Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 29: Einkaufsbummel -------------------------- Das Einkaufszentrum brummte vor Leben an diesem sonnenwarmen Freitag. Kouki hatte gar nicht richtig mitbekommen, wie der Frühling den Winter niedergetrampelt hatte. Wenn er das Haus verließ, um mit Salamon – angeblich – Gassi zu gehen, hatte er immer noch das Gefühl, er müsste sich in dicke Schichten Kleidung einpacken. Die Blumen waren spät dran gewesen, die tote Erde zu sprengen, und der Stadtrand quoll über vor frischem Grün. Der Frühling war definitiv ein Launenbesserer. Kouki fragte sich, inwieweit seine Gefühle für Fumiko auch nur Frühlingsgefühle waren, und ob das nun was Schlechtes oder ein glücklicher Zufall war. Fumiko gehörte definitiv nicht zu den Mädchen, die beim Shoppen einen Riesenaufstand machten, Stunden brauchten, um sich ein Paar Schuhe zu kaufen, und ihren männlichen Begleitern Tonnen von Einkaufstaschen aufbürdeten. Interessanterweise kam ihm dieser Gedanke erst, als sie schon zwei Stunden quer durch das Meer aus Schaufensterpuppen, Glitzerkram hinter dicken Scheiben, Gaming-Zellen und weiteren Geschäften gewatet waren. Kouki kannte sie gut genug, um gar nicht erst derartige Befürchtungen gehegt zu haben – neunzig Prozent der wenigen Einkäufe, die sie bisher getätigt hatten, gehörten Salamon. Eigentlich hatte er gemischte Gefühle dabei, seinen Digimonpartner auf sein Date mitzunehmen, aber Salamon konnte verdammt quengelig sein, und Fumiko hatte sich als Erste erweichen lassen. Und er hatte es ja oft genug allein mit seinen Schwestern zuhause gelassen, so oft, dass es sich schon über Aya beschwert hatte, die gar nicht genug von dem neuen kleinen Hund bekam. In einem Juwelier, den sie just aus Spaß betreten hatten, besahen sie sich für sie unerschwingliche Kostbarkeiten mit ernsten Gesichtern, als verstünden sie etwas davon. Kouki verlangte dann genauso ernst von der Verkäuferin zu wissen, wie groß der Reinheitsgrad einer bestimmten Goldkette war und wie viel Karat das wären. Die gute Dame war bis zum Schluss nicht sicher, ob er es ernst meinte oder sie veräppelte. Sie verließen das kleine Glitzergeschäft. Kouki machte zum Abschluss noch einen Witz; Fumiko lachte und hakte sich bei ihm unter. „Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass du dich anders als sonst benimmst, wenn wir zu zweit unterwegs sind?“, fragte er. „Wirklich?“ „Ja.“ Kouki sah grübelnd zur Decke des Einkaufszentrums, wo die Lampen wie weiße Balken glühten. „Aber wenn ich‘s mir recht überlege, dann erst, seit wir zusammen sind.“ „Oh“, machte sie und wich seinem Blick aus. „Das wär mir gar nicht aufgefallen. Ist das … gut oder schlecht?“ Kouki lachte. „Es gefällt mir.“   Ein leises Summen kündigte Thunderboltmon an, ansonsten ließ nichts vermuten, dass es überhaupt in der Nähe war. Taneo hielt eine Hand auf und wie ein dressierter Falke landete es darauf – so schnell, dass es schon fast wie hingezaubert wirkte. „Wie war das?“, fragte es mit seiner hohen Stimme. „Perfekt“, antwortete Taneo lächelnd. Mittlerweile hatte sein Partner seine alte Stärke zurückerlangt und sogar übertroffen. Es konnte nun als Thunderboltmon überall mit ihm unterwegs sein, ohne dass ein Mensch es bemerkte. „Worauf warten wir?“, fragte es, und er merkte, dass er neben dem Gartenzaun stehen geblieben war. „Auf nichts. Komm.“ Thunderboltmon verschwand wieder, und Taneo durchquerte den Garten und drückte auf die Türklingel.   „Kouki, schau!“ „Du sollst doch in der Tasche bleiben!“, sagte Kouki ärgerlich und drückte Salamons Köpfchen wieder in seine Sporttasche zurück. „Aber da drüben!“ Fumiko warf einen Blick auf den Laden, auf den Salamons Pfote zeigte. Er verkaufte Kleintierzubehör, und in der Auslage thronte auf einem majestätischen Kissen ein riesiger, bunt getupfter Gummiknochen. „Hundespielzeug“, stieß Kouki wie einen Fluch aus. Wie Fumiko von ihm erfahren hatte, war Spielzeug jeder Art Salamons neu entflammtes Hobby. Immerhin schien es darauf zu verzichten, die Schuhe der Familie Nagara zu zerkauen, aber ihm wurde in letzter Zeit schnell langweilig. Vor allem in dem Monat, in dem sie sich mit dem Kämpfen zurückgehalten hatten, hatte es Beschäftigung gebraucht. „Lass es doch“, meinte Fumiko. Kouki seufzte. „Vielleicht kriegst du den Knochen, Salamon. Aber nur, wenn du für den Rest von unserem Einkaufsbummel brav bist und in der Tasche bleibst.“ „Aber hier drinnen seh‘ ich nichts!“ Kouki seufzte erneut. „Wieso lässt du es nicht einfach heraus? Hier laufen genug Leute mit Hunden rum. Es würde doch gar nicht auffallen.“ Fumiko deutete auf einen Hundebesitzer, der ihnen entgegenkam. „Weil mein Hund die Angewohnheit hat, nie sein Schnäuzchen zu halten, wenn er soll“, sagte Kouki und stupste Salamons Schnauze, das kicherte. Sie setzten sich wieder in Bewegung. Als der Mann mit dem Hund näher kam, beschlich Fumiko ein Gefühl, als ob … Nein, bildete sie es sich ein? Als sie aneinander vorbei gingen, ohne dass der Mann von ihnen Notiz nahm, blieb sie stehen und sah ihm stirnrunzelnd nach. „Hast du was?“, fragte Kouki, der schon in paar Schritte weitermarschiert war. Fumiko schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, ich … dachte nur …“ Ihr Kopfschütteln wurde energischer. „Wahrscheinlich täusche ich mich.“ Sie drehte sich wieder zu ihrem Freund um und wollte schon zu ihm aufschließen, als eine Stimme hinter ihr ertönte. „Déjà-vu.“ Mit einem überraschten Seufzer drehte sie sich abermals um und bemerkte, dass der Mann mit dem Hund auch stehen geblieben war und in ihre Richtung sah. Ein wissendes Lächeln zierte sein Gesicht – das Allerweltsgesicht schlechthin. Hätte er sich abgewandt, hätte sie vergessen, wie er aussah. Sie hatte sich nicht daran erinnert. Schon eher an den Wintermantel mit dem hochgeschlagenen Kragen – und vor allem an den riesigen Kampfhund. „Einem Sprichwort zufolge läuft man sich immer zweimal über den Weg“, sagte der Mann mit einem warmen Lächeln. „Ich wusste doch, dass ich ihn kenne“, murmelte Fumiko, mehr zu sich selbst. „Hm? Wer ist das denn?“, fragte Kouki neugierig. „Erinnerst du dich nicht?“, fragte sie, den Hund nicht aus den Augen lassend. „Du warst doch auch dabei.“ „Ah!“ Jetzt schien der Groschen bei ihm zu fallen. „Sie … Sie sind … Das war Ihr Hund, der Fumiko damals angefallen ist!“ Sie spürte, wie er ihre Hand drückte. „Kouki“, flüsterte Salamon, das den anderen Hund wohl witterte. Kouki hielt seine Hand über die Tasche, um es daran zu hindern, herauszuspähen. Dann zwang er sich sichtlich zu einem Lächeln und sagte in versöhnlichem Ton: „Ich hoffe, dass Sie Ihren Hund mittlerweile besser unter Kontrolle haben.“ „Nun ja, teils, teils.“ Der Mann musterte sein Monstrum von einem Kampfhund etwas ratlos. Fumiko kannte sich zu wenig mit Hunderassen aus, um diese eindeutig bestimmen zu können, aber er war wirklich riesig. „Üblicherweise tut er, was ich sage. Und dann gibt es wieder Momente, in denen, naja, er seinen eigenen Willen durchsetzt.“ „Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen ein paar Tipps geben“, bot Kouki an. „Ich kenn mich mit Hunden gut aus.“ Der Mann schenkte ihm ein breites Lächeln. „Danke. Aber ich mag es, dass er einen freien Willen hat.“ „Naja, aber …“ Kouki stockte kurz. „Das ist ja schön und gut, aber Sie sollten Ihren Hund schon richtig abrichten.“ „Kouki!“, zischte Salamon wieder. „Schscht!“ Er drückte das Köpfchen, das sich keck aus der Tasche erheben wollte, mit sanfter Gewalt wieder hinein. „Sie müssen Ihrem Hund zeigen, dass Sie der Boss sind. Schließlich sind sie Rudeltiere, die brauchen einen Anführer.“ Stirnrunzelnd besah sich der Mann seinen Hund, der im Moment artig neben ihm hockte. „Hm, das mag schon sein, aber ich weiß nicht, ob so die Kameradschaft zwischen uns wirklich funktionieren würde. Egal, wer nun der Anführer ist, ich bin der Auffassung, dass jedes Individuum seine eigenen Entscheidungen treffen sollte.“ „Auch wenn das bedeutet, dass Ihr Hund wieder Menschen angreift?“, fragte Fumiko trocken. „Aber ganz besonders dann!“ Das Lächeln des Mannes wurde zu einem breiten Grinsen. Er legte den Kopf schief und breitete gewinnend die Arme aus. „Vor allem, wenn es sich dabei um kleine Mädchen handelt, die ein DigiVice in ihrer Tasche herumschleppen.“ Zunächst begriff Fumiko gar nicht, was er da gerade gesagt hatte. Sie wollte ihn schon einen Spinner nennen und auf dem Absatz kehrtmachen, als ihr der letzte Teil seines Satzes ins Bewusstsein sickerte. „W-was?“ Salamon schüttelte Koukis Hand ab und sein Kopf schoss förmlich aus der Sporttasche. „Kouki, irgendwas stimmt mit ihm nicht!“, rief es schrill. „Salamon!“, zischte Kouki wütend, aber der Mann schien sich nicht an einem sprechenden Welpen zu stören. Er lachte nur leise in sich hinein und breitete erneut die Arme aus. „Erlaubt mir, dass ich meinem Hund zeige, wie man es richtig macht!“ Plötzlich loderten in seinen beiden Händen meterhohe Flammen auf. Fumiko reagierte als Erste. „Weg hier!“ Sie schoss davon wie eine Kanonenkugel, prallte dabei so gegen Kouki, dass sie ihn mit sich reißen konnte. Ihre Schuhe donnerten hart gegen den Linoleumboden des Einkaufszentrums. Links und rechts von ihnen zerplatzten fauchend Feuerbälle und spritzten ihnen glühende Luft ins Gesicht. Die Hitze raubte ihnen den Atem. Binnen Sekunden erhob sich ein markdurchdringendes Geschrei, als all die harmlosen Einkaufsbummler die Flammen bemerkten. Schritte trampelten in jede Richtung davon, Leiber prallten gegeneinander, als würde das Feuer sie fortwehen. Eine dritte Stichflamme züngelte knapp über Fumikos Kopf hinweg. Sie hörte Kouki neben sich keuchen. „Das gibt’s doch nicht!“, japste er. „Ist er ein Digimon?“ Fumiko fand nicht die Muße, über diese Frage nachzudenken. Wohin rannten sie? Konnte der Mann sie einholen? Die Feuerbälle waren nun schlechter gezielt, zerbarsten an Schaufenstern oder dem großen Springbrunnen in der Mitte der Halle. Eine Hitzewelle rollte an ihnen vorbei, und als die Flammen versiegten, war der Boden geschmolzen. Der Gestank von etwas Geschmortem lag in der Luft. Gackerndes Gelächter kündete davon, dass der Angreifer einen irren Spaß hatte. Dann übertönte es das schrille Läuten des Feueralarms. Aus einer Gischt aus Funken und Rauchfetzen schälten sich die Rolltreppen, die in die zweite Etage führten. Ohne lange zu überlegen, stürmten Fumiko und Kouki hinauf. Ihre Lungen brannten, jeder keuchende Atemzug füllte sie mit geschmolzener Luft. „Kouki, ich muss digitieren!“, schrie Salamon aus seiner Tasche. „Du kannst doch nicht hier mitten im Kaufhaus digitieren!“, stieß er atemlos hervor. Sie hatten die obere Etage fast erreicht, als ein feuerroter Komet genau am Treppenabsatz einschlug. Die Flammen stoben auseinander und gaben den Blick auf den verrückten Mann frei, der jetzt plötzlich direkt vor ihnen stand. Vor ihren Augen fiel der größte Teil seines Mantels in kleinen, glühenden Fetzen von ihm ab und offenbarte ein dürres Gerippe von einem Körper, das in orangerote Kleidung gehüllt war. Auch das Gesicht verwandelte sich, wurde grau und pergamentartig, als wäre es schon vor langer Zeit völlig ausgedörrt. Der Mund wurde noch breiter, dicke Schnüre schienen ihn am Kiefer zu halten, und auf dem Kopf erschien eine Art Hexenhut. Fumiko hatte keinen Zweifel mehr daran, dass das da ein Digimon war. Gebannt von dem Anblick dachten sie erst gar nicht daran, ihre Flucht fortzusetzen. Die Rolltreppe schob sie unbarmherzig näher an das Wesen heran. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle. „Ach, hätte ich nur damals schon geahnt, welche Schwierigkeiten ihr uns noch bereiten würdet. Dann wäre ich meinem vierbeinigen Freund zur Hilfe gekommen. Das hat man nun davon, wenn man in einer fremden Welt möglichst keine Aufmerksamkeit erregen soll!“ Die letzten Worte spie es ihnen förmlich entgegen. Plötzlich schwenkte es einen Zauberstab, der wie ein überdimensioniertes Streichholz aussah, und ein neuer Feuerball schoss auf sie zu. Mit Kampfgeheul sprang Salamon aus Koukis Tasche und wurde voll erwischt. Im hohen Bogen flog es rückwärts durch die Luft und landete irgendwo unten im rauchverhangenen Erdgeschoss des Einkaufszentrums. Salamons Schrei löste die beiden aus ihrer Starrte. Diesmal war es Kouki, der Fumiko mit sich riss. Sie schwangen sich auf die benachbarte Rolltreppe und stürmten wieder hinunter, auf der Flucht vor diesem Digimon, das schneller war als der Wind. „Kouki, lass mich digitieren!“, rief Salamon irgendwo zwischen Rauch und Feuer. Immerhin lebte es also noch … Und kurz darauf sahen sie, dass es bereits zu Gatomon digitiert war. „Also gut!“, brüllte Kouki, als sie unten ankamen und er fast gestolpert wäre. In seiner Hand hielt er sein DGX-Terminal. „DigiArmorEi des Lichts, erstrahle!“   Das Untier verwandelte sich, aber gleichzeitig stieg er ein Level auf und machte es mit einem weiteren Streich platt. Schadenspunkte flackerten überall auf dem Bildschirm auf, nachdem Jagari einen Flächenzauber auf die übrigen Ghule losgelassen hatte. Das war ja fast zu einfach. Es pochte an seine Zimmertür. „Jagari?“ Seine Mutter. Was wollte sie schon wieder? „Dein Freund ist da.“ „Was?“ Verwirrt setzte er das Headset ab. Wer kam ihn denn heute besuchen? Als er sich umdrehte, stand die Tür bereits offen. „Taneo!“, rief er aus. Der Junge nickte ihm zu. „Kann ich reinkommen?“ Kurze Zeit später saßen sie beide in seinem Zimmer. Seine Mutter hatte ihnen zwei Gläser Holundersaft gebracht und sich wieder in die Küche verzogen. Jagari blieb in seinem Schreibtischsessel sitzen. Taneo hatte sich ungefragt auf Jagaris Bett bei Motimon niedergelassen. Thunderboltmon war auf Taneos Schulter erschienen, kaum dass sie allein waren. Jagari empfand tiefe Bewunderung dafür, dass es ihm gelang, ein so hohes Level in der Menschenwelt zu halten. Die beiden Digimon tollten kurz darauf über das Bett und den Schrank, was dank ihrer Körpergröße ein richtiger Abenteuerspielplatz für sie sein musste. Taneos Blick ruhte auf Jagari, dass ihm ganz unwohl dabei wurde. Schließlich seufzte der andere Junge. „Also, wie fange ich am besten an? Tageko hat gesagt, dass ich mal mit dir reden soll.“ „Ach ja?“, fragte Jagari misstrauisch. Taneo war derjenige von seinen Freunden, den er noch am ehesten wirklich als Freund sah, aber dennoch, wenn er nur herkam, weil ihre Cliquenmutter das von ihm verlangte … „Sie macht sich Sorgen. Und wenn ich’s mir recht überlege, ich auch.“ „Wieso denn?“, seufzte er, hatte aber schon eine konkrete Ahnung. „Du scheinst in letzter Zeit irgendwie … neben der Spur zu sein.“ „Was soll das heißen, neben der Spur?“ „Naja.“ Taneo betrachtete seine eigenen Hände, die einander kneteten. Offenbar fühlte er sich nicht ganz wohl in seiner Haut. „Du bist sehr passiv …“ „Na und?“, fiel Jagari ihm viel zu aggressiv ins Wort. „Ist das schlecht? Es kann doch nicht jeder immer am Reden sein!“ „Nein, aber gar nicht zu reden und unglücklich dreinzusehen ist auch nicht richtig“, entgegnete Taneo ruhig. „Was willst du denn von mir?“, fragte er ungehalten und lehnte sich in seinem Sessel zurück, die Decke betrachtend. „Ich will, dass du mir sagst, was dich bedrückt. Dann suchen wir eine Lösung.“ Jagari rollte mit den Augen. Er wusste selbst nicht, warum er auf einmal so gereizt war. Vielleicht, weil er einfach nicht darüber reden wollte. Es war unangenehm und peinlich und außerdem … Ging es Taneo überhaupt etwas an? „Ist es wegen Renji?“, fragte der, als Jagari schwieg. Er stöhnte. „Oh nein, bitte, brich wegen mir nicht wieder einen Streit mit ihm vom Zaun, ja?“ „Sag’s mir einfach. Fühlst du dich von ihm übergangen?“ „Nein! Es war ja abgemacht, dass er …“ „Du hast dein Recht aber auch nicht verteidigt.“ Sein neuerliches Stöhnen klang in seinen eigenen Ohren hässlich, wie das Röhren eines wilden Tiers. „Verstehst du, ich muss doch nicht unbedingt mit einem starken Digimon kämpfen! Wenn ich euch das Kämpfen überlasse, ist das viel klüger!“ Taneo legte den Kopf schief und musterte ihn durchdringend. „Kann es sein, dass du ziemlich an dir selbst zweifelst?“ „Nein, gar nicht“, behauptete Jagari. Taneo nickte. „Stimmt. Du zweifelst an Motimon.“ Ihre Digimon, die auf dem Schrank herumturnten, hielten inne. Jagari sah in Motimons treue Augen. Er hoffte, dass es das nicht ebenfalls glaubte. „Hältst du es für so schwach?“, fragte Taneo. „Jetzt hör mir mal zu …“, brauste Jagari auf, wurde aber sofort unterbrochen. „Du hörst zu!“ Taneo suchte nach Worten, dann hob er seufzend die Hände. „Ich hab’s gewusst. Ich bin der falsche Typ für so etwas. Tageko meinte, wir könnten da gemeinsam eine Lösung finden, aber …“ Er lachte leise und hob die Schultern. „Weißt du, ich bin eher jemand, der handelt und keine großen Reden schwingt.“ „Sag das nicht“, rief Jagari aus. „Ich finde, was du sagst, hat immer Hand und Fuß!“ „Tja, wenn es um Kampfpläne geht“, meinte Taneo bitter. Seine rechte Hand massierte die linke. Eine Weile sagte er nichts, dann, plötzlich: „Kann es sein, dass das dein Problem ist?“ „Hm?“ „Ich weiß nicht genau, was dich davon abhält, dich einfach richtig in unsere Gruppe zu integrieren. Und mit uns Spaß zu haben.“ Er sah geistesabwesend aus dem Fenster. „Mich hält meistens die Verantwortung davon ab. Aber die Abenteuer in der DigiWelt machen mir Spaß, auch wenn ich mich zwingen müsste, euch das zu zeigen. Ich glaube aber nicht, dass es bei dir auch daran liegt. Dass du versuchst, den Vernünftigen zu mimen. Also, was ist es, Jagari? Hast du auch etwas, worin du nicht gut bist? Wo du dich den anderen unterlegen fühlst?“ Jagari brummte nur etwas Unverständliches. „Ich werte das mal als Ja. Hör zu, Jagari. So wie ich zum Beispiel nicht der große Beziehungsguru bin oder wie immer man das nennt, hast auch du verschiedene Stärken und Schwächen. Das ist völlig in Ordnung. Das einzig Wichtige ist, dass man seine Grenzen kennt. Und je nachdem welcher Typ Mensch man ist, lebt man, so gut man kann.“ Motimon kam über das Bett gewatschelt und sprang auf Jagaris Schoß. Abwesend begann Jagari es zu streicheln. In Taneos Hosentasche vibrierte sein Handy, aber er bewegte sich nicht. Jagari wusste, dass er ihn immer noch unverwandt anstarrte. Schließlich seufzte er schwer. „Na schön. Ich sag dir, was ich glaube, was mit mir los ist. Ich versuch’s.“ Taneo lächelte leise. „Gut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)