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Digimon 00001100 <Twelve>

Samsara Madness [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Da das letzte Kapitel so lange gebraucht hat, um online zu kommen, gibt es dieses hier schon jetzt. Viel Spaß! :) Komplett anzeigen

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Auf der Flucht

„Es kommt.“ Tageko reichte Taneo das Fernglas. Der bestätigte es mit einem Nicken.

„Gut, ihr wisst, was ihr zu tun habt.“

„So ungefähr“, meinte das Deramon, ein Vogeldigimon mit einem Busch als Schwanz, dem die Worte unter anderem galten. Es klang unsicher, aber die DigiRitter setzten ihre Hoffnungen auch eher in die menschenähnlichen Lilamon, die wesentlich stärker schienen, obwohl auch Deramon auf dem Ultra-Level war.

Taneo hatte der Idee erst nichts abgewinnen können. Er hatte darauf beharrt, dass das ihr Kampf war, und dass sie keine unbeteiligten Digimon mit hineinziehen sollten. Nachdem sie aber zwei Mal versucht hatten, Arkadimon in einem schnellen Manöver zu zerstören, und zwei Mal wieder hatten fliehen müssen, hatte er schließlich klein bei gegeben. Sie konnten dieses Ding einfach nicht besiegen. Nicht ohne Hilfe.

Seit vier Tagen war es ihnen nun schon auf den Fersen. Offenbar verließ es sich vor allem auf seinen Geruchssinn. Ab und an brauchte es etwas länger, um die Fährte der fliegenden Digimon aufzunehmen, aber es verlor sie nie. Arkadimon war zu ihrem Schatten geworden, oder eher zu einem schlimmen Traum, der immer am Horizont lauerte.

Sie waren in diesen Wald gelangt, in dem die Deramon und Lilamon lebten, und diese hatten die DigiRitter mit Freuden empfangen. Offenbar hatte man hier sogar von ihnen gehört. Und auf die fast schon schüchterne Frage, ob sie ihnen helfen würden, hatten die meisten eifrig genickt. Taneo hatte trotzdem kein gutes Gefühl dabei.

Gut zwanzig Ultra-Digimon aus dem Blütenwald, wie er hieß, erwarteten nun Arkadimons Ankunft am Waldrand. Die Digimon der DigiRitter standen in den vordersten Reihen.

Fast schon gemächlich, als wollte es sie verhöhnen – oder das Ende seiner tagelangen Jagd auskosten – flog Arkadimon über die nahen Hügel. Als es in Schussweite war, feuerten die Lilamon Lichtkugeln aus ihren Blütenarmen. Sie waren nicht sehr eingespielt und alles andere als synchron, aber der Angriff hatte gerade deshalb etwas Wildes, Brachiales. Die Ebene verschwand unter einem leuchtenden Teppich aus wunderschön anzusehenden Detonationen.

„Genug fürs Erste“, sagte Taneo, und das Sperrfeuer erstarb. Der Wind wehte Staub und Erde fort, und auf der nächsten Hügelkuppe stand, unversehrt, Arkadimon.

„Ich hasse dieses Biest“, murmelte Kouki.

„Okay, konzentriert euch darauf, uns Deckung zu geben“, sagte Taneo. „Cyberdramon, ihr seid dran.“

„Unsere Digimon können ihm aber auch nichts anhaben“, erinnerte ihn Jagari.

„Ich weiß. Ich setze auch eher auf die Lilamon.“

„Aber du hast ja gerade selbst gesagt …“

„Ich hoffe auf das Wunder, dass sie Arkadimon nur nicht getroffen haben. Wenn wir es in einen Nahkampf verwickeln, können die Lilamon vielleicht besser zielen.“

„Du sagst, du hoffst es“, murmelte Fumiko betont, während die Digimon Arkadimon entgegenstürmten. „Aber du glaubst nicht daran.“

Taneo zog es vor, nicht darauf zu antworten.

 

Der Kampf war eine Schlacht, ein Abschlachten, und endete in einem Massaker.

Die Lilamon und sogar die schwächeren Deramon ließen es sich nicht nehmen, für die DigiRitter ihr Letztes zu geben – aber sie schafften keinen geordneten Rückzug. Und wenn Arkadimon sie mit den Nadel-Tentakeln um seine Fäuste erwischte, digitierten sie nicht etwa zurück wie die Partner der DigiRitter, sondern wurden ausgesaugt und direkt ausgelöscht.

Das Wunder, das geschah, war, dass den DigiRittern, zwei Lilamon und einem einzelnen Deramon die Flucht gelang. Sie flogen auf Cyberdramon davon. Tageko bedankte und entschuldigte sich holprig bei ihren Mitstreitern, dann trennten sie sich an einem sicheren Ort von ihnen. Taneo sagte nichts mehr zu der Sache. Er wirkte zerknirscht.

„Hey“, sagte Kouki an diesem Abend zu ihm, als sie sich an einem Lagerfeuer ausruhten. Sie hatten wieder ein paar Meilen zwischen sich und Arkadimon gebracht, das merkbar langsamer geworden war – wahrscheinlich verdaute es seine jüngsten Opfer. Kouki reichte seinem Freund eine Getränkeflasche, die sie mit Wasser aufgefüllt hatten. Taneo nahm sie wortlos entgegen.

„Gib dir nicht die Schuld, ja? Ohne dich hätten wir die drei auch verloren. Und unsere Partner wahrscheinlich auch.“ Tyrannomon hatte weniger Glück gehabt als die anderen. Es war, wie Renjis Digimon, zu seiner Babyform zurückdigitiert, nachdem Arkadimon es gestochen hatte. Nun spielte Jagari mit einem grünen Schleimklops mit Schnuller.

„Wir sind die DigiRitter“, sagte Taneo leise. „Oder hab ich das falsch verstanden?“

„Das hast du richtig verstanden. Wir sind die DigiRitter.“

„Aber die DigiRitter sollen die DigiWelt retten. Die Lilamon haben uns als Helden begrüßt! Und jetzt sind sie tot. Was war daran heldenhaft?“

Kouki schwieg eine Weile und sah in die Flammen. Sie loderten nicht gerade hoch. Genau wie ihr Mut. „Weißt du, ich glaube, selbst die größten Helden müssen Opfer bringen, wenn sie am Ende Erfolg haben wollen. Es hat noch keiner einen Krieg gewonnen, ohne dass Unschuldige verletzt werden.“

„In unserer Welt vielleicht. Aber hier …“

„Ich fürchte, das ist in jeder Welt so.“

„So eine Welt kann ich nicht akzeptieren“, sagte Taneo finster.

„Musst du aber.“ Fumiko setzte sich zu ihnen. „Zu glauben, alles würde immer schön glatt laufen, ist nicht gerade erwachsen. Selbst die besten Pläne sind nicht unfehlbar.“

„Wenn sie nicht unfehlbar sind, sind sie einfach nicht gut genug“, beharrte Taneo verbissen, aber es klang eher dahergesagt.

Die anderen schwiegen, und in ihrem Lager breitete sich bedrückende Stille aus.

 

In den folgenden Tagen beschränkten sie sich darauf, weitere Fernseher zu finden. Sie teilten sich sogar in zwei Gruppen auf und durchkämmten die DigiWelt, ohne wirklich ein Auge auf ihre Wunder zu haben. Arkadimon war nie weit hinter ihnen, doch wenn sie es nicht darauf anlegten, bekamen sie es nicht zu Gesicht. Nach und nach wagten sie es sogar wieder, in besiedeltes Gebiet zu gehen. Sie besuchten Digimondörfer und sogar Städte. Kouki und Renji versuchten sich kurzzeitig als Köche in einem Restaurant, um für ihren längst knapp gewordenen Proviant Geld zu verdienen. Renji ließ am Ende des Tages eine ganze Tasche mit Backwaren aus dem Restaurant mitgehen, was im Endeffekt mehr war, als sie sich mit ihrer Bezahlung leisten konnten.

Taneo war immer noch grüblerisch. Er sprach viel mit Digimon und wollte wissen, wie sie über die DigiRitter dachten. Tageko und Jagari ließen ihm die Zeit, die er brauchte.

Kouki ermutigte Fumiko dazu, in der Stadt jemanden zu suchen, der ihr mit ihrem DigiEi helfen konnte. Auch dieses Mal hatte sie es dabei, aber es war immer noch so tot wie ein Stein. Fumiko traf sich mit Cutemon und Jijimon und Babamon, aber niemand konnte ihr helfen. Sie trug es mit Fassung. Ihr Partner war vor langer Zeit gestorben, das wusste sie nun.

Jagaris und Renjis Digimon digitierten irgendwann wieder zu Motimon und Kyaromon. Selbst dieser scheinbar kleine Entwicklungsschritt dauerte ewig. Was immer Arkadimons Attacke war, sie tat ihren Dienst gründlich.

Taneo fand wieder etwas mehr zu sich selbst, als es eine neue Aufgabe für ihn gab. Er, Jagari und Tageko mussten den Streit zweier Digimondörfer schlichten und außerdem gegen eine Bande Rabauken kämpfen, die sich ironischerweise die Asuras nannten und sich die Furcht der Digimon zunutze machen wollten. Cyberdramon allein war genug, um sie selbst das Fürchten zu lehren.

Eine knappe Woche später trafen sich die DigiRitter wieder in einer goldenen Feldlandschaft und zogen von dort aus weiter über eine Gebirgskette. In ihrer Welt musste es der sechsundzwanzigste Mai sein, ein Samstag und außerdem der Tag, an dem Fumiko mit ihnen ihren Geburtstag hatte feiern wollen.

„Ich schätze, die Party werden wir verschieben?“, fragte Kouki, als der Abend dämmerte. „Oder willst du trotzdem ein wenig feiern?“

„Sie wird verschoben“, meinte Fumiko knapp. Feiern wäre nicht angebracht. Nach einem kalten Abendessen legten sie sich auf ihren provisorischen Betten aus Bergmoos schlafen.

Tageko fiel es, wie so oft, schwer, einzuschlummern. Sie dachte an zu Hause. Morgen wären sie seit zehn Tagen in der DigiWelt. Niemand von ihren Eltern wusste, wo sie waren. Sie fehlten in der Schule und außer Tagekos Freundinnen wusste niemand über die Digimon Bescheid. Ob die beiden alles erzählen würden? Ob sie versuchen würden, ihre Eltern zu beruhigen? Ob sie Tageko von sich aus decken würden – und vielleicht noch die anderen DigiRitter mit dazu? Das war wohl reines Wunschdenken.

Tageko seufzte schwer und streichelte Mushroomons Pilzkappe, das neben ihr schlief. Sein leises Atmen war beruhigend. Sie sah nach oben in einen prachtvollen Sternenhimmel. Ob sie jemals wieder nachhause kämen? Nirgendwo schien es mehr Fernseher zu geben. Die Asuras hatten alle zerstört.

 

In den folgenden Tagen wurden sie schweigsamer, mürrischer, hungriger. Jagari aß von merkwürdigen roten Beeren, die in den Bergen wuchsen, und hatte zwei Tage lang Magenkrämpfe. Taneo hatte seine rationale Natur wieder, aber das bestärkte ihn nur in dem Entschluss, Arkadimon nicht herauszufordern.

„Wir haben ein Problem“, sagte er an jenem Abend, als sie auf einem windigen Pass in den Bergen campierten. Sogar mehrere, fügte er in Gedanken hinzu. Nicht nur Jagari sah bleich wie eine Leiche aus, auch die anderen hatten Hunger, waren müde und schwach und froren. Sie hatten Kleidung und Ausrüstung für einen effizienten Marsch durch die Wüste dabei, nicht für eine Bergwanderung. Decken, Teekessel und sogar Kochtöpfe hatten sie in der Stadt besorgt, aber statt Tee hatten sie bestenfalls heißes Wasser, und zu kochen gab es auch nichts mehr. Wenn sie nicht bald einen Fernseher fanden, waren sie verloren. Ihre Chancen, noch einen Kampf bestreiten zu können, schwanden von Tag zu Tag.

Taneo zeichnete eine provisorische Karte der Umgebung auf einen erdigen Fleck inmitten der Felslandschaft. Thunderboltmon war erkunden geflogen – die Karte von der DigiWelt hatten sie nur auf ihren Computern in der Realen Welt. Jagari hatte zwar ein winziges Notebook mit, eher testweise, aber das streikte natürlich in der DigiWelt. „Arkadimon hat uns ausmanövriert“, erklärte Taneo, als die anderen sich um seine Zeichnung scharten. „Wir haben keine Ahnung, wie die Landschaft aussieht, ehe wir sie nicht wenigstens von der Ferne gesehen haben. So ist es schwierig, eine geeignete Fluchtroute zu finden. Und unsere Route ist schlecht. Hinter den Bergen erstrecken sich nämlich wieder Felder.“

„Und was ist daran problematisch?“, fragte Kouki.

„Ich weiß es“, sagte Jagari. „Es leben dort viele Digimon, oder?“

Taneo nickte. „Der Wald und die Hügellandschaft bisher waren ziemlich verwaist. Aber Thunderboltmon hat gesagt, in diesem Gebiet gibt es irrwitzig viele, kleine Felder, daneben eine Vielzahl von Hütten, und immer wieder sind da kleinere Dörfer. Die Felder sind alle bestellt, also vermute ich, dass sie auch bewohnt sind.“

„Und du machst dir Sorgen wegen Arkadimon“, sagte Tageko.

Taneo nickte wieder. „Ich hab es mittlerweile verstanden, wir können nicht jedes Digimon retten. Aber so, wie wir momentan fliehen, locken wir Arkadimon direkt in bewohntes Gebiet.“ Als er in die matten, entmutigten Gesichter der anderen sah, zögerte er fast, hinzuzufügen: „Die Sache wirft noch eine Thematik auf, der wir uns stellen müssen. Unsere Vorräte. Wenn wir unser Essen weiterhin so einteilen, reicht es noch, um aus den Bergen zu kommen. Wenn wir damit sparen, kommen wir vor Erschöpfung nirgendwo mehr hin. Wo es Landwirtschaft gibt, gibt es sicher auch etwas zu essen, aber womit bezahlen wir, und was machen wir wegen Arkadimon?“

„Und wenn wir uns aufteilen?“, schlug Fumiko vor. „Kouki könnte auf Nefertimon Essen besorgen, und wir fliegen einstweilen in eine andere Richtung.“

„Nur dass es nicht wirklich eine andere Richtung gibt, wenn wir uns nicht einholen lassen wollen“, hielt Taneo dagegen. „Und das Problem mit der Bezahlung bleibt bestehen.“

„Uns bleibt also gar nichts anderes übrig, als Arkadimon zu den Feldern zu locken“, brummte Renji. „Ist doch fein. Dann müssen wir uns nicht die Köpfe zerbrechen. Hier in den Bergen gibt’s sowieso nichts. Wir fliegen weiter in diese Tal, holen uns dort was zu essen, und fliegen weiter und hoffen auf ein Wunder.“

Ausnahmsweise schien Renjis simpler Vorschlag tatsächlich der vernünftigste zu sein. Die anderen besprachen das Problem noch, kamen jedoch zum selben Ergebnis.

Tags darauf erreichten sie das Tal, das nach Osten hin in einer gewaltigen, schachbrettgemusterten Ebene mündete. Thunderboltmon hatte, ehe es digitiert war, Arkadimon etwa zehn Kilometer hinter ihnen gesichtet. Es folgte ihnen nicht in gerader Linie, sondern erschnupperte ihre Fährte offenbar immer wieder von Neuem – und es war leicht abzulenken. Unlängst hatte es einen Umweg von über einem Kilometer in Kauf genommen, um ein einsames Moyamon anzugreifen, das in den Bergen lebte. Wie die Dinge standen, hatten die DigiRitter keine Chance, es an den Siedlungen im Tal vorbeizulocken.

„Zurückzukehren war keine Option, oder?“, fragte Kouki grimmig, als sie auf der letzten Felsenspitze vor dem Tal zwischenlandeten.

Taneo schüttelte den Kopf. „Das wäre nicht vernünftig. Selbst auf unseren Digimon brauchen wir drei Tage, um die Berge zu überqueren. So lange halten wir nicht durch.“

So flogen sie ins Tal, um den Digimon ihren Untergang zu bringen.

 

Kouki tat es weh, wie freundlich sie von den Digimon begrüßt wurden. Vornehmlich Burgermon, MudFrigimon, Bearmon und Grizzlymon lebten in dem Tal und hatten viel von den DigiRittern gehört – woher auch immer. Er war sich nicht einmal sicher, ob diese Digimon wussten, wie sie aussahen, oder ob sie sie für die DigiRitter längst vergangener Zeiten hielten. Sie luden sie sogar zu einem schmackhaften Festessen ein und boten an, ihnen so viel Brot und Obst und graubraune Knollenfrüchte zu geben, wie sie benötigten.

Tageko und Kouki übernahmen die unliebsame Aufgabe, sie alle vor dem Digimon zu warnen, das auf sie zukam. Sie hätten höchstens einen halben Tag Zeit, um sich irgendwo an den seitlichen Hängen des Tals in Sicherheit zu bringen. Darauf reagierten sie verwundert, aber sie wirkten dennoch dankbar, weil ihre Helden sie extra warnten – und Kouki brachte es nicht über sich zu gestehen, dass Arkadimon ihnen eigentlich nur folgte.

Die Digimon versprachen, auch ihre Nachbarn zu warnen, und die DigiRitter setzten ihren Weg nach Osten fort. In der Abenddämmerung machten sie auf einem kleinen Hügel mit einer hölzernen Windmühle Halt, um zurückzublicken. Mindestens zwei der Gehöfte sahen nicht so aus, wie sie aussehen sollten – aus der Ferne wirkte es, als hätte ein Kind einen Bauklotz in kleine Stückchen gehackt. Anderswo brannte es; eine dicke Qualmsäule ragte weit in den Himmel. Arkadimon schlug normalerweise mit den Fäusten zu und saugte seine Gegner mit seinen Tentakel-Haaren aus. Soweit sie wussten, beherrschte es keine Attacke, die etwas anzünden konnte. Irgendein Digimon dort musste sich gegen den Eindringling gewehrt haben.

Kouki sah, wie Fumiko mit leerem Blick die Szenerie betrachtete. Er tastete nach ihrer Hand, die sich kalt und leblos anfühlte.

 

Immerhin waren ihre Vorräte nun wieder aufgefüllt. Sie versuchten, eine möglichst unbewohnte Gegend zu finden, aber sie brauchten einen weiteren Tag, um die Felderlandschaft zu überqueren – vor allem, weil sie immer wieder landeten, um die Digimon hier zu warnen. Arkadimon wirkte wie ein instinktgetriebenes Tier, aber es besaß die subtile Grausamkeit, sie mit ihrem Pflichtgefühl und ihrem Hunger zu erpressen. Würden sie auf Nahrung verzichten und in unbewohntes Gebiet vorzustoßen? Darüber waren sich die DigiRitter selbst nicht mehr einig.

Niemand suchte mehr nach den Fernsehapparaten. Es schien einfach sinnlos; die Asuras hatten sicherlich alle zerstört. So gut es ging hielten sie ihre Kräfte beieinander. Renji war noch launischer als sonst, Tageko abweisend und noch rechthaberischer. Jagari war schweigsam, Taneo grüblerisch, und all das färbte auch auf ihre Digimon ab, die von Tag zu Tag mutloser wurden und sich sichtlich schämten, nicht besser für ihre Partner sorgen zu können. Kouki war der Einzige, der sich bemühte, die Gruppe aufzuheitern, und Fumiko wusste nicht, ob sie ihm dafür dankbar sein oder ihn einfach hassen sollte, weil Letzteres so einfach schien …

Eine gähnend leere Ebene erstrecke sich wieder vor ihnen, zuerst grasbedeckt, dann war es nur mehr eine öde, rote Felsenlandschaft. Wie viel von der DigiWelt hatten sie wohl schon gesehen, seit sie auf der Flucht waren? Cyberdramon und Nefertimon flogen relativ schnell.

Bald sahen sie wunderliche Felder, von denen sie nicht sagen konnten, wer sie bewirtschaftete. Auf einem wuchsen Fleischkeulen, deren Knochen bleich in der Sonne schimmerten und zum Pflücken einluden. Auf dem anderen schien jemand Käse anzubauen. Er wuchs auf niedrigen Sträuchern und in den Löchern der Käseräder steckte etwas wie Nüsse, die jedoch bitter schmeckten. Vielleicht die Kerne von diesem merkwürdigen Obst? Es war, als wären sie in einem Märchen gelandet. Das einzige Problem war, dass die meisten Äcker und Sträucher abgeerntet waren. Die Ausbeute war also gering. Die DigiRitter bedienten sich und zogen weiter – und hofften, dass sie damit niemandem Ärger bereiteten.

Dann kam wieder eine Hungerperiode. Zwei Tage später, am Morgen von Fumikos vierzehntem Geburtstag, saßen sie um ein erkaltetes Lagerfeuer in der Mitte einer Karstlandschaft herum und ließen ihre Mägen knurren. Arkadimon schienen sie soweit abgehängt zu haben. Die Frage war nur, für wie lange.

„Hey.“ Kouki setzte sich zu Fumiko, die in der kühlen Morgenluft auf einem der brüchigen Felsen saß und geistesabwesend ihr DigiEi streichelte.

„Hey.“

„Hier, für dich. Alles Gute zum Geburtstag.“ Kouki überreichte ihr eine Art Armband, das er aus Grashalmen geflochten und mit einer hübschen Blüte versehen hatte. Er lächelte. „Ist nichts Besonderes. Ich wünschte, es wäre was zu essen.“

„Das macht nichts. Es ist hübsch. Danke, Kouki.“ Sie nahm das Geschenk entgegen und gab ihm einen Kuss. Dann schlang sie das Band behutsam um ihr Handgelenk und betrachtete es. „Du hast nicht zufällig noch ein zweites?“

„Nö, wieso? Wolltest du noch eins?“

„Nein. Danke. Schon gut.“

Irgendwie hatte sie das Gefühl, bald sterben zu müssen. Wenn auch er ein solches Band getragen hätte … Ach, sie wusste es auch nicht. Vielleicht hätte sie sich dann friedlicher gefühlt. Im Tode vereint … Sie schüttelte den Gedanken hastig ab.

„Jetzt sind wir also schon fünfzehn Tage unterwegs“, seufzte Kouki und streckte sich neben ihr aus. „Irgendwas müssen wir uns einfallen lassen.“

„Hm“, machte sie nur. Sie wollte nicht darüber reden. Bis zu ihrem Aufbruch hockten sie nur schweigend nebeneinander.

Zum Abend hin hatten sie die felsige Landschaft hinter sich gelassen und überflogen einen dichten Nadelwald. Irgendwo rechts von ihnen glitzerte Wasser – ein See vielleicht oder das Meer? „Cyberdramon hält es nicht mehr lange durch“, berichtete Taneo. „Wir brauchen bald wieder was zu essen.“ Sein Digimon knurrte.

„Was ist mit dort vorne?“ Renji deutete auf eine Ansammlung Gebäude, die auf einer Lichtung standen. Als sie näher kamen, waren sie nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt Gebäude waren – es sah fast aus, als hätte jemand versucht, aus Hüpfburgen eine Stadt zu bauen. Der Boden wirkte wie ein riesiger, weicher Teppich.

Die DigiRitter beratschlagten sich kurz. Es stieg nirgends Rauch auf und aus der Luft konnte man auch keine Digimon sehen. Vielleicht war auch dieses Gebiet verlassen und würde ihnen die Nahrung spenden, die sie dringend brauchten. Außerdem war Arkadimon noch ziemlich weit weg; seit gestern hatten sie es nicht mehr gesehen.

Cyberdramon und Nefertimon landeten also in der Mitte der seltsam weichen Stadt und ließen ihre Partner absteigen. „Wow“, war das Erste, was Renji sagte, als sie die Stadt erkundeten. Der Teppich zu ihren Füßen war grasgrün und so elastisch wie ein Trampolin. Und er war übersät mit Eiern, von der Größe von Straußeneiern, die alle bunt gemustert waren.

„Jackpot, würde ich sagen“, grinste Renji. „Fleisch und Käse hatten wir ja schon. Das hier ist wohl das Eierfeld. Wenn wir die mitnehmen und braten, kommen wir locker noch eine Woche durch.“

„Untersteht euch!“, ertönte eine Stimme von links. Ein rotblaues Digimon huschte daher.

„Ein Elecmon!“, rief Jagari erfreut.

„Finger weg von den Eiern!“ Elecmon baute sich mit gesträubtem Fell vor Renji auf.

„Renji“, meinte Tageko tadelnd, „du hast schon gemerkt, dass das DigiEier sind?“

„Hä? Echt jetzt?“ Die anderen seufzten.

Elecmon musterte sie misstrauisch. „Ihr seid doch die DigiRitter, oder?“

„Wer sonst?“, fragte Fumiko.

„Gut. Gennai hat mir schon von euch erzählt. Endlich treffe ich euch mal. Wird auch Zeit. Wie lange wollt ihr noch auf der faulen Haut liegen?“

„Auf der faulen Haut liegen?“, wiederholten sie ebenso einstimmig wie fassungslos.

„Die Asuras bedrohen die DigiWelt, habt ihr davon schon mal gehört?“

„Klar. Wir kämpfen ja gegen sie“, meinte Kouki mit leichter Verwirrung in der Stimme.

„Dann macht gefälligst schneller!“

„Jetzt hör mal …“, begann Tageko, als hinter einer Art Plüschkissen etwas quietschte – oder weinte da ein Baby? Elecmon huschte augenblicklich zu ihm. Als sie ihm folgten, sahen sie, wie es einem niedlichen, roten Babydigimon ein Fläschchen mit Milch gab und beruhigend auf es einredete.

„Als die Meister der Dunkelheit über die DigiWelt hergefallen sind, haben sie die Stadt des Ewigen Anfangs zerstört“, erzählte Elecmon, ohne von seiner Tätigkeit aufzublicken. „Jeden Morgen warte ich darauf, dass die Asuras kommen und das Gleiche machen. Und ihr schwirrt hier einfach so rein und wollt meine Babys essen!“

„He, das war aber wirklich nicht so gemeint …“, wehrte Renji ab.

„Stadt des Ewigen Anfangs? Deine Babys?“, fragte Tageko.

„Heißt das, du kümmerst dich um sie?“, wollte Jagari wissen.

„So gut es eben geht.“ Elecmon huschte zu dem nächsten Baby, das schrie. Hier, hinter einer Wand aus Plüschkissen, wuselte es vor neuem, putzigem Digimon-Leben. Jagari hob begeistert eines der Kleinen auf und streichelte es. Die anderen fühlten sich eher verloren.

„Warte mal, hast du vorher nicht gesagt, du hättest mit Gennai gesprochen?“, fragte Taneo. „Weißt du, wo wir ihn finden können?“

Elecmon sah missmutig auf, während es ein Baby in den Pfoten wiegte. Es wartete, bis es eingeschlafen war, und setzte es vorsichtig in eine der steinernen Wiegen, die hier die Stadt säumten. „Das gerade nicht. Aber kommt mal mit.“

Es führte sie bis hinter die Stadt, wo der Wald begann. „Die Stadt des Ewigen Anfangs. Hier werden also Digimon geboren?“, fragte Jagari interessiert.

„Hast du doch gesehen.“

„Alle Digimon?“

„So gut wie. Ein paar Ausnahmen gibt’s immer. Eure Partner zum Beispiel, schätze ich mal. Wir sind da.“

Da bedeutete, auf einer winzigen Waldlichtung, mehr einem unbewachsenen Fleck in der Wildnis. Ein tellerförmiges, technisches Gerät prangte dort, halb von Moos überwuchert, auf dem Boden.

„Gennai, hier will dich jemand sprechen.“

Die DigiRitter sahen staunend, wie eine vielfarbige Lichtsäule aus dem Teller wuchs. Darin wurde plötzlich, leicht durchsichtig, Gennais Gestalt sichtbar. „Eine holografische Übertragung“, stellte Jagari beeindruckt fest.

Gennai erkannte sie sofort und nickte ihnen zu. Falls er überrascht war, zeigte er es nicht. „Gut, dass ich euch treffe. Danke, dass du sie hergebracht hast, Elecmon. Ich versuche schon seit Längerem, mit euch Kontakt aufzunehmen.“

„Haben wir gemerkt“, meinte Renji trocken und kassierte dafür von Tageko einen Schlag in die Rippen. „Aua!“

„Gennai, wir brauchen Ihre Hilfe“, sagte sie.

„Außer mit Informationen kann ich euch wahrscheinlich nicht helfen“, sagte das Hologramm. „Ich bin im Moment sehr beschäftigt und muss achtgeben, dass die Asuras mich nicht finden. Allerdings muss ich sagen, dass ihr ganze Arbeit geleistet habt. Viele der Asuras haben dank euch das Zeitliche gesegnet, und es gibt nur noch einen einzigen Chaossamen.“

„Das mag ja alles sein“, begann Kouki, „aber wir haben trotzdem ein Riesenproblem. Ein irre starkes Digimon ist hinter uns her und wir kommen nicht mehr in unsere Welt zurück, weil die Asuras alle Fernseher zerstört haben.“

„Oder gibt es hier einen?“, fragte Jagari Elecmon.

Das Digimon schüttelte den Kopf. „Nicht mehr. Ich habe letztens ein Snimon durch den Wald fliegen sehen. Mir war nicht ganz geheuer dabei, ich hatte schon Angst, es würde die Stadt angreifen. Aber als ich nachsehen ging, waren da nur die rauchenden Überreste von einem dieser Fernseher. Also steckte es doch mit den Asuras unter einer Decke.“

„Dann haben sie herausgefunden, wie ihr diese Welt betretet“, sagte Gennai. „Das ist nicht gut.“

„Haben Sie irgendeinen Tipp für uns, wie wir ein unglaublich starkes Digimon besiegen können?“, fragte Taneo.

„Gibt es nicht zufällig irgendwo eine Geheimwaffe? So eine Art Digimon-Excalibur oder so? Am besten hier in der Nähe?“, fragte Renji.

Fumiko sah in den Abendhimmel. Der Wind raschelte in den Zweigen. Plötzlich hatte sie ein ganz mieses Gefühl, wie eine dunkle Vorahnung. „Wir sollten uns beeilen. Arkadimon kann jeden Moment auftauchen.“

„Wir haben einen guten Vorsprung“, erwiderte Taneo. „So schnell holt es uns nicht ein.“

„Trotzdem. Irgendetwas stimmt hier nicht.“

Gennai hatte aufgehorcht. „Arkadimon? Sagtest du Arkadimon?“

„Wissen Sie etwas darüber?“, fragte Tageko.

Gennai schwieg, nur für einen Moment, aber das bedeutete nichts Gutes. „Nicht viel. Arkadimon ist ein Digimon, das in der DigiWelt eigentlich gar nicht existieren dürfte. Die Asuras haben seine Daten aus dem Strudel der Finsternis geholt und es zu einem der ihren gemacht. Wir haben den letzten Heiligen Stein geopfert, um seine Macht zu versiegeln. Wenn die Asuras es geschafft haben, es wiederzuerwecken, bedeutet das nichts Gutes.“

Fumiko wusste nicht, was er mit diesem ominösen Strudel meinte, aber offenbar hatte selbst Gennai nicht damit gerechnet, dass Arkadimon zurückkehren könnte. „Und? Wie können wir es jetzt besiegen?“

„Gar nicht.“

Die DigiRitter starrten ihn an. „Gar nicht?“, rief Kouki. „Heißt das, es ist unsterblich?“

„Das nicht. Es kann genauso zerstört werden wie jedes andere Digimon. Aber genau das müsst ihr um jeden Preis vermeiden.“

„Und wieso?“ Renji lachte humorlos. „Etwa weil es sich im Grunde seines Herzens uns anschließen will?“

„Nein. Ich wollte darüber schon eher mit euch reden. Ich habe schlechte Nachrichten.“

„Noch was Schlechtes?“, fragte Kouki mutlos.

Gennai nickte ernst. „Ich habe etwas über die Asuras herausgefunden. Über ihre gefährlichste Waffe.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  PattMaster
2017-07-13T15:30:57+00:00 13.07.2017 17:30
Jetzt bin ich gespannt, was diese Waffe sein soll. Arkadimon selber ist ja schon sehr gefährlich. Aber ehrlich als ich mir mal den Trailer angesehen hatte, dachte ich mir schon, dass der Schatten Arkadimon sein soll. Doch irgendwie dachte ich auch, dass es in Fumikos Digitama sei. Hm, darauf bin ich auch gespannt. Ob es irgendwann mal schlüfpt und welches Digimon dort drinnen ist.
Auf jeden Fall freue ich mich auf die nächsten Kapitel.
Antwort von:  UrrSharrador
22.07.2017 18:14
Danke für deinen Kommi! Du darfst gespannt sein :)
Von:  EL-CK
2017-07-07T17:32:33+00:00 07.07.2017 19:32
Ein starkes Kapitel...
Antwort von:  EL-CK
07.07.2017 19:32
..ich bin einfach nur sprachlos...
Antwort von:  UrrSharrador
22.07.2017 18:14
Danke für deinen Kommi :)
Von:  Fuchspinsel
2017-07-07T16:30:59+00:00 07.07.2017 18:30
Fumiko... sie ... sie hat das DigiEi gestreichelt und es hat nix genützt T.T Ich will die Hoffnung immer noch nicht aufgeben, aber ich fürchte, dass das ganze mit ihrem Digimon ein Trauerspiel bleibt...
Als ich gelesen hab, dass sie nach Osten fliehen hatte ich ein bisschen Hoffnung geschöpft (immerhin "bewacht" Azulongmon den Osten, auch wenn's grad mal wieder versiegelt ist...)
Ich find's cool, dass Elecmon auch auftaucht ^^ Ich mag es einfach xD Hast den Charakter echt gut getroffen (hatte dauernd die deutsche Stimme im Kopf xD)
Na über die Gefährlichste Waffe bin ich ja gespannt (obwohl ich meinen könnte, dass es mit diesen Datenpartikeln zu tun hat, die auftauchen, wenn ein Asura vernichtet wird...). Als ob die Digiritter im mom nich schon genug Probleme hätten...
Antwort von:  UrrSharrador
22.07.2017 18:16
Danke für deinen Kommi! Ja, leider, das Streicheln hat nichts gebracht.
Freut mich, wenn ich Elecmon getroffen habe :) Ich hab auch versucht, mir die deutsche Stimme dazu vorzustellen xD
Mal sehen, ob du recht hast ;)


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