Unseen Souls von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: 4 ------------ „Lust auf Japan?“ Schmunzelnd reichte er uns die Mappen über den Tisch und während sich Crowley nach ihnen streckte, verengte ich die Augen. Japanisches Essen war verdammt gut. Leicht berührte eine der Mappen meine Schulter und sofort griff ich nach ihr und sah die Vorstellungen des Essens sich sofort in Luft auflösen. Ich wendete die Mappe in den Händen und öffnete sie. Mein kurzes Studieren der Schriften wurde sofort kommentiert. Auch neben mir raschelte es und nach wenigen Worten hielt ich inne und spähte auf. „Die Wahrscheinlichkeit, ein Innocence zu finden, ist diesmal sehr hoch.“ Zuversichtlich sah Komui uns an aber in mir regte sich eine ganz andere Frage. „Die Anzeichen sprechen deutlich dafür, weshalb es wichtig ist, dass ihr sofort aufbrecht.“ „Okinawa“, murmelte Crowley, als er die Karte studierte. Kurz lugte ich zu ihm, bevor ich die Stirn runzelte. „Komui?“ Ich rückte mich zurecht, spürte unter mir irgendwas Hartes. „Wenn Crowley und ich nach Japan gehen, sehe ich Probleme bei der Kommunikation.“ Während Komui leise aufächzte, juckte ich mich an der Wange. „Fast hätte ich es vergessen.“ Eine gewisse Vermutung lag nahe, als sich sein Gesicht erhellte. „Vor Ort trefft ihr euch mit Kanda. Er wird euch unterstützen. Treffpunkt ist markiert. Er ist schon unterwegs, macht nur einen kleinen Umweg und kümmert sich um eine andere Angelegenheit. Ich habe ihn schon mit der Mission vertraut gemacht und wenn er die Zeit richtig eingeschätzt hat, wird er pünktlich sein.“ Das erklärte dann wohl die Eile, die ihn nach der Besprechung zu fassen bekam. Er war wirklich sofort aufgebrochen. Ich rümpfte die Nase, achtete nicht auf Komuis Mund, der sich immer noch und pausenlos bewegte. Crowley war aufmerksam genug für uns beide. Eine Mission mit ihm? Wenn ich genauer darüber nachdachte, lag es lange zurück, dass wir uns gemeinsam auf dasselbe konzentrierten und er die Atmosphäre mit seinem sonnigen Gemüt erfrischte. Ich folgte den Kanten der Mappe mit den Fingerkuppen. Es war in Ordnung. Mit ihm auf Mission zu gehen, brachte Abwechslung sowie deutliche Fortschritte. Halbe Sachen lagen ihm nicht und mit dieser Gemeinsamkeit ließ sich arbeiten. Es waren nicht mehr viele Worten, die zwischen uns fielen, bevor wir das Büro verließen. Der Aufbruch sollte nicht lange auf sich warten lassen und so verschwendeten wir keine Zeit, betraten das Treppenhaus gemeinsam und trennten uns nur kurz, um in unseren Zimmern zu verschwinden. Eilig öffnete ich meine Tür und erspähte schon die Einzelteile der Uniform, die immer noch im halben Zimmer verstreut waren. Auf dem Weg zu ihnen bekam ich den Saum meines Hemdes zu fassen, streifte es mir über den Kopf und warf es in die Richtung meines Bettes. Wenn die Winteruniform noch etwas auf sich warten ließ, sollte man nicht an Kleidung sparen und ebenso flink öffnete ich den Kleiderschrank und wühlte zwischen dem Stoff. Vor allem in den letzten Momenten der Abreise waren meine Gedanken ausschließlich auf das Kommende fixiert. Andere Dinge waren nicht mehr von Belang und abrupt hielt ich inne, als sich der Stoff einer Hose in einem der untersten Fächer plötzlich zu regen begann. Irritiert verfolgte ich das Phänomen und zog das Hemd mit mir. Was war das denn? Vergessen war die Hast. Auch Timcanpy war es gewesen und wie plötzlich sah ich mich mit dem goldenen Flügel konfrontiert, der sich da nach draußen wühlte. „Hah?“ Mit großen Augen ließ ich das Hemd fallen, hockte mich vor das Regal und war dem Golem dabei behilflich, sich zu befreien. „Was…“ Ich zog eine Grimasse, war aber gleichzeitig erleichtert. Kurz darauf umflatterte er mich schon wieder. Es musste heute Morgen und in der Eile passiert sein, in der ich nach meinem Frühstück rannte und unter einem Seufzen ließ ich den Kopf hängen. Es war ein glücklicher Zufall, dass ich Johnnys Worte beherzigte und mich warm anzog. Er hätte es nicht leicht gehabt, tagelang in diesem Fach. Eine lange Reise stand uns bevor. Stunden und Tage, bis wir unser Ziel erreichen würden. Japan. Dorthin aufzubrechen löste wohl in jedem von uns ein seltsames Gefühl aus. Erinnerungen lasteten auf diesem Land und den Weg zum Bahnhof verbrachten Crowley und ich schweigend. Jeder von uns hing seinen Gedanken nach und so vergruben wir uns in den wärmenden, schwarzen Mänteln, zogen uns die Kapuzen weit in das Gesicht und blinzelten unter dem schneidigen Wind, der uns entgegen stieß, als wolle er uns an jedem unserer Schritte hindern. Dröhnend drängte er sich unter den Stoff meiner Kapuze, ließ mich sie mit der Hand sichern und den Kopf senken. Wieder suchte auch Tim auf meiner Schulter nach Halt. Es war keiner der hellen Tage. Der Herbst selbst verlor die Kraft im Angesicht der uns bald bevorstehenden weißen Welt. Die letzte Dunkelheit sendete er uns und als wir den Bahnhof erreichten auch den letzten Regenschauer, bevor jede Nässe gefror. Es würde nicht mehr lange dauern und wie erleichtert waren wir, als wir die Halle betraten. Vor dem eisigen Wind geschützt, hörten wir den Regen auf das Dach des Gebäudes niederprasseln und zogen den Bahnsteigen entgegen. Flatternd folgte uns Tim auf unserem kurzen Weg und fand seinen Platz auf dem hölzernen Rahmen des Fahrplanes, in den wir uns vertieften. Während sich Crowley dem richtigen Sitz seiner Uniform hingab, neigte ich mich nach vorn, strich mir das etwas wirre Haar zurück und verengte die Augen. Drei Tage, schätzte ich. Eher erreichten wir das Ziel unter keinen Umständen und wenn ich es jetzt recht bedachte, war es schon in Ordnung, erst vor Ort auf Kanda zu treffen. Selbst kurze Reisen verloren mit ihm irgendwie an Reiz und zogen sich durch die Gesellschaft seines ablehnendes, einzelgängerischen Verhaltens unbequem in die Länge. Es gäbe eine angespannte Atmosphäre. Ein Ding, das mir mit meinem jetzigen Begleiter nicht passieren konnte. Mit Crowley war ich gerne unterwegs. Man führte Gespräche und vertrieb sich die Zeit, während die Zugräder ratterten und eine Haltestelle der vorherigen folgte. Er war ein angenehmer Kollege und so konnte ich mich doch glücklich schätzen, dass nun er an meiner Seite stand. So stiegen wir in den ersten Zug und am Abend auch auf das Schiff mit direktem Kurs auf Belgien. Und wir sprachen in den ersten Stunden ununterbrochen und schwiegen erst, als das Schiff unter uns schwankte und das Rauschen der Wellen uns umgab. Die frühe Dunkelheit dieser Monate machte uns müde, die Bewegungen und das Knarren des Schiffes ließen auch mich in eine gewisse Dämmerung treiben und während Crowley in der Koje unserer Kajüte lag und schlief, saß ich an einem kleinen Tisch und starrte auf die Flamme der Kerze. Sie blieb in permanenter Bewegung, zitterte vereinzelte Male, wenn sich eine Brise frischen Meereswindes ihren Weg zu uns suchte. Den Rücken an der Wand der Kajüte, bewegte ich lange Zeit die Hände in meinem Schoß, lugte auch zu Tim, der das Obere der zwei Betten dafür nutzte, wofür es gemacht war. Reglos hockte er dort auf der Decke, schlug nur selten mit den Flügeln und ein seltsamer Antrieb ließ mich irgendwann aufstehen und das kleine Zimmer verlassen. Es zog mich nach draußen, durch die Flure des Schiffes und an Deck. Ich öffnete die Tür, nahm die frische, kalte Luft in mir auf und öffnete den Mund, als sich mir das helle Flimmern der Luft offenbarte. Eine stetige Bewegung vor dem grauen Nachthimmel und langsam trat ich hinaus, spähte in das unendliche Getümmel der ersten Schneeflocken und hielt die Hand in das Gestöber und verfolgte fasziniert, wie mild vereinzelte Flocken auf sie niedergingen. In ziellosen Schritten führte mich mein langsamer Weg daraufhin quer über das verlassene Deck. Alleine bewegte ich mich in diesem weißen, lebendigen Wintergruß und verfolgte, wie die Schneeflocken auf meiner Haut an Größe verloren, wie sie in sich zusammensanken, kurz darauf als Wasser von meiner Hand perlten. Hell beschlug auch mein Atem und wie gebannt blieb ich stehen, hob den Kopf und blinzelte nach oben. Mein Blick für die Deutlichkeit verschwamm, als der Weg einer Schneeflocke an meinen Wimpern endete. Ich blieb einfach stehen und blickte in das weiße Gestöber. Die Welt wirkte lebendig, wenn es schneite. Ich mochte den Schnee, hatte mich auf ihn gefreut und der Schlaf konnte warten, bis die nächste Nacht über uns hereinbrach und ich mich an diesem weißen Wunder satt gesehen hatte. Eine Böe ließ den robusten Stoff meines Mantels erbeben. Vor allem hier auf dem Meer war man ungeschützt und den Naturgewalten soviel mehr ausgeliefert, als auf dem Festland. Hier gab es nur das Rauschen der Wellen, die sich am Schiffsrumpf brachen, das Pfeifen des Windes und neben diesen Geräuschen nichts. Keine Schritte, keine Stimmen. In diesen Momenten gab es keine anderen Menschen. Nur mich und dieses weiße Nichts, das nach keinen Worten verlangte. Beiläufig und wie vertieft zog ich bald auch den zweiten Handschuh aus, entblößte die schwarze Hand und ließ sie teilnehmen an der Frische. Bei ihr war es anders. Sie signalisierte mir kaum die zarten Berührungen, ließ das Kitzeln der vorbei gleitenden Schneeflocken kaum in mein Bewusstsein dringen. Die Begegnungen waren zu mild und trotzdem sah ich jede der Flocken auf der schwarzen Haut schmelzen. Es war ein kurzer Frieden, den ich mir suchte und nur mit meinen Gedanken teilte. Momente der Stille, die ich nicht einmal durch meine eigenen Schritte zu brechen gedachte und ich blieb, bis meine Glieder unter den schneidigen Böden zu beben begannen, meine Ohren unter der klirrenden Kälte schmerzten und mein Leib an Ruhe verlor. Die Eindrücke brachen meine Konzentration. Die Wirklichkeit drang zurück in meine Wahrnehmung so setzte ich mich in Bewegung, kehrte dem Schnee den Rücken und schob mich zurück in die windstillen, dunklen Gänge des Schiffes. In den frühen Morgenstunden erreichten wir Belgien. Der Schnee war jeder Stunde der Nacht treu geblieben und so knackte er unter unseren Stiefel, als wir durch die dunklen Straßen zogen und nur wenigen Menschen begegneten. Viele waren zu dieser Zeit nicht unterwegs. Tief in die Mäntel oder Jacken vergraben, angespannt durch die Kälte den Sitz der Mützen mit der Hand festigend. Dunkel zogen auch die Schatten der Kutschen und Karren an uns vorbei, während wir Wohnhäuser und geschlossene Läden hinter uns ließen, uns stetig dem nächsten Bahnhof nähernd. Wir hofften, mit dem nächsten Zug eine größere Distanz hinter uns zu bringen. Durch Deutschland, Tschechien. Die wahre Belastung bestand darin, oft umzusteigen, oft nach einem anderen Zug zu suchen und lange vertieften wir uns in den Plan, als wir die steinerne, kalte Halle erreichten. Wir rieben uns die Hände, während unser Atem selbst innerhalb des Gebäudes beschlug und die Züge zischend weißen Dunst aus den Kurbeln stießen. Nur wenige Stimmen waren es, die uns umgaben. Auch hier nur wenige Menschen und, wie ich schnell bemerkte, keine Möglichkeit, an etwas Essbares heranzukommen. Möglicherweise im Zug und der Richtige war schnell gefunden. Einen gesamten Tag würden wir in ihm zubringen aber letztendlich waren wir allein durch die Wärme in unserem Abteil zufrieden gestellt. Die Polster waren bequem, auch an Essen konnte man herankommen und sobald ich die Bank neben mir mit den neu erworbenen Vorräten zustellte, Crowley und ich in Ruhe aßen und auch die Zeit und die Muße für ausgelassene Gespräche hatten, wurde die Reise wieder umso einige Nachteile ärmer. Es blieb bei drei Tagen. Endlose Stunden saßen wir in Zugabteilen, standen auf dem schwankenden Boden verschiedener Schiffe, lauschten wir dem Rattern der Zugräder und versuchten wir uns mit Spaziergängen in kalten Bahnhofshallen warm zu halten. Es war eine Reise, die man nicht nur als unangenehme Erfahrung werten konnte und spätestens, als wir von China aus auf das nächste Schiff stiegen, kurz davor, die Reise hinter uns zu bringen, begannen wir die schwarzen Mappen abermals zu überfliegen. Acht Stunden trennten uns von dem Ziel, als das Schiff vom Kai ablegte. Es war ein klarer wenn auch kalter Tag. Der Himmel erstreckte sich grau und hell über unseren Köpfen, als wir an Deck traten. Geschneit hatte es am vergangenen Tag zum letzten Mal. Zurück blieb nun die weiße, stille Gegend und ebenso weiß und schneebedeckt erspähten wir bald am Horizont Okinawa. Die Insel, die das Ende unserer Reise darstellte. Die Insel, deren weißer, schimmernder Schein trügerisch wirkte. Dort hatten wir zu arbeiten, dort hatten wir zu forschen und entgegen der Informationen, die die schwarzen Mappen für uns bereithielten, wussten wir doch nicht, was uns erwartete. Flach erstreckte sich die Insel vor unseren Augen, lag still inmitten des Ozeans und großzügig vermummten wir uns in unseren Mänteln, während wir an der Reling standen, nur noch wenige Minuten vom Ufer entfernt. Permanent wurde neben mir die Nase hochgezogen, vorsichtig bewegte sich Tim auf der hölzernen Absperrung und kurz stellte ich mir die Frage, ob Kanda schon dort war. Vermutlich hatte er es etwas schwerer gehabt als wir. Es war keine Sache, die mich sonderlich interessierte aber sie ließ mich nachdenklich werden. Die Belastung, in diesen eisigen Monaten zu viel unterwegs sein zu müssen, hatten Crowley und ich erneut kennen gelernt. Langsam verschränkte ich die Arme, rümpfte die Nase und blinzelte unter einer Böe, die mir in den Augen brannte. Was mich beschäftigte, war die Laune, die Kanda offenbaren würde. Sein Weg war länger gewesen, seine Kräfte vermutlich weit mehr gefordert. Er hatte weniger in einem ruhigen Zugabteil gesessen, war wohl auch weniger zum essen gekommen als wir. Eine Last. Ja, plötzliche spürte ich sie und sank unter einem Seufzen in mich zusammen. Nach dieser Reise hatte ich wirklich Respekt vor einem tödlich genervten Gesicht und noch tödlicheren Worten. Wie bildlich konnte ich mir seine Mimik vorstellen. Just in dem Moment, als Komui ihm die Tatsache offenbarte, dass er als Dolmetscher herzuhalten hatte. Er hatte den Kontakt herzustellen, dafür zu sorgen, dass wir uns in dem Land zurechtfanden. Es war ein Akt voller Aufmerksamkeit, den er bestimmt in jedem erdenklichen Moment verfluchte. Vermutlich würde er es uns nicht leicht machen. Ich zog ein langes Gesicht und starrte resigniert auf das weiße Paradies. Es war ein sarkastischer Moment, in dem mich diese Insel wie eine höhnisch lachende Fratze erwartete. Dann erreichten wir das Ziel. Über den Steg verließen wir das Schiff, stiegen hinab zu dem kleinen, Hafen. Ein Frachtschiff hatte uns für die Überfahrt gereicht und wirklich waren wir neben Kisten und Lieferungen die einzigen Passagiere. Die Mäntel eng um den Leib geschlungen betraten wir japanischen Boden und während ich mich den ersten Eindrücken hingab, begann Crowley seine Taschen zu durchstöbern. Der Treffpunkt sollte nicht weit entfernt sein. Es war die Karte, die er suchte. Kurz driftete Tim durch mein Blickfeld und während es neben mir raschelte, spähte ich zur Seite. Nicht weit vor uns und auf der Grenze zwischen Hafen und Wald erhob sich ein steinernes Gebilde. Es schien so sorgfältig aus dem Stein geschlagen zu sein, dass ich Interesse daran fand. Es schien ein kleiner Schrein zu sein. Ein kleines Ding mit großer Bedeutung und eifrig falteten Crowleys zitternde Hände den Plan auseinander. Bisher hatten mich meine Wege erst einmal in dieses Land geführt. Fragwürdige Wege zu einem fragwürdigen Ziel. Gefahren hatten mir den Blick auf die Umgebung verwehrt und mir nicht die Zeit gelassen, die Atmosphäre Japans zu spüren. Jetzt tat ich es. Inmitten dieses weißen Meeres lauschte ich einem Glöckchen, das in weiter Ferne leise ertönte. Der Schnee knackte, als Crowley zu mir trat und zusammen vertieften wir uns in den Plan. Die rote Kennzeichnung Komuis war nicht zu übersehen. Fast verwehrte uns die Farbe des dicken Stiftes den Blick auf die gesamte Umgebung des Treffpunktes. Das erste Dorf oder die erste Stadt lagen in weiter Ferne und so würden wir Kanda und unserem Finder im Wald begegnen. Die Richtung fanden wir schnell, weit war es auch nicht und so setzten wir uns in Bewegung und nutzten einen schmalen Pfad, der uns zwischen die Bäume führte. Eine kleine Lichtung war es, die wir bald darauf erreichten. Ein Fleck im Wald, der besonders war. Es war ein Gebäude, vor dem wir standen. Ein Steinernes mit schrägen, abgerundeten Dächern und in jeder Einzelheit so zierlich, dass der Bau von Präzision und Bedeutung zeugte. Es musste ein Tempel sein, zu dem diese versteckten, Waldwege führten. Hell ragte er vor uns in die Höhe, stumm bewegten sich rote Laternen am Eingangsbereich unter den milden Brisen des Windes und wieder drangen auch die leisen Laute verschiedener Glöckchen an meine Ohren. Es war eine seltsame Atmosphäre, die sich uns hier bot. Die kahlen Bäume umgaben uns zu allen Seiten, bildeten einen sanften Kontrast zu dem grauen Himmel, der sich über uns erstreckte. Niemand war hier unterwegs. Verschlossen war auch die Tür des Tempels, während die Glöckchen unter der folgenden Windstille verstummten und Crowley sie mit einem Seufzen ablöste. „Ein schöner Ort“, stellte er fest und sofort nickte ich, sah ihn mit einem Nicken auf den zierlichen Zaun deuten, der den Tempel umgab. Eher zur Zierde, denn er war kaum höher als einen Meter. „Sind wir pünktlich?“ „Ich denke schon.“ Somit musterte ich die Wege, die von der Lichtung wegführten. Wir waren wirklich beizeiten hier. Vermutlich blieb uns sogar noch eine Weile, denn wenn Kanda nichts in die Quere kam, würde er pünktlich sein. Das war er immer. Mit wenigen Schritten entfernte ich mich von dem Tempel, erreichte einen Stein, befreite ihn von der dünnen Schneeschicht, schlang meinen Mantel um mich und ließ mich nieder. Crowley leistete mir Gesellschaft. Tim setzte sich auf meinem Kopf, als ich mich zu bewegen begann, die Hand unter dem Mantel versenkte und in einer meiner Gürteltaschen zu suchen begann. Ich tastete und wurde bald fündig. Mit großen Augen starrte Crowley auf die Verpackung, die ich aus dem versteckten Winkel zog. Ein Sandwich, das mir jetzt gelegen kam und zufrieden begann ich die Verpackung zu bearbeiten. „Von wann ist das denn?“ Crowley sah überrascht aus aber ich war mir gar nicht so sicher. Eigentlich trug ich meistens irgendetwas mit mir herum. „Ich glaube von gestern Abend.“ Vergnügt zog ich das Toast hervor und rückte mich auf dem Stein zurecht. „Willst du ein Stück?“ „Nein, nein.“ Gerührt winkte Crowley ab und schon biss ich zu und ließ es mir schmecken. „Gestern im Zug habe ich soviel gegessen, dass ich für eine ganze Weile nicht mehr hungrig sein werde.“ Ich zuckte mit den Schultern, leckte mir die Mayonnaise aus dem Mundwinkel und begutachtete den grünen Salat und die Tomaten. Durch die Uniform und den Mantel spürte ich nicht einmal die Kälte des Steines und kurz darauf wählte Crowley den benachbarten Stein. Wir streckten die Beine und verfielen dem alten Schweigen. Nach Tagen des Austausches und der Worte, die wie reißende Ströme flossen, war es nicht verkehrt, mal eine Pause einzulegen. Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis sich der helle Mantel des Finders zwischen den Bäumen bewegte und uns einer der beiden fehlenden Weggefährten Gesellschaft leistete. Damit endete die Stille auf der Lichtung. Unter dem sandfarbenen Mantel versteckte sich ein aufgeweckter junger Mann. „Ich spreche ein wenig japanisch“, sagte er, während ich zwischen dem Weißbrot nach der bitteren Gewürzgurke fischte. „Deshalb wurde ich hierher geschickt.“ „Und sind Sie schon lange hier?“, übernahm Crowley das Sprechen. „Seit gestern“, meinte der Finder. „Ich wollte mit den Nachforschungen beginnen, um Ihnen eine gute Grundlage zu bieten, nur leider fehlt es mir doch an sprachlichen Fertigkeiten, denn hier auf Okinawa spricht man einen Akzent, den ich schwer verstehe. Darüber hinaus begegnen die Einheimischen Fremden sehr misstrauisch.“ Ich schöpfte tiefen Atem und fuhr mit mir dem Handrücken über die Lippen. „Haben Sie eine Uhr?“, erkundigte sich Crowley. „Natürlich.“ Sofort begann der Finder seine Taschen zu durchforsten und ich vertiefte mich in die Suche nach der nächsten Gurke. Konzentriert zog ich das Weißbrot auseinander. „Wir waren wirklich pünktlich“, bemerkte Crowley und kurz verzog ich das Gesicht unter Tims Flügel. Er streifte meine Wange, als er sich in Bewegung setzte und kurz darauf umflatterte er mich. „Wenn wir uns verspätet hätten, würde er die Hölle vorheizen, bevor er uns dorthin schickt.“ Damit hob ich das Sandwich zum Mund, fischte mit den Zähnen nach der aufgetauchten Gurke und lauschte dem Lachen neben mir. Der Finder schloss sich der Geste weniger an, nahm es so ernst, als hätte er solche Erfahrungen schon gemacht. Sobald das Thema in eine andere Richtung schweifte, wurden die Unterhaltungen entspannter und ganz in das Gespräch vertieft, war ich der Erste, der den Vierten im Bunde erspähte. Hinter dem Finder und zwischen den Bäumen war es eine Bewegung, die ich ausmachte und das Sandwich sinken ließ. Ich lehnte mich zur Seite und erkannte den vertrauten roten Saum der schwarzen Uniform. Da kam er und ich schluckte hinter und machte ich mich auf so einiges gefasst, als er aus dem Wald trat. Ich verfolgte, wie er seinen Mantel zurückstreifte und einen Strauch umging. Natürlich war er pünktlich. Seine in den schwarzen Handschuhen verborgenen Hände machten sich an der Uniform zu schaffen. Er wischte sich über den Bauch, rieb auch den Gürtel und als er nähertrat, erkannte ich den Grund dafür. Befürchtungen bestätigten sich und ließen mich das Sandwich nur stockend zum Mund heben. Er machte durchaus den Eindruck, als wäre die vergangene Mission anstrengend gewesen. Seine Uniform machte ihn auf jeden Fall, denn ein weiteres Mal prangten an ihr Flecke, die von getrocknetem Schlamm herrührten. Noch immer wischte er und der Finder trat zur Seite, bevor er bei uns stehenblieb. Ich hob die Brauen, als eine Begrüßung seinerseits ausblieb und seine Augen stattdessen ohne Umschweife zu mir fanden. Von meinem Gesicht senkten sie sich zu dem Sandwich, das ich schon nahe am Mund hielt. Die ersten Augenblicke waren entscheidend und beiläufig begann ich mit der Zunge meine Zähne zu erkunden, als er die Stirn runzelte. „Ich sehe schon“, erhob sich seine Stimme dann in gewohntem Klang. „Wer es nicht im Kopf hat, hat es im Magen.“ Ich ertastete ein Stück Gurke und entspannte mich binnen weniger Augenblicke. Ein seltsamer, gewohnter Fluss ließ mich mit sich treiben. Mit einem Nicken wies ich auf seine Uniform. „Und wer es nicht unter den Schuhen hat, hat es an der Kleidung.“ Ja, es waren wirklich so einige Flecken und abermals wischte er über einen von ihnen. „Wenigstens sehe ich so aus, als hätte ich etwas gemacht. Wenn man dich sieht, bist du nur dabei, Geld zu verfressen.“ Das Seufzen Crowleys drang kaum in meine Wahrnehmung, als ich mit dem Sandwich gestikulierte. „Wo wir gerade bei ‚fressen’ sind, hat dich ein hungriges Schlammmonster überfallen?“ Unter einem überlegenen Seufzen spähte ich an ihm vorbei. „Hat dich wohl wieder ausgespuckt, weil du unerträglich bitter schmeckst.“ „Du kriegst gleich was Bitteres.“ „Ich habe schon was zu essen.“ Darbietend hielt ich ihm das Sandwich unter die Nase. „Wann hast du das nicht, Bohnenstange?“ Annähernd angewidert zog er sich vor dem Sandwich zurück. „Wenn du durch die Unmengen, die du isst, wenigstens mal ordentlich wachsen würdest.“ Gut, der Punkt ging an ihn und unter einem Stöhnen sank ich in mir zusammen. Ich war jung. Das richtige Wachsen kam vermutlich später noch. Unweigerlich zog es meine Gesichtsmuskulatur gen Boden und neben mir räusperte sich Crowley. „Ich finde dich groß genug“, drang dann sein Flüstern zu mir. Oft wurde die Art, wie Kanda und ich miteinander umgingen, von anderen missverstanden. Eigentlich brauchte ich gar keinen Trost, denn was hier geschah, brachte mir Erleichterung und Wohlbehagen. Es waren keine Beleidigungen, die mich erreichten, sondern Zeichen, dass Kanda bei außerordentlich guter Laune war. Sein Schweigen hätte mich beunruhigt und meine Sorgen um seine Nerven nur bestätigt aber nun war ich zufrieden. So schnell wie dieses Wortgefecht entstand, so schnell verlor es sich auch schon und zurück blieben wir und ich voller Zuversicht. Als sich Kanda abwandte und sich auf den Weg machte, stopfte ich das letzte Stück des Sandwiches in meinen Mund und kam auf die Beine. „Wohin gehen wir?“, erkundigte ich mich, als wir uns ihm anschlossen. „Dorthin, wo die Akuma gesichtet wurden?“ Es war ein Friedhof, den sie oft durchstreiften. Aus unerfindlichen Gründen und in großer Anzahl. So hatte es in der Mappe gestanden. „Der Friedhof ist nicht weit entfernt“, antwortete Kanda und spähte zu den Handschuhen, deren Sitz er sicherte. „Wir sehen uns um aber wenn sie nur nachts gesehen wurden, werden wir zu anderen Zeitpunkten kaum etwas herausfinden. Nicht weit entfernt gibt es ein Dorf. Dort können wir auf die Nacht warten.“ „Du kennst dich hier gut aus“, bemerkte Crowley und natürlich hatte ich mir Ähnliches gedacht, nur alles andere getan, als es auszusprechen. „Hast du einmal hier gelebt?“ Augenblicklich fanden meine Augen zu Kanda. Es war ein plötzlicher Reflex, der mich dazu veranlasste, mich für seine Reaktion zu interessieren und nur kurz offenbarte sich mir sein Gesicht, bevor er sich umdrehte, geradlinig an mir vorbei und zu Crowley starrte. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ „Du hast Recht. Verzeih mir“, gab Crowley verträglich nach und ich verfiel einer flüchtigen Nachdenklichkeit. So direkt und eindeutig. Crowley stellte eine Frage, Kanda wollte sie nicht beantworten und sagte es einfach. Ein verstecktes Lächeln formte meine Lippen und ich fühlte mich, als würde es sich bedauernd gegen mich selbst richten. Gegen mich und die Scheinheiligkeit, mit der ich einer solchen Frage niemals geradlinig begegnet wäre. Vermutlich hätte ich für Ablenkung gesorgt und dafür, dass man die ausstehende Antwort einfach vergaß. Aber geheuchelte Offenheit blieb nur Offenheit, wenn niemand die Lüge durchschaute. Ich besah mir Kanda mit schwindendem Lächeln. Ohne Heuchelei schien es leichter zu sein. Beeindruckend, wie er all die schweren Wege umging. Als wären sie nur für mich bestimmt. -tbc- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)