetzt hab ich keine andere Idee! Durchziehen will ich die Sache trotzdem, weil sie cool ist. Und es ist sicher spannend, zu sehen, wie viel wir gegen sie ausrichten können, wenn wirklich nur die Besten spielen, oder?“ War der Gedanke an ein Dankeschön schon großartig gewesen, so toppte die Idee absolut alles – ein Match mit ihren besten Spielern! Das war eine unglaubliche Vorstellung. Sie hatten starke Mannschaften hier versammelt, die jede für sich ernstzunehmend waren und spannende Spieler hatten. Wenn man davon die jeweils Besten nahm, dann– „Wow“, murmelte Yuuki andächtig, wandte sich mit begeistertem Blick an ihren neuen Freund, „Das wäre so cool, Takuya!“ – „Aber wie bestimmen wir das?“ Sous Frage riss Yuuki kurz aus seiner Begeisterung. Sein Freund zuckte ratlos die Schultern, „Wir haben ja keine Zeit für ein Kräftemessen oder so.“ „Wir fragen Kenma-San“, beschloss Lev mit einem sehr zufriedenen Blick, „Auch wenn natürlich klar ist, dass ich als Ass dabei sein werde.“ „Wieso fragen wir euren Captain?“ Sou klärte auf, wieso Kenma ein guter Berater wäre. Takuya nickte verstehend, dann lachte er herzlich auf. „Wir haben auch so einen! Wenn wir beide finden, erwischen wir also den Berater-Jackpot?“   Nachdem damit der Plan, Kenma oder Fukuroudanis Taktiker aufzusuchen und dort um Rat zu fragen, beschlossene Sache war, kehrten sie dazu zurück, über ein Dankeschön für die Älteren nachzudenken. Die ersten Ansätze waren eher wenig hilfreich – Grußkarten waren langweilig, Präsentkörbe zu teuer, und wenn man Süßigkeiten oder ähnliches kaufte, musste man auch noch Dinge erwischen, die die entsprechenden Leute auch aßen. Die erste Idee, die auf Anklang stieß, scheiterte daran, dass sie nicht realisierbar war. An einem Sonntag war nicht viel damit, Shirts bedrucken lassen zu wollen, ganz zu schweigen davon, dass der nächste Laden dafür vermutlich viel zu weit weg war, um noch irgendwie rentabel zu sein, denn wer wollte schon das ganze Training verpassen für ein kleines Geschenk? „Haben wir wasserfeste Stifte? Irgendwer hat doch sicher Marker dabei? Dann können wir auf den Shirts auch einfach unterschreiben!“ „Ich hab Marker“, kommentierte Yuuki. Sous Idee war gut – oder zumindest weit besser als alles, was sie bisher hervorgebracht hatten. So richtig begeisternd war sie trotzdem nicht, aber es war ein Anfang, mit dem sich sicherlich weiterarbeiten ließ. Shirts hatten einfach zu viele Nachteile! Die Farbe wusch sich sicher viel zu schnell raus, selbst wenn sie wasserfest war, außerdem waren sie sperrig, wenn man sie als Andenken wirklich irgendwo im Zimmer platzieren wollte. Und es sollte schließlich ein Geschenk sein, an dem die Älteren nachhaltig Freude haben konnten. Grundlegend war das Unterschreiben aber eine tolle Idee. Die Frage war nur, was? Keine Shirts. Taschen? Eher weniger. Trinkflaschen… wurden irgendwann ausgetauscht, und waren auch als Zimmerdeko nicht besonders toll. Vielleicht wäre es besser,  noch einmal loszulaufen und etwas zu kaufen. Verkauften Konbini denn überhaupt Dinge, auf denen sich eine Unterschriftensammlung lohnen würde? Das einzige, was Yuuki spontan einfiel, waren Instantnudeln und Getränkedosen, und beides klang nun wirklich nicht nach der geeigneten Schreibunterlage.    „Volleyball“, kommentierte Lev plötzlich, brachte ihn damit zu einem verwirrten Blinzeln. Sou machte den Mund auf, um zu widersprechen, denn sie hatten doch schon festgestellt, dass das Volleyballspielen zwar eine großartige Idee war, aber nicht wirklich als Dankesgeste taugte. Bevor er einen Ton hervorbrachte, erhellte Erkenntnis sein Gesicht im gleichen Moment, in dem auch Yuuki bewusst wurde, worum es ging. Sie tauschten einen begeisterten, grinsenden Blick.   „Lev, du bist genial!“     ***     Sie waren zu viert. Shibayama, Lev, Inuoka, und einer von Fukuroudanis Erstklässlern, der Kenma bisher vor allem dadurch aufgefallen war, dass er ein unangenehm mitreißendes Charisma hatte. Er war kein schlechter Spieler, aber sein größter Wert lag darin, dass er motivieren und mitziehen konnte. Wenn er in den nächsten Jahren noch die nötige geistige Reife lernte – aktuell war er viel zu impulsiv und gedankenlos abenteuerlustig –, konnte er in seinem dritten Jahr ein ausgesprochen guter Captain werden. Wobei in zwei Jahren fast jeder das Potential zum Captain erreichen konnte. Kenma sah nicht weiter auf, als die kleine Gruppe vor ihnen zum Stehen kam, hielt den Blick auf seine PSP gesenkt und verfolgte lieber mit voller Aufmerksamkeit das Geschehen auf dem Bildschirm. Schon bevor das Gespräch begann, war es ihm bereits unangenehm. Er war hergekommen in der Hoffnung, Ruhe zu haben und sich zurückziehen zu können, bevor es ans Training ging. Sehr zu seiner Überraschung war das eine Idee gewesen, die nicht nur er hatte. Fukuroudanis diesjähriges Ass war kaum zehn Minuten nach ihm hier aufgetaucht, hatte nur einmal kurz, schroff nachgefragt, ob er störte – Kenma hatte verneint, primär, weil er nicht wusste, was er sonst hätte sagen sollen. Sekundär, weil er von Marei zumindest so viel musste, dass er ähnlich wie Kenma selbst kein Freund von unnötigem Smalltalk war. Es war ein bisschen seltsam, schlussendlich für Kenma aber nicht wirklich störend, dass der andere genauso schweigend wie er selbst hier saß und seinen eigenen Gedanken nachhing. Jetzt im Nachhinein wünschte er sich, er wäre abgezogen und hätte sich ein besseres Versteck als die Wand an der Seite von Sporthalle Zwei gesucht, dann wäre er womöglich von dem Grüppchen verschont geblieben, dessen Anwesenheit schon versprach, dass, was auch immer da kommen würde, anstrengend würde.   „Jackpot~“, flötete der fremde Erstklässler. Er ging schwungvoll in die Hocke, sodass er in etwa auf einer Höhe mit ihnen war. Kenma sah sein Grinsen nicht, aber er hörte es, „Marei-San! Captain-San, wir haben da ne Frage!“   Keine Minute später sahen vier erwartungsvolle Augenpaare sahen zu ihnen hinüber. Shibayama sah tatsächlich so aus, als würde er den Mund halten und abwarten, aber Inuoka, Lev und der riesige Erstklässler aus Fukuroudani sahen der Reihe nach so aus, als würden sie gleich platzen, wenn niemand etwas sagte. Kenma fand die ganze Idee ermüdend und anstrengend. Ein kurzer Seitenblick zeigte ihm, dass seine zufällige Gesellschaft es wenig anders sah als er. Mareis Augenbrauen waren kaum merklich zusammengezogen, eine Mischung aus Nachdenklichkeit und Ablehnung. Er schüttelte langsam den Kopf, ehe er den Erstklässler sich gegenüber ins Auge fasste. „Es wird nicht klappen.“ Marei nahm ihm die Worte aus dem Mund. Kenmas Schultern sackten erleichtert ab. Er spürte die Blicke der Anderen auf sich, womöglich in der Hoffnung auf Widerspruch, doch mehr als ein knappes Nicken bekamen sie nicht. Es stimmte – sie hatten damit genauso wenig eine Chance wie in ihren üblichen Teams, wenn nicht sogar weniger. Sie waren nicht aufeinander eingespielt. Selbst Kenma könnte nicht ohne Probleme Zuspieler für diese fremden Spieler sein, deren Macken und Angewohnheiten er größtenteils nicht kannte. Sie waren zwar alle nicht Shouyou oder Lev, und damit nicht völlig unberechenbar, aber sie waren unbekannte Variable genug, dass es nicht funktionieren würde. Vielleicht in der zweiten Spielhälfte. Aber dann war es schon zu spät, um ernsthaft Schaden anzurichten, denn selbst dann würde es noch dauern, bis sie wirklich aufeinander eingependelt waren. Nicht einmal ein Genie wie Kageyama würde damit klarkommen. Auch ganz von seiner Persönlichkeit abgesehen, die noch weniger für so ein Spiel taugte. So viel Flexibilität besaß keiner von ihnen. Zugegeben, Kenma war sich nicht einmal sicher, dass Oikawa, der wohl mit großem Abstand der flexibelste von ihnen allen war, das wirklich erreichen könnte. Er war ein brillanter Zuspieler und hatte mit seinem zusammengewürfelten Ehemaligenteam eindeutig bewiesen, dass er ein sehr gutes Händchen dafür hatte, sich auf neue Spieler einzustellen, aber da ging mit Sicherheit noch mehr. Der Gedanke war angsteinflößend.   „Aber Kenma-San! Das klappt bestimmt! Ihr habt ja mich!“   Kenmas Augenbraue zuckte, doch er sparte es sich, Lev darauf hinzuweisen, dass er weit davon entfernt war, bei einem Best Of dabei zu sein. Lev war weit besser geworden, seit er im Team angefangen hatte, keine Frage, aber er war immer noch Lev, und Lev konnte einfach nicht besonders viel, sobald es über Schmettern und Blocken hinausging. Wäre das Schmettern die einzige Baustelle, Lev hätte sogar sehr gute Chancen darauf, einen Platz zu ergattern, aber selbst als Außenangreifer hatte man auch andere Pflichten, und gerade als Mittelblocker lag Levs eigentlicher Schwerpunkt theoretisch sowieso in einem Bereich, in dem er immer noch nicht über den Durchschnitt herausragte, wenn man einmal von seiner Größe absah. „Du taugst nicht“, kommentierte Marei trocken. „Es gibt weit bessere Mittelblocker als dich.“ Eine Sache, die prinzipiell nicht schwierig war. Shiratorizawa und Aoba Jousai hatten allgemein einen hohen Standard. Karasunos Tsukishima war inzwischen eine schier unüberwindbare Mauer geworden, und auch Fukuroudanis Vize-Captain war auch ein beeindruckender Mittelblocker. Selbstverständlich waren sie nicht für jede Teamaufstellung die allerbeste Wahl, aber jeder einzelne war deutlich besser geeignet als Lev. Es waren nicht einmal nur die herausragend guten Spieler, die besser geeignet waren.  „Shouyou taugt.“ „Kenma-San! Aber er ist so winzig!“ – „Und schnell. Er ist ein genauso guter Blocker wie du. Sogar seine Annahmen sind inzwischen passabel. Deine nicht.“   Lev sackte unglücklich in sich zusammen. Inuoka und der Erstklässler tätschelten ihm aufmunternd den Rücken, aber Kenma sah aus dem Augenwinkel, dass seine Augen eine stumme Konversation mit Shibayama führten, an deren Ende der kleine Libero schließlich nickte und dann mit einem freundlichen Lächeln zu Kenma sah.  „Hinata-Kun also. Und weiter?“ Kenma stieß langsam die Luft aus. Das hatte er so nicht gesagt. Shouyou war tauglicher als Lev, aber Shouyou für ein solches Team aufzustellen, bedeutete, dass sie im Grunde das gesamte Team um ihn herum aufstellten, um seine Schwächen auszugleichen und seine Stärken zu unterstützen. „Karasunos Chibi. Könnte funktionieren. Er sollte gegen die meisten Blocks ankommen, oder?“ Es war kein Gespräch, das Kenma führen wollte, trotzdem nickte er müde. Andererseits, ob er sich nun beteiligte oder nicht, er konnte nicht verhindern, dass sie ihren Plan in die Tat umsetzten, und er hatte noch weniger Lust, dass sie am Ende auf die Idee kamen, ihn als Zuspieler einstellen zu wollen. Er hatte tausend gute Gründe, weshalb er genau das eben nicht wollte, aber allen anderen voran war die Vorstellung, mit Shouyou spielen zu müssen, so angsteinflößend, dass Kenma nicht einmal daran denken wollte. Er konnte nicht mit Shouyou mithalten. Er wusste das. Shouyou wusste es nicht. Er würde Erwartungen haben, die Kenma nicht erfüllen konnte. Er würde enttäuscht sein. Er stieß langsam die Luft aus, sein Blick zuckte kurz hoch in vier erwartungsvoll wartende Gesichter. „Kageyama als Zuspieler.“ – „Nehmt am besten noch Karasunos Libero dazu.“   Eigentlich war es danach wirklich simpel. Es gab nicht viele Varianten eines Best-Of-Teams aus diesen Leuten, schon alleine wegen dem Aspekt Shouyou. Ihre Qualitäten und Kompetenzen waren relativ eindeutig, und nachdem ein großer Teil des Teams einfach logisch aufeinander aufbauend zustande kam, war es nicht schwer, die restlichen Lücken zu füllen. Eigentlich war es nur gar nicht simpel. Lev ließ einfach nicht locker. Als das Gespräch sich den Mittelblockern zuwandte, war er sofort zur Stelle, um sich eifrig anzubieten, obwohl er überhaupt keine gute Wahl dafür war. Sein Block war bei weitem nicht gut genug, um Shouyous nicht überragende Blockerfähigkeiten zu unterstützen. Er war riesig, aber was half das? Außerdem hatte das Team teilweise hervorragende Außenangreifer, es war nicht, als würde Lev dringend im Angriff gebraucht werden. Er würde gar nicht gebraucht werden, und es nervte Kenma, dass er nicht locker ließ. Es nervte ihn, und allein weil es ihn nervte, hatte er überhaupt keine Lust, Lev entgegenzukommen. Auch wenn es, rein objektiv betrachtet, eine gute Gelegenheit wäre, ihm und seinem Ego einen gehörigen Dämpfer zu verpassen.  „Sie brauchen idealerweise einen Ersatzspieler“, stellte er tonlos heraus. Wer würde schon Lev einwechseln, wenn er bedeutend bessere Spieler haben konnte? Wenn er das ganze Spiel über nur die Bank hüten durfte, würde ihm hoffentlich die Erleuchtung kommen, dass seine Fähigkeiten noch einen langen Weg vor sich hatten, um zu seinem Ego aufzuholen. „Soll Haiba das doch machen. Er wird eh nicht eingewechselt werden.“ Es war auf eine seltsame Art befriedigend, dass Marei Kenmas Ansicht teilte. „Das werdet ihr ja noch sehen! Natürlich werde ich eingewechselt!“   Er würde nicht eingewechselt werden. Kenma hoffte, dass es tatsächlich mit einem Lerneffekt einhergehen würde.     ***     Keijis Blick wanderte zweifelnd von dem Volleyball in Shimas Händen zu dem grinsenden Gesicht des Jungen, dann zurück auf den Volleyball. Zwischen dem Ball und der linken Hand hatte Shima einige bunte Marker eingeklemmt, deren Farben Keiji schon in den teilweise wirklich gekrakelten Unterschriften wiederfand, die auf dem Ball prangten. „Das ist Schuleigentum.“ Es war das erste, das ihm dazu einfiel. Zwei Jahre an Bokutos Seite prägten einfach, und Keiji war es inzwischen unmöglich, den Reflex zu unterdrücken, eine offensichtliche Dummheit herauszustellen, wenn er sie sah. Leider gehörte Unbeirrbarkeit zu den Dingen, die Bokuto seinem Team vererbt hatte, und Shima lachte nur völlig unbekümmert auf.  „Ach komm! Die paar Bälle fallen eh nicht auf! Und es ist für nen guten Zweck!“ Der Volleyball kam näher, drückte auffordernd gegen Keijis Brust. „Captain, bitte~!“ Es war nicht der einzige Volleyball; Shimas Begleiter – ein kleiner Haufen Katzen – trugen die anderen sechs Bälle auf den Armen. Einen für jeden Ehemaligen. Keijis Blick kehrte auf den Ball vor seiner Nase zurück. Unter den schiefen Unterschriften fand er Nishiame und Suzumeda, und selbst Kozumes ordentliche Schrift hatte sich vergleichsweise winzig zwischen zwei Unterschriften, die ihm gar nichts sagten, eingenistet. Wahrscheinlich hatten sie Kozume gezwungen. Einige der Namen waren so eng beieinander geschrieben, dass man sie nur mit Mühe auseinandersortieren konnte. Ein Volleyball hatte eben nur eine gewisse Fläche, und irgendwann war sie aufgebraucht.  „Komm schon! Jeder macht mit! Sogar die Spaßbremse aus Shiratorizawa hat unterschrieben!“ Etwas in Shimas Tonfall suggerierte, dass er es nicht ganz freiwillig getan hatte. Keiji seufzte stumm, während er sich in Gedanken selbst korrigierte. Wahrscheinlich hatten sie weit mehr als nur Kozume gezwungen.   „Bokuto-San wird es lieben!“   Das Argument zog irgendwie. Keijis Mundwinkel zuckten. Natürlich würde Bokuto es lieben. Bokuto liebte alles, was eine dumme Idee war, und diese Idee war dumm. Sie war, abgesehen davon, dass die Bälle immer noch Schuleigentum waren, wirklich liebenswert, aber sie war vor allem wirklich dumm. So ein bunt beschriebener Ball würde sich gut in Bokutos winziger Bude machen.    (Natürlich hatte er ausziehen müssen – „Das macht jeder nach der High School, hey hey hey!“ Keiji war sich immer noch sehr sicher, dass jeder de facto eigentlich nur Kuroo bedeutete, aber für Bokuto war das doch ohnehin einerlei.)   Mit einem stummen Seufzen nahm er den Ball an sich, packte einen der Marker aus Shimas Hand, ohne auf die Farbe zu achten, und warf dem Jungen einen strengen Blick zu.  „Wenn das Fehlen der Bälle auffällt, wirst du dafür aufkommen, neue zu besorgen.“ Volleybälle waren nicht billig. Keiji hatte keine Zweifel daran, dass Shima das nicht alleine stemmen könnte, aber das war überhaupt nicht sein Problem. Den ganzen Plan jetzt noch aufzuhalten war auch unmöglich, immerhin waren die Bälle längst beschmiert, also konnte er Bokuto wohl trotzdem diese Freude machen. Shimas Grinsen erblasste für einen Moment, aber dann war es schon wieder an seinem Platz. Unbeirrbar. „Keine Panik!“, verkündete er selbstüberzeugt, warf sich in die Brust, „Das fällt nicht auf! Und wenn doch, dann hängen wir sowieso alle drin!“ Keiji sparte sich den Widerspruch. Shima würde es merken, wenn es wirklich so weit kam. Er unterschrieb auf dem Ball, reichte ihn dann zurück. Unterschrieb auf dem nächsten. Und dann den anderen fünfen, bis Shima und Anhang schließlich wieder zufrieden abzogen, um die ein oder zwei noch fehlenden Unterschriften zu finden.   Er hoffte nur, dass der Ärger, den sie sich da mit ihrem Direktor anlachten, sich auch wirklich lohnen würde.     ***     In der Sporthalle herrschte eine solche Hektik, als wären sie mitten in einen Hurrikan geraten. Morisuke hatte erwartet, dass die Jungs schon trainierten, schlicht, weil sie doch ein paar Minuten zu spät waren, aber statt zu trainieren, standen alle fünf Teams eng aneinander gedrängt beieinander und die daraus resultierende Diskussion war so laut, dass Morisuke das unbestimmte Stimmengewirr durch die ganze Halle echon hörte. „Yooo, wir sind da!“, rief Kuroo in die lärmende Meute. Wie von der Tarantel gestochen stob die Gruppe auseinander. Hier und da wurden Blicke getauscht, Morisuke sah grinsende Gesichter, die seltsam unheilverkündend aussahen. Sie hatten irgendetwas geplant. Er wollte gar nicht erst wissen, was es war. Aber hatte er eine Wahl? Wahrscheinlich war es sogar besser, es einfach schnell hinter sich zu bringen, auf dass er sich nach einem kurzen Moment des Aufregens wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren konnte. Seufzend stapfte er näher zu den Jüngeren, stemmte die Hände in die Hüften. „Okay. Was habt ihr geplant?“ „Das ist eine Überraschung!“, rief Lev sofort aus. Er grinste, breit und penetrant und viel zu glücklich. Morisuke runzelte unwillig die Stirn, während er in das dümmlich grinsende Gesicht sah. Er verstand nicht, wie Lev so gute Laune habe konnte, bedenkend, was gestern zwischen ihnen vorgefallen war. Aber Lev schien überhaupt nicht mehr daran zu knabbern. War es ihm egal, oder lag es einfach nur an seinem grenzdebilen Optimismus? Morisuke wollte es gar nicht wissen. „Also. Zumindest ein Teil ist eine Überraschung! Den anderen können wir euch sofort zeigen. Takuya! Shibayama! Inuoka!“   Aufgescheucht von Lev eilten die benannten drei Jungs davon, rüber in den Geräteraum. Als sie nach wenigen Sekunden wiederkamen, trugen alle drei Volleybälle auf den Armen – Shibayama und Inuoka jeweils zwei, und der riesige Fukuroudani-Erstklässler, der bei ihnen war, hatte drei auf seinen Armen aufgetürmt. Lev nahm ihm einen der Bälle ab, nachdem sie wieder herangekommen waren. „Hey, kommt rüber!“, rief der Erstklässler zum Rest der Gruppe nach hinten. Aus dem Pulk lösten sich nach einem kurzen Moment drei Gestalten. Karasunos Yamaguchi, Aoba Jousais grimmig guckender Mittelblocker mit der unvorteilhaften Kopfform, und Shiratorizawas pottschnittiger Außenangreifer gesellten sich zu Levs Grüppchen, jeder von ihnen bekam einen Ball in die Hände gedrückt. Dann standen sie da. Alle sieben aufgereiht, Volleyball in den Händen und Grinsen im Gesicht. In ihren Blicken spielte sich zu gleichen Teilen Glück und Freude wie beinahe melancholische Sentimentalität. Es erinnerte Morisuke an seinen Schulabschluss. An den letzten Tag, den er auf der Nekoma High School verbracht hatte, mit seinem alten Team, mit den Gesichtern, die ihm über bis zu drei Jahre viel zu vertraut geworden waren. Das letzte Mal, dass er Kuroo in der Mittagspause Papierknäuel an den Kopf werfen konnte, weil er zu nervig laut lachte. Das letzte Mal, dass sie sich nach der Schule trennten, um den Heimweg anzutreten, die altgewohnte Begrüßung von „Bis Morgen!“ plötzlich nur noch ein unbestimmtes „Man sieht sich!“ – es schnürte ihm die Kehle zu, auch wenn er sich strikt weigerte, das zu zeigen. Shibayama räusperte sich, und der Laut riss Morisuke aus seinen Gedanken. Sein Nachfolger sah aus, als wollte er gleich in Tränen ausbrechen, aber er schlug sich wacker, lächelte über die feuchten Augen hinweg. Holte noch einmal tief Luft.   „Wir wollen danke sagen“, begann er, seine Stimme zitterte und brach zum Ende des Satzes hin. Er lachte, als wollte er damit verstecken, wie kurz vorm Weinen er stand. Inuoka klopfte ihm mitleidig auf die Schulter, dann fuhr er fort, wo sein kleiner Freund aufgehört hatte: „Es war übrigens Takuyas Idee! Die wir alle sehr gut fanden. Weil. Wir wollen euch auch irgendetwas mitgeben.“ „Ihr habt uns schließlich wahnsinnig viel mitgegeben.“ Yamaguchi grinste hilflos, zog die Nase kraus, hob die Schultern – „Ich meine – die letzten Jahre. Und klar, ihr seid jetzt– ihr seid kein Teil des Teams mehr. Aber–“ – „Es bleibt so viel zurück! Wir könnten Ushijima-San niemals vergessen!“ Yamaguchi schien erleichtert zu sein, dass jemand ihm den Gesprächsfaden abgenommen hatte. Er lächelte scheu zum Pottschnitt hinüber, der entgegen seiner bisher eher arrogant-aggressiven Haltung ein überraschend freundliches Lächeln zustande bringen konnte. Nach einem kurzen Blickkontakt mit Yamaguchi wandte er sich um, hob auffordernd die Augenbrauen in Richtung des Seijoh-Spielers, der hier stand. Morisuke fragte sich unwillkürlich, ob sie ihre kleine Rede vorher geübt hatten, oder tatsächlich gerade improvisierten. „Und dann das Trainingscamp hier! Ihr hättet keinerlei Verpflichtung mehr gehabt, euch irgendwie um uns zu kümmern, und trotzdem habt ihr das aufgezogen, und uns damit unglaubliche Trainingsmöglichkeiten beschert.“ „Wofür wir uns auch bedanken wollen“, fügte Fukuroudanis Erstklässler hinzu. Er grinste breit, seine Augen funkelten auf eine Art, die in Yaku den Eindruck erweckte, dass er diesem Jungen niemals länger hätte böse sein können, wäre er Teil seines Teams gewesen. „Für das Trainingscamp. Für die Zeit, die ihr unsere Teams bereichert habt. Die Zeit, in der ihr Senpai wart, die uns an die Hand genommen und geführt haben. Dafür, dass ihr jetzt hier steht, und immer noch ein Teil unseres Lebens seid, obwohl ihr dazu keine Verpflichtung habt. Dafür, dass eure jeweiligen Teams wichtig genug sind, um heute noch einmal hier zu stehen.“ Er warf einen Blick aus feuchten Augen zu seinen Kameraden hinüber. Jeder einzelne antwortete mit einem Nicken. Sie waren nicht ganz synchron, aber eindeutig abgesprochen, als sie sich in Bewegung setzten und jeder einzelne mit seinem Volleyball in den Händen loslief, auf einen der Ehemaligen zu. Es wunderte Morisuke nicht einmal, dass es Lev war, der schließlich vor ihm zum Stehen kam – nur der Blick des Riesen, ungewohnt sanft, kein arrogant selbstüberzeugtes Grinsen auf den Lippen, verunsicherte ihn. „Deshalb“, begann Lev, streckte ihm den Ball entgegen, den er hielt. Morisuke sah irritiert zur Seite, und auch dort schienen die Bälle allesamt auf eine Übergabe aus zu sein. Zögernd nahm er den Ball an, brachte Lev damit, breit und glücklich – nicht nervig! – zu grinsen. „Danke.“ Leise, für Lev-Verhältnisse. Morisukes Magen machte einen kleinen, unangenehmen Salto, den er nie wieder erleben wollte. Dann trat Lev wieder einige Schritte zurück, zusammen mit seinen Kollegen. Sie ergaben keine saubere Reihe, und das unruhige Gewusel hinter ihnen sah sowieso chaotisch aus. Trotzdem schafften sie es ohne ein näher sichtbares Signal, sich synchron zu verbeugen – selbst Kenma machte mit ungewohnt viel Einsatzbereitschaft mit. Ihre Stimmen halten als bunter Chor von den Wänden wider:   „Vielen Dank für alles!“     ***     Im Nachhinein bestritt Tetsurou es natürlich, aber die kleine, seltsame Dankesrede der Kleinen hatte ihm Tränen in die Augen getrieben. Nicht nur ihm, letztlich – Yaku und Suga hatten beide geheult, Sawamura war nicht weit davon entfernt gewesen, die Männlichkeit seiner Tränen gegen ein dramatisches Schluchzen auszutauschen, und Bokuto hatte sowieso geheult wie ein Schlosshund, warum auch nicht? Es war Bokuto, so etwas wie Scham kannte er nicht. Oikawa hatte auch Tränen in den Augen, hatte das Gesicht idiotisch verzogen, als könnte er die Tränen damit bekämpfen. Es war sicher Wunschdenken; Tetsurou beharrte trotzdem darauf, dass auch Ushiwakas Blick feucht geglänzt hatte. Kaum merklich, aber doch. Am Ende vergeudeten sie beinahe eine halbe Stunde damit, sich über ihre Geschenke zu freuen. Volleybälle. Unterschrieben. Einige Namen waren so klein aneinander geknubbelt, einige Sauklauen so unleserlich, dass Tetsurou nicht einmal die Hälfte von ihnen entziffern konnte, aber – war das denn wichtig? Das war eindeutig eine Geste, bei der der Gedanke mehr zählte als die Ausführung, und der Ball bekam definitiv einen Ehrenplatz in seiner Wohnung! Wo auch immer. Eingeklemmt ins DVD-Regal zwischen DVDs und Regaldecke wäre ein guter Platz. „…! Bro!“ Bokutos Ausruf kam jäh und unerwartet. Gerade war er noch damit beschäftigt gewesen, seinen Ball zu bewundern, und jetzt sah er Tetsurou an, als wäre ihm gerade der Sinn des Lebens klargeworden. (Wobei, wenn man Bokuto fragte, der Sinn des Lebens simpel Volleyball war, das konnte es im Grunde also gar nicht sein.) „Die müssen auch Autogramme von uns kriegen!!! Das ist doch voll lahm, wenn wir jetzt nicht auch alle Autogramme geben!“ Autogramme. Tetsurous Augen leuchteten auf. „Bro, du hast Recht!“ – „Bokkun, das ist eine geniale Idee!“   Es dauerte viel zu lange, bis Griesgram Yaku und Spaßbremse Ushiwaka überzeugt waren und Shibayama seine Marker angeschleppt hatte. Dann wurde es chaotisch. Sich in Reih und Glied aufzustellen, wäre zu langweilig, und irgendwie systematisch mit dem Unterschreiben vorzugehen ebenfalls: Sie huschten völlig kopflos durch die ganze Halle, immer auf der Suche nach einem Shirt, auf dem sie noch nicht unterschrieben hatten. Im Vorbeilaufen entdeckte Tetsurou so einiges, das interessant war. Persönliche Widmungen. Sei ein liebes Hündchen~ hatte Oikawa aus das Shirt von Seijohs Vize-Captain geschrieben. Mach Asahi stolz waren Sugas Grüße an Karasunos Libero. Sawamura hatte nicht gerade ordentlich darunter gekritzelt Aber nicht zu sehr, sonst heult er wieder! Tetsurou brauchte viel länger als nötig, um von Shirt zu Shirt zu kommen, einfach, weil er die kleinen Botschaften, die teilweise darauf prangten, mochte und lesen wollte. Du bist ein guter Captain, schrieb er auf Kenmas Shirt, neben Yakus ordentlicher Mahnung Lass dich von den Nervensägen nicht unterkriegen!! Jedes Shirt erzählte seine eigene kleine Geschichte. Sehr zu Tetsurous Erstaunen schaffte sogar Ushiwaka persönliche Widmungen. Weiter so, sagte die kurze Notiz auf dem Shirt des Pottschnitts, während Shiratorizawas Captain die kryptische Nachricht vergiss dein Versprechen nicht erhielt. Bokutos Nachrichten waren die Besten. Ich mag deine Haare, hey hey hey!!! hatte er auf das Shirt des neuen Fukuroudani-Riesen geschrieben. Du trittst in große Fußstapfen, aber du schaffst das! Auch wenn deine Füße klein sind prangte in unordentlicher Krakelschrift auf Mareis Shirt, und auf dem Shirt eines anderen Fukuroudani-Erstklässlers stand Du siehst aus wie ein Kind von mir und Akaashi, also musst du cool sein! Manchmal hinterließ er nicht mehr als ein simples Hey hey hey!!!, während Karasunos Chibi sogar eine persönliche Widmung bekam – für meinen größten Fan. Akaashis Shirt war mit dem wenig subtilen für den schönsten Zuspieler überhaupt beschrieben. Am besten war eigentlich Levs Shirt, fand Tetsurou. Mach Yakkun klar! Er lachte, während er die anderen Unterschriften überflog. Yaku hatte bereits unterschrieben, auf Levs Rücken. Du bist noch mehr als ein Jahr zu früh, um Ass zu sein. Was die meisten als Beleidigung lesen würden, war für Tetsurou ein klarer Zuspruch – Lev mochte noch zu früh sein, aber er war nicht unfähig, und er konnte diesen Punkt erreichen, selbst in Yakus Augen. Tetsurou schmierte sein eigenes Autogramm auf das Shirt, zusammen mit der Mahnung, dass Lev gefälligst Kenma nicht zu sehr ärgern sollte, dann trat er wieder von dem Riesen zurück und machte sich auf die Suche nach den restlichen Shirts, die ihm noch entkommen waren.   Sie hatten mit dem Training noch nicht einmal begonnen, als Tetsurou mit einem entsetzten Blick auf die Uhr feststellte, dass er schon seit zehn Minuten weg gewesen sein wollte. Kaum zu fassen, dass sie gerade erst Shibayama seine Marker zurückgegeben hatten, nachdem sie fertig mit der Unterschriftenaktion geworden waren. „Hey, Jungs!“, rief er in den Raum hinein. Eine Unzahl an neugierigen Augenpaaren richtete sich auf ihn. „Sorry, aber ich muss los! Ich hab heut noch nen Termin.“ – „Eeeeeh?! Kuroo-San, das geht nicht!“ Inuoka machte einen hektischen Satz auf ihn zu, so als wollte er Tetsurou im Zweifelsfall einfach festhalten. Es war ihm aber zugegeben egal, ob das ging oder nicht – er musste eben weg. Er wollte ja auch nicht! Aber Wettschulden waren Ehrenschulden, und vor allem würde er es ewig bereuen, wenn er seinem Unwillen nachgab und es schleifen ließ. Diese miese Schlange war ein nachtragender Bastard, und Tetsurou hatte keine Lust, noch bei seiner Grabesrede davon zu hören, was für ein schlechter Verlierer er doch war. „Es geht wirklich nicht!“, bestätigte jetzt auch Lev mit einem wilden Nicken, „Wir müssen doch noch gegen euch spielen?“ „Wir?“ Aber wenn es nur ein Spiel war… Tetsurou presste die Lippen zusammen, nachdenklich. Er konnte einfach Bescheid geben, dass er später kam. Vielleicht. Nicht hier zu bleiben wäre auch kein großer Verlust für das Ehemaligenteam, immerhin wären sie immer noch spielfähig zu sechst. Und so eine große Herausforderung waren ihre alten Teams nun einfach wirklich nicht.   Scheinbar war das aber auch gar nicht, was geplant war. Skeptisch beobachtete er, wie unter Levs Wink wieder ein paar Gesichter aus dem allgemeinen Pulk hervortraten. Kageyama. Nishinoya. Chibi-Chan. Der grimmige Mittelblocker von Seijoh, der eben schon an der Dankesrede beteiligt gewesen war. Pottschnitt. Marei. Yamamoto. Auf den ersten Blick eine idiotische Mischung – auf den zweiten Blick ein verblüffend gut funktionierendes Team. Tetsurou grinste. Kenma wich seinem Blick ganz bewusst aus, mehr als sonst, und das allein war für ihn Beweis genug dafür, dass der Pudding in der Planung drinsteckte. „Nicht schlecht“, murmelte Oikawa amüsiert, doch in seinen Augen lag ein kalter, gefährlicher Glanz, von dem Tetsurou schon glatt verdrängt hatte, dass der Kerl dazu fähig war. Ihm war der Oikawa, der morgens aus dem Bett fiel und aussah wie ein explodiertes Vogelnest, irgendwie vertrauter geworden als der charismatische, dezent unfreundliche Volleyballspieler. Tetsurou stieß ein leises Seufzen aus. Verschieben also. Es war ja nicht so wichtig. Aus der Gruppe trat Kageyama hervor, entschlossen, die Schultern gestrafft. Sein Blick glitt zu Oikawa hinüber, als er sprach:   „Wir fordern euch heraus!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)