Unseen Souls von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 23: 23 -------------- Noch nie hatte das Herz so dumpf und schwer in meiner Brust geschlagen, als ich mich in mein Zimmer zurück schlich und mich dabei wie die Beute fühlte, die vor ihrem ganz persönlichen Raubtier floh. Die Augen stets in der Umgebung, jede Ecke mit Vorsicht genießend. Ich wurde paranoid. Die letzten Schritte zu meinem Ziel tat ich rasch und als ich die Tür hinter mir schloss, erhob sich dieses erleichterte Stöhnen. Ich lehne mich gegen das Blech, bettete auch den Hinterkopf an diesem kalten Material und schloss die Augen. Ich würde ihm nicht ewig entgehen können. Es war unmöglich, doch gleichsam wollte ich mich auch nicht stellen. Niemand tat so etwas mit ihm. Niemand, und ich stellte gewiss keine Ausnahme dar. Ein letztes Mal lauschte ich in den Flur, bevor ich mich auf mein Bett zu bewegte und mich ächzend neben Tim fallen ließ. Ich vergrub das Gesicht im Kissen, durchfuhr meinen Schopf. „Du hast ja keine Ahnung“, nuschelte ich Tim durch die Federn zu und raufte mir das Haar. „Du hast ja keine Ahnung, was ich mir für ein Problem gebastelt habe.“ Natürlich wusste er es nicht. Unbeteiligt schlug er mit den Flügeln. Kanda wusste alles und ich konnte ihn beileibe nicht einschätzen, um zu wissen, was er jetzt zu tun gedachte. Die humorvollen Sticheleien würden wohl der Vergangenheit angehören und ihr Platz eingenommen von Blicken, die wirklich verletzten. Ganz zu schweigen von seinen Taten. Eigentlich hatte ich es doch verdient. Jedes Fragment seiner Wut, seiner Rache. Wie selbstsüchtig hatte ich mich an ihm bedient und mich mitreißen lassen von seiner Wehrlosigkeit. War es nicht richtig, dafür zu bezahlen? Ich setzte mich auf und starrte resigniert in die Finsternis der Nacht. Nein. Plötzlich erreichte mich dieser Impuls und ließ mich in allem innehalten. Was dachte ich da nur? War ich kurz davor, mich selbst zu verraten? Sollte ich mir nicht lieber sagen, dass sich jede Berührung gelohnt hatte und dass ich es wiederholen würde, sobald sich mir die Gelegenheit bot? Ich hatte dazu zu stehen. Vermutlich ging es nicht anders, wenn man die Stärke jener Gefühle einbezog. Sollte ich nicht eher jeden Schlag, jede Beleidigung über mich ergehen lassen und mich dabei an jene Momente zurückerinnern? Mir sagen, dass sie jede Rache wert waren? Die Höhe der berauschenden Gefühle könnte er mir ohnehin nie in negativen Gefühlen zurückzahlen. So immense finstere Kräfte existieren einfach nicht. Ich nickte in mich hinein. Worum sorgte ich mich eigentlich? Dann beleidigte und schlug er mich eben und schadete mir auf noch ganz andere Weise. Ich hatte es verdient. Nur Reue sollte er nicht erwarten, denn ich kannte keine. Nicht in diesem Fall. Eher noch würde ich ihm davon erzählen, damit er härter zuschlug. Solange er es brauchte, um sich besser zu fühlen, während vor meinem geistigen Auge alles Revue passierte und ich innerlich lächelte. Was konnte er mir schon anhaben? Schläge erhielt ich oft, auch verspottet wurde ich und nichts davon würde dazu führen, dass ich ihm seine Schönheit und Herrlichkeit aberkannte. Nichts. Nur er hatte es einzusehen. Ich tat es längst. Er war am Zug. Ich schlief kaum, obgleich mein Körper mir signalisierte, dass es eine gute Wahl wäre. Vermutlich waren es nur wenige Stunden, denn der Sonnenaufgang kam rasch. Als ich auf dem Rücken lag und mit einem Mal an die Decke meines Zimmers starrte, da wurde sie bereits leicht erhellt und das Licht blendete mich, als ich den Kopf zum Fenster drehte. Was hinter ihm lag, war abermals dieser graue, kontrastlose Himmel. Irgendwie kam alles zusammen und auch die Ereignisse des vergangenen Abends hatten mein Bewusstsein nicht verlassen. Es gab nur wenige Tage, an denen ich liegen bleiben wollte. Nicht nur dem Fenster, auch dem ganzen Leben, der ganzen Welt wollte ich den Rücken kehren, denn mein Mut hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt etwas verlassen. Tim saß am Kopfende und schien etwas zu erwarten. Vielleicht dass ich aufstand und der Tag begann? Murrend zog ich die Decke über meinen Kopf. Würde es doch ewig Nacht bleiben. Warum war dieser Tag so schnell gekommen? Hatten sich selbst die Zeiten gegen mich verschworen? Plötzlich wechselte das Knurren meines Magens die Stille ab. Es erhob sich so intensiv und laut, dass ich sofort meinen Hunger wahrnahm. Wie jeden Morgen, nur war es mir noch nie so schwer gefallen, mich auf den Weg zum Speiseraum zu machen. Mit einem Mal erwachte ich zum Leben, schlug die Decke zur Seite und richtete mich auf. Ich kapitulierte, denn ich hatte Hunger und eines Tages brachte mich dieser Appetit noch ins Grab. Ich schlüpfte in ein frisches Hemd und hielt nach meinen Schlappen Ausschau. Letztendlich fand ich sie unter meinem Bett und als ich hineinschlüpfte, da kam mir ein Gedanke. Die Schuhe waren nicht zum Wegrennen geeignet. Ich grinste, als ich mein Zimmer verließ und schüttelte den Kopf. Ich hastete nicht, trödelte nicht, versuchte mich normal zu bewegen und so als würde ich nichts befürchten, als wäre ich rein und aufrichtig und nicht dazu bestimmt, das Ziel von Rache zu werden. So trat ich kurz darauf in den Speiseraum und machte mich auf den Weg zu Jerry. „Allen?“ Die Stimme riss mich aus meinen Gedanken und als ich mich von der Tür losriss, sah ich Marie dort sitzen. Seine Hand hatte sich gehoben und gut versteckt erspähte ich auch Miranda hinter ihm. Gemütlich saßen sie vor einem mit Liebe gedeckten Tisch und frühstückten. „Guten Morgen.“ „Setz dich doch zu uns“, lud mich Marie ein und nickend wandte ich mich ab und ließ die letzte Distanz zum Tresen hinter mir. Marie, ging es mir dabei durch den Kopf. Er erlebte, was zwischen Kanda und mir geschah. Kurz darauf gesellte ich mich mit meinem Tablett zu ihnen und ließ mich auf der gegenüberliegenden Bank nieder. Marie genoss seinen Fleischsalat, Miranda jedoch wurde darauf aufmerksam und als ich aufblickte, starrte sie mich an. „Belastet dich etwas?“, erkundigte sie sich sofort und ich bemerkte die Rühreier auf ihrem Tablett. Offenbar lenkte sich ihr Appetit heute in diese Richtung und erklärte die Tatsache, weshalb es keine Eier mehr gab. „Hm?“ Ich riss mich los. „Was hast du gesagt?“ „Oje.“ Sie seufzte. „Hast du mit jemandem Ärger?“ Was für eine Frage. Mit einem ganz Bestimmten hatte ich doch andauernd Ärger. „Nein“, log ich und zuckte mit den Schultern. „Alles bestens.“ „Wenn du das sagst.“ Nachdenklich begann sie ihre Rühreier zu zerschneiden. Ich verfolgte es akribisch und plötzlich richtete sie sich auf und starrte mich an. „Wenn mich etwas durcheinanderbringt, dann nehme ich eine Handvoll Schnee und schmiere ihn mir ins Gesicht!“ Ich runzelte die Stirn. Auch Marie hielt kurz inne, doch sie war sich sicher, bis sie meine Mimik bemerkte. „Was?“, keuchte sie. „Das hilft wirklich.“ „Und was machst du im Sommer?“, erkundigte sich Marie und Kopfschüttelnd begann ich den Milchreis zu löffeln. Die beiden hatten ja keine Ahnung. Meine Probleme ließen sich nicht lösen durch eine Handvoll Schnee. „Im Sommer kaufe ich mir ein Eis“, antwortete Miranda. „Und das“, nahm mir Marie meine Worte ab, „schmierst du dir dann auch...“ „Nein.“ Miranda lachte. „Das esse ich.“ Vergnügt genoss sie ihre Rühreier und während Marie lächelte, stemmte ich den Ellbogen auf den Tisch und die Wange in die Handfläche. „Allen?“ „Hm?“ Ich blickte auf. Es war Marie, der sich etwas zu mir neigte. Und er räusperte sich, was wohl das Zeichen dafür war, dass etwas Wichtiges folgte. „Es tut mir Leid, wenn ich dich auf das anspreche, was zwischen Kanda und dir vorgefallen ist.“ Das konnte es auch. „Ich kenne ihn schon sehr lange“, fuhr Marie fort. „Und er akzeptierte es noch nie, dass andere sich für ihn opfern. Er trägt die Verantwortung gern selbst.“ Ich richtete mich auf. Die Hand glitt von meiner Wange und während Marie flüchtig lächelte, ließ Miranda es sich unbeteiligt schmecken. Es war unerwartet, doch diese Worte erreichten mich wirklich. Marie nickte langsam und andächtig. „Er hat schon viel erlebt und die Last auf seinen Schultern ist keine geringe. Den Tod eines Kameraden kann er sich nicht auch noch aufbürden.“ Wie versteinert saß ich dort, als er sich wieder um seinen Salat kümmerte. Während die beiden weiteraßen, hatte ich meine Mahlzeit völlig vergessen. Ich rieb mir den Mund, verengte die Augen und starrte zur Seite. Natürlich. Kanda war ein komplizierter Mensch. Wie könnte eines seiner Verhaltensmuster genauso sein wie es erschien? Ich wusste doch, wie komplex er war, wie diffizil. Das zu erblicken, was hinter seinen Worten lag, war so endlos schwierig, doch genau das, wodurch ich auf ihn aufmerksam wurde. Hatte ich ihn nicht durchschaut? Wenn auch nur in wenigen Gebieten? Wie hatte ich davon ausgehen können, dass er sich fanatisch an Befehle band und eine solche Wut entwickelte, wenn andere es nicht taten? Dieses Verhalten wäre albern und ihm nicht zuzutrauen, wenn ich im Nachhinein darüber grübelte. Hier eröffneten sich mir ein weiteres Mal neue Seiten an Kanda. Seiten, die es mir nur schwerer machten. Ächzend sank ich in mich zusammen und wurde irritiert angestarrt. Ich drehte mich im Kreis. All diese Punkte schürten nur mein Verlangen und wie schlecht beraten war ich mit genau diesem. Diese Begierde war es doch, die mich in das Unglück stürzte, in welchem ich mich gerade befand. Ich rieb mir das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Allen.“ Miranda verzog leidvoll das Gesicht. „Das kann man sich ja nicht ansehen. Magst du meine Rühreier haben?“ „Oh.“ Sofort fuhr ich hin die Höhe. „Natürlich. Danke.“ Freudig nahm ich den Teller entgegen und wie erleichtert wirkte Miranda, als ich es mir schmecken ließ. Sie seufzte und durch diese wunderbare Ablenkung blieb ich für kurze Zeit auch frei von jeglichen Sorgen. Auch in den Genuss des ruhigen Essens kam ich nicht mehr lange, denn plötzlich erhob sich ein Rauschen und dann erhob sich Tim von der Bank. „Allen?“ Es war Komui. „Bist du so nett und in zehn Minuten in meinem Büro?“ Ich fuhr mir mit dem Handrücken über den Mund. So schnell? Das klang wichtig. „Und bist du bitte nochmal nett und bringst Miranda mit, die wieder einmal ohne Golem unterwegs ist? Danke.“ Somit verstummte seine Stimme und kauend blickte ich zu der Frau, die mit einem Mal um einiges bleicher geworden war. „Oh Gott.“ Sie schnappte nach Luft. „Ich wusste doch, dass ich etwas vergessen habe! Was mache ich nur?“ Ich juckte mich im Schopf. „Na ja, du kommst dann einfach mit.“ „Wieso denke ich nie an das Ding?“ Sie rutschte in sich zusammen. „Ich werde mich nie daran gewöhnen!“ Beruhigend tätschelte Marie ihre Schulter und was mich anging, ich beeilte mich mit dem Essen. War es eine Mission, auf die wir geschickt wurden? „Eine Mission?“ Miranda sah erschrocken aus, als wir kurz darauf auf dem Weg zu Komui waren. „Aber ich bin erst vor zwei Stunden angekommen! Oh mein Gott!“ Sie raufte sich die Haare. „Ich hätte schlafen sollen anstatt zu essen! Mein Egoismus ist grenzenlos! Verzeiht mir!“ Die zwei Stunden hätten keinen großen Unterschied gemacht aber nun wunderte ich mich schon darüber. Miranda nach zwei Stunden auf eine neue Mission zu schicken, wäre schon recht gnadenlos von Komui. Was mich anging, ich war bereit. Das war ich immer. Bald darauf erreichten wir die Tür der Wissenschaftsabteilung und grüßten die fleißigen Arbeiter, von denen nur die Hälfte bei Bewusstsein war. River lag auf seinem Schreibtisch und Johnny war tief in seinen Stuhl gerutscht. Ob er auch schlief, konnte man durch die Brille nicht erkennen. Nur Rokujugo schwebte noch von einer Seite zur anderen. Unsicher griff Miranda nach der Klinke, stieß ein Seufzen aus und betrat das Büro des Abteilungsleiters. Ich folgte ihr, spähte noch einmal zurück und hielt inne, als ich mich umwandte. „Du willst Entschlossenheit?“ Mit verschränkten Armen stand Kanda vor Komuis Schreibtisch. „Ich rede nicht über so etwas. Da hast du sie.“ „Ach Mensch.“ Ächzend griff Komui nach seinem Kaffee und winkte uns näher. Was mich anging, ich war zum Teil meiner alten Starre verfallen. Nur stockend trat ich ein und tastete hinter mir nach der Klinke. Doch nicht etwa eine Mission zu dritt? Sie würde Kanda jede Gelegenheit bieten, die er brauchte, und Miranda könnte mich auch nicht retten. „Es tut mir so leid!“ Sie war die erste, die den Schreibtisch erreichte. Flehend hob sie die Hände und nur kurz spähte Kanda zu ihr. „Nächstes Mal denke ich bestimmt an meinen Golem!“ Was Kandas Golems anging, der war anwesend und lachend winkte Komui ab. „Allen hat dich doch gefunden. Alles bestens.“ In diesem Moment drehte sich Kanda um, erspähte mich und wie zufällig versuchte ich seinen Blick nicht zu erwidern. Wortlos hob ich die Hand, als ich bedacht neben Miranda stehenblieb. Es war ein besseres Gefühl, wenn sie zwischen uns stand aber wirklich sicher fühlte ich mich auch dadurch nicht. „Sehr schön.“ Komui nahm noch einen Schluck und wie bitter lugte ich zu diesen schwarzen Mappen. „Ich habe Aufgaben für euch alle.“ Sein Zeigefinger richtete sich auf Miranda. „Du solltest vielleicht ein paar Stunden schlafen. Du bist ja gerade erst angekommen.“ „Sehr gerne.“ Wenigstens Miranda hatte Grund, erleichtert zu sein. „Danach brauchen wir dich nämlich als Dolmetscher.“ Mit einer Kopfbewegung wies Komui auf einen riesigen Stapel aus Unterlagen. „Die haben wir von unseren deutschen Kollegen bekommen. Wird wohl ein paar Tage dauern.“ „Oh Gott, nein.“ Miranda verlor an Körperspannung. Komui winkte ihr heiter und dann schleppte sie sich zur Tür zurück. So verschwand sie und mit ihr die Mauer zwischen Kanda und mir. „Was euch angeht“, fuhr Komui da fort. „Ich habe eine wichtige Aufgabe. Ein kleiner Teil der Unterlagen von der Wissenschaftsabteilung muss ins Lager und zu den Akten. Ihr wisst schon, der Lagerraum in der 11ten Etage. Dazu brauchen wir ein paar starke Hände.“ „Was?“ Ich schnitt eine gründliche Grimasse. „Das ist ein Dienst für den Orden“, regte sich Komui gekünstelt auf. „Und ihr gehört ihm doch an. Auch die kleinen Aufgaben sollten euch mit Stolz erfüllen. Das gehört zum großen Ganzen, versteht ihr?“ Wie endlos verdammte ich das Schicksal für seine Gnadenlosigkeit, in der es Kanda und mir einen gemeinsamen Tag schenkte. Stunden und Stunden auf dem Weg in einen abgelegenen Lagerraum, der Kanda jede Möglichkeit bot, etwas mit mir zu regeln. „Also dann.“ Komui klatschte in die Hände. „Hopp hopp, seid fleißig. River wird euch anleiten.“ Der, der gerade schlief? Resigniert ergab ich mich dem Befehl, trat zu River und begann an dem schlafenden Mann zu rütteln. Er grunzte, regte sich und an seinen müden Augen, die sich kurz darauf auf mich richteten, war abzulesen, dass er keine Ahnung hatte, weshalb ich ihn störte. „Mm?“, murrte er nur. „Die Akten.“ „Welche Akten?“ Nur lahm richtete er sich vom Schreibtisch auf und juckte sich im Haar. „Weiß nicht, wovon du sprichst.“ In seinem Kopf arbeitete es und schweigend genoss ich die Momente, bis ich sein Gesicht erhellte. „Ach so!“ Mit einem Mal wurde er wach und wie bereute ich es, dass es ihm doch noch einfiel. Ich hätte fliehen können. Fast wäre ich sicher gewesen, doch folgte River kurz darauf, Kandas Schritte im Rücken und wie unauffällig stahl ich mich näher an River heran. „Kriegen wir noch Unterstützung?“ „Wie meinst du das?“ Er kapierte es nicht und ich erklärte es gerne. „Wir sind nur zu zweit, verstehst du? Mehr Hände, weniger vergeudete Zeit. Stell dir vor, in der Welt geschieht plötzlich etwas und wir müssen sofort los. Dann liegen die Akten da.“ „Keine Angst.“ Lachend tätschelte River meine Schulter. „Soviel ist es gar nicht.“ Er blieb stehen, wies mit einem Nicken zur Seite und wie ungläubig starrte ich auf dieses Regal. Es war hoch und breit und schien fast unter der Last der Akten zusammenzubrechen. „Das alles?“, ächzte ich und wie bitter spähte ich zu River, als er seufzend die Arme verschränkte. „Was ist ‚viel‘ in deiner Welt, wenn das hier ‚wenig‘ ist? Hast du mir zugehört? Ich hatte Argumente.“ „Was denn? Ihr beiden habt doch sowieso nichts zu tun und die letzten Tage waren ruhig. Heute wird wohl nichts mehr passieren in der Welt.“ Dieser Wink des Schicksals drückte mich nieder und letzten Endes sank ich in mich zusammen und rieb mir das Gesicht. River verabschiedete sich. „Seid fleißig.“ „Du auch“, antwortete ich aber scheinbar hörte er es nicht, denn sein Pfeifen erhob sich gar nicht weit entfernt. So wurden wir stehen gelassen und während ich abermals an meinen Augen zugange war, erhoben sich Kandas Schritte neben mir. Er trat an das Regal heran und zwischen den Fingern lugte ich zu ihm. Er war seltsam gefügig, fiel mir auf. Gerade von ihm erwartete man doch den meisten Widerstand, wenn er mit solchen niederen Angelegenheiten konfrontiert wurde. Hätte er es stur und simpel abgelehnt oder wäre er einfach gegangen, dieses Verhalten wäre kompatibel gewesen mit seinem Charakter, doch hier war er. Zermürbt schüttelte ich den Kopf. Was mich erwartete war eisiges Schweigen und das auch nur im besten Fall. Wäre jene Sache in jenem ausgebrannten Haus nicht passiert, sicher wären wir wohl längst dabei, uns zu foppen. Vermutlich hätten wir Spaß aber jetzt war es still. Ich atmete tief durch und verfolgte, wie er eine Leiter näher zog. Sie bewegte sich ratternd zur Seite und sofort trat ich zurück, als ihre Bewegung vor mir gestoppt wurde. Kanda drängte mich zurück und ich fügte mich und stand unentschlossen dort, während er die Arbeit begann. Vor mir stieg er hinauf und kaum versah ich mich, da war er oben und tastete nach den ersten Ordnern. Ich beobachtete es, doch nur kurz, bevor ich mir der Art meines Blickes bewusst wurde. Bewegen. Ich musste mich bewegen, doch selbst unter diesen Umständen war er so überaus verlockend. Wie endlos hätte ich es genossen, ihn während dieser Tätigkeiten zu studieren und mich daran zu ergötzen, doch ich durfte es nicht, denn er wusste von meinem Verlangen und jeder Blick wäre ein zu offenkundiger. Er würde es spüren und ganz gewiss wäre dies nicht die beste Art, seine Wut ob dieser Sache zu besänftigen. Ich biss mir auf die Unterlippe, trat an das Regal und begann in den unteren Fächern. Wäre ich eher im Lagerraum als er, so würde es bei einem Treffen im Treppenhaus bleiben. Mit einem Mal motiviert nahm ich so zwei Akten an mich, drei und noch eine vierte und machte mich auf den Weg. Ich ging zügig und noch zügiger, als ich das Treppenhaus erreichte. Den Lagerraum zu finden, war keine Hürde, ganz im Gegensatz zu der Tür, die so furchtbar klemmte, dass ich mich mit der Schulter dagegen zu rammen hatte, bevor sie sich regte. Ein wundervoller Tag, dachte ich mir, als in den ersten Raum trat. Dieser Lagerkomplex bestand nur aus zweien und im Hinteren war noch genug Platz. Die Hälfte der Regale war leer und schematisch wurde ich meine Akten gleich neben dem Durchgang los. Wenn man hier auf dieser Seite begann, so dachte ich, würde man die Ordnung der Akten nicht durcheinanderbringen, vorausgesetzt oben in der Wissenschaftsabteilung gab es so etwas. Ich schob die Akten in das Regal, trat zurück und genoss flüchtig die Sicherheit und Ruhe, doch Kanda war mir auf den Fersen und so erwachte ich sofort zu altem Leben. Kaum trat ich in den ersten Raum, betrat auch er ihn und nur kurz trafen sich unsere Augen, bevor ich mich an ihm vorbei schob. Dieser Blick. Ich sinnierte über ihn, als ich mich auf den Rückweg machte. Was hatte er beinhaltet? Welche Emotionen ausgedrückt? Ich runzelte die Stirn und blickte zurück. Die Intensität seiner Fixierung hatte an Kraft verloren und so meinte ich, er hätte mich soeben einfach nur angesehen, ohne den Anschein zu erwecken, in der Abgeschiedenheit dieser Räume etwas klären zu wollen. Als wie irritierend empfand ich diesen Fakt, doch gleichzeitig stellte ich mir die Frage, ob ich mir Dinge dieser Art nicht auch gerne nur einbildete. Gerade in Momenten, in denen ich mir wünschte, es wäre wirklich so. Es war das Treppenhaus, in dem wir uns wieder begegneten. Wieder hörte ich seine Schritte, wieder näherten wir einander und wieder hätte er mich nur packen müssen. Es hätte ihm nicht viel abverlangt aber er wirkte so entspannt, dass mich dieser Fakt während jeden Schrittes von neuem beschäftigte. Legte er es darauf an, dass ich mich in Sicherheit wiegte, um mir meine Dummheit in einem unerwarteten Moment vor Augen zu führen? Ich verstand es nicht. Sein Verhalten oder das scheinbare Verblassen seiner berechtigten Wut bis hin zu diesem Gebaren, als wäre nichts vorgefallen zwischen uns. Wie in einer parallelen Trugwelt bewegte ich mich, irritiert und im Grunde doch erleichtert über jede ausbleibende Handgreiflichkeit. Ich tat vermutlich gut daran, mich auf sein Spiel einzulassen, mich in der Sicherheit zu wiegen, die er mir vermittelte und nichts zu erwarten, weil es höchstwahrscheinlich nichts zu erwarten gab. Traf ich etwa auf Vergebung? Nein. Ächzend wurde ich die Akten los und wie überrascht konnte ich mich nennen, als ich bemerkte, dass er sich meinem Schema angepasst hatte. Seine Akten standen neben meinen und nachdenklich trat ich zurück und ließ das Bild auf mich wirken. Hatte er seine Akten nicht aus dem höchsten Fach des Regals? Ich streckte die Hand aus, berührte beinahe seine Akten und hielt doch inne. Musste ich ihm einen Grund geben, sich an die alte Wut zu erinnern? Ich schluckte und zog die Hand zurück. Seine Akten woanders hinzustellen wagte ich nicht. Ich rückte nur an ihnen, schob meine dazu und wie plötzlich nahm ich neben mir eine Bewegung wahr. Unerwartet früh erreichte Kanda den Lagerraum. Es war eine hölzerne Kiste, die er durch den Türrahmen trug und zum erneuten Mal wandten wir uns voneinander ab. Als er sich in meinem Rücken bewegte, schob ich meine Akten doch um ein Stück zur Seite. Ein dumpfes Geräusch zeugte davon, dass er die Kiste abstellte und wie versucht war ich, mich umzudrehen. Als wüsste meine Hand von meinen Absichten, schloss sie sich um das stählerne Gestell des Regals und bot mir einen Punkt, an den ich mich klammern konnte. Nur langsam löste ich mich kurz darauf und kehrte zum Durchgang zurück. Es juckte. Das tat es wirklich. Es rief mich, zog mich hinein in diesen Sog, in welchem ich nicht umhin kam, doch zu ihm zu spähen, bevor ich die Wand zwischen uns brachte. Er kehrte mir den Rücken, hockte vor der Kiste und nicht zuletzt fiel mir sein schwarzes Haar auf, das beinahe bis zur blanken Haut reichte, die das Hemd an seinem Steiß freigab. Entrüstet von diesem Anblick schloss ich kurz die Augen. Es konnte ihm nicht aufgefallen sein. Nicht dieser Bruchteil meiner Aufmerksamkeit. Ich bemerkte, wie ich mich allmählich wieder hinauswagte aus meinem schützenden Panzer. Fast übermütig war ich soeben geworden und kaum umgab mich wieder die kühle Luft des Treppenhauses, da wollte ich mich für diesen Blick ohrfeigen. Alles, was ich sah, gehörte mir nicht und würde mir niemals gehören. Was tat ich anderes, als mir Schmerzen zuzufügen? Ich musste verrückt geworden sein. ‚Nicht noch einmal!’, ermahnte ich mich, als ich die nächsten Akten an mich nahm und umkehrte. ‚Nicht ein einziges Mal!’ An jeder Berührung würde ich mich versengen, unter jeder seiner Brisen hemmungslos erweichen. Was für ein Genuss. Die verbotenen Früchte schmeckten immer am besten. Aber ich verstand es oder glaubte es jedenfalls und nie hätte ich es ihm zugetraut, dass er so eine Rache an mir übte. Dass er mir mit falschem Wohlwollen all das offenbarte, was mir niemals gehören würde. Dabei wirkte es so alltäglich, wie er sich später kurz mit seinem Haar befasste, seine Ärmel bis zu den Ellbogen streifte und seine Unterarme entblößte. Das filigrane Handgelenk, dieses rote Armband sowie seine gepflegten Hände. Es waren gewöhnliche Bewegungen, doch in diesen Tag versetzt, wirkten sie wie ein Schauspiel. Er forderte mich heraus, stellte mich und meine Selbstdisziplin auf die Probe und wusste vermutlich nicht, dass ich bereits auf dem Zahnfleisch kroch. Es wurde schwieriger, mit jedem Mal und wie gnadenlos machte mich mein Kopf bald darauf aufmerksam, dass ich ihn gefügig machen könnte. Ich könnte ihn packen, fixieren und anschließend das tun, was mein Schicksal besiegelte. Noch einmal würde er nicht so zurückhaltend reagieren. Der nächste Rückprall wäre wohl äußerst schmerzhaft und würde unseren Umgang miteinander für immer verändern. Wenn es nicht längst schon der Fall war. Mein Atem. Ihn zu beruhigen fiel mir bald so endlos schwer. Wie versteckt brach er hervor, wenn ich ihm begegnete. Wenn wir im Treppenhaus aneinander vorbeizogen und mich die Wärme seines Körpers erfasste. So vergänglich, so höhnisch, dass ich sie spürte und doch nicht von ihr profitierte. Abwesend nahm ich die nächsten Akten an mich, klemmte sie unter meinen Arm und griff nach zwei weiteren. Meine Arme. Mir fiel diese Gänsehaut auf, die sich über sie zog wie über meinen gesamten Leib, der allein unter den Fantasien heiß und kalt erschauderte. Eine geringe und durchaus tückische Abhilfe. Wie tobte ich mich innerlich aus, führte mir vor Augen, wie es wäre, ihn zu packen und dabei nicht an die Zukunft zu denken. Ich stellte mir vor, wie leicht es wäre und wie sinnlos jedes Aufbegehren seinerseits. Jedes Wort, jede Verwünschung sowie Androhung würden in meinen Ohren versiegen, noch bevor sie in mein Bewusstsein drangen, das fähig war, auf Fehler hinzudeuten. Wie oft verzogen sich meine Lippen zu einem hinterhältigen Schmunzeln, als ich nicht den Weg vor mir sah sondern die Bilder meiner Begierde. Das Treppenhaus verblasste vor meinem geistigen Auge, meine Ohren kreierten dieses Keuchen mit Kandas Stimme und wie klammerte ich mich an die Akten, wenn ich mir vorstellte, wie es sich wohl anhörte, doch nichts davon würde in die Realität dringen. Viel eher würde ich seine Strafe über mich ergehen lassen und so leiden, wie er es wollte. Ich würde mich quälen, während er sich wünschte, ich täte es noch elendiger. Wieder betrat ich den hinteren Raum des Lagerkomplexes und wieder sah ich ihn dort kauern. Er hatte sich meinem Weg nicht angeschlossen, befasste sich mit dem Inhalt der Kiste, ohne mir Beachtung zu schenken. Natürlich spähte ich zu ihm, natürlich schadete ich mir weiterhin und begann allein dieses kleine Stück seines Steißes zu lieben. Zum dritten Mal sah ich es, zum dritten Mal zog es mich in seinen Bann und wie beiläufig befeuchtete meine Zunge meine trockenen Lippen, als ich mich dem Regal zuwandte. Ein leises Knirschen. Er kam auf die Beine und wie gepeinigt schloss ich die Augen, als er an mir vorbeizog und dieser Duft ein weiteres Mal zu mir drang. Wie ein verlockender Fetzen meiner Vorstellung. Als würde etwas aus meiner Gedankenwelt in die Wirklichkeit straucheln und verfliegen, noch bevor ich danach greifen konnte. Neben mir trat er an das Regal und wie versteckt drifteten meine Pupillen zur Seite, als er sich hinauf streckte und seinem oberen Fach treu blieb. Wieder regte sich mein Hals unter dem trockenen Schlucken. Ein Zittern erfasste meine Hände, bevor ich mich abermals abwandte und ging. Ich rieb mir das Gesicht und wie entsetzt hörte ich kurz darauf diese Schritte hinter mir. Nun ging er diesen Weg doch zum erneuten Mal? Wie sehnte ich mich danach, seine Rolle einzunehmen und derjenige zu sein, der die Kehrseite des anderen vor sich sah. Wie würde ich mich austoben, wie wenig Zurückhaltung walten lassen, doch er hielt sich hinter mir. Langsam tastete ich nach meinen Kragen und lockerte ihn. Ich befürchtete, schmählich zu ersticken in der Rolle, in der ich ihm ausgeliefert war. Wie befreiend war es, als wir uns wieder unter das Gemenge der Wissenschaftsabteilung mischten. Das Schweigen und die Stille waren weitaus erträglicher, wenn die Umwelt von Stimmengewirr erfüllt wurde. Worte umströmten uns, Gelächter und Stöhnen. Das Schlürfen, wenn einer der Wissenschaftler an seiner Kaffeetasse hing, das Rascheln der Unterlagen, die zur Hand genommen wurden und das Quietschen der Stühle. Ich konzentrierte mich gerne auf diesen äußeren Tumult, blickte um mich und lenkte mich ab. Rokujugo, River, selbst Johnny, der sich in letzter Zeit nicht viel geregt hatte. Er schien wirklich zu schlafen und in diese Gedanken vertieft, griff ich nach den nächsten Akten, zog an Kanda vorbei und ging jenen Weg zum erneuten Mal. Er würde mir folgen, distanzierte sich nie weit genug von mir, um mich vergessen zu lassen, dass er hier war. Und wieder nahm ich es auf mich. Seine Schritte und das Pochen meines Herzens erhoben sich annähernd schmerzhaft, als ich zurück in die beiden Zimmer trat und strauchelnd das Regal erreichte. Ich musste mich beruhigen und abermals rang ich nach Atem, als ich die Akten verstaute und Kandas Bewegung hinter mir wahrnahm. Meine Finger klammerten sich um die Akten und mit einem Mal war ich bereit zur Kapitulation, senkte den Kopf und schloss die Augen. Er konnte es ruhig sehen. Seinen Triumph, mein Resignieren sowie die Verkrampfung meines Körpers, der mich wahnsinnig werden ließ in dieser Lage. Mein Leib schien sich unter seiner Wärme zusammenzuziehen. Zögernd atmete meine Nase seinen Geruch und nur leicht öffnete ich die Augen und spähte zu ihm. Verstohlen, unauffällig, und ich sah ihn so nahe neben mir stehen wie noch nie zuvor. In meinem Hals bildete sich ein Druck, zuckend verhärtete sich mein Griff in die Akten und verbissen schloss ich die Augen erneut. Er sollte sich fernhalten, sollte verschwinden! Ich presste die Lippen aufeinander und es brauchte nur eine annähernd unmerkliche Berührung, um mich in die Höhe fahren zu lassen. Sein Hemd streifte meine Schulter, als er sich beiläufig in meine Richtung neigte und wie erschreckend war die Leichtigkeit, mit der mir der Rest meiner Kontrolle entwich. Die Macht über meine Hände, die sich abrupt von den Akten lösten und zur Seite schnellten. Sie bewegten sich blind, doch erreichten Kanda zielstrebig und wie unerbittlich und stark war der Griff, als ich seinen Arm zu fassen bekam. Mein Leib entwickelte ein Eigenleben, als wäre er meinen Gedanken weit voraus und meinem Willen überlegen. So handelte er ohne meine Erlaubnis und wie dröhnten die Regale, als ich Kanda herumzog und gegen sie rammte. Er wehrte sich nicht, ließ mich herrschen und wie gnadenlos klammerte ich mich an ihn und ließ ihn die Kanten der Fächer im Rücken spüren. Laut brach mein Atem hervor, als ich ihn fixierte, Stück für Stück zu mir zurückfindend, realisierend, und doch nicht von ihm ablassend. Wie benebelt erkundeten meine Augen seine reglose Gestalt und wie stechend drang die Tatsache zu mir, dass er sich tatsächlich in keiner Weise zur Wehr setzte. Er hatte sich unterworfen, sich formen lassen und wie verbittert stemmte ich mich gegen ihn, presste die Lippen aufeinander und erwiderte bald darauf seinen bizarren Blick. Es war keine Wut, die mir entgegenschlug. Keine Bestürzung. Weshalb auch? Er hatte doch gewusst, dass meine Selbstdisziplin niederzuringen war. Es war still geworden. Ich keuchte in der völligen Lautlosigkeit des Raumes und klammerte mich an ihn. Nun hatte ich ihn dort, wo er sich so oft in meiner Fantasie befand. Zwischen mir und dem Regal, doch es war anders als erwartet. In meiner Vorstellung hatte er sich zur Wehr gesetzt, doch hier stand er völlig regungslos. Den Kopf etwas zurückgeneigt und die leicht geöffneten Augen auf mich gerichtet. Hinnehmend, doch gleichzeitig lauernd und analysierend, den Griff meiner Hände unbeachtet abtuend. Und wie trieb es meinen Leib zu ihm! Wie wurde er angezogen, wie stockend neigte er sich ihm entgegen, während ich mich gleichsam von ihm loszureißen versuchte! Ich durfte es nicht, ich wollte es dennoch und wie windete ich mich in meinem kläglichen inneren Kampf! Seine Reglosigkeit war nicht viel mehr als bloßes Austesten! Ich verzog das Gesicht, als sein warmer Atem betörend meine Haut streifte und mit einem Mal stieß ich mich zurück und fort von ihm. Ich siegte und widerstand, entfernte mich von ihm, doch nur ein Stück, da erwachte er zum Leben und tat es so rasch, dass ich seinen Bewegungen weder folgen noch beikommen konnte. Kaum zog ich mich zurück, da bekam er mich zu fassen und nur ein abgehacktes Ächzen drang über meine Lippen, als er die Herrschaft an sich riss und unsere Positionen wechselte. Ich verlor das Gleichgewicht, strauchelte und wie schmerzhaft traf ich kurz darauf selbst auf die Kanten des Regals. Er drängte mich gegen sie. Abrupt und gnadenlos, fixierte mich an der Stelle, der er mühelos entkommen war und wie kläglich blieb mein Versuch, mich zu befreien. Es war die erste unüberlegte Reaktion auf diesen Schrecken. Meine Hände fuhren in die Höhe, doch kaum erreichten sie Kandas Leib, da zuckten sie schon zurück vor dieser Berührung. Ich war wehrlos, trotz all meiner Kräfte und Fähigkeiten und regte mich nur stockend an den spitzen Kanten. Er reagierte so schnell, als hätte er diesen Zeitpunkt vorausgesehen. Als wäre ich der einzige, der hier und jetzt überrascht wurde. Fassungslos starrte ich in seine annähernd schwarzen Augen, die meinen verstörten Blick erwiderten. Sie waren undurchdringlich wie eine finstere Mauer und noch immer konnte ich nicht einmal annähernd erahnen, was in ihm vor sich ging. Nur beiläufig spürte ich, wie sich seine Griffe an meinen Schultern lockerten und seine Hände meine Arme hinab glitten. Seine Berührungen wirkten abgrundtief irreal, doch gleichzeitig so intensiv und präsent, dass sie mich das Fürchten lehrten. Keiner meiner Alpträume war jemals finster genug, mir ein solches Trugbild vorzusetzen. Dass es seine Hände waren, die sich streckten und mich erreichten. Dass nur eine dünne Schicht Stoff meine Haut von seiner trennte. Was für ein vollendeter armseliger Idiot ich war. Vor kurzem noch thronte ich auf meinem süßen Wissen und seiner Ahnungslosigkeit und nun lag ich im Dreck zu seinen Füßen. Nur eine Bewegung hatte mich zu Boden gerissen und ihn emporgehoben und wie erbärmlich spielte ich nun die Rolle der Hülle, als hilf- und wehrloser Teil der Situation. „Verrate mir eines.“ Seine Stimme erreichte mich leise und doch zuckte ich merklich zusammen. Wie abgrundtief sehnte ich mich danach und fürchtete mich gleichzeitig davor, dass er diese abstruse Situation auflöste, mich verhöhnte und beleidigte, da ich mich hier und jetzt so offensichtlich nach ihm verzehrte. Was auch immer er mir gab, ich würde es ertragen. Eine andere Wahl blieb mir nicht. Nur zitternd und dünn sickerte der Atem über meine Lippen, als er seine schürzte, den Blickkontakt gnadenlos aufrechterhaltend. „Wie dumm müsste ich sein“, flüsterte er dann, „um auf dich hereinzufallen?“ Mein Mund war trocken und nur beiläufig spürte ich die Regung meines Halses, als ich ein Schlucken hinabwürgte. „Wer in dieser Welt Verstand besitzt, bemerkt und sieht viel, aber zeigt es nicht. Auch sich selbst gibt man nicht preis.“ Er verengte die Augen und abermals versuchte ich mich kläglich darin, diese Regung zu deuten. Es war zu viel. Die Momente machten mich klein und ließen mich grenzenlos frieren. Ein Schauer durchlief meinen gesamten Körper, als ich eine untergründige Verschlagenheit in seiner Mimik auszumachen glaubte. „Gerade du dürftest das doch wissen.“ Meine Augen machten mich darauf aufmerksam, dass ich nicht mehr blinzelte und konfus tat ich es. Seine Finger hatten meine Handgelenke erreicht und wie haltlos verkeilte und zerwarf sich mein klarer Gedankenfluss bei den beiläufigen Berührungen. ‚Wie erbärmlich‘ war das einzige, das ich begriff. Als er von meinen Alpträumen erfuhr, lüftete sich in meinen Augen dramatisch der Vorhang meiner Maskerade, dabei schien er für ihn niemals vorhanden. Offenbar war es mir nie gelungen, ihn zu täuschen, ohne dass ich es wusste. Er war und blieb der Sieger, während ich mich für undurchschaubar hielt und somit lächerlich machte. Geweitet fanden meine Augen zu seinen Lippen, als sie sich verzogen, dezent und verborgen ein Grinsen andeutend. Der Puls schlug dumpf in meinen Ohren. „Du hast für reichlich Abwechslung gesorgt aber ich denke, an diesem Punkt genügt es.“ Seine Hände lösten sich von mir, hoben sich und wie gnadenlos kerkerten mich seine Arme ein, als sie sich zu meinen Seiten gegen das Regal stemmten. Hörbar erhob sich gleichzeitig sein tiefes Durchatmen, unter dem sich seine Schultern hoben und senkten. „Wir sollten uns mal unterhalten.“ Vor kurzem spürte ich noch, wie meine Knie zitterten und meine Muskeln spannten. Vor kurzem fühlte ich mich noch wie eine Statue aus Stein, die sich nicht bewegen könnte, hätte sie es gewollt, doch mit jedem Moment zentrierte sich mein Bewusstsein mehr und mehr in dem Bild, das mir meine Augen boten. Ich sah sein Gesicht, sah jede Feinheit, die ich so lange aus der Ferne bewunderte, nicht immer daran denkend, was die Distanz meinen Augen verwehrte. Auch in jenem ausgebrannten Haus besaß ich nicht die Ruhe, jeden seiner Züge zu würdigen. Zu gierig war ich, zu erpicht darauf, alles an mich zu reißen, was mir so lange verwehrt blieb. Hier jedoch war er mir nah, hier blieben seine Augen auf mich gerichtet, so unausweichlich und energisch, dass ich bald glaubte, mich in seinen schwarzen Pupillen selbst zu erkennen. Sein Mund schwieg erst seit wenigen Augenblicken, doch selbst eine Sekunde schien sich abrupt zu strecken und machte das kurze Schweigen zu einer Ewigkeit, in der die Regungen meines Inneren nur schleppend zum Leben erwachten. Während ich seinen Blick erwiderte, unbeugsam und nicht weniger ausdrücklich, da spürte ich, wie das schmerzhafte Rasen meines Herzens an Kraft verlor, wie Stärke und Ruhe in meine Knie floss und eine unpassend erscheinende Entspannung in meine Muskeln. Als wäre dies der richtige Moment, sich fallen zu lassen, dabei war ich doch weit davon entfernt zu kapitulieren. Meine Hände, soeben noch zu verkrampften Fäusten geballt, lockerten sich. Unter einem tiefen Ausatmen sanken meine gestrafften Schultern und ein einziges Blinzeln schien die Ewigkeit enden zu lassen. Was sie zurückließ, war ein dumpfer, warmer Strom, der durch meine Glieder floss und das seltsame Gefühl, die Kontrolle zurückerlangt zu haben. Als wären all meine Angst und Aufregung in das Bild vor meinen Augen geflossen und somit aus meiner Seele hinaus. Sein Gesicht zog mich in seinen Bann und erinnerte mich daran, wodurch dieses lächerliche Spiel seinen Anfang nahm. „War es das wert?“ Seine Stimme ließ mich abermals blinzeln und löste mich um ein Stück von dem Bann, unter dem ich stand. Noch immer keine Regung in der Mimik, die ich so akribisch erforschte. „Wenn du dich der Welt so zum Fraß vorwirfst, wird sie zum Vorschein bringen, was du wirklich bist.“ „Was bin ich denn?“ Meine Stimme reagierte, bevor es meine Gedanken taten. Als hätten sich Puppenfäden um mich geschlossen, deren Führung ich mich unterwarf. Noch immer hielt ich seinem Blick stand, noch immer suchte ich mich in dieser bodenlosen Schwärze und wie seltsam war es, dass ich mich annähernd ebenbürtig fühlte, obwohl er mich vor wenigen Momenten zu Boden und in den Dreck zu seinen Füßen schmetterte. „Dunkel“, hörte ich in dem Moment sein Flüstern und wie entfernt wirkte das Grinsen, das flüchtig an meinem Mundwinkel zog. Ich fühlte mich wie ein Verbrecher, der unter einem kapitulierenden Schmunzeln seine Maske fallen ließ, da man ihn hinter ihr erkannte. Während ich Atem schöpfte, regten sich meine Finger. Sie wurden unruhig, als wäre es nicht die Luft dieser kleinen Kammer, die sie berühren wollten. „Vermutlich bin ich das wirklich.“ Ich spürte die Trockenheit meiner Lippen, spürte auch die Bewegung meines Armes. Er hob sich, folgte der Hand, die sich stockend Kanda näherte und ich hinderte sie nicht daran. Meine Aufmerksamkeit blieb seinem Gesicht treu und suchte abermals nach dem verräterischen Zucken, dem ich mich zu beugen hätte. „Aber wenn ich dunkel bin, macht dich das nur noch heller.“ Immer weiter näherten sich meine Finger seinem Gesicht. Ich glaubte einzutauchen in seine warme Nähe und noch immer tat er nicht viel mehr, als mich anzusehen, ohne Regung oder Zurückweichen. Wie ein Raubtier taxierte er mich, doch gleichzeitig mit unpassend erscheinender Nachgiebigkeit. Es hatte viele Gelegenheiten gegeben und er hatte nicht nur die erste verpasst. Was blieb mir anderes übrig, als mich voranzudrängen, wenn er mir den Raum gab? Erneut atmete ich tief ein, schluckte gegen die Gewaltigkeit der Worte, die in mir höher stiegen, erschauderte unter der Kälte, die flüchtig durch meinen Körper kroch und dann beugte ich mich ein weiteres Mal den Dingen, gegen die ich mich nicht wehren konnte. Stockend setzten sich meine Fingerkuppen auf seine Wange. Ich hatte ihn tatsächlich erreicht und wie stimmlos brachte ich letztendlich über die Lippen, was in mir emporwucherte. „Du bist überwältigend“, ächzte ich. Ich glaubte, eine Regung in seiner Miene zu erkennen, war aber nicht genug bei Sinnen, um sie einzufangen und zu hinterfragen. Ich berührte ihn tatsächlich und hatte dafür noch weder Wort noch Schlag geerntet. Ich spürte die Wärme seines Körpers, als meine Finger höherdrifteten, über seine Wange, bis hin zum Ohr und als ich die Handfläche auf seiner Haut bettete, da verlor so viel an Wert. Ob er bemerkte, wie ich erschauderte. Ob er sah, wie ungläubig ich blinzelte. Selbst die Tatsache, dass er sich immer noch nicht bewegte. All das spielte keine Rolle mehr. Ich befeuchtete meine trockenen Lippen mit der Zunge, ehrfurchtsvoll drangen meine Fingerkuppen in sein Haar. „Ob es das wert war?“ Wieder spürte ich das Zucken an meinem Mund. „Ich zeige dir so viel meiner Dunkelheit, wie du erträgst. Du hast mich durchschaut? Ich verrate dir noch etwas.“ Langsam löste sich mein Rücken von den Kanten des Regals. Nur um ein kleines Stück, um sich ihn zu nähern. Meine Stimme senkte sich erneut zum Flüstern, während er seiner Starre treu blieb. „Wenn dein Widerstand zu halbherzig ist, kommst du nicht von mir los. Zeig mir meinen Platz oder ich werde warten, bis du mir wieder ausgeliefert bist.“ Seine Lippen bewegten sich. Es machte den Eindruck, als wolle er etwas sagen, doch letztendlich blieb er weiterhin still und flüchtig drifteten meine Augen zu seinen weißen Zähnen. Jedes Fragment, das er mir bot, machte es mir unmöglich, loszulassen, was ich nach so langer Zeit zu fassen bekam. Hier und jetzt würde ich ihn verschlingen, wenn er mir nicht endlich eine deutliche Schranke aufzeigte. Ich tat einen Schritt, unauffällig und langsam, doch jeder Zentimeter, den ich überwand, war so unsagbar bedeutungsvoll. Absent driftete meine Hand über seine Wange und bedeckte sein Ohr, während die andere versteckt seinen Leib erreichte. Meine Finger berührten den Stoff des Hemdes und hielten inne, als ein warmer Atemzug mein Gesicht streifte. Ein tiefer Atemzug, der als Kapitulation gewertet werden konnte, doch gleichzeitig auch als Ringen um Beherrschung. Als wären seine Hände kurz davor, sich zu Fäusten zu ballen. Und wie faszinierte mich diese Ungewissheit, das mir überwiegend unbekannte Gespinst seines Charakters, das mich tagtäglich überraschen konnte. „Wehr dich“, drang das eigene Flüstern an meine Ohren. Es klang wie eine Bitte, doch überwiegend wie eine Drohung, denn er wusste, was geschehen würde, würde er seiner Starre weiterhin treu bleiben. Nicht zuletzt las er es in meinen Augen, die seinen Stück für Stück näher kamen. Ich erkannte die feinen Strukturen seiner annähernd schwarzen Iris, doch ebenso ein unscheinbares Zucken seiner Mimik und der Traum schien zu zerreißen, der warme Strom zu erstarren, als er tatsächlich eine Hand vom Regal löste. Während sich meine Finger noch immer ehrfürchtig mit dem Stoff seines Hemdes zufrieden gaben, setzte sich seine Hand ohne jedes Zögern auf meine Brust und trieb mich zurück gegen die Kanten des Regals. Langsam und sachte, jedoch unerbittlich vergrößerte sie den Raum zwischen uns. Meine Hand glitt von seiner Wange, während die andere unscheinbar den Stoff seines Hemdes zu fassen bekam. Sie blieb ihm nahe, klammerte sich an ihn und würde es auch weiterhin tun. Ich hatte ihm gesagt, was geschehen würde, wenn sein Widerstand halbherzig war. „Ich bin überwältigend?“, erhob sich endlich wieder seine Stimme und wenn auch unterschwellig, ich glaubte, einen Vorwurf in seinen Worten wahrzunehmen. Eine kühle Mauer schien sich zwischen uns zu erheben, als ich die Regung seiner Miene als leisen Zorn deutete. „Was weißt du schon von mir?“ „Du erkennst Masken, weil du selbst eine trägst“, antwortete ich. Er drängte mich zurück, doch meine Beherrschung blieb dieselbe. „Bei mir ist es nicht anders. Der Unterschied zwischen uns ist der, dass du etwas Wunderschönes versteckst.“ Absent begann ich mich mit seinem Hemd zu befassen, fühlte den Stoff, bewegte ihn zwischen den Fingern. „Letztendlich bist du wohl ein besserer Mensch als ich, denn es ist viel nobler, ein gutes Wesen zu verstecken, als ein schlechtes. Das ist der Grund. Man kann nicht verleugnen, was man gesehen hat. Und ich habe viel gesehen.“ Ich spürte ein unwillkürliches Lächeln auf meinen Lippen. „Einen Lügner zu täuschen ist schwer.“ Ich begriff es nicht - das Grinsen, das kurz an seinem Mundwinkel zog. Er schien amüsiert, doch gleichzeitig spürte ich in dieser Geste noch immer die kühle Präsenz des Zorns. Als würde es ihn nicht besänftigen, dass ich ihn als ‚nobel‘ bezeichnete. Vielleicht legte er wirklich so großen Wert darauf, nicht als guter Mensch gesehen zu werden. „Wer sollte dich kennen, wenn nicht ich?“, fuhr ich fort. „Mein Charakter macht mich zu besten Mitwisser, denn ich bin viel zu habgierig, um dich zu verraten. Ich nehme, was du mir gibst und gebe es nicht wieder her. Es ist nicht rückgängig zu machen. Nichts von alledem. So oder so, du wirst mit meiner Zuneigung leben müssen.“ Ich sprach weiter, denn es gab so viel, das ich ihm sagen wollte und wieder hätte er eine deutliche Grenze zu ziehen, wenn er wollte, dass ich schwieg. Während ich tiefen Atem schöpfte, zog meine Hand an seinem Hemd, als wäre mein Körper selbst diese geringe Distanz leid. „Wie hast du das geschafft?“, flossen weitere Gedanken aus mir. „Bei allem, was du erlebt hast.“ Unschlüssig suchte ich nach Worten. „Wie konntest du nur so rein bleiben?“ Wieder sah ich es, dieses seltsame, angedeutete Grinsen, unter dem er kurz den Kopf senkte. Doch sein Zorn war kaum noch spürbar, bildete ich mir ein. „Jeder Mensch wird ein Heiliger, wenn er mit dir verglichen wird.“ „Lass uns so sein, wie wir sind.“ Zielstrebig fand meine Hand zurück zu seinem Gesicht, inniglich zu seiner Wange und mit einem Schritt hatte ich ihn erneut erreicht. Sein Rückzug war nur zu erahnen, so dezent lehnte er sich zurück. Nicht einmal annähernd weit genug, um meiner Nähe zu entkommen. Inständig neigte ich mich zu ihm, brauchte nur zu flüstern. „Gib nach. Wenigstens mir gegenüber. Ich werde dir zeigen, wer ich bin. Es wird keinen Zwang oder Grenzen geben. Wie sieht Freiheit aus, wenn nicht so?“ Soeben noch auf den Boden gerichtet, drifteten seine Augen zurück zu mir. Nur ein Blinzeln unterbrach den Blickkontakt, als ich über seine Braue strich, über die Wange. Meine Hände nutzten jede Freiheit, die er mir durch seine Untätigkeit schenkte. „Ich will nicht nur nehmen.“ Ich streckte mich ihm entgegen, die Hand auf seinem Hals, und wie gedankenlos schmiegte ich mich an ihn. Es schien richtig, der einzig mögliche Weg und ich schloss die Augen, Wange an Wange mit ihm und tief in seinem Kern voll Wärme und dem Duft, den ich so lange verehrte. Sein Haar streifte meine Nase, als ich tief durchatmete, die Hand auf seiner Haut regte, neu bettete. Er hatte sich nicht bewegt, doch diese Tatsache existierte nur noch am Rande. Spätestens jetzt hätte er zurückweichen müssen. Es war, als wäre sie verstrichen – die letzte Gelegenheit, mich zu stoppen. Hier lehnte ich mich an ihn, ihn berührend wie das fragilste Glas, völlig ergeben. „Ich gebe dir alles“, hauchte ich nahe an seinem Ohr, während meine andere Hand die Grenze des Stoffes hinter sich ließ. Sie bettete sich auf ihm, bettete sich auf seinen Rippen. „Gib nach.“ Ich hielt ihn fester, strich in seinen Nacken, in sein Haar, umarmte den Körper, der sich noch immer nicht bewegte. Wie eine Mauer, die sich nichts daraus machte, berührt zu werden. Trotzdem tat ich es, schloss den Arm um ihn und labte mich so endlos an diesen Augenblicken. Wenn er eine Fähigkeit besaß, erwachten die Gedanken stockend in mir zum Leben, dann war es die, zu zeigen, was ihm nicht gefiel. Er tat es mit eindeutigen Gesten, eindeutigen Worten, so direkt, dass es mitunter taktlos wirkte und es wäre ihm nicht schwer gefallen, meine Hände von sich fernzuhalten. Seine Reaktion wäre verständlich gewesen, denn es lag ihm, Schranken zu ziehen. Doch hier zeigte er mir keine und wie endlos würde ich ihn festhalten, wie endlos daran arbeiten, ihn weicher zu machen, ihn zärtlich zu brechen, damit er mir Raum in seinem Leben gewährte. All die Gesten, die er mir zukommen ließ, wollte ich erwidern. Ich wollte mich üben in seiner Raffinesse, die die Dinge anzugehen, wollte mehr erkennen als die wenigen Punkte seines Bildes, die sich vom Schwarz in ein tiefes Grau erhellten. Ich wollte ihn studieren wie die komplexeste Kunst, um den Umgang mit ihm zu perfektionieren und ihn soweit zu umsorgen, wie er es zuließ und brauchte. „Gib nach“, formten meine Lippen erneut. Mittlerweile umarmte ich ihn so fest, dass ich spürte, wie er atmete, wie sein Herz schlug, wie er zögerte. Vielleicht kannte er sie nicht. Vielleicht hatte er sie verlernt – die Nähe und Wärme, in die ich ihn einschloss und er regte sich nicht, als würden sie ihn lähmen. Dabei war er nicht gefesselt oder wehrlos. Es stand ihm frei, alles zu tun, doch sein Herz schlug ruhig, langsam und regelmäßig. Selbst seine Muskeln waren entspannt. Ich fühlte kein Zucken, keine Regung, und ebenso wenig die seines Armes. Mit geschlossenen Augen schmiegte ich mich an ihn, restlos berauscht durch die pure Nähe und ich blieb ihr treu, mich um keinen Deut von ihm entfernend. Alles war lautlos, alles war still und wie abrupt setzte sich alles in Bewegung, als ich eine Berührung auf dem Rücken spürte. Vorerst nur das Kitzeln des Stoffes, doch ein leichter Druck folgte und wie gefror der Atem in meiner Brust, als sich eine fremde Hand auf meinen Rücken bettete. Nicht unentschlossen, nur langsam senkte sie sich hinab, keinen großen Druck aufbauend, jedoch spürbar und wie unwillkürlich verstärkte sich meine Umarmung. Es war das letzte fehlende Teil und endgültig schloss ich ihn in die Arme. Wie faszinierend war allein diese dezente Berührung. Faszinierend, da sie so widersprüchlich war wie der Rest seiner Persönlichkeit. Kanda tat nichts, ohne die absolute Überzeugtheit, es zu tun. Ich sah ihn noch nie zögern, sein Handeln nie unterbrechend und auch diesmal tat er es nicht. Seine Hand blieb ihrem Platz treu. Kurz darauf spürte ich ihre Wärme, die durch den Stoff meines Hemdes drang und wie genüsslich reagierte mein Körper mit einem tiefen Durchatmen. So harrten wir aus. Weitere Worte schienen nicht mehr nötig. Er gab mir mehr, als ich erwartet hatte und wie atmete ich seinen Geruch. Wie wünschte ich mir, er würde mir von jetzt an gehören und ein Teil von mir werden. Meine Finger verloren sich in einem leichten Kraulen, als hätten sie noch nie etwas anderes getan und die Welt schien so endlos weit entfernt, während wir nur dort standen. Während er endlich nachgab. Es machte wohl oft den Anschein, doch hier ging es nicht nur um mich. In gewissen Gebieten war ich gierig, doch der Kontakt zu ihm machte mich teilweise absolut selbstlos und pflanzte mir den Willen ein, ihm mindestens ebenso viel zurückzugeben, wie er mir gab. Auch ich würde mich fallen lassen. Ich hatte es ja schon längst, wenn er den Gegenpart darstellte. Meine Alpträume waren ihm kein Geheimnis mehr. Meine finsteren Abgründe ebenso wenig. Ich würde den Vorhang lüften und daran arbeiten, dass er es ebenso tat. Verschwommen drangen Geräusche in den engen, warmen Radius meines Bewusstseins. Ich glaubte, es waren Schritte und ich schenkte ihnen nicht viel Beachtung. Sie erhoben sich in der Nähe, wurden lauter und trübe blinzelte ich, als ich begriff, dass sie zu uns führten. Jemand drang ein in unseren Kern, jemand zerstörte die Stille und gedankenlos umarmte ich ihn fester, als wolle ich ihn nicht loslassen. Dabei hatte ich doch längst begriffen, dass ich es musste. Stimmen erreichten uns und kurz darauf löste sich die Hand von meinem Rücken. Ich verlor ihre Wärme, verlor ihren spürbaren Druck und ein letztes Mal versenkten sich meine Finger im Stoff seines Hemdes, bevor ich mich von ihm losriss. Kälte drang zwischen uns, als ich zurücktrat, die Hände in die Hüften stemmte und dann blickte ich zur vorderen Tür der Lagerräume. Die Schritte endeten vor ihr, kurz darauf öffnete sie sich und herein traten zwei Finder. In ein heiteres Gespräch vertieft und beladen mit Akten, die mir bekannt vorkamen. Da standen wir nun, als sie sich zu uns gesellten. „River hat uns gebeten, Ihnen zu helfen“, begrüßte uns der eine, während der andere seinen Stapel ausbalancierte. Sie zogen an uns vorbei, traten an das Regal und vorerst wortlos verfolgte ich, wie sie sich ihrer Last entledigten. Erst jetzt erinnerte ich mich an die Aufgabe, die zu diesen Momenten führte. Zuerst hatte es nur Kanda und mich getroffen und jetzt kam River doch auf die Idee, Verstärkung zu senden. Ich rümpfte die Nase. „Soweit ich mich erinnere, meinte er, vier Hände wären für die Aufgabe genug, also könnt ihr es doch auch komplett übernehmen.“ Im ersten Moment perplex drehten sie sich zu uns um, nickten aber im nächsten. „Sehr gerne. Das ist kein Problem.“ „Danke.“ Ich atmete tief ein, tief aus, rieb mir den Mund und begriff, dass es hier und jetzt keine Fortsetzung geben konnte. Der Augenblick war zerrissen, auch Kandas Wärme spürte ich nicht mehr auf meiner Haut und ein seltsamer Druck in meinem Kopf wies mich darauf hin, dass ich Abstand brauchte und Ruhe für Gedanken und Ordnung. Ich hatte so endlos viel bekommen und versuchte mich davon zu überzeugen, dass man nichts verschlingen musste, wenn man es auch stückweise genießen konnte. Diese Gelegenheit stand mir offen, sagte ich mir. Kanda war näher gerückt. Die Entfernung war gesunken und so würde es mir leichter fallen, ihn zu erreichen. Hier endete nichts. Hier begann alles. Zielstrebig fanden meine Augen zu ihm zurück. Sein Gesicht hatte ich in den letzten Augenblicken nicht mehr gesehen, doch es zeigte dieselbe Beherrschtheit, die ich von ihm gewohnt war. Sein Herz schlug ruhig und die Gedanken hinter seiner entspannten Miene konnte ich nicht lesen. Wie ich es gewohnt war. Vorerst würden wir uns trennen. Vorerst musste ich ihn loslassen. ‚Zieh dich nicht zurück‘, versuchte ich ihm wortlos zu sagen, bevor ich mich abwandte. Ich kehrte ihm den Rücken, winkte den beiden Findern und rieb meinen Nacken, als ich hinaus in den Flur trat. -tbc- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)