Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 18: Von charmanten Jungen und selbstgerechten Idealisten ---------------------------------------------------------------- Tagekos Ankunft in ihrem trauten Heim wurde wieder einmal von einem tiefen Seufzer begleitet. Überrascht nahm sie zur Kenntnis, dass ihre Mutter zuhause war und mit den Zwillingen ein Brettspiel am Küchentisch spielte. „Hi“, sagte sie misstrauisch. Airu sah sie vor dem Fernseher sitzen. „Hallo, Tageko.“ Ihre Mutter klang erschöpft. Was sicher nicht daran lag, dass sie im Begriff war, die vor ihr liegende Partie zu verlieren. „Ich dachte, Tante Tomo wäre heute mit Kindersitten dran?“ Tageko hatte vorgegeben, heute den ganzen Nachmittag mit schulischen Arbeiten beschäftigt zu sein, und dabei ein schlechtes Gewissen gehabt, weil nun wieder ihre Tante eingespannt werden würde, um auf die Kleinen aufzupassen. „Ach das, ja …“ Als fiele es ihr erst jetzt wieder ein, musterte ihre Mutter sie mit einem merkwürdigem Blick. „Ich wollte sowieso mit dir darüber reden, wenn du nachhause kommst. Weißt du, ich habe erkannt, dass ich dir in letzter Zeit viel zu viel Verantwortung aufgebürdet habe.“ „Kein Problem“, murmelte Tageko, bar jeder Antwort. Was war hier plötzlich im Busch? „Nein, wirklich. Du bist ein Teenager mit einem eigenen Leben. Ich habe das irgendwie vergessen.“ Ihre Mutter fuhr sich durch die Haare, während der kleine Hideto einen Jubelruf und seine Schwester Gejammer ausstießen. Die Partie war entschieden. „Ich war in letzter Zeit einfach viel zu selten zuhause. Tut mir leid. Das wird sich jetzt ändern.“ Sie lächelte leise. „Schließlich sind dein Vater und ich für deine Geschwister verantwortlich, und nicht du.“ „Mama …“, murmelte Tageko sprachlos. Sie ging den Terminplan ihrer Mutter durch. Heute hatte sie tagsüber Dienst gehabt, und am Abend wollte sie doch eigentlich …“ „Ich habe mit Hiroki gesprochen“, fiel ihre Mutter in ihre Gedanken. „Wir sind übereingekommen, dass wir uns eine kleine Auszeit geben wollen, damit ich mich ein wenig mehr um meine Familie kümmern kann.“ „Ihr habt Schluss gemacht?“, platzte es aus Tageko heraus. Nicht, dass sie es sonderlich bedauert hätte. Sie hatte den Modeschöpfer ohnedies nie besonders gut leiden können. So wie sie das verstand, wäre es ihm lieber gewesen, die Familie Mida hätte nur aus ihrer Mutter allein bestanden. „Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte ihre Mutter streng. „Wir machen einfach nur ein wenig Pause. Hiroki hat mit seiner neuen Kollektion auch ziemlich viel zu tun, und unsere Station soll in ein paar Wochen in zwei Bereiche aufgeteilt werden. Dann habe ich nur noch die halbe Verantwortung, haben sie gesagt. Bis dahin wollen wir warten.“ „Okay, das … freut mich“, murmelte Tageko. „Dass du wieder mehr Zeit für uns haben wirst, meine ich. Also, ich … ich geh dann mal duschen.“ „Wir haben schon zu Abend gegessen. Ein bisschen was steht noch in der Mikrowelle. Na was ist denn da los? Habt ihr mich einfach ausgelassen? Na wartet, ich hol euch schon noch ein!“ „Danke“, sagte Tageko noch, als ihre Mutter sich wieder dem Spiel widmete, das die Zwillinge einfach ohne sie begonnen hatten. Auf dem Weg in ihr Zimmer konnte sie sich dennoch eines Lächelns nicht erwehren. Vielleicht hatte nicht nur sie heute eine wichtige Erkenntnis gehabt. Nachdem sie ihren Rucksack auf ihr Zimmer gebracht hatte, nahm sie Budmon mit ins Bad. Nach den letzten beiden Ausflügen in die DigiWelt war sie schlau genug gewesen, Ersatzkleidung mitzunehmen, damit ihrer Mutter nicht auffiel, wie verdreckt sie von ihren vermeintlichen Schulaufgaben heimkehrte. Als sie vor dem Wäscheschlucker ihre Wanderkleidung noch einmal inspizierte, entfuhr ihr ein weiterer Seufzer. Die Klamotten waren wohl eher ein Fall für den Müllschlucker: Der Stoff war an mehreren Stellen zerrissen, vor allem dort, wo Karatenmons Lichtstacheln ihn durchbohrt hatten. Bei dem Anblick schauderte sie. Wenn der Lichtsamen sie nicht von der Attacke des Asuras geheilt hätte, wären sie vielleicht alle tot. Sie warf die Klamotten vorerst in eine Ecke und beschloss, doch ein Bad zu nehmen. Während sie das Wasser einließ, fiel ihr Blick auf Budmon. „Willst du auch baden?“ Budmon war immer noch ob Tagekos großer Wohnung eingeschüchtert, aber es war schon wesentlich selbstbewusster als noch vor kurzem. Es sprang sogar aus eigenem Antrieb von Tagekos Schulter auf den Wannenrand. „Da hinein?“ „Ja. Hast du noch nie gebadet?“ Nein, hat es nicht, fiel ihr ein. Es war ja erst vor wenigen Tagen aus seinem Ei geschlüpft, und Tageko hatte bisher keine Notwendigkeit gesehen, es zu waschen. Jeglicher Schmutz schien während der ganzen Herumdigitiererei von dem Digimon abzugehen. Eigentlich praktisch. „Überleg‘s dir halt. Ich weiß nicht, ob ein Digimon wie du Wasser besonders mag“, meinte sie. Budmon beobachtete sie genau, wie sie in die Wange stieg, und beschloss dann, es vorsichtig auch auszuprobieren. Es versuchte über die Wand der Badewanne zu klettern, rutschte dabei ab und ließ das Wasser in alle Richtungen spritzen, als es heineinplumpste. Prustend tauchte es wieder auf. „Hilfe! Tageko, es will mich töten!“ Milde schmunzelnd hob Tageko das Digimon aus dem Wasser. „Und? Angenehm?“ Das Digimon schüttelte sich, aber sie wusste nicht, ob das nun als Antwort galt. „Dabei müssten Pflanzen es eigentlich mögen, gegossen zu werden.“ „Ich habe noch keine Pflanze gesehen, die unter Wasser wächst“, gab Budmon anklagend zur Antwort. „Die gibt es aber.“ Tageko überlegte kurz. „Warte einen Moment.“ Sie stieg aus der Wanne, füllte das Waschbecken bis zu einer Höhe, die für Budmon angenehm wäre, und setzte ihr Digimon vorsichtig hinein. „Wie ist das?“ Budmon sah sich um und plantschte ein wenig mit seinem Blatt. „Besser“, sagte es schließlich. „Und schön warm.“ „Gut, dann ist das ab heute deine Badewanne. Wenn du möchtest.“ Tageko ließ sich wieder in ihre eigene sinken. Es tat gut, den Dampf und das Badeöl einzuatmen, und sie fühlte, wie ihre müden Muskeln belebt zu kribbeln begannen. Vor sich hindämmernd, ließ sie den Tag Revue passieren. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie tatsächlich gegen eine finstere Macht kämpften, die eine Welt bedrohte, von der sie fünfzehn Jahre ihres Lebens keine Ahnung gehabt hatte. Und doch war Budmon hier und paddelte friedlich mit seinem Blatt in ihrem Waschbecken herum. Tageko fragte sich, was ihre Freundinnen von der Geschichte halten würden. Wahrscheinlich würden sie kein Wort glauben. Am liebsten hätte Tageko sie an ihrer Seite gewusst, sie waren alle vernünftig und keine solchen Hitzköpfe wie die anderen DigiRitter – wobei sie zugeben musste, dass sich ihre Meinung Renji, Kouki, Taneo und Jagari gegenüber langsam änderte. Nachdem sie eiligst und ohne weitere Zwischenfälle zum Fernseher zurückgekehrt waren, hatten sie weitere Schritte besprochen. Sie waren übereingekommen zu warten, bis sich Gennai wieder meldete. Einen Lichtsamen hatten sie immerhin gereinigt, auch wenn es gefühlte Stunden gedauert hatte; die Dunkelheit würde jetzt wohl langsamer über die DigiWelt hereinbrechen. Und sie konnten sich auch nicht nur mit der DigiWelt beschäftigen: Selbst wenn ihre Mutter nun versprochen hatte, sich wieder mehr um Tagekos Geschwister zu kümmern, gab es da immer noch die Schule. Für Typen wie Taneo war es vielleicht in Ordnung, sie zum Wohle der DigiWelt zu vernachlässigen, aber Tageko dachte weiter. Selbst wenn sie die DigiWelt retteten, würden sie in der Menschenwelt keinen Heller dafür bekommen. Und wenn die Asura sie nicht irgendwann doch erwischten, mussten sie später noch von irgendetwas leben. Budmon quietschte auf, als es sich mit dem Seifenspender spielte und einen Schuss Flüssigseife in die Augen bekam. Was waren das nur für seltsame Wesen, die sich in einem Moment so groß und vernünftig geben konnten, und sich danach wieder wie Babys benahmen? Den dritten Seufzer innerhalb einer Stunde hielt Tageko zurück, als sie sich wieder aus der wohligen Wärme hochquälte, um ihrem Digimon die Augen auszuwaschen. Auch wenn alles immer so verdammt kompliziert war, ein klein wenig hatte sich ja gebessert.   „Kannst du eigentlich in unserer Welt auch digitieren?“, fragte Taneo unvermittelt, als er und Kapurimon in seinem Zimmer im Dunkeln saßen und nach draußen spähten, wo dicke, sanfte Schneeflocken auf die Straße fielen. Es war längst dunkel gewesen, als sie nachhause gekommen waren, obwohl in der DigiWelt erst die Sonne untergegangen war. Taneo hasste den Winter – aber er mochte den Schnee. Er war so schön weiß, rein und geduldig, und es machte ihm offenbar nichts aus, wenn er auf den Straßen von Salz und Autoreifen zermatscht wurde oder am nächsten Tag in der Sonne schmolz, er segelte dennoch vom Himmel herab, zuversichtlich und stur. „Gibt es so etwas auch in der DigiWelt?“, fragte Kapurimon. „Glaub schon. Wir werden vermutlich auch in den Norden kommen. Wenn es solche Klimazonen gibt wie bei uns, sollten wir dort auch Schnee vorfinden.“ Er überlegte. „In diesem Wald mit den verschiedenen Jahreszeiten könnte es auch Schnee geben. Wir sollten ihn mal erkunden, wenn wir die Asuras besiegt haben.“ Das hatte er auf jeden Fall vor. Sobald die Gefahr gebannt war, wollte er diese wundersame Welt, die so zum Greifen nahe an seiner eigenen lag, erkunden. „Also, kannst du nun auch hier digitieren, oder nicht?“ „Ich weiß es nicht. Wir müssten es ausprobieren.“ „Gut.“ Taneo nahm sein DigiVice zur Hand. „Versuch, zu Kokuwamon zu digitieren. Mach einfach das, was du immer machst, wenn du digitierst. Warte.“ Er zog schnell die Vorhänge zu und machte das Licht an. Das Glühen der Digitation durfte nicht zu auffällig sein. „Jetzt.“ Kapurimon nickte und schaute angestrengt drein. Nichts passierte. „Muss ich erst wieder in Gefahr sein?“, überlegte Taneo. „Sonst hat es doch außer dem ersten Mal auch immer geklappt.“ „Ich geb mir Mühe“, erklärte Kapurimon und kniff die Augen zusammen. Dann knurrte sein Magen. Taneo lachte. „So ist das also. Kannst du mir nicht sagen, dass du Hunger hast?“ Verlegen versteckte Kapurimon seinen Kopf hinter dem buschigen Schwanz. „Ich hol dir was. Danach versuchen wir’s nochmal, ja?“   „Gut gemacht, Fumiko. Die nächsten.“ Fumiko half ihrem Trainingspartner auf, sie verbeugten sich förmlich und verließen den Kampfbereich. Das Mädchen war dennoch nicht zufrieden mit sich, obwohl sie nun schon den dritten Gegner auf die Matte geschickt hatte. Für Nanimon hatten ihre Judo-Künste gereicht, aber Karatenmon war ihrem Angriff einfach so entschlüpft. Sie musste noch viel besser werden, darum war sie auch trotz der Proteste ihrer Eltern zu diesem Samstagtraining gegangen. Am besten, sie hielt auf den Schwarzen Gürtel zu. Bei ihrem unnützen Ei … Mittlerweile war sie fast sicher, dass es tot war. Wenn es letztens, in höchster Not, nicht geschlüpft war, wann dann? Es stimmte sie nicht länger verärgert, sondern eher traurig. Dieses kleine, noch ungeborene Ding … Wenn sie an all die anderen dachte, die mit ihren Digimon Spaß hatten, wurde ihr ganz beklommen zumute. Bisher hatte sie noch Hoffnung gehegt und das Ungeborene angespornt oder beschimpft, aber diese Hoffnung war nun dahin. Nichts als Wehmut war geblieben. Und trotzdem hatte sie sich nicht dazu durchringen können, es in der Schlucht liegen zu lassen. Mit leerem Blick sah sie zu, wie sich die anderen Kampfschüler aneinander abmühten. Wenn sie die Asuras nicht mit menschlichen Kampfkünsten besiegen konnte, durfte sie sich dann überhaupt einen DigiRitter nennen? Das Training endete gegen vier Uhr. Nachdem sie sich umgezogen hatte und mit ihrer Sporttasche in den leichten Nieselschauer hinaustrat, in den sich der Schneefall verwandelt hatte, blieb sie überrascht stehen, weil sie etwas wie ein Déjà-vu ereilte. „Nagara-kun?“, murmelte sie. Kouki hob grinsend die Hand. Er hatte eine Kapuze übergezogen, sein braunes Haar stand wirr daraus hervor. In der Hand hielt er ein paar Einkaufstaschen; offenbar hatte er irgendeine Besorgung erledigt. „Hi“, sagte er. „Kouki reicht.“ „Hm?“, machte sie verwirrt. „Meinst du nicht, dass du uns schön langsam mit Vornamen anreden kannst? Immerhin sind wir alle sowas wie Freunde.“ „Ach ja … okay. Kouki.“ „Schon besser.“ Er grinste weiter, als sie gemeinsam zur Busstation trotteten. „Was ist los? Du wirkst ein bisschen neben der Spur.“ „Ach, nichts.“ Sie sah, wie sich unter Koukis Kapuze etwas bewegte, und kurz lugte Salamon zwischen seinem Kopf und dem Kapuzenrand hervor. Das Digimon lächelte. „Hallo.“ „Hallo“, gab Fumiko zurück. Wieder fühlte sie einen Stich, als sie die beiden sah, aber sie riss sich zusammen. „Wieso bist du eigentlich hier?“ „Keine Ahnung. Kein besonderer Grund“, behauptete er. „Ich musste was erledigen, da dachte ich, ich nehm diesen Weg. Dann hab ich dich wieder mal da drin gesehen. Du bist ja echt fleißig.“ „Was bleibt mir anderes übrig?“, murrte sie bitter und hatte das Gefühl, dass sie dieses Gespräch schon mal geführt hatten. „Willst du einen Regenschirm?“, fragte er unvermittelt. „Ich hab einen dabei.“ Fumiko sah in den Himmel. Richtig, es nieselte – irgendwie hatte sie es gar nicht richtig gemerkt. „Danke, es geht schon. Ich hab selbst einen. Ist nicht der Rede wert.“ „Na dann.“ Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Sie sah Kouki an, dass er, um die Stille zu durchbrechen, am liebsten nach ihrem Ei fragen würde. Fumiko rechnete es ihm hoch an, dass er es nicht tat. Einen Häuserblock weiter läutete ihr Handy. Fumiko holte es hervor, sah auf das Display und runzelte die Stirn. „Wessen Idee war es eigentlich, Nummern auszutauschen?“, grummelte sie unwillig. Nein, sie war heute wirklich nicht gut gelaunt. Sie wusste es selbst: Tageko hatte es vorgeschlagen, nachdem sie zum zweiten Mal aus der DigiWelt zurückgekehrt waren und auf Gennai gewartet hatten. Kouki beugte sich neugierig zu ihr. „Von Renji?“, fragte er grinsend. „Er will mit mir auf ein Konzert gehen.“ Fumiko rollte die Augen. „Angeblich hat er die Karten einem Freund teuer abgekauft, weil sie schon ewig ausverkauft sind. Soll ich ihm das glauben?“ „Hört sich nach etwas an, was Renji tun würde.“ „Er hätte mich ruhig vorher fragen können. Tja, Pech gehabt“, meinte sie schnippisch. Kouki lachte leise. „Hey, wieso gibst du ihm nicht eine Chance? Ich kenne ihn besser als du. Er ist nicht so ein Aas, wie ihr vielleicht glaubt.“ „Das bezweifle ich ja gar nicht“, hörte sich Fumiko sagen. „Aber selbst wenn er der charmanteste Junge auf der Welt wäre, ändert das nichts daran, dass ich nichts an ihm finde. Er ist eben einfach nicht mein Typ.“ Kouki zuckte mit den Schultern. „Du musst es ja wissen.“   „Wow, Ares! Dachte schon, du lässt dich gar nicht mehr blicken! Wo warst du die letzten Tage? Du hast den großen Raid am Freitag verpasst!“ „Sorry, hatte zu tun“, sagte Jagari in sein Headset. Tatsächlich war der Raid etwas gewesen, das er auf keinen Fall verpassen wollte – zumindest hatte er das gedacht, bevor man ihnen offenbart hatte, dass sie eiligst eine gewisse andere Welt retten sollten. Das war um so vieles besser als alle RPGs, die er kannte! Fast, als wäre der Traum, dem er so lange in virtuellen Welten hinterhergejagt hatte, plötzlich Wirklichkeit geworden. In einer virtuellen Welt. Mit Wesen, die sie durch bestimmte Aktionen hochleveln konnten. Eigentlich müsste sich Jagari ja voll in seinem Element fühlen, aber … „Du hast echt was verpasst. Dieser DarkMaster412 hat die Bosse einen nach dem anderen geowned. Wir mussten nur noch die Items aufklauben.“ Ich wäre selbst fast geowned worden, dachte Jagari unbehaglich. „Sorry, es ging nicht.“ „Naja, kann man nichts machen. Zocken wir ‘ne Runde NBW?“ „Eigentlich … würd ich lieber was anderes machen. Mehr was … Theoretisches.“ „Ach so? Einen Schlachtplan erstellen, damit du beim nächsten Raid aufholen kannst?“ „Ja. Ja, so ähnlich.“ Das letzte Abenteuer war alles andere als traumhaft gewesen. Sie wären beinahe getötet worden, standen noch näher an der Schwelle zum Jenseits als die beiden Male davor – und sie mussten wieder dorthin. Streng genommen grenzte es an Wahnsinn. „Stell dir vor, du steuerst fünf Figuren. Jede hat eigene Fähigkeiten. Eine davon kann sich für gewisse Zeit einen Power-Boost holen und wird viel stärker. Warte, ich versuch’s dir im Level-Editor zusammenzubauen.“ „Wofür brauchst du’s denn? Ist das ein neues Spiel?“ Wenn es nur so wäre … Diese fantastische Welt, die sie entdeckt hatten, war gleichzeitig wunder- und gefahrenvoll. Und das Schlimmste war, dass es einige dieser Gefahren gezielt auf sie abgesehen hatten. Ihm war nicht länger nur unwohl bei der Sache. Jagari hatte Angst. Er war nicht so mutig wie Taneo oder Fumiko. Er brauchte einen Plan, etwas, das auch den anderen nützen konnte. Obwohl er nichts über die verbleibenden Asuras wusste, modellierte er BurstingStinger eine Gruppe Spielfiguren, erklärte ihm, welche Fähigkeiten sie hätten, und hob die von Taneos Cyberdramon nochmal hervor. Dann beschrieb er, so gut es ging, SkullScorpiomon und auch die beiden bereits erledigten Asuras. BurstingStinger war in Online-Rollenspielen immer eine Art Koordinator. Vielleicht kam er auf eine nützliche Strategie oder Formation. Wenn er mir damit einmal das Leben rettet, wird er es wohl nie erfahren.   „Sag mal, Kouki, hast du nächstes Wochenende schon was vor?“ Diese ganz harmlose Frage von Renjis Seiten, als sie sich am Montag in der Umkleide die Schuhe fürs Fußballtraining schnürten, ließ plötzlich ein schlechtes Gewissen in Kouki hochsteigen, der ahnte, was als Nächstes kam. „Wieso?“ „Ich hätte da Karten für so ein Konzert. Nächsten Samstag. Ich wollte ja eigentlich mit Fumiko hin, aber sie will nicht.“ Er zog einen Schmollmund. Kouki nickte mitfühlend. Er wusste, dass Fumiko ihm unverblümt gesimst hatte, dass sie keine Lust hatte, mit ihm irgendwohin zu gehen. „Wieso fragst du nicht jemand anderen? Deine Kumpels vielleicht?“, schlug Kouki vor. Irgendwie war es ihm unangenehm, dass nun er eingeladen wurde. „Ein paar sind sowieso dort, den anderen hab ich die Karten ja abgekauft. Wie stellst du dir das vor?“ Kouki überlegte. „Jagari ist vielleicht nicht der Typ für Konzerte. Tageko vielleicht?“ „Bloß nicht! Die würde mich ja am liebsten an die Leine nehmen. Außerdem, was sollen die Leute denken, wenn ich mit der da aufkreuze?“ Vermutlich gar nichts, sinnierte Kouki. „Dann frag doch Taneo.“ „Den? Eher beiß ich mir selbst den Kopf ab.“ „Was hast du eigentlich gegen ihn?“, fragte Kouki irritiert. Er hatte die beiden oft gegeneinander wettern sehen, aber nie den Grund herausgefunden. Oder lag es immer noch an dieser Geschichte mit Shuichi, von dem Tag, als sie ihre DigiVices gefunden hatten? „Nichts“, schnaubte Renji. „Er ist nur so ein selbstgerechter Stinkstiefel. Und er weiß immer alles besser. Der Typ kotzt mich echt an.“ Kouki seufzte. „Hör mal, vielleicht solltet ihr mal ordentlich miteinander reden. Die Sache regeln. Wir sitzen immerhin alle im selben Boot.“ Es wäre nicht nur von Vorteil, wenn sie sich vertragen würden, weil sie als DigiRitter zusammenhalten mussten. Kouki hatte genug davon, dass ihre Gruppe sich so wenig verstand. Renji mochte Taneo nicht, Taneo mochte Renji nicht. Fumiko ließ Renji am liebsten links liegen, und von Tageko war er sich nicht sicher, ob sie sie nicht allesamt verachtete. Jemand musste Ordnung in dieses Chaos bringen, und wenn er dieser Jemand war – auch kein Problem. „Wieso denn? Damit ich mir noch mehr davon anhören soll, wie scheiße ich doch bin, und ich gefälligst mein Leben so führen soll wie er? Er ist ein verträumter Idealist, so sieht’s aus, und mit der Narbe glaubt er, dass er männlicher dasteht. Außerdem ist sein Digimon als Einziges auf das Level der Asuras digitiert. Ich werd‘ den Teufel tun und jetzt wie ein großer Bewunderer angekrochen kommen. Kommst du nun mit auf das Konzert, oder nicht?“ Kouki stieß einen langen Seufzer aus. „Na schön – wer spielt überhaupt?“ „CDF. Die kennst du, oder?“ Kouki überlegte ein wenig. „Gothic?“ „Alternative. Komm jetzt, wegen dem ganzen Gerede über den großen Kuromori-sama sind wir die Letzten.“ Und das aus Renjis Mund.   Es war am Donnerstagnachmittag, als er die befürchtete Nachricht erhielt. Jagari hatte eben einen zermürbenden Schultag hinter sich gebracht, an dem er nicht viel mehr zur Klassengemeinschaft beigetragen hatte, als ab und zu ein paar spezifische Infos zu neuen Computertechnologien einzuwerfen. Ansonsten war er still auf seinem Platz gesessen. Seine Klassenkameraden interessierten sich nicht für ihn, und umgekehrt war es genauso. Vermutlich hatten sie auch nicht dieselben Interessen als er, und wenn, dann blieben sie damit hinter’m Berg. Nur ein Mädchen hatte ihn heute angesprochen – Jagari argwöhnte, dass es dasselbe war, das ihm damals seine Unterlagen ins Haus gebracht hatte – und sich schüchtern erkundigt, wie es ihm ginge, weil er ja krank gewesen war. Er hatte sie recht schnell abgewimmelt – überhaupt fand er es eine merkwürdige Frage. Wenn er schon in der Schule war, konnte es ihm doch nicht so schlecht gehen. Er hatte ihr natürlich nicht erklärt, dass er schon am Wochenende wieder topfit gewesen war und seine Mutter nur überredet hatte, zur Sicherheit bis Mittwoch zuhause bleiben zu dürfen. Schule war im Moment sein geringstes Problem, gleich vor seinen Klassenkollegen. Als er müde seine Schuhe im Flur auszog, seiner Mutter ein „Bin wieder da!“ zurief und sich dann in sein Zimmer verzog, um mit BurstingStinger zu chatten – Hunger hatte er noch keinen –, bemerkte er in seinem Maileingang eine neue Nachricht. Keine Absendeadresse, schlicht ein Name. Gennai. Jagari stöhnte innerlich auf und überlegte, ob er sie einfach nicht öffnen sollte. Vielleicht könnten sie dem Spuk in der DigiWelt dann entfliehen. Er schalt sich dafür, so verantwortungslos zu sein, und klickte die Mail an. Genau wie beim letzten Mal enthielt sie keinen Text – sondern nur einen etwas ungewöhnlichen Anhang. Der Computerbildschirm glühte blau auf, und Jagari ging auf Abstand. Kurz darauf hatte sich Gennai mit seiner weiten Robe und dem ernsten Blick vor ihm materialisiert. „Sei mir gegrüßt“, begann er ohne Umschweife. „Ich habe Neuigkeiten. Ihr solltet sie alle hören.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)