This Great And Little Gift von Arianrhod- ([NaLu | Lucy vs. Jude]) ================================================================================ 14. Kapitel, in dem Lucy erwachsen wird (offiziell zumindest) ------------------------------------------------------------- Lucy hatte ein fließendes, lavendelfarbenes Kleid gewählt, das direkt unter ihrer Brust mit einem dunkelvioletten, breiten Satinband geschnürt wurde. Der Rock fiel ihr bis zu den Knien hinunter und auch wenn der Stoff leicht war und um ihren Körper flatterte, war es unmöglich, die leichte Wölbung ihres Bauches darunter auszumachen. Das hatte letztendlich den Ausschlag dafür gegeben, genau dieses Kleid zu wählen. Eine Weile musste sie noch ausharren und es verstecken. Es war Punkt sechs Uhr abends, als Glanville sie vor dem Pearl & Rose ablieferte, dem schicksten Restaurant der Stadt. Hier würde sie ihren Vater treffen, um ihren Geburtstag zu feiern. Erst danach würde sie mit ihm sprechen, über sich, ihre Zukunft, ihre Träume und ihr Baby – und über ihn. Was danach geschehen würde, lag allein in Judes Hand. Aus irgendeinem Grund sah sie dieser Unterredung ruhig entgegen. Vielleicht, weil sie ihre Entscheidung getroffen hatte und darin nicht mehr wanken würde. Sie hatte ihre Richtung und sie würde versuchen, ihre Beziehung mit ihrem Vater zu retten, aber er würde sie und ihre Entscheidungen respektieren müssen. Igneel hielt es für das Beste, bis nach ihrem Geburtstag zu warten. Immerhin wurde sie achtzehn und war damit erwachsen, konnte über sich selbst bestimmen und war offiziell eigenständig. Ihr Vater würde kein Schlupfloch finden können, sie zu etwas zu zwingen, das sie nicht wollte. Außerdem hatten sie so noch eine knappe Woche gehabt, noch ein paar Dinge vorbereiten und schon einige von Lucys Sachen unauffällig in die Wohnung der Dragneels umzuziehen. Sollte das Gespräch mit ihrem Vater nicht den befürchteten Verlauf nehmen, wären diese Dinge schnell wieder in der Villa und Jude würde nicht einmal etwas merken. Wenn sie mit ihren schlimmsten Befürchtungen allerdings Recht behielt, dann würde sie froh sein, nicht mit fünf Koffern umziehen zu müssen – sie musste sowieso den größten Teil ihres Besitzes zurücklassen müssen. Nicht nur, dass es zu umständlich und geradezu unmöglich war, einige Dinge mitzunehmen, es war auch schlichtweg zu viel. Ihre persönliche Zimmerflucht war beinahe größer als die gesamte Wohnung der Dragneels. Nächste Woche würde die Schule wieder anfangen und Gray war auch wieder zurück, wenn auch erst seit ein paar Stunden. Sie sah der Begegnung mit ihm mit gemischten Gefühlen entgegen – einerseits freute sie sich darauf, ihn wiederzusehen, war er doch drei volle Wochen weg gewesen und auch davor hatte sie nicht viel von ihm gehabt. Andererseits hatte sie seine Worte nicht vergessen. Aber, entschied sie, diese Aussprache würde noch kommen. Jetzt wollte sie aber erstmal ihren Geburtstag genießen! Man wurde nur einmal achtzehn und sie hatte sich dagegen entschieden, eine große Party zu schmeißen. Nach dem Abendessen mit ihrem Vater würde sie für eine kleine Feier zu den Dragneels hinübergehen, nur im engsten Kreis ihrer Familie und Freunde. Aber eins nach dem anderen. Sie straffte die Schultern und marschierte durch die blitzblanken Glastüren in das Restaurant. Es war sehr geschmackvoll und schick, in modernem Weiß und Schwarz gehalten mit viel Glas und Chrom. Sattgrüne Pflanzen – teilweise mit großen, bunten Blüten – brachten etwas Farbe hinein, genauso wie blasse, edle Bilder von Rosen in Pastellfarben. Die Empfangsdame in einem eleganten schwarzen Kleid schenkte ihr ein warmes Lächeln, als sie eintrat. „Herzlich Willkommen im Pearl & Rose, Miss Heartphilia.“, begrüßte sie sie. „Bitte folgen Sie mir, ich werde Sie zu Ihrem Tisch führen.“ Ihre hochhackigen Schuhe klackerten auf dem Marmorboden, als sie Lucy die Treppe hinauf auf eine kleine Terrasse führte, auf der nur wenige Tische verteilt waren. Sie wurden mit Raumteilern und Pflanzen voneinander getrennt, so dass die Illusion von Privatsphäre entstand. Jude wartete schon an einem Tisch nahe der Brüstung, von dem man eine fantastische Aussicht über die Stadt hatte. Es war noch früh, also konnte man gut über die Dächer sehen, bis hin zum Hafen und dem Meer dahinter, dem sich gerade die Sonne zuneigte. Der Himmel in der entgegengesetzten Richtung färbte sich bereits dunkelblau und schwarz und es waren schon zahlreiche Fenster beleuchtet. Jude stand auf, als er sie kommen sah, und nahm ihre Hände, um sie zu begrüßen. „Du siehst wunderschön aus, Lucy. Eine richtige Dame schon.“ Stolz und Zuneigung schwangen in seiner Stimme mit und sie wurde plötzlich von einem wilden Gefühl der Liebe gepackt. Sie erwiderte sein Lächeln und seinen Händedruck und dann fühlte sie sich schlecht. Morgen oder spätestens übermorgen würde sie vermutlich den Rest von dem brechen, was von seinem Herzen noch übrig war. Sie würde ihm zeigen, dass sie nicht die perfekte Tochter war, für die er sie im Moment behielt. Nein, erinnerte sie sich selbst, er hat die Wahl. Wenn er sie nicht so akzeptierte, wie sie war, und ihre Wünsche nicht anerkennen konnte, hatte er sich das selbst zuzuschreiben. Sie würde keinen Schritt weichen. Die Empfangsdame entfernte sich mit einem dezenten: „Ihr Essen wird sofort serviert.“ Jude drückte noch einmal ihre Hand. „Alles Gute zum Geburtstag, meine kleine Prinzessin.“ Dann führte er sie zu ihrem Platz, wobei er als ein Gentleman ihren Stuhl zurückzog. Lucy ließ es sich ohne ein Wort gefallen, ebenfalls die Tatsache, dass er offensichtlich bereits beschlossen hatte, was sie essen würden. Genauso, wie er ihr am Morgen durch das Hausmädchen hatte mitteilen lassen, dass sie um diese Uhrzeit im Pearl & Rose essen würden, um ihren Geburtstag zu feiern. Er hatte nicht einmal gefragt, ob sie schon etwas vorhatte! Er hatte es einfach beschlossen, davon ausgehend, dass sie seinen Anordnungen folgen würde. Vielleicht hätte sie ja eine große Party feiern wollen, immerhin war es ihr Achtzehnter! War er schon immer so beherrschend gewesen? Warum war ihr das nie aufgefallen? Und warum stürzte ausgerechnet dieser Abend sie in ein solches Auf und Ab? „Wie war dein Tag?“, erkundigte er sich, während er seine Serviette entfaltete. „Gut.“, antwortete Lucy und nahm einen Schluck aus dem Wasserglas, das bereits an ihrem Platz stand. Tatsächlich hatte sie nicht viel mehr gemacht als die Geschenke auszupacken, die die Hausmädchen ihr mit dem Frühstück gebracht hatten. Ein paar davon waren von Jude gewesen, andere aus dem weiten Kreis von Bekannten und Bewunderern der Familie Heartphilia. Ziemlich wenig davon hatte wirklich ihren Geschmack getroffen. „Es tut mir leid, dass ich heute nicht länger mit dir etwas unternehmen kann, aber ich hatte einige wichtige Besprechungen.“, erklärte Jude seine Abwesenheit. Lucy enthielt sich eines Kommentars – wann bitte hatte er die denn nicht? – sondern lächelte ihn nur nichtssagend an. „Aus dem gleichen Grund muss ich in eineinhalb Stunden schon wieder ins Büro. Zeitverschiebung, du verstehst?“ „In Ordnung.“ Tatsächlich hatte sie darauf gebaut, dass er nach dem Essen keine Zeit für sie haben würde, ansonsten könnte sie die kleine Party vergessen. Entsprechend hatte sie sowieso nicht vor, ihn mit zu den Dragneels zu nehmen. Allein der Gedanke war so lächerlich, dass sie beinahe gekichert hätte. Doch sie konnte sich gerade noch beherrschen und räusperte sich, um das kleine Geräusch zu überspielen, das ihr dennoch entschlüpft war. „Ich hoffe, wir können trotzdem einen angenehmen Abend miteinander verbringen.“, beendete Jude seine kleine Rede und dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ah, da kommt unsere Vorspeise.“ Tatsächlich war es nur ein Hors d’œuvre auf einem winzigen Tellerchen. Natürlich waren die kleinen, mit Frischkäse gefüllten Tomaten so zart, dass sie auf der Zunge zergingen. Den Serranoschinken dagegen ließ sie liegen – sie hatte ihn auf einer Liste von Lebensmitteln gefunden, die man in der Schwangerschaft vermeiden sollte. „Mir ist nicht danach.“, erklärte sie auf Judes verwunderten Blick und hoffte inständig, dass nicht noch mehr serviert wurde, dass auf der selben Liste gestanden hatte. Einmal schluckte Jude diese Ausrede, aber häufte sie sich, würde er nachhaken. Bis jetzt war ihm ihre selektierte Nahrung nicht aufgefallen, da sie entweder für sich selbst bestellt hatte oder sie schlichtweg nicht miteinander gegessen hatten. Letzteres hatte eindeutig häufiger stattgefunden. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis die Kellner den Salat brachte, der schon angerichtet war wie ein Kunstwerk und auch so schmeckte. Auch er war kaum mehr als ein Happen, aber trotzdem war sie froh, den Appetit nicht vortäuschen zu müssen. Sie schlang das Essen so rasch in sich hinein, wie es gerade noch schicklich war. Eigentlich konnte sie ganz froh sein, dass Natsu und ihr Vater nicht gut genug miteinander auskamen, denn ihr Freund wäre mit solchen Portionen nicht einverstanden. Sie konnte seinen traurigen Blick vor dem inneren Auge sehen, den er den einzelnen Gängen jeweils schenken würde, ehe er darauf bestand, das nächste Geburtstagsessen in einem Etablissement zu verbringen, das wenigstens anständige Portionen brachte. Ihr Vater aß langsamer und erzählte nebenher von seinem Tag im Büro, was Lucy zu Tode langweilte. Sie hatte einfach kein Interesse an all den Zahlen und Kursen und Diagrammen. Ob Gray recht hatte mit der Vermutung, dass Jude sie als seine Nachfolgerin wollte? Eigentlich hatte sie gedacht, er würde irgendwann einfach jemanden auswählen und ihn ausbilden, doch bis jetzt machte er keinerlei Anstalten dazu. Allerdings war er auch noch nicht alt, was brauchte er jetzt schon einen Nachfolger? Zum Glück ließen die Angestellten des Pearl & Rose sie auf die folgenden Gänge nicht warten. Kaum waren sie mit einem Gang fertig, tauchte aus dem Nichts ein unauffälliger Kellner auf, der das benutzte Geschirr abräumte, kurz darauf gefolgt von zwei weiteren, die die nächsten Teller auftrugen und die Gläser auswechselten oder nachschenkten. Lucy dankte allen höheren Mächten, dass Jude offensichtlich entschieden hatte, dass sie trotz Erwachsenenstatus noch nicht bereit war für Alkohol. Da hätte sie sich nicht herausreden können… Allerdings war die Schnelligkeit und Effizienz der Kellner auch kein Wunder – jeder in dieser Stadt wusste, wer Jude Heartphilia war (immerhin besaß er gefühlt die Hälfte davon und war in der Lage, den Rest zu kaufen, ohne sich groß in Unkosten zu stürzen, außerdem war er ein bekannter Mäzen für diverse Angelegenheiten) und niemand wollte ihn verärgern. Man behandelte sie beide mit ausgesprochener Höflichkeit und Respekt und Lucy fragte sich, wie viel davon ehrlich war und was gespielt. Während des Essens redete größtenteils er – über die Firma, über St. Claires und die Chancen, die sich ihr darüber erboten, über die Töchter von Bekannten und Kollegen, die dorthin gingen, über die Söhne von Bekannten und Kollegen, die sich sehr freuen würden Lucy kennenzulernen, darüber, dass er sich freute, dass sie Vernunft angenommen hatte und sich nun nicht mehr unter ihrem Wert verkaufte und sich nicht mehr mit Leuten abgab, die unter ihrer Würde waren. Lucy bemerkte selbst, dass ihre eigenen Antworten kurz und einsilbig ausfielen. Jude dagegen fiel es anscheinend nicht auf, er blickte nur hin und wieder von seinem Teller auf, um sich zu vergewissern, dass sie zuhörte. Wie oft hatte er ihr in den letzten Jahren tatsächlich zugehört? Oder kam ihr das jetzt nur so vor, weil sie überall nach Anzeichen und Fehlern in seinem Verhalten suchte? Außerdem wuchs bei jeder Bemerkung über neue Freundinnen mit ähnlichem Hintergrund wie sie (die jedoch niemals jemand Einzigartigen wie Erza ersetzen könnten), über Verehrer, die ihr etwas bieten konnten (und die niemals auch nur annähernd so wunderbar und liebenswert wie Natsu sein könnten), und eine großartige Zukunft, in der ihr alle Wege hoffen standen (und die keinen einzigen ihrer eigenen Träume beinhaltete, weder ein Literatur- und Journalismusstudium noch Natsu noch ihr Baby) ihr Zorn. Natsu hatte Recht. Jude kannte sie gar nicht mehr. Er wusste weder, was sie wollte, noch was sie sich wünschte, stattdessen projizierte er seine eigenen Anliegen auf sie ohne zu fragen, ob sie sich damit einrichten konnte, und duldete keine Abweichung. Wenn er nur etwas auf sie zugekommen wäre, wenn er Natsu und das Baby akzeptieren würde, wenn er nur erkennen würde, dass sie ein eigenes Individuum mit eigenen Wünschen und Träumen war, dann könnte sie sich vorstellen, auch ihm entgegenzukommen. Vielleicht doch ihren Traum vom Schreiben aufgeben und in der Firma anfangen. Für ihren Vater würde sie Kompromisse machen – wenn er es auch tat. Aber wenn sie ihn sich so ansah, würde Jude nicht von seinen eigenen Plänen abweichen. Nun ja – es würde sich ja bald herausstellen. Sie konnte es nur noch auf sich zukommen lassen. Lucy musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuatmen, als Jude der Kellnerin endlich seine Kreditkarte reichte, die damit zur Kasse marschierte. „Glanville wird dich gleich nach Hause fahren.“, erklärte er ihr, nachdem die Frau sich entfernt hatte. „Aber bevor du gehst, habe ich natürlich noch etwas für dich. Immerhin bist du heute meine Geburtstagsprinzessin!“ Damit bückte er sich und nahm eine edle, weiße Papiertüte hoch, aus der er eine Reihe kleiner, sauber verpackter Päckchen zauberte, die er vor ihr aufreihte. Sie blinzelte ihn erstaunt an. Hatte er ihr die Geschenke nicht schon heute Morgen bringen lassen, wie jedes Jahr? Warum dieses jetzt? Doch Jude lächelte nur verschmitzt und mchte eine leichte Handbewegung. „Bitte, nur zu.“ Lucy erwiderte das Lächeln verwirrt, aber erfreut (endlich konnte sie mal in seiner Gegenwart auspacken!) und nahm zögerlich eines der Pakete hoch, das in dunkelblaues Papier eigeschlagen worden war. Vorsichtig löste sie das unauffällig angebrachte Klebeband, um es zu entfernen. Darin kam eine flache, schwarze Schmuckbox zum Vorschein, die das Logo von Infinity Heart trug, dem teuersten Juwelier von ganz Fiore. Lucy warf ihrem Vater einen überraschten Blick zu. Er hatte ihr schon öfter Schmuck geschenkt, aber niemals von diesem Laden! Seine Antwort war nur ein sanftes Lächeln. Vorsichtig klappte sie den kleinen Kasten auf und ihre Augen weiteten sich erstaunt. Darin lag, gebettet auf schwarzem Samt, eine wunderschöne Kette aus sanft schimmerndem Gold und selbst in dem schwachen Licht gleißenden Diamanten und Rubinen. Einige der Kettenglieder hatten die Form von winzigen, filigranen Schlüsseln und ein großer Anhänger in Form von einem Paar Engelsflügeln aus Weißgold hing prominent daran. Beinahe andächtig ließ sie die Fingerspitzen über das herrliche Schmuckstück gleiten. „Papa!“, rief sie erstaunt und erfreut aus und blickte auf. „Das ist wunderschön!“ Judes Lächeln wurde breiter und in ihr stieg die plötzliche, wilde Hoffnung hoch, dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Dass er sie vielleicht etwas vergessen hatte über seiner Arbeit, aber sie ihm noch immer das Wichtigste war. Sie könnte ihm alles verzeihen! „Nur das Beste für dich.“, versicherte Jude ihr. „Mach die anderen auf.“ Seine Stimme klang aufgeregt wie die eines kleinen Kindes. Vorsichtig schloss sie das Schmuckkästchen wieder und stellte es beiseite. Das nächste Geschenk befand sich in einer einfacheren Box – Autoschlüssel. Sie blickte überrascht auf. Er hatte nie gewollt, dass sie eines der Autos nahm (auch wenn sie es natürlich trotzdem getan hatte) und jetzt plötzlich. Den Führerscheint hatte sie natürlich so früh gemacht, wie es ging, nachdem er ihr zum siebzehnten Geburtstag die Stunden dafür spendiert hatte. „Du bist alt genug um zu wissen, was du tust.“, erklärte Jude. „Ich vertraue dir. Es steht in der Garage – Glanville wird es dir sicher zeigen. Keine Sorge, es ist ein Auto, das dir gefallen wird und deiner angemessen ist.“ Sie wurde rot vor Freude, packte den Schlüssel in ihre Clutch (gleich morgen würde sie es ausprobieren!) und wandte sich dem letzten Päckchen zu. Es war größer und verbarg, wie sie gleich darauf feststellte, ein wunderschönes Holzkästchen, das mit den Schnitzereien von Sternen und Rosen verziert war. Es wirkte schon etwas mitgenommen und kam ihr bekannt vor. Mit gerunzelter Stirn blickte sie erneut zu ihrem Vater auf, der äußerst gespannt wirkte und ihre eine Mach weiter!-Geste zukommen ließ. Also löste sie den Verschluss und klappte den Deckel hoch. Darin lag noch mehr Schmuck, doch dieser war älter und teilweise sogar relativ billig, wie sie auf den ersten Blick feststellen konnte. Ganz oben drauf lag eine Haarnadel, auf der ein filigraner Schmetterling aus Silber saß, verziert mit winzigen Saphiren und Diamanten. Er mochte nicht ein Viertel so viel wert sein wie die andere Kette, doch er bedeutete ihr unendlich viel mehr, so dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Denn sie kannte ihn. „Das … das ist Mamas.“, flüsterte sie leise und Jude nickte. Über seine Augen hatte sich ein Schatten gelegt, doch trotzdem lächelte er leicht. „Ich … konnte mich lange nicht davon trennen.“, gestand er und seine Stimme klang belegt. „Es erinnerte mich so sehr an sie… Aber sie hätte gewollt, dass du es bekommt. Sie hat sogar schon davon gesprochen, als du noch ganz klein warst.“ Er lachte erstickt. „Sie hätte gewollt, dass du ihren Schmuck trägst. Und jetzt bist du achtzehn und damit fast erwachsen und du sollst ihn jetzt haben.“ Spontan sprang Lucy auf und warf sich ihrem Vater um den Hals, so dass der Tisch bedenklich ins Wanken geriet. „Danke, Papa! Danke!“ Sie lachte und weinte gleichzeitig, auch wenn es ihr Makeup verschmierte. „Etwas Besseres hättest du mir nicht schenken können!“ Etwas, das sie so sehr an ihre Mutter erinnerte… Diesmal hatte er sich selbst übertroffen. Jude lachte und schob sie dann sanft von sich, um aufstehen zu können. „Das freut mich.“ Er wollte noch etwas sagen, aber dann kam die Kellnerin zurück, um ihm die Rechnung und die Kreditkarte zurückzugeben. Jude bat sie, den Fahrern Bescheid zu geben, dass sie jetzt gehen würden und Lucy wandte sich enttäuscht ab. Anscheinend war ihr Abend mit ihrem Vater jetzt beendet und gerade, als es angenehm wurde! Sie wandte sich ab, um ihre beiden Schmuckkästchen in die Tüte zurückzupacken, jedoch nicht ohne die Finger über die filigranen Flügel des Schmetterlings streichen zu lassen. Sie konnte ihn nachher tragen, fuhr es ihr durch den Kopf. Dann wäre es so, als ob ihre Mutter bei ihr war. Jude bot ihr den Arm, um sie zur Tür zu geleiten. „Ich versuche, uns Karten für eine Oper zu besorgen.“, schlug er ihr vor. „Was hältst du davon? Oder Theater? Nur wir beide?“ Lucy lächelte zu ihm hoch. „Klingt toll, Papa.“ Und das tat es wirklich. Solche Abende genoss sie immer, nicht nur wegen der guten Unterhaltung. „Schön.“ Jemand hielt ihnen die Tür auf und die beiden Autos standen schon wartend vor dem Entree, die Fahrer neben den offen stehenden Hintertüren. „Gute Nacht, Geburtstagsprinzessin.“ Jude strich ihr kurz über das Haar. „Deine Mutter wäre stolz auf dich.“ „Gute Nacht, Papa.“ Lucy stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange, ehe er sich von ihr löste. Sie blickte ihm einen Moment hinterher, aber er hatte schon sein Handy aus der Tasche gezogen und löste die Sperre. Er blickte nicht einmal zu ihr zurück, also wandte sie sich ab und schlüpfte ihrerseits in das Auto. In ihrem Magen saß ein hohles Gefühl und sie versuchte, nicht zu sehr enttäuscht zu sein. Hatte sie nicht sowieso geplant, den Rest des Abends ohne ihn zu verbringen? Glanville schlug die Tür zu und setzte sich dann hinter das Steuer. Als sie vom Parkplatz des Restaurants in die Straße einbogen, fragte Lucy: „Kannst du mich zur Werkstatt fahren?“ Überrascht blickte der Chauffeur sie durch den Rückspiegel an. „Ich dachte, Sie hätten sich von Ihrem Freund getrennt, Miss Lucy.“ Sein Tonfall war vorsichtig, als wüsste er nicht, ob er in der Position war, sie darauf anzusprechen. Sie schnitt eine Grimasse. „Das hätte mein Vater bloß gerne.“ Glanville blickte sie durchdringend an, sagte aber nichts weiter. Er würde sie nicht verraten, da war sie sich sicher. Allerdings spielte das sowieso bald keine Rolle mehr. „Bitte?“ Sie versuchte es mit einem Lächeln, doch es geriet nicht so breit, wie sie es gerne gehabt hätte. „Die anderen schmeißen dort eine Party für mich. Immerhin werde ich achtzehn!“ „Ich weiß nicht, Miss Lucy.“, begann er entschuldigend. „Ihr Vater…“ „…wird es nie erfahren, das verspreche ich! Aber es ist doch Unsinn, dass du mich jetzt zur Villa fährst, nur dass ich sofort wieder losfahre und wir beide fast den gleichen Weg zurück nehmen. Und du bist schneller Zuhause! Irgendwer wird mich hinterher schon nach Hause fahren.“ Glanville lächelte leicht. „Also gut. Aber wenn Ihr Vater es trotzdem irgendwie herausfindet…“ „…dann habe ich dich mit vorgehaltener Waffe gezwungen.“ Sie zwinkerte ihm zu und Glanville konzentrierte sich schmunzelnd wieder auf die Straße. Etwa fünfzehn Minuten später hielt die Limousine erneut. „Bleib ruhig sitzen, ich kann meine Tür selbst aufmachen.“, winkte Lucy ab, als ihr Chauffeur Anstalten machte, auszusteigen und tat genau dies. „Schönen Abend noch!“ „Danke, gleichfalls, Miss Lucy! Feiern Sie noch schön.“ Sie winkte ihm zu, während sie die Autotür wieder ins Schloss fallen ließ und blickte ihm kurz nach, als er das Auto wieder in den Verkehr zurücklenkte. Da um diese Uhrzeit hier nicht mehr viel los war, war er rasch verschwunden. „Hey, Lucy!“ Natsus laute, fröhliche Stimme riss sie aus der Träumerei und sie blickte auf. Er kam mit breitem Grinsen winkend auf sie zugelaufen und sie konnte nicht anders, als ihm entgegenzustürzen. Er fing sie auf und schwang sie im Kreis, dass ihre Beine flogen. Lucy legte die Arme um seinen Hals und strahlte ihn an. „Alles, alles Gute zum Geburtstag!“ Er musste sich recken, um sie zu küssen, da er sie noch nicht wieder auf dem Boden abgesetzt hatte. Nachdem er sie genug geküsst hatte, erklärte er in ernstem Tonfall: „Ich liebe dich, Lucy.“ Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und beugte sich vor, um ihn langsam und zärtlich zu küssen, so dass er wusste, wie sehr sie diese Gefühle erwiderte. Als sie sich wieder von ihm löste, lächelte sie ihn an und meinte zu platzen vor all den zärtlichen Gefühlen, die in ihr aufstiegen, wenn sie ihn ansah. „Ich lie-“ „Hey, Natsu, wo bleibst du!“, brüllte Gray aus dem Hintergrund und der Pinkhaarige verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Dass der auch immer unsere Momente kaputt machen muss – kein Feingefühl.“ Lucy musste lachen – es war ja nicht so, dass Natsu immer wusste, wann sie einen Moment hatten. „Lass uns zu den anderen gehen.“ Der Augenblick war vorbei, der Zauber gebrochen. Sie schlug ihm leicht aufs Schlüsselbein, um anzudeuten, dass er sie absetzen konnte, aber Natsu hatte andere Pläne. Ohne sie loszulassen marschierte er los, um ein paar alte Autos herum zu dem kleinen Platz hinüber, wo sie Tische und Bänke und einen Grill, von dem es bereits köstlich duftete, aufgestellt hatten. Leuchtende Lampions und bunte Girlanden waren quer darüber gespannt und einige Kerzen und Fackeln spendeten noch weiteres Licht. Sogar ein paar Blumen waren auf den Tischen verteilt worden. „Schaut mal, wer angekommen ist!“, rief Natsu laut, was alle Anwesenden auf das Paar aufmerksam machte. Das waren, soweit Lucy das von ihrer begrenzten Position aus sehen konnte, waren das nicht viele – so, wie sie es gewünscht hatte. Über all dem Stress der letzten Wochen und dem, der, wie sie fürchtete, noch auf sie zukam, wollte sie keine laute, wilde Party mit Tanzen, Disko und Besäufnis (letzteres fiel für sie eh flach). Ihr reichte es, ihre engsten Freunde sowie noch ein paar mehr Vertraute einzuladen. Anscheinend waren die meisten gekommen. „Lucy!“ Igneel war der erste, der bei ihr war und er nahm sie seinem Sohn einfach ab, um sie ebenfalls zu umarmen, was sie erfreut erwiderte. Im Gegensatz zu Natsu stellte er sie danach freundlicherweise wieder auf die Füße. „Alles Gute.“, wünschte er ihr. „Viel Freude und vor allem wenig Stress für das nächste Jahr.“ Danach drängten sich ihr alle entgegen, ein paar Freunde aus der Schule, zwei oder drei, die Kinder von alten Geschäftskollegen ihres Vaters waren und sie schon fast so lange kannten wie Loke, Lyon, mit dem sie, seit sie so oft Ur besuchte, ein engeres Band geknüpft hatte, Erza, die alle gewaltsam aus dem Weg drängte und sie mindestens eine Minute in die Arme nahm, und danach an Makarov und Laxus übergab (letzteren hatte sie spontan eingeladen, da er gerade da gewesen war, als sie seinem Großvater die Einladung ausgesprochen hatte). „Hey, Löwenbändigerin.“, begrüßte Loke sie und sie warf sich freudestrahlend um seinen Hals und küsste ihn überschwänglich auf die Wangen – sie hatte ihn ewig nicht gesehen und er hatte nicht gewusst, ob er überhaupt kommen konnte. Dass er jetzt dennoch hier war, machte alles nur noch besser. Loke war nicht weniger begeistert, sie zu sehen, und wollte sie kaum wieder loslassen. Gray schob ihn schließlich kurzerhand beiseite. „Herzlichen Glückwunsch.“ Auch er umarmte sie und stellte sie dann einem hübschen Mädchen mit schwarzen Pixiehaaren vor; seine neue Freundin, die er im Camp kennen gelernt hatte. Lucy mochte Amanda auf Anhieb und ließ sich auch von ihr beglückwünschen – aber ohne Umarmung. „Lucy.“, wollte Gray dann leise wissen. „Warum sind meine Eltern hier?“ Sie grinste ihn frech an. „Weil ich sie eingeladen habe. Silver! Ur!“ Sie ging mit ausgebreiteten Armen auf die beiden zu. „Hey, Lucy!“, rief die Künstlierin und lachte über das ganze hübsche Gesicht. „Alles Liebe für dich.“ Sie umarmte Lucy herzlich. „Geht es dir gut?“, wollte sie dann mit einem kurzen Blick auf ihren Bauch wissen und lächelte verschmitzt. „Du siehst sehr ausgeglichen aus.“ „Danke.“, antwortete Lucy. „Mir geht es auch gut. Ich bin so glücklich.“ Tatsächlich entsprachen diese Worte der Wahrheit. Ihre schlechte Laune und das hohle Gefühl von vorhin waren wie weggeblasen, einfach weggewischt durch so viele herzliche Umarmungen und Menschen, die sich um sie versammelt hatten. Die Kluft zwischen Jude und ihr selbst hatte sie nie als tiefer empfunden als jetzt in diesem Moment. Aber ein Vater zumindest hatte sie heute umarmt und dafür gesorgt, dass sie sich geborgen und sicher fühlte. „Das freut mich für dich.“, erwiderte Ur und Lucy ließ sich noch einmal umarmen. Silver klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Auch von mir alles Gute. Lass dich nicht unterkriegen.“ Gray sah ihm unglaublich ähnlich, auch wenn Silver ein schmaleres Gesicht und schon mit grau durchschossene Haare hatte. Unter seiner legeren Kleidung zeichnete sich ein durchtrainierter Körper ab; Silver war wie sein Sohn aktiver Kampfsportler und leitete dazu noch die Schwertkampfgruppe im örtlichen Verein, wo er auch als Trainer tätig war. Nach der großen Begrüßungsrunde siedelte die hungrige Gesellschaft an die Tische über. Es gab neben Wasser und Säften auch Bier und Wein zu trinken und zwei Flaschen Champagner zum Anstoßen – wobei Ur geschickt ihr eigenes mit Wasser gefülltes Glas gegen Lucys austauschte, ohne dass es jemand anderes merkte – und eine gigantische Geburtstagstorte, die allein optisch etwas hermachte. Silver bediente derweil den bereits vorbereiteten Grill und auch wenn Lucy die Lebensmittel hatte besorgen lassen, war dies eher zugunsten der Gäste geschehen, da sie selbst noch von ihrem Abendessen mit Jude satt war. Einzig ein Stück der hervorragenden Erdbeersahnetorte (die natürlich Erza mitgebracht hatte, wobei es ihr Geheimnis blieb, wo sie die zu dieser Jahreszeit herbekam) gestattete sie sich. Um sie herum schwirrten fröhliche Gespräche, irgendwer hatte eine kleine Anlage aufgebaut und spielte leise Musik und die Feuer knisterten vor sich hin. Es roch nach Holzrauch, Grillfleisch und Sommernacht und Lucy fühlte sich rundum zufrieden. Der katastrophale Beginn des Abends mit seiner Achterbahnfahrt der Gefühle war wie vergessen. Sie redete mit Leuten, die sie schon länger nicht mehr gesehen geschweige denn mit ihnen gesprochen hatte. Für eine lange Zeit verzog sie sich mit Loke auf die überwachsene Terrasse und sie brachten sich gegenseitig auf den laufenden Stand. Das war auch der einzige Zeitpunkt, zu dem Natsu sie aus den Augen ließ (außer, wenn sie aufs Klo ging, dahin musste er sie nun wirklich nicht begleiten) und las ihr jeden Wunsch von den Lippen ab, noch ehe sie ihn äußern konnte. Gegen zehn Uhr setzte man sie an einen Tisch und reichte ihr Geschenke – von Büchern über Kleider bis hin zu kleinen Accessoires war alles Mögliche dabei. Von Loke bekam sie drei wunderschöne, handgemachte Silberarmreifen aus der Gegend, in der er Urlaub gemacht hatte. Gray und Erza hatten sich zusammengesetzt für eine gigantische Collage mit Fotoraphien von ihr und ihren besten Freunden, die über die Jahre entstanden waren. Selbst von Loke hatten sie einige Bilder mit dazu genommen, wie sie begeistert feststellte. Von Natsu bekam sie ein Goldkettchen, an dessen unteren Ende ein Herz hing, das man aufklappen konnte. Darin befand sich ein Bild von ihnen, Wange an Wange und bis über beide Ohren grinsend. Sie hatten dieses Selfie auf dem letzten Schulausflug gemacht. Die zweite Fläche war frei. „Für das Baby.“, flüsterte er ihr ins Ohr, so dass nur sie ihn hörte, und sie küsste ihn dankbar. Dies war eine Kette, die sie sehr viel öfter tragen würde als jene, die Jude ihr geschenkt hatte. Auf diese Weise konnte sie stets ein Bild von den beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben mit sich führen. Als Ur sie schließlich nach Hause fuhr, war es schon weit nach zwei Uhr in der Nacht, weit später, als sie es sich hätte vorstellen können. Von dem Hausmädchen erfuhr sie, dass ihr Vater noch nicht zurückgekehrt war, aber Lucy interessierte das nicht. Sie würde ihm noch früh genug gegenübertreten müssen und im Moment war sie einfach froh, dass er nicht da war. Sie stellte die weiße Tüte, die Judes Geschenke beinhalteten, auf ihren Schreibtisch (alle anderen waren bei den Dragneels geblieben) und fiel wenige Minuten später todmüde ins Bett. Innerhalb von Sekunden war sie eingeschlafen, noch ein Lächeln im Gesicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)