My birthday... von AtriaClara (... the day the world ended.) ================================================================================ Kapitel 1: Like hell on earth. ------------------------------ Der Rotwein in meinem Glas hat eine dunkle, satte Farbe und schimmert blutrot, wenn man ihn ins Neonlicht hält. Als ich daran nippe, schmeckt er nach nichts, genau so wie das Stück Torte auf meinem Teller. Es ist mein 26. Geburtstag, aber so fühle ich mich nicht. Als ich noch ein Kind war, habe ich mich auf meine Geburtstage gefreut, so sehr, dass ich in der Nacht vorher garantiert kein Auge zutun konnte. Ich habe mit meiner Familie gefeiert und leckeren Kuchen mit buntem Zuckerguss verdrückt, habe all meine Freunde eingeladen und mit leuchtenden Augen ihre Geschenke ausgepackt. Nun sitze ich mit über dreißig Gästen am Esstisch, starre deprimiert in mein Weinglas und fühle mich so allein wie nie zuvor. Sie sind sowieso alle nur wegen des kostenlosen Buffets gekommen, sie interessieren sich weder für mich noch füreinander. Hohl und gezwungen klingende Höflichkeiten werden zwischen Torte und Wein ausgetauscht, manche geben sich noch nicht einmal Mühe, ihre feindseligen Blicke voreinander oder vor mir zu verbergen. Auf dem Geschenketisch neben der Tür stehen haufenweise Sachen, die man Leuten eben schenkt, die man nicht kennt und bei denen man keine Ahnung hat, was sie mögen könnten. Worüber sie sich vielleicht freuen würden. Und gerade, als ich schweren Herzens aufstehe, mit meinem Löffel gegen mein Weinglas schlage und ein Lächeln aufsetze, um die Rede zu halten, die ich vorbereitet habe ("Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid, das bedeutet mir wirklich viel, bla bla bla...") fängt es an. Die Erde bebt. Ganz leicht nur, deswegen denke ich zunächst, ich hätte es mir nur eingebildet, und will bereits erneut zu meiner Rede ansetzen, als jemand am hinteren Ende des Tisches verwirrt fragt: "Was war das?" Zustimmendes Gemurmel macht sich unter den Anwesenden breit, das sich hier und dort in einen erschrockenen Aufschrei verwandelt, als der Boden unter unseren Füßen erneut wackelt, stärker diesmal. In den Weingläsern auf dem Tisch breiten sich winzige Wellen aus. Niemand achtet mehr auf mich, meine Rede ist schon vergessen. Stattdessen breitet sich angespannte Stille im Raum aus, als alle auf das nächste Beben warten, auf die Bestätigung, dass die letzten Sekunden keine kollektive Einbildung gewesen sind. Und es lässt nicht lange auf sich warten. Die ersten randvollen Weingläser schwappen über und ergießen ihren Inhalt auf die weiße Tischdecke. Einige meiner Gäste scheinen sich an das Wenige zu erinnern, was ihnen im Kindesalter zu Erdbeben eingetrichtert wurde, und machen beunruhigt Anstalten, unter den Tisch zu krabbeln. Dann hören wir es. Es klingt... besorgniserregend. Wie das Toben und Brausen von tausend fernen Wirbelstürmen, vermischt mit dem Krachen und Knacken von hundert lodernden Waldbränden. Was auch immer es ist, es ist gewaltig. Und was auch immer es ist, es kommt näher. Eine blonde Frau, an deren Namen ich mich partout nicht erinnern kann, obwohl ich sie jeden Tag bei der Arbeit sehe, schlägt sich eine Hand vor den Mund und deutet mit zitternden Fingern auf die als Fenster dienende Glasfront hinter mir. "Oh mein Gott! Was... was ist das?!" Alarmiert drehe ich mich um, alle anderen tun es mir gleich. Zuerst verstehe ich nicht, was sie meint, zwar ziehen sich über uns ein paar bemerkenswert finstere Regenwolken zusammen, aber das ist für ein Sommergewitter schließlich nicht ungewöhnlich. Doch dann, als ich an den vielen Wolkenkratzern, Häuserfronten und Glasfassaden vorbei zum Horizont sehe, erblicke ich es. Ein eigenartig flackerndes Leuchten geht von der dünnen Linie aus, die die Hügel in der Ferne vom Himmel trennt, es sieht fast so aus wie... Feuer. Verwirrtes Murmeln macht sich unter den Anwesenden breit, einige reiben sich ungläubig die Augen. Das vierte kurze Erdbeben bemerkt im allgemeinen Schockzustand fast niemand. Vor den Horizont schiebt sich die Brandung eines gigantischen Lavameeres, nur ein Vorbote der unglaublichen Naturkatastrophe, die sich vor unseren Augen abspielt. Es ist tatsächlich Lava, brodelnde, blubbernde Lava, die über die fernen Hügel quillt und alles mitreißt, was ihr im Weg steht. "Was zur Hölle ist das?!", wiederholt die Frau, einen Anflug von Hysterie in der Stimme. Niemand gibt ihr eine Antwort, dazu sind alle viel zu geschockt. Jemand lässt sein Weinglas fallen und es zerbricht auf dem Boden. Eine Flutwelle aus Feuer kommt in rasendem Tempo auf die Stadt zu wie eine schnaubende und brüllende Herde von weiß glühenden Pferden mit feurigen Mähnen. Unter ihren Hufen verbrennt die Erde, bröckelt und reißt auf, aus den klaffenden Schluchten bahnt noch mehr Lava sich den Weg ins Freie. Der Asphalt der Highways verglüht auf der Stelle, gibt nach und fügt sich in sein Schicksal. Fahrende Autos und Laster werden einfach vom Feuer verschlungen. Es ist, als hätte die Hölle selbst ihre Pforten geöffnet und all ihren über Jahrtausende angesammelten Zorn auf die Menschheit losgelassen. In die immer lauter werdende Geräuschkulisse mischt sich ein dumpfes, Unheil verkündendes Dröhnen, das aus den tiefsten Tiefen der Erde zu kommen scheint und allen durch Mark und Bein geht. Mein Gehirn scheint in meinem Schädel zu vibrieren und mein Brustkorb fühlt sich an, als stünde ich direkt vor einem riesigen Lautsprecher. Einen Moment lang wird mir schwindelig, ich sehe Sternchen und verliere beinahe das Gleichgewicht. Auch einige der Anwesenden hinter mir stöhnen gequält auf, taumeln und fassen sich an den Kopf. In diesem Moment bebt die Erde ein fünftes Mal, stärker und länger als je zuvor. Erneut gellen angstvolle Aufschreie durch den Raum, als alle versuchen, ihr Gleichgewicht zu halten und sich dazu gegenseitig stützen. Gläser, Tortenteller und teure Weinflaschen tanzen klirrend auf dem Tisch und stimmen in das Lied der Zerstörung ein, ehe sie zu Boden fallen und zerschellen. Das ganze Gebäude scheint entkräftet zu ächzen, irgendwo kreischt Stahl auf Stahl. Das Lavameer hat den Stadtrand erreicht. Die Menschen, die sich gerade draußen aufhalten, sind die ersten Opfer, als das flüssige Feuer die Stadt erreicht und durch die Straßen walzt. Autofahrer, Fußgänger, Busse, U-Bahnen und selbst kleinere Häuser verschluckt der Lavastrom sofort. Wolkenkratzer knicken ein wie Streichhölzer oder stürzen in sich zusammen und in eine der Erdspalten, die sich unter ihnen auftun. Während meine Gäste hinter mir langsam aus ihrer Schockstarre zu erwachen scheinen und anfangen, ihr Entsetzen und ihre Todesangst laut und verzweifelt herauszuschreien, bleibe ich gebannt direkt vor der Glasfront stehen. Den Planeten von innen zerbrechen und die Stadt im Feuer versinken zu sehen, hat irgendwie etwas schrecklich Schönes, etwas morbid Faszinierendes, von dem ich mich einfach nicht losreißen kann. Die Flammen schlagen mittlerweile so hoch gen Himmel, dass es beinahe wirkt, als wären die sturmgrauen Wolken in ihr rotoranges Licht getaucht. Eine letzte Abenddämmerung für den Untergang der Menschheit. Imposante Wolkenkratzer und Ehrfucht einflößende Denkmale, Jahrtausende der menschlichen Zivilisation und alles, was sie sich in dieser Zeit erarbeitet und aufgebaut hat, zerbricht um uns herum in seine Einzelteile und verwandelt sich in nichts als Trümmer und Asche. Lustig, dass es eine Katastrophe von solchem Ausmaß braucht, um uns daran zu erinnern, wie klein und unbedeutend unsere Spezies eigentlich ist. Wir werden alle sterben und dem Universum könnte es nicht gleichgültiger sein. Ein amüsiertes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Niemand bemerkt es in all dem Chaos. Hinter mir kreischen meine Gäste schrill, rufen panisch und sinnlos um Hilfe, laufen durcheinander wie ein Haufen aufgeschreckter Hühner. Einige stürzen aus der Tür, in der verzweifelten Hoffnung, ihrem Schicksal noch entkommen zu können. Einige halten sich hemmungslos schluchzend ihr Smartphone ans Ohr, für sie wird das monotone Tuten des Freizeichens das Letzte sein, was sie in ihrem Leben hören. Einige verstummen komplett, schließen die Augen und scheinen zu beten, auch ihnen strömen stille Tränen über die Wangen. Über all dem liegt das Fauchen des alles verzehrenden Feuers, das unersättliche Brodeln der Lava und das allgegenwärtige Dröhnen, wie ein Orchester aus Fanfaren, das den Anfang vom Ende ankündigt. Und ich? Ich breite die Arme aus, um das volle Ausmaß der Zerstörung, die sich vor meinen Augen abspielt, noch besser in mich aufsaugen zu können. Ich hebe das Weinglas, das ich immer noch in der Hand halte, der Hölle auf Erden entgegen und ich lache. Kichere vor mich hin wie ein kleines Kind. Ich lache noch, als der Lavastrom das Fundament des Gebäudes aus der Erde reißt, als der Boden unter meinen Füßen nachgibt, als das ganze Haus unter uns einstürzt wie ein in sich zusammenfallendes Kartenhaus. Ich lache, während ich in die Tiefe stürze und ich lache selbst dann noch, als ich in das tobende Flammenmeer falle, das mir die Haut von den Knochen frisst. Endlich spüre ich wieder etwas. Ein besseres Geburtstagsgeschenk hätte ich mir niemals erträumen können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)