Unseen Souls von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 25: 25 -------------- Ich bereute diesen Umweg nicht, fühlte ich mich der folgenden Mission weitaus gewachsener als zuvor. Kanda hatte mich entsandt, entschieden, dass sie für mich einen Nutzen hatte und ich war derselben Meinung. Ich zog nicht an die Front, erwartete auch nicht, mich in große Gefahr zu begeben. Es war ein leichter Weg, der vor mir lag, doch mir Luft und Zeit schenkte. Auch etwas Abgeschiedenheit, Ruhe und Distanz, um die finsteren Gedanken und schweren Gefühle aus meinem Inneren zu verbannen. Ich konnte mich erholen. Ich hoffte zumindest darauf. So trat ich hinaus in die Kälte, erreichte den Bahnhof und suchte mir ein ruhiges Abteil im Zug. Mehrere Stunden standen mir bevor und somit genug Gelegenheit, den alten Grübeleien zu verfallen. Hätte man mir damals erzählt, Kanda sorge sich unauffällig und permanent um seine Kameraden, hätte ich nur Belustigung für die Anmaßung übrig gehabt. So verhielt man sich in einer Rolle, in der man die Augen schloss und Ohren versiegelte. So verhielt man sich, wenn man nichts mitbekam und die Meinung sowie die Reaktion nur nach eigenen Erfahrungen formte. Kanda tat so etwas nicht, Kanda war zu sehr auf sich selbst konzentriert, denn er trug eine eigene Last. Niemals war er zu ertappen, wie er jemanden besonders musterte oder wie nachdenklich er war. Wie er sich mit fremden Angelegenheiten auseinandersetzte und dementsprechend handelte oder reagierte. Seine Sensoren waren so empfindlich, aufmerksam und feingliedrig. Er sah mein schlechtes Befinden und reagierte so ungewöhnlich ruhig, als ich meinen Saft über seinen Füßen verschüttete. Ich war es nicht gewohnt, dass man sich um mich sorgte, da ich niemandem einen Anlass dazu bot. Doch es fühlte sich gut an, das zuvorkommende Verhalten meines schweigsamen, abweisenden Kameraden. Ich spürte diese Wärme, ich kostete von ihr und um nichts in der Welt wollte ich in von nun auf sie verzichten. Ich wollte seine Hilfe annehmen, seine Worte und sein Handeln durchschauen und ihm stille Dankbarkeit entgegenbringen, wenn ich wieder Daheim war. Ich wollte ihm ein Lächeln schenken, das so unbeschwert und ehrlich war, dass der die Früchte seines Handelns vor sich sah. Einen besseren Dank konnte ich ihm nicht geben, einen anderen Dank würde er nicht annehmen. Er war so einfach, so direkt und geradlinig ehrlich, unkompliziert und umgänglich. Soviel anders als ich. Permanent ruhte dieses Schmunzeln auf meinen Lippen, während ich die Beine von mir streckte und mich mit Tim befasste, der es auf meinem Schoß bequem hatte. Ich war annähernd zufrieden in diesen Momenten. Für eine lange und anstrengende Mission fehlte mir noch immer die Kraft, doch hier hatte ich nichts zu befürchten. Ich hatte die einsamen Stunden zu nutzen, um alte Stärke zurückzuerlangen und alten Schrecken von mir zu streifen. Nicht weniger die Panik, die jäh in mir aufstieg und mich einem Teil meines Bewusstseins beraubte. All die Dinge, die sich in letzter Zeit verschlimmerten. Wusste Kanda davon? Sah er mehr, als oberflächlich besorgte Augen? Wusste er von dem Ausmaß meiner Schäden? Ich tastete nach Tims Flügeln, zog sie in die Länge und blickte unterdessen aus dem Fenster. Es schneite und ich hatte das Gefühl, dass es das seit Tagen tat. Wie wild sich die Schneeflocken tummelten, sich umspielten. Wenigstens sie hatten ihre Freude. Ich atmete tief durch und schloss kurz die Augen. Und ich versuchte mich zu erinnern, wann ich zuletzt aus ganzem Herzen lachte. Es fiel schwer. Als hätte es so einen Moment nie gegeben. Kannte man mich so oder sah man mich als einen ewigen Melancholiker? Seit wann war ich nicht mehr der Junge, der selbst die eigene Finsternis mit seiner Stärke in die Flucht schlug? Wann hatte ich mein Veto eingereicht? Wann gegen sie verloren? War sie stärker geworden oder ich nur schwächer? Irgendwann löste ich mich schweren Herzens von dem angenehmen Polster. Der Zug erreichte Saragossa und ich den Punkt, an dem ich umzusteigen hatte. Das spanische Lager befand sich in der Nähe Tarragonas und war in weiteren drei Zugstunden zu erreichen. Noch vor dem Abend wäre ich am Ziel, stieg an einer abgelegenen Station aus und zog durch einen kahlen Wald und Schneegestöber, bevor ich die Zelte des Lagers vor mir sah und ebenso das Ziel meiner Reise. Es fühlte sich gut an und wie heiter begrüßten mich auch die in Spanien Stationierten. Schon von weitem erkannten sie mich und wie oft wurde meine Hand geschüttelt, nachdem ich das Hauptzelt erreichte. Man war glücklich über meinen Besuch und hatte auch Grund dazu, denn man hielt ungern ein Innocence versteckt, wenn man nicht imstande war, es zu verteidigen. Nachdem die anfängliche Freude an Kraft verlor, fand ich die Gelegenheit für eine warme Mahlzeit. Der Koch des spanischen Lagers war etwas langsam und lethargisch aber sein Essen war gut. Es wäre noch besser, hätte ich meine Ruhe, doch es waren so einige Finder, die mir Gesellschaft leisteten und Fragen hatten. Was sich im Hauptquartier tat. Wie es meinen Kameraden ging. Fragen, auf die ich eifrig antwortete, da ich die Hoffnung hegte, man würde mich in Ruhe lassen, sobald man seine Antwort hatte, doch die meisten schienen es sogar zu mögen, mir beim Essen zuzusehen und so wurden meine Nerven alles andere als geschont. Ernüchternd. Man hielt mich immerzu für einen offenen und freundlichen Menschen. Es mochte an meinem falschen Lächeln liegen, an meiner Bescheidenheit und dass ich selten etwas sagte, das andere in ihre Schranken wies. Bei all meinen Fähigkeiten war ich in Gebieten wie diesen doch völlig unfähig. Ich hatte noch nie anders gelebt, obwohl ich allmählich den Ernst der Lage sah und die Notwendigkeit, zumindest etwas ehrlicher zu werden. Aber an diesem Tag schwieg ich und akzeptierte alle, die mir Gesellschaft leisten wollten. Und es war so anstrengend und lästig. Das Lächeln fügte meinem Gesicht Schmerzen zu. Ich spürte Verspannungen in meinen Wangen und dass meinem Inneren nicht nach dieser Geste war. Wie immer verursachte ich meine eigenen Schmerzen teilweise selbst. Tief in meinem Inneren, das sich nach Ruhe und regungslosen Lippen sehnte. Kein vorgetäuschtes Wohlbefinden, kein Schmunzeln oder Heiterkeit. Und kaum verließ ich die Runden der Finder und trat in mein kleines, abgelegenes Ruhelager, bröckelte etwaige Freude aus meiner Miene wie trockener Putz und wie ausdruckslos und müde blieb mein wahres Angesicht zurück. Ich stand vor diesem Bett und die Ohren schmerzten mir. Meine Lippen waren zu erschöpft, um nur ein weiteres Mal zu lächeln und ächzend begann ich mich von der Uniform zu befreien. Hier hatte ich meine Ruhe. Träge warf ich meine Uniform zu einem nahen Stuhl, ließ mich auf die Pritsche sinken und tastete nach meinen Stiefeln. Das war er wieder – der Kopfschmerz. Stöhnend ließ ich mich auf die Matratze fallen. Das Bettgestell quietschte, als ich träge das Kopfkissen richtete und nachdem ich lange auf die Plane des Zeltes starrte, schloss ich die Augen. Draußen wurde es allmählich dunkel und je eher ich mich um Schlaf bemühte, desto eher könnte ich wieder aufbrechen, desto eher zurückkehren und Kanda wiedersehen. Langsam schritt ich durch den engen Flur des Wagons. Hinter den Fenstern, die an mir vorbeizogen, lag das vertraute Umfeld, während der Zug in den Bahnhof einfuhr. Meine Hand tastete nach dem Geländer, schloss sich um das kühle Metall und so blieb ich stehen und starrte auf die hölzerne Verkleidung der Tür. Ich war zurück und die Heimat begrüßte mich ebenso trostlos und grau wie sie mich verabschiedete. Wir waren uns noch immer zu ähnlich. Was hinter mir lag war ein unruhiger, kurzer Schlaf, aus dem ich plötzlich und schweißgebadet erwachte, ohne Erinnerung, was mir in meinen Träumen widerfuhr. Ich war konsterniert und das einzige feste Bewusstsein in mir war die Tatsache, dass mein Problem zu einem solchen angewachsen war, das ich nicht länger missachten konnte. So hünenhaft und schwer baute es sich vor mir auf, dass mich meine Gedanken bereits zur Krankenstation führten, wo nach etwas zu bitten, das mich schlafen ließ. Es wäre ein tiefer Fall. Unter anderen Umständen undenklich, doch ich war am Ende. Mein Kopf war leer und meine Seele so schwer und zermartert, dass ich seit Stunden nichts anderes tat, als gegen den Druck in meinem Hals zu schlucken. Alles war verengt und verstopft. Die Mission war erfüllt, doch es spielte keine Rolle mehr. Erbärmlich führten mich meine Beine zurück in die steinernen Bauten und wie unauffällig suchte meine Schulter Halt an der Wand des Fahrstuhles, während er mich in das tiefste Geschoss und zu Hevlaska brachte. Die Augen absent auf einen nicht existenten Punkt gerichtet harrte ich aus, bis sich die Türen öffneten und ich meine Beine weiterhin nötigen musste. Ich sprach kaum ein Wort, während ich Hevlaska das Innocence überreichte und ihre gleißende, aus Licht bestehende Hand jenes Fragment entgegennahm. Trübe verfolgte ich, wie sie es verinnerlichte, wie es hinab sank und seinen Platz inmitten der Sammlung einnahm. Ein schöner Moment, der mich stets in seinen Bann zog, doch diesmal wandte ich mich nur ab und stellte mich dem vorerst letzten Weg, der zu Komui führte. Ich betete, dass er mich rasch genug gehen ließ, damit ich weiterhin verzweifelt und bemitleidungswürdig nach Lösungen suchen konnte. Es war eine angenehme Stille, die mich in der Wissenschaftsabteilung erwartete. Jeder war in seine Arbeit vertieft und nur River löste sich kurz von seinen Unterlagen, um grüßend die Hand zu heben. Ich erwiderte die Geste nur andeutungsweise, bevor ich nach der nächsten Klinke griff und sie unscheinbar als Stütze nutzte. Ich hatte sie nötig, diese kleine Absicherung und spürte das Schwanken meines Leibes, als ich mich von ihr löste. Die am Boden liegenden Unterlagen raschelten, als sich Komui auf seinem Stuhl zurechtrückte. „Komm rein“, winkte er mich näher, rückte wieder zur Seite und lehnte sich zurück, um ein Blatt anzustarren, das sich in dem hinteren Bein seines Stuhles verfangen hatte. Er kapitulierte kurz darauf, griff nach seiner Tasse und runzelte die Stirn, als diese leer war. „Du bist aber schnell wieder da.“ Er sandte mir einen knappen Blick, bevor er sich den Unterlagen zuwandte, jedoch inne hielt. Er runzelte die Stirn, blickte abermals auf und schenkte mir seine vollendete Aufmerksamkeit. Nichts, das ich begrüßte. Ich wusste, wie ich aussah. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich kurz darauf. „Alles in Ordnung.“ „Mm.“ Komui schürzte die Lippen. Ein flüchtiges, unangenehmes Schweigen brach über uns herein und wie erleichtert war ich, als er es mit einem leisen Seufzen beendete. „Würdest du mir einen Gefallen tun, Allen?“ „Mm?“ „Geh schlafen.“ Er hatte ja keine Ahnung, was er da verlangte. Ich verließ die Wissenschaftsabteilung und fühlte mich dabei so teilnahmslos. Kaum drangen die Eindrücke der Umwelt in mein Bewusstsein. Die Kälte des Ganges, das Gefühl der Klinke unter meiner Hand, Tims Flügel, der meine Schulter streifte. Als geschehe all das in einer parallelen Welt, in die ich nicht hineinreichte. Alles war zu weit entfernt, zu laut, zu anstrengend. Meine Sinne schienen sich abgeschaltet zu haben und meine Lider waren so schwer, als wollten sie mich tückisch zu meinem Bett führen. Sie hatten sich mit dem Alp verbündet, als arbeiteten sie Hand in Hand an meiner Vernichtung. Ich wollte mich nicht fügen, doch kannte ebenso wenig ein anderes Ziel. Abrupt blieb ich stehen, blickte auf und musterte meine Umgebung. Ich war in der falschen Richtung unterwegs und so machte ich kehrt. Vielleicht, dachte ich mir währenddessen, konnte ich mir wirklich etwas besorgen, das es mir einfacher machte. Ich war kein Freund der Medizin, doch auch kein Freund dieser abgrundtiefen Erschöpfung. Meine Schritte zogen mich zur Seite, leicht schrammte ich mit der Schulter eine Ecke und bog zur Seite. Ich betrat einen weiteren Gang und mit einem Mal verlangsamten sich meine Schritte. Meine verzerrte Miene entspannte sich. Mit einem Mal richtete sich auch mein Körper auf und wie fest und wach wurde mein Blick, als ich stehen blieb. Mir kam jemand entgegen. So stark und zielstrebig, dass ich dem nicht gewachsen war. Diese Uniform, dieser Mantel. Wie ehrfürchtig musterte ich auch die stolze, gefestigte Haltung und die sicheren Schritte. Kanda. Er wirkte, als wäre auch er soeben zurückgekehrt von einer Mission, nicht viel ausgiebiger als meine. Leichter Schmutz haftete auf seinem Gesicht, während er mich ansah und unter einem beschämten Lächeln sehnte ich den Blick. Wie erbärmlich. Ich rieb meinen Nacken, als er mich erreichte, starrte auf seine Stiefel, die vor mir innehielten. So standen wir voreinander und wie schwer fiel es mir, seinem Blick zu begegnen und mich aufzurichten. Er hatte es deutlich vor sich. Ich musste ihn enttäuschen. Die Mission, auf die er mich schickte, verfehlte ihren Zweck. Wie gerne hätte ich ihm ein kraftvolles, vertrauenswürdiges Lächeln geschenkt, ihm einfach zugenickt und vor Augen geführt, dass sich seine Fürsorge auszahlte. Wie gerne würde ich so aufrecht und gestärkt hier stehen wie er es tat. Seine annähernd schwarzen Augen tasteten sich über mein Gesicht. Ich sah es, verfolgte jede Regung und auch, wie sich seine Mimik andeutungsweise verzog. Ich wusste, was er sah und das einzige was ich tat, war mit den Schultern zu zucken, müde und ratlos. Ich wusste nicht, was mir fehlte oder helfen würde. Ich wusste es wirklich nicht. Wie könnte er es also? Er war nicht allmächtig. Auch nicht in Bezug auf mich, doch es war in Ordnung. Er hatte es versucht und ich wusste es zu würdigen. Mehr konnte ich mir nicht wünschen und doch blieb er bei mir, ohne ein Wort zu verlieren. Augenblicke vergingen ohne jede Regung und umso einschneidender war es, als er sich dann in Bewegung setzte. Ich hörte das leise Kratzen seines Schrittes, mit dem er die letzte Distanz überwand und wie erstarrte ich, als er mich erreichte. Sein Körper berührte mich innig, als er einen Arm über meine Schulter hob und wie starr lehnte ich kurz darauf an ihm und in seiner Umarmung. Mein Leib verspannte sich flüchtig unter seiner Wärme, die mir entgegendrang und an die ich mich noch nicht gewöhnte. Nicht weniger fremd fühlte sich der Druck seiner Hand an, als sie sich auf mein Kreuz bettete und mich näher zog. Was geschah? Meine Wange traf auf seine Schulter und wie erstarrt ergab ich mich seiner Führung. Er hielt mich, stützte mich, gab eine stumme Antwort auf meine Erschöpfung und unter einem tiefen Durchatmen verlor ich jegliche Verspannung und sank gegen ihn. Meine Lider wurden schwer, trübe verblasste das Bild vor meinen Augen und kurz darauf schloss ich sie und atmete den vertrauten Geruch. Er rettete mich innerhalb weniger Augenblicke und wie dankbar und genüsslich nahm ich die Bewegungen seiner Hand auf meinem Rücken wahr. Streichelte sie mich? Ich schmiegte mich an den robusten Stoff seiner Uniform und wie müde wurde ich in dieser Umarmung. Eine Schwere angenehmer Art überkam mich, doch bald darauf spürte ich, wie sich seine Umarmung lockerte. Mein Körper lehnte sich ihm nach, als er zurücktrat, doch fand eigenen Halt. Seine Hand glitt von meiner Schulter, bevor sich unsere Blicke abermals begegneten. Noch immer kein Wort, noch immer keine eindeutige Miene, doch nichts davon gehörte in diesen Moment. Es war perfekt und kein Wort ihm würdig. Meine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Durchatmen, als er ein Nicken andeutete. Wir verstanden einander. Alles war gesagt und wie genießerisch schloss ich die Augen, als er an mir vorbeizog und sich seine Hand flüchtig auf meine Wange bettete. Kitzelnd glitt sie von meiner Haut, verlor den Kontakt und auch als sich seine Schritte in meinem Rücken erhoben, stand ich noch dort, betäubt vor Glück und unfähig jedes düsteren Gedankens. Ich sah ihm nicht nach und hörte seinen leiser werdenden Schritten zu. Wir entfernten uns voneinander und dann wurde es wieder still. In dieser Stille erreichte ich mein Zimmer und trat zum Bett. Ein weiterer Versuch lag vor mir. Möglicherweise verzweifelt und zum Scheitern verurteilt, doch es gab keinen anderen Weg, denn viel länger würde dieser Zustand nicht erträglich bleiben. Meinen Armen fiel es schwer, sich aus dem robusten Stoff zu befreien. Ebenso träge warf ich die Uniform in die Richtung des Stuhles, traf daneben und sank auf die Matratze, bereit für die weitere Blamage. Allmählich war es lachhaft, doch ich lachte nicht, als ich bald darauf schweißgebadet in die Höhe fuhr und mich in die Decke klammerte. Mein feuchtes Gesicht glühte, während ich mit Leib und Seele fror und für einige Momente nur auf die gegenüberliegende Wand starrte. Das Haar haftete auf meiner Haut und wie trocken wurde mein Mund binnen kürzester Zeit unter dem Keuchen. Eine Gänsehaut ließ mich erschaudern. Ich zuckte zusammen, versuchte den Griff meiner Hände zu lockern, doch er war so verkrampft, dass es schmerzte. Als bräuchten meine Hände irgendeinen Halt. Meine Augen brannten noch immer unter den Bildern des Albtraumes, doch noch immer zu nahe war. Mana. Wie lange ich hatte ich nicht mehr von ihm geträumt. Wie lange nicht mehr mein damaliges Vergehen vor Augen gehabt. Alle Fehler, die ich begangen, jeder Gedanke, den ich unüberlegt führte. All das suchte mich soeben heim und ich schluckte, würgte es regelrecht hinab und spürte den erbärmlich vertrauten Druck in meinem Hals. Um mich herum war es dunkel, war es still und die Hürde groß, bis ich dazu imstande war, den Kopf zu wenden und zum Fenster zu blicken. Es war ein Fluch und auf mir lastete nicht nur einer. Es waren mehrere, die sich abwechselnd zu Tage förderten, gnadenlos, und mich in dieser Nacht zu Boden rangen. Ich war alleine, als mein Blick unter jener dumpfen Nässe verschwamm und sich das Kitzeln seinen Weg über mein erstarrtes, bleiches Gesicht bahnte. Wie viel Kraft hatte es mich gekostet, mich von diesen Bildern loszureißen und wie benommen hob ich die Hand zu meiner Wange und ertastete die Feuchtigkeit. Meine Fingerkuppen badeten in ihr, bevor ich die Beine regte und, bis in die tiefsten Grundfesten ermattet, die Decke zu mir zog. So rückte ich zur Kante des Bettes und sank in dieser Haltung doch nur abermals in mich zusammen. Meine Ellbogen trafen auf die Oberschenkel, die Stirn sank in meine Hände und so blieb ich kauern, bebend und abgrundtief verbittert. Ich wusste nicht, wie lange die letzte erholsame Nacht zurücklag. Der letzte Schlaf, der nichts anderes bereithielt als das schwarze, warme Nichts. Die Hand an meiner Stirn regte sich, ballte sich und ein Zittern suchte meine Lippen heim, bevor ich sie aufeinander presste und abermals gegen den Druck in meinem Hals an schluckte. Mein Inneres zog es hinab in fürchterliche Abgründe. Ich hatte den Tiefpunkt erreicht, den absoluten, vollkommenen. Die Bilder und vertrauten Stimmen hatten mich so schmerzhaft getroffen, wie es keine Waffe könnte. Auch Manas letzte Worte, bevor mein sehnsüchtiger Verstand jenes Desaster einleitete. Ein Fehler, wie er nicht wieder gut zu machen war. Für den keine Buße reichte. Stockend umschloss ich meinen Leib mit den Armen. Es tat so unsagbar weh. Auch ich konnte mich nicht an alles gewöhnen. Jedes Fragment in mir wehrte sich bis zum heutigen Tag gegen jene Tatsachen. Das Verstehen war da, nur keine Kraft für die permanenten Wiederholungen. Hieß es nicht Vergangenheit, weil die Dinge vergingen? Wie nannte man dann das, was hinter mir lag? Gegenwart. Zukunft. Es war anwesend. Immer. Irgendwann schmerzten meine Augen vor Trockenheit. Die Tränen waren versiegt. Nach einer endlos erscheinenden Zeit, die mich weitere Kräfte kostete. Woher ich diese nahm, das wusste ich nicht, denn ich meinte, meine Grenze längst überschritten zu haben. Aus dem jetzigen Gebiet ließ sich nicht mehr schöpfen. Stockend richtete ich mich auf und rieb meine Augen. Ich musste mehrfach blinzeln, bevor sie mir das dunkle Bild meiner Umgebung preisgaben. Nur leichte Umrisse in der Nacht und auch zu meiner Tür blickte ich. Dunkel zeichneten sich ihre Strukturen ab. Ich wollte mein Zimmer verlassen. Wie so oft verzweifelt und ohne Ziel. Meine Schuhe und Tim ließ ich zurück, streifte mir auch nichts über und verschränkte fröstelnd die Arme vor dem Bauch, als mich die Kälte des Treppenhauses erreichte. Mein verschwitztes Gesicht entflammte kühl und bebend blickte ich um mich. Wo entlang? Wohin sollte ich in diesem Zustand? Nicht unter fremde Augen, doch welcher Ort brachte mir das, was ich brauchte? Es war kalt und umso dringlicher war mir danach, weiterzugehen, mich zu bewegen. Nur wohin? Ich rieb mir die Arme, vertrat mir die Füße auf dem kühlen Boden und presste die Lippen aufeinander, da zog es meine Augen zu dieser nicht sehr weit entfernten Tür und wie starr blieb ich dieser Beobachtung treu. Was trieb mich zu ihr? War es in diesen Momenten richtig, auf sie aufmerksam zu werden? Ich quälte mich durch Grübeleien, soweit mein Kopf es zuließ, suchte nach der richtigen Frage und deren Antwort und glaubte sie doch recht bald zu finden. Er hatte mich oft gestützt. In Momenten, in denen ich es brauchte. Momente, wie dieser einer war. Nie hatte ich um seine Hilfe gebeten, bevor ich sie erhielt, doch Stolz spielte keine Rolle mehr. Ebenso keine Frage oder Zweifel. Er würde mich retten. Abrupt setzte ich mich in Bewegung. Meine Beine entwickelten ein Eigenleben, als wären sie mein sinnloses Sinnieren leid. Sie führten mich durch das Treppenhaus, führten mich zu dieser Tür und ich wollte sie erreichen sowie ich mich von ihr fernhalten wollte. Es war ein nicht geringer Anteil an Respekt vor diesem Handeln, der mich aufhielt und eine schier unbegreifliche Sehnsucht, die mich anzog wie das Licht eine verlorene Motte. Ich taumelte ihm entgegen, sah mich um, befürchtete Schritte und Augen. Niemand sollte mich sehen. Ich wusste nicht einmal selbst, was ich tat und dann stand ich vor dieser Tür. Die Arme um den Bauch geschlungen, auf müden, weichen Knien und einerseits so entschlossen wie ich unsicher war. Inwieweit würde ich ihn stören? Was ließ mich zögern? War es die Angst vor einer Abweisung? Angst vor seinem Zorn oder davor, etwas zu zerstören und uns im Keim zu ersticken? Schritte! Sofort blickte ich auf, vermutete sie jedoch in einem der höheren Stockwerke. Ich presste die Lippen aufeinander, als die Schritte sich entfernten und wenige Momente später realisierte ich das Bild, das ich bot. Wie dümmlich musste ich wirken. Ich wusste doch stets, was ich tat. Ich fürchtete auch nichts und nun fürchtete ich diese Tür? Es wurde so kalt. Meine Füße waren wie Eis und kurz blickte ich zu meinem Zimmer zurück. Mein Herz schlug dumpf in meiner Brust und den Blick noch immer auf meine Tür gerichtet, hob sich meine Hand und klopfte an die andere. Das leise Geräusch ließ mich zusammenzucken, als hätte ein anderer es verursacht und wie abgrundtief war die Reue, als ich in meiner Haltung erfror, mit noch immer erhobener Hand auf die Klinke starrend. Wenn ich mich nun abwandte und ging, würde er niemals erfahren, wer inmitten der Nacht vor seiner Tür stand. Vorausgesetzt er hörte es überhaupt. Unscheinbar setzten meine Beine zu einem Schritt an. Der Rückzug begann bereits nach wenigen Augenblicken. Ich entfernte mich, brachte mich in Sicherheit, doch kaum setzte ich den Fuß zurück, wurde die Stille von einem leisen Klicken zerrissen. Entsetzt lebte das Herz in meiner Brust auf, während meine Finger tiefer in den Stoff des Hemdes drangen. Vermutlich hatte er geschlafen. Vermutlich störte ich ihn tatsächlich. Mit stockendem Atem verfolgte ich, wie die Tür sich öffnete und das matte Licht des Flures ihn preisgab. Sein Haar bahnte sich offen seinen Weg über seine Schultern, die von einem simplen, weißen Hemd gewärmt wurden und nur andeutungsweise trafen sich unsere Blicke, bevor er sich in den Türrahmen lehnte und sich die Augen rieb. Er hatte tatsächlich geschlafen und wenn es etwas zu sagen gab, würde er es tun, sobald sein Bewusstsein die Situation realisierte. Mir gelang kein Blinzeln, als er sich eine Strähne aus der Stirn streifte und mich abermals in Augenschein nahm. Wie akribisch und alarmiert starrte ich ihn an, um das fragilste Fragment von Wut abzupassen. Ich würde reagieren, sobald er mir diese Schranke offenbarte, würde mich zurückziehen, doch in dem matten Licht erkannte ich keinen Zorn. Seine Mimik war entspannt, seine Lippen schwiegen und auch ich kannte keine richtigen Worte. Dabei riss ich ihn aus dem Schlaf und stand nun vor ihm in all meiner Erbärmlichkeit. Wie endlos erschienen mir die wenigen Momente, in denen wir nur voreinander standen und er mich mit seinen schwarzen Augen ergründete. Plötzlich und endgültig erwachte er jedoch zu altem Leben. Seine Hand bettete sich auf den Türrahmen. Er zog sich zurück in die Dunkelheit seines Zimmers und wie perplex bemerkte ich die beiläufige Geste, in der er die Tür weiter öffnete und mir den Weg freigab. Das Licht des Flures erreichte ihn längst nicht mehr, während ich mich noch immer nicht regte, mit brennenden Augen auf den Spalt starrend. Es war offensichtlich, doch die Hürde immens. Ich hatte keine Erwartungen, denn die Situation war so widerwärtig abstrus, dass ich wie eine untaugliche Marionette auf fremde Führung angewiesen war. Kein Laut drang durch die geöffnete Tür, doch kurz darauf abermals Schritte in meiner Nähe. Eine Tür quietschte, jemand schien es eilig zu haben und wie angestrengt spähte ich zu diesem Gang. Fast meinte ich schon den Schatten zu sehen. Es war dieselbe Etage und eine geringe Distanz. Mit einem Mal fehlte jede Zeit. Mit einem Mal hatte ich zu reagieren und wie zielstrebig waren die zwei Schritte, mit denen ich die Schwelle überquerte, in den fremden Raum trat und die Tür hinter mir schloss. Eine Flucht führte mich zum ersten Mal in dieses Gebiet, das für mich niemals existierte und dann stand ich dort vor der geschlossenen Tür und lauschte meinem Atem, während ich perplex mein Umfeld betrachtete. Nur beiläufig achtete ich auf Kandas Bewegungen. Er war zurück in sein Bett gesunken, zog die Decke über sich und suchte kurz nach der alten Bequemlichkeit. Als wäre ich nur ein Schatten, den er nicht bemerkte, da er sich heimlich einschlich. Ich fühlte mich annähernd transparent, da diese Momente ausschließlich aus Überforderung und Ungläubigkeit bestanden. Ich gehörte nicht hierher, doch sollte es offenbar. Meine Augen drifteten zu dem Fenster und über das verschiedenfarbige Glas, bemerkten auch den Riss, der es durchzog und nicht viel später blickte ich zu jener Sanduhr. Ich sah sie schon einmal, während ich Kanda das Essen brachte. Dort auf dem Tisch präsentierte sie sich noch immer als unverständlicher Mittelpunkt des ansonsten kargen Raumes. Nur der Tisch, ein Stuhl, Kleiderschrank und Garderobe. Mehr Dinge gab es hier nicht und man könnte meinen, das Zimmer wirke kühl und leblos, doch für mich war es angereichert mit dieser innigen, präsenten Persönlichkeit, nach der ich mich verzehrte. Sein Geruch umgab mich, sein Dasein. Absent rieb ich mir den Arm. Die Kälte war noch immer nicht von mir gewichen und ebenso wenig begriff ich, wie lange ich schon dort stand auf dem unbedeutenden kalten Punkt nahe der Tür. Doch was sollte ich tun? Was durfte ich? Die erste Hürde hatte mich alles an Entschlossenheit gekostet und wie ratlos blickte ich abermals zu den undeutlichen Konturen Kandas. Durfte ich mich setzen? Die Nacht hier verbringen? Er schien müde und für Gespräche blieb kein Raum. Sie gehörten nicht hierher und ich dachte mir nicht viel, als Kanda sich abermals zu regen begann. Offenbar fehlte noch immer die Bequemlichkeit. In den Schlaf zu finden war obendrein vermutlich schwer nach einer solchen Störung und ich dachte mir noch immer nicht viel, als sich die Decke bewegte. Seine Hand tastete nach ihr und hob sie an. So öffnete sich ein Weg und wie schwer schluckte ich, als ich befürchtete, es zu begreifen. Unmöglich war es, dass er es ernst meinte, doch mein Körper setzte sich sofort in Bewegung. Meine Schritte führten mich zu diesem Bett, als symbolisiere es den Ort der Rettung, von dem mich kein Zögern trennen durfte. Und hilflos blieb ich stecken in dieser Hülle, die sich fliehend unter den Stoff schob und neben Kanda auf die Matratze. Er empfing mich in seinem warmen Kern, schützend sank das leichte Gewicht der Decke auf meinen Körper und wie benommen bettete ich den Kopf auf diesem Kissen, stets dem anderen zugewandt und mich dumpf schlagendem Herzen spürend, wie die Decke über meine Schulter gestreift wurde. Flüchtig berührten sich unsere Beine, bevor sein Arm sich unter dem Stoff auf meinen Rippen bettete. Er rückte näher, nur um einen Deut, zog mich zu sich, als handle es sich um Gewohnheit, für die er die Augen nicht zu öffnen brauchte. Ich hingegen blinzelte nicht, während ich in sein entspanntes Gesicht starrte. Kitzelnd sank eine Strähne in meine Stirn, doch ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Ein endloses Entsetzen fügte mir einen Schlag zu, der mich wehr- und hilflos zurückließ. Warm und spürbar erreichte mich Kandas Atem, als er bereits in den Schlaf zurückzusinken schien. Das schwache Licht des Mondes erlaubte es mir, seine Züge zu mustern und ich tat es. Es gab keinen Druck mehr in meinem Hals oder Pein in meiner Seele. Auch die Tränen schienen so endlos entfernt, während jede Verspannung aus meinem Körper floss. Unkontrolliert strauchelte ich in diesen neuen Zustand, in dem nichts anderes existierte als das Bild des schlafenden Gesichtes vor mir. Wie fasziniert und versunken betrachtete ich mir seine Brauen und Wimpern, seine Nase und die regungslosen Lippen. Ein wunderschönes Antlitz umrandet vom tiefen Schwarz des offenen Haares. Bald zeugten seine tiefen Atemzüge davon, dass er tatsächlich schlief und ich begann sie zu zählen, mich ihnen gar anzupassen, bis selbst die Luft meinen Körper so gelöst und befreit durchströmte. Alles wurde ruhig, alles blieb still und irgendwann erhob sich dieses tiefe Seufzen, das mir so fremd war, dass ich es nicht sofort als mein eigenes realisierte. Mit der Tür zu Kandas Zimmer schloss ich die Grenze zwischen mir und allem, was mir schadete. Hier war ich sicher und an der Quelle aller Kraft. Meine Lippen verzogen sich, ohne dass ich sie zu lenken hatte. Kurz darauf lächelte ich, als würde die Freude mich so exzessiv anreichern, dass sie aus mir floss. So musste sich Glück anfühlen, dachte ich, als ich die Hand auf seiner Kandas bettete, die Umarmung vorsichtig, doch ohne jedes Zögern erwiderte. Wie verzweifelt suchte ich es Jahr um Jahr und nun gab er es mir, ohne ein Wort zu verlieren. Was für ein Wahnsinn, dass er stets zu wissen schien, was ich benötigte und mir diese absolute verzweifelte Sehnsucht beiläufig erfüllte. Ich bettete die Hand auf dem Stoff seines Hemdes, spürte seine Haut, selbst die Bewegungen seiner Atemzüge und ertappte mich bei einem leichten Kopfschütteln. Er war vollkommen, ich nur ein vollkommener Narr, der die entsprechende Demut zu zeigen hatte. Ich grübelte endlos, während er schlichtweg handelte. Irgendwann senkte ich die Lider, irgendwann wurde ich mir ihrer Schwere wieder gewahr, doch ich fühlte ihn weiterhin, strich absent über seinen Rücken und folgte dem Stoff mit den Fingern. Der Moment war zu heilig, um zu schlafen, doch dumpf senkte sich die flüchtig vergessene Kraftlosigkeit über mich und so selbstsüchtig ich auch war, ich kapitulierte. Sicher und geradlinig offenbarte sich mir der Weg in das warme, dunkle Gebiet, das ich so oft verfehlte und ich spürte kaum, wie ich tiefer sank, ummantelt und geschützt. Ich schlief. -THE END- Anmerkung der Autorin: Ich danke den Kommentatoren und freue mich auch über die, die inoffiziell Gefallen an meinem Werk gefunden haben. :) 'Unseen souls' ist hiermit beendet und wer Lust auf die Fortsetzung hat, kann sich mit 'Last verse of dawn' vergnügen. Da dieser Teil schon existierte und ich ihn 'nur' abänderte und meinen Vorstellungen anpasste, konnte ich die Kapitel recht zügig uppen. 'Last verse of dawn' muss erst entstehen, heißt: mehr Geduld und längere Wartezeiten. Hoffentlich wird euch das Werk trotzdem genauso viel Spaß bereiten wie mir. Einen guten und vorsatzlosen Start ins neue Jahr wünscht euch - Asche. :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)