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Digimon 00001100 <Twelve>

Samsara Madness [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
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Digimon-Razzia

„Koukiiiiii!“

Salamons schrille Stimme übertönte das Prasseln des Regens. Von einer Minute zur anderen hatte er angefangen. Koukis Geruch war trotz allem neu für das Digimon – wenn es weiterhin so stark regnete, würde sich auch der leise Duft, den es von ihm wahrzunehmen glaubte, verflüchtigen. Verzweifelt rannte Salamon weiter durch den regenverschmierten Wald.

 

Seine Füße platschten durch schmutzige Pfützen, die den Waldboden bedeckten. Donner grollte, und er war gar nicht mehr fern. Kouki musste die Lider zusammenkneifen, sonst stachen eiskalte Regenfäden in seine Augen. Seine Socken schmatzten bei jedem Schritt in Schlamm und aufgeweichtem Boden. Er fragte sich, wo genau er nun eigentlich war – so schnell schlug das Wetter doch nur in den Bergen um, hatte er gehört. Er floh vor dem Unwetter, versuchte die Bäume zu erkennen, doch die Muster in der Borke waren ihm allesamt fremd. Bei seinem Glück würde ein Blitz den Baum treffen, unter den er sich stellte.

Aus dem lärmenden Regenschleier schälte sich eine große Lichtung. Hier war er zumindest vor den Blitzen geschützt – aber kaum, dass er sie mit einem Fuß betrat, schlug ihm der Regen mit noch viel härterer Wucht ins Gesicht. Nach wenigen Schritten saugte ihm der Schlamm einen Socken halb von den Füßen. Er zog sich kurzerhand beide aus. Sie waren ohnehin durchnässt und braungefleckt. Jetzt kamen ihm seine Zehen fast wärmer vor. Dennoch fror Kouki und schlang die Hände um seinen Leib.

Der Wind drehte und ließ den Vorhang aus Tropfen kurz in die andere Richtung schlenkern, und da sah er sie, schmutzig braune Behausungen, Iglus gleich, die aus dem Boden der Lichtung sprossen wie Warzen. Ein kleines Dorf, oder etwas in der Art. Kouki trat auf die Hütten zu. Sie schienen aus Lehm zu bestehen. Der Regen weichte die Kuppeln auf und spülte kleine Bröckchen heraus, aber sie schienen standhalten zu können. Türen gab es keine, nur gähnende schwarze Löcher zum Eintreten, dazu kleinere quadratische, die Fenster darstellen mochten.

Als er das Zentrum des Dorfes erreicht hatte, sah er aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Etwas wie ein menschengroßer Teddybär sah ihn misstrauisch aus einem Hauseingang heraus an, genau konnte er ihn nicht ausmachen. Rechts davon schienen schwarze Knopfaugen aus einem weiteren Haus durch das Fenster zu lugen.

„Kann ich dir helfen?“

Die Stimme ließ Kouki herumwirbeln. Hinter ihm, vor einer anderen Hütte, stand noch eines dieser Wesen. Sein Körper war rund und dick, und ohne erkennbaren Hals saß ein scheinbar mundloser Bärenkopf darauf. Hände und Füße waren äußerst detailarm, als trüge das Wesen Handschuhe. Und bis auf die schwarz glänzenden Augen und die Bärennase hatte es die gleiche Farbe wie die Häuser hier: Dunkelbraun wie der Schlamm an Koukis Socken.

„Ich …“, begann er. „Bist du auch ein Digimon?“

„Was für eine dumme Frage.“ Falls das Wesen verärgert war, sah man es nicht. „Was bist du denn?“

„Ein Mensch, würde ich sagen“, sagte Kouki und bemühte sich, den Regen zu übertönen. Sein Haar klebte ihm mittlerweile ebenso an der Stirn wie seine Schuluniform auf seiner Haut.

„Soso. Und woher kommst du?“

„Aus Tokio … Das heißt, ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin …“

„Es ist vier Jahre her, seit der letzte Mensch die DigiWelt betreten hat“, sagte eine weitere Stimme. Hinter dem ersten Schmutzbären trat noch einer aus dem Haus, nur ging er etwas gebeugt und stützte sich auf einen Stock. Auch sein Gesicht sah irgendwie … älter aus. Zerfurcht. „Komm herein, Junge. Regen macht nur die Erde weich.“

Dankbar stapfte Kouki in die Hütte. Zunächst war es stockdunkel, doch dann entzündete der größere Bär etwas, das wie eine braune Kerze aussah, aber ohne Docht brannte, soweit er erkennen konnte. Der Geruch, der die Behausung erfüllte, war irgendwie … schmutzig.

Das Haus hatte höchstens zwei Kammern. Wie aus dem Boden gestampft standen in einer ein Tisch und drei Stühle aus dem gleichen, erdbraunen Material, das sich tatsächlich wie harter Lehm anfühlte, als er sich darauf setzte. Noch eines der Wesen wartete dort und nachdem sich das alte Digimon ebenfalls gesetzt hatte, servierte es ihnen in tönernen Bechern etwas Heißes, das Kouki zunächst für Tee hielt, aber es war zu seiner Enttäuschung nur heißes Wasser.

„Greif zu“, lud ihn das Digimon ein und deutete mit seiner unförmigen Hand auf die braunen Kugeln, die auf dem Tisch eine Pyramide bildeten.

„Danke … aber ich hab keinen Hunger“, erwiderte Kouki. Diese Dinger erinnerten ihn zu sehr an Pferdeäpfel. Sie sahen aus, als hätte sie ein riesiger Mistkäfer gedreht, und nachdem er Taneos Käferdigimon gesehen hatte, war er sofort gewillt, das auch zu glauben. Erst jetzt fiel ihm ein, dass es wohl unhöflich war, sich nicht einmal vorzustellen. „Ich heiße Kouki. Kouki Nagara. Und ich bin … ein Mensch.“ Mehr fiel ihm nicht ein. Würde es den Digimon etwas sagen, wenn er ihnen erklärte, wie seine Schule hieß oder in welcher Klasse er war oder wer seine Eltern waren? Wohl kaum.

Das alte Digimon nickte. Auch hier drin war der deprimierende Regen zu hören. Ein Fenster führte nach draußen und ließ die stickige Luft sich mit angenehm frischer vermischen. „Du bist hier im Dorf der MudFrigimon. Ich bin das Dorfälteste. Sei willkommen.“

„Danke“, murmelte Kouki. Ihm war immer noch kalt, aber er sagte nichts. Er war das erste Mal bei Digimon zu Gast, wie sollte er sich verhalten?

Das Älteste legte den Stock auf den Tisch, nahm eine der Schmutzkugeln und biss davon ab. Kouki sah immer noch keinen Mund im braunen Gesicht des Digimons aufklaffen, aber es kaute und die Kugel wurde kleiner.

„Ihr seid sehr freundlich, dass ihr mich einfach so hereinbittet“, sagte Kouki schließlich.

Das Digimon faltete die Hände und schluckte. Die anderen beiden waren stehen geblieben. „Es ist wahrscheinlich gut, dass du hier bist. Du bist ein DigiRitter, nehme ich an?“

„Ein DigiRitter?“

„Hier in unserem Dorf bekommen wir nur wenig davon mit, was in der großen Welt vor sich geht“, erklärte MudFrigimon. „Aber selbst wir kennen die Legende von den DigiRittern. Die DigiWelt befindet sich in einer Zeit der Unruhe. Ein Schatten hat sich über das Land gebreitet.“ Kouki sah kurz instinktiv aus dem Fenster. MudFrigimon hatte zwar keinen sichtbaren Mund, aber anhand seiner Augen sah er, dass es lächelte. „Nicht der Regen. Die Dunkelheit selbst nimmt zu. Die Nacht bricht früher herein und endet später.“

Das ist so, weil gerade Winter ist, wollte Kouki sagen, biss sich aber auf die Zunge. War hier in dieser DigiWelt wirklich Winter? Es sah zumindest nicht danach aus. „Was hat das mit mir zu tun?“, fragte er.

Das alte MudFrigimon sah seine jüngeren Artgenossen an, ehe es antwortete. „Dass wieder ein Mensch hier ist, kann nur bedeuten, dass tatsächlich etwas in der DigiWelt vorgeht, etwas, das uns gefährlich werden kann. Darum wurden wieder DigiRitter erwählt. Es ist uns eine Ehre, dich unseren Gast nennen zu dürfen.“

Kouki wusste nicht, was er sagen sollte. „Ich weiß nicht, ob ich so jemand bin …“, sagte er vorsichtig.

„Hast du nicht eines der legendären DigiVices?“, fragte MudFrigimon. Kouki zog das seltsame Gerät aus der Hosentasche. Die Nässe schien ihm nichts ausgemacht zu haben. Wenigstens etwas. Sein Gastgeber nickte. „Das müsste es sein, obwohl ich noch nie eines mit eigenen Augen gesehen habe. Und hast du nicht auch ein Partner-Digimon?“

Kouki dachte an Salamon und wandte den Blick ab. Er knirschte mit den Zähnen. Nein, dachte er. Dieser Hund ist nicht mein Partner.

MudFrigimon schien zu spüren, dass ihm dieses Thema unangenehm war. Nachdem es ihn kurz mit einem nachdenklichen Blick gemessen hatte, stand es umständlich auf. „Wie auch immer. Der Regen sperrt uns in unsere Häuser. Du kannst heute Nacht bei uns schlafen. Such dir ein Bett aus, wir bleiben noch etwas auf.

Kouki stand dankbar nickend auf. Vielleicht hätte er noch etwas sagen sollen, vielleicht hätte er sich explizit für die Gastfreundschaft der Digimon bedanken, mehr Fragen stellen und etwas essen sollen, aber eine betäubende Schläfrigkeit hatte sich über seine Sinne gesenkt. Eines der jüngeren MudFrigimon – er konnte nicht sagen, welches, sie auseinanderzuhalten war ein Ding der Unmöglichkeit – führte ihn ins Schlafzimmer. Die Betten sahen aus wie der Tisch, nur niedriger und ein wenig schalenförmiger. Er suchte sich das aus, das am weitesten vom Fenster entfernt lag, und das Digimon ließ ihn allein.

Eine schiere Ewigkeit lag er da, lauschte dem unaufhörlichen Prasseln und Klopfen des Regens und konnte trotz seiner Müdigkeit nicht schlafen. Ein wenig Kerzenlicht fiel in die Schlafkammer, und das leise Geräusch eines Gesprächs in der Küche drang an seine Ohren. Koukis Gedanken kreisten darum, was er heute alles erlebt hat. Yuki ist gestorben. Und ich bin in einer fremden Welt. Und ich soll ein DigiRitter sein. Was für ein Unsinn. Aber wenn es stimmte, sollte er dann nicht vielleicht eines der MudFrigimon bitten, sein Partner zu sein? Das ist doch alles total verrückt. Bin ich im falschen Film?

Vielleicht würden die MudFrigimon auch geehrt fühlen, wenn sie seine Partner sein durften, wobei auch immer. Und er glaubte zu spüren, dass sie ganz nett waren. Salamon. Salamon und Yuki. Ich brauche Salamon nicht.

Wo waren die anderen wohl gerade? Hatten sie ebenfalls Schutz vor dem Regen gefunden? Er hätte nicht so überstürzt davonrennen sollen, das wusste er mittlerweile. Seufzend drehte er sich zur Seite, sodass er die Wand anstarrte. Morgen versuche ich sie zu finden. Solange Salamon nicht wieder davon redet, meinen Yuki ersetzen zu wollen, können wir ruhig zusammen einen Weg nachhause suchen.

Er drehte sich wieder herum und blickte direkt in ein bleiches Geistergesicht mit großen schwarzen Augen und nadelspitzen, gebleckten Zähnen. „Kuckuck!“

Mit einem lauten Aufschrei sprang Kouki auf die Füße und presste sich gegen die Wand. Ein Geist, das war ein Geist! Ein zerfetzter Lakenkörper schwebte vor ihm in der Luft …

Ein Säuseln ertönte, und weitere Geister flogen pfeilschnell beim Fenster herein, allesamt idente Kopien des ersten. Sie umkreisten Kouki, der wie erstarrt auf dem Bett stand, lachten und gackerten um die Wette. Er hob abwehrend die Arme, sprang durch den Ring aus Geisterlaken und stürmte nach draußen. Aus den Augenwinkeln erhaschte er einen Blick auf die Küche; sie war leer.

Die MudFrigimon fand er draußen im Regen, der ein wenig nachgelassen hatte. Dutzende der braunen Bären drängten sich an die Hausmauern, während Geisterwesen in jedes Fenster und jede Türöffnung flogen und wie die Bienen eines Bienenstocks wieder ausschwärmten. Kouki sah, wie einige MudFrigimon beschützend kleinere Artgenossen an sich drückten. Die Geisterwesen umkreisten das ganze Dorf, wie es schien. Kouki wurde ganz schwindlig bei dem Versuch, ihnen mit Blicken zu folgen. Täuschte er sich, oder sahen sie alle in seine Richtung?

In der Mitte des Platzes zwischen den Häusern stand eine hochgewachsene Gestalt in einem dunklen Mantel. Den Kopf bedeckte ein heller Kapuzenumhang. Zwei gleichfarbige, gefiederte Flügel ragten darunter hervor. Nein, das war garantiert kein Mensch …

Als die Gestalt Kouki bemerkte, drehte sie sich herum. Kein Gesicht steckte unter der Kapuze, nur zwei kreisrunde, gelbe Augen glühten ihn an. „Sieh an, der Mensch ist wirklich hier. Und er hat sich sogar gezeigt.“

Das Älteste der MudFrigimon mit seinem Stock stapfte schwerfällig näher. „Bitte, wir wollen keinen Ärger. Wir haben nie jemandem etwas getan und haben es auch nicht vor. Bitte verschont uns und unser Dorf.“ Kouki hörte keinen flehenden Unterton in seiner Stimme, das Älteste war ruhig, aber bestimmt und offen.

Der Kapuzenmann warf dem MudFrigimon einen Blick zu. Er schlug das Buch auf, das er in der Hand hielt. „MudFrigimon. Eine der uninteressantesten Arten, die es unter den Digimon gibt. Schon mit euch zu sprechen ist uninteressant, geschweige denn euer Dorf zu vernichten.“ Die glühenden Augen brannten sich wieder in Koukis Netzhaut. Der Regen hatte beinahe aufgehört. „Anders verhält es sich mit dir.“

Zwei der Geisterwesen tauchten neben Kouki auf, und als er herumfahren und davonstürmen wollte, packten ihn zwei eiskalte, blaue Hände an den Schultern, die gar nichts Geisterhaftes mehr an sich hatten. „Was wollt ihr von mir?“, fragte er furchtsam. Waren das alles Digimon? Dass der Kapuzenmann dieser Gennai war, von dem die Digimon gesprochen hatten, wagte er gar nicht erst zu hoffen.

Die Gestalt beugte sich zu ihm herab und musterte ihn mit offensichtlichem Interesse. „Ein Mensch, kein Zweifel. Aber wo ist dein Digimon-Partner? Ohne ihn hat es keinen Sinn, dich zu untersuchen.“

„Sollen wir weitersuchen?“, fragte einer der Geister sabbernd.

„Moment.“ Der Kapuzenmann richtete sich wieder auf. „Sein Schrei kann das Digimon sicher anlocken. Das wäre ein interessantes Experiment, jaja.“ Der Griff der blauen Hände wurde stärker, Fingernägel gruben sich so tief in seine Haut, dass Kouki aufschrie. Der Kapuzenmann notierte etwas mit einer Feder in seinem Buch. „Ob das reicht?“, murmelte er, mehr zu sich selbst. „Vielleicht sollten wir …“

„Dieser Junge hat niemandem etwas getan“, wagte das alte MudFrigimon ihn zu unterbrechen. „Er hat Schutz vor dem Regen gesucht, das ist alles.“

„Interessant.“ Die Gestalt kritzelte weiter in dem Buch. „Ich dachte, Menschen mache Regen nichts aus. Nun, sein Digimon-Partner scheint nicht zu kommen, vielleicht sollten wir …“

„Kouuuuukiiiii!“

Kouki fuhr herum, und die Digimon ebenfalls. Da kam es herangestürmt, spritzte schmutziges Wasser und Schlamm mit den Pfoten auf und war selbst ganz mit Matsch verschmiert.

„Ein Salamon“, kommentierte die Kapuzengestalt. „Eine gute Nase, ja, aber selbst nach diesem Regenguss? Außergewöhnlich. Das muss das Band zwischen DigiRitter und Partner-Digimon sein. Setzt es fest.“

Zwei Geistdigimon – Kouki war sich mittlerweile sicher, dass es keine wirklichen Geister, sondern eben Digimon waren – segelten auf Salamon zu. „Pass auf!“, schrie er.

Salamon hielt rutschend an und stieß sein schrilles Jaulen aus, das Kouki in den Ohren schmerzte. Eine blaue Geisterkralle schnellte in seine Richtung, zog sich in die Länge wie ein Gummiband, und schloss sich fest um Salamons Maul. Ein leises Winseln, mehr brachte der Welpe nicht zustande, während es weitere Hände umschlossen, bis es sich nicht mehr rühren konnte.

Der Kapuzenmann klappte sein Buch zu. „Somit hätten wir beide Probanden gefunden. Dann können wir ja losfliegen.“

„Nicht so schnell!“, drang plötzlich eine unangenehme, kratzende Stimme an Koukis Ohren. Abermals drehte er den Kopf; seine Schultern waren immer noch wie mit Eisenbändern festgeschnallt.

An den letzten Hütten kroch das hässlichste Tier vorbei, das er je gesehen hatte. Es sah aus wie ein Skorpion, war aber knochenbleich. Der Mond zwängte sich an den Wolken vorbei, als wollte er das Schauspiel, das sich ihm nun bot, nicht verpassen, und ließ eine scharfe Klinge aufblitzen, dort, wo das Tier eigentlich den Stachel haben sollte. Die MudFrigimon wichen angsterfüllt zurück, als das Wesen in ihre Reihen trat, doch es beachtete die braunen Bären gar nicht, sondern fixierte einzig und allein den Kapuzenmann.

„SkullScorpiomon! Was für ein Zufall, Euch hier zu treffen“, rief der Kapuzenmann aus. „Der heutige Tag ist wahrhaft interessant.“

„Was glaubt ihr, was ihr hier tut?“, knurrte das Knochenwesen, das er SkullScorpiomon genannt hatte.

„Wir bringen nur diesen Menschen und sein Digimon in ihre neue Unterkunft. Nichts weiter“, erklärte die Kapuzengestalt.

„Ihr klaut mir meine Beute, so sieht‘s aus!“, zischte der Knochenskorpion. „Ich habe sie gejagt, ich habe sie gefunden, sie gehören mir!“

„Wir haben sie zuerst gefunden, scheint mir. Das lässt sich nicht leugnen.“

Der Skorpion ging nicht darauf ein. Ärgerlich fauchend musterte er die versammelte Geisterarmee. „Bakemon. Nichts als eine Horde Bakemon. Tanzt du etwa nach LordMyotismons Pfeife, Wisemon?“

„Wie ungehobelt.“ Wisemon straffte die Schultern. „Ich tanze nach niemandes Pfeife. LordMyotismon war so freundlich, mir ein äußerst interessantes Experiment vorzuschlagen. Ihr könntet auch davon profitieren, SkullScorpiomon.“

„Ich jage hier!“, fauchte SkullScorpiomon stur. „Also misch dich nicht ein, sonst werde ich LordMyotismons Fußvolk ganz einfach mitjagen.“

„Nana“, machte Wisemon. „Ihr wollt doch hier kein Gemetzel veranstalten?“ Es öffnete sein Buch. „Darf ich Euch eine Frage stellen, SkullScorpiomon? Könnt Ihr lesen?“

Der Skorpion zischelte gefährlich, als Wisemon eine weit ausholende Armbewegung machte – das Letzte, was Kouki sah, war, wie Salamon, Wisemon und schließlich er selbst in glühend blaues Licht gehüllt wurden und geradewegs zwischen die Buchseiten schossen.

Ächzend landete er in einem lederbespannten Sessel vor einem Schreibtisch und sah sich staunend um. Sie waren plötzlich in einem behaglich eingerichteten Raum voller Regale, Bücher und Gerätschaften, viele davon kannte er aus dem Physikunterricht, aber da waren auch Teleskope, Sternenatlanten und einige medizinische Geräte, die er lieber gar nicht aus dieser Nähe sehen wollte. Neben ihm saß auf einem Samtkissen Salamon – nun allerdings in einem eisernen Käfig. Kouki wollte aufstehen, aber kaum dass er sich bewegte, schlossen sich metallene Handschellen um seine Handgelenke und Knöchel.

Wisemon saß ihnen gegenüber am anderen Ende des Schreibtischs. „Du kannst natürlich jaulen“, sagte es zu Salamon. Selbst hier, wo genügend Licht herrschte, konnte Kouki noch kein Gesicht unter seiner Kapuze erkennen. „Aber du wirst mir damit nicht einmal lästig, denke ich.“

„Wo sind wir?“, fragte Kouki unbehaglich.

„Das hier ist mein Arbeitszimmer“, erklärte das Digimon. „Vielleicht kannst du dir ein besseres Bild machen, wenn ich dir sage, dass wir in meinem Buch sind.“

In deinem Buch?“

„Die Bakemon werden uns zum nächstgelegenen Labor bringen. Auf dem Luftweg. SkullScorpiomon wird rasen vor Wut, aber es kann nicht fliegen. Vielleicht schießt es ein halbes Dutzend von LordMyotismons Bakemon ab, aber wir werden unser Ziel erreichen.“ Wisemon beugte sich weit vor und Kouki empfand seinen ruhigen Blick plötzlich als beunruhigend, sehr beunruhigend. „Dann werden wir genauestens das Verhältnis eines DigiRitters zu seinem Partner erforschen können, jaja.“

Kouki wich seinem Blick aus. „Es ist nicht mein Partner“, murmelte er.

„Kouki …“, sagte Salamon zaghaft.

„Oh, wie interessant!“, jubelte Wisemon. Koukis schlechtes Gefühl verstärkte sich noch.

 

Die Welt drehte sich wie verrückt – wenn man überhaupt von Welt sprechen konnte. Es war einfach ein leuchtender, farbsprühender Tunnel, und sie konnte nicht sagen, ob sie selbst sich bewegte, oder ob die bunten Schlieren, die sie umgaben, diese Illusion erzeugten. Sie spürte die anderen mehr, als dass sie sie sah, sie entfernten sich von ihr, nahmen andere Abzweigungen in diesem grellen, körperlosen Raum. Dann spuckte sie der Tunnel aus und Tageko landete auf allen Vieren in ihrem Zimmer und stieß dabei ihren Rollsessel um, der vor dem Schreibtisch gestanden war. Darauf war sie gesessen, ehe das Licht aus diesem Gerät – diesem DigiVice – sie damals verschluckt und auf diese aberwitzige Reise in diese aberwitzige Welt geschickt hatte.

Obwohl … wenn sie genauer darüber nachdachte, war es doch viel wahrscheinlicher, dass sie im Sessel eingenickt war und das alles geträumt hatte. Wie gut, dass sie umgekippt war.

Was gegen diese Theorie sprach, war allerdings das kleine, grüne Etwas, das stachelig wie eine Kastanie war, ein Blatt am Köpfchen hatte und, wenn Tageko sich richtig erinnerte, auf den Namen Budmon hörte. Im Moment hoppelte das kleine Ding – das Digimon – unter ihren Schreibtisch und spähte von dort aus auf die neue Umgebung.

Die Türschnalle ging nach unten und wie immer unangekündigt platzte Airu ins Zimmer, angelockt vom Poltern des Sessels. Tagekos mittlere Schwester hatte ihren typisch desinteressierten Blick aufgesetzt, ihr helles Haar fiel ihr ungeordnet über den Rücken und ein Träger ihrer mit Teddybären bestickten Latzhose war ihr über die Schulter gerutscht, weil er einfach viel zu lang war. In der Hand hielt die Siebenjährige einen übergroßen Lollipop. „Da bist du ja“, sagte Airu. „Mama ist sauer. Dein Essen ist schon kalt.“

Tageko beeilte sich aufzustehen und versuchte ihr rötliches Haar zu ordnen, dessen Knoten aufgegangen war. Ihre Klamotten rochen nach feuchtem Laub und waren schmutzig. Na toll. „Wie spät ist es?“, fragte sie und sah im gleichen Zug auf den Wecker auf ihrem Nachtkästchen. Tageko erschrak. Es war bald sieben Uhr. Die Zeit, die sie in der anderen Welt verbracht hatten, war sie also hier einfach verschwunden gewesen. Kein Wunder, dass ihre Familie sie gesucht hatte. „Ich komme gleich“, versprach sie. Ihre Schwester ging ohne ein Wort nach draußen und ließ natürlich die Tür offen. Tageko schloss sie und zog sich schnell um. „Keinen Mucks“, schärfte sie Budmon ein, das ohnehin nicht so aussah, als ob es in den nächsten zwei Stunden den Mut fassen würde, sich vom Fleck zu bewegen.

Unten in der Küche traf sie ihre Mutter an, die eben hektisch den Geschirrspüler ausräumte. „Wo warst du so lange?“, fuhr sie ihre Tochter an. Tageko hatte einmal jemanden sagen gehört, dass sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sie selbst fand, dass sie nur die karottenroten Haare gemein hatten. Am allerwenigsten außerdem den Charakter.

„Ich musste noch was besorgen“, sagte Tageko knapp.

„Und was?“

Eine sprechende Pflanze aus einer anderen Welt. Tageko rümpfte die Nase. „Privat.“

Ihre Mutter verdrehte die Augen. „Oh, tut mir leid, wenn ich versucht habe, Interesse zu zeigen. Ich habe nur gedacht, an dem einzigen Tag in der Woche, wo wir alle einmal zur gleichen Zeit zuhause sind, könnten wir doch gemeinsam zu Abend essen. Wie dumm von mir.“

Tageko sah sie nur finster an. Ihre Mutter erwiderte den Blick eine Weile, dann seufzte sie. „Tut mir leid. War ein harter Tag.“

Nicht nur für dich, dachte sie.

Es hatte Eintopf gegeben. Nichts Aufwändiges, wie immer. Tageko schöpfte sich einen Teller voll aus dem Topf und stellte ihn in die Mikrowelle. Während sie die paar Minuten wartete, sah sie ins Kinderzimmer zu Hibino und Hideto. Die Zwillinge saßen vor ihrer Spielekonsole und waren lautstark in ein Rennspiel vertieft.

„Wie war die Schule?“, fragte ihre Mutter von der Garderobe her. Sie schlüpfte eben in ihren Mantel mit dem Fuchspelz – den hatte sie von Hiroki geschenkt bekommen und Tageko wusste bis heute nicht, ob der Pelz echt war oder nicht.

„Ganz okay“, sagte Tageko. „Die Chefin von unserem Staffellaufteam meint, wenn wir so weitermachen, gewinnen wir den Wettbewerb.“

„Oh, das ist toll.“

Ja, dachte Tageko. Das ist toll. Wenn man sonst keine Sorgen hat.

„Ich bin dann mal bei der Nachtschicht“, sagte ihre Mutter. „Pass auf die Kleinen auf, ja?“

„Mach’s gut.“ Tagekos Mutter war Stationsvorsteherin im Nagano-Krankenhaus – wenn sie nicht gerade bei Hiroki war, um mit ihm neue Muster, Farben und Stoffe zu besprechen. Eine Künstlerin mit ihrem Brotberuf, sinnierte Tageko gern. Und von diesem Brotberuf musste die alleinerziehende Mutter eben noch vier Kinder satt bekommen.

Als sich ihre Eltern bald nach der Geburt der Zwillinge getrennt hatten, hatten Tagekos Großeltern noch tatkräftig in der Familie mitgeholfen. Das war allerdings gewesen, bevor ihre Mutter den Job in Tokio bekommen hatte und sie umziehen mussten. Jetzt war Tageko für die anderen drei manchmal so etwas wie die Ersatzmutter. Oft dachte sie bitter, dass es kein besseres Training für einen Staffellauf gab als den Spießrutenlauf, der Familie hieß.

Die Mikrowelle klingelte, und Tageko zog den heißen Teller mit einem Backhandschuh heraus. Wieder zu lange. Sie beschloss, den Eintopf auf ihrem Zimmer zu essen, und stieg die Treppe hoch.

Als sie sich an ihren Schreibtisch setzte, lockte der Geruch Budmon hervor. Das kleine Ding schaffte es irgendwie, auf ihren Schoß und von dort auf die Tischplatte zu hüpfen. Dann saß es neben dem Teller und sah Tageko aus großen Augen an. „Du kannst gar keinen Hunger haben“, sagte sie. „Du bist eine Pflanze. Versuch‘s mal mit Photosynthese, das sollte genügen.“

Budmon sagte nichts dazu, aber der treuherzige Blick aus seinen Augen wurde noch flehender. Tageko zögerte noch einen Moment, dann seufzte sie und schob einen Löffel voll Eintopf an den Tellerrand. „Na schön. Für dich.“

Das Pflanzendigimon strahlte übers ganze Gesicht und schlug die spitzen Zähnchen in das Essen. Tageko musterte es und fragte sich, warum es sich wieder zurückverwandelt hatte. Auf der anderen Seite war es gut, dass sie jetzt keinen übergroßen Pilz im Zimmer stehen hatte.

Der Gedanke brachte sie wieder zu den anderen. Ob dieser Kouki wohl auch einen Rückweg gefunden hatte? Sollte sie sich vielleicht bei den anderen melden? Es war nicht so, als ob sie irgendjemanden von ihnen besonders gut leiden könnte. Bis auf Fumiko vielleicht, aber außer ihrem Namen wusste sie nichts über sie, weder Adresse noch Telefonnummer. Und was war nun mit diesem Gennai? Wer immer das war, hatte Piximon nicht gesagt, er würde sich bei ihnen allen melden?

Tageko beschloss, einfach darauf zu warten. Was konnte sie schon tun? Durch ihren Computer erneut in diese verrückte Welt reisen, in der Tiere und Pflanzen sprechen konnten und aus riesigen Eiern schlüpften?


Nachwort zu diesem Kapitel:
... um hier mal ein paar Digimon einzubringen, die vielleicht nicht ganz so bekannt sind :) Und mal ein wenig was aus Tagekos Perspektive. Hoffe, es hat euch gefallen! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  EL-CK
2016-10-24T14:44:35+00:00 24.10.2016 16:44
ein tolles Kapitel...ich mag die MudFrigimon iwie ^^

Antwort von:  UrrSharrador
24.10.2016 18:23
Danke dir^^ Irgendwie sind sie putzig, oder?^^
Antwort von:  EL-CK
25.10.2016 14:59
bitte schön...
ja... irgendwie scho ^^


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