Unseen Souls von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 16: 16 -------------- Eisig blies der Wind auf der riesigen Steppe Belgiens. Es war eine reine, kalte Natur, die mich auf dem letzten Stück des Weges begleitete. Leichter Schnee fiel, wurde von den Böen in ein einziges Gewirr gestürzt und erschwerte mir die Sicht. Es war schwierig, an der Richtung festzuhalten, doch weit entfernte Umrisse eines Berges erleichterten mir die Sache. Tief in den Mantel gehüllt und Tim unter dem robusten Stoff verbergend, stieg ich durch das gefrorene, mit Schnee belastete Gras. Wild flatterte mein Mantel in dem Wind und nicht selten schirmte ich die Augen mit der Hand ab, um mich nach jenen Berghängen umzusehen. Der Schnee machte die Nacht etwas heller. Es musste bereits in den Morgenstunden sein. Als ich den Bahnhof Belgiens verließ, schlug die Uhr eins und seitdem war nicht viel Zeit vergangen. Aufmerksam festigte ich die Kapuze mit der Hand, schob mich an einem kahlen Gebüsch vorbei und sah ein Meer aus ebenso kahlen Bäumen vor mir. Als ich den Wald erreichte, verstummte das Pfeifen des Windes in meinen Ohren. Wie schwarze Schatten umgaben mich die Bäume, als ich meinem Ziel näher kam. Ein Verräter, also. Jemand, der meine Welt bedrohte. Meine Kameraden. Der sie auslieferte und sich selbst in Sicherheit wiegte. Es war eine der Missionen, die mich lockten. Eine Gelegenheit, meine persönliche Gerechtigkeit auszuleben und Exempel zu statuieren. Wer so etwas tat, blieb nicht dauerhaft in Sicherheit. Vor allem nicht, wenn ich auftauchte. Aufmerksam umging ich eine tückische Wurzel, schob mich unter einem Ast vorbei und streife die Kapuze tiefer in mein Gesicht. Unter meinem Mantel regte sich Tim, sanft streiften seine Flügel meinen Körper und flüchtig spähte ich zur Seite und zum Meer aus Stämmen und kargen Ästen. Schwarze Gebilde, die aus dem weißen Boden ragten und zwei Gestalten dennoch nicht vor meinen Augen verbargen. Sie folgten mir. Nicht sehr lange, noch nicht sehr weit, doch fühlten sich während der gesamten Zeit sicher vor meiner Aufmerksamkeit. Sie stellten sich nicht dumm an, waren vorsichtig, doch bestenfalls sicher vor den Augen eines gedankenlosen Menschen. Ich zog weiter und spürte unter den Sohlen meiner Stiefel bald das Eis eines Weihers. Er lag verborgen unter dem Schnee und ich versuchte ihn mit den Augen zu erhaschen, senkte das Gesicht und lauschte währenddessen dem leisen Knacken, das sich mit einem Mal rasch näherte. „Stehenbleiben!“ Abrupt erhob sich eine nachdrückliche Stimme hinter mir. „Wer bist du?!“ Forsch stellte man mir diese Frage und ich schöpfte tiefen Atem, tastete nach meiner Kapuze und streifte sie von meinem Schopf. Gleichsam wie ich mich umdrehte und die beiden Finder mit einem Lächeln grüßte. Augenblicklich verlor sich die Strenge aus ihren Gesichtern. Ihre Brauen hoben sich voll Verwunderung und grüßend winkte ich ihnen. Genüsslich verdrehte ich die Augen und seufzte unter dem herrlichen Kakao. Vor mir auf dem Tisch reihten sich schon die einen oder anderen Speisen und guter Laune leistete man mir Gesellschaft. „Schmeckt er Ihnen?“ Mit großen Augen neigte sich ein Koch aus der Menge und sofort nickte ich. Fast so gut wie der von Jerry. Ich nahm noch einen Schluck, wurde die Tasse los und zog einen Tiegel mit Würzfleisch zu mir. Behaglich begann ich zu essen, während sich mehr und mehr Finder um mich sammelten. Es waren etwa zwanzig, die hier stationiert waren. Neben wenigen Köchen, Ärzten und Mechanikern. Sehr viele waren es also nicht aber die, die es zu mir zog, hielten sich mit Fragen nicht zurück. „Wie geht es Komui?“, erkundigte sich ein junger Finder, der mir direkt gegenübersaß. „Ich war seit einem Jahr nicht mehr im Hauptquartier“, sagte ein älterer. „Hat sich dort viel verändert?“ Nur beiläufig schüttelte ich den Kopf. „Eigentlich gar nichts.“ Wieder versenkte ich die Gabel im leckeren Allerlei. „Und Komui geht es auch gut.“ So gut, wie es ihm eben gehen konnte. „Wie kommt es, dass Sie uns besuchen?“, folgte schon die nächste Frage und nur kurz lugte ich zu dem Finder, der grinste. „Wir haben uns nur gewundert, weil wir nichts davon wussten“, gab ein anderer zu. „Nicht, dass wir uns nicht freuen.“ „Ach.“ Schulterzuckend schob ich den leeren Tiegel von mir und hielt nach dem nächsten Ausschau. „Ich war nur in der Nähe und dachte, ich schau spontan vorbei. Ich muss auch bald wieder los.“ „Sie verlassen uns schon wieder, Walker?“ Ein weiterer Finder drängte sich durch die kleine Gruppe. Er sah nicht begeistert aus. „Sie sind ein angenehmer Gast“, freute sich der Koch, der hinter mir stand, als müsse er mit Adleraugen über meine Reaktionen auf das Essen achten. „Und, wenn ich das sagen darf, ein sehr guter Esser.“ Lachen erhob sich in der Runde und gelöst lächelte ich mit. Annähernd alle Finder hatte es an meinen Tisch gezogen und während sie lachten und ich es mir schmecken ließ, stellte ich mir nur eine Frage: Wo versteckte sich der Bastard? Als sich der Trubel legte und jeder Teller von seiner Last befreit war, begann ich mir das Lager zu betrachten, spazierte durch das riesige Zelt und irgendwann blieb ich stehen und blickte zum höchsten Punkt des Gebäudes auf. Die dicken Planen knisterten unter dem eisigen Wind, der sich von außen gegen sie drängte, doch hier im Innenraum war es behaglich warm. Ich war schon in so einigen Lagern gewesen, hatte Kräfte getankt, ordentlich gegessen, geschlafen und mich für weitere Wege vorbereitet. Es waren Zeiten, die mir positiv in Erinnerungen geblieben waren und ich hatte das Gefühl, dieses Lager, hier in Belgien, würde später nicht zu ihnen zählen. Ich war nicht auf der Durchreise, war auch nicht spontan hier und während ich mir die Einrichtung betrachtete, grübelte ich über den besten Plan. Ich hatte nicht vor, diese Mission in die Länge zu ziehen. Im Grunde war sie zu simpel, um sich lange mit ihr zu befassen und es dauerte nicht lange, bis ich auf die richtige Spur kam. Ein durch und durch sicheres Vorhaben, das ich auf die Morgendämmerung verlegte. Mit meinem Besuch würde es enden. Die Gefahren, die meinen Kollegen nach Verlassen dieses Lagers ausgesetzt waren sowie das falsche Spiel, das man mit ihnen trieb. Geheuchelte Freundlichkeit. Es gab den einen, möglicherweise auch noch den anderen, dessen Lächeln und dessen Freundlichkeit nicht der Wahrheit entsprachen. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis ich ihm auf die Schliche kam und er sich wünschte, nie geboren worden zu sein. Langsamen Schrittes betrat ich einen hinteren und leicht abgelegenen Teil des Zeltes. Ein Lagerraum, in dem ich das zu finden hoffte, was ich benötigte. An langen Regalen trottete ich vorbei. Die Augen auf die Aufschriften an Kisten und anderen Behältern gerichtet und es dauerte nicht lange, bis ich stehenblieb und mich zu einer Kiste hinauf streckte. Ich zog sie hervor, löste die Verriegelung und besah mir zufrieden die große Anzahl Golems, die hier auf ihren Einsatz wartete. Sie würden mir behilflich sein. Mehr brauchte ich nicht und letzten Endes nahm ich neun von ihnen an mich. Letztlich fand ich meine Ruhe in einem der Betten und in einer abgeschotteten Ecke, umgeben von Stille. Nur das Rascheln des schweren Stoffes, der sich immerfort unter dem Wind bewegte. Der weitere Verlauf der Mission stand fest. Ich nahm mir nur diese eine Pause und sie würde nicht lange andauern, bevor ich den Plan in die Tat umsetzte. Tims Schweif streifte meinen Arm und tief durchatmend umfasste ich seinen knolligen Körper mit beiden Händen und hob ihn vor mein Gesicht. „Du bist dick geworden“, sagte ich und er öffnete das Maul. „Bestimmt, weil du mir immer die Hälfte weg frisst. Irgendwann wirst du platzen.“ Mit großen Augen sah ich ihn an und ihn mit den Flügeln schlagen, als wolle er diese Warnung zurückgeben. „Ich platze nicht, wenn du darauf hinaus willst. Für mich ist es in Ordnung, soviel zu essen. Bei dir bringt es nur den Stromkreis durcheinander.“ Energisch schloss sich sein Maul um meinen Daumen. „Werd nicht frech.“ „Walker?“, erhob sich da eine Stimme und ich erkannte einen jungen Finder. Mit einem scheuen Lächeln trat er zu mir. „Störe ich Sie?“ Beiläufig bewegte ich den Golem auf der Decke und gleichzeitig fragte ich mich, woher ich das Gesicht kannte. „Nein.“ Ich knautschte Tim ein letztes Mal und entließ ihn zurück in die Freiheit. Sofort flatterte er in die Höhe und ich nahm kaum wahr, wie er sich in meinem Knie verbiss. Es musste das Wetter sein, das sich so negativ auf seine Stimmung auswirkte. Leise trat der Finder näher. „Erinnern Sie sich? Ich war etwa zwei Wochen mit Ihnen in Russland.“ Jetzt, wo er es sagte. Es war die Mission, auf die jene Besprechung folgte. Seitdem war viel passiert aber erinnern tat ich mich sehr gut daran. „Ach ja.“ Ich grübelte. „Johnson war der Name, nicht?“ „Ja, genau!“ Sein Gesicht erstrahlte. Er freute sich, dass es mir nicht entfallen war. „Ich wäre gerne weiter mit euch Exorzisten auf Reisen gegangen, wurde aber hierher versetzt.“ „Nicht besonders reizend“, murmelte ich. „Ist ganz schön kalt hier.“ „Da sagen Sie etwas Wahres.“ Lachend kratzte er sich im kurzen Schopf und nachdenklich presste ich die Lippen aufeinander. „Wie geht es Ihnen? Sie sehen sehr erholt aus.“ „Wirklich nötig hatte ich die Pause nicht“, erwiderte ich. „Mir war nur nach ein bisschen Wärme.“ „Sie brechen bald wieder auf?“ „In zwei bis drei Stunden.“ Träge machte ich mich lang und verstaute die Arme unter dem Kopf. „Je nachdem wie das Wetter ist. Ich gehe Richtung Tournai. Kennst du die Stadt?“ „Tournai?“ Nachdenklich rieb er sich das Kinn. „Der Name sagt mir etwas aber ich war noch nie dort.“ „Viel gibt es da auch nicht zu sehen“, sagte ich und begann mir das Dach des Zeltes zu betrachten. „Aber ich muss dorthin. Da kann man nichts machen.“ „Schätze nicht, nein.“ Wieder lachte er. „Ich würde trotzdem gerne...“ „Johnson?“ Plötzlich wurde er gerufen und wandte sich um. Er spähte zum Durchgang und ich zu ihm. Nur flüchtig und es dauerte nur wenige Momente, bis der leitende Finder erschien und ihn mit sich winken wollte. Als er mich sah, hielt er inne. „Haben Sie etwas mit Johnson zu besprechen?“, wollte er wissen aber das war nicht der Fall. Er konnte ihn mitnehmen und kaum hatte er sich verabschiedet, da kam ich auf die Beine. „Wohin führt Sie der Weg?“ Als ich dabei war, mir noch einen Kakao zu besorgen, leistete mir ein weiterer Finder Gesellschaft. „Ich muss nach Ronse“, antwortete ich und sofort nickte er. „Da war ich erst vor kurzem. Eine schöne Stadt.“ „Ja.“ Da konnte ich nur zustimmen und sofort ging das Interesse an dem Gespräch verloren, als ich die dampfende Tasse sah, die der Koch mir servierte. Mein Gesicht erhellte sich. „Vielen Dank.“ „Nicht der Rede wert.“ Stolz übergab der Mann mir die Tasse. „Scheuen Sie sich nicht, mit Wünschen auf mich zuzukommen.“ Geschmeichelt nickte ich, hielt die Nase in den Dampf und schlenderte davon. Vorbei an vereinzelten Tischen, auch an vereinzelten Hungrigen und es war einer, auf den ich im Vorübergehen aufmerksam wurde. Er saß alleine dort und ich schlenderte noch ein paar Schritte, bevor ich inne hielt. Ich runzelte die Stirn, ließ die Tasse sinken und kaum hatte ich mich zu ihm umgedreht, da war er auch schon auf mich aufmerksam geworden. Er hob die Brauen und ich den Zeigefinger. „Nach Halle ging es noch mal wo entlang?“ „Nach Halle?“ Er richtete sich auf und unter einem Seufzen ließ ich die Hand sinken. „Meine Orientierung war schon mal besser.“ „Das ist doch kein Problem.“ Sofort winkte er ab und verschaffte sich einen knappen überblick. Er spähte nach links, nach rechts und es dauerte gar nicht lange, da wies er in eine Richtung. „Nordost.“ „Wirklich?“, erkundigte ich mich aber er war sich sicher und so ging ich weiter. Ich hatte noch viel zu tun. „Warst du schon einmal in Nivelles?“ Beiläufig stellte ich diese Frage an einen Finder, als ich den Vorraum des Zeltes erreichte. Er war an einem Karton mit Unterlagen zugange, blickte nun auf. „Nivelles?“ „Dort muss ich hin.“ Genüsslich nippte ich an der Tasse. „Ist es eine schöne Stadt?“ „Da bin ich mir nicht sicher“, musste der Finder zugeben und ließ kurz von seiner Arbeit ab. „Ich bin seit einem halben Jahr hier stationiert und war davor auch nicht viel unterwegs.“ „Du weißt es nicht?“ „Nein.“ „Ich werde es sowieso bald herausfinden.“ Ich winkte. „Trotzdem danke.“ Verlegen winkte er zurück und kaum war ich weitergezogen, erhob sich schon wieder das Rascheln der unzähligen Blätter hinter mir. „Sie müssen nach Charleroi?“ Der leitende Finder blickte von seinen Unterlagen auf und wieder nippte ich an der Tasse. Dieser Kakao war einfach herrlich. „Mm.“ Ich wendete das heiße Getränk im Mund. „Haben Sie zufällig eine Karte?“ „Eine Karte.“ Nachdenklich sah er sich um. „Im Lagerraum ist gerade jemand mit Ordnen beschäftigt. Wenn Sie ihn fragen würden. Er kann Ihnen sicher weiterhelfen.“ „Danke.“ Verabschiedend hob ich die Tasse, verließ die Ecke des Zeltes und trödelte zu der anderen. Wo der Lagerraum war, das wusste ich und wirklich, da war ein Finder zugange und sofort fragte ich ihn. „Eine Karte, auf der Philippeville verzeichnet ist?“ „Genau, ich bin mir nicht sicher, den Weg dorthin ohne Karte zu finden.“ Mit einem Nicken wies ich zur Wand des Zeltes. „Gerade in diesem Schneegestöber ist es schwer, den Überblick zu bewahren.“ „Das stimmt.“ Gerne ließ der Finder von seiner Arbeit ab und kaum versah ich mich, da wühlte er schon in den einzelnen Regalen. Er suchte und rückte, bis er fündig wurde und kurz darauf hatte ich meine Karte. Es lief alles nach Plan. Im Verlauf der nächsten Stunde tat ich nichts anderes als umherzuwandern, den Findern Gesellschaft zu leisten und letztendlich doch nur die potentiellen Verräter auszuspionieren. Ich lachte mit ihnen, scherzte, log und heuchelte, während ich den vereinzelten die Namen verschiedener Städte unter die Nase rieb. Gewisse Richtungsangaben, die ich verteilte, jeden in einem anderen Glauben belassend. Mal kehrte ich nach Frankreich zurück, mal blieb ich in Belgien. Norden, Süden, Osten, Westen. Mein Weg führte überall hin und ich spürte, wie diese Bewegung in meinen Plan einfloss. Es war alles festgelegt. Schon während der Reise hatte sich mir die Möglichkeit offenbart, diese Mission in kürzester Zeit zu erledigen. Sie wirkte schwerer als sie war. Offiziell kam der Zeitpunkt meiner Weiterreise näher. Bleiben tat eine Stunde, an die ich mich zu halten hatte. Genug der Gesellschaft, genug der Vorarbeit. Ich zog mich in eine unauffällige Ecke zurück, um die letzten Vorkehrungen zu treffen. Reglos lagen die schwarzen Golems vor mir. Im Schneidersitz hatte ich hinter einer Plane Schutz gefunden und machte mich mit einem winzigen Schraubenzieher an den Kommunikationshilfen zu schaffen. Die Stimmen der Finder und des übrigen Personals drangen zu mir, jedoch nicht in meine Wahrnehmung, während ich die Lippen aufeinander presste, konzentriert die Augen verengte und die kleine Klappe des ersten Golems öffnete. Wenn man es einmal verstanden hatte, dann war die Technik nicht schwer zu durchschauen. Es war nicht das Gebiet, in dem ich groß auf mich aufmerksam machte, doch mein Wissen genügte den Zwecken der Mission und einen nach dem anderen Golem schaltete ich von den automatischen Einstellungen in die Manuelle, lokalisierte einen Ort und speicherte ihn in ihrem Bewegungszentrum. Sie würden dort sein, wo ich sie benötigte und mir zutragen, was sich an jenen Orten abspielte. In einem unauffälligen Beutel schmuggelte ich sie anschließend hinaus und machte mich selbst bereit für den Aufbruch. Es wirkte ernstzunehmend und so schlüpfte ich in die Uniform und streifte mir den Mantel über die Schultern. Ich brach auf und nahm mir nur kurz Zeit, mich von Findern zu verabschieden, die zu diesem Zeitpunkt Kontakt zu mir suchten. Ich schüttelte Hände, lächelte, wünschte ihnen alles Gute und nahm dankend den Proviant des Koches entgegen. Und ich lag zufriedenstellend im Zeitplan, als ich hinaus in die klirrende Kälte trat und hinter weit entfernten Bergspitzen den Sonnenaufgang vermutete. Es dämmerte bereits und ein mögliches Schneegestöber blieb aus, als wolle mich selbst die Natur in meinem Plan unterstützen. Nach einem letzten Wink setzte ich mich in Bewegung. Hart knackte der Schnee unter meinen Stiefeln. Mit jedem Schritt sank ich ein, jeder Schritt war beschwerlich, doch meine Sinne konnten sich nicht darauf richten. Sie lasteten viel eher auf der Tatsache, dass ich mich in die geplante Richtung bewegte. Gen Norden. Hin und wieder drehte ich mich um, sah das Zelt in seiner Größe abnehmen, immer mehr Distanz zwischen mir und jenem Lager und es war eine kleine Baumgruppe, die ich noch hinter mir ließ, bevor ich stehenblieb und den Beutel mit den Golems ins Freie zog. Ich gab es zu, ich war gespannt und einen nach dem anderen holte ich hervor, aktivierte ihn und ließ ihn in die programmierte Richtung flattern. Ich sah ihnen nach und kaum waren die schwarzen Punkte im weißen Nichts der Steppe verblasst, ließ ich Timcanpy einen Kanal zu jedem von ihnen öffnen. Meine folgenden Schritte tat ich leise und aufmerksam. Entweder ich wäre derjenige, der unerwartet auf den Feind traf oder dieser Zufall richtete sich gegen einen der Golem. Treffen würde es letzten Endes jemanden und im Grunde wünschte ich, ich wäre derjenige. Es würde mir die Sache erleichtern, doch vermutlich war solch ein Glück nicht auf meiner Seite. Das war es selten und ich hatte nicht das Gefühl, heute wäre einer dieser besonderen Tage. Ich stapfte weiter, mein Ziel lag auf dem Weg und keine halbe Stunde später durchquerte ich einen Wald. Hinter den kahlen Stämmen und Ästen erwartete mich eine weite, übersichtliche Flur und es war ein steinerner Vorsprung, den ich nutzte, um mich nieder zu kauern. Durch ein karges Gebüsch gelang mir die freie Sicht auf die Steppe. Würde sich dort auch nur etwas bewegen, sei es noch so gut getarnt, es wäre nichts, das meinem Auge entging. Tim hielt sich neben mir. Noch immer hielt er den Kontakt zu den anderen Golems, die sich im Gegensatz zu mir weiterbewegten. Nun hatte ich zu warten. Tief atmete ich durch, weiß beschlug mein Atem in der klirrenden Luft und irgendwann versenkte ich die Hand unter der Kapuze des Mantels und kratzte meinen Schopf. Hier und jetzt war es kein Problem, die Aufmerksamkeit abschweifen zu lassen und kaum gab ich mir diese Erlaubnis, da driftete ich auch schon zurück zu den letzten Tagen, die ich im Hauptquartier verbrachte. Mein Blick auf die weiße Ebene begann zu verschwimmen und nur ungern gab ich mich der Erinnerung an jene Alpträume hin. Es war seltsam. Zu manchen Zeiten blieb ich frei von Erlebnissen dieser Art. Zu gegebenen Zeiten schlief ich tief und ungestört, um am nächsten Morgen die Augen zu öffnen und mich wohl zu fühlen. Zeiten, in denen mir der Schlaf das brachte, was er versprach. Ohne finstere Überraschungen, Schweiß und das Zittern meines Körpers. Zu manchen Zeiten reihten sich jedoch diese Erlebnisse aneinander wie eine endlose Kette, die von vorn begann, sobald man ihr Ende erreichte. Etwas Derartiges war es wohl, das hinter mir lag und plötzlich stellte ich mir die Frage, wie ich mich dieser drückenden Enge entledigt hatte. Es war zuweilen schwierig, in die Realität zurückzukehren und ihr treu zu bleiben, sich zu erholen und jenen Alb zu vergessen. Oft schleppte ich mich über lange Strecken, bevor ich das erlebte, was man als den Alltag bezeichnete. Vorletzte Nacht, erinnerte ich mich, war es geschehen, doch nun kauerte ich hier und tat es so ruhig, als wären die letzten Tage und Wochen friedlich vergangen. Eine seltene Begebenheit, die mich mit vielen Fragen belud. Ich kannte mich doch. Ich kannte die Kraft, die ich aufzubringen hatte, hatte mich stets selbst therapiert, doch diesmal war es anders gewesen und ich spürte den Deut eines Schmunzelns, als meine Gedanken unaufhaltsam zu jenem Kameraden drifteten. Meine Lippen verzogen sich deutlicher, verstohlen senkten sich meine Lider und kurz darauf rieb ich mir das Kinn. Er. Vermutlich hatte er weitaus mehr getan, als ich zu jenen Zeitpunkten bewusst wahrgenommen hatte. Vermutlich war er fleißiger gewesen, als es den Anschein machte. Es war im Speiseraum passiert und wie leicht fühlte ich mich, als ich seine Rücksichtnahme realisierte. Es war eine Schwere, die von mir genommen wurde, je öfter er mir begegnete und eine verheerende Wirkung, die er allmählich auf mich hatte. Er ahnte ja nicht, wie versteckt meine Aufmerksamkeit auf seine versteckte Aufmerksamkeit reagierte oder was ich im Schilde führte und dachte, während er sich im Hauptquartier bewegte und das oft unter meinem verstohlenen Blick. Er ahnte nicht, wie ich von ihm dachte, wie ich ihn erkundete und erforschte. Wie eine finstere Höhle, die immense Schätze barg. Selbstsüchtig durch und durch. Bislang hatte ich ihm nichts zurückgegeben, hatte kaum auf seine Handlung reagiert, mich kaum von der Wärme locken lassen, die verborgen von ihm zu mir drang. Doch ich war kurz davor, zu einem Falter zu werden, der ohnmächtig seinem Licht entgegen taumelte. Er ahnte ja nicht, was er auslöste und wie interessant war für mich dieses Spiel. Er war darin verwickelt worden, ohne es zu bemerken, doch nicht schuldlos. Abrupt riss ich mich ein Rauschen aus meiner Abwesenheit. Sofort kehrte ich in die Realität zurück, bekam Tims Schweif zu fassen und zog ihn zu mir. Einer der Golem war ausgeschaltet worden und es brauchte nur einen kurzen Blick in Tims Hologramm, bis ich wusste, an welchem der insgesamt zehn Orte es geschehen war. Ich hob die Brauen, starrte weitere Augenblicke in jenes flackernde Bild und ließ Tim wieder fliegen. Es war interessant. Die anderen Golems waren unbeschadet auf dem Weg zu ihrem Ziel und grinsend kam ich auf die Beine. Mein Plan trug Früchte und mit einem Wink ließ ich Tim den Kontakt zu den Golem beenden. Ich wusste, was ich wissen wollte und so wandte ich mich dem kahlen Wald zu, den ich vor kurzer Zeit durchquerte. Ich kehrte um. „Tim!“ Kurz winkte ich meinen Golem mit mir, bevor ich zu laufen begann, dauerhaft und schnell. Das permanente Knacken des Schnees begleitete meine Schritte, flatternd tat es auch Tim und während mein Atem weiß vor mir beschlug, durchdachte ich die weiteren Schritte meines Planes. Auf wen ich zuzukommen hatte, das wusste ich jetzt. Naiv und unvorsichtig hatte sich mir der Verräter ausgeliefert. „Was ist passiert?“ Man wunderte sich, als ich den Eingang des Zeltes passierte und in den warmen Innenraum trat. Rasch fiel mein Atem, auch mein Haar war in einem zerzausten Zustand und während der leitende Finder mich bestürzt musterte, stützte ich mich auf die Knie und rang nach Luft. „Ich wurde angegriffen“, brachte ich hervor und richtete mich schwerfällig auf. Aus der Richtung mehrerer Finder, die zu mir getreten waren, vernahm ich Stöhnen. „Das kann doch nicht sein!“, erboste sich einer von ihnen. „Das ist jetzt schon zum vierten Mal passiert!“ Ächzend wischte ich mir eine dünne Schneeschicht von den Schultern, bekam meine Handschuhe mit den Zähnen zu fassen und streifte sie von meiner Haut. „Bei keiner unserer Patrouille sind wir auf den Feind gestoßen“, wunderte sich ein anderer Finder und ein Raunen ging durch die Reihen der anderen. „Mit diesen Zufällen stimmt doch etwas nicht!“ Genau das war der Fall, aber im Grunde konnten sie beruhigt sein, denn das Problem war fast gelöst. „Sind Sie verletzt?“, erkundigte sich der leitende Finder und sah mich den Kopf schütteln. „Ich bin nur hier, um mich aufzuwärmen. Verzeichnet den Vorfall in euren Unterlagen. Was mich angeht, ich mache mich bald wieder auf den Weg.“ Stirnrunzelnd und mürrisch zog sich der leitende Finder zurück und nur kurz blickte ich ihm nach, bevor ich mir einen Weg durch die noch immer wartenden Finder bahnte. Ich hatte es wieder auf den Koch abgesehen und es vergingen nur wenige Momente, da saß ich mit dem nächsten, heißen Kakao auf einer Bank und wurde von neugierigen Findern umringt. „Wie viele waren es diesmal?“, erkundigte sich einer von ihnen. „Bisher tauchten sie immer in großer Zahl auf aber die Exorzisten kamen meistens trotzdem unverletzt davon.“ Wie viele, das wusste ich nicht aber glücklicherweise mischte sich der Nächste ein, bevor ich eine Antwort erbringen konnte. „Miranda hat es einmal erwischt“, erinnerte sich ein Älterer und kratzte sich die Kapuze. „Gerade bei ihr hätte es wirklich schiefgehen können.“ Ich ließ die Tasse sinken, blickte auf und ein leichtes Stechen in der Brust ließ mich meinen abrupten Frust spüren. Man hatte sogar Hand an Miranda gelegt? Sie war keine Kämpferin. Ich runzelte die Stirn und entspannte mich bei einem tiefen Durchatmen. Mit jeder Erzählung, die man mir zutrug, hatte ich es eiliger, die Mission zu beenden und für Ruhe in Belgien zu sorgen. „Du“, wies ich mit der Tasse auf einen der Finder. „Hast du nicht erwähnt, niederländisch zu sprechen?“ „Ja.“ Sofort nickte der Mann. „Wieso fragen Sie?“ „Weil mich mein Weg bald in die Niederlande führt“, log ich. „Ich nehme dich mit.“ „Wie Sie wünschen.“ Er erklärte sich bereit und mein Blick driftete zu einem Älteren. „Und du warst lange in den Niederlanden stationiert? Heißt, du kennst dich dort aus?“ „Ja.“ „Dann trifft es auch auf dich zu. Ich brauche jemanden, der sich dort zurecht findet.“ „Wenn der Leiter des Lagers nichts dagegen hat?“ Das würde er nicht. Zufrieden nippte ich an meinem Kakao und begann zu grübeln. „Kennt sich hier jemand mit Rohstoffen aus?“ Erwartungsvoll spähte ich über den Rand der Tasse in die Runde und verfolgte, wie die Blicke zu einem Blonden drifteten. Schneller, als sich dieser selbst daran zu erinnern schien und die Hand hob. „Dann hätte ich die drei, die ich brauche. Wir machen uns nachher auf den Weg nach Eindhoven.“ Ich blies über die dampfende Oberfläche des Kakaos, ließ die Tasse nach einem weiteren Schluck sinken und kam auf die Beine. „Ich bin beim leitenden Finder.“ Ich bekam, was ich wollte. Bald darauf wartete ich am Ausgang des Zeltes auf die drei Finder. Sie hatten sich in wärmende Mäntel gehüllt, trugen ihre Ausrüstung und zufrieden nickte ich ihnen zu, bevor ich die Plane zur Seite strich und ein weiteres Mal hinaustrat. Der Schnee fiel wieder, doch nicht zu dicht. Bis zu den fernen Berghängen konnte man problemlos blicken und kurz sah ich Tim nach, der sich in die Höhe erhob und in den Windböen flatterte. So zogen wir los und lange Zeit ließ ich sie hinter mir, überließ sie ihren eigenen Gesprächen und vertiefte mich selbst in meine Gedankenwelt. Ich neigte dazu, bereits über diese Mission hinaus zu planen und mir die Frage zu stellen, was folgen würde, sobald ich diese hier erfolgreich hinter mir hatte. Alles, das uns bevorstand, war undurchsichtig. Jede Mission stellte am Ende eine Überraschung dar und so begann ich mich von den Gedanken zu distanzieren. Es brachte nichts außer Distanz zu dem Hier und Jetzt und es dauerte nicht lange, da trat ein, was meinen Erwartungen entsprach. Es war ein weiterer dieser kahlen Wälder, die wir soeben hinter uns gelassen hatten, kaum zwei Kilometer von jenem Lager entfernt. Erwarten tat uns eine Landschaft voller Hügel und Gebüschen. Kahl und unscheinbar ragten sie aus dem weißen Boden. Ein weißer Frieden, doch ich wusste, wie sehr er täuschte. Meine Schritte verlangsamten sich und bequem ließ ich mich zu den Findern zurückfallen. „Wie lange warst du in den Niederlanden stationiert?“, wandte ich mich an den Älteren. Ich verwickelte die drei in Gespräche. Es war eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben und außerdem war es mir wichtig, mehr über den einen zu erfahren. Ich stellte Fragen, erhielt Antworten und im Verlauf der nächsten Augenblicke kam es auch zu sinnlosen Unterhaltungen. Wir sprachen über Gott und die Welt, über alles und nichts und permanent hielt ich dabei Timcanpy im Blick. Leise begleitete uns das Knacken des Schnees. Ebenso gedämpft pfiff auch der Wind in meinen Ohren und es verging keine lange Zeit, bis Tim dort oben am Himmel zu hektischem Leben erwachte und kaum flatterte er zu mir hinab, verlangsamte ich meine Schritte. Heiter wurden die Gespräche in meinem Rücken fortgesetzt und während Tim mich umflatterte, blickte ich um mich, doch sah nichts. Näherten sie sich? Ich bewegte die linke Hand im robusten Handschuh, beiläufig streifte ich mir auch die Kapuze vom Kopf und allmählich ließ der Wortschwall hinter mir auch nach. Ich schenkte den Findern keine Beachtung, bewegte mich langsam und erwartungsvoll und blickte bald zu einem Hügel, hinter welchem sich dichte, weiße Wolken erhoben. Aufgestobener Schnee. Ich blieb stehen. „Was ist los?“ Unruhig wandte sich der Jüngste an mich und ruhig biss ich nach dem linken Handschuh und zog den Stoff von meiner Haut. „Walker?“ Auch dem Älteren war nicht mehr wohl zumute. „Was passiert hier?“, fragte er fast stimmlos und gemeinsam wandten sie die Köpfe. Ihre Augen weiteten sich, mit einem Mal verstummte jeder Laut und so blickten wir zu den monströsen Körpern einiger Level-1, die hinter einem entfernten Hügel hervor drifteten. Das Knacken hinter mir zeugte davon, dass die Finder zurückwichen. Nur Level-1? Langsam klemmte ich den Handschuh unter meinen Gürtel. Mein Auge reagierte längst und offenbarte mir die farblosen Schatten der verlorenen Seelen im Treiben der Schneeflocken. Stirnrunzelnd wandte ich mich ab und betrachtete mir die Umgebung. Niemand schickte Level-1 für einen ernstgemeinten Angriff. Erst recht nicht, wenn es sich um mich handelte. „Walker?“, erreichte mich abermals ein angsterfülltes Flüstern und mit einem Wink ließ ich die Finder weiter zurücktreten. „Versteckt euch.“ Sofort hörte ich ihre Schritte, als sie sich in Sicherheit brachten und sich doch nicht zu weit entfernten. Sie schienen Vertrauen in mich zu setzen, während sich der Feind näherte. Doch die Level-1 waren es nicht, denen ich Beachtung schenkte. Eher war ich noch immer damit beschäftigt, die Umgebung zu mustern. Bei diesen Gegnern konnte es nicht bleiben und beiläufig aktivierte ich mein Innocence. Schneidig bildeten sich die Krallen meiner Hand aus dem Nichts. Ein kühles Gefühl durchflutete meinen Arm, zeugte von jener Veränderung und wich einer kraftvollen Wärme, unter der ich die Hand bewegte. Kurz darauf kam der richtige Moment, sich den Level-1 doch zuzuwenden und nachdenklich verfolgte ich, wie sich knackend die Kanonen zu mir drehten. Sie wechselten die Richtung, richteten sich auf mich und es war ein einzelner, ohrenbetäubender Schuss, der den Anfang machte. Grell flammte das Mündungsfeuer vor dem weißen Hintergrund auf, zischend bewegte sich jenes Geschoß auf mich zu und rasch neigte ich den Kopf zur Seite und spürte das Pfeifen des Geschosses nahe meinem Ohr. ´Kaum war es dumpf in einem Schneebedeckten Hügel eingeschlagen, ging ich in die Knie und starrte in die verzerrten, reglosen Gesichter der Akuma. Ein Klicken zeugte davon, dass weitere Schüsse folgen würden. Gleichmäßig bewegten sie sich auf mich zu, gingen zum Angriff über und das einzige, was ich tat, war den Arm zur Seite zu reißen. Mit einem Mal entlud sich ein Teil meiner Kraft, dumpf breitete sich die Schockwelle meines Schlages aus und kein Geschoss fand die Zeit, aus den Kanonen zu preschen, da erhoben sich vor mir heftige Explosionen. Jeden der Körper zerriss es. Der verzerrten Gesichter zersprengten sich in alle Richtungen, doch ich war längst dabei, die Aufmerksamkeit zurück auf die Umgebung zu lenken. Ein Instinkt, der sich auszahlte, denn rauschend erhob sich der Schnee unter einer pfeilschnellen Bewegung, die mich fast erreicht hatte. Etwas verbarg sich im Boden und sofort ging ich in die Knie und sprang. Während der Wind um meine Ohren peitschte, spähte ich hinab und sah diese weiße Explosion des Schnees. Er stob auseinander, als ein Akuma aus dem Boden stieß. Ein Level-3. Ihre Stärke ließ sich nicht einschätzen und augenblicklich schlug ich die rechte Hand um das linke Handgelenk. Ein kurzer Griff, bis ich schon die Härte des Schwertknaufes spürte und bevor mich der Akuma erreichte, zog ich bereits das Schwert ins Freie und richtete es gegen den Hieb seiner riesigen Pranke. Von Stacheln und Krallen besetzt, traf sie unter einem dumpfen Laut auf die Klinge und kaum stürzten wir gen Boden, da schmetterte ich die Kreatur schon hinab und kaum schlug sie auf dem Boden auf, versenkte sich meine Klinge in ihrem Körper. Sie riss sie auseinander und mit einem dumpfen, knackenden Geräusch, als ich auf dem Schwertknauf aufkam und die Klinge noch tiefer drängte. Es ging rasch, doch mit einem Mal drangen Schreie an meine Ohren. Die Schreie der Finder, die ankündigten, dass es nicht mehr bei diesen Gegnern blieb. Ich fuhr herum, sprang von meinem Schwert und riss die Klinge ins Freie. Weitere Level 1 waren es, die sich im Schutz meines Rückens genähert hatten und ächzend flohen die drei Finder vor den Schüssen, die ihr Versteck hinter einem Hügel in die Luft jagten. „Walker!“ Es war der Ältere, der nach mir schrie und ein flüchtiges Stechen in der Herzgegend begleitete den Anblick, auf den er mich mit heftigen Winken aufmerksam machte. Eine weitere Spur unter dem Schnee, die sich diesmal jemand anderen zum Ziel genommen hatte. Ein weiterer Level 3? So rannte ich los, rannte durch den Schnee sowie die Finder vor jener pfeilschnellen Spur davon. Sie war schnell, doch kaum erreichte sie die Finder, tat auch ich es. Die Klaue, die aus dem Schnee schoss und sich geradewegs nach dem Älteren ausstreckte, löste ich mit einem Hieb vom Körper und kaum schlug der Arm im Schnee auf, da preschte der Akuma ins Freie. Ich schlitterte weiter, schlitterte an ihm vorbei und nur beiläufig bemerkte ich, dass der Schatten mir nicht folgte. Abermals verfolgte er die Finder. Ich fuhr herum, während sie um ihr Leben rannten, bis einer von ihnen stolperte. Es war der Jüngste, der stürzte und im Schnee aufschlug und nur einen Augenblick später erreichte mich ein gellender Schrei. Der Akuma erreichte ihn, ging aus der Höhe auf ihn nieder und mit einem Mal wurde es still. Der Atem rauschte in meinen Ohren, auch das Krachen der Knochen schien mich zu erreichen, bevor ich die letzten Meter hinter mir ließ und ausholte. Kaum hatte der Akuma zum nächsten Sprung angesetzt, riss meine Klinge ihn in zwei Stücke, durchschnitt seinen Körper, schleuderte den oberen Teil weit zur Seite, während der untere regungslos auf die übel zugerichtete Leiche des Finders niederging. Weiterer Schnee wurde aufgewirbelt und keuchend richtete ich mich auf. Meine Aufmerksamkeit galt dabei nicht dem Toten, vielmehr schnellte sie zur Seite. Ich blickte mich um, suchte nach weiteren Gegnern und sah doch nur dieses weiße Nichts, vereinzelt verfinstert durch die brennenden Überreste. Langsam wandte ich mich den beiden Findern zu. Schwer atmend und ächzend hockten sie im Schnee, zitterten und bebten, während ihre geweiteten Augen auf den mit Blut durchtränkten Boden gerichtet waren. So senkte auch ich den Kopf und blickte hinab und zu meinen Stiefeln, die im roten Schnee standen. Langsam ließ ich mich nieder und zog das Telefon zu mir. Mein Körper war entspannt und unter einem tiefen Atemzug wählte ich diese Nummer und legte den Hörer an das Ohr. Sofort erhob sich das Rufsignal und bedächtig begannen meine Finger die Kante des Tisches zu bearbeiten. Der Belag löste sich bereits und ich begann an ihm zu zupfen. Tim hatte es auf meinem Schoß bequem und als das Rufsignal endete, ließ ich von der Tischkante ab und bettete die Hand auf Tims Körper. „Komui“, erhob sich die vertraute Stimme und bequem begann ich Tim auf meinem Schoß zu bewegen, ihn unter der Hand von einer Seite zur anderen zu rollen. „Ich bin’s, Allen. Die Mission ist beendet.“ Als Tim mich beißen wollte, ließ ich von ihm ab und kreuzte die Beine. „Wie die anderen wurde ich auch in Gefechte verwickelt, habe sie aber unversehrt überstanden.“ „Das höre ich gern.“ Komui seufzte. Im Hintergrund raschelten Unterlagen. „Ich war mit drei Findern unterwegs“, fuhr ich fort. „Leider verlor ich einen von ihnen während des Kampfes.“ Ich senkte die Lider, presste die Lippen aufeinander und das Rascheln in der Leitung verstummte. Verluste fasste Komui nicht leichtfertig auf. Jeder verlorene Finder ging ihm an die Substanz, doch es war ein Schmunzeln, zu dem sich meine Lippen verzogen. Eine Mimik, die sich schnell in ein Grinsen steigerte. „Es war der Broker.“ „Ist das so?“ Ich meinte, sein tiefes Durchatmen zu vernehmen. „Ich danke dir. Das heißt, das belgische Lager stellt keine Gefahr mehr dar. Dann kann ich meine Exorzisten also endlich wieder dorthin schicken.“ Ich nickte und zupfte weiter an einer der Kordeln. „Wie geht es für mich weiter? Soll ich zurückkommen?“ „Moment.“ Ich hörte ein Schubfach, im Hintergrund plötzlich auch Rivers Stimme. Sie murmelten sich etwas zu. „Nein“, meldete sich Komui dann wieder. „Ich bitte dich, von dort aus gleich zur nächsten Mission aufzubrechen.“ Sofort richtete ich mich auf und drängte Tim von meinem Schoß. „Worum geht es?“ „Ich schicke dich als Verstärkung“, erhielt ich zur Antwort. „Kanda ist in Amsterdam, ebenfalls auf einer Broker-Mission, bei der wir von Anfang an Komplikationen erwartet haben.“ Ich richtete mich auf. „Wir vermuteten einen Verräter in den Kreisen des Brokers, der Kandas Tarnung auffliegen lassen könnte und mit dem Gefühl, dass genau das in absehbarer Zeit passiert, hat er Verstärkung angefordert. Du bist am nahesten.“ „Verstanden.“ Ich nickte und nahm kaum bewusst wahr, wie sich meine Lippen zu einem Schmunzeln verzogen. So bereitwillig war ich einer Mission mit Kanda nur selten begegnet. Es war eine Reaktion, die Komui nicht sah, die er nicht ahnte. Waren es damals noch Wochen gewesen, die ich getrennt von ihm verbrachte und mir auch nichts daraus machte, war es diesmal etwas mehr als ein Tag, den ich als spürbare Trennung empfand. „Mach dich bitte sofort auf den Weg. Der leitende Finder weiß Bescheid und wird dir den genauen Ort auf einer Karte markieren.“ Eine Pause zeugte davon, dass Komui wieder an der Kaffeetasse hing. „Bitte beeil dich. Ich weiß nicht, in was für einer Lage Kanda steckt.“ „Ich werde mich sputen“, versprach ich. „Vor morgen werde ich es aber nicht schaffen.“ „Bis dahin vertrauen wir auf ihn“, antwortete Komui. „Es wird schon gut sein, nur leider kann ich dir nicht sagen, was dich dort erwartet. Also sei vorsichtig und melde dich rechtzeitig, wenn ihr Verstärkung benötigt. Sobald die Mission beendet ist, kommt ihr beiden erst einmal zurück.“ „Verstanden.“ Der Gedanke, das erste Mal seit langem direkt mit Kanda zusammenzuarbeiten spornte mich nicht weniger an als die Wichtigkeit, die ich seiner Unversehrtheit zuschrieb. In was für einer Lage er auch steckte, ich war unterwegs. Keine Zeit für einen weiteren Kakao, keine Zeit für einen Plausch mit den Findern. Es vergingen nur wenige Momente, bis ich mich endgültig verabschiedete und mich auf den erneuten Weg zu jener Haltestelle machte. Möglicherweise zählte jede Minute, jeder Zug, den ich bekam oder verpasste. Wie Komui sagte, eine unbekannte Lage und so durchstreifte ich die weißen Gefilde eilig und erreichte die Haltestelle rasch. Den Zug hatte ich schon von weitem erblickt. Er war in Richtung der Haltestelle unterwegs und es war ein Sprint, mit dem ich ihm beikam. Kurz bevor er anfuhr, schwang ich mich auf eine der Stufen, riss die Tür auf und schob mich in das warme Innere. Es waren nur wenige Reisende, die überrascht aufblickten, die mich und Timcanpy musterten, während ich mich auf die Suche nach einem leeren Abteil machte. Dann ließ ich mich auf die Bank sinken und beruhigte meinen Atem. Die körperliche Anstrengung ging Hand in Hand mit einer nicht zu erstickenden Vorfreude. Es wurde allmählich Zeit für seine finstere Miene. Zeit für unser nächstes Treffen. Ich fühlte mich so sehr dazu hingezogen, als lägen Monate zwischen dem Augenblick, als wir uns zuletzt sahen. Eine seltsame Form der Abhängigkeit, könnte man meinen. Sei es doch so, es war mir gleich. Alles in mir blieb behaglich und so streckte ich die Beine von mir und faltete die Hände auf dem Bauch. -tbc- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)