Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 35: Die Schwarzen DigiEier ---------------------------------- Also war Persiamon, oder eher Megidramon, ebenfalls unrettbar verloren. Nun, dann sollte es eben so sein. Asuramon hatte lange genug die anderen die ganze Arbeit erledigen lassen. Nun, da es hart auf hart kam, würde es sich eben selbst bemühen müssen. Eigentlich hatte es ja erwartet, der schwierigste Teil ihrer Pläne wäre es, die Vier Souveränen wieder in Schlaf zu versetzen … Dass diese DigiRitter so lästig werden würden, hatte es zwar befürchtet, aber wirklich erwartet hatte Asuramon es nicht. Der Anführer der Asuras stand am Rand einer Felsenklippe. Rotes Abendlicht blutete über graubraune, zerklüftete Felsen. Vor Asuramon stach eine weiße Lichtnadel aus dem Gestein, die bis in den Himmel reichte; eine gleißende Säule, die keinen Anfang und kein Ende zu haben schien. Trotzdem war es ihm erstaunlich schwer gefallen, sie zu finden. Nicht, dass Asuramon das Schwert, das darin schwebte, wirklich brauchte. Es hatte den Wert eines … Erinnerungsstücks, nichts weiter. Es hatte lediglich seiner Zertreuung gedient, es zu suchen. Aber nun, da Asuramon es gefunden hatte … Warum sollte es das Schwert seines ehemaligen Meisters nicht auch benutzen? Einer seiner Arme griff in die Lichtsäule und bekam den Knauf der Waffe zu fassen. Das Licht flackerte und erlosch, als es die Klinge an sich nahm. Das Asura ließ den Blick seiner sechs Augen über die Klippe schweifen und über die drei anderen Lichtsäulen, die ganz in der Nähe glühten. In jeder von ihnen war undeutlich eine traurige, schattenhafte Kreatur zu erkennen, auf ewig gebannt in heiligem Licht. „Erbärmliche Diener seid ihr. Unnütz seit Jahren. Wir dienen mehr oder weniger denselben Meistern, doch ihr seid nichts, und wir werden die DigiWelt in ihrem Namen selbst knechten. Seht mir zu und erfahrt, wie es gemacht wird.“ Es drehte sich energisch um und beschritt den schmalen Pfad, der von der Klippe führte, ohne noch einmal zurückzusehen. Asuramon würde nun selbst kämpfen. Doch ehe es sich der DigiRitter annahm, galt es noch eine bestimmte Sache zu erledigen.   Plötzlich hatten sie nichts mehr zu tun. Alle Lichtsamen waren gereinigt, die DigiWelt also im Prinzip gerettet. Renji bestand darauf, dass sie sich zum finalen Kampf rüsteten, um der Sache ein Ende zu bereiten, oder, wie er in einem Anfall von Katachresenbildung sagte, um „das Baby ins Trockene zu bringen.“ Ein Asura lebte noch, und so wie sie das verstanden hatten, war es der Anführer. Das Problem war nur, dass sie nicht wussten, wo sie es finden konnten. „Vielleicht hat es ja Angst und versteckt sich vor uns“, meinte Kouki. „Eher nicht“, erwiderte Taneo. „Hast du Megidramons letzte Worte vergessen? Es glaubt von ihm betrogen worden zu sein. Es selbst hat anscheinend auch gegen die anderen konspiriert, ist euch das nicht aufgefallen? Da steckt sicher was dahinter.“ „Eben“, brummte Renji. „Sein Boss hat Megidramon sicher fertigmachen wollen, weil es aus der Reihe getanzt ist.“ „Das …“ Taneo hob zu einem Widerspruch an, verstummte dann aber. „Das kann auch sein“, gab er dann zu. Sie saßen immer noch auf dem Schlachtfeld in der Ruine – womöglich würde der nächste Herausforderer von ganz alleine kommen. Der Lichtsamen strahlte herrlich vor sich hin und hatte ihre Kräfte wiederhergestellt, und zur Not konnte Parallelmon sie einfach davon transportieren. Jagari hatte, wie Gennai es ihm geraten hatte, seinen Laptop mitgebracht. Er funktionierte diesmal sogar in der DigiWelt und konnte auch ein Tor in die Menschenwelt öffnen – nach überallhin angeblich, sogar nach Amerika, wie Jagari aufgeregt berichtete. Vergeblich versuchte er, Gennai damit zu kontaktieren. Kouki war nach dem jüngsten Kampf äußert zufrieden. Wie ein Feldherr nach der Schlacht ging er das Lager der Veteranen ab und sonnte sich in der simplen Tatsache, dass es allen gut ging. Fumiko saß etwas außerhalb bei Parallelmon. Ihre Hand ruhte auf dem gewaltigen Bein des Digimons, das in einer Art Schneidersitz dahockte. Sie sprach kein Wort, aber Kouki wusste, dass sie mit Parallelmon kommunizierte. „Kouki, ist was?“, fragte Rabbitmon, als es seinen etwas trüben Blick bemerkte. „Nein, was soll sein?“ Er zwang seine Beine, weiterzugehen. Er wusste, dass er sich für Fumiko freuen sollte. Endlich hatte sie ihren totgeglaubten Partner gefunden, nach so langer Zeit. Trotzdem spürte er einen Stich der Eifersucht, wenn er beobachtete, wie vertraut Fumiko und Parallelmon einander waren … Fast fühlte er sich wie die sprichwörtliche zweite Geige, oder zumindest wie das fünfte Rad am Wagen. „Ich geb’s auf“, seufzte Jagari schließlich. „Keine Ahnung, wo Gennai steckt.“ „Vielleicht gerade hinter dir?“, feixte Renji. „Ha-ha, sehr witzig“, knurrte Jagari. „Dann dreh dich doch mal um“, gluckste der Ältere. „Als ob ich so blöd …“ „Es tut mir leid, dass ich euch so lange habe warten lassen, DigiRitter.“ Jagari sprang auf und wirbelte herum, Renji lachte. Die anderen versammelten sich um Gennai, der unvermittelt beim Ruineneingang hereingekommen war. Die Digimon stellten sich hinter ihre Partner. Kouki ging durch den Kopf, wie beeindruckend ihre Formation aussehen musste. Früher hatten sie alle kleine, sprechende Bälle auf den Schultern sitzen gehabt. Nun, kampfbereit, standen lauter große Ultra- und ein Megaleveldigimon hinter ihnen. Und Rabbitmon, das mit der imposanten Statur der anderen nicht mithalten konnte, wie er bemerkte. Kouki seufzte. Naja, so war eben das Leben. „Gennai, wir haben alle Lichtsamen gereinigt“, sagte Jagari aufgeregt. „Das habe ich bemerkt.“ Gennai nickte. Er sah sehr würdevoll aus in seinem Kapuzenmantel, fast wie ein Geistlicher, der nun ihren Erfolg absegnen würde. „Gut gemacht. Aber eure Arbeit hier ist noch nicht getan.“ „Das letzte Asura“, murmelte Tageko düster. „So ist es. Der Anführer der Asuras ist noch am Leben, aber im Moment könnt ihr ihm noch nicht gegenübertreten.“ „Wieso nicht?“, fragte Fumiko angriffslustig. „Wir sind stark genug, um es mit ihm aufzunehmen!“ „Das mag stimmen, aber Asuramon – das ist der Name des Anführers – wird nicht so einfach hervorzulocken zu sein. Es hat versucht, das Chaos in die DigiWelt zu bringen, und es ist gescheitert. Es gibt keinen Grund für es, sein Leben aufs Spiel zu setzen und euch zu bekämpfen.“ „Ich wusste es“, murrte Renji. „Es ist einfach feige.“ „Sollten wir es dann vielleicht einfach leben lassen?“, fragte Tageko. „Asuramon ist eine Existenz, die durch die Macht des großen Apocalymon geschaffen wurde. Es gehört nicht in die DigiWelt. Nein, ihr müsst es besiegen, oder wir können nicht sicher sein, ob es nicht einen neuen Weg findet, diese Welt ins Chaos zu stürzen. Momentan versteckt es sich im letzten Rest des Netzwerks aus Chaos, das die Asuras geschaffen haben. Und von dort müsst ihr es herausziehen.“ „Und wie?“ „Ihr könnt euch das Netz des Chaos wie ein unsichtbares Spinnennetz vorstellen, das über der DigiWelt liegt. Asuramon hängt wie ein Dokugumon darin und kann von euch nicht angetastet werden. Ihr könnt es weder sehen noch spüren. Aber wenn ihr das Spinnennetz verkleinert, bis auf einen Quadratmeter zum Beispiel, hat es wenige Möglichkeiten, sich zu verstecken. Dazu müsst ihr die letzten Knotenpunkte im Netz des Chaos finden, die noch in der DigiWelt existieren. Das sind acht Schwarze DigiEier, die in der DigiWelt verstreut sind. Sie sind harmlos, nichts wird je aus ihnen schlüpfen. Aber sie speisen dennoch die Macht der Dunkelheit und das Chaos.“ „Sag, verstehst du, was er meint?“, fragte Renji Jagari. „Ich glaube schon“, meinte dieser vorsichtig. „Diese Schwarzen DigiEier spannen das Netz des Chaos auf, das umso größer ist, je weiter sie voneinander entfernt sind. Wenn wir alle Eier auf einen Haufen legen, sagen wir, auf dem Steinblock da drüben, dann kann Asuramon auch nur auf dem Steinblock sein, selbst wenn wir es nicht sehen.“ „Und dann werfen wir alle unsere Attacken drauf“, konkludierte Kouki. „Klingt gut.“ „Wie finden wir diese Eier?“, fragte Tageko, während Taneo nachdenklich wirkte. Gennai wandte sich an Jagari. „Du hast eine Karte der DigiWelt?“ „Äh, ja.“ Der Junge hielt ihm den Laptop hin. Gennai markierte auf der Karte einige Gebiete. „Sucht in diesen Regionen. Ich kann nicht garantieren, dass sich die Eier dort befinden, aber wenn nicht, dann sind sie wohl irgendwo in der Nähe.“ „Da suchen wir aber ewig“, meinte Kouki, der ihm über die Schulter gesehen hatte. „So ein Gebiet in der DigiWelt ist riesig, und ein DigiEi ist … nun ja …“ „Auch darüber müsst ihr euch keine Sorgen machen“, winkte Gennai ab. „Da die Lichtsamen nun allesamt wieder rein sind, hat die heilige Macht eurer DigiVices ihre volle Funktionstüchtigkeit wieder. Sie werden die DigiEier anzeigen. Somit könnt ihr sie einfacher finden.“ Die DigiRitter blickten einander an. „Klingt nach ‘nem Plan“, stellte Renji fest. „Bringt alle acht Eier in euren Besitz, aber wartet damit, Asuramon herauszufordern. Ich werde euch die nächsten Schritte erklären, sobald ihr erfolgreich wart.“ Gennai nickte ihnen zum Abschied zu und ging seiner Wege. „Also die nächste Schnitzeljagd“, seufzte Renji, als er außer Hörweite war. „Das hört ja nie auf.“ „Immerhin haben wir jetzt keine Feinde mehr“, meinte Kouki. „Sieh es einfach als kleine Schatzsuche in der DigiWelt.“ „Was überlegst du?“, fragte Tageko Taneo, der sein Kinn zwirbelte. „Warum sind es acht DigiEier? Sechs DigiRitter, sechs Lichtsamen, zwölf Asuras … warum acht Knotenpunkte?“ „Du denkst zu viel darüber nach“, meinte Kouki. „Sechs mal zwei ist auch zwölf, und sechs plus zwei ist eben acht. Wenn’s nicht sowieso nur Zufall ist.“ „Also, machen wir es so, wie Gennai gesagt hat?“, fragte Fumiko. „Was bleibt uns anderes übrig?“, meinte Tageko. „Aber bitte – besprechen wir das zuhause. Jetzt, wo wir wissen, dass Asuramon nicht zu uns kommt, hätte ich gern eine Dusche, um den ganzen Sand runterzuwaschen.“   Als sie am nächsten Tag nach der Schule aufbrachen, um die Schwarzen DigiEier, von denen Gennai gesprochen hatte, zu finden, erkannten sie, wie recht Kouki doch gehabt hatte: Es war wirklich wie eine Schatzsuche. Als würden sie etwas mit Metalldetektoren aufspüren. Sie nahmen ein Waldgebiet aufs Korn. Der schwierige Teil war, nahe genug an das Ei heranzukommen, damit ihre DigiVices es aufspüren konnten. Systematisch durchkämmten sie die Baumreihen. Digimon sahen sie viele, aber keines griff sie an, manche redeten sogar ganz banale Dinge mit ihnen. Es war viel angenehmer, als die Lichtsaaten zu säubern. Die DigiVices zeigten alsbald einen blinkenden, tiefvioletten Punkt an. Schließlich befanden sie sich genau an der Stelle, wo das Ei liegen müsste – doch es war nicht zu finden. Die Nacht war hereingebrochen und ihre Hände waren schmutzig, als nach langwierigem Graben Salamon auf die Idee kam, dass das Ei in der Baumkrone versteckt sein könnte. Als Butterflymon flatterte es hinauf und kehrte mit einem Ei zurück, schwarz mit grauen Verzierungen, das in einer Baumhöhle gelegen war. „Hab gehört, im Westen suchen sie zu irgendeinem Fest auch Eier. So in etwa muss das dort ablaufen“, stellte Renji ausgelaugt, aber gut gelaunt fest.   Sie merkten schnell, dass nicht alle Gebiete, die Gennai ihnen gezeigt hatte, ein für die Suche geeignetes Gelände hatten. Ein Ei dürfte sich mitten im Meer befinden, also konnte nur Tylomon wirklich danach suchen. Andere Gegenden waren zerklüftet und in wieder anderen gab es aggressive Digimon, die die Eindringlinge nicht dulden wollten. Alles in allem genossen die DigiRitter jedoch eine Suche, bei der sie nicht ständig ihr Leben riskierten. Außerdem hatten sie genügend Zeit; die Macht der Dunkelheit war soweit gebannt, die einzige Gefahr bestand darin, dass Asuramon irgendetwas ausheckte, das sie nicht vorhersehen konnten. Dennoch konnten sie es nun etwas ruhiger angehen lassen. Sie erkundeten Gegenden in der DigiWelt, die sie vorher noch nicht zu Gesicht bekommen hatten, erlebten Abenteuer mit den einheimischen Digimon und labten sich an allerlei wundersamen Begebenheiten. Speziell Jagari ging in seiner Begeisterung ob dieser fremden, nun wieder relativ friedlichen Welt richtig auf. Auch Taneo schien die DigiWelt zu genießen. Und selbst Renji wurde nicht von diesem tollen Gefühl verschont, dass er mit dieser Gruppe, mit der er anfangs kaum etwas hatte anfangen könne, etwas Großes geleistet hatte. Es sprach sich herum, dass die DigiRitter wieder einmal das Böse besiegt hatten – oder zumindest knapp davor waren. Sie waren Helden – und Renji schien das fast ein wenig zu Kopf zu steigen. Kouki grinste nur über jede weitere Bewunderung, die wildfremde Digimon auf sie abfeuerten, Fumiko quittiere sie mit einem leisen Lächeln, Tageko mit stummer Überheblichkeit – die sie aber nur an den Tag legte, weil sie nicht wusste, wie sie sonst reagieren sollte –, Taneo war der schweigende Genießer und Jagari erzählte in den schillerndsten Farben jedem Digimon, das ihm zuhörte, wie ihr Kampf gegen die Asuras verlaufen war. Er ließ auch die unschönen, ängstlichen Momente nicht aus, was dann und wann zu einer Reiberei mit Renji führte, der solche Dinge eher geheim halten wollte … Es war eine schöne Zeit.   Nun, da sie etwas Luft hatten, wurde auch Fumikos Geburtstagsfeier nachgeholt. Natürlich waren sie alle eingeladen. Renji war überrascht: Er selbst hätte einmal mit den DigiRittern und ihren Partnern und einmal mit seinen anderen Freunden gefeiert, doch Fumiko machte es anders. So fanden sich an diesem Samstag Kouki, Renji, Jagari, Taneo und Tageko und außerdem noch Fumikos engste andere Freundinnen, Aiko und Mikan, in der kleinen Wohnung von Fumikos Eltern ein. Die anderen DigiRitter fühlten sich wohl etwas unbehaglich, und selbst Renji waren die stechenden Blicke, mit denen Aiko ihn bedachte, nicht ganz geheuer, aber nach einer Weile taute das Eis. Spätestens als Fumikos Mutter – die wie eine ältere Ausgabe ihrer Tochter aussah – den Kuchen brachte, scherzten und lachten die Gäste gemeinsam an dem breiten Küchentisch. Vierzehn Kerzen durfte Fumiko auspusten, und Aiko klatschte aufgeregt, als sie alle auf einmal schaffte. „Was hast du dir gewünscht?“, fragte sie. „Gar nichts“, murmelte Fumiko. „Ich hab mich aufs Pusten konzentrieren müssen.“ „Mensch, Fumiko!“, stöhnte Aiko. Die anderen lachten. Dann hob Aiko plötzlich eine Hand ans Ohr. „Au! Oyara-kun, brüll nicht so.“ „Was?“, fragte Renji, der genau neben ihr saß. „Du lachst so laut, dass es in den Ohren wehtut.“ „Blödsinn.“ „Hier kommen die Geschenke für unsere Große“, unterbrach Fumikos Vater, ein kleiner, glatzköpfiger Mann, den Streit. Er kam mit einem dicken Paket in den Händen ins Zimmer. „Da muss sie aber erst noch ein bisschen wachsen“, scherzte Renji. „Oyara-kun“, zischte Aiko und betonte jede Silbe. „Ist schon gut, Aiko“, meinte Fumiko schmunzelnd. Die anderen legten nun ebenfalls ihre Geschenke auf den Tisch. Renji war in Sachen Geschenke immer furchtbar unkreativ, darum hatte er beschlossen, einen kleinen Streich zu wagen. Er hatte ihr den allerkitschigsten Film geschenkt, der jüngst auf DVD rausgekommen war, gemeinsam mit einer Grußkarte, auf der stand: In Erinnerung an den Tag von unserem ersten gemeinsamen Abenteuer. Fumiko runzelte einen Moment die Stirn, ehe sie die versteckte Bedeutung erkannte und herzhaft lachen musste. Neugierig beugte sich Aiko über ihre Schulter, um mitzulesen. „Lässt er dich immer noch nicht in Ruhe?“, flüsterte sie Fumiko ins Ohr, aber Renji hörte es trotzdem. Blöde Kuh. „Alles in Ordnung“, meinte Fumiko lächelnd und drückte Koukis Hand. Von ihren Eltern hatte sie ein Teleskop bekommen, das sie sich schon länger gewünscht hatte, wie sie sagte. Jagari hatte ihr etwas gebastelt, Tageko einen leichten Pulli gestrickt. „Nur weil es Sommer wird, kann dir ja trotzdem kalt werden“, sagte sie bedeutungsvoll. Von Kouki bekam sie ein riesiges Schokoladenherz. Taneo war der Einzige, der noch weniger einfallsreich gewesen war als Renji. Er überreichte ihr mit ein paar unglücklich gebrummten Gratulationsworten Einkaufsgutscheine. „Falls das nächste Einkaufscenter, in das du gehst, nicht auch abbrennt“, feixte Renji. „Die Sache war nicht lustig, Oyara-kun.“ Aiko funkelte ihn an. „Find ich schon.“ Aiko und Mikan hatten zusammengelegt und ihr ein Wochenende bei einem Onsen geschenkt. „Du kannst deinen Freund natürlich auch mitbringen“, sagte Mikan. „Gilt das auch für den Hund von ihrem Freund?“, grinste Renji. „Meinst du damit dich?“, fragte Aiko trocken. „Kannst du mal aufhören, mich ständig anzupöbeln? Ich mach ja gar nichts.“ „Du gibst ständig nur nervige Kommentare ab!“ „Ich mag dich auch nicht, danke.“ „Seid ihr zwei Streithammel bald mal fertig?“, fragte Tageko. „Das ist eine Geburtstagsparty, kein Politiker-TV-Duell.“ „Sie mögen dich eben beide. Jeder auf ihre Art“, sagte Kouki zu Fumiko. „Jaja, ich weiß“, erwiderte sie lächelnd und schnitt endlich den Kuchen an.   Die Feier zog sich bis in die Nacht hinein. Sie spielten Spiele und bekamen fürs Abendessen noch einmal ordentlich aufgetischt. Als die Sterne hervorkamen, bauten sie das Teleskop auf dem kleinen Balkon vor Fumikos Zimmer auf und sahen abwechselnd hindurch. Tageko fiel während des ganzen Abends Aikos und Renjis Verhalten auf. Anfangs schien es, als könnten sie sich nicht riechen. In irgendeinem unbemerkten Moment schienen sie sich jedoch ausgesprochen zu haben – oder so etwas in der Art. Fortan hackte sie nicht mehr auf ihm herum und er gab sich sichtlich Mühe, nicht mehr ganz so witzig sein zu wollen. Als sie gemeinsam am Teleskop waren, schienen sie sich plötzlich sogar richtig gut zu verstehen, und als Aiko hindurchsah und Renji schalkhaft an den Rädern drehte, boxte sie ihm lachend gegen den Arm. Tageko war froh, dass der einzige Unfrieden an diesem Tag sich derart in Wohlgefallen aufgelöst hatte. Es war eine wertvolle Zeit für sie. Ihr eigener Hausfrieden hing wieder ziemlich gerade, auch wenn ihre Mutter immer noch alleinerziehend war. Die Digimon amüsierten sich momentan bei Jagari zu Hause, und sie, die DigiRitter, konnten eine unbeschwerte Zeit genießen. Seufzend nippte Tageko an ihrem Orangensaft und sah in den sternengesprenkelten Nachthimmel, während Aiko und Renji am Fernrohr rangelten, Kouki gerade Mikan etwas erzählte und Jagari einem mäßig interessierten Taneo alles über Planeten erzählte, was er wusste. Fumiko stellte sich neben Tageko. „Dir ist nicht langweilig, oder?“ „I wo. Ich hab gerade darüber nachgedacht, dass ich zufrieden bin.“ „Ja?“ Fumiko stützte sich mit den Ellbogen am Balkongeländer ab und legte das Kinn in die Handflächen. „Das ist schön.“ „Du wirst irgendwie … melancholisch“, stellte Tageko fest. Ein Schulterzucken. „Kann sein.“ „Willst du drüber reden?“ „Dafür müsste ich erst mal wissen, was mit mir los ist“, lachte sie, aber es klang nicht ganz echt. Tageko leerte schweigend ihr Glas. „Naja, wie auch immer. Du weißt, dass du immer …“ „Ja, weiß ich“, unterbrach Fumiko sie. „Danke.“ Abrupt richtete sie sich wieder auf. „Dann feiern wir mal weiter. Man wird schließlich nicht jeden Tag vierzehn.“ „Eigentlich“, Kouki trat hinter sie und legte die Arme um sie, „bist du schon seit einiger Zeit vierzehn, schon vergessen?“, murmelte er ihr ins Ohr. Tageko betrachtete die beiden und bedachte Fumiko mit einem langen Blick. Diese schien ihn richtig zu deuten. „Wahrscheinlich bin ich nur froh, endlich Parallelmon zu haben, und dass ich es nun endlich kennengelernt habe, macht mich wehmütig“, meinte sie lächelnd. Die Ältere nickte ernst und wandte sich wieder den anderen zu, nicht ohne sich jedoch weiterhin Gedanken zu machen.   Am nächsten Tag feierte Fumiko noch einmal, diesmal mit den DigiRittern und ihren Partnern. Am Vormittag ließen sie sich von Koukis älterer Schwester an den Stadtrand fahren, wo sie ein Picknick veranstalteten. Parallelmon wartete schon dort in der Nähe, die anderen Digimon hatten sie mitgenommen. Es ging noch ausgelassener zu als gestern. Nach dem Picknick kam die große Überraschung. Kouki und die anderen hatten sich mit ihren Partnern besprochen und dann in einem günstigen Moment Parallelmon eingeweiht. Es war immer seltsam, mit dem riesigen Mega-Digimon zu sprechen; es schien alles zu verstehen, was man ihm zuflüsterte, konnte sich aber selbst nicht mitteilen. Den Plan hatte es offenbar trotzdem verstanden. „Also“, erklärte Kouki strahlend, „wir haben noch ein paar Stunden, ehe Nanami uns wieder abholt. Wo möchtest du gerne hin, Fumiko?“ „Was meinst du?“, fragte sie blinzelnd. „Gibt es irgendeinen Ort, an den du schon immer mal wolltest? Irgendwo auf der Welt.“ Fumikos Blick glitt über ihre Freunde zu Parallelmon und ihre Augen wurden groß, als sie verstand. „Du … Ihr meint …“ „Wenn wir aufpassen, können wir mit Parallelmon heute noch eine Weltreise machen“, sagte Tageko. „Was sagst du?“ Fumiko war perplex. Offenbar war ihr der Gedanke selbst noch gar nicht gekommen. Sie biss sich auf die Lippen. „Ägypten. Ich wollte schon immer mal die Pyramiden und die Sphinx sehen.“ „Also Ägypten.“ Jagari zeigte Parallelmon einen virtuellen Globus auf seinem Laptop, da sie nicht wussten, wie genau es den Bestimmungsort seiner interdimensionalen Reisen wählte. Dann brachte das Digimon sie erst in die DigiWelt und im nächsten Moment standen sie in der Wüste, auf einer Düne mit herrlichem Ausblick auf die Pyramiden von Gizeh. Allerdings … „Es ist Nacht“, murmelte Jagari. „Klar ist es Nacht. Wir sind ein paar Zeitzonen von Japan entfernt“, sagte Taneo trocken. Sie starrten noch eine Weile auf die Schemen der Pyramiden, ehe sie in lautes Gelächter ausbrachen. Der Sternenhimmel war fast großartiger als die Pyramiden selbst, wie sie feststellten. Leider hatten sie das Teleskop nicht mit. Dann ging es weiter in andere Länder. Jeder durfte einen Wunsch äußern, solange es relativ unbewohnte Gebiete waren, in denen Parallelmons plötzliches Erscheinen kein Aufsehen erregte. Sie sahen die Nadelwälder von Kanada, machten einen Abstecher nach Sibirien, bestaunten die Niagarafälle und den Kilimandscharo, genossen den Ausblick aus dem tibetanischen Gebirge, den Ayers Rock und ganz kurz auch den Amazonas. Es war in der Tat seltsam, Tag und Nacht und verschiedene Klimazonen so schnell hintereinander zu besuchen, noch viel extremer, als mehrmals Tore zur DigiWelt zu öffnen. Einmal, als sie auf den irischen Cliffs of Moher landeten, überraschten sie eine Gruppe Jugendlicher, die erschrockene Rufe ausstießen. Kouki winkte ihnen frech zu, dann teleportierte sie Parallelmon auch schon wieder weg. Die Touristen würden wohl ewig rätseln, ob sie einer kollektiven Halluzination aufgesessen waren. Als es in Japan dunkel wurde, kam Nanami mit dem Van zurück und brachte die DigiRitter nachhause. Fumikos Haus war die letzte Station vor Koukis eigenem. Vor der Eingangstür drückte er sie fest. „Danke für den schönen Geburtstag“, flüsterte sie. „Es war der schönste, den ich je hatte.“ „Gern doch … Sag mal, weinst du?“, fragte er erschrocken und löste sich von ihr. Fumiko wischte sich schnell über die Augen. „Blödsinn.“ „Du hast geweint. Gerade eben. Du hast noch nie geweint.“ „Klar hab ich das.“ „Aber nicht … so.“ „Kouki Nagara, wenn du weiterhin Unsinn redest, muss ich meine Kung-Fu-Künste anwenden und dich auf die Matte schicken“, drohte sie spielerisch, aber er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Sie bemerkte seinen skeptischen Blick. „Hey, ich sagte, ich bin froh. Schon mal was von Freudentränen gehört?“ Er glaubte ihr nicht. Irgendetwas hinderte ihn daran. „Wenn irgendwas nicht stimmt oder so … dann meldest du dich bei mir, ja? Du sagst es mir sofort.“ Fumiko nickte. „Ja, klar.“ „Okay.“ Er zögerte. „Dann …“ „Gute Nacht.“ „Ja. Gute Nacht.“   Fumiko stand noch lange an ihre Tür gelehnt im Dunkeln in ihrem Zimmer. Sie wünschte sich Parallelmon herbei, obwohl es wahrscheinlich keinen Rat wusste. Sie biss die Zähne zusammen, als erneut dieses flaue Gefühl ihren Hals heraufkroch. Sie wollte nicht weinen. Einmal am Tag war mehr als genug. Kouki ging ihr nicht aus dem Kopf. Er hatte ihr ein Schokoladenherz geschenkt. Aiko hatte das total süß gefunden und Mikan langweilig und altmodisch. Für Fumiko war es weder das eine, noch das andere. Irgendwie schien es ihr falsch. Die falsche Form, das falsche Material, das falsche Geschenk. Ein Herz, das ihr herzlos vorkam. Schokolade, so süß, dass es ihr auf den Magen schlug. Mit einem Seufzer warf sie sich auf ihr Bett und vergrub den Kopf in ihrem Kissen. Sie wusste, dass Kouki sie liebte. Da brauchte sie weder ein Schokoladenherz noch sonst irgendeine Bestätigung. Er liebte sie. Sie liebte ihn. Aber warum fühlte sie sich dann so unglücklich?   Die folgende Woche stand ganz im Stern der Suche nach den Schwarzen Eiern, mit gelegentlichen Entspannungsmomenten. Die Schule war in dieser Zeit besonders öde. In vier Wochen würden die Sommerferien beginnen, eine Hitzewelle rollte über Tokio und eigentlich war es viel angenehmer, durch die DigiWelt zu stromern, als in einem stickigen Klassenzimmer die Schulbank zu drücken. Es war der Nachmittag des Mittwochs und Taneo war auf dem Nachhauseweg, als er meinte, ein Déjà-vu zu erleben. Das letzte Mal, als er ihn dort getroffen hatte, hatte tiefster Winter geherrscht. Nun zirpten die Zikaden, die Sonne brannte vom Himmel und Taneo schwitzte in seiner Sommeruniform. Shuichi sah trotzdem wie ein begossener Pudel aus, als er ihm unter dem Dach der Bushaltestellte entgegenblickte. „Hi“, murmelte der schmächtige Junge, als Taneo vor ihm stehen blieb und seine Schultasche auf die Sitzbank stellte. „Hi.“ Shuichi sah furchtbar aus. Noch viel blasser als üblich, mit rot geränderten Augen und fettigem Haar. Selbst sein Hi hatte weinerlich geklungen. „Was kann ich für dich tun?“, fragte Taneo, als Shuichi keine Anstalten machte, irgendetwas zu sagen. Seine verquollenen Augen musterten nur seine eigenen Hände. „Ich … ich dachte, ich … Ich will mit dir reden. Nur … nur reden. Weißt du, daheim ist es gerade nicht einfach, und ich brauche jemanden zum Reden … Verstehst du?“ Taneo nickte. „Also, es ist so … Ich meine …“, stammelte Shuichi. „Sag mir einfach, wie ich dir helfen kann.“ „Das … das ist es ja gerade …“ Taneo sah, wie sich Tränen in Shuichis Augen sammelten. „Du kannst mir nicht helfen … Es geht nicht. Es ist vorbei … Du kannst mir höchstens zuhören, bitte … Ich muss es jemandem erzählen, sonst zerreißt es mich, und daheim …“ Taneo legte ihm die Hand auf die Schulter. „Alles klar. Erzähl es mir einfach“, sagte er ernst. „Es … es ist so …“ Shuichi schaffte es plötzlich, ihm in die Augen zu sehen, entschlossen und bohrend und dennoch unendlich gequält. „Meine Schwester ist … Sie ist gestern gestorben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)