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Digimon 00001100 <Twelve>

Samsara Madness [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wünsche ein frohes neues Jahr - hier das neue Kapitel :) Komplett anzeigen

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Der Feind auf leisen Sohlen

Kouki wurde unsanft und mit einem Ächzen aus seinem unruhigen Schlaf gerissen, als Ogremon sich grunzend herumdrehte und sein Fuß in seiner Magengrube landete. Kouki schob das übelriechende, mit harter Hornhaut überzogene Ding von sich und lehnte sich seufzend wieder zurück. Der Boden war kalt, hart und rau und der staubige Turm über ihm so hoch, dass das obere Ende in Dunkelheit verschwand, obwohl es auf der Seite einige eckige, leere Fenster gab, die Mond- und Sternenlicht hereinließen.

Wieder seufzte Kouki, als er die Hand ausstreckte, um Salamon, das neben ihm schlief, hinter dem Ohr zu kraulen. Wie lange war er jetzt schon in dieser Welt? Konnten es wirklich erst zwei Tage und zwei Nächte sein? Es kam ihm alles schon so natürlich vor … dass er hier mit einem grünen Monster unter einem Dach schlief, dem er eigentlich gar nicht trauen durfte, und dass er ein Wesen zum Freund gewonnen hatte, das Hund und Katze in einem war … Würde er überhaupt wieder nachhause kommen? Sah das Schicksal, falls es so etwas hier gab, überhaupt seine Rückkehr vor?

Irgendwann döste er wieder ein und wurde abermals wach, als Ogremon sich wieder herumdrehte. Verschlafen blinzelte er in den Sternenhimmel. Waren wohl die anderen auch noch in dieser Welt? Was, wenn sie geschnappt worden waren? Dann hätte er nichts tun können, um ihnen zu helfen … Er wollte sich zur Seite drehen, als ihm etwas auffiel. Plötzlich lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Sternenhimmel? Direkt über ihm? Da war doch …

Er setzte sich auf. Dort waren tatsächlich glühende Punkte, direkt über ihm. Irgendetwas sagte ihm, dass es keine Glühwürmchen waren … „Ogremon“, flüsterte er. „Salamon.“

Sein Partner war sofort munter, aber das grüne Digimon musste er erst kräftig in die Seite knuffen, bis es Anstalten machte aufzuwachen. Kouki haderte mit sich, ob er sein Handydisplay nach oben richten sollte … Schließlich tat er es doch.

Der Lichtstrahl wanderte durch in der Luft tanzenden Staub, über weiße Flecken auf den Wänden und Rissen in der grauen Decke … bis zu einem riesigen, haarigen, vielbeinigen Etwas, das kopfüber inmitten eines riesigen Spinnennetzes saß und, als das Licht es streifte, fauchend ein Maul voller geifernder Zähne entblößte – und sich dann einfach fallen ließ.

Kouki schrie so laut, dass es in seinen eigenen Ohren klingelte, aber er war unfähig, sich zu bewegen. Während Salamon helles Licht einhüllte, rollte sich Ogremon herum und stieß die Faust in die Luft.

 

Als Persiamons Kutsche endlich ankam, rieb es sich schon freudig die Hände. „Du bleibst hier“, sagte es zu dem einen PawnChessmon und bedeutete dem anderen, ihm zu folgen. Auf Samtpfoten ging es auf das alte Tor der noch viel älteren Burg zu, die so klein war, dass wohl höchstens Karatenmon damit zufrieden gewesen wäre. Das Digimon brauchte ja nur eine Höhle, in der es verrotten konnte. Innerlich lachte Persiamon immer noch über Pumpkinmons Einfalt, während es mühelos die Tür aufdrückte, die sogar einen Spalt offenstand. Wie nachlässig konnte man eigentlich sein?

Ein merkwürdiger Geruch drang in die feine Nase des Katzendigimons, den es schon in Digitamamons Restaurant aufgeschnappt hatte. Es unterdrückte ein Stirnrunzeln und wandte sich nach links. Es schlich in den Turm und schnupperte erneut. Seine beiden Schwänze pendelten aufgeweckt.

Die Turmkammer war leer, aber der Geruch kam eindeutig von hier. Bis vor kurzem war hier noch jemand gewesen, der auch in dem Restaurant gegessen hatte. Persiamon konnte die verschiedenen Gerüche nicht differenzieren; Cerberusmon war viel besser in so etwas, sollte es das Hundedigimon fragen? Nein, dann würden sich die anderen noch wundern, warum es hierhergekommen war …

Eine böse Vorahnung beschlich Persiamon, als es an sein ursprüngliches Ziel dachte. Es kehrte in den Hauptraum zurück. „Mach das auf“, herrschte es das PawnChessmon an, das mit seiner Lanze die Falltür aufstemmte. Elegant sprang Persiamon hinein, wobei kein Laut zu hören war. Es war so dunkel, dass selbst seine scharfen Augen nichts erkennen konnten, aber das machte nichts. Es wusste ja, wonach es suchte, und Fallen würde Pumpkinmon schon nicht aufgestellt haben. Blind tastete es sich bis zu einer massiven Eisentür vor, fand das Schlüsselloch, holte Pumpkinmons Schlüssel hervor und stutzte, als es die Tür aufschließen wollte. Sie war bereits offen. Verdammt!

Persiamon stieß sie auf und huschte in den Raum dahinter. Eilig tastete es jeden Zentimeter des Bodens und der Wände ab, sogar die niedrige Decke. Die Eier waren fort. Jemand hatte die DigiArmorEier geklaut!

Unter den Dienern der Asuras sagte man sich, dass es besser war, Persiamon niemals wütend zu begegnen. Zumindest das PawnChessmon, das ihm in den Keller gefolgt war, sah das Sonnenlicht nie wieder.

 

„Du weißt wirklich nicht, was du willst. Sind alle Menschen solche Feiglinge wie du? Ich frag mich schön langsam, warum ich überhaupt auf dich höre“, maulte Ogremon. „Wenn sich herausstellt, dass wir vor einem hübschen, erfrischenden Kampf davongelaufen sind, kannst du was erleben!“

„Du bist doch der, der gesagt hat, ein echter Krieger braucht keinen Schlaf“, brummte Kouki schlecht gelaunt. Er trug die seltsamen Skulpturen, die sie in Ogremons Mantel gewickelt hatten, auf dem Rücken und stolperte mehrmals fast über tückische Wurzeln.

„Selbst wenn noch mehr Dokugumon in der Ruine gewesen wären, fändest du es nicht langweilig, gegen sie zu kämpfen?“, fragte Gatomon, das neben Kouki her tappte. In dieser Form fand er es irgendwie erwachsener.

„Pah! Wenn es viele auf einmal gewesen wären, würd mir das reichen“, meinte Ogremon großspurig, aber selbst es schien nicht zu hoffen, dass noch mehr dieser Digimon in der winzigen Ruinen lebten.

Nachdem Ogremons einzelne Kaiserfaust, wie es die Attacke nannte, das Spinnendigimon pulverisiert hatte, waren sie aufgebrochen. Kouki wollte nicht unbedingt dort schlafen, wo gerade erst ein Digimon gestorben war, auch wenn es sich sauber in kleine Fragmente aufgelöst hatte, die verschwunden waren. Und außerdem hätten vielleicht wirklich noch andere, gruseligere Digimon in der Dunkelheit gelauert.

Also hatten sie sich wieder auf den Weg gemacht, Kouki mit schmerzendem Nacken und immer noch müde, um irgendwo einen sicheren Lagerplatz unter freiem Himmel oder in einem richtigen Dorf zu suchen, wie das der MudFrigimon. Am besten auf einem Hügel. Am besten von einer hohen Mauer umgeben.

 

Renji erzählte Taneo, was geschehen war, während sie die Treppe hinunter ins Erdgeschoss des zur Ruhe gekommenen Hauses und dann zur Tür gingen, von der man, weil der Titan kniete und das Gebäude daher schräg stand, einen halben Meter bis zum Waldboden hüpfen musste. Er bemühte sich, alles ein bisschen runterzuspielen, aber selbst wenn er sich nur auf das Wesentliche beschränkte, sickerte immer noch durch, wie unglaublich Jagari gewesen war.

„Er hat also den Code geknackt, mit dem dieses Haus arbeitet?“, hakte Taneo nach.

„Hat er gesagt. Deswegen hat es aufgehört, uns zertreten zu wollen, und hat sich … ja, hingekniet, ich weiß, wie lächerlich das klingt. Und dann hat Jagari noch was dazugeschrieben, zu diesem Programm, und das Haus hat in sich selbst gegriffen und ein feindliches Digimon festgehalten, während sein …“

„Elecmon.“

„Genau. Während das digitiert ist. Das Vieh sieht jetzt so aus wie DarkTyrannomon, wenn du mich fragst.“ Renji rümpfte die Nase. „Sie sind durch das Loch in der Wand raus und zu uns gegangen. Ich war ja ganz cool, aber die Mädchen waren völlig aufgelöst.“ In Wahrheit hatte Renji gejauchzt und Tyrannomon dann furchtsam angestarrt, und Tageko hatte nur erleichtert geseufzt, aber das brauchte er Taneo ja nicht unbedingt auf die Nase zu binden. Es schmeckte ihm ohnehin nicht, dass nun auch einer der anderen sein Digimon hatte digitieren lassen. „Fumiko ist dem Kleinen sogar um den Hals gefallen. Kannst du dir das vorstellen? Das hat sie bei mir nicht gemacht, als Candlemon digitiert ist.“

„Bei Jagari wusste sie ja auch, dass er dabei keinen falschen Eindruck bekommen würde“, sagte Taneo trocken.

„Was willst du damit sagen?“ Es kam nicht ganz so aggressiv heraus, wie er es gern gehabt hätte. Renji gestand es sich nur ungern ein, aber plötzlich hatte er Respekt vor Taneo. Seit er ihn dort oben stehen gesehen hatte, die Maschinenpistole im Arm und mit gelblichem Schleim beschmiert, der wie Alienblut aus einem Science-Fiction-Film ausgesehen hatte, und der dann noch verkündete, er hätte ein verdammtes Asura getötet, kam ihm Taneo seltsam … erwachsen vor. Sogar größer, irgendwie. Wobei er ihm den Teil mit dem Asura trotzdem nicht abkaufte – SkullScorpiomon war ein Asura, und das Biest konnte niemand besiegen, und bei DarkTyrannomon hatten sie sein hochloderndes Meramon gebraucht.

Taneo kam nicht dazu, zu antworten, denn sie erreichten die anderen. An der Stelle im Wald war alles Grün verschwunden, in den Boden gestampft worden, der so gründlich durchgepflügt worden war, dass selbst die Baumstümpfe entwurzelt und schon wieder halb mit schwarzer Erde bedeckt waren. Dazwischen standen die anderen und bestaunten das fast haushohe Tyrannomon, und Jagari erzählte ihnen aufgeregt, wie er dieses feindliche Digimon bezwungen hatte. Noch detaillierter, als Renji es schon einmal mitangehört hatte, ehe er Candlemon an einen Baumstamm gelehnt und auf Tagekos Geheiß hin Taneo gesucht hatte.

Das ältere Mädchen wandte ihnen den Blick zu. „Taneo, geht es dir … Was war denn los?“

Renji grinste. „Er sieht aus wie ausgekotzt, stimmt’s?“

Taneo deutete auf Jagari. „Er zuerst. Was ist alles passiert?“

Also musste Renji noch einmal die ganze Geschichte über sich ergehen lassen. Am Ende strahlte Jagari frech und schien völlig vergessen zu haben, dass er eigentlich erkältet war, und Taneo sah stirnrunzelnd zu Renji hoch. Entwaffnend hob dieser die Arme. „Okay, vielleicht hab ich die Geschichte nicht ganz so gut wiedergeben können.“

„Jagari hat gesagt, ihr wärt getrennt worden und ein Asura wäre dir auf den Fersen“, berichtete Fumiko.

Taneo lächelte. Offenbar freute er sich tierisch über sein Glück; Renji war sich nicht sicher, ob er ihn je lächelnd gesehen hatte. „Ich habe es getötet. In dem Haus waren Waffen versteckt, mit denen konnte ich kämpfen.“

Trotz seines stolzen Lächelns sagte er das so beiläufig, als wäre es gar keine große Sache – Renji zum Beispiel hätte diesen Bericht mit einigen schlagkräftigen Adjektiven ausgeschmückt. Die Wirkung auf die anderen war dafür umso größer, sie starrten Taneo mit offenen Mündern an und waren sprachlos.

Toll. Jetzt hatten die beiden Jüngeren Renji endgültig die Show gestohlen.

 

Es war Taneo ein wenig unangenehm, von ihren Fragen bestürmt zu werden. Vielleicht lag es daran, dass er es nicht gewohnt war. Üblicherweise erntete er mit keiner seiner Taten Ruhm. Als er Shuichi vor Renji gerettet hatte, hatte auch nur er selbst je wieder ein Wort darüber verloren. Früher einmal, als er auf dem Kinderspielplatz eingegriffen hatte, als ein paar halbstarke Rüpel einen Nachbarsjungen verprügeln wollten, hatte er sich nicht nur ein blaues Auge eingehandelt, sondern auch Schimpf und Schande, als die Eltern der Halbstarken in die Rauferei eingeschritten waren und ihn einen ungezogenen, ungehobelten Jungen genannt hatten, der ihre armen Schützlinge beschimpft und angegriffen hatte. Seit diesem Tag hatte Taneo die anderen, subtileren, gewaltfreien Wege zu nutzen gelernt. Da war es schon seltsam, nun so viel Aufmerksamkeit zu erhalten, weil er einem Asura den Kürbis weggesprengt hatte. Sogar Tageko richtete einige interessierte Fragen an ihn, die nicht unbedingt nüchterner Natur waren – gleich nachdem sie ihn gerügt hatte, wie unverantwortlich es doch wäre, mit Waffen zu spielen.

Jagari schien es ihm nicht übel zu nehmen, dass er ihm nun ein wenig die Show stahl. Er schien für sich entschieden zu haben, dass seine Errungenschaft sich mit keiner anderen vergleichen ließ, und war zufrieden damit. Das war gut; Taneo vergönnte ihm das. Der Einzige, der schlecht gelaunt schien, war natürlich Renji, aber auch der fragte einiges zu Pumpkinmons Fähigkeiten, wenn auch wahrscheinlich nur deshalb, um feststellen zu können, dass es kein gefährlicher Gegner gewesen war. Auch die Digimon sprachen ihm ihren Beifall aus, ein Asura besiegt zu haben, Candlemon trotz seiner Erschöpfung feurig und kameradschaftlich, Mushroomon schüchtern, aber bestimmt, und Tyrannomon war belustigt darüber, wie Pumpkinmon zwischen den Kugeln getanzt hatte.

Nur sein eigener Partner hielt sich zurück, aber Taneo glaubte zu wissen, was Kokuwamon bedrückte. Als Tyrannomon zurückdigitierte und die Unterhaltung wieder zu Jagari umschlug – Fumiko fragte ihn, ob er ihr die Digimon-Zeichen erklären konnte, und Tageko wollte wissen, wie gut er das Haus kontrollieren konnte –, ging er deshalb neben dem Käferdigimon in die Hocke, das sich ein wenig abseits aufhielt. „Alles klar bei dir? Du hast dich doch nicht verletzt, oder?“

Kokuwamon sah ihn mit roten Perlenaugen an. Es war schwierig, darin zu lesen, aber irgendwie glaubte Taneo, ihren Ausdruck zu verstehen. „Nein. Ich meine, ja, alles in Ordnung.“ Seine Stimme war immer noch piepsig, obwohl es nicht mehr Kapurimon war.

„Dann ist ja gut. Danke, dass du mir geholfen hast. Allein hätte ich viel zu viel Angst gehabt. Ich hätte sicher so sehr gezittert, dass ich mir selbst ein Loch in den Kopf gepustet hätte.“

Es musterte ihn, als versuchte es festzustellen, ob er das sarkastisch meinte. „Aber …“, meinte es dann nur, klappte seine Flügel aus und versuchte wegzufliegen, aber Taneo hielt es an seinem Beinchen fest.

„Moment. Du glaubst, ich würde dich nicht brauchen, stimmt’s?“

Wie ein geschlagener Pudel sank Kokuwamon wieder zu Boden und wich seinem Blick aus. „Es tut mir leid, Taneo. Ich schäme mich.“

„Ja, schäm dich“, sagte er und wartete, bis es ihn wieder ansah. Er lächelte zuversichtlich. „Schäm dich, weil du glaubst, ich bräuchte dich nicht. Ohne dich wäre der Plan in die Hose gegangen.“

„Aber ich … Elecmon ist digitiert und hat Impmon dann besiegt, und ich bin nur …“

„Nur, weil wir Pumpkinmon besiegt haben, ohne dass du digitieren musstest, heißt das doch nicht, dass ich dich nicht brauche“, unterbrach Taneo es. „Sieh es so: Wir waren so stark, dass du gar nicht digitieren musstest. Irgendwann wird es dann so weit sein, und dann kämpfen wir wieder gemeinsam, und du bist stärker als jetzt.“

Kokuwamon schien noch nicht ganz überzeugt, also deutete Taneo auf die anderen. „Wir haben gut zusammengearbeitet, du und ich. Stell dir vor, ich wäre allein gewesen. Pumpkinmon wäre abgehauen. Stell dir vor, ich hätte Meramon als Partner. Pumpkinmon hätte die Hitze auf zehn Meter gespürt und wäre gar nicht in unsere Nähe gekommen. Mushroomon wäre zu langsam gewesen, um es zu erwischen. Und wenn ich Tyrannomon bei mir gehabt hätte … Gut, es wäre vielleicht im Boden eingebrochen, ich mit ihm, und ich wäre zwischen seinen Zähnen hängen geblieben und wir hätten ein so lächerliches Bild abgegeben, dass Pumpkinmon sich zu Tode gelacht hätte.“

Kokuwamon kicherte leise. „Du redest Unsinn“, meinte es kindlich.

„Stimmt nicht“, beharrte er. „Ich hab das genau analysiert und komme nur zu diesem Ergebnis. Du bist der perfekte Partner für mich. Und als Nächstes lassen wir dich digitieren, ja?“

Diesmal zögerte es nicht mehr. „Ist gut, Taneo“, sagte das Käferdigimon. Seine Elektroden blitzten kurz auf, als sie sich die Hand reichten.

 

Ein Rumpeln rüttelte Fumiko aus dem Schlaf und für einen Moment wusste sie nicht, wo sie war. Über ihr waren schräge, alte Holzbalken, und sie lag in einem warmen, weichen Bett, das selbst für sie zu klein war. Der Boden schwankte, als befände sie sich auf einem Schiff, aber man hörte deutlich schweres, regelmäßiges Stampfen. Helle Sonnenstrahlen stachen in ihre Augen, als sie sich aufsetzte. Ein Hauch von kühler Morgenluft war da, und als sie aus dem offenen Fenster sah, konnte sie zarte Nebelschwaden sehen, die über den Baumkronen schwebten. Richtig, sie waren immer noch in der DigiWelt … Ihr Ei lag neben ihr, noch halb zugedeckt.

Es war wohl etwas wie göttliche Fügung gewesen, dass ausgerechnet ein Haus sie angegriffen hatte. Nun, da es unter Jagaris Kontrolle stand, hatten sie die letzten Stunden der Nacht unter einem Dach schlafen können, und obwohl es keine Heizung gab, war es gerade warm genug gewesen, um wohlig einnicken zu können. Und damit sie besser geschützt waren, hatte er das Haus wieder aufstehen lassen, sodass sie sich in luftiger Höhe befanden.

Sie hatten nur ein einziges Bett in dem ganzen Gebäude gefunden, im ersten Stock in einer kleinen, verspielt eingerichteten Kammer, und das hatte zu einer Diskussion geführt, wer wohl darin schlafen dürfe. Renji hatte den Gentleman spielen wollen und angeboten, vor der Tür Wache zu halten, während Fumiko darin schlief, diese hätte das Bett lieber Jagari überlassen, weil er krank und der Held der Stunde war, und Jagari selbst hatte beschlossen, in der Nähe des Kontrollraums zu schlafen, um in einem Notfall schnell das Programm anpassen zu können. Dann war es darauf hinausgelaufen, dass es Tageko überlassen worden wäre, aber das hatte der Ältesten dann doch widerstrebt. Letztendlich hatten sie Streichhölzer gezogen, und das Schicksal hatte doch Fumiko ausgewählt.

Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, dass es kurz vor sieben war. Ins Bett hatte sie erst vor vier Stunden gefunden. Gähnend zog sie sich an und gesellte sich zu den anderen in den zugigen Kontrollraum mit dem Loch in der Wand, wo Jagari vor den beiden Bildschirmen hockte, hinter ihm die Wand voller Schriftzeichen.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie. „Gut geschlafen?“

„Morgen“, sagte sie und ging auf die Frage nicht ein. Renji fehlte, wahrscheinlich schlief er noch auf dem Sofa zwei Türen von ihrem Zimmer entfernt. Die anderen hatten tiefe Ringe unter den Augen, außer Jagari, der in Hochform zu sein schien. Es war nicht abgemacht gewesen, dass er den Riesen so früh wieder in Bewegung setzen würde.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie, während Tageko ihr einen Schokoriegel reichte. Sie trug ihr rötliches Haar heute offen, und es reichte ihr bis auf die Schultern. Mushroomon stand in der Ecke des Raumes, schwieg und sah irgendwie verloren aus. Es schien nicht allzu gut mit seiner Partnerin auszukommen, jedenfalls wirkte es auf Fumiko so.

„Tee?“, fragte Tageko.

„Ja, bitte … Hast du Tee gesagt?“ Sie stutzte.

„Hab ich im Reisegepäck. Hier im Haus gibt es eine Küche, und Jagari hat es geschafft, die Herdplatten von hier aus mit Strom zu versorgen.“

Jagari grinste breit. Tageko schenkte aus einer Thermoskanne roten Früchtetee in einen Plastikbecher, und Fumiko fragte erneut: „Also, wohin bringst du uns?“

„Der Wald ist riesengroß, siehst du?“ Jagari deutete auf die Baumkronen, die bei Tageslicht wieder sehr nach Frühling aussahen. „Ich lasse das Haus ein bisschen herumgehen und suche nach irgendwelchen Anzeichen von Zivilisation. Vielleicht finden wir Kouki da. Wenn er sich in einer Waldhöhle versteckt, suchen wir ewig nach ihm.“

„Falls er überhaupt noch da ist“, murmelte Tageko und blinzelte an die Deckendielen. „Was für einen Tag haben wir überhaupt?“

„Samstag“, antwortete Taneo. Er saß neben Jagari in einem Stoffsessel, von denen sie zwei herbeigeschafft hatten, und hatte Kokuwamon auf dem Schoß. Er wirkte nachdenklich, oder er war auch einfach nur müde.

„Ach stimmt ja, wir sind ja gestern erst los“, seufzte Tageko und schloss die Augen, während sie aus ihrem eigenen Becher trank. „Kommt mir vor wie eine Ewigkeit.“

„Morgen allerseits!“ Die Tür wurde aufgerissen und Renji kam herein. Candlemon war nirgends zu sehen.

Tageko sah ihn abfällig an. „Wenigstens einer scheint voller Energie zu sein.“ Ihm bot sie also kein Frühstück an.

„Hast du gut geschlafen, Fumiko?“, fragte Renji, Tageko dezent ignorierend.

„Ja. Danke“, murmelte Fumiko und verbrannte sich die Zunge, als sie verlegen den Tee probierte. Musste er gleich beim Aufstehen wieder so ein Trara um sie veranstalten?

„Da vorne!“, rief Jagari plötzlich und deutete auf den linken Bildschirm. Sofort versammelten sich die anderen um ihn.

„Ein Dorf?“, fragte Tageko stirnrunzelnd.

 

In dem Dorf lebten Digimon, die sich als Floramon vorstellten. Der Hausgigant löste unter ihnen eine Heidenpanik aus, und noch bevor die DigiRitter sie beruhigt hatten, sahen sie, dass Kouki nicht hier war. Das zweite Dorf, das sie fanden, war größer und von felsigen Gotsumon bewohnt. Die schienen härter im Nehmen zu sein, waren zwar misstrauisch, aber gaben ihnen letztendlich sogar Auskunft, dass sie keinen Menschen gesehen hätten.

Das dritte Dorf, das sie am späten Vormittag erreichten, war schließlich ein Volltreffer.

 

Letztendlich waren sie die ganze Nacht durchgewandert. Ogremon war allem Anschein nach nicht der Typ, der lange schmollte, aber offenbar hatte es kurzfristig beschlossen, dass es bisher viel zu nett zu seinen Begleitern gewesen war, und so trieb es sie immer weiter an, wenn sie eine Pause machen wollten. Alles, was Kouki davon abhielt, völlig erschöpft von den Füßen zu fallen, war das regelmäßige Knurren, das sein Magen von sich gab. Ogremon fischte bei Sonnenaufgang zwar drei kleine Fische aus einem schnellen Bächlein, aber die bestanden fast nur aus Gräten und waren kaum zu essen. Entweder bekam er vor Hunger Halluzinationen, oder die DigiWelt war noch seltsamer, als er bislang geglaubt hatte: Am Rand des Baches flimmerte ein kabelloser Fernsehbildschirm vor sich hin, einfach so, ohne dass es irgendeinen ersichtlichen Grund geben würde, warum er dort lag. Wovon er Strom bezog, war Kouki auch schleierhaft.

Ihm war schließlich ganz flau zumute, als die Sonne aufging. Sie hatten den Wald der Vier Jahreszeiten erreicht, ohne dass er es bemerkt hatte, denn bald danach sagte Ogremon, dass es hier ein Dorf gäbe, von dem sie nur noch wenige Stunden Fußmarsch nach Nordosten hätten, um zu den MudFrigimon zu gelangen. Es war von einem niedrigen, gemauerten Wall umgeben. Hier war also die Mauer, die er in der Nacht gebraucht hätte.

Die Hütten waren aus Holz und kreisförmig um einen Brunnen aufgestellt. Die Bewohner waren Bearmon, hüfthohe Miniaturausgaben von Braunbären, die mit blauen Lederriemen bekleidet waren und lässige Kappen auf den Köpfen trugen. Sie vertrauten Ogremon nicht, das war offensichtlich, und wollten es erst gar nicht hinter die Mauer lassen. Erst als Kouki erklärte, er wäre ein DigiRitter, und sich dabei schämte, weil er keine Ahnung hatte, was er als solcher genau tun sollte, steckten sie die Köpfe zusammen und ließen sie in einer der leer stehenden Hütten auf Stroh schlafen. Für Kouki war das der Himmel. Sie sagten noch, dass er ihnen einen Gefallen schuldete, aber er nickte nur und trottete wie ein Zombie auf das Strohllager zu.

Er konnte noch keine zwei Stunden geschlafen haben, als aufgeregte Stimmen und zitternde Erde ihn weckten. Ogremon schlief beharrlich weiter, also taumelte er selbst schlaftrunken zur Hüttentür – nicht, bevor er sich vergewissert hatte, dass nicht wieder eine Riesenspinne über seinem Bett saß.

Der Lärm kam von einem gigantischen Ungetüm … Er blinzelte gegen die Sonne an und erkannte ein Haus auf zwei Beinen, jedes so dick wie ein Schulbus, das hoch über den Baumkronen aufragte. Die Bearmon schoben ihn und Salamon diesem Wesen förmlich entgegen. „Du bist ein DigiRitter! Bitte beschütze uns!“, rief eines.

„Wenn es nur die Ninjamon wären“, jammerte ein anderes.

„Unser Dorf ist unter einem schlechten Stern erbaut worden, ich hab’s immer schon gesagt!“, sagte ein drittes. Kouki hatte keinen Schimmer, wovon sie sprachen, und wäre am liebsten selbst weggelaufen. Wo war Ogremon, wenn man es brauchte?

Doch der Schrecken löste sich in Freude auf. Der hölzerne Titan setzte vorsichtig einen Fuß innerhalb der Mauer ab und kniete sich so hin, dass das Haus auf die Höhe der Hüttendächer kam. Und aus einem Loch in der Wand sah er aufgeregt Renji und Jagari winken.

Das Suchen hatte ein Ende. Sie hatten einander wiedergefunden – und da die anderen alle andere Kleidung trugen als vor zwei Tagen, war er sich sicher, dass sie entweder eine richtige Stadt oder, noch besser, einen Weg zurück in ihre eigene Welt gefunden hatten.

Das Ungetüm erhob sich wieder, stapfte zurück in den Wald und kniete sich dort einfach hin, wobei es Baumstämme wie Streichhölzer zerdrückte. Bald darauf kamen Renji, Taneo, Fumiko, Tageko und Jagari mit ihren Digimon den Hang herauf, und Kouki lief ihnen bis zur Mauer entgegen. Die Bearmon schienen hocherfreut, dass sie Freunde von ihm und ebenfalls DigiRitter waren, wie Salamon ihnen erzählte.

„Kouki, Alter. Ich war noch nie so froh, dich zu sehen, glaub mir.“ Renji erreichte ihn als Erstes, schlug bei ihm ein und patschte ihm kräftig auf die Schulter. Dann sah er ihn so eindringlich an, dass ihm angst und bange wurde. „Wenn du mich noch einmal mit denen allein lässt, bring ich dich um.“

„Äh …“ Kouki wusste nicht, was er von dieser Art von Wiedersehensfreude halten sollte, als auch schon die anderen durch die einfache Lücke in der Mauer kamen.

„Pass auf, was du sagst, sonst zieh ich dir eines Tages noch die Ohren lang.“ Tageko musterte Kouki forschend. „Es ist … gut, dich heil wiederzusehen, Nagara-kun“, sagte sie dann steif. Fumiko schenkte ihm ein frohes Lächeln.

„Du musst uns unbedingt sagen, was du erlebt hast“, verlangte Jagari.

„Hast du deine … Differenzen mit deinem Digimon schon aus der Welt geräumt?“, fragte Taneo, auf dessen Schulter Kokuwamon hockte.

„Oh, ja“, lachte Kouki. „Salamon und ich sind dicke Freunde geworden, stimmt’s?“

„Jau!“, machte Salamon glücklich.

„Apropos“, sagte Renji und beugte sich verschwörerisch vor. „Ich muss dir was Unglaubliches erzählen. Candlemon ist digitiert.“ Die lebende Kerze sprang auf die Mauer und plusterte sich förmlich auf, während sie grinste. „Gestern Nachmittag. Verdammt cool. Jagari hat sein Elecmon heute Nacht auch digitieren lassen, aber ich war der Erste.“

„Du meinst, es hat sich verwandelt?“, fragte Kouki. „Das hat Salamon schon in unserer ersten Nacht in der DigiWelt geschafft.“

Was?“ Renji starrte ihn an, dann Salamon, dann Candlemon, dann raufte er sich die Haare. „Und ich dachte, ich hätte euch allen was voraus, verdammt!“

„Was ist denn hier los?“ Ogremon war aufgewacht und stapfte übellaunig auf sie zu, wobei die Bearmon ihm respektvoll Platz machten. „Hä? Sind das deine Menschenfreunde? Die sind ja noch kümmerlicher als du.“ Es lachte.

„Hey!“, beschwerte sich Renji.

„Und was ist das?“, fragt Tageko naserümpfend.

„Ich glaube, es bringt mehr, wenn ich euch die ganze Geschichte der Reihe nach erzähle“, meinte Kouki und schmunzelte. Jetzt konnte doch eigentlich alles nur noch besser werden, oder?

 

Die Bearmon ließen es zu, dass die DigiRitter und ihre Partner es sich in ihrem Rathaus gemütlich machten – sie überließen ihnen einen mit hellen Bohlen ausgelegten, kahlen Raum –, aber sie wollten nichts von ihren Vorräten herausrücken, um ihnen ein Willkommensessen oder irgendetwas in der Art zu bereiten. „Das können wir nicht tun, verzeiht“, sagte eines von ihnen demütig.

„Was? Soll das ein Witz sein? Ich brauch was zu beißen!“, beklagte sich Ogremon. „Ich rieche eure Vorräte zwei Meilen gegen den Wind, also her damit, oder ich hol sie mir einfach.“

„Das kannst du nicht machen“, warf Taneo ein. „Es ist ihres. Du hast kein Recht, sie einfach auszurauben.“

„Hä?“ Ogremon starrte ihn an, als hätte er ihm gerade erklärt, dass es zwei Köpfe hätte. „Willst du mich etwa daran hindern, du Knirps? Wenn ich hungrig bin und sie wollen mir nichts abgeben, dann bediene ich mich eben. Sollen sie mich doch aufhalten. Das Gesetz des Stärkeren, Kleiner.“

„Ich glaube, wir brauchen nicht unbedingt etwas zu essen“, winkte Kouki eilig mit einem verlegenen Lächeln ab, ehe der Streit eskalieren konnte. Sein Magen knurrte so laut, als wollte er ihn verhöhnen. „Wir essen dann in der Menschenwelt, lange müssen wir ja nicht mehr hier bleiben, oder? Bitte, sagt mir, dass ihr wisst, wie wir zurückkommen“, flehte er die anderen an.

„Nichts leichter als das“, sagte Tageko. „Wir müssen nur durch einen dieser Fernsehbildschirme gehen, und schon sind wir wieder in unserer Welt.“

„Echt?“ Kouki erinnerte sich an den Bildschirm am Bach. Er war förmlich mit der Nase darauf gestoßen. „Auf dem Weg hierher sind wir an so einem vorbeigekommen. Wieso hast du nichts gesagt, Ogremon?“

„Woher soll ich denn sowas wissen?“, grunzte das grüne Digimon.

„Dann ist ja alles geklärt.“ Renji patschte sich auf die Schenkel und stand auf. „Zeig uns, wo der Fernseher ist, und wir hauen ab. Wir waren lang genug hier.“

„Bitte um Verzeihung“, sagte das Bearmon, das nahe der Tür gewartet hatte. „Wollt ihr wirklich schon gehen?“

Tageko wurde sofort misstrauisch. „Ja. Wollt ihr uns etwa daran hindern?“

„Nichts liegt uns ferner“, brummte der Bär. „Aber diese beiden hier haben unsere Gastfreundschaft in Anspruch genommen und uns versprochen, das nicht unvergolten zu lassen, und wir hätten da eine kleine Bitte …“

„Haben wir das?“ Kouki versuchte sich zu erinnern. „Ich glaube, von Schuld oder so war die Rede … Aber wir haben nicht mal richtig geschlafen, und zu essen habt ihr uns auch nichts gebracht, oder? Kann man da von Gastfreundschaft reden?“ Er hatte Hunger, und sobald er wieder in seiner Welt war, würde er kräftig bei einem Fastfood-Stand zuschlagen. Allein bei dem Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

„Es ist nur eine kleine Bitte … wenn ihr mich anhören mögt …“

„Was hast du denn auf dem Herzen?“, fragte Fumiko schließlich.

Das Bearmon rang die Pfoten. „Es ist so … Unser Dorf wird seit Längerem von einer Bande Ninjamon heimgesucht. Sie nehmen einen Großteil unserer Vorräte und unserer Ernte mit. Deswegen gehen wir auch so sparsam damit um … Sonst kommen wir nicht durch den Winter.“

„Hier gibt es auch Winter?“, fragte Kouki.

Der Teddybär nickte. „Alle drei Monate wechseln die vier Gebiete des Waldes. Jeder Ort bekommt jede Jahreszeit ab.“

„Und diese Ninjamon erpressen euch?“

Bearmons Nicken wurde grimmig. „Sie sagen, sie beschützen uns vor den Asuras, aber das stimmt nicht. Als letztens SkullScorpiomon in der Gegend gesichtet wurde, liefen sie nur davon. Sie beschlagnahmen unser Essen, schlagen sich die Bäuche voll und verziehen sich wieder, und wenn wir uns wehren … Nun, sie sind bessere Kämpfer als wir.“

„Warum sollte uns das kümmern?“, fragt Tageko mit verschränkten Armen. „Sind sie selbst Asuras? Nein, oder?“

„Das nicht, aber …“

„Dann haben wir nichts damit zu tun. Gennai hat uns gesagt, unsere Feinde sind die Asuras. Wir können nicht jedem in der DigiWelt helfen, der Probleme hat. Wie ich das einschätze, werden wir sonst nie damit fertig.“

„Wer ist Gennai?“, fragte Kouki, aber Taneo gab Tageko nicht die Möglichkeit zu antworten.

„Wie kannst du so herzlos sein?“, fragte er ärgerlich. „Sie brauchen Hilfe, und wir sind die DigiRitter! Wenn wir diese Welt retten sollen, müssen wir im Kleinen anfangen.“

„Wir sollen die Welt retten?“ Wieder wurde Kouki ignoriert.

„Wir können eben nicht im Kleinen anfangen, und ich bin auch nicht herzlos“, sagte Tageko bestimmt. „Aber wenn wir gegen die Ninjamon kämpfen, begeben wir uns ihn Gefahr. Jeder Kampf bedeutet Gefahr, und jeder unnötige Kampf bedeutete unnötige Gefahr.“

„Wir haben das Haus“, wandte Jagari ein.

„Aber wir wissen gar nicht, ob das, was dieses Digimon erzählt, stimmt“, beharrte Tageko. „Vielleicht ist es hier gang und gäbe, Steuern an jemanden zu zahlen, und die Bearmon wollen sich nur drücken und schicken die DigiRitter vor. Am Ende machen wir uns noch eine wichtige Persönlichkeit zum Feind – unnötig.“

„Wenn es das ist, was ihr befürchtet, fragt in den anderen Dörfern hier nach. Sie werden euch dasselbe sagen“, erwiderte Bearmon. Es berührte mit der Stirn den Boden. Seine Kameraden hinter ihm taten es ihm gleich.

„Dafür fehlt uns die Zeit“, sagte Tageko. „Unsere Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen – vor allem die von gewissen Leuten, die nicht bedacht haben, dass das hier ein mehrtägiger Aufenthalt werden könnte.“

„Was ist los mit dir?“ Taneo schlug mit der Faust auf den Boden, auf dem Sie saßen, aber seine Stimme war immer noch ruhig und melodisch. „Ich dachte, du wärst ganz in Ordnung. Aber du bist kaltherzig.“

„Ich habe die Verantwortung über euch!“, brauste Tageko auf. „Wir wären alle fast draufgegangen, mehrmals. Ich muss irgendwie zusehen, dass ich euch heil wieder in die Menschenwelt bringe und dieser ganze Irrsinn ein Ende nimmt. Jagari ist krank, wir sind alle total müde, und es ist ein Wunder, dass sich noch niemand verletzt hat. Da haben wir Kouki endlich gefunden, und du willst uns schon wieder ins nächste Abenteuer stürzen? Ob mit diesem Riesenhaus oder nicht, es ist zu gefährlich! Ich denke hier an euch, also nenn mich nie wieder kaltherzig!“

Taneo starrte sie trotzig an und Kouki bemühte sich, die Wogen zu glätten. Seine Gedanken wollten ihm nicht so wirklich gehorchen, müde, wie er war. Ein richtiges Bett – am besten sein eigenes – wäre jetzt wirklich erlösend. „Warum stimmen wir nicht einfach ab?“ Als Tageko ihn wütend anfunkelte, fügte er hinzu: „Niemand hat dir die Verantwortung auferlegt, Tageko-san. Du bist genauso unfreiwillig hier wie wir.“

„Aber ich bin die Älteste. Wen könnten sie sonst belangen? Von wem würde man erwarten, dass er einen kühlen Kopf behält?“

„Ich finde Abstimmen eine gute Idee“, warf Jagari ein.

„Ich auch“, sagte Taneo.

Genervt seufzend gab sich Tageko geschlagen. Die Abstimmung fiel vier zu zwei aus; nur sie und Renji waren dagegen, den Bearmon zu helfen.

„Vielen, vielen Dank.“ Die Stirn des Bearmon-Sprechers küsste wieder den Boden.

Die DigiRitter begannen sofort, Pläne zu schmieden. „Die Mauer kann man sicher gut nutzen“, überlegte Kouki. „Wann kommen denn die Ninjamon für gewöhnlich?“

„Sie ziehen immer durch die Gegend, aber gestern wurden sie im Gotsumon-Dorf gesichtet. Wahrscheinlich stehen sie heute Abend vor unserer Tür“, sagte Bearmon.

„Perfekt“, sagte Taneo. „Wir postieren Meramon und Tyrannomon dort, wo sie jeder sehen kann. Vielleicht bekommen sie dann schon Respekt.“

„Wir können das Haus benutzen, um die Bearmon in Sicherheit zu bringen, während wir kämpfen“, steuerte Jagari Ideen bei. Das war der Punkt, an dem Tageko aufstand und sich wortlos an den Bearmon vorbei aus der Hütte drängte. Die anderen sahen ihr nach, aber nicht einmal Mushroomon machte Anstalten, seiner Partnerin hinterherzulaufen.

Letztendlich entschieden die Bearmon, dass auch sie für ihre Freiheit kämpfen würden, und trugen sogar ein Festmahl auf, um ihre künftigen Retter im Voraus zu entschädigen und zu stärken. Es gab Honig, Steckrüben und Fleisch, dass sie, wenn Kouki sie richtig verstand, von einer Art Plantage hatten. Ogremon schlug kräftig und zufrieden grunzend zu, aber Tageko ließ sich nicht blicken. Mushroomon war auf einmal ebenfalls verschwunden, doch Kouki erfuhr von den anderen, dass die Älteste wahrscheinlich bei einer Schokoriegel-Diät schmollte.

Die beiden kamen schließlich zurück, als die anderen mit der Rolleneinteilung für den kommenden Kampf begannen. Taneo war dabei sehr geschäftig und dachte sich Strategien aus. „Was können wir tun?“, fragte Tageko ihn kühl.

Er sah sie misstrauisch an. „Du musst nicht mitkämpfen, wenn du nicht willst“, sagte er langsam.

„Ich will aber. Teil uns an vorderster Linie ein, oder etwas in der Art.“

Taneo sah ihr einen Moment in die Augen, dann nickte er. „Dann wird Mushroomon auf der Mauer stehen, in Ordnung? Es ist ein Fernkämpfer, also kann es die Ninjamon aus der Distanz angreifen, noch ehe sie das Dorf erreichen.“

„Traust du dir das zu?“, fragte Tageko ihren Partner. Das Pilzdigimon nickte schüchtern.

 

Der Abend kam schneller, als erwartet. Die Bearmon patrouillierten je zu zweit innerhalb der Mauer, während die DigiRitter auf ihren Posten standen. Tageko und Renji auf je einer Seite der Mauer, mit ihren Digimon; Candlemon war bereits digitiert. Anscheinend waren ihre Feinde gedrungene, annähernd kugelförmige Digimon, die ihrem Namen folgend mit Katanas und Wurfsternen kämpften. Kouki hielten sich mit Gatomon und Tyrannomon in der Mitte des Dorfes auf, um überall so schnell wie möglich sein zu können, und der Haustitan mit Jagari an Bord hatte die Aufgabe, die nähere Umgebung zu durchkämmen und jedes Ninjamon anzugreifen. Die jüngeren Bearmon und jene, die nicht kämpfen wollten, waren ebenfalls in dem Haus in Sicherheit. Fumiko und ihr Ei waren auch bei ihm, darauf hatte Tageko unerschütterlich bestanden. Es wurde überlegt, ob sie die Waffen benutzen sollten, die Taneo darin gefunden hatte, aber er hatte schließlich selbst gemeint, dass es zu gefährlich wäre. Sie fanden auch keine Reservemunition für die Revolver, und keiner von ihnen kannte sich gut genug mit automatischen Maschinenpistolen aus, um zu prüfen, wie viel Schüsse noch im Magazin waren.

Während der Vorbereitungen hatten sich Kouki und die anderen ihre jeweiligen Abenteuer erzählt. Er hatte ihnen auch die rätselhaften Figuren gezeigt, die er gefunden hatte, und sie hatten beschlossen, sie Gennai zu zeigen. Die Digimon hatten ihre Freundschaft mit Salamon aufgefrischt und sich ihre eigenen Versionen der Geschichten erzählt. Salamon wirkte fast wie ein gutmütiger Senpai, da es als Erstes digitiert war.

Tageko drehte sich nicht um, als sie aus den Augenwinkeln Taneo und Kokuwamon herankommen sah. Die beiden patrouillierten ebenfalls und gaben Acht, dass jeder auf seinem Posten war. Taneo blieb neben ihr stehen und sah in den Wald hinaus, hinter den langsam die Sonne sank, wie eine frische Wunde am Firmament. „Wie sieht es aus?“

„Willst du nicht eigentlich fragen, ob ich mir wirklich sicher bin?“, fragte sie trocken. Er hob entwaffnend die Schultern. „Es ist nicht so, dass ich mich vor dem Kampf fürchte. Ich mache mir Sorgen um euch. Alleine wäre es mir beispielsweise lieber.“

„Du hast ein gutes Herz, vermute ich“, murmelte er. Es war das Gegenteil von dem, was er vorher gesagt hatte. Seine Stimme war frei von Sarkasmus, jedenfalls soweit sie das sagen konnte. Jetzt wurde sie auch noch von einem Jungen ermutigt, der zwei Jahre jünger war als sie.

„Hör auf. Ich bin nur egoistisch“, behauptete sie. „Ich will keine Schwierigkeiten mit euren Eltern kriegen.“

„Kriegst du nicht. Wir schaffen das.“

„Warum bist du eigentlich so versessen darauf, dem Dorf zu helfen? Erzähl mir nicht, du willst dich damit nur für das Essen bedanken.“

Taneo schwieg eine ganze Weile, während er ihrem Blick auswich und den Waldrand musterte. „Sie haben mir erzählt, was die Ninjamon tun“, sagte er schließlich. „Sie stehlen ihnen nicht einfach nur die Vorräte. Wenn jemand gegen sie aufbegehrt, binden sie ihn an einen Pfahl und foltern ihn. Und die anderen Dorfbewohner müssen ihnen die Füße küssen, damit sie ihn gehen lassen, oder mit ihren Katanas gegeneinander kämpfen, um den Ninjamon eine Show zu bieten.“

„Autsch“, murmelte Tageko.

„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“, fragte er ärgerlich.

Sie seufzte. „Tut mir leid. Ich wollte es nicht herunterspielen. Ich weiß, es ist furchtbar. Aber was soll ich sagen, die Nachrichten sind voll von solchen Sachen. Das Land hier ist in Unordnung, deshalb passiert sowas. Wenn wir die Asuras besiegt haben, kehrt sicher wieder Ruhe ein, und die Digimon können vielleicht ihre eigene Polizei einrichten. Gennai hat gesagt, die Asuras würden Dunkelheit verbreiten. Vielleicht ist das hier auch so eine Form von Dunkelheit. Aber deshalb müssen wir das Übel an der Wurzel bekämpfen. Das ist halt meine Meinung.“

Taneo schwieg, dann, langsam, nickte er. „Du hast ja auch recht. Aber ich …“

„Sie sind hier!“, ging ein Schrei durch das Dorf.

Sofort suchten die beiden wieder angestrengt den Waldrand ab. Da war niemand, also mussten Renji und Meramon sie auf der anderen Seite gesichtet haben.

„Hinter euch, ihr Flitzpiepen.“

Tageko drehte sich ärgerlich herum – welchem Bearmon fiel es plötzlich ein, sie zu beleidigen – und starrte direkt in die Augen eines kugelförmigen Digimons, die aus den Löchern einer roten Kapuzenkappe glotzten. Es hielt zwei Wurfsterne in der Hand und grinste schief. Taneo schnappte nach Luft und wich zurück, wobei er gegen die Steinmauer prallte. „Was seid ihr denn für witzige Gestalten?“, fragte das Ninjamon.

Tageko sah weitere seiner Artgenossen überall im Dorf, sowohl auf den Dächern als auch mitten unter den Bearmon, die erschrocken zurückwichen, als sie ihre Katanas zogen. Sie biss die Zähne zusammen. Soviel zu Taneos Plänen. Sie waren in das Dorf gekommen, ohne dass sie es gemerkt hatten.

Wie wahre Ninjas eben.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nach der Action in den letzten Kapiteln mal wieder ein kleines Übergangskapitel. Hoffe, es liest sich nicht langweilig^^' Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  EL-CK
2017-01-03T13:34:33+00:00 03.01.2017 14:34
Tja alles mit "Ninja" im Namen ist nicht zu unterschätzen. ...
Antwort von:  UrrSharrador
04.01.2017 12:40
und sie sind immer für kleine Twists gut ;)


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