Are you ready!? von Cirque_des_Reves ================================================================================ Kapitel 1: First steps ---------------------- Iku seufzte. Es war das siebte Mal innerhalb der letzten fünf Minuten, dass er seufzte. Vielleicht war er doch zu voreilig darin gewesen, Pünktlichkeit zuzusagen. Eine Idee hatte er, aber – ja. Eben nur eine Idee. Wie sollte er ein Videotagebuch über die Eigenheiten der japanischen Kultur filmen, wenn ihm kaum etwas einfiel? Das Blatt Papier vor seiner Nase war immer noch viel zu leer. Sein Brainstorming funktionierte einfach nicht! Abgesehen von dem großen Japan in der Mitte des Blattes stand beinahe nichts darauf. Essen hatte er notiert. Logisch. Japanisches Essen war relativ eigen, das wusste Iku zumindest grob. Das war doch in jedem Land so. Wie Italien mit Pizza und Pasta, oder die USA mit Burgern und Hotdogs. Oder Deutschland! Er hatte mal eines dieser kleinen Oktoberfeste in Tokyo besucht, da hatte es auch ganz schön seltsames Essen gegeben. Für Iku seltsam. Für ihre internationalen Fans mochten Sushi und Miso-Suppe genauso eigenartig sein, also war das ein guter Anfang, nicht wahr? Dummerweise hatte er selbst vom Essen wenig Ahnung. Seine Freunde einzubinden war doch aber auch keine schlechte Idee. Also hatte er vom Essen aus zwei kleine Strichchen gemacht und Yoru-San und Aoi-San dazu notiert. Das notierte Kabuki-Theater hatte er bald wieder durchgestrichen, weil er einfach doch nicht genug Zugang dazu hatte – und auch niemanden, der es ihm erklären konnte. Er seufzte noch einmal, warf noch einen Blick auf die Uhr. Bald war Mitternacht, und Mitternacht würde den Punkt markieren, an dem ihm nur noch zwei Tage blieben, um sein Konzept so weit auszuarbeiten, dass er seine Freunde um Hilfe bitten konnte, um sie dann hoffentlich wirklich fest einzuplanen und alles an Kurotsuki zu übergeben. Natürlich könnte er es auch alles alleine machen, aber wäre das nicht traurig? Sie gehörten immerhin zusammen! Das sollten ihre ausländischen Fans auch sehen können. „Ikkun.“   Ruis leise Stimme ließ Iku von seinem viel zu leeren Papier aufsehen. Er lächelte, als er den Jungen im Türrahmen entdeckte, Yamato auf dem Arm und schon in Schlafsachen gehüllt. Wunderte ihn nicht, es war spät. Eigentlich hätte Rui längst im Bett sein sollen, wenn es danach ging – er würde morgen früh quasi unweckbar sein. Iku wünschte Kai sehr, sehr viel Spaß damit… „Was machst du so spät noch?“ – „Sollte ich das nicht dich fragen? Du gehst sonst immer früher ins Bett.“ Rui blinzelte. Er tappte leise zu Iku hinüber, ließ sich neben ihm aufs Sofa sinken. Kurz glitt sein Blick zu Ikus Notizzettel, dann konzentrierte er sich darauf, den schwarzen Kater auf seinem Schoß hinter den Ohren zu kraulen. „Hab die Zeit vergessen. Arbeitest du noch an deinem Projekt, Ikkun?“ – „Mhm. Ich hab ja schon nen Plan, aber… Irgendwie fällt mir zu wenig ein!“ Er lachte hilflos, kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Hast du schon Ideen, Rui?“ Die Antwort war ein Kopfschütteln. Es war ja auch nicht nötig – Rui hatte noch viel Zeit, bevor er sich Gedanken um sein Projekt machen musste. Gerade beneidete Iku ihn fast. Aber auch nur fast! Er war eigentlich verdammt stolz, dass er das ganze Projekt beginnen durfte, und er war fest entschlossen, einen guten Eindruck zu hinterlassen! „Wenn dir nichts einfällst, solltest du Kai fragen, Ikkun.“ Die Idee war Iku auch gekommen. Kai war eine gute Anlaufstelle für alles. Aber dieses Mal… Er seufzte, schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist mein Projekt! Ich meine, ich schätze Kai-Sans Hilfe, aber… das wäre ganz schön lahm, wenn ich erst so große Töne spucke und dann bei der ersten Hürde nicht mehr alleine weiterlaufen kann, oder?“ Rui legte den Kopf schief. Er sah doch wieder auf das Papier hinunter.   „Was machst du denn eigentlich, Ikkun?“ „Meine Idee ist ein Videotagebuch. Ich wollte den Fans im Ausland Dinge zeigen, die typisch japanisch sind, und interessant genug, dass sie Spaß machen. Und wenn es etwas ist, wo mir einer der anderen helfen kann, ist es umso besser. Wie das Essen eben.“ Er tippte auf entsprechende Notiz. „Oder – keine Ahnung. You und die Temp–“ Mit einem herzlichen Lachen schlug er sich gegen den Kopf. Natürlich! Die Tempel! Das war eindeutig etwas typisch Japanisches, und es war interessant, nicht nur kulturell, sondern auch, um Playboy You mal von einer anderen Seite zu sehen! Das würde den Fans doch sicher gefallen. Dass ihm das nicht früher eingefallen war, war wirklich peinlich. Sofort wurde die Idee notiert und Iku grinste Rui zufrieden an. Auf dem Gesicht seines Partners lag ein kleines, sanftes Lächeln. Er lehnte sich vor, um nach dem Kugelschreiber zu greifen, den Iku wieder auf dem Tisch hatte liegen lassen. In seiner ungewöhnlichen Handschrift notierte er erst Geister & Dämonen, und machte von dem Notizpunkt aus dann einen kleinen Strich, hinter den er Shun schrieb. Er sah zu Iku auf, groß und wie zumeist eher nichtssagend, aber sein Blick war warm und freundlich, wenn man genau hinsah. „Kai sagt, es ist okay, wenn man nicht alleine weiterlaufen kann. Wichtig ist nur, dass man trotzdem weiterläuft.“   Vielleicht hatte Kai Recht. Iku hatte trotzdem nicht vor, sich allzu sehr auf anderer Leute Hilfe zu verlassen. Diesmal nicht. „Wie kommst du eigentlich drauf?“, wechselte er lieber das Thema, tippte auf Ruis Notiz. Neben Ikus absolut langweiliger Ottonormalhandschrift wirkte Ruis eigener Stil gleich noch ungewöhnlicher. Es war faszinierend. „Hab letztens mit Shun drüber geredet. Er weiß viel.“ Etwas, das Iku sich lebhaft vorstellen konnte. Zu lebhaft vielleicht. Ob es den Fans wirklich gefallen würde, gruselige Spukgeschichten von ihrem Lieblingsdämonenkönig zu hören? Andererseits waren Horrorfilme und Gruselattraktionen doch nicht umsonst so beliebt, also warum nicht? Es klang eigentlich sogar richtig lustig! Iku hoffte trotzdem, dass Shun sich ein bisschen zurückhielt, man musste doch niemanden verstören. Ruis Gähnen unterbrach seinen Gedanken. Er lächelte sanft zu ihm hinüber, beobachtend, wie Rui sich verschlafen die Augen rieb. „Du solltest ins Bett gehen, Rui. Du musst morgen doch auch wieder früh aufstehen.“ Rui zog die Nase kraus, sichtlich unzufrieden damit. Es war kein Geheimnis, dass er ungern früh aufstand, und nachdem es jetzt schon wirklich spät war glaubte Iku nicht, dass er auch nur ansatzweise gut aus dem Bett kommen würde. Der arme Kerl. „Aber Ikkun. Schaffst du das denn jetzt alleine?“ – „Hmhm. Mach dir keine Sorgen, Rui! Na komm. Geh schlafen. Ich schaffe das schon, versprochen! Kannazuki Iku steht schließlich zu seinen Zusagen!“ „Okay.“ Manchmal war es so einfach. Zumindest mit Rui.   Iku wünschte ihm  noch eine gute Nacht, ehe Rui sich endgültig verabschiedete, dann lehnte er sich seufzend auf dem Sofa zurück und schloss für einen Moment die Augen. Müdigkeit zupfte an seinem Bewusstsein und er merkte, wie seine Gedanken einfach willkürlich abdrifteten, ohne dass er etwas dagegen tun konnte oder wollte. Einfach schlafen klang gerade unglaublich attraktiv… Und eigentlich hatte er auch nicht wirklich mehr Ideen. Mit einem müden Blinzeln zwang Iku sich, die Augen doch wieder zu öffnen, sah auf sein Papier hinunter. Essen. Folklore, denn darunter konnte man Shun und seine Geister und Dämonen wohl recht gut zusammenfassen. Tempelkultur. Es würde reichen, um ein solide langes Videotagebuch auf die Beine zu stellen, nicht wahr? Wo er es so betrachtete, fühlte es sich irgendwie altmodisch an. Nicht das Essen – aber der Rest. Wie war das denn außerhalb von Japan? Für Tempel und Folklore interessierte sich hier doch eigentlich nicht unbedingt ein Großteil der Jugend. Und ihre Fans waren eben größtenteils genau das: Jugendliche. Ob das nicht eher ein seltsames Licht auf sie warf, wenn sie dann nur mit solchen altmodischen Geschichten aufwarten konnten? Also klar, Männer, die kochen konnten, waren attraktiv, sagte man, aber der Rest könnte ihnen womöglich ein etwas altbackenes Image bescheren. Kontraproduktiv. Iku seufzte noch einmal – inzwischen hatte er aus den Augen verloren, wie oft – und schüttelte entschieden den Kopf. Nein! Das konnte er nicht zulassen. Er brauchte noch etwas, um das auszupendeln. Er hoffte nur, ihm fiel überhaupt noch etwas ein.   Irgendwie war es faszinierend schwierig, als Japaner etwas zu finden, das typisch japanisch war – und gleichzeitig untypisch genug für den Rest der Welt, um interessant zu sein.     ***     Am Morgen war ihm immer noch keine Erleuchtung gekommen. Inzwischen hatte er das Seufzen aufgegeben, hockte am Frühstückstisch und knabberte an einem Toast herum, den Kai ihm zugeschoben hatte, kaum, dass er hereingekommen war. Abwesend sah er zu, wie der Ältere Kaffee kochte. So müde, wie Iku sich gerade nach einer Nacht mit viel zu wenig Schlaf fühlte, war der Anblick seltsam erbaulich. Obwohl er schlussendlich dann doch recht bald vor dem Brainstorming kapituliert hatte, hatte er nicht einschlafen können. Viel zu sehr war er beschäftigt damit, wieder und wieder seine Ideen durchzugehen und zu überlegen, ob er nicht doch noch etwas fand, das dem ganzen einen frischeren Anstrich verpassen konnte. Ihm war kein neuer Einfall gekommen. Irgendwann war er einfach nur vor Erschöpfung eingeschlafen, und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er bereut, dass sein Wecker immer sehr früh klingelte. Er hätte ihn noch einmal umstellen sollen. Es war nicht, als hätte er so frühe Termine heute. Jetzt war es dafür aber sowieso zu spät und er würde den Tag irgendwie rumbringen müssen, wie es war. Das war okay. Iku war anstrengende Tage gewöhnt! Pendeln war kein Zuckerschlecken, und Leichtathletik und Idol-Sein ließen sich auch nicht gut vereinbaren und er schaffte es trotzdem. Da musste auch ein bisschen Schlafmangel locker wegzustecken sein. „Bist du fertig geworden?“ Kais Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, zusammen mit der Kaffeetasse, die vor seiner Nase auf dem Tisch landete. Iku lächelte müde, griff nach dem dampfenden Getränk. Erst, als er ein paar Schlucke getrunken hatte, konzentrierte er sich auf Kai, der inzwischen ihm gegenüber am Tisch saß. „Nicht wirklich. Irgendwie…“ Er brach ab, zuckte hilflos mit den Schultern. Es war wirklich verlockend, es einfach an Kai abzuschieben, aber gleichzeitig war er viel zu stolz dazu. Er war der Jüngste hier bei Procella! Er konnte wirklich nicht immer gleich zu seinen älteren Kollegen laufen, sobald er eine Hürde nicht beim ersten Sprung schaffte. Entschieden schüttelte er den Kopf und grinste Kai selbstbewusst an.   „Aber das wird werden!“   Es sah nicht aus, als ob Kai daran zweifeln würde, etwas, das wirklich beruhigend war. Es tat gut, wenn die eigenen Freunde an einen glaubten. „Da bin ich sicher. Du bekommst alles hin, das du dir vornimmst, solange du nur dranbleibst.“ Es war wirklich lieb, aber das Thema war Iku genug. Also – Themenwechsel. „Danke. Ah, aber sag mal, Kai-San, hast du schon Ideen–?“ Vermutlich, genau wie Rui, würde er keine haben. Sie hatten aber auch beide noch so viel Zeit! Iku hätte– mit mehr Zeit vermutlich auch nichts anfangen können. Er war kein großartiger Planer, wenn er ehrlich war, und vermutlich hätte er nie etwas anderes zusammenbekommen als dieses Videotagebuch, selbst wenn er zwei Jahre am Stück darüber gebrütet hätte. Und vermutlich wäre ihm am Ende auch nicht so viel mehr eingefallen. „Ein paar“, war die mehr als unerwartete Antwort, halb verborgen hinter der Kaffeetasse, die Kai gerade zum Mund führte. Iku blinzelte ihn verblüfft an, brachte ihn damit dazu, nach seinem Schluck Kaffee erst einmal sanft aufzulachen. Er stellte die Tasse ab und hob abwiegelnd die Hände. „Es ist noch nichts Konkretes! Aber ein paar erste Ansätze hab ich. Ich denke, was ich tatsächlich mache, hängt auch stark davon ab, was ihr euch überlegt habt bis dahin. Es wird langweilig, wenn wir alle in die gleiche Richtung schlagen, nicht wahr?“ Das hatte Iku bisher noch nicht bedacht. Er lächelte flüchtig. „Es hat also auch Nachteile, so weit hinten zu liegen, huh?“ – „Ein paar.“ Erleichternd. Aber wie er Kai kannte, würde er das mit Bravour meistern. Und er war ein Gruppenmensch, also würde er sicher einige der anderen mit einbeziehen. Kai war gut in solchen Dingen. „Shun hat auch schon ein paar erste Ansätze“, erzählte er weiter. Er grinste amüsiert, „Aber gut, er braucht es auch, huh? Unser träger Dämonenkönig ist verblüffend engagiert in dieser Sache.“ Seine Augenbrauen wanderten vielsagend in die Höhe, Schalk blitzte in seinen Augen. Er sah aus wie ein spitzbübischer kleiner Junge in diesem Moment. „Die Aussicht auf die Chance, mit Hajime Paris, die Stadt der Liebe, besuchen zu können, scheint sehr zu motivieren.“   Iku lachte laut auf. Ernstnehmen konnte er Shuns Theater einfach nicht, aber er konnte sich viel zu lebhaft vorstellen, wie Shun genau diese Worte als Argument herangezogen hatte, weshalb er tatsächlich zur Abwechslung einmal freiwillig arbeitete, statt so zu tun, als wäre er der faulste Mensch auf Erden. (Dass Procellas Leader das absolut nicht war, wusste Iku inzwischen zur Genüge. Shun pflegte dieses seltsame Image einfach nur mit viel zu viel Sorgfalt.) „Hauptsache, er ist motiviert?“, gab er grinsend zurück. Kai nickte lachend. „Das sind wir doch alle, oder?“ – „Auf jeden Fall!“ Darüber zu reden machte Iku unglaublich neugierig auf alles, was die anderen machen könnten. Sie waren allesamt charakterlich so verschieden, dass es so ziemlich alles sein könnte – vor allem viele Dinge, die sich Iku gar nicht vorstellen konnte. Wer wusste schon, wozu solche kreativen Köpfe wie Shun fähig waren? Oder solche großartigen Organisatoren wie Haru? Und Kois verrückte Ideen könnten ausnahmsweise auch einmal weniger verrückt als unglaublich cool enden. „Ich freu mich echt schon drauf, alle Projekte zu sehen. Das ist so spannend! Ich weiß überhaupt nicht, was ich erwarten kann.“ „Ich auch nicht. Ist mal wieder etwas neues, huh? Sonst sind wir entweder überall gleichermaßen involviert, oder aber, es betrifft uns eigentlich gar nicht, weil es Einzeljobs sind. Jetzt ist es beides.“ Wenn er ehrlich war, dann hatte Iku nicht daran geglaubt, dass sie noch so viel Neues zu tun finden würden. Das gemeinsame Konzert war ein riesiger Meilenstein gewesen, der im ersten Atemzug so gigantisch ausgesehen hatte, dass Iku darüber hinaus einfach nichts mehr gesehen hatte, das noch größer sein könnte. Und jetzt standen sie vor der Möglichkeit, durch die ganze Welt zu reisen!   „Es ist unglaublich.“   Iku merkte nicht, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte, bis Kai freundlich grinste und ihm über den Tisch hinweg eine Hand auf die Schulter legte. Er sah nicht wirklich besorgt aus, aber es war eine typische Geste für ihn; er war zumindest kurz davor, sich Sorgen zu machen. „So unglaublich es ist, Iku, überstress dich nicht. Niemandem ist geholfen, wenn unser Strahlemann auf einmal müde in der Gegend herumhängt.“ „Ich weiß“, antwortete er mit einem müden, schiefen Grinsen. Ihm war selbst bewusst, dass er gerade genau das tat, das er vermeiden sollte, „Aber das ist leichter gesagt als getan. Es soll gut werden!“ Und damit es gut wurde, musste er eben einhundert Prozent geben – oder noch mehr! Er konnte sich nicht vorstellen, dass die anderen schlussendlich anders damit umgehen würden. Vielleicht würde man es ihnen nicht so sehr ansehen, aber Iku wusste, dass jeder einzelne von ihnen alles in seine Projekte steckte. Wo er außerdem ohnehin schon etwas plante, das seine Freunde einspannte, fand er es nur recht und billig, dass er sich sehr genaue Gedanken darum machte, wie das funktionieren konnte. Er brauchte schließlich einen ordentlichen, handfesten Schlachtplan, bevor er ihnen seine Pläne unterbreiten und ihre Mithilfe erfragen konnte. Nicht, dass er an ihren Zusagen zweifelte. Selbst You, der nie so ganz glücklich mit seinem Tempelkindhintergrund war, dürfte wohl kaum ablehnen. Es war ein Job, von dem sie alle profitierten, und Iku würde genauso, wenn irgendeiner der anderen ihn für irgendetwas brauchte – und sei es dafür, einen Baum in einem Theaterstück zu spielen –, sofort mit dabei sein. Wo er so darüber nachdachte… Er seufzte leise, nippte nachdenklich an seinem Kaffee. Immerhin half das bittere Gebräu und so langsam fühlte er sich wirklich wach genug, um den Tag zu überstehen. „Sag mal, Kai-San.“ – „Hm?“ – „In dieser Sache… Die anderen einzubeziehen sollte doch in Ordnung gehen, nicht wahr? Aber ist es auch in Ordnung, sie nicht alle einzubeziehen?“ Bisher hatte er darüber gar nicht nachgedacht. Aber es war nicht, als würde ihm einfallen, wo jeder seiner Freunde etwas beitragen könnte. Rui? Hatte sicher ein großes musikalisches Fachwissen, aber erstens schlug er mit seiner Musik und seinem Instrument selbst in eine eher weltweite Richtung – Klaviere gab es doch überall –, und zweitens glaubte Iku nicht, dass so ein deutliches Fachwissen im musikalischen Bereich für Leute, die nicht aus der Branche waren, interessant sein mochte. Wäre Rui jemand, der traditionell japanisch musizierte, wäre das ja etwas ganz anderes, aber so? Eher nicht. Und bei einigen der Anderen sah es einfach ähnlich mau aus. Oder Iku wusste nicht genug über sie, und es erschien ihm auch ein bisschen dämlich, sie erst einmal über ihr Leben auszufragen, bevor er sein Projekt planen konnte.   „Klar.“ Es klang so einfach, wie Kai es sagte, dass Iku sich beinahe dumm für seine Frage fühlte. Gleichzeitig gab Kai ihm nicht das Gefühl, dumm zu sein, was ausgesprochen erleichternd war. „Wir haben alle unsere Stärken und Schwächen, und da alles unter einen Hut zu bekommen, vor allem mit so wenig Vorbereitungszeit – das wäre unmöglich. Unter uns gesagt: Ich glaube gar nicht, dass einige von uns dir gerade eine große Hilfe wären.“ Er zwinkerte liebevoll. Iku blinzelte, dann lachte er auf. Woher auch immer Kai das nun so genau wusste. Vielleicht hatte Rui es ihm erzählt, irgendwo zwischen gestern Nacht und heute Morgen – unwahrscheinlich! –, oder er hatte einfach nur Ikus Notizzettel im Wohnzimmer gefunden, als er aufgestanden war. „Danke, Kai-San.“ Sie verfielen in behagliches Schweigen. Iku knabberte endlich seinen Toast auf, trank den Kaffee leer. Er hatte die Zeit vertrödelt, um die er sich üblicherweise zu seinem Morgenjoggen aufmachte, aber mit der Projektdeadline im Nacken war er auch gar nicht so sehr geneigt, den Frühsport noch nachzuholen. Mit vollem Kopf lief es sich so schlecht, das wusste er inzwischen aus Erfahrung. Statt also hinauszugehen trottete er zurück ins Wohnzimmer, nachdem er fertig mit dem Frühstück war, ließ sich mit einem Seufzen aufs Sofa plumpsen und zog seinen Notizzettel wieder zu sich. Er würde am Abend joggen gehen, sobald sein Kopf freier war. Beinahe automatisch fiel sein Blick auf Ruis eigentümliche Handschrift. Er lächelte still in sich hinein. Sein Partner war einfach unheimlich lieb, und oft genug verblüffte er Iku mit wirklich guten Ideen. An Shun hätte er gar nicht gedacht. An Koi und Arata auch nicht. Verdutzt betrachtete Iku die Notiz, die ganz sicher nicht von ihm war. Die krakelige, unordentliche und chaotische Schrift gehörte absolut nachweisbar zu Koi – spätestens an dem unnötigen Smiley und dem Herzchen auf dem Papier war es unverwechselbar zu erkennen. Er fragte sich ernsthaft, was der Kerl mitten in der Nacht in der falschen WG zu suchen hatte! Nachfragen würde er vermutlich trotzdem nicht. Bei Kois verrücktem Kopf war er sich nicht sicher, ob er die Antwort doch lieber gar nicht erst wissen wollte. Lachend ließ er sich zurückfallen und schloss die Augen. Nun, damit hatte sich das Problem der mangelnden Jugendkultur wirklich gelöst.   „Dabei wollte ich doch diesmal keine Hilfe…“   Dankbar war er trotzdem! Auf Koi und und Arata und ihre Manga-Interessen wäre er niemals gekommen! Jetzt im Nachhinein betrachtet wusste er wirklich nicht, wieso er es so sehr vergessen hatte, aber wie sagte man doch so klug? – Manchmal sah man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Er grinste sein Papier an. Eigentlich hatte er keine Hilfe gewollt.   Aber eigentlich sah es wunderschön aus mit den verschiedenen Handschriften. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)