Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 21: Unterseekampf ------------------------- „Bist du … das Digimon, von dem Gennai …“, stammelte Tageko, völlig überwältig von diesem Ding, das vor ihnen aufgetaucht war wie eine riesige, braune Insel. „Ja“, sagte das Digimon. Es war riesig, doch es hatte eine sanfte Stimme. „Ich soll euch abholen. Ich bin Whamon.“ „Das ist ja irre!“, rief Jagari. Er hatte wieder die Analyzer-Brille aufgesetzt. „Es ist auf dem Ultra-Level, und seine Attacke heißt Düsenpfeil.“ Tageko wollte lieber gar keine Attacke von diesem Monster sehen. „Wir sollten uns beeilen“, sagte Whamon. „Steigt in mein Maul, wir werden tauchen.“ Es öffnete seinen gewaltigen Rachen und entblößte gewaltige Zähne. Intensiver, irgendwie alter Salzgeruch schlug ihnen entgegen. Keiner rührte sich. „Da hinein?“, fragte Tageko skeptisch. „Für wie blöd hältst du uns?“ „Ihr könnt mir vertrauen“, beruhigte sie Whamon. Es konnte sprechen, ohne den Kiefer zu bewegen; seine Stimme schien direkt aus seinem Innern zu dröhnen. Immer noch zögerten sie. Taneo ging schließlich auf das Digimon zu, doch Tageko hielt ihn zurück. „Beeilt euch“, drängte Whamon. „Ich schwimme zwar öfters in diesen Gewässern, aber man könnte Verdacht schöpfen, wenn ich zu lange hierbleibe.“ Die DigiRitter sahen einander nochmals an. Jeder suchte nach Zustimmung in den Blicken der anderen. „Ich habe gehört, Whamon sind freundliche Digimon“, sagte Elecmon. „Gehört heißt nicht gewusst“, erwiderte Tageko. „Was ist jetzt? Wollt ihr den Samen nun finden oder nicht?“ Taneo stand schon bei den ersten beiden Zähnen, die ihn überragten. Tageko atmete tief durch, dann straffte sie die Schultern. Die anderen folgten ihr und Taneo in das riesige Maul, an den Zähnen vorbei bis zu einer gewaltigen Zunge. Fast lautlos schlossen sich Whamons Kiefer wieder, und es war plötzlich völlig dunkel. Tageko war gar nicht wohl in ihrer Haut. „Nicht erschrecken“, warnte sie Whamon vor. Sie erschraken trotzdem. Plötzlich bäumten sich Zunge und Maul auf. Unter lautem Schreien verloren sie den Halt und purzelten tiefer in Whamons Rachen – und dann kam etwas, das nur die Speiseröhre sein konnte. Sie rutschten auf glitschigem, rosa Fleisch tiefer und tiefer, über raue Unebenheiten hinweg. Tageko gelang es, sich an einem Knoten in der Röhrenwand festzuhalten. Die anderen rauschten kreischend an ihr vorüber. „Fumiko!“, schrie sie. „Taneo! Haltet euch irgendwo fest!“ Schon waren sie in der Dunkelheit verschwunden. Tageko hing für einen Moment entsetzt in Whamons Speiseröhre, als sie etwas heranbrodeln hörte. Sie hob den Blick und stieß einen weiteren Schrei aus. Auf sie herab stürzte ein wahrer Wasserfall aus Salzwasser, riss sie von ihrem Haltegriff fort und spülte sie die Röhre hinab. Sie konnte noch nicht lange fallen, dennoch meinte sie eine Ohnmacht kommen zu spüren. Dann, plötzlich, wurde es hell vor ihr. Sie stürzte in eine größere Höhle, in der weiches Licht sie auffing – wortwörtlich. Es schien vom Boden auszugehen, und je näher sie ihm kam, desto mehr wurde ihr Fall abgebremst, bis sie völlig sanft auf den Füßen aufsetzte. Ihre Knie waren so weich, dass sie sofort nachgaben. Tageko landete auf einem ekligen, fleischigen Boden, weich und warm und nachgiebig – lebendig. Es musste Whamons Magen sein. Die anderen waren ebenfalls hier. „Seid ihr alle in Ordnung?“, rief Tageko aufgelöst. „Uns geht’s gut.“ Kouki richtete sich auf und hielt sich das Kreuz. „Verdammt, wo sind wir?“ „Dreimal darfst du raten. Dieses Digimon hat uns gefressen“, stellte Fumiko fest. „Werden wir jetzt verdaut?“ Jagari sah sich ängstlich um. Die Wände des Magens schienen ein eigenes Licht abzusondern, es war geradezu unnatürlich hell hier drin. Ein dünner Film Salzwasser war von dem Schwall vorhin noch übrig; obwohl es aberhunderte Liter sein mussten, hatten sich in der riesigen vermeintlichen Höhle verlaufen. Obwohl ihr davor ekelte, tauchte Tageko den Finger in das Wasser und betastete den Boden. „Sieht nicht so aus“, murmelte sie. Wasser, ja. Es war nicht etwa ätzend. Falls Whamon etwas wie Magensäure besaß, hielt es sie zurück. „Renji! Renji, wach auf!“ Candlemon sprang auf Renjis Brust herum. Seine Rufe klangen verspielt, nicht etwa alarmiert. Nach einer Weile zuckte sein Partner zusammen und fuhr in die Höhe. „Was? Was ist? Wo … Wo sind wir?“ „In meinem Magen seid ihr sicher“, dröhnte Whamons Stimme von allen Seiten und verursachte Gänsehaut. „Wir sind bereits auf Tauchgang. In zehn oder fünfzehn Minuten sollten wir den Lichtsamen erreicht haben.“ „Du hättest uns vorwarnen können“, meinte Tageko säuerlich. Ihre Klamotten waren völlig durchnässt – außerdem stank es in Whamons Inneren. Man merkte gar nicht, dass sie unter Wasser unterwegs waren. Allerdings war es ein beklemmendes Gefühl, nur das rohe Fleisch Whamons zu sehen, gespenstisch hell, ohne eine Spur von echtem Tageslicht. „Ein Fenster wäre praktisch“, murmelte Renji. Jagari legte seine Angst bald ab und lief begeistert herum. „Das ist … Das ist Wahnsinn! Wir sind im Magen von einem Wal! Das ist wie mit … wie mit …“ „Noah?“, schlug Renji vor. „Genau!“ „War der mit dem Wal nicht Jona?“, fragte Kouki stirnrunzelnd. „Ist doch schnuppe“, gab Renji zurück und stapfte übellaunig hin und her. Candlemon musste zur Seite hopsen, sonst hätte er es niedergetrampelt. „Sind wir endlich da? Ich halt’s keine Minute mehr aus hier drin.“ „Was ist ein Wal, Taneo?“, fragte Kokuwamon. „Naja … Es gibt so ähnliche Wesen wie Whamon in unserer Welt. Man nennt sie Wale.“ „Oh!“ Kokuwamon schien beeindruckt. „Und bist du auch schon mal im Bauch eines Wals in deiner Welt gewesen?“ „Nicht, dass ich wüsste.“ „Wir sind da“, verkündete Whamon. Man spürte keinen Ruck, als es innehielt. „Haltet Eure DigiVices bereit.“ „Wie sollen wir denn überhaupt hinauskommen?“, fragte Tageko. Warum hatte sie nicht schon eher daran gedacht? Der Samen lag ja am Grunde des Ozeans, vermutlich würde der Wasserdruck allein sie zermalmen. Ihre Sorgen waren unbegründet. Plötzlich leuchtete vor ihnen ein Fleck der Wand viel heller als noch zuvor, dann noch stärker, dann bildeten sich schwarze Punkte darauf. Gleichzeitig ging ein tiefes Grollen durch Whamons Körper. „Was ist …“ Taneo unterbrach sich, als der Lichtsamen zum Vorschein kam. Er war einfach durch die Wand gesickert, wie Röntgenstrahlen, und hielt auf die Mitte des Magens zu. Erst jetzt wurde Tageko klar, dass Whamon in den Samen hineingeschwommen war und nicht etwa umgekehrt. Schließlich konnten sie ihn in seiner ganzen Pracht und Verdorbenheit betrachten. Die Kontaminierung war viel weiter fortgeschritten als bei Karatenmons Samen. Fast zwei Drittel des Lichtsamens waren in Dunkelheit gehüllt, und es war eisig kalt geworden in Whamons Körper. „Schnell“, ertönte die Stimme des Wals gepresst. „Reinigt ihn … Ich fühle, dass diese Dunkelheit nicht gut für mich ist.“ Tagekos Blick wanderte zu der Wand des Magens, durch die der Samen geschwebt war. Sie hatte sich schwarz gefärbt, und nach und nach lösten sich kleine Fleischfetzen davon und zerstoben zu Datenwolken. Das Grollen wiederholte sich. Tageko wurde klar, dass es sich um Whamons Stöhnen handelte. „Lasst uns keine Zeit verlieren“, sagte sie und richtete ihr DigiVice auf den Samen. Die anderen taten es ihr gleich. Sechs heilende Strahlen bohrten sich in den fast schwarzen Stern. Wenigstens waren sie diesmal nicht unter Dauerfeuer. Die schwarzen Flecken gingen ebenso zäh zurück wie bei der letzten Lichtsaat, die sie gereinigt hatten. Als gerade einmal die Hälfte davon verschwunden war, tropfte etwas von der Decke und landete genau auf Tagekos Schulter. Es kam so unerwartet, dass sie einen spitzen Schrei ausstieß. Etwas Nasses, sich Bewegendes war dort gelandet – Tageko hatte nur den Eindruck eines riesigen Auges, das sie anstarrte, dann fegte sie das Ding mit einer vor Ekel hektischen Bewegung von ihrer Schulter. „Was ist das?“, murmelte Taneo. „Seht mal, da!“ Fumiko stieß ihren Finger nach oben. Sie legten die Köpfe in den Nacken. „Oh, sch…“, brachte Tageko hervor.   Das Ding, das auf Tageko gelandet war, war nicht das Einzige seiner Art. Von oben, aus der Speiseröhre, kam eine ganze Wolke kleiner, wabbelnder Kreaturen. Sie sahen aus wie blaue Schleimbatzen und hatten jeweils ein einziges, glotzendes Auge. Einige klatschten wie ein Kometenschauer rings um die DigiRitter auf den Boden, die anderen blieben in der Luft schweben. „Was sind das für Dinger?“, rief Taneo schrill. „Wie kommen die hier rein?“ Die DigiRitter hatten die Reinigung noch nicht unterbrochen. „Schlechte Nachrichten“, tönte Whamon. „Man hat uns entdeckt. Diese Digimon haben sich durch meine Atemöffnung gequetscht.“ „Na toll“, murmelte Taneo. „Überlasst das uns.“ Die Digimon stellten sich in einem Kreis um ihre Partner auf. Salamon übernahm das Reden. „Die sehen nicht besonders stark aus, und es wird Zeit, dass wir auch etwas tun! Seid ihr bereit?“ Die anderen vier stießen zustimmende Rufe aus. „Viel Glück“, sagte Kouki. „Wir kümmern uns weiter um den Samen. Aber passt auf, dass ihr Whamon nicht verletzt!“ Die Digimon stürzten sich auf die blauen Geisterchen. Sie schienen tatsächlich nicht stark zu sein; alles was sie taten, war, schillernde Seifenblasen hervorzuwürgen. Als Mushroomon eines der Dinger mit der Faust davonschlug, prallte es gegen Taneos Rücken, der erschrocken zusammenzuckte. Es fühlte sich weich und schleimig an. Er konnte sich gut vorstellen, dass es wie eine Schnecke durch kleinste Ritzen schlüpfen konnte. „Da kommen noch mehr!“, rief Candlemon erfreut. Tatsächlich: Durch die Speiseröhre kam Verstärkung – nur dass es diesmal andere Digimon waren. Auch diese waren blau, aber sie liefen auf einer Art Fuß, dessen Krallen sie in Whamons Innereien schlugen, um an den Wänden laufen zu können. Auch sie waren mit glänzendem Schleim überzogen, sicherlich von ihren eigenen Seifenblasen. Taneo fühlte sich, als wäre er in einem Video für den Biologieunterricht, in dem Bakterien und allerlei schädliche Mikroorganismen für das menschliche Auge erfassbar dargestellt waren. Wie auch immer, diese zweite Art war nicht merklich stärker als die anderen, und die Reinigung ging gut voran. Dann geschah etwas Unerwartetes. Eine der Geister-Bakterien, die von Kokuwamon in die Enge getrieben wurde, machte eine Verwandlung durch. Sie glühte kurz auf, und als das Licht verebbte, war sie zu einem der Krallenwesen geworden. Taneo zog die Stirn kraus. Das Licht kam ihm verdammt bekannt vor … Als es ein zweites und drittes Mal passierte, konnte er es nicht mehr leugnen – und schon gar nicht, als selbst eines der Krallendigimon sich aufbäumte, fauchte, und in gelbem Licht zu einem neuen, größeren Digimon wurde. Nun sah es aus wie eine Qualle mit riesigem Mund und riesigen, bösen Augen. „Passt auf!“, rief Taneo. „Sie digitieren!“ „Was?“ Die anderen wandten sich ihm zu. „Sie digitieren! Was soll das sonst sein, was die da machen?“ „Aber das kann nicht sein“, sagte Tageko. „Gennai hat gesagt, die DigiRitter sind die Einzigen, die Digimon einfach so digitieren lassen können!“ „Das Große heißt Keramon“, sagte Jagari, der wieder die Brille aufgesetzt hatte. „Es ist auf dem Rookie-Level … Ich glaube, du hast recht, Taneo!“ Kouki murmelte etwas, das nach Wisemon klang. „Passt auf, ich seid auf dem gleichen Level!“, rief Taneo den Digimon zu. Und es blieb nicht bei dem einen Keramon. Während ihre Partner Monster um Monster zerschlugen und in Datenteilchen verwandelten, digitierten scheinbar wahllos weitere Digimon aus der blauen Wolke. Bald waren es zehn Keramon oder mehr, und mit jedem weiteren wendete sich das Blatt. Die scheußlichen Quallen mit ihren Tentakeln und viel zu langen, klobigen Händen öffneten die Mäuler und schossen unansehnliche Schleimkugeln ab, die an den Digimon zerplatzten, regelrecht explodierten. Nun waren es ihre Partner, die sich einem Attackenhagel ausgeliefert sahen. „Verdammt, so geht das nicht.“ Tageko nahm ihr DigiVice zurück und ließ die anderen bei der Säuberung allein. „Woodmon und ich übernehmen die. Komm, Mushroomon!“ Ihr Digimon war offensichtlich froh, dass sie es um seine Hilfe bat. Tageko hob ihr DigiVice, und in einem Licht, das weit eindrucksvoller war als das ihrer Feinde, digitierte Mushroomon zu Woodmon. Seine Zweigpeitschen zuckten nach den Angreifern, doch die Keramon waren verblüffend flink – pumpend wie Quallen schossen sie außer Reichweite. Die Äste pulverisierten die anderen Digimon, wo sie sie trafen. „Sie sind zu schnell“, sagte Tageko zerknirscht. „Macht ohne mich weiter“, sagte Taneo zu den anderen. „Wenn es um Schnelligkeit geht, kenne ich da das richtige Digimon.“ Kokuwamon digitierte zu Thunderboltmon, das schnell wie ein Blitz durch Whamons Magen zuckte. „Kugelblitz!“ Nacheinander wurden die Keramon auf der Flucht getroffen und vernichtet. Da ging ein Rumpeln und Beben durch Whamon, das sie alle von den Füßen warf. Das Fleisch um sie herum schien in Bewegung zu geraten, verkrampfte sich. „Was ist los, Whamon?“, rief Fumiko. Noch ein Beben. Es war, als bearbeitete etwas Whamon von außen mit Schlägen … „Beeilt euch“, kam Whamons Stimme schmerzerfüllt. „Es sieht so aus, als wäre ihr Anführer eingetroffen.“ Taneo sog scharf die Luft ein. „Ein Asura?“ „Das kann ich nicht sagen. Ich kann hier nicht angreifen, also macht schnell weiter.“ Jetzt wurde es also eng … Tageko ließ sich vollständig von Taneo ablösen und richtete ihr DigiVice wieder auf den Samen. Nicht mehr lange, und es war geschafft … Ein weiterer Schlag, wie ein Donner, der von überallher widerhallte. Whamon stöhnte wieder, und diesmal hörte man seine Qual gut heraus. „Halt durch, Whamon!“, schrie Taneo. Die Schläge kamen häufiger. Es war tatsächlich, als würde etwas von außen auf Whamon einprügeln. Was für ein Wesen mochte das sein, das einem derartigen Riesen etwas anhaben konnte? „Gleich … gleich …“ Von Tagekos Stirn lief ein Schweißtropfen. Fumiko und Kouki hatten die Zähne zusammengebissen, Renji fluchte unentwegt. Jagari war blass geworden, aber er wich nicht zurück. Wenn das Asura Whamon hier auf dem Meeresgrund tötete … Ein Ruck ging durch den Magen, doch diesmal kam er von dem Lichtsamen, als der letzte dunkle Schandfleck verschwand. Eine glitzernde Welle ergoss sich über die DigiRitter. Taneo atmete tief durch … Das Hellrosa der Umgebung wurde von wunderschönem Silber durchsetzt. „Los, Whamon!“, brüllte Taneo, dass seine Stimmbänder schmerzten. Ein weiterer Schlag ertönte, noch wütender, als wolle dieses Etwas von draußen unbedingt herein. Wie schon einmal zuvor digitierten auch die anderen Digimon in silbernem Licht, als hätten sie plötzlich eine solche Menge an Kraft, dass sie nicht wussten, wohin damit. Mit vereinten Kräften zerschlugen sie die verbleibenden Parasitendigimon. Whamon drehte sich, der Lichtfunken, nun wunderschön und rein, schwebte davon.  „Jemand muss sich das Licht schnappen!“, rief Jagari und deutete auf die glühende Kugel, die sich daraus erhob. „Schnell!“ Kouki, der dem Samen am nächsten stand, stürzte vor, packte die Lichtblase mit der Hand und zerquetschte sie. Licht schoss seinen Körper entlang, drang in sein DigiVice und ließ es aufglühen. „Hab es!“, rief er. „Haltet euch fest“, sagte Whamon. Ein weiterer Ruck ging durch seinen Körper, als es pfeilschnell davon schwamm. Bang warteten die DigiRitter darauf, dass es das Asura abhängte, wo auch immer es war … Es war in dem Moment höllisch, nicht sehen zu können, was sich draußen abspielte. Schließlich, nach einer Ewigkeit, in der sie die restlichen kleinen blauen Digimon vernichtet hatten, hielt Whamon merkbar an. Der Boden glühte wieder auf, und dasselbe Licht, das ihren Sturz abgefedert hatte, hob sie in die Höhe und wieder in die Speiseröhre …   „Schnell. Ich weiß nicht, wie weit es hinter uns ist“, sagte Whamon, als sie durch sein geöffnetes Maul nach draußen liefen. Der Felsenstrand erwartete sie, und es war tiefste Nacht. Die Sterne am Himmel waren fast so schön wie die frische Luft. Whamon sah furchtbar aus. Seine Haut war an mehreren Stellen eingedrückt, aufgeschlitzt, und eine Wunde sah sogar … versengt aus, obwohl es die ganze Zeit unter Wasser gewesen war. Auch an der freien Luft sickerten seine Daten aus seinem Leib, und der Ozean rund um es färbte sich so rosa wie seine Eingeweide. Was immer hinter ihnen her war, es … „Es soll nur kommen.“ Taneo drehte sich zu Whamon um, das DigiVice in der zur Faust geballten Hand. „Thunderboltmon, sei bereit zu digitieren.“ „Du willst kämpfen?“, fragte Tageko. „Schlag dir das aus dem Kopf! Wir haben den Samen gereinigt, wir fliehen!“ „Nein, wir fliehen nicht!“, gab er wie ein stures Kind zurück. „Die Samen reichen nicht, wir müssen auch die Asuras besiegen! Und Koukis Digimon hat jetzt auch die Macht zur Ultra-Digitation, das müssen wir ausnutzen!“ „Aber …“ Tageko war offenbar verblüfft, wie entschlossen er war. „Es kommt“, sagte Whamon und nahm ihnen damit die Entscheidung ab. Das Digimon kam ihn einem spritzenden Wirbel aus Wasser zum Vorschein, und eine Welle schwappte über den Strand, sprühte Salzwasser in ihre Augen und Haare und ließ ihre Kleider, die getrocknet waren, sich wieder regelrecht mit Wasser vollsaugen. Jagari hatte sich schon gedacht, dass ein Digimon, das Whamon derart attackieren konnte, beachtlich groß sein musste, und das war es auch. Und im Vergleich zu Whamon, das wie ein sanfter Riese wirkte, sah dieses hier aggressiv und zornig aus. Es war schwierig, es zu beschreiben. Zuerst glaubte Jagari, ein Knäuel aus mehreren Schlangen vor sich zu haben, die sich ineinander verstrickt hatten. Erst nach und nach erkannte er, dass die Schlangenköpfe sich tatsächlich einen Rumpf teilten. Es waren insgesamt acht, und keine zwei glichen einander. Das Digimon war nur halb so groß wie Whamon, aber dennoch ein wahrer Riese, und die Köpfe zuckten wild umher. „DigiRitter“, fauchte einer von ihnen und ließ eine gespaltene Zunge hervorschnellen. Geschlitzte Schlangenaugen musterten sie. „Wie konntet ihr es wagen, meinen Samen zu entstellen?“ Sie waren alle zurückgewichen, als die Welle auf sie gestürzt war. Tageko hockte am Boden und hielt sich ihren Knöchel – hatte sie sich ihn an den tückischen Felsen, aus denen der Strand bestand, verknackst? Jagari vergaß beinahe, seine Brille herunterzuziehen, um das Digimon zu analysieren. „Es heißt Orochimon!“, rief er außer Atem. Salz war in seine Augen geraten und brannte, als er die Daten las, die der Analyzer ihm ausspuckte. „Level – Ultra. Attacke – Sake-Power.“ Da war noch etwas, das die Brille bei den anderen Digimon, die er heute schon untersucht hatte, nicht angezeigt hatte. Im Hintergrund des Digimons blinkte ein Schriftzug, dessen Bedeutung er verstand, ehe er ihn entziffern konnte. „Und es ist ein Asura“, fügte er hinzu, was jeder von ihnen bereits gewusst hatte. „Thunderboltmon, mach dich bereit“, sagte Taneo nur. Sein Digimon schoss blitzschnell vor ihn, und in dem altbekannten Glühen wurde es zu dem eindrucksvollen wie furchterregenden Cyberdramon. „Kouki, lass Gatomon auch digitieren! Zusammen schaffen wir es!“ Kouki nickte ihm zu, dann Gatomon. „Kann’s losgehen?“ „Ich geb mein Bestes!“ Kouki hob sein leuchtendes DigiVice, Gatomon spannte sich an … nichts passierte. Verblüfft warfen sich die beiden einen Blick zu. „Ich … Kouki, es funktioniert nicht!“ „Was? Warum?“ Jagari sah, wie Kouki der Schweiß ausbrach. Sein DigiVice glühte nicht stetig wie das von Taneo, sondern blinkte wie verrückt. „Macht schon!“, ächzte Taneo. Einer von Orochimons Schlangenköpfen stieß auf sie hernieder. Cyberdramon flog ihm direkt ins Maul. „Ausradierkralle!“ Glühende Klauen gruben sich tief in die schuppige Haut seines Feindes, zersetzten sie, ließen grüne Flecken darüberwuchern … doch anders als bei Karatenmon gab es einfach zu viel zu zersetzen. Orochimon war zu riesig, als dass es schnell zu besiegen gewesen wäre. „Sake-Power!“ Aus dem Maul, in das Cyberdramon sich gekrallt hatte, quoll eine Stichflamme hervor. Taneos Digimon brüllte, als es in loderndes Feuer getaucht war. „Cyberdramon!“, rief er entsetzt. „Kouki, Gatomon, macht schon!“ „Es funktioniert nicht!“, rief Kouki verzweifelt. „Ich weiß auch nicht, warum!“ Nach einer schrecklichen Minute übernahm Tageko das Kommando. „Ihr anderen, greift an! Helft Cyberdramon!“ Tyrannomons und Meramons Flammen waren praktisch wirkungslos. Auf die Entfernung wurden sie immer schwächer und hinterließen kaum mehr als Brandflecken auf der Schlangenhaut. Jagari begann zu zittern. Orochimons Kopf holte aus und schleuderte Cyberdramon so wuchtig von sich, dass Felsen dort zersplitterten, wo es landete. Mit einem Aufschrei begann Taneo über die Brocken zu seinem Digimon zu klettern. „Ist das alles, was ihr könnt?“, fragte Orochimons Hauptkopf und beugte sich beängstigend nahe zu Kouki. „Was ist mit dir? Du willst deinen Partner digitieren lassen, schaffst es aber nicht?“ „Und wenn es so wäre?“, fragte Kouki mit zusammengebissenen Zähnen. „Kouki, geh zurück!“ Gatomon stellte sich vor ihn, die anderen Digimon umrundeten ihn, um ihn zu schützen, falls nötig. Orochimon lachte zischelnd – und fast alle Köpfe fielen in das Gelächter mit ein. „Selbst meine Handlanger haben es geschafft zu digitieren!“ Der Kopf schwenkte herum, betrachtete Kouki von allen Seiten. „Oder … bist du etwa der Menschenjunge, den Wisemon auf LordMyotismons Geheiß gefangen hat?“ Kouki schluckte. „Und wenn es so wäre?“, wiederholte er halbherzig, eher trotzig. „Dann müssen wir dir danken. Es ist der Verdienst von dir und deinem Digimon, dass wir das Licht der Digitation erlangt haben.“ Jagari lief ein Schauer über den Rücken. Er glaubte zu ahnen, was das bedeutete, aber er wollte es nicht wahrhaben. Die Digitation war bisher ihre einzige Waffe gegen die Asuras gewesen; wenn sie nun selbst Digimon digitieren lassen konnten, wie die Keramon in Whamons Bauch … „LordMyotismon hat uns erzählt, dass Wisemon versehentlich etwas in deinem DigiVice zerstört hat, und in den Daten deines Gatomons“, fuhr Orochimon hämisch fort. „Dein Digimon wird nie weiter als bis zu seinem jetzigen Level digitieren können! Diese Möglichkeit habt ihr für immer verloren!“ Kouki sah aus wie mit kaltem Wasser übergossen. Mit offenem Mund starrte er Orochimon an, dann Gatomon, das die Ohren hängen ließ. „Ist das … wahr?“ Sein Partner hob die Schultern. „Es fühlt sich an, als wäre es wahr. Mehr kann ich nicht sagen. Da ist etwas, das mich blockiert, etwas, das fehlt …“ Kouki biss die Zähne zusammen. „Oh nein …“ „Kapurimon! Ist alles in Ordnung?“ Jagari sah, dass Taneo den Krater erreicht hatte, den sein Digimon in die Felsen geschlagen hatte. Offenbar war es bereits zurückdigitiert. „Ihr seid wirklich ein trauriger Haufen.“ Orochimons Köpfe tasteten nach vorn, sahen jeden von ihnen an. „Dein Digimon kann nicht digitieren.“ Es wandte sich Fumiko zu. „Du hast nicht einmal ein Digimon, wie es aussieht. Und ihr anderen seid Waschlappen.“ Das Asura lachte wieder vielstimmig. „Es muss Ironie des Schicksals sein. Gatomon hat sozusagen die Fähigkeit zu digitieren an uns weitergereicht. Dafür sollt ihr mit einem schmerzlosen Tod belohnt werden!“ In dem Moment, in dem sie nur erstarrt mitverfolgen konnten, wie sich Orochimons feuerspeiender, halb von Cyberdramon zerfetzter Kopf erneut aufbäumte, kam wieder Leben in Whamon, das bisher wie ein gestrandeter Wal dagelegen war. Das Digimon warf sich gegen das Asura, das fauchend mit den Köpfen nach ihm schnappte. „Beeilt euch, DigiRitter“, rief Whamon, klang aber erschöpft. „Kehrt in eure Welt zurück, fürs Erste. Ich beschäftige es.“ „Whamon, nicht!“, rief Taneo, Kapurimon auf dem Arm. „Das wagst du nicht!“, spie Orochimon dem größeren Digimon entgegen, das es rammte und weiter aufs Meer hinaus schob. Dort umkreiste es das Asura, immer schneller werdend. „Düsenpfeil!“ „Schnell jetzt!“ Tageko packte Taneo an der Schulter und drehte ihn herum, ehe er etwas Dummes machen konnte – er sah aus, als wollte er Whamon immer noch zur Hilfe kommen. Auch Jagari löste sich von dem Anblick der einander bekämpfenden Ozeanriesen. Sie hasteten schließlich über die Felsen zurück. Tageko humpelte leicht. Es war dunkel und kalt dort, wo der Fernseher sie erst heute Morgen an einem wunderbaren Ferienstrand ausgespuckt hatten. Und es war totenstill – ob der Kampf im Meer noch andauerte, konnte niemand sagen, aber Jagari glaubte nicht, dass Whamon eine Chance hatte. Der Fernseher saugte sie ein, doch diesmal hatten sie etwas von dem Schrecken mitgenommen, den sie in der DigiWelt erlebt hatten. Um das zu wissen, brauchte Jagari nur in Koukis leere Augen zu sehen.   „Geschieht dir recht“, zischte Orochimon Whamons Überresten zu, die sich langsam aber sicher endgültig auflösten. „Was mischst du dich auch in Angelegenheiten, die dich nichts angehen?“ Das Wasser neben ihm kräuselte sich, und daraus erhob sich ein blanker Spiegel. Er war wie immer zweigeteilt; LordMyotismons Umrisse waren in einer Hälfte sichtbar, aus der zweiten kam seine Stimme. „Was gibt es Neues?“, fragte es. Orochimon fauchte. „Sie haben tatsächlich geglaubt, die Chaossaat auf dem Meeresgrund wäre unbewacht.“ „Demnach hast du sie davon abgehalten, sie zu reinigen?“ „Das nicht.“ Orochimon war nicht nur zu stolz, um Reue zu zeigen, es war auch zu stolz, überhaupt welche zu empfinden. „Sie sind entkommen, und das Gefüge des Chaos ist auch an diesem Ort eingebrochen. Allerdings gibt es gute Neuigkeiten bezüglich meiner Untergebenen.“ „Ich höre.“ „Es hat funktioniert. Sie konnten digitieren, wie Ihr es versprochen habt. Allerdings hatten sie nicht Gelegenheit, es weiter als bis zum Rookie-Levle zu versuchen. Vermutlich würde das Licht der Digitation aber auch auf uns wirken.“ LordMyotismon trank einen Schluck Wein, ehe es antwortete. „Vermutlich. Aber wir sollten nichts riskieren. Ich habe Anweisungen erhalten, es an keinem Asura auszuprobieren, der bereits auf dem Ultra-Level ist, nicht, solange es nicht zwingend notwendig ist.“ Also hatte der Anführer LordMyotismon Vorschriften gemacht. Das schmeckte dem Vampirdigimon mit Sicherheit nicht. „Nicht auf dem Ultra-Level, ja? Dann gibt es doch trotzdem jemanden, der dafür in Frage kommt.“ „So ist es. Ich muss nur versuchen, ihn zu erreichen.“ Orochimon wusste, was es meinte. Es nickte mit seinem Hauptkopf. „Übrigens, der Junge, der in Eurer Gewalt war. Sein Digimon kann tatsächlich nicht weiter als bis zum Champion-Level digitieren.“ „Das würde ich ihm auch raten. War er aufgebracht deswegen?“ Orochimon kicherte zischelnd. „Er schien ziemlich geknickt.“ Das Asura meinte, in LordMyotismons Schatten ein Lächeln leuchten zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)