Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 19: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit ----------------------------------------------- Auf dem Weg zu Jagari war sie überrascht, an einer Straßenkreuzung Renji zu begegnen. Er starrte sie genauso erstaunt an. Tageko hatte gar nicht gewusst, dass sie einen ähnlichen Weg hatten. Renji ließ seinen Blick schweifen, als suche er nach einer Fluchtmöglichkeit, dann schien er mental mit den Achseln zu zucken und sie trotteten nebeneinander her, schweigsam und ohne sich zu begrüßen. Irgendwann wurde es Tageko dennoch zu blöd. „Hi“, sagte sie laut. Er zog die Augenbrauen hoch und grinste kurz. „Hey.“ Und dann schwiegen sie wieder. Was sollte sie mit ihm reden? Hatte sie überhaupt schon einmal mit Renji gesprochen, ohne ihn für irgendetwas zu tadeln? Tageko konnte sich gar nicht erinnern. Renji schien auch nach einem Gesprächsthema zu suchen – denn er wählte kurzerhand das Wetter aus. „Ätzend, dieser Winter, oder?“ Tageko hob den Blick zum Himmel. Die letzten zwei Tage hatte es in einer Tour genieselt. Die Wolken über Tokio waren bleigrau und hässlich, und es war scheußlich kalt. Die Nässe kroch einem in die Kleidung, wurde an der Haut zu Kälte, und kroch weiter bis in die Knochen. „Wem sagst du das“, murmelte sie. „Ich wünschte, es wäre schon Sommer.“ „Jep.“ Renji kickte eine Blechdose vom Bürgersteig, die zielgenau von einem Laternenmast abprallte und in den angrenzenden Garten segelte. „Dann müssten wir nicht immer so warme Klamotten mitnehmen, wenn wir in die DigiWelt wollen. Bei dem ständigen Heiß-Kalt-Wechsel müssen wir ja irgendwann einen Klimaschock kriegen.“ „Hm“, machte Tageko. Sie dachte wehmütig an den letzten Sommer zurück. Da fiel ihr etwas ein. „Warst du nicht auch in dem Camp letzten August?“ „Du etwa auch? Bist mir nicht aufgefallen.“ „Umso besser“, meinte sie kühl. „Was denn? Was wirst du jetzt zickig?“ „Was genau soll jetzt daran zickig gewesen sein?“ „Alles?“, schlug Renji vor. Tageko wollte ihm schon über den Mund fahren, beherrschte sich aber. Stattdessen drängte sich ihr ein genervtes Seufzen auf, das sie ebenfalls unterdrückte, und sie schwieg. Sie hatte es satt, mit ihm zu streiten – schon, weil sich ihr Dialog offensichtlich viel besser entfaltete, wenn sie sich gegenseitig anmotzen konnten. „Ich fand das Camp echt cool“, sagte Renji nach einer Weile, als wäre nichts gewesen. „Aber mir wär’s lieber gewesen, wenn wir an den Strand gefahren wären. Da kann man Beachsoccer spielen und Beachvolleyball und einen Haufen cooler Sachen machen. Und man kann in der Sonne braten, und wenn’s zu heiß wird, kann man sich im Meer abkühlen“, schwärmte er. Danke für die Info, hätte sie beinahe sarkastisch gesagt, besann sich aber eines Besseren. „Wie war das noch mit dem Heiß-Kalt-Klimaschock?“, fragte sie und lächelte leicht. Renji grinste. „Im Sommer ist das in Ordnung.“ Jagaris Haus kam in Sicht. „Echt schade, dass wir diese lästigen Asuras bekämpfen müssen“, sagte er plötzlich. „In der DigiWelt ist ja gerade kein Winter. Zumindest gibt’s da momentan auch andere Jahreszeiten. Wäre doch ein Traum, wenn wir einen Sommerurlaub in der DigiWelt veranstalten könnten.“ Tageko sah ihn überrascht an. Daran hatte sie wirklich nicht gedacht. „Das ist in der Tat eine gute Idee.“ „Unglaublich!“ Er starrte sie mit offenem Mund an. „Die Frau Lehrerin gibt mir recht? Das muss ein Jahrhundertereignis sein!“ „Das liegt daran, dass du sonst nur Müll von dir gibst“, versetzte Tageko spitz. „Außerdem geht es nicht. Wir müssen die DigiWelt retten und sie nicht zum Urlaubsparadies machen.“ „Leider“, murmelte er.   „Ich habe gute Nachrichten für euch“, begann Gennai, als alle DigiRitter wieder einmal bei Jagari versammelt waren. Seine Mutter war außer sich vor Freude, schon wieder ein so volles Haus zu haben, und bestand darauf, sie alle zu bewirten. Jagari wollte Gennai trotz allem nicht alleine in seinem Zimmer verstecken, also ließ er sie Kekse und Saft vor die Tür bringen. Damit war sie letztendlich zufrieden. „Wir haben einen Lichtsamen gereinigt“, kam ihm Taneo zuvor. Gennai nickte. „In der Tat. Die Veränderung war sofort spürbar. Dadurch, dass einer der Samen nun auf ewig vor der Dunkelheit geschützt ist, habt ihr der DigiWelt eine Menge Zeit gegeben. Die Asuras werden es nun nicht mehr schaffen, die Grenzen zwischen den Welten vollends einzubrechen.“ Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Runde. Also müssten tatsächlich alle fünf Lichtsamen kontaminiert sein, damit die Asuras in ihre Welt kommen konnten. Gennai schien sich darin zu gefallen, ihre Hoffnungen zu zerstören. „Dennoch ist es möglich, dass sich durch die Phasenverschiebung kleine Teile eurer Welt mit der DigiWelt kreuzen, sollten die anderen Samen ihre schützende Kraft verlieren. Der Kampf ist noch lange nicht gewonnen.“ „Aber die Pläne der Asuras wurden aufgehalten, oder?“, fragte Jagari. „Sie wollten die Lichtsamen beflecken, um die Macht der Dunkelheit zu verbreiten, richtig?“ „Das können sie immer noch mit den verbleibenden vier Samen tun“, erklärte Gennai. „Selbst wenn nur ein einziger befleckter Samen übrigbleibt, mehrt es die Macht der Asuras. Auch wenn es länger dauert, irgendwann wird ewige Nacht über die DigiWelt fallen, und dann wird ihre Macht zu groß sein, um sie noch aufzuhalten.“ Als er ihre mutlosen Gesichter sah, fügte er hinzu: „Allerdings habt ihr der DigiWelt wirklich wertvolle Zeit verschafft. Zeit, die wir dringend brauchen. Wenn wir es geschickt anstellen, können wir alle Lichter rechtzeitig reinigen. Dafür habe ich euch Informationen mitgebracht.“ Er deutete auf Jagaris Computer. „Ihr habt bereits eine Karte der Gebiete der DigiWelt. Ich habe darin eingezeichnet, wo sich die anderen vier Lichtsamen befinden. Und hier ist noch etwas, das euch nützlich sein könnte.“ Jagari starrte auf das Ding, das Gennai aus seiner Kutte hervorholte. Es sah aus wie eine Art Fliegerbrille mit eckigen, in Aluminium eingerahmten Gläsern. „Was soll das sein?“, platzte es aus Renji heraus. „Sie gehörte ursprünglich einem der früheren DigiRitter, wurde aber bei einem Kampf beschädigt und von ihm in der DigiWelt zurückgelassen. Ich hielt es für passend, sie euch zukommen zu lassen. Ich vermute, sie ist auch bequem zu tragen.“ „Und was genau sollen wir damit machen? Durchsehen?“, witzelte Renji. „So ist es. Ich habe sie ein wenig modifiziert und einen Digimon-Analyzer darin eingebaut. Damit könnt ihr die Daten über alle Digimon abrufen, denen ihr begegnet.“ Er reichte die Brille Jagari, der ihm am nächsten stand. Neugierig setzte er sie auf. Ob sie so eine Art VR-Brille war? Das Glas schien trüb zu sein, etwas bläulich, aber er konnte die anderen gut sehen. „Und?“, fragte Taneo. Jagari wandte sich dem Schreibtisch zu, auf dem Motimon saß, das ihn gespannt beobachtete – die anderen hatten ihre Digimon sicherheitshalber zuhause gelassen. In der Sekunde, als die Brille das Digimon erfasste, blinkten im Glas helle Schriftzeichen auf und umgaben Motimon mit einem Kranz aus Informationen, wie es in Super-Hightech-Spionagesystemen in Agentenfilmen oft vorkam. „Irre!“, stieß er aus. „Was siehst du?“, drängte Kouki. „Da steht, dass Motimon auf dem Ausbildungslevel ist. Und dass seine Attacke Seifenblasen sind. Und noch ein paar Dinge.“ „Das heißt, wir erfahren damit in etwa, wie stark ein Digimon ist und was es kann?“, fragte Taneo. „Unter anderem. Die DigiRitter vor euch hatten einen ähnlichen Analyzer. Soweit ich weiß, war er ihnen sehr nützlich.“ Jagari nahm die Brille wieder ab und fuhr sich durch das Haar, um seine Frisur wieder in Ordnung zu bringen. „Spitze! Wer soll sie bekommen?“ „Du nicht“, ätzte Renji. „Du drehst sonst jedes Mal komplett durch, wenn du sie aufsetzt.“ „Renji Oyara“, ermahnte ihn Tageko und betonte jede Silbe seines Namens. „Ich glaube, du hast dich soeben selbst für die Brille disqualifiziert.“ „Nimm sie ruhig“, meinte Kouki aufmunternd zu Jagari. „Du kennst dich am besten mit sowas aus.“ „Darf ich wirklich?“, fragte Jagari mit leuchtenden Augen. „Vielleicht sollten wir einen Anführer bestimmen“, meinte Taneo plötzlich. „Der bekommt dann auch die Brille.“ Jagari sah ihn enttäuscht an und fühlte sich in den Rücken gefallen. „Wieso brauchen wir einen Anführer?“, fragte Kouki. „Demokratie ist doch am besten. Bisher hat es doch auch geklappt.“ „Wir könnten die Brille jeden Tag weitergeben“, meinte Tageko. „Dann kommt jeder mal dran.“ Jagari argwöhnte, dass sie nur versuchte, ihre Autorität zu wahren. „Gut. So machen wir’s“, bestimmte Kouki. „Pro Tag in der DigiWelt tauschen wir die Brille.“ Gennai räusperte sich und die DigiRitter wandten sich wieder ihm zu. „Ich habe die Daten einiger Asuras auf Jagaris PC geladen. Leider bin ich den wenigsten selbst begegnet, und Azulongmon kam nicht mehr dazu, mir genaue Auskunft über sie zu geben.“ Jagari öffnete den Ordner, auf den Gennai zeigte. Bilder von mehreren Digimon mitsamt einer knappen Beschreibung erschienen. Es waren dieselben Informationen aufgelistet, die auch die Brille bei Motimon angezeigt hatte – nur wirkten sie deutlich eindrucksvoller. „SkullScorpiomon“, las Jagari vor, als er ein freigestelltes Bild des hässlichen Skelettdigimons vor sich hatte. „Ultra-Level. Sind die Asuras alle auf dem Ultra-Level?“ Motimon war auf dem Ausbildungs-Level – da schien einiges dazwischen zu liegen. „Die meisten“, erklärte Gennai. In der Sammlung waren außer SkullScorpiomon noch Pumpkinmon, Karatenmon, LordMyotismon und der Hund mit den drei Köpfen, den Kouki schon einmal gesehen hatte. Cerberusmon hieß das Wesen. Es war also auch ein Asura. Dann gab es noch das Bild von einem gewissen Arkadimon – einem wahren Ungetüm aus Klauen und Klingen. Außer dem Namen und dem Level – Ultra – gab es jedoch zu keinem der Felder Informationen, dafür war das Bild mit einem großen Fragezeichen hinterlegt. „Was ist das?“, fragte Jagari. „Arkadimon ist ein Digimon, das es eigentlich gar nicht geben dürfte“, sagte Gennai geheimnisvoll. „Ich vermute, die Asuras haben es von einem Ort, an dem pure Finsternis herrscht. Es war Arkadimon, das versuchte, eure DigiVices und DigiEier zu stehlen. Der letzte Heilige Stein wurde geopfert, um seine Macht zu bannen, aber ich weiß nicht, was mit ihm geschah. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es tot ist.“ Jagari klickte weiter, doch die Liste war zuende. „Das war’s? Waren die Asuras nicht zu zwölft?“ „Wie gesagt kenne ich die anderen Asuras nicht genau. Ihr müsst nach wie vor wachsam sein. Die Brille ist jedoch so konzipiert, dass sie Asuras sofort von gewöhnlichen Digimon unterscheidet.“ „Wenigstens etwas“, murmelte Tageko. „Wir sollten uns langsam einen neuen Plan überlegen“, sagte Taneo und richtete das Wort an Gennai. „Welchen der Lichtsamen sollten wir am besten als Nächstes reinigen, was meinen Sie?“ Der Mann mit der Kutte ließ sich mit der Antwort Zeit. „Die Asuras haben herausgefunden, dass ihr einen Samen gesäubert habt“, erklärte er schließlich. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nun die anderen genau beobachten und verteidigen.“ „Das macht nichts. Cyberdramon kann es mit den Asuras aufnehmen“, gab sich Taneo überzeugt. „Wir wissen sicher, dass zwei Asuras tot sind. Ein drittes hat Gennai entmachtet. SkullScorpiomon ist ein Jäger, richtig? Es sucht also nach uns. Bleiben noch acht Asuras und vier Samen. Cyberdramon wird also gegen zwei auf einmal kämpfen müssen“, warf Tageko mit brachialer Logik ein. „Aber irgendwas müssen wir doch tun können!“ „Ich hätte eine Idee“, beteiligte sich ausnahmsweise auch Gennai an ihrem Kriegsrat. „Jagari, öffne bitte den anderen Ordner.“ Ein zweiter Folder war auf Jagaris Desktop erschienen, und er enthielt Bilder von den Lichtsamen, die außerdem mit der Karte verknüpft waren, die die einzelnen Gebiete zeigte, die sie per Fernseher erreichen konnten. „Hier“, sagte Gennai. „Wie ich seht, liegt diese Lichtsaat auf dem Meeresgrund. Es ist nicht weit von der Küste, aber man braucht ein Meeresdigimon, um dorthin zu kommen. Azulongmon war die letzte Gottheit, die die Asuras gebannt haben. Wie gesagt war ich bei dem Kampf nicht zugegen, aber er hat an Land stattgefunden, und alle Asuras waren dabei.“ „Sie meinen also, weil die Asuras sich alle an Land fortbewegen, sind wir im Wasser relativ sicher?“, hakte Tageko nach. „Was, wenn eine Amphibie oder etwas in der Art darunter ist?“ „Wir sprechen hier von Digimon“, warf Fumiko ein. „Kann es nicht auch eines geben, das schwimmen, laufen und fliegen gleichzeitig kann?“ „Es ist nur eine Idee von mir“, wehrte Gennai ab. „Die Entscheidung liegt bei euch.“ „Trotzdem“, murmelte Taneo. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Wasser ungestört sind, ist höher als an Land. Und irgendwo müssen wir anfangen.“ „Und wie kommen wir selbst dorthin, du Genie?“, fragte Renji. „Kannst du so tief tauchen, oder was?“ „Da kann ich Abhilfe schaffen“, sagte Gennai. „Falls es nun das ist, was ihr tun wollt.“ Die Diskussion wogte noch ein wenig hin und her, aber schließlich sprachen sich alle dafür aus, es bei dem Lichtsamen unter Wasser zu versuchen – und zwar so bald wie möglich. „Morgen kann ich nicht“, sagte Tageko sofort, als Taneo den Freitag vorschlug. „Da habe ich Kinderdienst.“ „Was ist dann mit Samstag? Da könnten wir den ganzen Tag in der DigiWelt verbringen“, meinte Kouki. Damit waren alle einverstanden. Nun lag es an Gennai, das passende Transportmittel zu finden. Er entschuldigte sich für einige Stunden und verschwand wieder im Computer – wohlgemerkt ohne ein DigiVice benutzen zu müssen. Er schien nach Belieben die Welt wechseln zu können, aber etwas anderes war von diesem rätselhalfen Mann wohl nicht zu erwarten.   Um sich die Wartezeit zu verkürzen – niemand wollte gehen, ehe Gennai die versprochenen Nachrichten brachte –, beschlossen sie, etwas zu spielen. Jagari wollte ihnen unbedingt seine Computerspiele zeigen, doch abgesehen davon, dass sich nicht jeder der DigiRitter dafür interessierte, besaß er kaum Multiplayer, und gar keine, die für sechs Person gedacht waren. Der Haushalt Morino schien über keine Brettspiele zu verfügen, aber Karten ließen sich auftreiben. Die DigiRitter verließen Jagaris Zimmer und versammelten sich um den Küchentisch, sehr zur Freude von Jagaris Mutter, die ihre Gäste endlich richtig zu Gesicht bekam. Während sie spielten, wurden sie von ihr nach Strich und Faden verwöhnt – und gelobt. Was für nette Mädchen Fumiko und Tageko doch wären, wie stattlich sie Renji und Kouki fand … einzig Taneo betrachtete sie mit ein wenig Unbehagen, was an seiner Narbe liegen mochte, aber nach einer Weile hatte sie auch ihn in ihr Herz geschlossen. Eine so fröhliche Runde wären sie und alle so nett, obwohl Kouki nicht fand, dass sie sonderlich fröhlich wirkten, und wenn man bedachte, mit welchen Worten Renji Jagari noch vor wenigen Tagen bezeichnet hatte, war nett auch ein wenig weit hergeholt. Aber das Spiel trug tatsächlich dazu bei, dass sie ein wenig lockerer wurden. Zwar spielte Taneo etwas zu verbissen und ernst, aber Kouki fühlte, dass sie auf einem guten Weg waren, einander näher kennenzulernen. Wenn sie viel miteinander unternahmen, würden sie vielleicht auch mehr miteinander anfangen können, dachte er. Nachdem er ausgeschieden war, rückte er seinen Stuhl ein wenig zurück und beobachtet die anderen. Renjis Augen wanderten von links nach rechts und von rechts nach links über sein Blatt, Tageko hatte die Stirn gerunzelt und Jagari lugte siegessicher über den Rand seiner Karten hervor. Es war Fumikos Zug. „Psst.“ Kouki beugte sich ein wenig zu ihr. „Die mittlere“, flüsterte er. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Vertrau mir.“ „Hey, Kouki, nicht einsagen!“, empörte sich Jagari. Fumiko nahm die mittlere Karte und knallte sie auf den Tisch. Die anderen stöhnten auf, als sie den Zug nicht erwidern konnten. Nach und nach gaben sie hohe Karten zu. Kouki grinste triumphierend. Er hatte genau mitgezählt und wusste, welche Karten sie unmöglich haben konnten. Aber er hatte die Rechnung ohne Taneo gemacht. „Tut mir leid“, meinte er lächelnd und warf eine Trumpfkarte in die Mitte. „Die gehören mir.“ Während er die Karten einhamsterte, sagte Kouki zerknirscht zu Fumiko: „Sorry. Hab nicht gedacht, dass er sich einen Trumpf aufhebt.“ „Schon okay“, murmelte sie zurück, aber irgendwie klang sie eher amüsiert. „Was turtelt ihr denn da so rum?“, fragte Renji laut, der neben ihm saß. „Kouki, lass mich auch neben Fumiko-chan sitzen!“ „Wir turteln doch nicht!“, gab Kouki zurück. „Wenn du mich im nächsten Spiel schlägst, darfst du neben mir sitzen, Renji“, erwiderte Fumiko keck. Renji riss die Augen auf und beugte sich zu Kouki herüber. „Hast du gehört? Sie hat mich beim Vornamen genannt! Das ist ein Fortschritt, meinst du nicht?“ Kouki verbiss sich eine Antwort und lächelte nur leidvoll, während er daran dachte, dass Renji das wohl allein ihm zu verdanken hatte. Nach jedem Spiel ging Jagari kurz in sein Zimmer, um nach seinem Computer zu sehen. Die große Uhr an der Wand zeigte halb acht, als er schließlich die anderen holte.   „Ich habe ein Digimon aufgetrieben, das euch übermorgen zu dem Lichtsamen am Meeresgrund bringen wird“, sagte Gennai. „Wir haben darüber gesprochen, wie es am besten funktioniert, dass ihr ihn reinigen könnt. Wenn alles gutgeht, werdet ihr nicht einmal nass werden.“ „Perfekt“, sagte Kouki. „Wie sieht das Gebiet denn aus?“ Jagari deutete auf die Gebietskarte. „Ein Küstenlandstrich“, sagte er. „Ach nein.“ Renji rollte mit den Augen. „Ich weiß, dass es euch tagsüber lieber wäre, aber das Digimon und ich sind übereingekommen, dass die Aktion nachts sicherer ist. Seid am Abend hier in diesem Gebiet.“ Gennai deutete auf ein angrenzendes Quadrat auf der Karte. „Das ist weit genug von dem Samen weg, dass die Asuras euch nicht gleich finden sollten. Es ist ein einsamer Strand, umgeben von einigen hohen Felsen. Euer Transportdigimon wird euch abholen, wenn die Sonne untergeht, dann taucht es euch zu dem Samen. Seid ihr einverstanden?“ „Können wir diesem Digimon trauen?“, fragte Fumiko. Was mochte es wohl für ein Wesen sein, das sie, ohne dass sie nass wurden, zum Meeresgrund bringen konnte? „Dafür verbürge ich mich. Es hat schon mit früheren DigiRitter-Generationen zusammengearbeitet und ist sehr zuverlässig.“ „Gut. Das klingt nach einem Plan“, sagte Tageko zufrieden. „Seid dennoch vorsichtig. Ich wünsche euch viel Glück.“ Gennai wollte sich wieder verabschieden. „Eine Sache noch, Gennai“, hielt Taneo ihn zurück. „Als wir den letzten Samen gereinigt haben, ist Thunderboltmon zu Cyberdramon digitiert. Da war so ein … Licht, das frei herumgeflogen ist, und ich habe es berührt. Heißt das, auch die anderen können digitieren, wenn wir noch einen Samen säubern?“ Gennai sah ihn nachdenklich an. „Ja, das ist gut möglich. Azulongmon hat immer wieder im Laufe der Zeit den Digimon der DigiRitter das Licht der Digitation verliehen. Die Lichtsaaten entspringen ebenfalls seiner heiligen Energie. Wenn eines eurer DigiVices darauf reagiert hat, werden es auch die anderen tun.“ „Nur, damit ich es ganz verstehe“, murmelte Jagari. „Wenn wir einen Lichtsamen reinigen, wird Azulongmons Kraft freigesetzt, und dann kann wieder eines unserer Digimon digitieren?“ „So ist es. Ich wusste nicht, dass es auf diesem Weg möglich ist, aber es klingt plausibel.“ „Das ist toll!“ Jagari sah strahlend in die Runde. „Die Asuras werden stärker, je mehr sie die Samen kontaminieren, aber wir werden stärker, wenn wir sie reinigen!“ Fumiko ließ sich das durch den Kopf gehen. Somit würden ihre Erfolgschancen bei jeder Reinigung steigen. Nur sie war wieder mal die Einzige, die nicht davon profitierte. Gennai verschwand wieder im Computermonitor, hatte dabei aber einen nachdenklichen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Die anderen waren sehr euphorisch, als sie sich höflich von Frau Morino verabschiedeten und sich ihre Schuhe anzogen. Plötzlich hielt Renji inne. „Ein Strand, hat er gesagt.“ Sein Blick suchte Tagekos. „Denkst du, was ich denke?“ Fumiko hob eine Augenbraue. Seit wann glaubte Renji, Tagekos Gedanken zu kennen? „Wir sollen vorsichtig sein“, erwiderte sie. „Ich glaube daher nicht, dass wir …“ „Aber Gennai hat gesagt, die Asuras würden uns dort nicht suchen! Und warum sollten sie auch? Die sind ja damit beschäftigt, ihre Lichter zu bewachen. Komm schon, das ist doch eine einmalige Gelegenheit.“ „Worum geht’s?“, fragte Fumiko, die langsam neugierig wurde. „Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass ein Ausflug an den Strand ganz schön wäre“, erklärte Renji strahlend. „Bei uns ist ja so ein Sauwetter, aber in der DigiWelt … Wir könnten einen Tag am Strand verbringen!“ „Sollten wir nicht eigentlich die Asuras bekämpfen?“ „Schon, aber das Digimon kommt erst am Abend. Wir könnten schon früher in die DigiWelt gehen und uns einen schönen Tag machen. Mal Urlaub von all dem Stress!“ „Ich finde die Idee gut“, meinte Kouki. „Ein wenig Entspannen tut uns allen gut, und wir könnten ruhig auch mal was gemeinsam unternehmen, ohne gleich um unser Leben zu kämpfen. Sie wie heute.“ „Au ja!“, rief Jagari. „Wir haben die perfekte Gelegenheit! Wer kann schon von sich behaupten, mitten im Winter in der DigiWelt am Strand liegen zu können?“ „Wir wissen aber nicht, ob dort nicht auch Winter ist“, wandte Tageko ein. „Gennai hat nur gesagt, dass es ein Strand ist. Dort kann genauso gut Tundra sein.“ „Wenn die Breitengrade in etwa so beschaffen sind wie bei uns, sollte es sogar heißer sein als in der Gegend, wo wir das letzte Mal waren“, sagte Jagari. „Also ich werde das ausnutzen“, legte Renji fest. „Diese ewige Kälte hängt mir zum Hals raus. Wer nicht will, kann es ja bleiben lassen und am Abend nachkommen.“ „Taneo, was ist mit dir?“, fragte Jagari. Der Angesprochene zuckte mit den Achseln. „Warum eigentlich nicht? Ich finde auch, dass dieses Regenwetter aufs Gemüt schlägt.“ Tageko seufzte, aber offenbar siegte diesmal nicht allein ihre Vernunft. „Fumiko, willst du auch?“ Sie überlegte. Je mehr sie darüber redeten, desto mehr Lust bekam sie eigentlich. Theoretisch sollte es nicht allzu gefährlich sein, und wenn sie in der Nähe des Fernsehers blieben, konnten sie zur Not auch flüchten. „Ich bin dabei“, sagte sie. „Ich kann auch gekühlte Getränke und Knabberzeug mitnehmen.“ „Gute Idee. Jeder sollte was mitbringen“, meinte Kouki. Aufgeregt schnatterten sie durcheinander. Fumiko traute ihren Ohren kaum. Sie planten tatsächlich, etwas gemeinsam zu unternehmen. Als freundschaftliche Gruppe, nicht als zweckmäßige Verbündete. Es war ein angenehmes Gefühl, und es vertrieb sogar ein wenig ihre Melancholie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)