This Great And Little Gift von Arianrhod- ([NaLu | Lucy vs. Jude]) ================================================================================ 18. Kapitel, in dem Natsu erwachsen wird ---------------------------------------- „Ich habe euch etwas mitgebracht.“, sagte Erza anstatt einer Begrüßung, als Lucy ihr die Tür öffnete. Sie trug eine ziemlich volle Stofftasche mit sich, in der es klapperte, wenn sie sie bewegte, und war bis zum Hals eingepackt in warme Kleidung. Die Temperaturen befanden sich zurzeit im freien Fall. „Guten Morgen auch dir.“, antwortete Lucy und gähnte. Sie hatte die Nacht schlecht geschlafen, dank des Vollmondes und einer gewissen, ungeborenen, noch immer namenlosen Person in ihrem Bauch. Dass Natsu neben ihr geschlummert hatte wie das sprichwörtliche Baby, hatte die Sache nicht besser gemacht. Hastig winkte sie Erza herein und fröstelte durch die eisige Luft, die durch die offene Haustür hereindrang. Wenigstens war Samstag, so dass sie sich nachher noch einmal hinlegen oder sich zumindest auf dem Sofa in eine warme Decke mummeln konnte. Zumindest, wenn sie den Morgen mit Erza überlebte, die sehr wach und putzmunter wirkte. Ihre Wangen waren rosig von der Kälte und sie entledigte sich diverser Schals und Kopfbedeckungen. Es war echt unfair, wie gut sie selbst in diesem Zustand aussah, während Lucy das Gefühl hatte, immer mehr einem Wal zu gleichen. Im Moment hüpfte Erza zudem auf der Willkommensmatte vor der Haustür auf und nieder, als hätte sie zu viel Energie. Vermutlich war das auch so – Lucy hatte keine Ahnung, wie ihre beste Freundin alles unter einen Hut brachte, die Schule, ihr Kampfsporttraining, die Schwertkampfgruppe für Kinder, die sie leitete, und die gefühlt tausend Vorbereitungskurse auf die Uni, die sie dieses Schuljahr belegte. Dass sie zwischendurch auch noch Zeit fand, Natsu und Gray in Schranken zu weisen und regelmäßig mit ihnen trainierte, und bei Lucy vorbeizuschauen, um ihr ein wenig unter die Arme zu greifen, grenzte eigentlich an ein Wunder. Vielleicht hatte Erzas Tag einfach mehr Stunden als der von normalen Leuten. Mit etwas Verspätung besann Lucy sich, da sie noch immer vor der Tür standen, und schlurfte in die Küche zurück. Aus dem Wohnzimmer konnte sie die dumpfen Stimmen von Natsu und Igneel hören, aber sie ignorierte die beiden; sie verstand durch die geschlossene Tür sowieso kein Wort. Sollte es sie betreffen oder sie etwas beitragen können, würde man sie schon rufen. „Willst du einen Kaffee?“, bot sie Erza an, während sie sich gleichzeitig dafür schalt. Als wäre die andere nicht schon aufgekratzt genug, da musste sie nicht auch noch Öl ins Feuer gießen. Doch glücklicherweise lehnte Erza das Angebot ab und stapelte ein paar Teller aufeinander, die noch vom Frühstück auf dem Tisch standen, um etwas Platz zu schaffen. Lucy rettete rasch ihre noch halb volle Teetasse, damit ihre Freundin sie nicht in ihrer Begeisterung vom Tisch fegte, als sie mit Schwung ihre Tasche darauf ablegte. „Hier!“ Triumphierend zauberte Erza ein paar abgegriffene CDs daraus hervor und hielt sie Lucy unter die Nase. Diese schielte einen Moment darauf, ehe sie zurückwich, um sie anständig anzusehen. „Äh… Mozart?“ Nicht dass sie etwas gegen den großen Meister der Musik hatte, aber … das war eine seltsame Wahl, selbst für jemanden wie Erza. Sie blickte mit fragend hochgezogener Augenbraue auf. „Ich habe gelesen, wenn ein Baby seine Musik noch im Mutterleib hört, wird es klüger. Weil sich das Hirn besser entwickelt oder so.“, erläuterte sie ihren Gedankengang und wedelte mit den Plastikhüllen in der Luft herum. „Das ist eine längst überholte Theorie.“, wies Lucy auf und Erza funkelte sie an. „Das habe ich auch gelesen. Aber es wird nicht schaden, oder?“ Lucy wusste, wann sie sich geschlagen geben musste. Manchmal war es besser, einfach nachzugeben und zu nicken. Außerdem war es eine sehr umsichtige Geste. Also nahm sie die CDs mit einem Lächeln an. „Danke. Ich kann damit wenigstens Natsu in den Wahnsinn treiben, wenn er mich mal wieder stört.“ Erza grinste verschmitzt. „Auch eine Möglichkeit. Aber ich bin noch nicht fertig!“ Sie griff wieder in die Tasche und zog … einen Strampler hervor, hellblau und mit kleinen Drachen darauf. „Ist der nicht niedlich? Ich habe ihn im Angebot gesehen und konnte einfach nicht wiederstehen.“ „Der ist echt süß.“, bestätigte Lucy vorsichtig und hob das Kleidungsstück hoch, um es sich genauer anzusehen. „Aber, Erza, wenn du so weitermachst, kann ich ihm jeden Strampler einmal anziehen und wenn ich dann mit allen einmal durch bin, ist er aus ihnen herausgewachsen.“ Erschrocken blickte die Rothaarige sie an. „Soll ich die Sachen lieber eine Nummer größer besorgen? Das ist kein Problem, ich kann ihn sicher noch umtauschen, sie hatten noch mehr.“ „Das meinte ich nicht.“, wehrte Lucy ab und zog einen Stuhl vom Tisch weg, um sich darauf setzen zu können. Vor ein paar Monaten hätte sie sich einfach darauf niederlassen können, doch die Kugel, die sie inzwischen vor sich herschob, machte das unmöglich. Auch einige andere Dinge wurden dadurch erschwert, Schnürsenkel binden oder von Treppenstufen aufstehen, nachdem man sich dummerweise auf die niedrigste gesetzt hatte. Ihre Schuhe hatte sie ebenfalls austauschen müssen – es war ihr einfach zu unsicher, auf High Heels durch die Weltgeschichte zu taumeln. Ganz zu schweigen von den Partys, die manchmal darin gefeiert wurden – zumindest fühlte es sich für sie so an. An Schlaf war in manchen Nächten dadurch einfach nicht zu denken. Es war schon seltsam – so lange hatte man gar nichts oder kaum etwas gesehen und plötzlich war da so ein riesiger Ballon, der immer noch größer wurde. Übersehen konnte man jetzt beim besten Willen nichts mehr, selbst wenn sie den Parka trug. Zum Glück würde es nur noch ein paar Wochen dauern, dann war sie dieses Problem zumindest los. Dann stünde sie zwar vor einer ganz anderen Aufgabe, aber darüber wollte sie sich jetzt noch keine Gedanken machen. Sowieso musste sie erstmal hochschwanger Weihnachten überstehen. Das war aus irgendeinem Grund sowieso eine stressige Zeit, aber für sie gab es neben der Schwangerschaft noch etwas anderes: das war das erste Mal außerhalb ihres elterlichen Hauses. Das erste Mal ohne ihren Vater. Egal, welche Tage und Termine Jude sonst verpasst hatte, von Weihnachten bis Neujahr hatte er sich die Zeit immer für seine Familie freigeschaufelt. Das war schon so gewesen, als Layla noch gelebt hatte, und er hatte damit nach ihrem Tod nicht aufgehört, tatsächlich war nur eine neue Tradition hinzugekommen. Der Gedanke rief ein wehmütiges Gefühl in Lucy wach und auch wenn sie gedacht hatte, sich inzwischen an die Trennung gewöhnt zu haben, sie vermisse ihn. Aber es war auch das erste Mal mit ihrer neuen Familie, ermahnte sie sich selbst. Sie wollte nicht immer nur die negativen Aspekte sehen. Und Weihnachten im Hause Dragneel versprach, eine lustige Angelegenheit zu werden. Wie konnte es anders sein bei diesen Beteiligten? Dann schufen sie sich einfach neue Traditionen! Sie riss sich in die Gegenwart zurück und versuchte in Worte zu fassen, was sie Erza vermitteln wollte. „Ich meinte, du musst mir nicht immer neue Sachen mitbringen, die du ‚zufällig‘ irgendwo siehst und gleich mitnehmen musst. Das ist ja sehr lieb von dir, aber du kannst nicht dein ganzes Geld für uns ausgeben und was wir unbedingt brauchen, haben wir schon.“ „Aber wie soll ich mein Patenkind denn sonst verwöhnen?“, wischte Erza den Einwand beiseite und wedelte mit der Hand. Sie klang regelrecht empört. „Außerdem verdient ihr nur das Beste.“ Erneut griff sie in ihre Tasche. „Eine Schnullerkette. Niedliche kleine Schühchen, fühl mal, wie weich die sind. Stoffwindeln.“, zählte sie auf. „Weil ich gehört habe, das ist besser als diese Wegwerfteile. Holzelefanten, schau mal. Handgemacht und garantiert ungiftig.“ Nacheinander reihte sie die niedlichen Tiere auf dem Tisch auf wie eine kleine Parade und Lucy gab es auf, ihr ins Gewissen reden zu wollen. Was Erza nicht tun wollte, tat sie nicht – oder beziehungsweise, was sie tun wollte, das tat sie, und keine Macht der Welt würde sie aufhalten. „Gray und Loke wollen auch Pate werden.“, widersprach sie stattdessen und hoffte, dass dieses Thema ihre Freundin auf andere Gedanken brachte. Erza zuckte jedoch nur unbeeindruckt mit den Schultern. „Sie können gerne im Ring gegen mich antreten, meinetwegen auch beide gleichzeitig. Wir werden schon sehen, wer siegreich aus diesem Kampf hervorgehen wird und den Preis am meisten verdient hat.“ „Mein Kind ist kein Preis für ein … ein … einen Gladiatorenkampf!“, protestierte Lucy entrüstet. Sie wusste nicht einmal so recht, was sie auf diese Aussage antworten sollte! „Musst du immer gleich all-“ „Aber wenn es einfach nicht funktioniert!“, brauste Natsu im Nebenzimmer so heftig auf, dass Lucy erschrocken zusammenzuckte und beinahe ihren Tee über sich verschüttete. Einen Moment starrte sie stumm die verschlossene Türe an, denn er hatte sich wirklich aufgewühlt angehört und gleichzeitig … niedergedrückt? „Natsu, beruhig dich doch!“, klang Igneels gefasstere Stimme dagegen an, doch ebenfalls laut genug, dass sie ihn auch durch die geschlossene Tür gut verstehen konnten. Danach senkte sie sich wieder zu einem undeutlichen Gemurmel. Da war doch eindeutig etwas im Busch und vielleicht warf es Licht auf die Sorgen, die Natsu seit einiger Zeit mit sich herumschleppte. Lucy stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab und wuchtete sich hoch, um ins Wohnzimmer hinüberzugehen. „Was ist…?“, begann sie, als ihr Blick auf den niedrigen Tisch fiel. Darauf lagen die beiden Schularbeiten, die sie in der letzten Woche zurückgekriegt hatten, oder besser, Natsus. Er hatte sie nicht einmal ihr zeigen wollen, doch er war danach so untypisch still und gedämpft gewesen, dass sie nicht weiter in ihn hatte dringen wollen. Aber dem vielen über den Blättern verteilten Rot nach zu urteilen, waren sie nicht sehr gut verlaufen. Hatte er denn wieder alles vergessen, das Erza vor den Ferien mit ihm durchgegangen war? Allerdings war es ziemlich untypisch für Igneel, Natsu wegen ein paar schlechter Noten in die Mangel zu nehmen. Das waren immerhin nicht die ersten, die er nach Hause brachte, und er hatte nie auch nur angedeutet, dass sein Vater sich sehr darum scherte. „… nun einmal nicht weitergehen.“, beendete Igneel gerade seinen Satz. Die beiden hatten kaum auf ihr Eintreten reagiert. „Ich weiß nicht, was ich noch versuchen soll, das durch deinen dicken Schädel zu kriegen.“ Er fuhr sich frustriert durch die Haare, dann bemerkte er, dass sie nicht mehr allein waren. Doch statt sich zu erklären oder sie in das Gespräch mit einzubeziehen, packte er seinen Sohn an den Schultern und drehte ihn so, dass er Lucy ansehen konnte. Natsu sah ziemlich erschrocken darüber aus, so plötzlich mit ihr konfrontiert zu werden. Doch sie starrte nur verwirrt zurück, erst recht, als Igneel zu sprechen begann: „Schau sie dir an. Das ist dein Mädchen und sie ist schwanger mit deinem Kind. Sie hat ihr ganzes Leben aufgegeben, damit ihr zusammen sein könnt. Ich weiß, Lucy kann sich um sich selbst kümmern, aber ich glaube nicht, dass du das willst. Ich glaube, dass du ein Partner für sie sein willst, der sich um sie kümmern kann, wenn es sein muss und einfach, weil er es kann, nicht der Loser, um den sie sich auch noch kümmern muss. Aber wie willst du ihr etwas bieten, wenn du es nicht einmal versuchst!? Ihr habt gesagt, ihr schafft das, aber bis jetzt ging alle Arbeit nur von ihr aus. Du kannst jetzt nicht einfach die Waffen strecken und die Finger in die Ohren stecken, als hätte das alles keine Auswirkungen! Nein, die Situation ist nicht leicht für dich, aber für sie auch nicht und auch nicht für jemand anderen. Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe, als du damals kamst? Trotzdem haben wir es irgendwie geschafft und ihr werdet es auch irgendwie schaffen, aber nur, wenn du dich endlich zusammenreißt, dich endlich auf deinen Hosenboden setzt und etwas dafür tust!“ Natsus Blick aus weit aufgerissenen Augen verlor nichts an dem Erschrecken, doch Lucy konnte die Erkenntnis darin erkennen, als sei ihm gerade jetzt etwas wichtiges klargeworden. Allerdings etwas, das ihm in seiner jetzigen Situation nicht half, sondern im Gegenteil, alles nur noch schlimmer zu machen schien. „Aber…“, begann er und klang in diesem Moment gar nicht wie Natsu. Seine Stimme war leer und flach und ohne die übliche Energie und den Enthusiasmus, die für gewöhnlich darin mitschwangen. Auch sein Gesichtsausdruck schien einem Fremden zu gehören, hoffnungslos und niedergeschlagen. „Ich… ich hab es ja versucht. Aber du siehst selbst, was dabei rausgekommen ist. Ich bin einfach zu dumm dafür.“ Sein bedrückter Tonfall brach Lucy das Herz. Gleichzeitig fühlte sie sich selbstsüchtig und egoistisch. Wie hatte sie nicht merken können, wie schlecht es ihm tatsächlich ging? Wie hatte sie übersehen können, mit was für Gedanken er sich quälte? Warum hatte sie ihn nicht nach den Tests gefragt oder noch besser, davor, als sie dafür gelernt hatte? Warum hatte sie ihn nicht mehr dazu gedrängt, sich ihr zu öffnen? Und die wichtigste Frage, was sollte sie jetzt tun? Sie musste die richtigen Worte finden, jene, die Natsu aufbauten und ihn aus diesem Loch holten, ohne einen Zweifel daran zu lassen, dass er da gerade absoluten Schwachsinn von sich gegeben hatte. Doch das würde eine Gradwanderung sein und wenn sie daneben trat, würde alles noch schlimmer werden. Erza hatte keine solche Bedenken. Sie marschierte einfach quer durch den Raum und verpasste ihm einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf. „Du bist nicht dumm.“, erklärte sie in einem nachdrücklichen Tonfall, der keinen Zweifel zuließ, und fuhr ebenso entschieden fort: „Du bist manchmal nur etwas unaufmerksam und schnell abgelenkt und hin und wieder brauchst du einen Anstoß, bis du die feineren Nuancen der Mathematik oder was auch immer verstehst. Aber du bist auf keinen Fall dumm. Wenn du das nochmal sagst, wenn du das auch nur denkst, prügel ich dich windelweich. Verstanden?!“ Natsu war bei ihrer Rede immer kleiner geworden und hatte versucht, zurückzuweichen, doch dadurch, dass sein Vater noch immer hinter ihm stand, hatte er nicht viel Spielraum. Mit weit aufgerissenen Augen nickte er langsam. „Verstanden, Chef.“ Er versuchte es sogar mit einem halbherzigen Salut. Erza beugte sich drohen vor, so dass ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren. „Ach ja? Warum glaube ich dir nicht…?“ Natsu schluckte. „A…aber es ist die Wahrheit…?“, versuchte er sich herauszureden. „Ängstige den Jungen nicht zu Tode, Erza.“, schaltete Igneel sich ein und legte Natsu beistehend beide Hände auf die Schultern. „Wir brauchen ihn noch.“ Damit riss sich Lucy endlich aus ihrer Starre und durchquerte den Raum mit großen Schritten, um ihren Freund in die Arme zu nehmen. Auch das wurde durch ihren dicken Bauch erschwert, allerdings dachte sie bei sich immer, dass sie das Kind einfach in die Umarmung miteinschlossen. „Erza hat recht.“, erklärte sie im Brustton der Überzeugung. „Du bist nicht dumm. Das akademische Zeug ist einfach nicht deine Stärke und du wirst vieles auch nie wieder brauchen. Aber ich bin sicher, wenn wir drei und Gray uns zusammensetzen und einen Lehrplan für dich erstellen, kommst du mit fliegenden Fahnen durch die Prüfungen. Alles andere zählt nicht.“ Natsu erwiderte die Umarmung und schnaubte abfällig. Seine Laune schien jedenfalls schon viel besser und er wirkte auch nicht mehr so erledigt. Stattdessen schwang in seiner Stimme die unerschütterliche Entschlossenheit mit, die sie so an ihm liebte. „Das glaube ich kaum. Aber schaffen muss ich es. Mein Kind soll keinen Loser als Vater haben.“ ~~*~~❀~~*~~ Natsu schien seinen Entschluss jedenfalls ernst zu nehmen. Gleich am Nachmittag setzten sie sich hin und arbeiteten einen detaillierten Lernplan aus, der ihn auf der einen Seite fordern, aber auf der anderen Seite nicht überfordern sollte und ihm gleichzeitig noch genug Zeit ließ, seinem Vater in der Werkstatt zu helfen, wenn auch nicht mehr so viel wie vorher. Dass er dafür sein Kampftraining auf einmal die Woche zurückfahren musste, schien ihn dabei am meisten zu stören. Aber es half alles nichts und er beklagte sich auch nur minimal. Viel mehr schien es ihn zu ärgern, dass Gray als sein Mathetutor agieren würde. Lucy würde ihn in dem mit Sprachen verbundenen Fächern helfen und Erza übernahm den ganzen Rest. Es blieb abzuwarten, wie viel tatsächlich hängen bleiben würde, denn sein Verhalten im Unterricht selbst änderte sich vorerst nicht sehr, auch wenn Erza ihn wiederholt ermahnte, dass auch der mündliche Teil in die Abschlussnote einspielen würde. Aber Lucy beschloss, ihn damit nicht zu sehr zu piesacken oder zumindest noch nicht. Der gesamte Lehrplan war ziemlich stramm, also verdiente er zumindest in einer Sache Nachsicht. Außerdem war sie davon überzeugt, dass das von ganz allein kommen würde, wenn er selbst merkte, dass er die Fragen der Lehrer richtig beantworten konnte. Allerdings schaffte er es, mit ihr den Schwangerschaftsvorbereitungskurs zu besuchen, den sie sich herausgesucht hatte und in dem sie bei weitem die jüngsten Teilnehmer waren. Das nächste Pärchen war über fünf Jahre älter als sie und Lucy schrumpfte jedes Mal unter den verurteilenden Blicken zusammen, die sie geschenkt bekam, wenn sie den Turnraum betrat – oder es auch nur meinte. So ganz sicher war sie sich nicht darüber. Natsu dagegen schien sich nichts daraus zu machen und tat sein bestes, sie von den paranoiden Gedanken und den realen Blicken abzulenken. Nach den ersten paar Malen wurden letztere auch weniger, als die Leute sich an ihren Anblick gewöhnten. Dann wurde sie halt schon mit achtzehn Mutter, na und? Auch ansonsten normalisierte sich ihr Leben weiter. Oder genauer gesagt: es nahm eine neue Normalität ein. Denn ihr jetziges Leben hatte nichts mehr mit dem gemeinsam, dass sie vor ihrem Bruch mit ihrem Vater gehabt hatte, aber darauf hatte sie sich ja schon eingestellt. Langsam gewann sie sogar ihren Krieg gegen den Haushalt und inzwischen fuhr sie sogar Lob für ihr Essen ein und begann, mit neuen Rezepten herumzuspielen. Es machte ihr weit mehr Spaß, als sie es jemals für möglich gehalten hatte und sie strahlte jedes Mal vor Stolz, wenn sie sah, mit wie viel Appetit Natsu und Igneel zulangten. (Sie ärgerte sich auch gar nicht (sehr) über die Hausmütterchen-Kommentare, die sie dadurch in der Schule einfuhr. Aber diese Idioten hatten gar keine Ahnung, wie schwer es war, einen Haushalt zu führen, immerhin ließen sie sich Zuhause immer noch von Mama umsorgen. Und an dieser Arbeitseinteilung war überhaupt nichts sexistisch – Lucy war einfach in der Werkstatt komplett aufgeschmissen, also konnte sie kaum dort mit anpacken.) Den Feldzug im Garten musste sie dagegen zwangsweise einstellen. Erstens ließ ihr immer dicker werdender Bauch es nicht zu, dass sie allzu viel herumturnte – es war eine sehr demütigende Erfahrung, im Dreck zu sitzen und nach Hilfe schreien zu müssen, weil man nicht mehr hochkam – und zweitens war sowieso November und da konnte sie im Garten nicht mehr viel tun. Sie war allerdings ziemlich zufrieden mit dem Fortschritt, den sie bereits geschafft hatte, also trat sie klaglos den Rücktritt an und versprach sich, im Frühling wieder weiterzumachen. (Vorausgesetzt, ihr eigener Lernplan würde das zulassen, immerhin musste sie sich dann auch auf die Prüfungen vorbereiten.) Auch in der Schule nahm das Gerede Gott sei Dank größtenteils ab und der Anblick einer schwangeren Schülerin war kein Novum mehr. Es gab auch nicht mehr ganz so viele Leute, die danach fragten, ob sie ihren Bauch antatschen konnten, um zu sehen, ob sie das Baby fühlen konnten. Konnten sie eh nicht, denn sehr zu Natsus Missfallen schien ihr noch immer ungeborener Sohn kein Interesse daran zu haben, etwas anderes zu treten als die Organe seiner Mutter. Das einzige, was Lucy noch Sorgen bereitete, war, dass sich Ende November Natsus Geburtstag näherte und ihr wollte einfach nicht einfallen, was sie ihm schenken sollte. Früher war das kein Problem gewesen. Sie hatte sich einfach umgesehen, ob er etwas brauchte, bei Igneel angefragt oder Natsus Wünsche aufmerksam zugehört und es besorgt. Heutzutage hatte sie kein Geld mehr. Da fielen teure Ersatzteile für einen Oldtimer, neue Möbel oder Markenklamotten schon mal unter den Tisch. Schließlich setzte sie sich aufgebrezelt vor den Spiegel, machte ein paar Fotos und fertigte ein Selbstportrait an. Die Arbeit daran war seltsam. Auf der einen Seite fühlte sie sich ziemlich bescheuert, schon als sie die Fotos machte. Dabei war sie nicht sonderlich schüchtern, was ihr Aussehen anging, und war es auch nie gewesen. Aber die Veränderungen in der letzten Zeit, die ihr Körper durchgemacht hatte, der dicke, runde Bauch, die gigantischen Glocken, die sich ihre Brüste nannten… Natsu versicherte zwar immer, dass er sie wunderschön fand, aber Natsu hatte keine Ahnung. Er fand sie selbst schön, nachdem sie sich im Matsch herumgewälzt und sich das Mascara aus den Augen geheult hatte. Auf der anderen Seite hatte es einen seltsamen kathartischen Effekt, sich selbst zu zeichnen. Sie fühlte sich ruhiger, sicherer, besser und auch wenn es nur war, weil sie ihrem Abbild ein paar kleine Schönheitsfehler wegradieren konnte. Sie hoffte nur, dass es Natsu gefallen würde. Außerdem fand sie ein günstiges Set von sieben Oldtimermodellautos, garantiert kindergeeignet, das sie kurzerhand mitnahm. Nicht nur, dass Natsu die Dinger sowieso liebte, in ein, zwei Jahren würde er sogar einen guten Grund haben, damit zu spielen. Natsu wurde an einem Samstag achtzehn, was sie damit einleitete, dass sie sich früher als sonst aus dem Bett schlich. Sie konnte sowieso nicht mehr schlafen, weil eine gewisse Person die ganze Zeit gegen ihre Nieren trat. Im Stehen war es etwas besser, also ging sie erstmal frische Brötchen holen. Danach verkrümelte sie sich in die Küche und bereitete ein kleines Frühstück vor. Ihr Rührei konnte sich inzwischen sehen lassen, obwohl der Bacon noch etwas labberig wurde. Das überließ sie lieber Igneel, der kurz nach ihr mit verpenntem Gesicht und einem echten Bedhead in die Küche gestolpert kam. Wie sein Sohn war er kein sonderlicher Morgenmensch, zumindest nicht vor einer Tasse Kaffee oder etwas Anständigem zu essen. Also warf sie ihm ein breites Lächeln zu und beließ es dabei als Begrüßung. Igneel antwortete mit einem Grunzen, nahm aber dankbar die Kaffeetasse entgegen, die sie ihm reichte, und sah mit zombieartigem Gesicht zu, wie sie durch die Küche wuselte, den Tisch deckte und die Eier in eine Schüssel schaufelte. Während sie ging um seinen Sohn zu wecken, stellte er sich allerdings – inzwischen halbwegs aufgewacht – an den Herd und kümmerte sich um den Speck. Natsu lag inzwischen wie ein Seestern ausgebreitet auf dem Bett, Arme und Beine von sich gestreckt, und sabberte in das Kissen. Für einen Moment dachte sie daran, ein Foto zu machen, entschied sich dann aber dagegen. Nicht heute, immerhin hatte er Geburtstag, da konnte man ihn etwas schonen. Also beugte sie sich über ihn und küsste ihn auf die Wange. „Natsu. Aufwachen.“ Doch statt einer Antwort brummte er nur und drehte sich auf die Seite. Er war in dieser Hinsicht bemerkenswert resistent. „Natsuuuu.“, versuchte sie es erneut und piekte ihm in die Seite. „Ich hab schon Frühstück gemacht. Die Eier werden kalt.“ Diesmal murmelte er etwas Unverständliches. Sie versuchte es noch einmal mit einem liebevollen Kuss. „Hey! Hast du keinen Hunger? Es gibt frische Brötchen und Bacon und weißt du was noch, Geschenke. Aufwachen, Geburtstagskind!“ „Huh…? Was…?“, murmelte er verschlafen und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. „Hast du was gesagt?“ Verpennt blinzelte er zu ihr hoch, die Haare in alle Richtungen abstehend und einen verwirrten Ausdruck im Gesicht. Manchmal war er einfach zu niedlich. Sie wünschte, sie hätte ein Foto davon, ganz für sie allein. Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Erneut beugte sie sich vor und presste ein Küsschen auf seinen Mundwinkel. „Oh… Oh yeah!“ Er sprang auf und umarmte sie enthusiastisch, ehe er sie richtig küsste. Lucy ließ es sich einen Moment gefallen, ehe sie ihn sanft von sich schob. „Komm schon, sonst sind die Eier wirklich kalt.“, wehrte sie lachend ab und zog ihn an der Hand hinter sich her in die Küche. Sie verbrachten einen gemütlichen Morgen beim Brunch und Lucy bereute es, dass sie nicht früher daran gedacht und zumindest Erza und Gray eingeladen hatte. Aber die beiden würden zum Nachmittag kommen und bis zur Party am Abend bleiben. Es würde keine große Feier werden, allerdings würde trotzdem ein Haufen Leute aufkreuzen. Gray und Erza (und Lucy) mochten seine engsten Freunde sein, aber Natsu war durch seine freundliche, stets aufbauende Art in weiten Kreisen beliebt. Direkt nach dem Frühstück durfte er seine Geschenke auspacken, weil er sonst den ganzen Tag herumgequengelt hätte wie ein kleines Kind. Er freute sich wie wahnsinnig über das Bild, das sie ihm gezeichnet hatte, so dass sie ganz rot wurde vor Verlegenheit, und ebenso sehr über die kleinen Modellautos, die sofort ausprobiert werden mussten und zwischen Schüsseln und Tellern herumrasten. Von seinem Vater bekam er eher praktische Dinge und einen neuen Laptop. Der Rest des Tages war damit angefüllt, die letzten Vorbereitungen für die Party zu treffen, die sie in einer der leeren Lagerhallen abhalten würden. Erza und Gray kamen zum Helfen vorbei und erstere brachte eine Erdbeertorte mit sich (woher sie die auch immer hatte – Erza zauberte zu jeder Jahreszeit Erdbeeren her), die sie zum Nachmittagskaffee anschnitten. Zum Glück hielt der kleine Plagegeist in Lucys Bauch für den Moment still, so dass selbst sie den Kuchen rundum genießen konnte. „Hier, ein kleines Geschenk von mir.“, grinste Gray, als er seinem besten Freund ein offensichtlich im Laden verpacktes Packet überreichte. Lucy erkannte sofort, dass es sich um ein Buch handelte, auch ohne das Logo zu sehen. Und wenn sie Gray richtig einschätzte, war es vermutlich ein Lehrbuch. Die beiden alten Freunde schenkten sich nie etwas Anständiges, sondern stets etwas, worüber der andere ein langes Gesicht ziehen würde – und das, obwohl er es immer gebrauchen konnte. Natsu jedenfalls schien sich nicht an diese Tradition zu erinnern, denn er riss das Papier mit Begeisterung weg. Es waren sogar zwei Bücher, nicht nur eines, stellte Lucy gleich darauf fest, und Natsus geschocktes Gesicht enttäuschte nicht. „Waa…?“, begann er und ihm blieb der Mund offen stehen. Das Papa-Buch stand auf dem Buchrücken und darunter las eine Zeile: Ein Ratgeber für alle, die das erste Mal Vater werden. Das andere Buch hatte ein ähnliches Thema und hieß Scheiße, ich werde Vater! (K)ein Grund zur Panik!. „Die wurden mir wärmstens empfohlen.“, erklärte Gray mit einem breiten Grinsen. „Anscheinend sind sie das Beste, was man auf diesem Gebiet so findet. Du kannst das sicher gebrauchen.“ Erza griente in ihren Erdbeerkuchen, Igneel platzte laut lachend heraus und auch Lucy konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Natsu zog ein beleidigtes Gesicht. „Ich kriege das schon ohne Hilfe hin, danke!“, motzte er, doch das hielt er nur gefühlte zwei Sekunden durch. Danach lachte er ebenfalls. Auch er konnte sich denken, dass er diese Bücher mehr als einmal zu Rate ziehen würde. Kurz darauf räumten sie den Tisch ab; es gab noch viel zu tun. Lucy blieb auf dem Sofa sitzen und fragte sich, ob sie es sich leisten konnte, sich für eine Weile hinzulegen. Jetzt, da das letzte Stück ihrer Schwangerschaft angebrochen war, fühlte sie sich oft müde und erschöpft und legte sich hin, wann immer sie konnte. Außerdem hatte sie die Hoffnung, die Ruhe des Babys noch etwas ausnutzen und tatsächlich ein wenig Schlaf abzubekommen. Abwesend streichelte sie sich über den Bauch. In ein paar wenigen Wochen würde es so weit sein, das waren keine zwei Monate mehr und das Gefühl, das dieser Gedanke in ihr wachrief, schwankte zwischen Endlich ist es soweit! Warum geht das nicht schneller? zu Oh mein Gott, dann ist ein Baby da und was mache ich damit bloß!? Ich bin noch nicht bereit!. Sie hätte die Schwangerschaft dann zumindest endlich überstanden, sie würde nicht mehr herumwatscheln oder sich fühlen wie ein angeschwemmter Wal. Und das wichtigste: sie konnte endlich ihr Baby im Arm halten. Das war das größte Glück, versicherten ihr alle, die Leute im Internet, diverse andere Menschen, die sie im realen Leben traf, Ur, und auch Grandine, also musste wohl etwas daran sein. An die Geburt selbst wollte sie lieber nicht denken – sie hatte die eine oder andere Horrorstory darüber gelesen und auch wenn Ur sie beruhigte, dass es das alles wert war, wenn sie danach ihr Baby im Arm hielt, so ganz glauben konnte sie das noch nicht. Aber irgendwie würde sie das schon überstehen, das hatten schon tausende und abertausende vor ihr hingekriegt. Als sie die Bewegung unter ihrer Handfläche spürte, erstarrte sie reflexartig. Jetzt fing er doch schon wieder an! Das war’s wohl mit dem ruhigen Mittagsschlaf. Aber endlich waren es nicht mehr ihre Organe, die all diese Tritte zu spüren bekamen, was bedeutete… „Natsu!“, rief sie aufgeregt und wedelte wild mit der freien Hand, den Blick auf ihren gewölbten Bauch gerichtet. „Natsu, komm schnell her!“ Er kam sofort ins Wohnzimmer gestürzt, einen erschreckten Ausdruck im Gesicht. „Ist etwas passiert? Ist alles in Ordnung?! Soll ich einen Krankenwagen rufen?!“ Aber sie wedelte nur mit den Händen, damit er endlich herkam. Sonst würde er seine Chance vielleicht verpassen und das wollte er sicher nicht! Was brauchte er nur so lange! Was, wenn sich dieser kleine Bengel in ihrem Bauch jetzt wieder dafür entschied, dass die andere Richtung sich doch besser eignete? Kaum war Natsu in Reichweite, schnappte sie sich seine Hand und drücke sie auf die Stelle, an der sie das Baby vorhin gespürt hatte. Für einen Moment geschah nichts und Natsu starrte sie verwirrt an. Seine seltsam verrenkte Haltung sah ziemlich lustig aus, aber sie verschwendete kaum einen Gedanken daran. Dann folgte ein weiterer Tritt und Natsus Gesicht entgleiste. Verwundert und staunend starrte er sie an. Dann ließ er sich schwer vor ihr auf den Boden fallen, so dass er neben dem Sofa kniete, die Hand immer noch auf ihrem Bauch gepresst. Als ein zweiter Tritt folgte, breitete sich ein breites, beglücktes Lächeln über sein Gesicht aus und waren das etwa Tränen in seinen Augen? „Er wünscht dir auch alles Gute zum Geburtstag.“, erklärte Lucy ihm und fühlte sich wahnsinnig kitschig. Natsus Grinsen schien sein Gesicht sprengen zu wollen, als er von der Stelle, wo seine Hand lag, zu ihrem Gesicht hochblickte: „Ich liebe dich. Ich liebe euch beide.“ Er küsste erst ihren Bauch und danach sie und weigerte sich eine ganze Zeit, sie loszulassen, obwohl das Baby sich nicht mehr rührte. Erst als Igneel, Gray und Erza wieder hereinkamen, nachdem sie in der Halle Tische und Bänke aufgebaut hatten, schob sie ihn lachend von sich mit der Ermahnung, dass sie noch einiges zu tun hatten. Diese Aussage traf auf einige Zustimmung, die allerdings rasch in Aufregung umschlug, als sie erfuhren, warum Natsu sich die Pause gegönnt hatte. Dass jetzt erstmal alle sie begrabbeln wollten, hätte Lucy sich denken sollen, auch nach der mehrmaligen Versicherung, dass jetzt alles wieder ruhig war. Trotzdem ließ sie es lachend und glücklich über sich ergehen. Immerhin, stellte sie in diesem erleuchteten Moment fest, war das hier ihre Familie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)